Bei der anstehenden UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) wird erneut um den globalen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gerungen. Auch in Deutschland und der EU gab es im Vorfeld intensive Debatten zur Positionsfindung. Strittig ist vor allem die Frage, ob global ein Komplettausstieg aus allen fossilen Brennstoffen gefordert werden soll – oder nur ein Herunterfahren der ungeminderten Nutzung, also jener ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen wie Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS). Welche Rolle emissionsreduzierte fossile Energieträger in einer klimaneutralen Wirtschaft haben können, ist sehr umstritten. Langfristig ist dies abhängig von einem erfolgreichen Hochlauf von CCS, den dabei erreichten Abscheideraten und der Verfügbarkeit von Technologien zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR), mit der Restemissionen ausgeglichen werden. Bis 2030 ist nicht mit signifikanten Einsparungen von Treibhausgas durch CCS im Stromsektor zu rechnen. Ob in Dubai ein glaubwürdiges Signal für das rasche Absenken fossiler Emissionen gesetzt werden kann, hängt nicht zuletzt an einer klaren und wissenschaftsbasierten Definition, wann von einer emissionsreduzierten Nutzung fossiler Brennstoffe im Einklang mit dem Temperaturziel des Pariser Klimaabkommens die Rede sein kann.
Die Nutzung fossiler Brennstoffe – Kohle, Öl und Gas – ist für den Großteil der weltweit ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich und damit ursächlich für die Klimakrise. Darauf gründen die Forderungen nach einem globalen Ausstieg (phase-out) aus allen fossilen Energieträgern, den viele ambitionierte Länder und zivilgesellschaftliche Gruppen auch in den zentralen Ergebnissen der UN-Klimakonferenz von Dubai im Dezember 2023 verankert sehen wollen. Zuletzt hat der Diskurs an Komplexität gewonnen, weil er sich auf die Differenzierung zwischen ungeminderter (unabated) und emissionsreduzierter (abated) Nutzung fossiler Brennstoffe fokussierte. Die Entscheidung bei der COP28 kann hier ein wichtiges Signal senden. Gleichwohl markiert sie eher den Anfang als das Ende einer ernsthaften Debatte darüber, welche Rolle CCS als Minderungstechnologie, Strategien des Carbon Managements und fossile Ressourcen in einer klimaneutralen Zukunft spielen sollen.
Fossile Brennstoffe in 1,5-Grad-Pfaden
Damit sich der globale Temperaturanstieg stoppen und bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad Celsius begrenzen lässt, müssen die CO2-Emissionen nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC weltweit bis etwa Mitte des Jahrhunderts auf netto null sinken und anschließend netto negativ werden. Das jetzige Jahrzehnt ist dabei entscheidend. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 48 Prozent gegenüber 2019 zurückgehen. Für ein CO2-neutrales Energiesystem bedarf es laut IPCC einer substantiellen Reduktion des Gesamtverbrauchs aller fossilen Brennstoffe, einer minimalen Nutzung fossiler Energieträger ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen sowie der Nutzung von CCS im verbleibenden fossilen System. Allein die Emissionen aus dem Weiterbetrieb existierender fossiler Infrastruktur würden ohne Nachsteuern das verbleibende Kohlenstoff-Budget für 1,5 Grad sprengen. Um diese Temperaturschwelle in Reichweite zu halten, muss die besonders klimaschädliche Kohleverstromung global stark zurückgehen und die Nutzung von Öl und Gas ebenfalls sinken. Der Anteil fossiler Energieträger, insbesondere von Gas, im Energiemix fällt dabei deutlich schneller und auf absolut geringere Werte, wenn CCS und CDR auf nach Expertenschätzung realistische Größenordnungen begrenzt werden.
Im jüngst erschienenen Update zu ihrer Net Zero Roadmap für den Energiesektor projiziert die Internationale Energieagentur (IEA), dass die Öl- und Gasproduktion im Zeitraum bis 2030 um etwa 2 Prozent jährlich sinkt und anschließend um 4 bis 5 Prozent pro Jahr bis 2050. Daher müssten in einem 1,5‑Grad-Szenario keine Explorationen neuer Öl- und Gasfelder mehr unternommen werden, um den Bedarf zu decken. Vielmehr seien Investitionen in die fossile Industrie ab den späten 20er Jahren ausschließlich dem Zweck vorbehalten, die existierende Förderung aufrechtzuerhalten und Emissionen aus deren Betrieb zu minimieren.
Der angehende COP-Präsident aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Chef des staatlichen Ölproduzenten ADNOC, Sultan Ahmed Al Jaber, bezeichnet es als unausweichlich und existentiell, Förderung und Verbrauch aller fossilen Energieträger herunterzufahren (phase-down). Gleichzeitig betont er die Notwendigkeit, auch in Emissionsreduktionen innerhalb des existierenden fossilen Systems zu investieren. Um das Ziel eines Energiesystems frei von ungeminderten fossilen Energien bis Mitte des Jahrhunderts zu erreichen, müssten jetzt alle verfügbaren Technologien und Lösungen hochgefahren werden.
Ein vollständiger Ausstieg aus allen fossilen Rohstoffen für die energetische ebenso wie die stoffliche Nutzung etwa in der chemischen Industrie ist den wissenschaftlichen Klimaschutz-Szenarien tatsächlich nicht abzulesen. Die Forderung hat jedoch hohen politischen Symbolgehalt. Wie genau die Formulierung in der COP-Entscheidung in Bezug auf Ausstieg vs. Herunterfahren (phase-down/phase-out) und ungemindert vs. emissionsreduziert (unabated/abated) lauten wird und welches Narrativ daraus von wem gemacht wird, ist für die Zukunft der fossilen Wirtschaft von großer Bedeutung. Dies wird als Signal für Investitionen in neue fossile Infrastruktur verstanden werden, aber auch dafür, inwiefern emissionsreduzierte fossile Energieträger in Klimaschutzprogrammen oder Richtlinien für nachhaltige Investitionen zu berücksichtigen sind und ob der kostenintensive Aufbau einer CCS-Infrastruktur öffentlich finanziert werden soll.
Fossile Energien und UNFCCC
Im Kontext der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) war es lange nicht möglich, die Rolle fossiler Energieträger explizit zu benennen. Insbesondere die Staaten der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und Russland wehrten sich entschieden gegen eine sektor- und energieträgerspezifische Sprache. Es ist die etablierte Position dieser Länder, dass das UNFCCC-Mandat nicht die Nutzung bestimmter Energieträger, sondern lediglich die daraus entstehenden Emissionen umfasst. Auch in anderen Foren wie der G20 oder G7 gibt es keinen Konsens zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. In deren Kommuniqués findet sich neben interpretationsoffenen Zielen wie »nachhaltige und saubere Energiesysteme« in diesem Kontext ebenfalls der Begriff »ungemindert«.
Als bei der COP26 in Glasgow (2021) dazu aufgerufen wurde, die Kohleverstromung herunterzufahren und ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzubauen, fand erstmals eine Sprache Eingang in einen UNFCCC-Entscheidungstext, die fossile Energieträger explizit benennt. Seitdem wird verstärkt um eine Zielformulierung gerungen, die dem wissenschaftlich Erforderlichen eine politisch opportune Gestalt gibt.
Die Konfliktlinien betreffen neben dem zeitlichen Horizont und einer Differenzierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auch die unterschiedliche Behandlung von Kohle, Öl und Gas. Große Schwellenländer wie Indien, China und Indonesien wehren sich mit Verweis auf historische Verantwortung und Gerechtigkeit dagegen, Ausstiegsforderungen auf die besonders klimaschädliche Kohleverstromung zu verengen. Indiens Initiative in Glasgow (COP26) und Sharm El Sheikh (COP27), die auf ein Herunterfahren aller fossilen Energien zielte, diente in diesem Zusammenhang auch dazu, einen Bias vieler Industrieländer und insbesondere der USA zu verdeutlichen.
Einen neuen Fokus hat die Ausstiegsdebatte bekommen, indem zwischen ungeminderter und emissionsreduzierter Nutzung fossiler Brennstoffe differenziert wird. Gemeint ist mit Letzterem einerseits die Emissionsreduzierung bei der Produktion fossiler Energieträger, vor allem durch die Vermeidung von flüchtigem Methan, und andererseits die Emissionsminderung bei ihrer Nutzung, maßgeblich durch das Abscheiden und Speichern von CO2 aus Prozess- und Abgasströmen großer Punktquellen wie Kraftwerken oder Industrieanlagen.
Die Netto-Null-Strategien wichtiger Emittenten wie der USA, Chinas oder Kanadas setzen ebenso wie viele wissenschaftliche Klimaschutz-Szenarien zum Teil massiv auf CCS (siehe SWP-Aktuell 31/2023). Allerdings bleibt die seit Jahrzehnten intensiv beforschte Technologie in der Praxis bisher weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück. Vor allem bei der für eine schnelle Dekarbonisierung auch anderer Sektoren entscheidenden Stromerzeugung spielt sie aktuell keine Rolle. So war laut Aufstellung des Global CCS Institute Ende 2022 weltweit nur ein einziges kommerzielles Kraftwerk mit CCS in Betrieb.
Bei der COP28 wird die erste Globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) im Rahmen des Pariser Abkommens finalisiert, die den kollektiven Fortschritt beim Erreichen der Klimaziele überprüfen und zum Nachsteuern anregen soll. Aufgrund der massiven Ambitions- und Umsetzungslücke sind insbesondere kurzfristige Maßnahmen zur Kurskorrektur ins Zentrum der Debatte gerückt. Die drastischen Fortschritte bei Solar- und Windenergie sowie bei Stromspeichertechnologien verstärken dabei die Forderungen vieler klimapolitischer Vorreiter, einen Fokus auf erneuerbare Energien zu legen und rasch aus der Kohleverstromung auszusteigen.
Die EU drängt auf ein klares Signal bei der COP28, die Anwendung von CCS auf Sektoren zu begrenzen, in denen keine kosteneffizienten Alternativen vorhanden sind. Viele klimapolitisch ambitionierte Akteure, zuvorderst die kleinen Inselstaaten und Nordeuropa, plädieren nach wie vor für einen kompletten Ausstieg aus allen fossilen Energien. Sie befürchten, ein bloßer Abschied von »ungeminderten« Fossilen würde das falsche Zeichen setzen und den notwendigen Prioritätenwechsel bei Investitionen und Infrastruktur weiter verzögern.
Emissionsreduzierte Nutzung fossiler Brennstoffe
Drei Dimensionen sind entscheidend, um die Begrenzung eines Ausstiegs auf ungeminderte fossile Brennstoffe im Sinne des Klimaschutzes richtig einzuordnen. Erstens bedarf es einer klaren Definition, welches Maß an Minderung im Einklang mit dem Temperaturziel von Paris als emissionsreduziert gelten darf. Zweitens ist insbesondere mit Blick auf die zentrale CCS-Technologie zu klären, in welchen Sektoren und Anwendungen sie sinnvoll eingesetzt werden kann, welche Größenordnung an Emissionsreduktion dadurch insgesamt erreichbar ist und wodurch sie begrenzt wird. Und drittens ist angesichts des schwindenden Kohlenstoffbudgets essentiell, in welchen Zeiträumen diese Beiträge darstellbar wären.
Definition
Eine sinnvolle Differenzierung zwischen ungeminderter und emissionsreduzierter Nutzung fossiler Brennstoffe setzt voraus, dass die in wissenschaftlichen Modellrechnungen angenommenen Emissionsreduktionsraten für CCS und flüchtiges Methan zugrunde gelegt und in der Praxis dann auch erreicht werden. Aktuell gibt es keine internationale Vereinbarung, ab welchem Minderungsgrad die Nutzung fossiler Brennstoffe als emissionsreduziert gilt. Einer Definition am nächsten kommt eine Fußnote aus dem Sechsten Sachstandsbericht des IPCC. Ungemindert sind demnach solche fossilen Brennstoffe, »die ohne Eingriffe hergestellt und verwendet werden, welche die Menge der während des gesamten Lebenszyklus emittierten Treibhausgase erheblich reduzieren, zum Beispiel durch die Abscheidung von 90 Prozent oder mehr CO2 aus Kraftwerken oder 50 bis 80 Prozent der flüchtigen Methan-Emissionen aus der Bereitstellung der Brennstoffe«.
In einem kürzlich erschienenen Debattenbeitrag plädieren mehrere der am IPCC-Bericht beteiligten Wissenschaftler dafür, diese Werte konsequent zu einer »Paris-kompatiblen« Definition für emissionsreduzierte fossile Energien weiterzuentwickeln. Sie empfehlen zum Beispiel eine Reduktion von mindestens 90 bis 95 Prozent der CO2-Emissionen aus der Endnutzung und der vorgelagerten flüchtigen Methan-Emissionen auf weniger als 0,5 bis 0,2 Prozent der äquivalenten Erdgasproduktion. Die Experten weisen auch darauf hin, dass selbst diese strikten Vorgaben eine erfolgreiche Kommerzialisierung von CDR voraussetzen, damit sich Restemissionen, die bei CO2-Abscheideraten unter 100 Prozent frei werden, ausgleichen lassen. Andernfalls wäre ein politischer Rahmen erforderlich, um Anreize für eine nahezu vollständige CO2-Abscheidung zu schaffen und diese durchzusetzen, welche technisch sehr aufwendig und teuer wäre (Deep CCS).
Auch der stoffliche Nutzungspfad für abgeschiedenes CO2 (Carbon Capture and Utilization, CCU) bzw. für eine CO2-Kreislaufführung bräuchte präzise, auf den gesamten Lebenszyklus ausgerichtete Vorgaben, um Fehlanreize zu vermeiden (siehe SWP-Aktuell 30/2023). Ohne begriffliche Klarheit und entsprechend scharfe Grenzwerte droht eine Weiternutzung fossiler Brennstoffe mit CCS bzw. CCU ambitionierten Klimaschutz zu konterkarieren.
Reduktion vorgelagerter Emissionen
Die Reduktion von Emissionen, die sich bei der Bereitstellung von Kohle, Öl und Gas erreichen lässt, ist erheblich. Vorgelagerte Emissionen, die allein bei Gewinnung, Transport und Aufbereitung von Öl und Gas entstehen, sind aktuell für etwa 15 Prozent der Energiesektor-Emissionen verantwortlich. Neben der Elektrifizierung von Prozessen, einem Brennstoffwechsel und der Umstellung auf erneuerbare Energien kann insbesondere die Vermeidung von flüchtigen Methan-Emissionen auch kurzfristig einen hohen und kosteneffizienten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Hierauf zielen entsprechende internationale Initiativen wie der »Global Methane Pledge« ebenso wie der Appell des COP-Präsidenten Al Jaber an die fossile Wirtschaft, Methan-Emissionen aus der Produktion bis 2030 zu eliminieren.
CCS für Industrie und zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre
Erheblich komplexer ist es, Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Während insbesondere für die Strom- und Wärmeerzeugung gegenüber fossilen Energieträgern zunehmend kostengünstige Alternativen verfügbar sind, bei deren Einsatz kein CO2 entsteht, ist der CCS-Pfad bei manchen industriellen Prozess-Emissionen aktuell nicht zu ersetzen. Die möglichst vollständige, energieeffiziente und kostengünstige Abspaltung von CO2 aus schwer vermeidbaren industriellen Prozess-Emissionen ist ein wichtiges Element für eine klimaneutrale Wirtschaft. CCS ist auch ein Prozessbaustein vieler CDR-Ansätze, etwa in Kombination mit Bioenergie (BECCS) oder mit Direct Air Capture (DACCS).
Weltweit wird CCS im kommerziellen Maßstab fast ausschließlich in Industrieanlagen etwa zur Herstellung von Düngemitteln, Wasserstoff oder Ethanol und bei der Aufbereitung von Erdgas eingesetzt. Dabei ist die Abtrennung des CO2 ein für das Endprodukt notwendiger Prozessschritt. Da das Ausgangsgasgemisch im Allgemeinen reiner und höher konzentriert ist als bei Verbrennungsprozessen, ist die CO2-Abscheidung technisch einfacher. Das abgeschiedene CO2 wird mehrheitlich dazu eingesetzt, die Ausbeute von Ölfeldern zu steigern (Enhanced Oil Recovery), was für die Wirtschaftlichkeit der CCS-Anwendung entscheidend ist. Diese Prozesse reduzieren zwar die CO2-Emissionen, sind aber bisher meist nicht auf deren Minimierung ausgelegt. Gerade im Bereich der Mineralöl- und der chemischen Industrie spielen CCU und CCS in Klimaschutz-Strategien eine zunehmend große Rolle.
CCS im Stromsektor
Während der Transport von CO2 und dessen Einlagerung zumindest in bestimmten geologischen Formationen als etablierte Technologien gelten, ist die Technik zur Absorption von CO2 aus relativ schwach konzentrierten und mit Schwebstoffen verunreinigten Abgasströmen der fossilen Stromerzeugung noch nicht ausgereift. Dies ist neben hohen Kosten und Effizienzverlusten ein weiterer Grund für die bisher schwache Performance von CCS im Stromsektor. Besonders in Klimaschutz-Szenarien, die ein höheres temporäres Überschreiten der 1,5‑Grad-Grenze zulassen, werden auch für Mitte des Jahrhunderts oft noch signifikante Mengen fossiler Brennstoffe mit und ohne CCS im Energiesystem projiziert.
Begründet liegt dies unter anderem in der Einschätzung politischer Präferenzen und daraus ableitbarer Marktentwicklungen in verschiedenen Weltregionen. Denn Regierungen treffen Entscheidungen zu ihrer Energieversorgung nicht allein nach Klimaschutz- und Kostenabwägungen, sondern berücksichtigen Faktoren wie Energiesicherheit, heimische Ressourcen, vorhandene Infrastruktur und Know-how sowie die politische Ökonomie bereits existierender Industrien. Viele Länder des globalen Südens sehen es angesichts der ungleichen historischen Verantwortung für den Klimawandel als ihr Recht, (heimische) fossile Ressourcen zu nutzen, und priorisieren den Zugang zu Energie gegenüber dem Klimaschutz.
Außerdem hängt es vom regionalen Kontext ab, ob ein emissionsreduzierter Einsatz fossiler Brennstoffe auch im Strom- oder Wärmebereich eine attraktive Option darstellt. So ist es für Saudi-Arabien naheliegend, spezifische Standortvorteile zum Aufbau von CCS-Hubs zu nutzen – wie ein hohes Erneuerbaren-Potential, vorteilhafte geologische Bedingungen zur CO2-Speicherung, integrierte petrochemische Wertschöpfungsketten, eine vorhandene Transportinfrastruktur sowie Expertise der Öl- und Gasindustrie. Ähnliches gilt für die Ostküste der USA. Für den Klimaschutz wäre es insbesondere von Vorteil, bestehende Kohlekraftwerke in Ländern mit einer jungen Kraftwerksflotte wie etwa China oder Vietnam mit CCS nachzurüsten. Die Volksrepublik investiert aktuell im Industrie- und Energiesektor tatsächlich verstärkt in CCU und CCS. Für viele Länder spielt auch das Argument, die Energiesicherheit durch Diversifizierung des Energiesystems erhöhen zu können, eine große Rolle. Entsprechend ist die Zahl der geplanten CCS- und CCU-Projekte mit Energiebezug während der letzten Jahre sprunghaft angestiegen.
Herausforderung Netto-Null
CCS ist als Lösungsansatz auf große, stationäre Installationen beschränkt. Für die dezentrale Nutzung fossiler Energieträger zum Beispiel in Verbrennungsmotoren oder Heizkesseln gibt es aktuell keine technische Minderungsmöglichkeit, die über eine verbesserte Effizienz hinausgehen würde. Selbst wenn man optimistische Annahmen zur Gesamtabscheiderate von CCS zugrunde legt, wäre eine Weiternutzung auch emissionsreduzierter fossiler Energieträger mit erheblichen Restemissionen verbunden, die durch CDR im großindustriellen Maßstab ausgeglichen werden müssten. Der energetische, materielle und finanzielle Aufwand, der nötig wäre, um eine entsprechende CCS- und CDR-Infrastruktur zu schaffen, ist eines der Hauptargumente gegen eine fortgesetzte Rolle auch emissionsreduzierter fossiler Brennstoffe insbesondere im Stromsektor.
Das kürzlich erschienene Update der IEA Net Zero Roadmap verdeutlicht zudem die Problematik der mangelnden Verfügbarkeit. Denn die Entwicklung von CCS liegt weit unterhalb der im Szenario angenommenen Ausbaurate. Ähnlich günstige Kostenentwicklungen wie bei modularen Erneuerbaren sind laut IEA bei großtechnischen CCS-Anlagen, die meist standortspezifisch angepasst werden müssen, nicht zu erwarten – was auch bei zunehmender Praxisanwendung gilt.
Zu ähnlichen Schlüssen kam auch der letzte IPCC-Bericht. Die Ausbauraten von CCS liegen demnach weit unterhalb der projizierten Werte. Wind- und Solarenergie, die Reduktion von Methan-Emissionen in der Bereitstellung fossiler Energieträger sowie nachfrageorientierte Maßnahmen werden dort als die Klimaschutzoptionen identifiziert, die das mit Abstand höchste absolute und kosteneffiziente Potential bis 2030 besitzen. Das Potential von fossilen Energien mit CCS wird bei deutlich höheren Kosten zumindest bis 2030 als sehr niedrig eingeschätzt. Zudem erwartet der jüngst erschienene IEA World Energy Outlook, dass das Fördermaximum für alle fossilen Energieträger allein aufgrund struktureller Änderungen vor 2030 überschritten sein wird, selbst wenn keine weiteren, über die bereits bestehenden Regulierungen zum Klimaschutz hinausgehenden Maßnahmen ergriffen werden. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie der Aufbau einer CCS-Infrastruktur für absehbar unvermeidbare Anwendungen und Größenordnungen angereizt und finanziert werden kann, ohne dringend notwendige kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen vor allem im Stromsektor weiter zu verzögern und der Schaffung von Überkapazitäten für Kohle, Öl und Gas Vorschub zu leisten.
Ringen ums Narrativ
Dem Streit um die Formulierung zum Ausstieg aus fossilen Energien liegt auch der Versuch zugrunde, ein Narrativ der zukunftsfähigen klimaneutralen Nutzung fossiler Energieträger als Alternative zu den Erneuerbaren zu etablieren. Insbesondere die OPEC-Staaten mit Saudi-Arabien als Sprachrohr betreiben dies aktiv. Das Königreich macht sich international stark für einen klimapolitischen Dreiklang aus »mitigation, abatement and removal« (Vermeidung, Minderung und Entnahme). Diese im Deutschen unübliche Aufteilung unterscheidet zwischen Mitigation, bei der CO2-Emissionen durch den Einsatz weitgehend klimaneutraler Technologien wie Solar-, Wind- oder Kernenergie oder durch Effizienzgewinne vermieden werden, und der Minderung (Abatement) der bei Nutzung fossiler Energieträger entstehenden CO2-Emissionen. Dabei wird der Eindruck erweckt, mit CCS und CDR sei eine klimaneutrale Nutzung fossiler Energien unbegrenzt möglich. Die Wahl soll demnach gemäß der national determinierten Ausrichtung des Pariser Abkommens den jeweiligen Ländern überlassen bleiben, keine Technologie oder Energiequelle diskriminiert oder bevorzugt werden. Damit wird auch der Boden für Forderungen bereitet, alle Technologien gleichberechtigt zu fördern.
Saudi-Arabien selbst verfolgt den Ansatz einer »Circular Carbon Economy«, den es seit seiner G20-Präsidentschaft 2020 auch international vorantreibt. Dieser beruht auf den vier Säulen »reduce, reuse, recycle and remove«. Dabei umfasst der »reduce«-Strang (analog zu Mitigation) Maßnahmen, um die Menge an Kohlendioxid zu verringern, die es zu managen gilt. Das Königreich räumt diesem Teilelement national einen hohen Stellenwert ein; so hat es sich zum Beispiel das ehrgeizige Ziel von 50 Prozent erneuerbarer Stromerzeugung bis 2030 gesetzt. Der Schwerpunkt der politischen Kommunikation liegt jedoch eindeutig auf der Weiternutzung fossiler Rohstoffe, die möglich sein soll durch Entwicklung und Hochlauf von alternativen Materialien, synthetischen Energieträgern und Wasserstoff in Verbindung mit dem Ausbau von CCS, CCU und CDR.
Das Aktionsprogramm der Vereinigten Arabischen Emirate für ihre anstehende COP-Präsidentschaft ruft dazu auf, »eine gerechte und geordnete Energietransition zu beschleunigen und Emissionen bis 2030 drastisch zu reduzieren«. Auch die VAE fokussieren dabei einerseits auf Ausbauziele für Erneuerbare und eine Steigerung der Energieeffizienz, andererseits auf eine Minderung der Emissionsintensität fossiler Energieträger, insbesondere durch die Reduktion begleitender Methan-Emissionen. Die Emirate setzen viel politisches Kapital ein, um die Öl- und Gaswirtschaft auf einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz zu verpflichten. Das Ziel entsprechender Zusagen möglichst vieler großer Öl- und Gaskonzerne ist ein Herzstück ihrer sektorübergreifenden Klimaschutzagenda. Der Appell von COP-Präsident Al Jaber, die Welt dürfe nur noch maximal emissionsreduziertes Öl und Gas verwenden, kann hier auch als Ansage der relativ sauber produzierenden Golfstaaten gegenüber fossilen Produzenten mit höherer Emissionsintensität gelesen werden. Adressat wären demnach neben Ländern mit veralteter Förderinfrastruktur auch solche, die auf unkonventionelle Quellen wie Schiefergas oder Ölsande setzen.
Die Haltung der beiden Ölstaaten Saudi-Arabien und VAE, man müsse das bestehende System dekarbonisieren, während das neue aufgebaut wird, entspricht durchaus der wissenschaftlich gebotenen Dringlichkeit. Die Betonung des Narrativs einer klimaneutralen Nutzung fossiler Energieträger kann jedoch den Eindruck entstehen lassen, dass es sich hier um eine Taktik handelt, um das fossile Geschäftsmodell zu Lasten des Klimaschutzes zu verlängern. Das berechtigte Anliegen, der CCS-Technologie durch einen konzertierten Schub an Forschung, Entwicklung und Investitionsanreizen von einer bislang schwachen zur notwendigen Performance und zu einem stärkeren Ausbau zu verhelfen, wird dadurch unterminiert. Die aktuelle Dynamik zu nutzen, ohne Fehlanreize für eine kontinuierliche Investition in fossile Energieträger zu setzen, bedeutet einen schwierigen Balanceakt über die Konferenz von Dubai hinaus.
Die EU hat in ihrer gemeinsamen Verhandlungsposition für die COP28 eine Differenzierung erarbeitet, die diesem Dilemma begegnen soll und auch die internen Widersprüche überbrückt. Sie weist darauf hin, dass es der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Übereinstimmung mit dem 1,5‑Grad-Ziel global notwendig macht, aus der ungeminderten Nutzung fossiler Energien auszusteigen und den Konsum aller fossilen Energieträger noch in dieser Dekade zu senken. Der Energiesektor soll demnach bereits deutlich vor 2050 weitestgehend frei von allen fossilen Energien sein, und die Stromerzeugung soll in den 2030er Jahren vollständig oder weitgehend dekarbonisiert werden, was neue Kohlekraftwerke ausschließt. Da Minderungstechnologien nur begrenzt zur Verfügung stünden, so die EU, sollten sie in schwer dekarbonisierbaren Sektoren eingesetzt werden. CDR solle zu negativen Emissionen beitragen – und nicht zur Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen in Sektoren, in denen es effektive und kosteneffiziente Alternativen gibt.
Ausblick
Der COP28 kommt mit der Globalen Bestandsaufnahme und der durch die Präsidentschaft geförderten Beteiligung der fossilen Industrie eine besondere Bedeutung zu. Nicht zuletzt aufgrund der geopolitischen Lage ist kaum zu erwarten, dass es in Dubai einen Durchbruch und ein klares Signal für einen schnellen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen geben wird. Die Frage nach der Rolle fossiler Ressourcen in einer klimaneutralen Wirtschaft wird die Weltgemeinschaft noch lange beschäftigen. Sollte sich ein Kompromiss entlang der Linie finden lassen, die von der EU formuliert wurde, wären zumindest die Weichen in Richtung der wissenschaftlich erforderlichen raschen Reduzierung fossiler Emissionen gestellt. Eine gewisse Offenheit für regional spezifische Lösungen und vor allem für stoffliche Nutzungen emissionsreduzierter fossiler Rohstoffe bliebe erhalten, ohne den CCS-Pfad vor allem kurzfristig übergebührlich aufzuwerten.
Jenseits des COP-Beschlusses ist es dringend geboten, mehr Transparenz und Ehrlichkeit walten zu lassen, wenn es um kurz- und mittelfristige Beiträge und die Emissionsintensität verschiedener Technologiepfade geht. Die in Projektionen verwendeten Annahmen sollten explizit gemacht und einem Realitätscheck unterzogen werden, auch im Rahmen der zusammenfassenden Bewertung durch den Weltklimarat IPCC. Um Risiken abschätzen und Mitigation gegenüber Minderung angemessen priorisieren zu können, wäre es sehr hilfreich, dass konditionale Pfade ausgewiesen werden. Zu skizzieren wären also künftige Entwicklungen, denen jeweils eine hohe oder eine begrenzte Verfügbarkeit von CCS und CDR zugrunde liegt. Werden Governance-Mechanismen zu Carbon Management entsprechend darauf ausgerichtet, die Restemissionen zu minimieren, könnte dies einer weiteren Polarisierung der Debatte vorbeugen (siehe SWP-Aktuell 30/2023).
Neben begrifflicher Klarheit und wissenschaftsbasierten Grenzwerten für emissionsreduzierte fossile Energien ist es insbesondere erforderlich, sektorenübergreifende Lösungen zu finden, mit denen sich Lebenszyklus-Emissionen berücksichtigen lassen. Hierbei muss das strategische Ziel der Klimaneutralität mitbedacht werden, da Emissionsintensität allein als Metrik oft nicht geeignet ist, um Anreize für notwendige strukturelle Änderungen zu schaffen. Eine Verschiebung von Emissionen über die Bilanzgrenzen des eigenen Sektors, Produkts oder nationalen Inventars kann zu Produktionswegen führen, die buchhalterisch Klimaneutralität anzeigen, ohne dass langfristig tatsächlich substantiell Emissionen reduziert würden. In diesem Kontext wäre es der Glaubwürdigkeit der fossilen Industrie zuträglich, würde sie auch die Emissionen aus der Endnutzung ihrer Produkte explizit adressieren und klare Transitionspläne vorlegen.
COP-Präsident Al Jaber spricht oft von pragmatischen Lösungen und rief kürzlich dazu auf, beim Klimaschutz »Fakten von Fiktion zu trennen«. Im Kontext emissionsreduzierter Nutzung fossiler Energie wäre dies ein notwendiger, wenn auch nicht hinreichender Schritt in Richtung Klimaneutralität.
Dr. Gerrit Hansen ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und im Forschungscluster Klimapolitik.
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