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Von Goethes Welt zu Goethe in der Welt

Für eine neue Politik der internationalen Kulturbeziehungen

SWP-Aktuell 2021/A 51, 16.07.2021, 7 Pages

doi:10.18449/2021A51

Research Areas

Freiräume für kulturelles Schaffen und wissenschaftliches Forschen geraten in vielen Teilen der Welt massiv unter Druck. Im nationalen Raum wird Kultur immer diverser und muss alltäglich neu verhandelt werden. Auf diese Herausforderungen kultureller Vielfalt und wissenschaftlicher Freiheit muss die Auswärtige Kultur- und Bildungs­politik (AKBP) neue Antworten finden. Es genügt nicht mehr, auf das eigene kulturelle Leitbild zu verweisen, gewachsene Strukturen einer ausufernden Vielfalt von Zuwen­dungsempfängern und föderalen Koordinationsinstanzen werden den Herausforde­run­gen nicht gerecht. Neue (digitale) Räume für die kulturgeleitete Verhandlung von Werten und Normen, für Verständigung und Zusammenleben sind notwendig. Erfor­derlich sind auch ein neues politisches Mandat, eine bessere Zuordnung von Aufgaben und die Nut­zung der Chancen, die die Kreativindustrie bietet. Darauf sollte sich Deutschland mit einer politischen und institutionellen Neuaufstellung vorbereiten. Dabei sollten die internationalen Kulturbeziehungen in den Vordergrund gestellt und alte Muster nationalen kulturpolitischen Handelns überwunden werden.

Obwohl die Einordnung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) als »dritte Säule« der deutschen Außenpolitik – neben den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen – breite Akzeptanz findet, konnte sich die AKBP bislang nicht von den anderen beiden Säulen emanzipieren. Sie ist eine marginale Handlungslinie geblieben und gerät immer wieder – in Abhängigkeit von politischen Konjunkturen – unter den Druck der normativen Vorgaben außenpolitischen Regierungshandelns. Von der Heimatpflege über den interkulturellen Dialog, von Standortpolitik bis zu Konflikt­prävention und dem heute propagierten Wettbewerb der Narrative – all das sind bereits politische Vorgaben der auswärtigen Kulturpolitik gewesen, deren Resultate in­des gemischt waren. Auf diese Anforderungen wurde mit Sonderprogrammen und Schwerpunktsetzungen reagiert, die Bünde­lung von Aufgaben und die Koordination zwischen den verschiedenen Zuwendungs­empfängern wurden verbessert.

Gleichwohl möchte die Politik Kultur als außenpolitische Handlungsressource ein­gesetzt sehen: Sie gilt als eine Form von Politik, die Vertrauen schaffen soll und zur Gestaltung weltweiter Partnerschaften wert­volle Türöffner-Dienste zu leisten vermag oder, wie die Bundesregierung betont: »da­mit gewinnen unsere Gesellschaft, Wirt­schaft und Politik wichtige und verlässliche Partner«. Trotz dieser weitreichenden Bedeu­tung der AKBP im politischen Diskurs hat sie tatsächlich einen untergeordneten poli­tischen Stellenwert, ja, Kultur insgesamt bleibt im außenpolitischen Denken und Handeln marginal. Auch wenn die großen Kulturmittler wie das Goethe-Institut ihre Arbeit als »Außenpolitik der Zivilgesell­schaften« verstehen – »im Sinne eines Verständigungs- und Regelwerks für einen verantwortungsbewussten Dialog, bei dem Bildung und Kultur eine fundamentale Be­deutung haben« –, ist die Einbindung der AKBP in den außenpolitischen staatlichen Rahmen eines ihrer konstitutiven Merkmale.

Zu klären ist, ob eine Beschreibung der AKBP-Aufgaben als Kultur »im Dienste der Diplomatie« heute noch eine angemessene Leitlinie darstellt und nicht eher an einer Neufassung gearbeitet werden sollte, die den Anspruch internationaler Kulturbezie­hungen erfüllt. Das ginge indes über die schon lange geforderte bessere Koordinierung der innerstaatlichen mit der auswärtigen Kulturpolitik hinaus, denn heute muss der Verschmelzung von Innen und Außen Rech­nung getragen werden.

Bestandsaufnahme: Eine fragmentierte kultur­politische Landschaft

Das liegt nicht zuletzt an der Konstruktion der kulturpolitischen Landschaft in Deutsch­land. Kernbestand des Grundgesetzes ist der Kulturföderalismus: Die Länder und mittel­bar auch die Kommunen sind hier in erster Linie verantwortlich, der Bund ist nur für die Kulturpolitik im Ausland zuständig. Die Bundesländer verfügen mit der Kultur­stiftung der Länder zwar über ein gemeinsames Instrument, haben aber dennoch erst­mals im Jahr 2019 auf politischer Ebene eine Kulturminister-Konferenz einberufen, um ein Gegengewicht gegen den Bund und seinen stetig wachsenden kulturpolitischen Einfluss zu setzen.

Doch auch innerhalb des Bundeskompetenzen ist eine erhebliche Fragmentierung festzustellen: Die Kompetenzen reichen von Aktivitäten des Auswärtigen Amtes und seiner Mittlerorganisationen über die Pro­jekte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und seine Durchführungsorganisationen, die Zuständigkeiten des Beauf­tragten für Kultur und Medien (BKM) im Kanzleramt mit den internationalen Pro­grammen der Kulturstiftung des Bundes und der Deutschen Welle bis zu den inter­nationalen Aktivitäten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in der Wissenschaftskooperation. Aus dieser überlappenden Struktur von Zuständig­keiten und Förderinstrumenten ergibt sich im besten Fall ein unklares Nebeneinander und hoher Koordinationsaufwand, im schlimmsten Fall sind unnötige Reibereien und Streitigkeiten die Folge.

So ist für die Kulturarbeit auf allen staat­lichen Ebenen eine »additive Kulturlandschaft« entstanden, deren Vielgestaltigkeit sich aufgrund ihrer institutionellen Zer­splitterung nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln über Schwerpunktsetzungen steuern lässt und von individueller Förder­politik getragen wird. Zunehmend wird an Brückeneinrichtungen gearbeitet, um die erkennbaren Spannungen durch unterschiedliche Kompetenzzuordnungen und variierende Mittelausstattung zu kontrollieren, sei es in Gestalt der Verbindungsstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten oder in der angestrebten Agentur für Mu­seumskooperation auf operativer Ebene. Politisch soll ein Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern etabliert wer­den, konkret zwischen einem Ressortkreis des Bundes unter Leitung des Auswärtigen Amtes und der Kulturminister-Konferenz als Vertretung der Länder. Dabei soll auch über Zuwendungen und gemeinsame Pro­gramme ein neues Feld für den koopera­tiven Föderalismus erschlossen werden, das sich über das Zusammenwirken zweier Part­ner (Bund und Länder) zu einem Netz­werk gemeinsamen Entscheidens ausgestalten ließe.

Restitutionsfragen oder Abkommen mit Drittstaaten führen unvermeidlich staat­liche Stellen oder Museen in öffent­licher Hand zusammen, die verschiedene Träger haben. Diese Politikverflechtung im kul­turellen Feld könnte jedoch getrieben sein von der Ausrichtung auf die Ausgaben­politik, um alle an den Entscheidungen Beteiligten zufriedenzustellen – auf Kosten der kulturellen Innovation, der Diversität und Pluralität der vielgestaltigen Träger von Kulturarbeit. Zu ihnen gehören auch pri­vate Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen, die sich nicht an staatliche Auf­gabenzuweisungen gebunden fühlen.

Gewandelte internationale Herausforderungen für Kultur­arbeit und ‑austausch

Doch nicht nur die Aufstellung in der deutschen Kulturpolitik hat sich im letzten Jahrzehnt verschoben, auch die Ausrichtung der AKBP ist verändert worden: Die Werbung für Deutschland wurde intensiviert, das Thema Werte in der Auswärtigen Kulturpolitik in den Vordergrund gerückt – nicht nur im Sinne der Darstellung Deutsch­lands als Verkörperung der Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft, es wurde auch hervorgehoben, welche Bedeu­tung diese Werte haben, um Konflikten vor­zubeugen oder diese zu bearbeiten. Dafür aus­schlaggebend sind die zunehmende Bedeutung von Identitätspolitik, die Kon­struktion neuer Feindbilder und Bedrohungsszenarien im internationalen Kon­text, sich ausweitende Pluralisierungsdebat­ten auch im Innern (Stichworte: Migration, Diversität) sowie die sich verschärfende Konkurrenz auf dem internationalen »Kul­tur(en)markt«.

Der internationale Wettbewerb in der Auswärtigen Kulturpolitik betrifft nicht nur Partnerstaaten der Europäischen Union, die international untereinander als Konkurrenten auftreten, sondern vor allem auch Staa­ten außerhalb der Union: An ihm beteiligen sich mit zunehmendem Erfolg China, Süd­korea und Japan. Gleiches gilt aber auch für die Türkei und Russland. Ein In­dikator dafür ist der internationale Medien­markt, vor allem das Auslandsfernsehen, wo es beispielsweise einen markanten Wett­streit um die Deutungshoheit über internationale Nachrichten etwa mit ara­bischen Sendern gibt. Außerdem hat auch die (Des)Information durch Sender wie Russia Today eine neue Dimension in der in­ternationalen Medienpräsenz angenommen.

Nicht überall wird dabei Kultur als öf­fentliches Gut angesehen, das mit Freiheit von Forschung, Meinung und künstlerischem Ausdruck verbunden ist. Privatisierung und staatliche Kontrolle von Kultur und ihrer Aneignungsmodalitäten greifen mehr und mehr um sich. Dabei wachsen die Zweifel an dem angestrebten Ideal, dass die aus einem Wechselspiel kultureller Perspektiven entstehende »Vielzahl der Orte, Akteure und Formen« kultureller Debatten und wechselseitiger Aneignung zu einem Testfeld für friedliche Kommunikation und für Verständnis werden könnte.

Nicht zuletzt könnte dazu auch die Corona-Krise beigetragen haben, die trotz ihres transnationalen und weltumspannenden Charakters massiv von nationalen Ego­ismen (Impf-Nationalismus, Grenzschlie­ßungen etc.) geprägt ist. Möglicherweise muss sich damit auch die Kulturpolitik neu positionieren, insoweit gerade in Krisen­zeiten Räume der gesellschaftlichen Selbst­vergewisserung gefragt sind, ohne dass in diesen auf eine unmittelbare internationale Öffnung gedrängt würde. Andererseits haben sich im Kontext der Corona-Pande­mie durch die Digitalisierung neue Dyna­miken ergeben, die sowohl die Formen der kulturellen Kommunikation wie auch die Reichweite von Angeboten und die Betei­ligung daran verändert haben.

Kulturpolitik muss sich daher vorbereiten auf Turbulenzen in der Verständigung zwischen Nationen, Regionen, Religionen und Kulturen; sie muss auch Verschiebungen bei bestimmten Themen des kulturellen Selbstverständnisses aufgreifen, die so­wohl den »Binnenraum« von Kultur, etwa die dynamische Entwicklung in der Kultur- und Kreativindustrie, wie auch das »Außen­verhältnis« zu Nation und Politik betreffen.

»The Power of Culture«: AKBP und ihre politische und kulturelle Verankerung

Stabile internationale Beziehungen ruhen auf einem Fundament breiter kultureller Austauschbeziehungen – so jedenfalls das Standardnarrativ, wenn es um die Bestim­mung des Verhältnisses von AKBP und außenpolitischem Handeln geht. Doch dieses Beziehungsmuster hat sich verändert: Die Kreativwirtschaft hat sich weit­gehend aus nationalen Bezügen gelöst, Religionsgemeinschaften stellen heute die größten transnationalen Akteure dar, und der Kulturgüterschutz ist ohne internationale Regelungen und weltweite Zusammen­arbeit von Archäologen, Kunsthändlern und Provenienzforschung nicht vorstellbar.

Karikaturen, Zeitschriften, Musik, Kunst, Literatur, Werbespots, Symbole und ihre Wirkung, Zirkulation von Wissen, Fern­sehsendungen, Touristenströme sowie »Sport«, »Kultur« und »Freizeit«-Rubriken in den Zeitungen entziehen sich weitgehend nationalstaatlicher Gestaltung. Der Verweis auf internationale Beziehungen ist präg­nanter geworden; mit engen außenpolitischen Bindungen lassen sich die neuen Dynamiken nur unzureichend beschreiben. Es geht immer weniger um Goethes Sicht der Welt als um die Frage, wie Goethe heute in und von der Welt gesehen wird. Kultur kann den Hintergrund beleuchten, den Inhalt oder die Besonderheiten von Macht oder Wirtschaftsinteressen begleiten, ihnen widersprechen oder helfen, sie zu erklären. Sie ist aber nicht notwendigerweise der Hauptakteur in dem Prozess, der zur Außenpolitik führt.

Es gehört zum Standardtopos der Debatte über AKBP, die Frage aufzuwerfen, in wel­chem Verhältnis Kulturarbeit und politische Öffentlichkeitsarbeit stehen, wie sich also kultu­reller Austausch und nationale Reprä­sentation miteinander vertragen. Dahinter steht jeweils der Verdacht, dass die Kultur für (außen)politische Zwecke instrumentalisiert und funktionalisiert wird, was dem Gedanken der Autonomie kulturellen Schaf­fens und der »Staatsferne« der inter­national agierenden Mittlerorganisationen zuwider­läuft. Dass die strategische Kommu­nikation und das »nation branding« der deutschen Außenpolitik zu Aufgaben der Kulturabtei­lung im Auswärtigen Amt geworden sind, unterstreicht das Bemühen, unterschied­liche politische Motivationen organisato­risch »zusammenzuzwingen«.

Heute dürfte unbestritten sein, dass die »Selbsterzählung Deutschlands« auch unter den gegenwärtigen Bedingungen zusehends intensiver geführter identitätspolitisch ge­prägter Debatten nur mehr illustrativen Charakter haben kann, wenn es darum geht, Initiativen zur Erhaltung und Er­neuerung der nationalen Kulturlandschaft sichtbar zu machen. Beiträge von Künsten, aus Bildung und kollektiver Erinnerungs­arbeit, die als Zeugen zur Beglaubigung deutscher Kulturleistung in Stellung gebracht werden, müssen gleichzeitig auch Konflikt- und Bruchlinien erkennbar wer­den lassen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie bei der Beantwortung von Zukunfts­fragen, die sich in unterschiedlichen Kon­texten stellen, Anschluss halten sollen. Die Folgen der Covid-19-Krise werfen noch weiterreichende Fragen auf nach Kriterien für die Förderungswürdigkeit von Kunst und Kultur in ihren traditionellen Formen, wenn digitale Formate eine deutlich niedri­gere Zutrittsschwelle haben.

Doch jenseits der Formen und Formate steht auch eine Umsortierung bisheriger Ordnungen des Wissens und Erinnerns auf der Tagesordnung, die den notwendigen Perspektivwechsel mitvollziehen muss, soll das Spannungsverhältnis zwischen lokaler, nationaler und globaler Ebene fruchtbar gestaltet werden. Die »Macht der Kultur« wird dabei in einem anderen Sinne verhan­delt: Hier geht es um ganz konkrete Fragen, auf die die deutsche AKBP in ihrer jetzigen Aufstellung nur unzureichende Antworten zu geben vermag. Dies gilt in zentraler Weise für den Umgang mit dem Kulturerbe, ein kontroverses Thema, das im Kontext des Projektes Humboldt Forum eine Debatte über den angemessenen Umgang mit kultu­rellen Artefakten ausgelöst hat, die durch kolo­nialistische Praktiken in die Berliner Samm­lungen gelangt sind. Hinzu kommen die Renaissance des Nationalismus, homo­phobe Tendenzen in vielen Weltregionen und die Notwendigkeit, den Stellenwert des liberalen Wertekanons neu zu definieren angesichts der Neigung zu kulturell oder religiös begründeter Abschottung in der in­ternationalen Politik.

Anforderungen und Grenzen einer Politik der internationalen Kulturbeziehungen

Bei der Suche nach Antworten ist in der Debatte über eine »transnationale aus­wärtige Kulturpolitik« die Einlösung eines umfassenden Kongruenzanspruchs gefor­dert worden: Demnach wird es als zentral für die (internationale) Glaubwürdigkeit Deutschlands angesehen, dass die Werte, die durch die AKBP international projiziert werden, auch der gelebten gesellschaft­lichen Realität in Deutschland entsprechen müssten. Doch verkennt diese Forderung, dass sich auswärtiges Handeln in anderen Macht- und Partnerbezügen vollzieht, als dies für die Innenpolitik gilt. Gleichwohl wird aus dem Kongruenzanspruch abge­leitet, Deutschland brauche »ein umfassendes Programm zur sozialen Integration für die gespaltene Gesellschaft im Innern als Vor­aussetzung für die Akzeptanz, Glaubwürdigkeit und Kohärenz einer erfolgreichen und zukunftsweisenden auswärtigen Kul­turpolitik«. So die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel. Damit würde die AKBP zum übergreifenden politischen Richt­linienprogramm und läge nicht mehr in der Fachzuständigkeit des Auswärtigen Amtes. Zwar ist es sinnvoll, wenn gefolgert wird, die AKBP wolle und müsse »weit mehr sein als die kommunikative Agentur der deut­schen Außenpolitik«, allerdings weist der Vorschlag in der institutionellen Kon­se­quenz den Weg in ein völlig neues Funk­tionsverständnis der Mittlerorganisationen wie etwa des Goethe-Instituts.

Das Flaggschiff der deutschen AKBP for­dert in der Folge eine Ausweitung seines institutionellen Mandats, damit das Goethe-Institut auch in Deutschland wirksam werden und seine inländischen Aktivitäten ausbauen kann. Dabei soll die Reichweite transkultureller Begegnungen und inter­nationaler kultureller Bildungsarbeit auch auf Einrichtungen in der Kulturlandschaft Deutschlands ausgedehnt werden, bis an Orte in der Peripherie. Diese Mandats­erweite­rung würde umfassende Umbau­arbeiten in der Kulturpolitik erfordern und liefe damit Gefahr, dass dieses Programm auf das Interesse an institutioneller Expan­sion verkürzt werden könnte. Das Goethe-Institut würde zum Dienstleister kultureller Daseinsvorsorge und zur zentralen Kultur­agentur – eine Vorstellung, die nicht zu­letzt am Selbstverständnis kratzt, das auf Subsidiarität und föderale Selbstbestimmung abhebt, und die der Akteursvielfalt zuwiderliefe, weil das Institut als zentrale »Verteilerstation« fungieren würde. Zudem fehlen dem Goethe-Institut Kenntnisse über Bedarfe kultur­politischer Strukturen und Zugänge zu ihnen auf lokaler und regio­naler Ebene.

Dieser institutionelle Weg führt daher am Ziel vorbei, nationale Kultur von Beginn an international zu denken und entsprechend politisch anzulegen.

Kultur, Wissenschaft und Bildung als internationale Plattformen

Künstlerische und wissenschaftliche Erfor­schung neuer Weltsichten, spartenübergreifende Ansätze und die Freiheit, künstlerische Prozesse ergebnisoffen anzugehen, das sind heute die zentralen Achsen des Kul­tur­austauschs. Kultur(erbe) konstituiert sich sowohl unter dem emanzipativen Druck postkolonialer Aufarbeitung möglicher­weise künftig ganz neu und supranational als Polyphonie von Stimmen, oftmals jen­seits etablierter Kanons und Bewertungsinstanzen. Dabei ist eine zentrale Voraussetzung und Bedingung die Offenheit, die sich dem Interesse an der Manipulation und Verweigerung von Dialogen widersetzt, ohne den Eindruck illegitimer und verdeck­ter Einflussnahme hervorzurufen. Der ungehinderte Zugang zu Kultur-, Wissens- und Informationsgütern muss zum Grund­prinzip kultureller Beziehungen werden. Kulturelle Sicherheit oder Sicherheit in der Kultur ist angesichts zunehmender Hetero­genitäten in den Gesellschaften der Gegen­wart immer schwieriger zu erringen. Kultur findet auf einer Vielzahl von Plattformen statt, auf denen Menschen sich austauschen. Dieser Qualität muss sich eine Kulturpolitik öffnen, die die Unterscheidung von Innen und Außen überwinden und auch digitale Formen der Verständigung, der Konfrontation und des Austarierens von Differenzen und Gegensätzen aufnehmen will. Das erfordert oftmals Moderation, sollte sich darauf aber nicht beschränken – die For­mulierung eigener Positionen ist unabding­bar für einen fruchtbaren Austausch.

Daraus resultieren zentrale Anforderungen an eine auswärtige Kulturpolitik, die darauf abzielt, bestehende Fragmentierungen zu überwinden und sich zu einer Poli­tik der internationalen Kulturbeziehungen weiterzuentwickeln:

1. Prämissen sichern: Kultur, Wissenschaft und Bildung können nur unter den struktu­rellen Bedingungen von Freiheit und Un­abhängigkeit gedeihen. Nach dem neuen Academic Freedom Index leben 80 Prozent aller Menschen in Ländern, die Wissenschaftsfreiheit einschränken. Deutsche Politik sollte sich daher für Wissenschafts- und Kulturfreiheit einsetzen, weltweit, aber auch in Deutschland. Das wird nur mit einem Netz­werkansatz zu bewerkstelligen sein, der eine enge Kooperation von Mittler­instanzen, Kulturschaffenden und Unter­nehmen der Kreativbranche zu stiften weiß.

2. Neufassung des kulturpolitischen Mandats: Seit­dem die von der Großen Koalition an­gekündigte Konzeption 2020 der AKBP als »neues Grundsatzprogramm« versandet ist, besteht hier eine zentrale Herausforderung, der sich die neue Bundesregierung stellen muss. Kultur sollte dabei nicht auf das Ab­bild oder das Wunschbild der eigenen Gesell­schaft beschränkt werden, sondern muss getragen sein von einem gemeinsamen Leitbild der Verständigung zwischen den verschiedensten kulturellen Positionen und Strömungen. Das erfordert, in Netz­werken zu denken, die sich an ganz unter­schiedlichen Stellen zu Knoten verdichten (lassen). Voraussetzung dafür ist wiederum, dass entsprechende Zugänge eröffnet werden können, die den Austausch ermöglichen.

Dabei geht es um eine grundsätzliche Klärung der Rahmenbedingungen von Kul­turpolitik im Sinne einer Verknüpfung von »Innen« und »Außen« und darum, die Gren­zen zwischen unmittelbarem und mittel­barem staatlichen Handeln »im Rahmen« der Diplomatie zu bestimmen. Aus Rück­sicht auf Ländervorbehalte sind im Innern und nach Außen Selbstdarstellung, Schwer­punktprogramme und strategische Kommu­nikation von jenen Aufgaben abzugrenzen, die eher auf internationalen Kulturaustausch und das Gespräch angelegt sind, das über Grenzen hinweg in »open communities« sowie offenen Netzwerken und (digitalen) Plattformen geführt wird.

3. Normative Sparsamkeit: Eine normative Aufladung von Kultur sollte sich vor allem auf die Grundprinzipien der Meinungs-, Kultur- und Wissenschaftsfreiheit beschrän­ken. Eine generelle Politisierung der AKBP durch »Einstellung« von Wissenschaft und Kultur auf die Vorgaben außenpolitischer Zielkorridore könnte sich als kontraproduktiv erweisen, wenn gerade die Offenheit kulturellen Austauschs eine Eingangs- und Gestaltungsbedingung für den internatio­nalen Kulturkontakt ist. Eine Indienst­nahme von Kultur und Wissenschaft für die Durch­setzung außenpolitischer Interessen ist kurzsichtig und für den Austausch nicht tragfähig. Nicht zuletzt weil die möglichen normativen Bezüge letztlich schwer zu be­grenzen sind: Sie reichen von nachhaltigem Frieden, Kampf gegen Armut, Hunger und Fluchtursachen, gegen die Zunahme von Nationalismus und Entdemokratisierung, den Verlust an Rechtsstaatlichkeit, die Folgen des Klimawandels und der schwindenden Biodiversität bis hin zu Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, Inklusion und dem gesamten Katalog an »sustainable development goals«.

Sicherlich sollte die deutsche Kultur­arbeit im Ausland (wie auch im Innern) durch den ihr zugrundliegenden Kanon an Werten (Liberalität, Toleranz, Pluralität, Diversität) erkennbar sein, sie sollte daraus aber nicht einen missionarischen Auftrag ableiten, der sich für einen offenen Kultur­austausch verbietet. Künstlerische Positionen definieren sich eben gerade oft als Grenzpositionen, die als solche Impulse in die Gesellschaft zu vermitteln vermögen, aber nicht »in den Dienst der Diplomatie« gestellt werden sollten. Die Positionen zur »science diplomacy«, die das Auswärtige Amt unter Einbeziehung von Vorgaben der strategischen Kommunikation entwickelt hat, gehen deutlich über jenes Grund­verständnis der Außenwissenschaftspolitik hinaus, das sie auf die Potenzierung der deutschen »soft power«-Qualitäten be­schränkt hatte.

Wissenschaft und Kultur für nationale außenpolitische Ziele dienstbar zu machen ist ins­besondere in systemischen Wett­bewerbsverhältnissen, wie sie sich heute abzeichnen, ein zweischneidiges Schwert. In dem Maße, in dem Kulturschaffende sich in restriktiven oder gar gefährlicheren Kon­texten bewegen, sind eine starke Aufladung und Besetzung der kulturellen Freiräume durch politische Akteure und ihre Inter­essen meist eher kontraproduktiv.

4. Organisatorische Neuaufstellung: Die Forde­rung nach einem vollwertigen Kulturministerium, das die inzwischen als künstlich angesehene Trennung von Innen und Außen überwindet und die unnötige Dop­pelung der Aufgaben von je einer Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt beendet, ist sicherlich berechtigt. Dabei sollte indes die Bezeichnung eher den internationalen Charakter von Kultur aufgreifen und das Ministerium als eines für (inter)nationale Kulturbeziehungen bzw. Kulturaustausch angelegt sein, um nicht den Vorwurf auf sich zu ziehen, auf eine einheitliche oder vereinheitlichte Bundeskultur abzuzielen. Damit würde die »Kultur« (unter Einbeziehung der internatio­nalen Sport-Politik) endlich auch Kabinettsrang erhalten und nicht als nach­geordnete Aufgabe staatlichen Handelns begriffen. Ein solches Ministerium müsste mehr sein als ein erweitertes Amt für Kul­turförderung und sich auch grundlegender rechtlicher Aufgaben annehmen, wie sie sich bei verschiedenen Themen stellen: bei der Aufarbeitung unserer kolonialen Ver­gan­genheit und der längst überfälligen Rück­gabe von Raubkunst oder bei inter­natio­nalen Handelsabkommen mit ihren weit­reichenden Wirkungen auf den gesam­ten Kulturbereich. Medien- und Bildungs­politik könnten so zusammengeführt wer­den, wie auch die Mittlerorganisationen für den Kultur- und Wissenschaftsaustausch. Dagegen würden die eher auf Selbstrepräsen­tation ausgerichteten Maßnahmen mit Blick auf strategische Kommunikation im enge­ren Bereich der Außenpolitik verbleiben.

5. Kultureller Praxis und Wissen zentralen Rang geben: Wenn Kultur heute sehr viel mehr als frü­her als Dialog zu verstehen ist und auf Verflechtungserfahrungen beruht, dann kann sich ein institutionelles Politikdesign der Durchdringung früher nationalstaatlich abgegrenzter Räume nicht mehr verschließen. Innen und Außen lassen sich sinnvoll nicht länger trennen, internationale Kultur­beziehungen sind konstitutives Element des Selbstgesprächs einer Gesellschaft geworden, um mit Komplexität auch kultureller Art umzugehen. Die Horizonte der kultu­rellen Praxis und des Wissens sind einander näher gerückt und bedürfen einer Zusammenschau, der sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu entziehen versuchen. Dieser Verweigerung entgegenzuwirken ist Teil des neuen Mandats, dem die Kultur­politik nach Innen und Außen verpflichtet sein muss, will sie dieses Politikfeld mit seinen Potentialen nutzen und entwickeln.

Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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