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Völkerrechtliche Verbrechen im Krieg gegen die Ukraine

Optionen der Strafverfolgung auf nationaler und internationaler Ebene

SWP-Studie 2022/S 05, 22.04.2022, 24 Pages

doi:10.18449/2022S05

Research Areas
  • Völkerrechtsverbrechen, die während des Krieges in der Ukraine begangen werden, können sowohl vor nationalen Gerichten als auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden. Deutsche Straf­gerichte sind auf Basis des Universalitätsprinzips ebenfalls in der Lage, solche Taten zu ahnden.

  • Dabei wird es vor allem um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehen. Über das Verbrechen der Aggression hat der Inter­nationale Strafgerichtshof in Bezug auf Staatsangehörige der Russischen Föderation keine Gerichtsbarkeit.

  • Da es sich bei dem russischen Angriff auf die Ukraine zugleich um einen Angriff auf die Charta der Vereinten Nationen und auf die internationale Ordnung als solche handelt, sollte ein internationales Sondertribunal ge­schaffen werden, das speziell darauf ausgelegt ist, die gegen die Ukraine begangene Aggression strafrechtlich aufzuarbeiten.

  • Schwer vorstellbar ist, dass Präsident Putin oder Außenminister Lawrow in absehbarer Zeit vor einem nationalen oder internationalen Strafgericht belangt werden. Personen unterhalb dieser Ebene, insbesondere die in der Ukraine eingesetzten Soldaten, müssen aber damit rechnen, für Völkerrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Seit der Besetzung der Krim im Februar 2014 verletzt die Russische Föderation gegenüber der Ukraine das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen. Außerdem handelte es sich bereits damals um einen bewaffneten Angriff gemäß Art. 51 der Charta, wodurch das Recht der Ukraine zur individuellen und kollektiven Selbst­verteidigung ausgelöst wurde. Zugleich markierte die Besetzung der Krim den Beginn eines internationalen bewaffneten Konflikts zwischen beiden Staaten. Die großangelegte russische Invasion, die seit dem 24. Feb­ruar 2022 läuft, stellt eine drastische Eskalation des bewaffneten Konflikts dar, und die Verletzung des Gewaltverbots sowie der bewaffnete Angriff dauern weiterhin an, nun auch unter Beteiligung von Bela­­rus. So lautet die nüchterne Zustandsbeschreibung anhand der völkerrechtlichen Kategorien des ius contra bellum und des ius in bello.

Am treffendsten lässt sich das russische Vorgehen jedoch als Angriffskrieg (war of aggression) beschreiben. Dieser Begriff hat seinen Ursprung in den Statuten der Internationalen Militärgerichtshöfe von Nürnberg und Tokio. Das Nürnberger Tribunal bezeichnete die Führung eines Angriffskrieges als das schwerwiegendste internationale Verbrechen (it contains within itself the accumulated evil of the whole). Zudem wird immer deutlicher sichtbar, dass russische Einsatzkräfte im Angriffskrieg gegen die Ukraine flächendeckend schwere Gräueltaten begehen.

Daher stellt sich die Frage, wie Russland für sein Verhalten juristisch belangt werden kann. Zum einen muss der russische Staat für Schäden, die er durch zurechenbare Völkerrechtsverletzungen verursacht, volle Wiedergutmachung leisten. Zum anderen kön­nen die handelnden Personen für Völkerrechtsverbrechen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wer­den. Die vorliegende Studie konzentriert sich darauf, die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Strafverfolgung zu skizzieren. Nicht untersucht wird, in welchem Umfang in der Ukraine bereits solche Verbrechen verübt worden sind.

Die Ukraine hat ein Interesse daran, verantwort­liche Personen selbst zur Rechenschaft zu ziehen. An der Strafverfolgung können sich aber auch andere Staaten im Rahmen ihrer Gerichtsbarkeit beteiligen. Dabei kommt das Universalitätsprinzip zum Tragen. Es besagt, dass ein Staat Jurisdiktion über bestimmte Völkerrechtsverbrechen selbst dann ausüben kann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und kei­nen Bezug zum Inland aufweist. Diese Möglichkeit besteht nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch in Deutschland – und zwar in Bezug auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegs­verbrechen, nicht für das Verbrechen der Aggression. In einigen anderen Staaten existieren jedoch gesetz­liche Grundlagen dafür, Aggressionsverbrechen auf Basis des Universalitätsprinzips zu ahnden.

Auf internationaler Ebene richtet sich der Blick zunächst auf den Internationalen Strafgerichtshof. Dieser kann russische Staatsangehörige nicht wegen des Verbrechens der Aggression verfolgen. Insoweit bestehen nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs hohe Hürden. Vor allem wirkt sich aus, dass Russland nicht Vertragspartei des Sta­tuts ist. Dies hindert den Ankläger des Gerichtshofs jedoch nicht daran, gegen russische Staatsangehörige wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen Völkermordes zu ermitteln.

Der Fokus internationaler Strafgerichtsbarkeit sollte sich trotzdem nicht auf die drei genannten Ver­brechenstatbestände verengen. Der Unrechtsgehalt einer derart massiven und für die Ukraine existenzbedrohenden Verletzung des völkerrechtlichen Ge­waltverbots lässt sich nur mithilfe des Tatbestands der Aggression erfassen. Immerhin handelt es sich bei dem russischen Angriff auf die Ukraine zugleich um einen Angriff auf die Charta der Vereinten Nationen und auf die internationale Ordnung als solche. Aus diesem Grund sollte ein Sondertribunal eingesetzt werden, das speziell darauf ausgelegt ist, die gegen die Ukraine begangene Aggression strafrechtlich auf­zuarbeiten. Denkbar wäre, ein hybrides Tribunal in Kooperation mit den Vereinten Nationen oder dem Europarat innerhalb des nationalen Justizsystems der Ukraine zu installieren. Dies könnte allerdings Pro­bleme nach ukrainischem Verfassungsrecht aufwerfen. Praktikabler wäre es, wenn einige Staaten ein internationales Tribunal durch völkerrechtlichen Vertrag errichten würden. Die Ukraine müsste dann Partei des Vertrages sein, damit sichergestellt wäre, dass sämtliche Handlungen, die unter den Aggres­sionstatbestand fallen (und die entweder auf ukrai­nischem Territorium oder in Russland bzw. Belarus vorgenommen werden), von der Jurisdiktion des Tribunals erfasst werden.

Ein generelles Problem besteht darin, dass Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister durch persönliche Immunität während ihrer Amtszeit um­fassend vor staatlicher Strafverfolgung im Ausland geschützt sind, selbst wenn ihnen Völkerrechtsverbrechen zur Last gelegt werden. Ob diese Immunität auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder einem internationalen Sondertribunal greifen würde, ist unklar. Einige Entscheidungen internationaler Gerichte deuten darauf hin, dass in solchen Fällen der Immunitätspanzer durchbrochen wird. Diesbezüglich hat sich aber noch keine ständige Rechtsprechung und keine repräsentative Staatenpraxis herausge­bildet.

Staatliche Funktionsträgerinnen und Funktions­träger unterer Ebenen genießen hingegen lediglich funktionelle Immunität. Diese schützt nicht vor strafrechtlicher Verfolgung, soweit im Raume steht, dass völkerrechtliche Verbrechen begangen wurden.

Unabhängig davon ist schwer vorstellbar, dass Präsident Putin oder Außenminister Lawrow in ab­sehbarer Zeit vor einem nationalen oder internatio­nalen Gericht belangt werden. Das Risiko einer mög­lichen strafrechtlichen Sanktionierung wird sie kaum beeindrucken. Bei anderen Vertretern des russischen Staates, bei den Kommandeuren und Soldaten der Streitkräfte sowie bei Söldnern und sonstigen Kämp­fern, die Russland rekrutiert hat, könnte der Gedanke an eine drohende Strafverfolgung aber durchaus Wir­kung zeigen. Denn sie müssen damit rechnen, für Völkerrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden, sobald sie künftig ihr Heimatland ver­lassen (oder soweit sie bereits im Krieg gefangen genommen werden).

Jedenfalls müssen die in der Ukraine begangenen Völkerrechtsverbrechen möglichst zeitnah und um­fassend dokumentiert werden, damit in den anstehenden Prozessen eine lückenlose Beweisführung möglich ist. Hierbei werden nutzergenerierte Daten und frei zugängliche Quellen eine wichtige Rolle spie­len. Die Herausforderung besteht darin, die Un­men­gen an Daten längerfristig vorzuhalten, zu sichern und auszuwerten. Schon jetzt hat sich ein breites Bündnis privater, staatlicher und internatio­naler Akteure zusammengefunden, das die nationale und internationale Justiz dabei unterstützt, die gegen die Ukraine und ihre Bürgerinnen und Bürger began­ge­nen Verbrechen zu verfolgen.

Strafverfolgung auf nationaler Ebene

Viele Staaten verfügen mittlerweile über Strafgesetze, die Völkerrechtsverbrechen (crimes under international law)1 erfassen. Die betreffenden Tatbestände decken sich nicht notwendigerweise mit jenen, die im Römi­schen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs enthalten sind (zu den Definitionen des Römischen Statuts siehe unten, S. 14). Im Übrigen entscheidet jeder Staat selbst, unter welchen Voraussetzungen er Gerichtsbarkeit (jurisdiction) über einzelne Völkerrechtsverbrechen ausübt.

In der Ukraine stehen – ebenso wie in Russland und Belarus – die Führung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen und Völkermord gesetzlich unter Strafe.2 Sämtliche Taten (nicht nur Völkerrechts­verbrechen), die von russischer Seite, aber auch von Personen aus Drittstaaten auf ukrainischem Hoheitsgebiet begangen werden, unterliegen nach dem Territorialitätsprinzip automatisch der Strafgerichtsbarkeit der Ukraine.3 Darüber hinaus erstreckt sich die Jurisdiktion der ukrainischen Justiz – unabhängig vom Ort der Tatbegehung – unter anderem auf Verbrechen, die gegen eigene Bürgerinnen und Bürger gerichtet sind (passives Personalitätsprinzip) sowie auf Straftaten gegen die Sicherheit, territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit des ukrai­nischen Staates (Schutzprinzip).

Die ukrainischen Ermittlungsbehörden und Gerichte werden jedoch auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage sein, Verfahren zur Ahndung solcher Straf­taten systematisch und großflächig durchzuführen. Entsprechende Prozesse in Russland oder Belarus sind unter den gegenwärtigen politischen Machtverhältnissen ohnehin undenkbar. Die Ukraine könnte ihre Strafgerichtsbarkeit zwar durch bilaterale oder multi­laterale Abkommen vorübergehend an andere Staa­ten übertragen.4 Hierbei handelt es sich aber zumin­dest im Moment eher um eine theoretische Überlegung. Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, Jurisdiktion an internationale Gerichte zu delegieren – was ausführlicher in den anschließenden Kapiteln behandelt wird.

Wie eingangs erwähnt, kann jeder Staat selbst entscheiden, unter welchen Voraussetzungen er Ge­richtsbarkeit über einzelne Völkerrechtsverbrechen ausübt. Das im Völkerrecht wurzelnde Universalitätsprinzip, in Deutschland auch als Weltrechtsprinzip bekannt, eröffnet in dieser Hinsicht enorme Spielräume.

Das Universalitätsprinzip

Universelle Gerichtsbarkeit (universal jurisdiction) be­deutet, dass ein Staat Taten verfolgen kann, die von Ausländern oder Ausländerinnen im Ausland began­gen werden, ohne dass ein Bezug zum Inland gegeben sein muss. Das Universalitätsprinzip erstreckt sich nach dem Völkergewohnheitsrecht jedoch nur auf wenige Verbrechenstatbestände, insbesondere auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Ob auch das Verbrechen der Aggression unter dieses Prinzip fällt, ist nicht ab­schließend geklärt. Eine größere Zahl von Staaten geht offenbar davon aus, dass dies nicht der Fall ist.5 Angesichts der enormen politischen Brisanz, die der Vorwurf der Aggression in sich trägt, wird mitunter argumentiert, dass solche Fälle eher vor internatio­nalen als vor nationalen Strafgerichten verhandelt werden sollten.6

Auch die deutsche Justiz kann Völkerrechtsverbrechen in der Ukraine strafrechtlich ahnden.

Mit Blick auf den russischen Angriff gegen die Ukraine haben Lettland, Litauen und Polen als erste Staaten Ermittlungen eingeleitet.7 Und auch der deutsche Generalbundesanwalt hat mit der Durchführung eines Strukturermittlungsverfahrens begon­nen, um auf möglichst breiter Basis Beweise sammeln und später einzelne Taten verfolgen zu können.8 In § 1 S. 1 des Völkerstrafgesetzbuchs von 2002 ist näm­lich geregelt, dass Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch dann in Deutschland verfolgt werden können, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression ist der Anwendungsbereich des Völkerstrafgesetzbuchs jedoch eingeschränkt. Gemäß § 1 S. 2 gilt das Gesetz für Taten nach § 13 (Verbrechen der Aggression), die im Ausland begangen wurden, unabhängig vom Recht des Tatorts nur dann, wenn Täter oder Täterin Deutsche sind oder sich die Tat gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet. Daher ist es unter dem Tatbestand der Aggression nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht möglich, ausländische Staatsangehörige wegen des Angriffs auf die Ukraine zu verfolgen.

Ein Staat, dessen Rechtssystem eine Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen auf Basis des Uni­versalitätsprinzips vorsieht, ist völkergewohnheitsrechtlich nicht dazu verpflichtet, in jedem Fall tätig zu werden.9 Eine wichtige Ausnahme existiert für schwere Verletzungen (grave breaches) der vier Genfer Abkommen von 1949 und des ersten Zusatzprotokolls von 1977. Solche schweren Verletzungen sind Kriegs­verbrechen, die von jeder Vertragspartei verfolgt wer­den müssen.10 So ist jede Vertragspartei verpflichtet, Personen, die der Tatbegehung – oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung – beschuldigt sind, un­geachtet ihrer Nationalität vor eigene Gerichte zu stellen oder sie einer anderen Vertragspartei zur Ab­urteilung zu übergeben, sofern diese ausreichendes Belastungsmaterial vorbringt (aut dedere aut judicare).11 Ein Staat kann den genannten Verpflichtungen prak­tisch jedoch nur nachkommen, wenn sich mutmaß­liche Täter oder Täterinnen auf seinem Territorium aufhalten oder sich anderweitig im Zugriffsbereich seiner Gerichtsbarkeit befinden.12

Insoweit sieht die deutsche Strafprozessordnung vor, dass die Staatsanwaltschaft im Fall von Auslandstaten, die von Ausländern begangen wurden, von der Verfolgung absehen kann, wenn sich der oder die Beschuldigte nicht in Deutschland aufhält und ein Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist.13 Dasselbe gilt, wenn sich die betreffende Person zwar im Inland auf­hält, es aber zulässig und beabsichtigt ist, sie an einen internationalen Gerichtshof oder an einen anderen zur Verfolgung berechtigten Staat zu überstellen.14

Immunitätsfragen bei nationaler Strafverfolgung

Dass ein Staat Strafgerichtsbarkeit über eine Tat aus­übt, bedeutet nicht, dass die Tat im konkreten Fall auch geahndet werden kann. Bestimmte Personengruppen genießen nämlich Immunität vor Strafverfolgung im Ausland. Immunität beseitigt zwar nicht die strafrechtliche Verantwortlichkeit, stellt aber ein Verfahrenshindernis dar. Grundsätzlich ist zwischen persönlicher und funktioneller Immunität zu unter­scheiden.

Persönliche Immunität

Unter persönlicher Immunität (ratione personae) ver­steht man, dass Personen, die höchste Staatsämter bekleiden, also insbesondere Staats- und Regierungschefs, während ihrer Amtszeit umfassend vor dem Zugriff ausländischer Strafgerichtsbarkeit geschützt sind. Dies betrifft sämtliche Akte, gleichgültig ob die Person in offizieller Eigenschaft oder privat gehandelt hat. Selbst für ihr Verhalten vor Amtsantritt genießt die Person Immunität, solange sie im Amt ist. Dem Konzept persönlicher Immunität liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Staat in den internationalen Be­ziehungen handlungsfähig sein muss. Dazu müssen die Personen, die den Staat auf höchster Ebene ver­treten, in der Lage sein, ihre Funktionen ungestört auszuüben. Sie sollen deshalb während ihrer Amts­zeit nicht Gefahr laufen, bei offiziellen Reisen im Ausland festgenommen und vor Gericht gestellt zu werden. Ob der Schutz gleichfalls während privater Reisen gilt, ist umstritten.15

Persönliche Immunität greift auch dann, wenn die Begehung von Völkerrechtsverbrechen im Raum steht. Der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice) hat 2002 im Streit zwischen der Demo­kratischen Republik Kongo und Belgien (Arrest War­rant Case) bestätigt, dass amtierende Außenminister und Außenministerinnen nach Völkergewohnheitsrecht durch Immunität vor der Strafgerichtsbarkeit anderer Staaten geschützt sind. Von dieser Regel gebe es keine Ausnahme, auch nicht in Fällen, in denen die betreffenden Personen im Verdacht stünden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit begangen zu haben.16 Eine Ausnahme gelte selbst dann nicht, wenn ein nationales Gericht Juris­diktion auf Basis eines internationalen Abkommens ausübe, das die Verhütung und Bestrafung bestimmter schwerer Verbrechen verbindlich vorschreibe.17

Demnach können sich amtierende Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister gegenüber staatlichen Gerichten im Ausland uneingeschränkt auf persönliche Immunität berufen.18 Scheiden sie aus dem Amt, genießen diese Personen nur noch funktionelle Immunität. Im Übrigen kann Immunität durch den Staat, in dessen Dienst die Person steht, vorzeitig aufgehoben werden. Dies macht den Weg für eine Strafverfolgung im Ausland frei.

Funktionelle Immunität

Mit funktioneller Immunität (ratione materiae) ist gemeint, dass sämtliche Personen, die – unabhängig von ihrem Rang – staatliche Funktionen wahrnehmen, für Handlungen, die sie in offizieller Eigenschaft vornehmen, vor ausländischen Gerichten straf­rechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Privates Handeln hingegen wird damit nicht erfasst. Funktionelle Immunität besteht fort, nach­dem die Person aus dem offiziellen Dienst ausgeschie­den ist. Hinter dem Konzept der funktionellen Immu­nität steht der Grundsatz, dass kein Staat über einen anderen Staat Gerichtsbarkeit ausüben darf (par in parem non habet iudicium). Dies wiederum ergibt sich aus dem Prinzip souveräner Gleichheit.

Anders als persönliche Immunität schützt funktionelle Immunität – so die herrschende Meinung – nicht vor staatlicher Strafverfolgung im Ausland, wenn der Verdacht besteht, dass Völkerrechtsverbrechen begangen wurden. Teilweise wird bestritten, dass die Begehung von Völkerrechtsverbrechen über­haupt als offizieller Akt angesehen werden kann. Dies überzeugt jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass solche Verbrechen auch von einem Staatsapparat ge­plant und ausgeführt werden können und dass einige Tatbestände offizielle Bezüge sogar voraussetzen. Jedenfalls existiert mittlerweile eine Fülle nationaler und internationaler Gerichtsentscheidungen, nach denen davon auszugehen ist, dass funktionelle Immu­nität bei bestimmten Völkerrechtsverbrechen nicht zum Tragen kommt. Diese Position wird durch Staa­tenpraxis bestätigt und in der Literatur weitgehend geteilt.19 Gelten soll dies zumindest für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegs­verbrechen, möglicherweise aber nicht für das Ver­brechen der Aggression. Gegenwärtig befasst sich die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission) intensiv mit diesen Fragen.20

Der Bundesgerichtshof hat im Januar 2021 in einer wegweisenden Grundsatzentscheidung festgestellt, dass einer nationalen Strafverfolgung nachrangiger Hoheitsträger anderer Staaten (insbesondere von Soldaten) wegen Kriegsverbrechen das Verfahrens­hindernis der funktionellen Immunität nicht ent­gegenstehe.21 Dies ergebe sich aus den allgemeinen Regeln des Völkergewohnheitsrechts, so die Einschätzung des Bundesgerichtshofs. Die Argumentation lässt sich ebenso auf die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Völkermord über­tragen. Im Sinne der Bekämpfung von Straflosigkeit ist das Urteil zu begrüßen.

Zwischenfazit

Zumindest der russische Präsident, sein Regierungschef und sein Außenminister sind umfassend vor staatlicher Strafverfolgung im Ausland geschützt, solange sie sich im Amt befinden. Nach Ausscheiden aus dem Amt genießen sie zwar funktionelle Immu­nität. Diese greift jedoch nicht, soweit es um Kriegs­verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geht. Vor allem Angehörige oder ehemalige Angehörige der russischen Streitkräfte, die in der Ukraine nachweisbar solche Verbrechen began­gen haben, müssen außerhalb Russlands jederzeit mit Strafverfolgung rechnen.22 Auch Kämp­fer aus Dritt­staaten wie Syrien, die sich solcher Taten schuldig gemacht haben, sind unter keinen Umständen vor Strafverfolgung sicher. In Deutschland ist es möglich, die genannten Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch auf Basis des Universalitätsprinzips zu ver­folgen. Eine Ahndung des Verbrechens der Aggres­sion im Zusammenhang mit dem russischen Angriff scheidet in Deutschland mangels Juris­diktion aller­dings aus.

Ausländischer Täter oder Täterinnen habhaft zu werden, denen vorgeworfen wird, Völkerrechts­verbrechen begangen zu haben, stellt für die einzel­staatliche Strafverfolgung generell ein Problem dar. Insoweit besteht erhöhter Abstimmungs- und Koope­rationsbedarf auf zwischenstaatlicher Ebene. Im vor­liegenden Fall laufen bereits etliche Initiativen, um die ukrainische – ebenso wie die internationale – Justiz bei der Strafverfolgung zu unterstützen.23 Als erste Staaten haben beispielsweise Litauen und Polen gemeinsam mit der Ukraine ein sogenanntes Joint Investigation Team (JIT) unter dem Schirm von Eurojust, der EU-Agentur für justizielle Zusammen­arbeit in Strafsachen, eingesetzt.24

Verfolgung durch den Inter­nationalen Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court) in Den Haag wurde durch das Römische Statut von 1998 geschaffen. Er soll schwerste Verbrechen ahnden, »welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren«.25 Seine Gerichtsbarkeit erstreckt sich auf das Verbrechen des Völker­mordes, auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie auf das Verbrechen der Aggression. Hierbei handelt es sich um sogenannte Kernverbrechen (core crimes), die unmittelbar nach Völkerrecht strafbar sind.

Im Römischen Statut ist ausdrücklich verankert, dass der Internationale Strafgerichtshof die innerstaatliche Gerichtsbarkeit ergänzt (Grundsatz der Komplementarität). Dies bedeutet, dass eine Strafverfolgung vor nationalen Gerichten grundsätzlich Vor­rang hat. So ist in Art. 17 Abs. 1 des Römischen Sta­tuts unter anderem geregelt, dass der Internatio­nale Strafgerichtshof nicht tätig wird, wenn ein Staat (nicht notwendig ein Vertragsstaat) in einer Sache, die in seine Gerichtsbarkeit fällt, Ermittlungen oder eine Strafverfolgung durchführt – es sei denn, der betref­fende Staat ist nicht willens oder nicht in der Lage, die Ermittlungen bzw. die Strafverfolgung ernsthaft zu betreiben. Bei der Vollstreckung von Haftbefehlen etwa ist der Gerichtshof jedoch mangels eigener Durchsetzungsinstrumente auf die Staaten angewiesen.

Gerichtsbarkeit im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine

Die Ukraine und Russland sind nicht Vertragsparteien des Römischen Statuts. Die Ukraine hat jedoch erst­mals im April 2014 die Gerichtsbarkeit des Interna­tionalen Strafgerichtshofs gemäß Art. 12 Abs. 3 des Statuts anerkannt.26 Gelten sollte dies für Taten, die zwischen dem 21. November 2013 – Tag des Beginns der Proteste auf dem Maidan – und dem 22. Februar 2014 auf dem Territorium der Ukraine begangen wur­den.27 Im September 2015 hat die Ukraine eine zweite Erklärung abgegeben, mit der sie die Gerichtsbarkeit auch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anerkennt, die seit dem 20. Februar 2014 auf ihrem Hoheitsgebiet verübt wurden. Anlass für diesen Schritt waren die Besetzung der Krim und der bewaffnete Konflikt in der Ostukraine.28 Die Er­klärung von September 2015 ist nicht befristet und gilt auch für Verbrechen, die heute oder in Zukunft noch verübt werden.

Dadurch gelangte die Situation in der Ukraine erst­mals ins Blickfeld des Internationalen Strafgerichtshofs. Wie eine Vorprüfung durch die damalige Anklä­gerin Fatou Bensouda unter anderem ergab, besteht eine hinreichende Grundlage für die Annah­me, dass im Zuge der Besetzung der Krim und in der Folgezeit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind.29 Auch wird in dem Bericht davon ausgegangen, dass es im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine zu Kriegsverbrechen gekommen ist.30

Unmittelbar nach Beginn des russischen Groß­angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 haben 41 Vertragsstaaten des Römischen Statuts den An­kläger des Internationalen Strafgerichtshofs gemäß Art. 14 des Statuts aufgefordert, die Situation in der Ukraine zu untersuchen. Auf Basis dieser Ersuchen konnte die Anklagebehörde am 2. März 2022 die Ermittlungen aufnehmen (andernfalls hätten diese nach Art. 15 des Statuts durch die Vorverfahrenskammer genehmigt werden müssen).31

Der Ankläger kann wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie wegen Völkermordes ermitteln.

Die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichts­hofs im Fall der Ukraine können sich nun auf Kriegs­verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie auf Völkermord32 erstrecken, und zwar bezo­gen auf das gesamte Territorium der Ukraine und un­abhängig von der Nationalität der Täter und Täterinnen.33 Im Hinblick auf das Verbrechen der Aggression sind dem Gerichtshof jedoch die Hände gebunden, obwohl der russische Angriff auf die Ukraine eine Angriffshandlung im Sinne von Art. 8bis des Römischen Statuts darstellt.

Gemäß Art. 15bis Abs. 5 des Statuts kann der Internationale Strafgerichtshof seine Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression nicht ausüben, wenn das Verbrechen von Staatsangehörigen eines Staates (oder auf dem Territorium eines Staates) begangen wurde, der nicht Vertragspartei des Statuts ist. In einem solchen Fall kommt eine Befassung des Inter­nationalen Strafgerichtshofs mit dem Verbrechen der Aggression nur in Betracht, wenn ihm die Situation vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch Beschluss nach Kapitel VII der UN-Charta unterbreitet wird.34 Da Russland als ständiges Mitglied des Sicher­heitsrats über ein Vetorecht verfügt, kann es Be­schlüsse nach Kapitel VII jederzeit verhindern und somit dafür sorgen, dass der Internationale Strafgerichtshof dauerhaft daran gehindert ist, gegen russi­sche Staatsangehörige wegen des Verbrechens der Aggression zu ermitteln.35 Dennoch könnte im Sicherheitsrat eine entsprechende Resolution zur Ab­stimmung gestellt werden. Dies hätte symbolischen Charakter und würde deutlich machen, dass die große Mehrheit der Staaten in diesem Gremium eine Aufarbeitung des Falles durch den Internationalen Strafgerichtshof unterstützen würde.

Immunitätsfragen vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Im Zusammenhang mit der Strafverfolgung durch internationale Gerichte ist die Rechtslage bezüglich der persönlichen Immunität von Staats- und Regie­rungschefs sowie von Außenministern weniger ein­deutig als vor nationalen Strafgerichten. Zumindest haben einige internationale Gerichte Entscheidungen getroffen, die die Immunität solcher Personen auf­weichen, soweit es um die Begehung von Völkerrechtsverbrechen geht.

Überblick: Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nach dem Römischen Statut unterliegen

Völkermord (Art. 6)

Im Sinne des Statuts setzt Völkermord voraus, dass bestimmte Handlungen in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Erfasst werden unter anderem die Tötung von Mitgliedern der Gruppe sowie die Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden bei Mitgliedern der Gruppe. Als schwere Schäden sind beispielsweise die Wun­den und Traumata anzusehen, die bei den Überlebenden von Massenhinrichtungen zurückbleiben. Zudem werden etwa Folter, sexuelle Gewalt und Vergewaltigung unter den Begriff der Verursachung schwerer körperlicher oder seelischer Schä­den gefasst. Sofern Deportationen in Vernichtungsabsicht erfol­gen, fallen auch sie unter den Tatbestand des Völkermordes.

Anders als dies bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Fall ist, setzt der Wortlaut von Art. 6 nicht voraus, dass die Einzeltat im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs begangen wird. Die Verbrechens­elemente (elements of crimes) – ein Dokument, das von der Ver­sammlung der Ver­tragsstaaten verabschiedet wurde und das dem Gerichtshof bei Auslegung und Anwendung der Art. 6ff helfen soll – fordern jedoch einen Begehungszusammenhang. Demnach muss das Vorgehen im Rahmen eines offensicht­lichen Musters ähnlicher, gegen die betreffende Gruppe gerich­teter Handlungen erfolgen, oder es muss sich um ein Verhalten handeln, das für sich selbst die vollständige oder teilweise Ver­nichtung der Gruppe bewir­ken könnte. Unklar ist, ob dieses Element für die materielle Strafbarkeit zwingend gegeben sein muss. Dann wäre der Tat­bestand des Völkermordes nach Art. 6 des Römischen Statuts wohl enger gefasst als der im Völker­gewohnheitsrecht veran­kerte Tatbestand dieses Verbrechens. In jedem Fall muss jeder Täter oder jede Täterin selbst in der Ab­sicht handeln, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu ver­nichten (zusätzlich zum Vorsatz bezüglich der Tathandlung). Teilweise Vernichtung bezieht sich auf einen substantiellen Teil der Gruppe, gegebenenfalls auch begrenzt auf eine bestimmte geographische Region. Nicht vorausgesetzt wird, dass es tatsäch­lich zu einer vollständigen oder teilweisen Vernichtung gekom­men ist.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)

Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfor­dert gemäß Art. 7 Abs. 1, dass bestimmte Handlungen wie vor­sätzliche Tötung, Versklavung, Vertreibung, Folter, Vergewal­tigung oder andere unmenschliche Handlungen im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen werden. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. a bedeutet »Angriff gegen die Zivilbevölkerung« im Sinne dieser Vorschrift ein Verhaltensmuster, das sich durch die mehrfache Begehung solcher Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung auszeichnet. Voraussetzung ist, dass dadurch die Politik eines Staates oder einer Organisation umgesetzt oder unterstützt wird, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Der betreffende Staat bzw. die Organisation muss diese Politik nicht formal kundtun. Ausreichend ist, wenn Staat oder Organisation zu dem Angriff aufrufen oder ihn aktiv fördern. Ausnahmsweise kann sogar »bewusstes Wegschauen« auf Führungsebene das Merkmal einer Politik erfüllen, wenn damit bezweckt wird, den Angriff zu forcieren. Die ausführenden Täter oder Täterinnen müssen wie bei allen Verbrechen willentlich und wissentlich (with intent and knowledge, Art. 30) handeln. Im Fall von Verbre­chen gegen die Menschlichkeit muss die betreffende Person insbesondere Kenntnis von dem Angriff haben, in den sich ihre Tat einfügt, oder sie muss den Willen haben, dass die Tat Teil eines solchen Angriffs ist. Mit den genauen Umständen des Angriffs oder der dahinterstehenden Politik muss die Person aber nicht im Detail vertraut sein. Es reicht aus, wenn sie mit dem Vorsatz handelt, einen entsprechenden Angriff zu unter­stützen.

Während Kriegsverbrechen nur in einem bewaffneten Kon­flikt begangen werden können, erfordern Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen solchen Bezug nicht. Denkbar ist auch, dass ein Staat Menschlichkeitsverbrechen gegen seine eigene Bevölkerung verübt. Häufen sich in einem Krieg allerdings die Anzeichen dafür, dass vermehrt und systematisch Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung des gegnerischen Staates be­gangen werden, drängt sich die Annahme auf, dass dahinter eine entsprechende Politik steht. Dies wiederum würde dazu führen, dass einzelne Taten nicht nur als Kriegsverbrechen, son­dern auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten sind.

Kriegsverbrechen (Art. 8)

Grundsätzlich wird zwischen Kriegsverbrechen in internatio­nalen bewaffneten Konflikten und solchen in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten unterschieden. In die erste Kate­gorie fallen nach Art. 8 Abs. 2 lit. a und lit. b derzeit 37 Unter­tatbestände; in der zweiten Kategorie finden sich nach lit. c und lit. e aktuell 22 Untertatbestände, die mitunter weniger stark ausdifferenziert sind. Grob lassen sich folgende Gruppen von Kriegsverbrechen unterscheiden: Kriegsverbrechen gegen Perso­nen, Eigentum und sonstige Rechte, Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen sowie Einsatz verbotener Methoden und Mittel der Kriegführung. Allerdings stellt nicht jede Ver­letzung des humanitären Völkerrechts ein Kriegsverbrechen dar.

Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes eines Kriegsverbrechens erfordert generell, dass die jeweilige Tathand­lung in einem funktionalen Zusammenhang mit einem bewaff­neten Konflikt (in the context of and associated with an armed conflict) begangen wird. Dabei können Kriegsverbrechen auch von Mitgliedern nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen oder von Privatpersonen verübt werden. In subjektiver Hinsicht setzt ein Kriegsverbrechen insbesondere voraus, dass dem Täter oder der Täterin die faktischen Umstände bekannt sind, aus denen sich das Vorliegen des bewaffneten Konflikts ergibt.

Vor allem im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen stellt sich häufig die Frage, unter welchen Voraussetzungen militä­rische Befehlshaber strafrechtlich verantwortlich sind. Generell gilt, dass sich nach Art. 25 Abs. 3 lit. b des Römischen Statuts auch strafbar macht, wer die Begehung eines der im Statut genannten Verbrechen anordnet, dazu auffordert oder dazu anstiftet. Die Schwierigkeit besteht darin, eine solche Tat­beteiligung über mehrere Stufen in der Hierarchie nach oben nachzuweisen. Ein anderes Konstrukt ist die Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter für – vereinfacht ausgedrückt – Verbrechen, die von untergebenen Personen als Folge des Versäumnisses begangen werden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Personen auszuüben (command/superior responsibility, Art. 28 des Statuts).

Verbrechen der Aggression (Art. 8bis)

Unter den Tatbestand des Verbrechens der Aggression (crime of aggression) fällt gemäß Art. 8bis Abs. 1 die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung (act of aggression). Die Angriffshandlung muss ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der UN-Charta darstellen. Diese Figur entspricht im Wesentlichen dem Konzept des Angriffskrieges (war of aggression). Den Begriff »Angriffskrieg« verwendet das Römische Statut jedoch nicht.

Voraussetzung ist weiterhin, dass die Tat von einer Person begangen wird, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken. Dieses Tatbestandsmerkmal kennzeichnet das Ver­brechen der Aggression als sogenanntes Führungsverbrechen.

In Art. 8bis Abs. 2 S. 1 ist die staatliche Angriffshandlung definiert, an die das Verbrechen der Aggression anknüpft. Gemeint ist die Anwendung bewaffneter Gewalt durch einen Staat, die gegen die Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichtet oder anderweitig mit der UN-Charta unvereinbar ist. In Über­einstimmung mit Art. 3 der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung von 1974 listet Art. 8bis Abs. 2 S. 2 in sieben Untertatbeständen bestimmte Handlungen auf, die unabhängig vom Vorliegen einer Kriegserklärung als Angriffs­handlung zu werten sind. Unter anderem fallen darunter Inva­sionen und Angriffe durch Streitkräfte auf das Hoheitsgebiet eines Staates; ebenso jede militärische Besetzung, die daraus erwächst, sowie die Annexion fremden Territoriums unter Anwendung von Gewalt; die Bombardierung und Beschießung des Hoheitsgebiets eines anderen Staates; die Blockade von Häfen und Küsten; aber auch das Entsenden irregulärer Kräfte, die Angriffshandlungen ausführen. Ein Staat, der sein Hoheits­gebiet einem anderen Staat zur Verfügung stellt und erlaubt, dass dieser das Gebiet dazu benutzt, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen, verwirklicht seinerseits den Tatbestand der Angriffshandlung. Die Liste in Abs. 2 S. 2 ist nicht abschließend.

Der Aggressionstatbestand wurde erst nachträglich in das Römische Statut eingefügt. Beschlossen wurde dies 2010 auf der Konferenz von Kampala, die der Überprüfung des Statuts dien­te. Seit dem 17. Juli 2018 kann der Internationale Strafgerichtshof das Verbrechen der Aggression verfolgen. Unter welchen Voraussetzungen er seine Gerichtsbarkeit darüber ausüben kann, ist in Art. 15bis und Art. 15ter geregelt. Demnach bestehen hier deutlich höhere Hürden als für die Ausübung der Gerichts­barkeit über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Immunitätsregelungen im Römischen Statut

Gemäß Art. 27 Abs. 2 des Römischen Statuts hindern Immunitäten, die nach innerstaatlichem Recht oder Völkerrecht mit der amtlichen Eigenschaft einer Person verbunden sind, den Internationalen Straf­gerichtshof nicht daran, seine Jurisdiktion über die Person auszuüben. Mit Aufnahme dieser Regelung in das Statut haben die Vertragsparteien implizit ver­einbart, dass sie untereinander darauf verzichten, Immunität geltend zu machen. Auch ein Staat, der nicht Vertragspartei des Statuts ist, kann sich durch einseitige Erklärung zur vollständigen Kooperation mit dem Gerichtshof verpflichten und sich auf diesem Wege an Art. 27 Abs. 2 binden.36

Nach Art. 98 Abs. 1 des Römischen Statuts darf der Internationale Strafgerichtshof einen Staat jedoch nicht ersuchen, Personen zu überstellen, wenn der Staat dadurch gegenüber einem Drittstaat seine völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Wahrung von Immunität verletzen würde. Dies be­deutet, dass eine Vertragspartei des Statuts nicht verpflichtet ist, Personen an den Gerichtshof zu über­stellen, die Staatsangehörige einer Nichtvertragspartei sind und nach Völkergewohnheitsrecht Immunität genießen. Davon betroffen sind allerdings nur Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister, also der kleine Kreis von Funktionsträgern, denen als Perso­nen umfassende Immunität zukommt. Funktionelle Immunität hingegen schützt gerade nicht vor einer Verfolgung wegen jener Völkerrechtsverbrechen, über die der Internationale Strafgerichtshof Juris­diktion ausübt.37 Nachrangige Amtsträgerinnen und Amtsträger, die lediglich Immunität ratione materiae genießen, sind mithin nicht vor einer Überstellung an den Gerichtshof sicher, egal ob es sich bei ihnen um Staatsangehörige einer Vertragspartei oder einer Nichtvertragspartei des Statuts handelt. Damit kann letztlich auch ein ehemaliges Staatsoberhaupt eines Nichtvertragsstaates nach Verlust seiner persönlichen Immunität vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermordes zur Rechenschaft gezogen werden.

Generelle Aufweichung der Immunität von Staatsoberhäuptern vor inter­nationalen Gerichten?

Die herrschende Meinung geht bislang davon aus, dass die persönliche Immunität von Staats- und Regierungschefs sowie von Außenministern vor dem Internationalen Strafgerichtshof in zwei Fallkonstellationen keine Rolle spielt: (1) zwischen den Staaten, die untereinander an Art. 27 Abs. 2 des Römischen Statuts gebunden sind (wie eben ausgeführt), oder (2) wenn der UN-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof eine Situation durch Beschluss auf Basis von Kapitel VII der UN-Charta unterbreitet (Art. 13 lit. b des Statuts) und alle Staaten zur Koope­ration mit dem Gerichtshof verpflichtet.

Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, dass persönliche Immunität bei der Verfolgung von Völ­ker­rechtsverbrechen durch internationale Gerichte gene­rell nicht greife. In diese Richtung äußerte sich 2004 der Sondergerichtshof für Sierra Leone im Ver­fahren gegen den ehemaligen liberianischen Präsi­denten Charles Taylor. Ein Grund dafür, dass im Zusammenhang mit Immunitätsfragen zwischen nationalen und internationalen Gerichten differenziert werden müsse, bestehe darin, dass sich das Prinzip staatlicher Immunität aus der Gleichheit souveräner Staaten ableite. Internationale Tribunale seien jedoch keine staatlichen Organe, sondern hätten ein Mandat der internationalen Gemeinschaft, so der Gerichtshof.38 Die souveräne Gleichheit der Staaten stehe der Ver­folgung eines amtierenden Staatsoberhaupts vor einem internationalen Straftribunal demnach nicht entgegen.39

Die Rechtsentwicklung ist im Fluss, was die persönliche Immunität von Staats- und Regierungschefs sowie Außenministern angeht.

Die gleiche Position wie der Sondergerichtshof für Sierra Leone vertrat die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Omar al-Bashir, den damals amtierenden Staatspräsidenten des Sudan.40 Und in einem Urteil von 2019 ließ die Berufungskammer im Fall al-Bashir keinen Zweifel daran, dass die völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Immunität von Staatsoberhäuptern nur im Verhältnis zwischen Staa­ten zum Tragen komme. Im Völkergewohnheitsrecht existiere keine Regel, wonach sich Staatsoberhäupter auch gegenüber internationalen Gerichten auf Immu­nität berufen könnten.41 Nach Auffassung der Kam­mer muss nicht nachgewiesen werden, dass das Völ­kergewohnheitsrecht für Verfahren vor interna­tio­nalen Gerichten eine Ausnahme von der Immunität eines Staatsoberhaupts vorsehe. Vielmehr liege die Nachweislast bei denjenigen, die behaupteten, dass Immunität auch vor internationalen Gerichten zur Anwendung komme. Für einen solchen Nachweis gebe es jedoch weder eine hinreichende Staatenpraxis, noch sei eine entsprechende Rechtsüberzeugung der Staaten erkennbar.42

In der akademischen Debatte wird diese Position mit stichhaltigen Argumenten kritisiert.43 Unter anderem wird bemängelt, es gebe zu wenig repräsentative Staatenpraxis, die solche Annahmen unterfüttern würde.44 Im Ergebnis weisen die Kritiker dieser Rechtsprechung darauf hin, dass es nicht der inter­nationale Charakter eines Gerichts sei, der die Immu­nität beseitige. Maßgeblich sei entweder, dass sich die Parteien des jeweiligen Statuts auf einen Immunitätsverzicht geeinigt hätten oder dass sich der UN-Sicher­heitsrat mit seinen Befugnissen nach Kapitel VII in die Angelegenheit eingeschaltet habe.45 Die vorliegende Studie kann in diese Debatte nicht tiefer ein­steigen. Festzuhalten bleibt aber, dass die Rechts­entwicklung offenbar noch im Fluss ist, was die per­sönliche Immunität von Staats- und Regierungschefs sowie von Außenministern vor internationalen Gerichten betrifft.

Zwischenfazit

Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs ermittelt bereits wegen der Situation in der Ukraine. Die Jurisdiktion des Gerichtshofs erstreckt sich in diesem Fall jedoch nur auf Kriegsverbrechen, Ver­brechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, nicht auf das Verbrechen der Aggression.

Dass der russische Präsident sowie sein Regierungschef und sein Außenminister, solange sie im Amt sind, aufgrund persönlicher Immunität vor dem Zu­griff des Internationalen Strafgerichtshofs geschützt wären, darf angesichts des sich abzeichnenden Sin­neswandels in der Rechtsprechung zumindest nicht mehr als gesichert gelten. Sollten sich die politischen Machtverhältnisse in Russland nicht grundlegend verändern, wird es aber kaum zu Prozessen gegen diese Personen kommen.

Von großer praktischer Relevanz ist hingegen der Umstand, dass staatliche Funktionsträgerinnen und Funktionsträger unterhalb der höchsten Führungsebene, wie auch Kommandeure und Soldaten, nicht durch funktionelle Immunität gegen Strafverfolgung vor dem Internationalen Strafgerichtshof geschützt sind. Dass die Russische Föderation nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, steht einer Verurteilung russischer Staatsangehöriger wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermordes nicht entgegen.

Ein Sondertribunal für das gegen die Ukraine begangene Verbrechen der Aggression?

In der Völkerrechtswissenschaft wird außerhalb Russ­lands nicht ernsthaft bestritten, dass Moskau einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erstreckt sich in diesem konkreten Fall – wie im vorigen Kapi­tel gesehen – jedoch nicht auf das Verbrechen der Aggression. Daher haben Anfang März 2022 rund 40 namhafte Juristinnen und Juristen sowie bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur auf Initiative des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba und des ehemaligen britischen Premierministers Gordon Brown gefordert, ein spezielles Tribunal einzusetzen, das Präsident Putin und seine Unter­stützer wegen des Verbrechens der Aggression zur Rechen­schaft ziehen solle.46 Um den Tatkomplex des Angriffskrieges umfassend aufarbeiten und zu Ver­urteilungen kommen zu können, müsste das Tribu­nal Verantwortlichkeitsstrukturen innerhalb von Russlands politischem und militärischem Apparat aufdecken.

Offen ist allerdings, wie ein solches Tribunal im Detail ausgestaltet werden könnte. In der Erklärung heißt es lediglich, dass die Staaten im Geiste der internationalen Solidarität beschließen sollten, die Jurisdiktion, die sich aus den nationalen Strafgesetzen und dem allgemeinen Völkerrecht ergibt, an ein Sondertribunal zu übertragen.47

Errichtung eines Sondertribunals

Sondertribunale zur strafrechtlichen Aufarbeitung bestimmter Verbrechenskomplexe können auf unter­schiedliche Art und Weise geschaffen werden. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die UN-General­versammlung im Rahmen des Uniting for Peace-Mecha­nismus die Einsetzung empfiehlt und die Implementierung durch ein Abkommen zwischen dem Sitzstaat und den Vereinten Nationen erfolgt. Einige Expertinnen und Experten halten diesen Weg auch im Fall der Ukraine für vorzugswürdig.48 Das Tribunal könnte nach ukrainischem Recht entstehen, gleichzeitig durch die Vereinten Nationen finanziert und mit internationalen Richterinnen und Richtern besetzt werden. In solchen Fällen wird auch von »hybriden« Tribunalen gesprochen. Ein Beispiel sind die außer­ordentlichen Kammern in den Gerichten Kambodschas (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia).

Eine andere Idee, die derzeit diskutiert wird, läuft ebenfalls darauf hinaus, ein hybrides Tribunal als außerordentliche Kammer innerhalb des ukrainischen Justizsystems zu installieren – allerdings nicht im Rahmen der Vereinten Nationen, sondern auf regionaler Basis mit Unterstützung durch den Europa­rat.49 Nach diesem Vorschlag soll das Tribunal außer­halb der Ukraine tagen, und die Richterbank soll zumindest teilweise mit Richterinnen und Richtern aus den Mitgliedstaaten des Europarates besetzt wer­den. Den größten Vorteil eines solchen Tribunals sehen Befürworter darin, dass es aufgrund seiner regionalen Einbettung eher als legitim wahrgenommen werden könnte als ein unter Beteiligung der USA geschaffenes Gericht. Mehr als zwei Drittel aller Staa­ten, in denen Aggression als Verbrechen gesetzlich geächtet ist, sind Mitglied des Europarates.50 Der Um­setzung dieses Vorschlags würde nicht entgegenstehen, dass Russland am 16. März 2022 mit sofortiger Wirkung aus der Organisation ausgeschlossen worden ist.

Gegen die Schaffung eines hybriden Tribunals, welches in das Justizsystem der Ukraine eingegliedert wäre, wird allerdings eingewandt, dass die Verfassung des Landes aus historischen Gründen keine »außer­ordentlichen« und »besonderen« Gerichte erlaube.51 Von der Verfassung gedeckt sei aber die Beteiligung der Ukraine an einem internationalen Gericht.52

Ein Ad-hoc-Tribunal kann auch durch Staaten auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrages (ohne aktive Rolle einer internationalen Organisation) er­richtet werden. Das Tribunal wäre dann internationaler Natur und würde jenseits des Rechtssystems der Ukraine agieren. Die vierte Variante wäre, ein solches Tribunal durch verbindliche Resolution des UN-Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta ein­zusetzen. Diese Option scheidet aber aus, weil Russ­land einen entsprechenden Beschluss blockieren würde.

Am praktikabelsten wäre eine internationale Lösung zur Ahndung des Angriffskrieges.

Die von Kuleba und Brown lancierte Idee zielt offenbar auf eine zwischenstaatliche Lösung nach Vorbild des Nürnberger Militärgerichtshofs ab.53 Dies würde bedeuten, dass einzelne Staaten durch völker­rechtlichen Vertrag ihre nationalen Zuständigkeiten bündeln und an ein Sondertribunal übertragen. Die Ukraine müsste allerdings Partei des Vertrages sein und ihre Strafgerichtsbarkeit (siehe oben, S. 7) »mit­einbringen«. Nur dadurch wäre gewährleistet, dass sämtliche Handlungen, die unter den Aggressions­tatbestand fallen und die entweder auf ukrainischem Territorium (Einleitung und Ausführung einer An­griffshandlung) oder in Russland bzw. Belarus (Planung, Vorbereitung und Einleitung einer Angriffs­handlung) stattgefunden haben oder stattfinden, von der Jurisdiktion des Tribunals erfasst werden.54 Un­klar ist nämlich, ob das Verbrechen der Aggression nach Völkergewohnheitsrecht unter das Universalitätsprinzip fällt (siehe oben, S. 8). Es wäre zu unsi­cher, die Jurisdiktion des Tribunals allein auf dieses Prinzip zu gründen.

Eine weitere wichtige Frage wäre zu klären: Sollte sich das Statut eines solchen Tribunals strikt an der Definition des Aggressionsverbrechens nach Art. 8bis des Römischen Statuts orientieren? Dann wäre der Täterkreis auf Personen beschränkt, die tatsächlich in der Lage sind, das politische oder militärische Han­deln des russischen Staates zu kontrollieren oder zu lenken. Alternativ könnte auch jene Definition heran­gezogen werden, die das Amerikanische Militärtribunal in den Nürnberger Nachfolgeprozessen verwendete. Im sogenannten High Command-Fall ging das Tribu­nal davon aus, dass sich die Strafbarkeit des Angriffs­krieges auf Personen erstreckt, die auf politischer Ebene an dem Krieg beteiligt waren (those who partici­pate in it at the policy level). Eine solche Definition ließe mehr Raum, um auch Personal unterhalb der obers­ten Führungsriege wegen des Verbrechens der Aggres­sion zur Rechenschaft zu ziehen. Immerhin hat diese Definition, ebenso wie die Statuten und die Rechtsprechung der Internationalen Militärgerichtshöfe, die Entwicklung des völkergewohnheitsrechtlichen Aggressionstatbestandes entscheidend geprägt.55

Immunitätsfragen vor einem Sondertribunal

Funktionelle Immunität spielt auch vor internatio­nalen Sondertribunalen generell keine Rolle, soweit wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermordes ermittelt wird. Keine Einigkeit besteht darüber, ob auch das Verbre­chen der Aggression funktionelle Immunität aus­schließt (siehe oben, S. 10).

Klarheit könnte der UN-Sicherheitsrat schaffen, indem er ein solches Tribunal durch Beschluss nach Kapitel VII der Charta einsetzt, jegliche Immunität (auch solche ratione personae) im Statut des Tribunals ausschließt und alle Staaten verpflichtet, mit dem Tribunal zu kooperieren. So geschah dies im Fall der Sonderstrafgerichtshöfe für das ehemalige Jugosla­wien und für Ruanda. Diese Option kommt aber im vorliegenden Fall ebenso wenig in Betracht wie eine Überweisung der Situation durch den Sicherheitsrat an den Internationalen Strafgerichtshof.

Wie im vorigen Kapitel ausgeführt, haben einige internationale Gerichte Entscheidungen getroffen, mit denen die persönliche Immunität von Staats- und Regierungschefs sowie von Außenministern aufgeweicht wird, sofern es um Kriegsverbrechen, Verbre­chen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geht. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass die Straf­verfolgung durch ein internationales Gericht erfolgt. Dies wirft die Frage auf, wann ein Gericht als inter­national anzusehen ist. Ein hybrides Tribunal, das in die Rechtsordnung der Ukraine eingegliedert wäre (was nach ukrainischem Verfassungsrecht ohnehin problematisch erscheint), hätte nach diesem Krite­rium möglicherweise eine schwächere Stellung als ein durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffenes Tribunal, das außerhalb des ukrainischen Justiz­systems agieren würde. Einige Kommentatorinnen und Kommentatoren sehen jedoch beide Modelle als »ausreichend international« an, um Immunitäts­hindernisse im Falle schwerster Völkerrechtsverbrechen umschiffen zu können.56

Allerdings ist offen, ob sich die zitierte Recht­sprechung in Zukunft überhaupt durchsetzen wird. Letztlich käme es darauf an, wie ein für die Ukraine errichtetes internationales Sondertribunal mit Immunitätsfragen umgehen würde. Für die Rechtsentwicklung in diesem Bereich wären die Entscheidungen eines solchen Tribunals jedenfalls von erheb­licher Relevanz.

Zwischenfazit

In der akademischen Debatte wurde gewarnt, dass ein Tribunal, das lediglich von einer Handvoll Staaten ge­schaffen würde und trotzdem unter der Bezeichnung »international« firmierte, unweigerlich dem Vorwurf selektiver Justiz und mangelnder Legitimität aus­gesetzt wäre.57 In jedem Fall würde ein praktisches Problem darin bestehen, dass selbst ein internationales Tribunal, das durch völkerrechtlichen Vertrag entstünde, gegenüber Nichtvertragsstaaten keinerlei Ermittlungsbefugnisse hätte. Es könnte weder die Überstellung tatverdächtiger Personen aus Russland und Belarus bewirken, noch könnten die Ermittler Beweismittel in den genannten Staaten sammeln. Um eine Strafbarkeit wegen des Verbrechens der Aggres­sion nachweisen zu können, bedarf es aber gerade vertiefter Einblicke in Führungsstrukturen und Be­fehlsketten.

Die Ausstellung von Haftbefehlen in denjenigen Staaten, die das Tribunal unterstützen würden, könn­te den Bewegungsspielraum von Präsident Putin und anderen hochrangigen Personen aus dem Kreml im Ausland erheblich einschränken. Dagegen ist der Gedanke wohl unrealistisch, dass die oberste Riege der Moskauer Staatsführung vor einem solchen Tribu­nal strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, solange sich die politischen Verhältnisse in Russland nicht grundlegend ändern. Sollte ein Tribu­nal, das ausdrücklich mit der Ansage geschaffen wurde, Präsident Putin und seine Unterstützer juris­tisch haftbar zu machen, an diesem hohen Anspruch scheitern, würde von ihm auch keine Signalwirkung ausgehen. Im Gegenteil: Es würde einmal mehr deut­lich, dass internationaler Strafverfolgung klare Gren­zen gesetzt sind, soweit es um die oberste Führungsebene von Staaten geht, die sich wie Russland jegli­chen Rechenschaftsmechanismen entziehen.

Ausblick: Wie geht es mit den Ermittlungen weiter?

Anfang März 2022 entsandte der Ankläger des Inter­nationalen Strafgerichtshofs ein erstes Ermittlungsteam in die Ukraine. Es hat damit begonnen, Beweise für die Begehung von Völkerrechtsverbrechen zu sammeln. Bei den Untersuchungen vor Ort ist das Team besonders auf die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie auf die Hilfe der Bevölkerung und insbesondere von Opfern und Zeugen angewiesen. Daher hat die Anklagebehörde ein Portal für Personen eingerichtet, die über sachdienliche Hinweise zur Aufklärung solcher Verbrechen in der Ukraine verfügen. Über dieses Portal können auch ins Ausland geflüchtete Personen mit den Ermittlungsbehörden Kontakt auf­nehmen.

Offizielle Ermittlungszusammenarbeit

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb für einen koordinierten Ansatz, wonach die ukrainischen Behörden, die Europäische Union, ihre Agenturen (insbesondere Eurojust und Europol) und die EU-Mitgliedstaaten bei den Ermittlungen eng mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammen­arbeiten sollten.58 In Deutschland sind unter anderem der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst eingebunden.

Eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung besonderer Verbrechenskomplexe können darüber hinaus unabhängige Untersuchungskommissionen spielen. Der UN-Menschenrechtsrat hat unmittelbar nach Beginn des Großangriffs auf die Ukraine beschlossen, eine solche Kommission (Independent International Commission of Inquiry) einzusetzen. Sie soll mit Blick auf spätere Verfahren unter anderem Hinweise auf Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zusammentragen.59 Eine Expertenmission der OSZE hat bereits Untersuchungen durch­geführt und einen ersten Bericht vorgelegt.60

Eine weitere Option ist der Aufbau spezieller Ermittlungsstrukturen in Form sogenannter Investigative Mechanisms, die in der Regel noch stärker darauf spezialisiert sind, strafprozessual verwertbare Beweise zu sammeln. Ein Beispiel ist der IIIM für Syrien,61 der 2016 von der UN-Generalversammlung geschaffen wurde, nachdem Russland und China zwei Jahre zu­vor im Sicherheitsrat eine Überweisung der Situa­tion in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof verhindert hatten. Ein weiteres Beispiel ist der 2019 vom UN-Menschenrechtsrat eingerichtete IIMM für Myanmar.62 Der IIIM und der IIMM könnten in einen permanenten Mechanismus umgewandelt werden, der zukünftig in allen Fällen zur Verfügung stehen würde, in denen völkerrechtliche Verbrechen began­gen wurden. Er ließe sich dann nach Bedarf aktivieren, um Beweise zu sammeln und damit internationale und nationale Strafverfolgungsbemühungen zu unterstützen.

Private Investigativnetzwerke und nutzergenerierte Beweismittel

Ein anderer Faktor, der in jüngster Zeit enorm an Bedeutung gewonnen hat, sind offen zugängliche Quellen. Dazu zählen zum einen Aufnahmen mit Smartphones, die von Nutzerinnen und Nutzern auf Plattformen im Internet hochgeladen werden, etwa in sozialen Medien oder auf eigens geschaffenen Doku­mentationsplattformen. Insoweit wird auch von »nutzergenerierten Beweismitteln« (user-generated evidence) gesprochen. Hinzu kommen andere offene Quellen (open source intelligence), beispielsweise Satel­litenbilder, die frei zu erwerben sind. Mittlerweile existieren zahlreiche nationale und internationale Recherchekollektive und Investigativnetzwerke, die sich unter anderem auf die Erfassung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit spezialisiert haben. Zu den bekanntesten Gruppierungen zählt Bellingcat, ein internationales unabhängiges Kollektiv von Fachleuten aus Wissenschaft und Forensik sowie von Journalistinnen und Journalisten.63 Und nicht zuletzt verfügen auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International über eine ausgewiesene Expertise auf diesem Gebiet.

Bereits während des Arabischen Frühlings von 2011 wurden mithilfe von Smartphone-Aufnahmen und anderen nutzergenerierten Daten in einzelnen Ländern Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, später dann Kriegsverbrechen in Syrien und im Jemen. In einem Verfahren zum Krieg in Libyen musste sich sogar der Internationale Strafgerichtshof erstmals mit digitalen Videoaufzeichnungen befas­sen, die auf Facebook hochgeladen worden waren.64

Die Situation in der Ukraine steht unter besonderer Beobachtung, seit im Februar 2014 die Krim besetzt wurde. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Dokumentation russischer Kriegsverbrechen in Syrien fällt es Spezialistinnen und Spezialisten nun offenbar leichter, bestimmte Muster bei der Auswahl von Angriffszielen zu erkennen, Einheiten zu identi­fizieren und Kommandostrukturen auf russischer Seite nachzuvollziehen.65 Andererseits ist das Auf­kommen an Informationen schon jetzt so hoch, dass es sich kaum mehr bewältigen lässt. Daher wird der laufende Krieg in der Ukraine auch als neuer Testfall für den Einsatz solcher Methoden betrachtet.66 Die Herausforderung besteht darin, die ständig anfallenden Informationen digital vorzuhalten, die Speicherplattformen gegen Cyberattacken zu sichern, sach­dienliche Hinweise zu sichten wie zu verifizieren und daraus letztlich gerichtsverwertbare Beweise zu gewinnen.67 Dies dürfte die betreffenden Recherchenetzwerke wie auch die nationale und internationale Justiz noch vor erhebliche praktische Probleme stel­len. Zugleich steigt aber die Chance, dass es tatsächlich zu Verurteilungen kommen kann.

Abkürzungen

Eurojust European Union Agency for Criminal Justice Cooperation (Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen)

Europol European Union Agency for Law Enforcement Cooperation

GA I Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde

GA II Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kran­ken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See

GA III Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen

GA IV Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten

ICC International Criminal Court (Internationaler Strafgerichtshof)

ICJ International Court of Justice (Internationaler Gerichtshof)

IIIM (Syria) International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Persons Responsible for the Most Serious Crimes under International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011

IIMM  Independent Investigative Mechanism for

Myanmar

ILC International Law Commission (Völkerrechts­kommission der Vereinten Nationen)

JIT (Eurojust) Joint Investigation Team (Gemeinsame Ermittlungsgruppe)

OSCE Organization for Security and Co-operation in Europe (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE)

StPO Strafprozessordnung

UN United Nations (Vereinte Nationen)

ZP I Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)

Endnoten

1

 Völkerrechtsverbrechen sind Verbrechen, deren Strafbarkeit sich unmittelbar aus dem Völkerrecht ergibt und nicht von der Transformation des Tatbestands in die staatliche Rechtsordnung abhängig ist. In jedem Fall zählen dazu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und das Verbrechen der Aggression.

2

 Siehe Sergey Vasiliev, »Aggression against Ukraine: Avenues for Accountability for Core Crimes«, EJIL:Talk! (Blog), 3.3.2022, <https://www.ejiltalk.org/aggression-against-ukraine-avenues-for-accountability-for-core-crimes/>. Sämtliche Webseiten, auf die in dieser Studie verwiesen wird, wurden zuletzt am 18.4.2022 eingesehen.

3

 Die Anwendbarkeit staatlicher Strafgesetze auf Taten mit Auslandsbezug setzt prinzipiell einen Anknüpfungspunkt voraus, d.h. einen bestimmten Zusammenhang zwischen der Tat und dem betreffenden Staat. Jedes der folgenden Prinzipien bezieht sich auf einen bestimmten Anknüpfungspunkt: Territorialitätsprinzip (Begehung der Tat innerhalb des eige­nen Staatsgebiets), aktives Personalitätsprinzip (Begehung durch eigene Staatsangehörige), passives Personalitätsprinzip (das Opfer besitzt die eigene Staatsangehörigkeit), Schutzprinzip (die Tat betrifft bestimmte inländische Rechtsgüter).

4

 Diane Orentlicher, »How States Can Prosecute Russia’s Aggression with or without ›Universal Jurisdiction‹«, Just Security (Blog), 24.3.2022, <https://www.justsecurity.org/ 80818/how-states-can-prosecute-russias-aggression-with-or-without-universal-jurisdiction/>.

5

 Carrie McDougall, »Why Creating a Special Tribunal for Aggression against Ukraine Is the Best Available Option: A Reply to Kevin Jon Heller and Other Critics«, OpinioJuris (Blog), 15.3.2022, <http://opiniojuris.org/2022/03/15/why-creating-a-special-tribunal-for-aggression-against-ukraine-is-the-best-available-option-a-reply-to-kevin-jon-heller-and-other-critics/>. Siehe dazu auch Beth Van Schaack, »Par in Parem Imperium Non Habet – Complementarity and the Crime of Aggression«, in: Journal of International Criminal Justice, 10 (2012) 1, S. 133–164 (137ff).

6

 Siehe z.B. Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundes­regierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstraf­gesetzbuches, Drucksache 18/8621, 1.6.2016, S. 12f.

7

 Siehe McDougall, »Why Creating a Special Tribunal for Aggression« [wie Fn. 5], S. 4; Annegret Hartig, »Domestic Criminal Courts as Gap-Fillers? Avoiding Impunity for the Commission of the Crime of Aggression against Ukraine«, Völkerrechtsblog, 12.4.2022, <https://voelkerrechtsblog.org/de/ domestic-criminal-courts-as-gap-fillers/>.

8

 »Wir versuchen, Sanktionsfolgen für Deutschland ab­zufedern« (Interview mit Bundesjustizminister Marco Busch­mann), in: Passauer Neue Presse, 8.3.2022, <https://www.bmj. de/SharedDocs/Interviews/DE/2022/0308_Passauer_Neue_ Presse.html?nn=6704262>.

9

 Douglas Guilfoyle, International Criminal Law, Oxford 2016, S. 39.

10

 Art. 49 Abs. 2 GA I; Art. 50 Abs. 2 GA II; Art. 129 Abs. 2 GA III; Art. 146 Abs. 2 GA IV; Art. 85 Abs. 1 ZP I.

11

 Ebd.

12

 Eve La Haye, Art. 129, Rn. 5132, in: International Com­mittee of the Red Cross (Hg.), Convention (III) relative to the Treatment of Prisoners of War, Commentary of 2020, <https://ihl-data-ba-ses.icrc.org/applic/ihl/ihl.nsf/Comment.xsp?action= openDocument&documentId=FB2C21E0040F0217C 125858400446E95>.

13

 § 153f Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO).

14

 § 153f Abs. 2 S. 2 StPO.

15

 Robert Cryer/Darryl Robinson/Sergey Vasiliev, An Intro­duction to International Criminal Law and Procedure, Cambridge, 4. Aufl. 2019, S. 519.

16

 International Court of Justice, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), Judgment, 14.2.2002, ICJ Reports 2002, S. 3–34 (Abs. 58).

17

Ebd., Abs. 59.

18

 So z.B. Guilfoyle, International Criminal Law [wie Fn. 9], S. 395ff.

19

Dazu ausführlich Cryer/Robinson/Vasiliev, An Intro­duction to International Criminal Law [wie Fn. 15], S. 512ff.

20

 Siehe z.B. International Law Commission (ILC), Fifth Report on Immunity of State Officials from Foreign Criminal Jurisdiction, by Concepción Escobar Hernández, Special Rapporteur, UN-Dok. A/CN.4/701, 14.6.2016, Abs. 222; ILC, »Draft Articles on Immunity of State Officials from Foreign Criminal Juris­diction Provisionally Adopted so far by the Commission«, Article 7, in: Report of the ILC, Seventy-second Session (2021), UN-Dok. A/76/10. Selbst innerhalb der Kommission ist jedoch umstritten, ob das Verbrechen der Aggression zu jenen Verbrechen zählt, bei denen funktionelle Immunität aus­geschlossen ist.

21

 Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.1.2021, Az. 3 StR 564/19. Siehe dazu unter anderem Claus Kreß/Peter Frank/Christoph Barthe, »Functional Immunity of Foreign State Officials Before National Courts: A Legal Opinion by Germany’s Federal Public Prosecutor«, in: Journal of Inter­national Criminal Justice, 19 (2021) 3, S. 697–716.

22

 Hierauf zielt z.B. die Strafanzeige ab, die der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum und die ehemalige Bun­desjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger An­fang April 2022 beim Generalbundesanwalt gestellt haben. Siehe dazu Markus Sehl, »Material für Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen: Strafanzeige benennt russische Kommandeure«, Legal Tribune Online, 7.4.2022, <https://www.lto.de/ recht/nachrichten/n/strafanzeige-putin-generalbundesanwalt-gba-bundesanwaltschaft-russland-ukraine-krieg/>.

23

 Siehe z.B. European Commission, »Statement from European Commission President Ursula von der Leyen Following Her Phone Call with President Zelenskyy on the Commission’s Reactions to the Atrocities in Bucha«, 4.4.2022, <https://ec.europa.eu/commission/presscorner/ detail/en/STATEMENT_22_2268>; The White House, »Press Briefing by Press Secretary Jen Psaki and National Security Advisor Jake Sullivan«, 4.4.2022, <https://www.whitehouse. gov/briefing-room/press-briefings/2022/ 04/04/press-briefing-by-press-secretary-jen-psaki-and-national-security-advisor-jake-sullivan/>.

24

 Eurojust, »Eurojust Supports Joint Investigation Team into Alleged Core International Crimes in Ukraine«, Press Release, 28.3.2022, <https://www.eurojust.europa.eu/news/ eurojust-supports-joint-investigation-team-alleged-core-international-crimes-ukraine>.

25

 Art. 5 des Römischen Statuts.

26

 Durch Anerkennung der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nach Art. 12 Abs. 3 des Römischen Statuts wird der anerkennende Staat nicht zur Vertrags­partei.

27

 Embassy of Ukraine to the Kingdom of the Netherlands, No. 61219/35-673-984, 9.4.2014, <https://www.icc-cpi.int/ itemsDocuments/997/declarationRecognitionJuristiction09-04-2014.pdf>.

28

 Minister for Foreign Affairs of Ukraine, Letter to the Registrar of the ICC, 8.9.2015, <https://www.icc-cpi.int/ iccdocs/other/Ukraine_Art_12-3_declaration_08092015.pdf# search=ukraine>.

29

 International Criminal Court, The Office of the Pro­secutor, Report on Preliminary Examination Activities 2020, 14.12.2020, S. 68ff.

30

 Ebd.

31

International Criminal Court, Situation in Ukraine, ICC-01/22, <https://www.icc-cpi.int/ukraine>.

32

 Das Verfahren, das die Ukraine gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice) wegen Verletzung der Völkermordkonvention betreibt, hat keinen strafrechtlichen Charakter. Hier argumentiert die Ukraine im Kern, Russland habe gegen die Konvention ver­stoßen, indem es auf Basis falscher Anschuldigungen (dass in den Oblasten Luhansk und Donezk Völkermordhandlungen begangen worden seien) militärische Maßnahmen ergriffen habe – vorgeblich zur Verhütung und Bestrafung von Völ­kermord gemäß Art. I der Konvention. Am 16. März 2022 hat der Internationale Gerichtshof vorsorgliche Maßnahmen beschlossen, um die Rechte der Ukraine zu sichern. Unter anderem ist Russland nach der Anordnung verpflichtet, seine militärischen Operationen auf dem Territorium der Ukraine unverzüglich einzustellen. International Court of Justice, Allegations of Genocide under the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Ukraine v. Russian Federation), Order, 16.3.2022.

33

 Siehe »Statement of ICC Prosecutor, Karim A.A. Khan QC, on the Situation in Ukraine: Receipt of Referrals from 39 States Parties and the Opening of an Investigation«, 2.3.2022, <https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=2022-prosecutor-statement-referrals-ukraine>.

34

 Art. 15ter des Römischen Statuts.

35

 Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur darüber diskutiert, ob für den Fall einer Blockade des Sicherheitsrats nicht auch die UN-Generalversammlung die Befugnis erhal­ten müsse, dem Internationalen Strafgerichtshof Situationen zu unterbreiten. Dazu müsste jedoch das Römische Statut geändert werden. Siehe z.B. Shane Darcy, »Aggression by P5 Security Council Members: The Time for ICC Referrals by the General Assembly«, Just Security (Blog), 16.3.2020, <https:// www.justsecurity.org/80686/aggression-by-p5-security-council-members-time-for-icc-referrals-by-the-general-assembly/>.

36

 Cryer/Robinson/Vasiliev, An Introduction to International Criminal Law [wie Fn. 15], S. 522.

37

 Eine Ausnahme gilt möglicherweise für das Verbrechen der Aggression (siehe oben, S. 10). Das ist im vorliegenden Fall jedoch nicht relevant, da der Internationale Straf­gerichtshof über dieses Verbrechen in Bezug auf russische Staatsangehörige ohnehin keine Gerichtsbarkeit ausübt.

38

 Special Court for Sierra Leone, Prosecutor against Charles Ghankay Taylor, Case No. SCSL-2003-01-I, Appeals Chamber, Decision on Immunity from Jurisdiction, 31.5.2004, Abs. 51.

39

 Ebd., Abs. 52.

40

 International Criminal Court, The Prosecutor v. Omar Hassan Ahmad Al-Bashir, Case No. ICC-02/05-01/09, Pre-Trial Chamber I, Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 4.3.2009, Abs. 41; Pre-Trial Chamber I, Corrigendum to the Decision Pursuant to Article 87(7) of the Rome Statute on the Failure by the Republic of Malawi to Comply with the Cooperation Requests Issued by the Court with Respect to the Arrest and Surrender of Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 13.12.2011, Abs. 36–43; Pre-Trial Chamber I, Decision Pursuant to Article 87(7) of the Rome Statute on the Refusal of the Republic of Chad to Comply with the Cooperation Requests Issued by the Court with Respect to the Arrest and Surrender of Omar Hassan Ahmad Al Bashir, 13.12.2011, Abs. 13.

41

 International Criminal Court, The Prosecutor v. Omar Hassan Ahmad Al Bashir, Case No. ICC-02/05-01/09 OA 2, Appeals Chamber, Judgment in the Jordan Referral re Al‑Bashir Appeal, 6.5.2019, Abs. 1 und Abs. 101ff.

42

 Ebd., Abs. 116.

43

 Siehe z.B. Cryer/Robinson/Vasiliev, An Introduction to International Criminal Law [wie Fn. 15], S. 528ff; Dapo Akande, »ICC Appeals Chamber Holds that Heads of State Have No Immunity under Customary International Law Before International Tribunals«, EJIL:Talk! (Blog), 6.5.2019, <https:// www.ejiltalk.org/icc-appeals-chamber-holds-that-heads-of-state-have-no-immunity-under-customary-international-law-before-international-tribunals/>; Dov Jacobs, »You Have just Entered Narnia: ICC Appeals Chamber Adopts the Worst Possible Solution on Immunities in the Bashir Case«, Spreading the Jam (Blog), 6.5.2019, <https://dovjacobs.com/2019/ 05/06/you-have-just-entered-narnia-icc-appeals-chamber-adopts-the-worst-possible-solution-on-immunities-in-the-bashir-case/>; Ben Batros, »A Confusing ICC Appeals Judgment on Head-of-State-Immunity«, Just Security (Blog), 7.5.2019, <https://www.justsecurity.org/63962/a-confusing-icc-appeals-judgment-on-head-of-state-immunity/>.

44

 Adil Ahmad Haque, »Head of State Immunity Is Too Important for the International Court of Justice«, Just Security (Blog), 24.2.2020, <https://www.justsecurity.org/68801/head-of-state-immunity-is-too-important-for-the-international-court-of-justice/>.

45

 Cryer/Robinson/Vasiliev, An Introduction to International Criminal Law [wie Fn. 15], S. 529 (mit weiteren Nachweisen).

46

 The Office of Gordon and Sarah Brown, »Statement Calling for the Creation of a Special Tribunal for the Punish­ment of the Crime of Aggression against Ukraine«, 4.3.2022, <https://gordonandsarahbrown.com/2022/03/calling-for-the-creation-of-a-special-tribunal-for-the-punishment-of-the-crime-of-aggression-against-ukraine/>.

47

 Ebd.

48

 Larry D. Johnson, »United Nations Response Options to Russia’s Aggression: Opportunities and Rabbit Holes«, Just Security (Blog), 1.3.2022, <https://www.justsecurity.org/80395/ united-nations-response-options-to-russias-aggression-opportunities-and-rabbit-holes/>; Jennifer Trahan, »U.N. General Assembly Should Recommend Creation of Crime of Aggression Tribunal for Ukraine: Nuremberg Is Not the Model«, Just Security (Blog), 7.3.2022, <https://www.just security.org/80545/u-n-general-assembly-should-recommend-creation-of-crime-of-aggression-tribunal-for-ukraine-nuremberg-is-not-the-model/>. Für eine starke Rolle der UN-Generalversammlung bei der Schaffung eines Sondertribunals, unabhängig vom konkreten Modell: Tom Dannenbaum, »Mechanisms for Criminal Prosecution of Russia’s Aggression against Ukraine«, Just Security (Blog), 10.3.2022, <https://www.justsecurity.org/80626/mechanisms-for-criminal-prosecution-of-russias-aggression-against-ukraine/>.

49

 Kevin Jon Heller, »The Best Option: An Extraordinary Ukrainian Chamber for Aggression«, OpinioJuris (Blog), 16.3.2022, <http://opiniojuris.org/2022/03/16/the-best-option-an-extraordinary-ukrainian-chamber-for-aggression/>.

50

 Ebd.

51

 Alexander Komarov/Oona Hathaway, »Ukraine’s Con­stitutional Constraints: How to Achieve Accountability for the Crime of Aggression«, Just Security (Blog), 5.4.2022, <https://www.justsecurity.org/80958/ukraines-constitutional-constraints-how-to-achieve-accountability-for-the-crime-of-aggression/>.

52

 Komarov und Hathaway empfehlen daher die Schaffung eines internationalen Gerichts durch Vertrag zwischen der Ukraine und den Vereinten Nationen. Alexander Komarov/ Oona Hathaway, »The Best Path for Accountability for the Crime of Aggression Under Ukrainian and International Law«, Just Security (Blog), 11.4.2022, <https://www.justsecurity. org/81063/the-best-path-for-accountability-for-the-crime-of-aggression-under-ukrainian-and-international-law/>.

53

 Siehe Philippe Sands, »Why We Need a New Nuremberg Trial to Make Putin Pay«, Daily Mail, 4.3.2022, <https://www. dailymail.co.uk/news/ukraine/article-10579137/PHILIPPE-SANDS-need-new-Nuremberg-trial-make-Putin-pay.html>.

54

 McDougall, »Why Creating a Special Tribunal for Aggression« [wie Fn. 5], S. 6.

55

Dazu Guilfoyle, International Criminal Law [wie Fn. 9], S. 294f; Cryer/Robinson/Vasiliev, An Introduction to Inter­national Criminal Law [wie Fn. 15], S. 303f.

56

 Siehe z.B. McDougall, »Why Creating a Special Tribunal for Aggression« [wie Fn. 5], S. 7.

57

 Siehe z.B. Kevin Jon Heller, »Creating a Special Tribunal for Aggression against Ukraine is a Bad Idea«, OpinioJuris (Blog), 7.3.2022, <https://opiniojuris.org/2022/03/07/creating-a-special-tribunal-for-aggression-against-ukraine-is-a-bad-idea/>; Komarov/Hathaway, »The Best Path for Account­ability« [wie Fn. 52].

58

 European Commission, »Statement from European Commission President Ursula von der Leyen« [wie Fn. 23].

59

 UN Human Rights Council, Resolution 49/1, Situation of Human Rights in Ukraine Stemming from the Russian Aggression, UN-Dok. A/HRC/RES/49/1, 4.3.2022.

60

 OSCE, Office for Democratic Institutions and Human Rights, Note Verbale, ODIHR.GAL/26/22/Rev.1, 13.4.2022, Annex: Report on Violations of International Humanitarian Law and Human Rights Law, War Crimes and Crimes against Humanity Committed in Ukraine since 24 February 2022, by Professors Wolfgang Benedek, Veronika Bílková and Marco Sassòli.

61

International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Persons Responsible for the Most Serious Crimes under International Law Committed in the Syrian Arab Republic since March 2011, <https://iiim.un.org/>. Der IIIM hat die Aufgabe, mit seinen Ermittlungen die Gerichte bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen zu unterstützen, die seit 2011 in Syrien begangen wurden.

62

 Independent Investigative Mechanism for Myanmar, <https://iimm.un.org/>.

63

 <https://www.bellingcat.com/>.

64

 Siehe ICC, The Prosecutor v. Mahmoud Mustafa Busayf Al‑Werfalli, Case No. ICC-01/11-01/17, Pre-Trial Chamber I, Warrant of Arrest, 15.8.2017, Abs. 11.

65

 Justin Hendrix, »Ukraine May Mark a Turning Point in Documenting War Crimes«, Just Security (Blog), 28.3.2022, <https://www.justsecurity.org/80871/ukraine-may-mark-a-turning-point-in-documenting-war-crimes/>.

66

 Rebecca Hamilton/Lindsay Freeman, »The Int’l Criminal Court’s Ukraine Investigation: A Test Case for User-Generated Evidence«, Just Security (Blog), 2.3.2022, <https:// www.justsecurity.org/80404/the-intl-criminal-courts-ukraine-investigation-a-test-case-for-user-generated-evidence/>.

67

 Für solche Abläufe existieren bereits praktische Handreichungen. Siehe z.B. Human Rights Center UC Berkeley School of Law/UN Human Rights Office of the High Commissioner, Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations, New York/Genf 2020, <https://www.ohchr.org/sites/default/ files/Documents/Publications/OHCHR_BerkeleyProtocol.pdf>.

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