Zwischen Polen und den USA hat sich in den Jahren nach 1989 rasch ein Sonderverhältnis entwickelt. Dessen harter Kern sind die sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit und Polens Glauben an amerikanische Sicherheitsgarantien. Nachdem manche etwa während der Obama-Präsidentschaft Indizien für eine strategische Indifferenz der USA gegenüber Ostmittel- und Osteuropa ausgemacht hatten, zeichneten sich seither Veränderungen ab. Das von der Trump-Administration verfolgte Politikmuster der wachsenden Großmachtkonkurrenz erzeugt für Polen Profite in Form eines gesteigerten US-Engagements in der Region, das darauf abzielt, russischen und chinesischen Einfluss einzudämmen. Polen versucht die strategische Neuausrichtung der USA zu nutzen, um engere bilaterale verteidigungs- und rüstungspolitische Vertäuungen zu schaffen und die eigene Fähigkeit zu stärken, sich effektiver gegen Russland zu verteidigen. Indirekt möchte Warschau die Bindung an die USA auch als Hebel nutzen, um innerhalb der EU an Einfluss zu gewinnen.
Der Besuch des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda in den Vereinigten Staaten Mitte Juni, sein abermaliges Zusammentreffen mit US-Präsident Donald Trump und die Unterzeichnung mehrerer bilateraler Vereinbarungen sind Elemente einer kontinuierlichen Vertiefung der polnisch-amerikanischen Beziehungen. Die innenpolitischen Konstellationen in beiden Ländern haben sie nochmals intensiviert. Vor allem die amerikanische Zusage, die Stationierung von militärischem Personal und Ausrüstung in Polen auszubauen, wird in Warschau als Beginn einer neuen Etappe »fundierter Präsenz« (so Duda) gewertet.
Die Vereinigten Staaten blieben stets der zentrale Referenzpunkt der polnischen Sicherheitspolitik. Das gilt trotz einiger Ernüchterungen in Polen, etwa nach dem Engagement Polens im Irak, das sich nach Ansicht vieler Beobachter nicht ausreichend auszahlte, oder in Anbetracht der weiterhin bestehenden Visumspflicht für polnische Staatsbürger. Auch amerikanischer Druck auf Warschau bzw. Erwartungen hinsichtlich des polnisch-jüdischen Verhältnisses führten nicht zu einem Abrücken von dieser Linie. Und weder Enttäuschungen über die Obama-Administration noch die Unberechenbarkeit der Trumpschen Außenpolitik haben daran grundsätzlich etwas geändert. Im Gegenteil: Die sich abzeichnende globale Politik der USA, sich gegen neue und alte Konkurrenten einschließlich Russland zu behaupten und sie einzuhegen, wirkt revitalisierend auf die polnisch-amerikanische Zusammenarbeit, denn sie trifft sich mit polnischen Wahrnehmungen und Verhaltensmustern. Die außen- und sicherheitspolitische Orientierung des konservativen polnischen Regierungslagers sowie dessen weltanschauliche Kolorierung fördern dies zusätzlich, sie sind aber bei weitem nicht die einzige Triebkraft der beiderseitigen Zusammenarbeit.
Ein erster Hinweis auf die neue Nähe beider Länder war Donald Trumps Besuch in Warschau anlässlich des Gipfels der Drei-Meere-Initiative im Sommer 2017. In der Rede, die er dabei gehalten hat, zollte der US-Präsident den heroischen Aspekten der polnischen Geschichte Respekt und bekräftigte die Partnerschaft beider Länder emphatisch. Vor allem die Tatsache, dass sich die Trump-Administration weder von den Unterstützungszusagen für die Nato-Ostflanke verabschiedete noch ein »Grand Bargain« mit Russland zu Lasten der Ukraine einging, beruhigte die Gemüter in Warschau. Dass überdies mehrere in der Republikanischen Partei verwurzelte Exponenten einer harten Russlandpolitik wichtige Positionen bekleideten, wurde in Polen als Zeichen für Kontinuität, ja für zunehmende Konsequenz gegenüber Moskau gewertet.
Warschau möchte vor diesem Hintergrund die Gunst der Stunde nutzen: Das vielleicht sichtbarste Anzeichen hierfür ist der von polnischer Seite formulierte Wunsch nach Stationierung einer US-Division bzw. dem Aufbau einer robusten amerikanischen Militärbasis (»Fort Trump«), wobei Polen bereit ist, einen Teil der anfallenden Kosten zu tragen. Dabei ist Warschau bemüht, gleichsam Reziprozität durch Loyalität zu schaffen. Die Warschauer Nahostkonferenz vom Februar 2019 diente genau diesem Ansinnen.
Die USA aus polnischer Sicht
Die enge Bezugnahme auf die Vereinigten Staaten ist für Polen eine Versicherungspolice mit Schutzzusagen, und dies auf Basis einer wiederholt bekräftigten Partnerschaft, die auf den Werten Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie beruht. Aber die USA sind nicht nur der »indispensable partner« Polens in der Sicherheitspolitik. Überdies hofft Warschau darauf, durch enge Beziehungen zu Washington Polens Energiesicherheit zu verbessern, in der Ostpolitik mehr Effektivität zu erzielen und sein Gewicht insbesondere in der EU aufzuwerten.
Ein unersetzbarer Sicherheitsanker
Die Vereinigten Staaten sind für Polen ein unabdingbarer Sicherheitsanker. Die Ausrichtung an den USA resultiert nicht nur aus dem Arsenal amerikanischer militärischer Fähigkeiten, sie rührt auch aus dem Misstrauen gegenüber den europäischen Verbündeten. Auch wenn zuweilen in Frage gestellt wird, ob Washington im Falle eines limitierten Konflikts im östlichen Europa eine größere Eskalation mit Russland in Kauf nehmen würde, ist das Vertrauen in das Bündnisversprechen der USA doch weit größer als in das der bedeutenden Nato-Partner in Europa. Dieser sicherheitspolitische Vorrang der USA gilt grundsätzlich für alle relevanten politischen Kräfte in Polen. Die regierende Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) hat ihn noch spürbar akzentuiert, da in der PiS die Zweifel an Deutschlands und Frankreichs Russlandpolitik und an der EU als sicherheitspolitischem Faktor besonders ausgeprägt sind. Warschau hat aus den mehrdeutigen Positionierungen der Trump-Administration zur Nato, dem »transaktionalen« Ansatz des US-Präsidenten und den Verwerfungen im transatlantischen Verhältnis den Schluss gezogen, sowohl die Nato im polnischen Sinne zu festigen als auch einen sicherheits- und verteidigungspolitischen Bilateralismus zu vertiefen. Beide Dimensionen werden nicht als gegensätzlich, sondern als komplementär betrachtet.
Zusätzlich zu den Maßnahmen, die Resilienz, Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung im Rahmen der Nato verbessern sollen, baut Polen daher seine sicherheitspolitischen und militärischen Bindungen an die USA kontinuierlich aus. Ein Element ist dabei die Beschaffungspolitik. Im Frühjahr 2018 wurde der teuerste Rüstungsdeal der polnischen Geschichte unter Dach und Fach gebracht: Polen kauft im Zuge der ersten Phase des Aufbaus eines polnischen Luftabwehrsystems mittlerer Reichweite namens Wisła amerikanische Patriot-Raketensysteme. Anfang 2019 wurde entschieden, das Raketenartilleriesystem HIMARS zu erwerben, ebenfalls amerikanischer Bauart. Bei dem von Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak dargelegten Plan, die Streitkräfte bis 2026 zu modernisieren, könnte der Zuschlag für einige teure Projekte an amerikanische Bieter gehen. Ende Mai 2019 wurde gegenüber den USA Interesse am Kauf von 32 Kampfflugzeugen des Typs F‑35A bekundet.
Eine wichtige Komponente polnisch-amerikanischer Militärkooperation sind gemeinsame Übungen. 2020 soll ein umfangreiches Manöver aus der im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Serie »Anakonda« mit voraussichtlich starken Kontingenten der USA stattfinden.
Zentral ist aber vor allem die Stationierung militärischer US-Hardware und von US-Truppen auf polnischem Staatsgebiet. Amerikanische Truppenkontingente sind Bestandteil des Nato-Engagements in Polen. So fungieren die USA als Rahmennation für den in Polen dislozierten Kampfverband der sogenannten Verstärkten Vornepräsenz (eFP), der die Nato-Ostflanke festigen soll. Seit 2017 befinden sich in Westpolen eine schwere Kampfbrigade (ABCT) und Komponenten zur logistischen Unterstützung, dies auf bilateraler Basis im Kontext der US-Operation »Atlantic Resolve«, einer vor dem Hintergrund der Russland-Ukraine-Konflikts lancierten US-Initiative zur Stärkung europäischer Verbündeter. Ein Hauptquartier in Posen koordiniert die Aktivitäten von »Atlantic Resolve«. Seit Beginn des laufenden Jahrzehnts kommen amerikanische Kampfflugzeuge vom Typ F‑16 und C 130-Herkules-Transportflugzeuge zu Trainings- und Übungszwecken ins zentralpolnische Łask. Im westpolnischen Redzikowo wird eine US-Basis für ballistische Raketenabwehr gebaut – die für 2018 geplante Fertigstellung verzögert sich jedoch.
Im Juni 2019 kündigten die Präsidenten beider Staaten in einer gemeinsamen Erklärung die Aufstockung militärischer US-Präsenz in Polen an. Das ist zwar kein riesiger Sprung in eine neue Verteidigungsrealität, aber aus mehreren Gründen doch mehr als eine graduelle Fortsetzung des Bisherigen. Erstens weil es sich um einen nur ansatzweise mit allen europäischen Partnern konsultierten Vorstoß handelt. Zweitens weil Polen die US-Stationierung mitfinanzieren will und insofern die Verknüpfung von sicherheitspolitischer Solidarität mit Zahlungsbereitschaft akzeptiert. Und drittens weil Polen mit den jetzt anvisierten Maßnahmen Schritte in Richtung »substantieller« und auch anhaltender Präsenz verbündeter Militärs vollzieht (allerdings noch ohne Zeitplan); zu den Maßnahmen zählen unter anderem die »dauerhafte« Stationierung von weiteren 1000 Soldaten, zusätzlich zu den schon jetzt bis zu 4500 anwesenden Soldaten; die Stationierung von US-Spezialeinheiten und einer Staffel von Aufklärungsdrohnen; die Einrichtung einer Luftwaffenbasis zur besseren Kräfteverlegung; der weitere Ausbau von Infrastruktur für die in Polen befindlichen US-Einheiten. Damit wird die von Staaten wie Deutschland in der Kommunikation mit Russland gehegte Annahme, dass sich die Politik der Nato-Stationierung an der Ostflanke nach wie vor an der Nato-Russland-Grundakte orientiert, weiter ausgehöhlt. Letzteres ist für Polen insofern ohne Belang, als Russland nach polnischer Auffassung mit seinem Verhalten in der Ukraine das Grundlagendokument ohnehin außer Kraft gesetzt hat.
Energiepolitische Annäherung
Abgesehen von militärischen Aspekten der Sicherheitspolitik vertieft sich die polnisch-amerikanische Zusammenarbeit auch in der Energiepolitik und ‑wirtschaft. Warschau setzt dabei nicht nur auf den Widerstand der USA gegen das Nord-Stream-2-Projekt, sondern vor allem auf die vermehrte Einfuhr amerikanischer Energieträger als Teil der polnischen Diversifizierungsbemühungen. Der polnische Gasversorger PGNiG hat Verträge abgeschlossen, die ab 2022 den Import von bis zu 9,4 Milliarden m³ Flüssiggas (LNG) aus den USA ermöglichen. Eventuell wird nicht die gesamte Menge nach Polen gelangen (das LNG-Terminal Świnoujście soll bis 2021 auf eine Kapazität von 7,5 Milliarden m³ ausgebaut werden; für weitere LNG-Einfuhren ist die Installation einer schwimmenden Anlageplattform im Golf von Danzig geplant). Dennoch sind die US-Lieferungen ein wichtiger Schritt, um Polens Ziel zu erreichen, von 2022 an, wenn der langfristige Vertrag mit Gazprom ausläuft, kein Gas aus Russland mehr kaufen zu müssen.
Polen verbraucht gegenwärtig etwa 18 Milliarden m³ Erdgas pro Jahr, die Nachfrage soll aber im nächsten Jahrfünft auf 21 bis 22 Milliarden m³ steigen. Neben Gas aus Eigenproduktion (etwa 4,5 Milliarden m³ jährlich) wird es künftig Lieferungen aus einer neuen Leitung geben, die den Zugang zu Gas im norwegischen Kontinentalschelf eröffnet (Baltic Pipe, bis zu 10 Milliarden m³ jährlich). Möglicherweise könnte auch ein beachtlicher Teil der eingeführten Gasmengen an andere Märkte im östlichen Europa weiterverkauft werden. Perspektivisch spielt dabei die Ukraine eine wichtige Rolle. Polen könnte mittelfristig ein relevantes Land für den Transit von US-Gas in Richtung Ukraine werden. Damit würden die USA Polen in dem Bemühen unterstützen, zu einem regionalen Zentrum für die Verteilung (auch) von Gas amerikanischer Herkunft zu avancieren. Eine Kombination wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Erwägungen spielt auch eine Rolle bei der amerikanischen und polnischen Opposition gegen Nord Stream 2. Denn beide Seiten fürchten, dass (günstiges) Pipelinegas aus Russland bzw. Deutschland, das auf ostmitteleuropäische Märkte drängt, ihre Pläne vereiteln könnte.
Die energiewirtschaftliche Zusammenarbeit ist politisch eingebettet. Beim Polen-Besuch von US-Energieminister Rick Perry im November 2018 wurde eine gemeinsame Erklärung der beiden Energieministerien unterzeichnet. Darin wird ein breites Spektrum von Kooperationsfeldern skizziert, von zivil genutzter Kernenergie über Cyber-Sicherheit, »Clean-Coal«-Verfahren, Energieeffizienz, Netzresilienz und Brennstoffspeicherung. Während des Perry-Besuchs absolvierten amerikanische und polnische Fachleute auch eine gemeinsame Übung zur Cyber-Sicherheit im Energiesektor. Bei dem Vorhaben, das der Betreiber der polnischen Stromnetze PSE organisierte, gaben amerikanische Experten (erstmals in Europa) Schulungen zur Sicherung kritischer Infrastrukturen. Im Rahmen des Washington-Besuchs von Staatspräsident Duda wurde eine Regierungsvereinbarung über die bilaterale Zusammenarbeit bei der zivilen Atomenergienutzung unterzeichnet. Dadurch kam es zu Spekulationen, ob sich US-Investoren nicht am Bau eines polnischen Kernkraftwerks beteiligen könnten.
Russland- und Ostpolitik
Aus polnischer Sicht waren die USA stets ein enger Verbündeter, wenn es galt, ordnungspolitische Ziele in Osteuropa bzw. im politischen Umgang mit Russland zu verfolgen. Dies rührt nicht zuletzt aus einem in beiden Ländern stark geopolitisch inspirierten Ansatz in der Politik gegenüber den Entwicklungen im postsowjetischen Raum. Sowohl in Warschau als auch zumeist in Washington dominierte in den letzten drei Jahrzehnten die Vorstellung, einem vermeintlichen russischen Expansionismus und Neoimperialismus gezielt Einhalt gebieten zu müssen – in Form einer weiteren politisch-ideellen Verwestlichung von Ländern Osteuropas und des Südkaukasus bis hin zu dem Ansinnen, diesen Staaten eine Nato-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Auch wenn Polen sich nach der Zuspitzung des Konflikts in der Ostukraine nicht an der Lieferung »tödlicher Waffen« an die Ukraine beteiligte, erkannte es im Grundsatz die Notwendigkeit an, dass die Vereinigten Staaten (und zum Beispiel Kanada) den östlichen Nachbarn mit derartigen Mitteln unterstützen.
Gegengewicht und Kraftverstärker
Schließlich bietet die enge Anlehnung an die USA Polen eine Art »politischen Hebel«, mit dem es die eigene Position in der EU aufwerten kann. Gerade für die integrationsskeptische PiS-Regierung ist ein gut funktionierendes Bündnis mit den USA auch ein Gegengewicht gegen »Brüssel« und eine angebliche deutsch-französische Dominanz in Europa. In Warschau wird insofern darauf gesetzt, dass Polen für die Vereinigten Staaten an Relevanz gewinnt und es angesichts des Brexits Großbritanniens und einer abdriftenden Türkei gar zum »Ersatz« für diese beiden traditionell wichtigen europäischen Verbündeten avancieren könnte.
Die amerikanische Sicht: Polen als »Hub« in der Region
Für die USA und speziell die Trump-Administration ist Polen aus mehreren Gründen ein interessanter Partner. Als Land mit dem größten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Potential in Ostmitteleuropa ist es ein bedeutender Verbündeter Amerikas bei dessen Vorhaben, den regionalen Einfluss globaler Rivalen zurückzudrängen, konkret Russlands und Chinas. Während Polen im Falle Russlands quasi ein geborener Verbündeter der USA ist, war dies mit Blick auf China zunächst nicht ganz klar. Immerhin beteiligte sich Polen an Chinas 16+1-Initiative (einem Kooperationsformat mit Ländern aus Ostmittel- und Südosteuropa), hoffte es auf Resultate der Seidenstraßeninitiative und machte sich wie viele Länder in Europa daran, seine Beziehungen zu China auszubauen. Im Unterschied zu den Regierungen anderer Staaten aus dem östlichen Teil des Kontinents blieb Warschau aber eher zurückhaltend. Als im Januar 2019 ein Mitarbeiter der polnischen Niederlassung der Telekommunikationsfirma Huawei und ein polnischer Sicherheitsexperte wegen Spionageverdachts festgenommen wurden, war dies zwar auch ein Signal an China, mit dem Polen gewissermaßen die Geschäftsbedingungen klarstellen wollte. Gleichzeitig aber war das vornehmlich eine Botschaft an Washington, die unterstreichen sollte, dass die USA in der China-Politik grundsätzlich auf Polen zählen können.
Polen wird in dem Maße attraktiver für die USA, wie es seine regionalen Vernetzungs- und Kooperationsaktivitäten entfalten kann. Nicht von ungefähr stellt sich Polen gern als primäre politische wie wirtschaftlich-infrastrukturelle Plattform in Ostmitteleuropa dar, die bis nach Südosteuropa und nach Osteuropa ausgreift. Im Grunde ist damit die Rolle einer regionalen Führungsmacht gemeint, die als solche erster Ansprechpartner der USA im östlichen Europa werden soll. Die von Warschau mitinitiierte Drei-Meere-Initiative (3SI) wirkt auch in diesem Kontext. Obschon Warschau jegliche geopolitische Intention der Gruppierung verneint, die sich auf Themen wie Infrastruktur, Verkehr, Wirtschaftsentwicklung oder Energie konzentriert, hat sie zumindest potentiell eine strategische Komponente. Dabei dürfte die Heterogenität der Staaten zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer verhindern, dass aus der Initiative ein Instrument für amerikanische Interessenpolitik wird. Indes zeigte der 3SI-Gipfel von Warschau, dass Polen imstande ist, einen Rahmen 3SI+USA herzustellen. Anschließend wurde die Initiative zwar »europäisiert« und die Einbindung Deutschlands akzeptiert, dies muss aber nicht so bleiben. In jedem Fall ist die 3SI aus amerikanischer Sicht durchaus ein Forum mit Potential, in dem Polen eine gewichtige Rolle spielt.
Erst recht gilt dies für Polens regionale sicherheitspolitische Aktivitäten. Polen bildet zusammen mit den baltischen Staaten und Rumänien ein Cluster russlandpolitisch besonders sensitiver Länder. Zusammen mit diesen und anderen Staaten der sogenannten Nato-Ostflanke, die in Sachen Russland eher pragmatisch sind, gehört Polen den »Bukarest-Neun« (B9) an. Diese lose Gruppierung jüngerer Nato-Länder aus dem östlichen Bereich des Bündnisses möchte die Bemühungen der Allianz um mehr Sicherheit und effektivere Verteidigungsfähigkeit auf der Tagesordnung halten. Der polnische Staatspräsident verwendete denn auch bei einem Treffen der »Bukarest Neun« Anfang 2019 in der Slowakei für Polen das Bild des sicherheitspolitischen Dreh- und Angelpunkts (Hub) in der Region. Zusammen mit den baltischen Staaten und russlandkritischen Ländern aus Nordeuropa ist Polen für die USA auch ein wichtiger Akteur im sicherheitspolitischen Gefüge des Ostseeraums. Der US-Senat hat erst im Juni 2019 die besondere sicherheitspolitische Bedeutung hervorgehoben, die Polen aufgrund seiner geostrategischen Lage und seines militärischen Potentials als Schlüsselland bei der Abwehr einer möglichen russischen Aggression gegen Nato-Mitglieder im Ostteil Europas hat. Damit hat der Senat unter anderem seine Zustimmung zur Anhebung der US-Militärpräsenz begründet.
Nicht zu unterschätzen ist aus Sicht Washingtons auch die Option, durch ein enges Verhältnis zu Polen den Zusammenhalt der EU zu schwächen. US-Administrationen haben in der Vergangenheit dazu tendiert, Polen zu ermutigen, eine aktive Politik in der EU zu betreiben und die Beziehungen mit Deutschland und Frankreich zu vertiefen. Polen sollte gewissermaßen als starker Atlantizist den Mainstream europäischer Politik mitgestalten. Unter der Trump-Administration scheint sich das geändert zu haben. Für sie ist eine handlungsfähige EU eine Konkurrentin und insbesondere eine dominante Position Deutschlands ein Problem. Ein US-freundlicher Caucus oder wenigstens ein wichtiger Washington-treuer Verbündeter kann in ihren Augen dazu beitragen, die EU auseinanderzudividieren.
Schließlich kann Polen Teil internationaler Koalitionen sein, die amerikanisches Vorgehen symbolisch legitimieren oder sogar unterstützen (wie einst im Irak-Krieg). Die Warschauer Nahostkonferenz vom Februar sollte offensichtlich auch demonstrieren, dass die USA ein recht breites Spektrum an Ländern mobilisieren können, die über die Situation im Nahen und Mittleren Osten ähnlich denken. Auch hierbei kann es um die Kohäsion der EU gehen. Aufgrund seiner sicherheitspolitischen Prioritäten ist Polen durchaus bereit, sich gegen die Iranpolitik der meisten EU-Partner zu stellen und sogar eigene Wirtschaftsinteressen hintanzusetzen (der Iran wäre für Polen ein interessanter Öllieferant). Auch in der Israelpolitik ist Polen grundsätzlich nahe am amerikanischen Ansatz. Über Fragen des polnisch-jüdischen Verhältnisses gibt es Querelen zwischen Polen und Israel (und zwischen den USA und Polen): Streit um die Neufassung des polnischen Gesetzes über das Institut für nationales Gedenken (sogenanntes Holocaust-Gesetz); Absage des Visegrád-Israel-Gipfels aufgrund der Nichtteilnahme des polnischen Ministerpräsidenten; US-Gesetzesvorhaben zur Unterstützung jüdischer Vermögensforderungen auch an die Adresse des polnischen Staates. Diese Querelen haben das polnisch-israelische Verhältnis zwar belastet, dennoch erwies es sich in Anbetracht der Brisanz der Themen in beiden Ländern als relativ robust. Obgleich insofern erst einmal kein politisches Scharnier USA–Polen–Israel entstehen und Polen kein bedingungsloser Mitstreiter amerikanischer Israelpolitik sein wird, könnte zum Beispiel nach den Wahlkämpfen des laufenden Jahres in Polen und Israel wieder eine Beruhigung eintreten. Sollten die USA polnisches Wohlverhalten in der Nahost- und vor allem in der Israelpolitik zur Bedingung für mehr sicherheitspolitische Solidarität machen, würde Warschau das wohl akzeptieren.
Deutschland und Polen: Transatlantische Drift?
Während Polen seine Beziehungen zu den USA vertieft, wachsen in Deutschland die Zweifel an der Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten im Allgemeinen und der Trump-Administration im Besonderen. Die USA haben einen Schwenk zu einer weltpolitischen Leitvorstellung vollzogen, die von widerstreitenden Großmachtinteressen und daraus resultierenden Solidaritätserwartungen geprägt ist. Diese Vorstellung und abweichende deutsche und polnische Reaktionen darauf schlagen auch auf das deutsch-polnische Verhältnis durch. Hieraus ergibt sich ein nicht zu unterschätzendes Potential für Divergenzen und Kontroversen.
Das von der Trump-Administration lancierte Politikmuster zunehmender Großmachtkonflikte generiert für Polen gleichsam Zufallsgewinne (windfall profits) in Form eines gesteigerten US-Engagements mit dem Ziel, russischen Einfluss einzudämmen. In Deutschland wird diese Entwicklung mit Besorgnis aufgenommen und erwogen, entweder multilaterale Mechanismen zu stärken oder sogar die EU zu einem Gegengewicht zu den USA aufzuwerten und nach neuen »Balancing«-Partnern zu suchen. Polen dagegen favorisiert eine Stärkung der transatlantischen Bande und den Schulterschluss mit Washington. Sein Verhalten gegenüber China oder in der Nahostpolitik entspringt denn auch dem klaren Willen, amerikanische Loyalitätstests zu bestehen.
Polnische Affinitäten gelten gerade in Zeiten der PiS-Regierung auch der Trumpschen Sicht auf die internationale Politik als Arena rivalisierender Staaten, in der eine Politik der Stärke nötig ist, um Souveränität und Freiheit zu behaupten. Dies trifft sich nur in Teilen mit der deutschen Präferenz für ein Vorgehen, das auch gegenüber schwierigen Partnern an Verhandlung und Einbindung orientiert ist. Deutschland setzt insofern auch im Umgang mit Russland auf Abschreckung und Entspannung, Polen auf Abschreckung vor Entspannung. Exemplarisch belegen dies die Debatten um den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) bzw. dessen Ende. In Deutschland herrscht die Sorge vor einer unkontrollierbaren Rüstungsdynamik, in Polen wird die amerikanische Sicht geteilt, Russland habe den Vertrag seit langer Zeit gebrochen; daher sei mangels eines konsequenten Kontrollregimes ein hartes Gegenhalten angezeigt.
Dementsprechend treten altbekannte Unterschiede in der Bedrohungswahrnehmung in neuem Gewande zutage, die nicht nur Russland, sondern auch die USA betreffen. Während die USA auch unter Donald Trump in Polen als Bürge für die Sicherheit in Europa gesehen werden, wird der US-Präsident in Deutschland zunehmend als Risiko für die Welt und Europa wahrgenommen (und zwar in größerem Maße als Russland bzw. der russische Staatspräsident).
Nach wie vor gibt es zwischen der Sicherheitspolitik Deutschlands und Polens aber auch mannigfache Überlappungen. Obwohl Deutschland den sicherheits- und verteidigungspolitischen Anstrengungen der EU offener gegenübersteht als Polen, strebt es wie sein östlicher Nachbar keine sicherheitspolitische Emanzipation Europas von den USA an. Berlin sieht zudem in der schillernden Diskussion über »strategische Autonomie« vornehmlich einen Ansatzpunkt zur Hebung europäischer Fähigkeiten, nicht aber den Ausgangspunkt für einen Ausstieg aus den transatlantischen Beziehungen. Ebenso wie Polen ist Deutschland daher für eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) mit Augenmaß und für einen »inklusiven« Ansatz bei deren Fortentwicklung in Gestalt der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO).
Gemeinsam ist beiden Ländern auch das grundsätzliche Interesse, die militärische Effektivität und Glaubwürdigkeit der Nato zu steigern. Davon zeugen unter anderem Deutschlands führende Rolle bei der Nato-Vornepräsenz in Litauen, andere Maßnahmen, die aus den Gipfeln der Allianz in Newport und Warschau folgen, sowie Deutschlands Unterstützung für neuere Schritte, die die Verteidigungsfähigkeit der Verbündeten verbessern sollen (etwa die 4x30-Initiative der Nato).
Für den direkten und indirekten Umgang mit Polen könnte Deutschland vor diesem Hintergrund eine Reihe von Überlegungen berücksichtigen.
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Im Dialog sollten nach wie vor bestehende elementare Gemeinsamkeiten in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen betont werden. Dies gilt sowohl für die Sicherheitspolitik als auch darüber hinaus – Deutschland und Polen sitzen im selben Boot, etwa was globalen Freihandel angeht.
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Fundament des deutsch-polnischen Sicherheitsdialogs sollte das Bekenntnis zur euroatlantischen Verankerung beider Länder sein. Dabei wird die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen betont, erwünscht ist aber weder eine »US-only«-Politik noch eine europäische Abkopplung von den Vereinigten Staaten. Deutschland sollte in diesem Kontext auf die Risiken eines sicherheitspolitischen Bilateralismus mit den USA hinweisen, insbesondere auf die Möglichkeit, dass in der Allianz unterschiedliche Zonen der Solidarität entstehen und Sicherheitszusagen enteuropäisiert werden könnten – dann nämlich, wenn die Rückversicherung unkoordiniert durch eine bilaterale Zusammenarbeit mit den USA vertieft wird; europäische Partner könnten in der Folge eine Verbesserung der Sicherheit der Ostflanke etwa als polnisch-amerikanisches Projekt verstehen.
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Ein deutsch-polnischer Sicherheitsrat der Außen- und Verteidigungsminister wäre sichtbarer Ausdruck eines klaren Willens zum sicherheitspolitischen Dialog. Damit würden nicht nur bestehende Formen der bilateralen Zusammenarbeit (etwa zwischen Bundeswehr und polnischen Streitkräften oder in der Rüstungspolitik) widergespiegelt oder weiterentwickelt, es könnten vor allem auch strategische Fragen debattiert werden. Auch wenn eine solche Institution und deren Effekte mit nüchternem Realismus beurteilt werden müssen, wäre sie eine symbolische vertrauensbildende Maßnahme.
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Schließlich sollte Deutschland seine sicherheitspolitischen Dialoge und die militärische Zusammenarbeit mit anderen Ländern aus dem östlichen Teil der Nato akzentuieren. Schon jetzt bestehen etwa mit der Tschechischen Republik teils intensive Verflechtungen. Der sicherheits- und verteidigungspolitische Austausch mit einzelnen Partnern in Ostmittel- und Südosteuropa wäre einerseits eine Antwort auf die Avancen, die die USA den Ländern der Region machen. Andererseits bietet gerade der bilaterale Dialog Möglichkeiten, die sicherheitspolitischen Besonderheiten in der Region zu berücksichtigen. Im Verhältnis zu den baltischen Staaten und Rumänien geht es darum, Glaubwürdigkeit zu vermitteln und sie in ihrer europäisch-atlantischen Ausrichtung zu stärken. Länder wie Tschechien, die Slowakei oder Ungarn, die in Sachen Russland pragmatischer sind, sollten in der Region als ausgewogene Partner für einen versachlichten Dialog in Nato und EU gewonnen werden.
Ausblick
Der Primat der USA ist und bleibt eine Konstante der polnischen Sicherheitspolitik. Das Vertrauen in die USA als einzigen effektiven Garanten der Sicherheit Polens, gerechtfertigt oder nicht, ist Konsens in der ansonsten zerklüfteten Landschaft polnischer Außen- und Europapolitik. Mögliche Regierungswechsel in Warschau werden daran wenig ändern – auch wenn Polen sich dann weniger proamerikanisch und wieder stärker euroatlantisch definieren mag. Dass die Trump-Administration im Kontext ihres Ansatzes konfrontativer Großmachtkonflikte eine amerikanische Rückkehr in das östliche Europa betreibt, um dort russische und chinesische Einflüsse einzudämmen, deckt sich mit Polens strategischen Interessen. Denn Polen ist daran gelegen, sicherheitspolitische Bindungen an die USA und deren militärische Präsenz auszubauen, sei es im Rahmen der Nato oder in Form eines privilegierten Bilateralismus. Eine neue Eindämmungsstrategie Washingtons bildet für Polen trotz aller Ungewissheiten insofern eine Chance, das Szenario eines postamerikanischen Europas abzuwenden. Deutschland ist angehalten, sich in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterhin um Dialog und Zusammenarbeit mit Polen zu bemühen. Dabei muss es sich aber bewusst sein, dass Polens Präferenzen stabil sind.
Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow der Forschungsgruppe EU / Europa.
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doi: 10.18449/2019A37