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Trump II und die nukleare Rückversicherung der USA im Pazifik

Warum Australien, Japan und Südkorea andere Sorgen haben

SWP-Aktuell 2024/A 42, 07.08.2024, 8 Pages

doi:10.18449/2024A42

Research Areas

Während in Europa hitzig über die Konsequenzen einer möglichen Wiederwahl Donald Trumps debattiert wird, offenbaren die Diskussionen in Australien, Japan und Südkorea größeres Vertrauen in Washingtons Sicherheitsversprechen. Dort ist die Angst, dass die USA ihre erweiterte nukleare Abschreckung beenden könnten, deutlich weniger ausgeprägt als in Europa. Diese Zuversicht scheint in erster Linie auf dem parteiübergreifenden Konsens in Washington zu beruhen, dass die USA China eindämmen müssen und dafür zuverlässige Verbündete im Pazifikraum brauchen. Gleichzeitig wollen diese US-Verbündeten die existierende regionale Ord­nung beibehalten und sind bereit, Washington tatkräftig zu unterstützen. Trumps potentielle Wiederkehr ändert daran wenig. Stattdessen fürchten die pazifischen Bündnispartner ordnungspolitische Herausforderungen in Ostasien, die auch für Europas Sicherheit und Wohlstand von großer Bedeutung sind.

Europäische und pazifische US-Verbündete teilen einige Bedenken wegen einer mög­lichen zweiten Trump-Regierung. Beide befürchten, dass Trump in der US-Außen­politik wieder einen transaktionalen Ansatz verfolgen wird. Streitigkeiten unter Alliier­ten würden in aller Öffentlichkeit ausgetragen, was die Bevölkerung verun­sichern, Gegner erfreuen und die Glaubwürdigkeit der gemeinsamen Verteidigungs­politik gefährden würde. Angesichts von Trumps Hang zu Autokraten sorgen sich alle Bünd­nispartner, dass Washington entweder wichtige gemeinsame Interessen aufgibt, um Diktatoren fragwürdige Zugeständnisse abzuringen, oder, falls Verhandlungen (er­neut) schei­tern, dass Trump US-Verbündete in un­erwünschte Konflikte hineinzieht.

Doch jenseits dieser geteilten Sorgen scheinen die politischen Entscheidungs­tragenden in Canberra, Seoul und Tokio grundsätzlich optimistischer zu sein. Sie schätzen, dass sie mit Trumps Ego umgehen können und ihm lukrative Deals anbieten werden. Auch nehmen sie an, dass eine zwei­te Trump-Administration im westlichen Pazifik engagiert bleiben und verlässliche Partner dort brauchen wird, um Einfluss zu behalten und China einzudämmen. Diese Annahmen führen zwar nicht zu weniger, aber zu weniger gravierenden Bedenken im transpazifischen Verhältnis. Die europäischen Bündnispartner jedoch fürchten, dass Trump die Nato und damit die nukle­are Rückversicherung der USA unter­graben oder gar beenden könnte. Selbst in Süd­korea hängt die öffentliche Diskussion über eigene Nuklearwaffen mehr mit der wahr­genommenen Bedrohung aus Nordkorea zusammen als mit Sorgen innerhalb der Allianz.

Es sind in erster Linie die veränderten regionalen Kräfteverhältnisse und Chinas Ambitionen, welche die transpazifischen Bündnispartner beunruhigen. Einerseits begründet der umfassende Wettstreit zwi­schen den USA und China die Erwartung, dass Washington engagiert sowie die Sicherheitsbeziehungen und die erweiterte nukleare Abschreckung im Pazifik bestän­dig bleiben werden. Andererseits führt der Wettstreit den pazifischen Bündnispartnern vor Augen, dass Schritte der jetzigen und nächsten US-Administra­tionen die Entwick­lung der Kräfteverhältnisse und regionalen Konstellation in den folgenden Jahrzehnten maßgeblich prägen werden. Deshalb herrscht Besorgnis, dass eine transaktional agierende zweite Trump-Regierung die langwierigen gemeinsamen Bemühungen, die Ordnung aufrechtzu­erhalten, unter­minieren und damit den Grundstein für eine spätere chinesische Vormachtstellung in dieser strategisch wichtigen Region legen könnte.

Wandel militärischer Verhältnisse

Regionale und globale wirtschaftliche, politische und technologische Entwicklungen verändern die Kräfteverhältnisse im asiatisch-pazifischen Raum anders als in Europa. Schließlich ist die Ausgangslage eine ganz andere: Russlands Wirtschaft ist nur ein Zehntel so groß wie die der EU, und es mangelt in Europa eher an politischer Entschlossenheit und einsatzbereiten mili­tärischen Fähigkeiten, nicht an den Res­sourcen per se. Entscheidend ist hier, ob die USA Europa in einer geografisch begrenz­ten Krise verteidi­gen würden, ob die west­europäischen Staaten für ihre osteuropäischen Verbündeten in den Krieg ziehen würden und ob die derzeitigen Streitkräfte ausreichen, um Russland von Aggres­sionen abzuschrecken oder diese abzuwehren.

Chinas Wirtschaft hingegen ist fast zwei­einhalbmal so groß wie die von Australien, Japan und Südkorea zusammen – ein Unterschied, der in etwa das Gefälle bei den Militärausgaben widerspiegelt. Während europäische Nato-Staaten bewusst ihre Sicherheit an Washington delegiert haben, stehen den US-Verbündeten im westlichen Pazifik nur begrenzte Möglichkeiten offen, ausreichende konventionelle Fähigkeiten zu entwickeln, um China wirksam abzu­schrecken.

Bedenken hegen diese US-Verbündeten daher in erster Linie wegen Chinas Ent­schlossenheit, regionale Dynamiken selbst zu gestalten. Seit Xi Jinping verfolgt Peking eine konfrontativere Außenpolitik, um chinesischen Interessen in der Region mehr Geltung zu verschaffen und den Einfluss der USA im Pazifik zu schwächen, wenn nicht gar zu beseitigen. China hat bewiesen, dass es seine streitbare Diplomatie sowohl durch kostspielige wirtschaftliche Maßnahmen als auch durch rasche Moder­nisierung seiner Streitkräfte stützen kann und will. Noch wird angenommen, dass die USA vorerst weiter die führende militärische Rolle spie­len werden, da Washington bei konventionellen wie nuklearen Fähig­keiten und in vielen weiteren Bereichen überlegen ist. Allerdings holt China rasch auf und macht seine regionalen Ansprüche geltend, sodass es für die USA immer schwieriger wird, ihre Macht so weit von den eigenen Küsten entfernt wirksam zu projizieren. Darum befürchten Verbündete, China könnte in Zukunft den asiatisch-pazifischen Raum dominieren.

Vor diesem Hintergrund sehen viele die Zukunft Taiwans als Vorboten für die mög­liche Entwicklung der Region. Sollte Peking diesen zentralen Teil der ersten Inselkette kontrollieren, gewänne es militärischen und politischen Einfluss auf das Ost- und das Südchinesische Meer, die beide strate­gisch wichtig sind. Um Entschlossenheit zu signalisieren, veranstaltet Peking zum Beispiel militärische Machtdemonstrationen im Luftraum zwischen seinem Festland und Taiwan. Darum arg­wöhnen die trans­pazifischen Verbündeten, China könnte mit konventionellen oder nuklearen Fähig­keiten drohen, um sie vor vollendete Tat­sachen zu stellen und die Kontrolle über Taipeh zu erlangen, bevor die USA ein­schreiten können. Beschädigt wäre dann auch Washingtons Glaubwürdigkeit als Hüter der regionalen Ordnung. Ungewiss ist, ob Peking tatsächlich wegen Taiwan einen Krieg gegen die USA führen würde oder lediglich versucht, die mili­tärischen Kräfteverhältnisse so zu verändern, dass es Wash­ington, Taipeh und regionale Part­ner einem inakzeptablen Eskalationsrisiko aussetzen kann. Aber schon dass China seine Absich­ten nicht preisgibt, fördert pessimistische Annahmen.

Das nukleare Bedrohungsumfeld

In den letzten Jahren hat Peking sein Atom­waffenarsenal erheblich aufgestockt. Laut US-Prognosen könnte China die Zahl seiner nuklearen Sprengköpfe von derzeit ge­schätzt 500 bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Zahlenmäßig wären Russland und die USA China bei den Nuklearstreitkräften dann immer noch weit überlegen. Allerdings scheint Peking bestrebt, sich ähnliche stra­tegische Kernwaffensysteme zu ver­schaffen, wie sie Washington und Moskau besitzen. Die genauen Motive für Chinas nukleare Aufrüstung bleiben umstritten. Die Waffen­typen und das Tempo ihrer Ent­wicklung lassen aber darauf schließen, dass Peking zumindest Washingtons Eskalationsdominanz in einer Krise schwächen möchte. Solche Entwicklungen könnten theoretisch die wechselseitige nukleare Abschreckung zwischen China und den USA stärken. Das könnte einerseits das Risiko eines globalen Kriegs verringern. Andererseits bedeutet das für Washingtons pazifische Bündnispart­ner, dass ihre Schutzmacht nicht mehr glaubwürdig mit einer nuklearen Eskala­tion drohen und Peking nicht mehr wirk­sam abschrecken könnte. So wären sie in China in einem konventionellen Krieg unterlegen.

Nordkoreas Außenpolitik in Verbindung mit seiner nuklearen Aufrüstung bildet einen weiteren Grund zur Sorge. Schätzungen zufolge könnte Nordkorea momentan höchstens 90 Atomsprengköpfe zur Ver­fügung haben. Allerdings hat Pjöngjang seine Trägersysteme erheb­lich diversifiziert. Damit untermauert das nord­koreanische Regime eine nukleare Doktrin, mit der es einen Keil zwi­schen die pazifischen Bünd­nispartner treiben könnte, indem es Süd­korea mit taktischen und den USA mit strategischen nuklearen Schlägen droht. Zudem halten Wash­ington und seine Ver­bündeten Nordkoreas Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen für sehr niedrig, da sie annehmen, dass Pjöngjang so auch vor konventionellen Angriffen abzuschrecken versucht.

Schließlich verstärkt Moskau die Sorgen in der Region über Chinas und Nord­koreas künftiges Verhalten. Russland unterhält zwar wichtige militärische Einrichtungen in Nordostasien, militarisiert den Kurilen-Archipel und führt gemeinsam mit China strategische Luft- und Seepatrouillen im westlichen Pazifik durch. Moskaus Schwer­punkt liegt indes eindeutig auf Europa. Austra­lien, Japan und Südkorea fürchten aber die konkreten Auswirkungen von Russlands Zusammenarbeit mit Peking und Pjöngjang. Klar ist, dass sie Moskaus Kriegs­führung in der Ukraine fördert. Im schlimm­sten Fall könnte die engere militärische Kooperation effektivere Koordina­tion und opportunistisches Ver­halten, die Konflikte der anderen für sich zu nutzen oder die USA und ihre Verbündeten durch zusätzliche Krisen heraus­zufordern, zur Folge haben. Wahrschein­licher ist jedoch keine trilaterale Front, sondern eine Dreiecksdynamik, die anfällig für Misstrauen, Machtkalküle und Priori­tätensetzung der jeweiligen Macht­haber bleibt – und dennoch bestehende Heraus­forderungen für regionale Sicherheit und Nichtverbreitung verstärken kann. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass der Ausgang des laufenden Angriffskriegs in der Ukra­ine riskante Präzedenzfälle für revisionistische Bestrebungen in Ost­asien schaffen könnte. Schon jetzt könnten China und Nordkorea von Russlands Nuklearrhetorik lernen, wie sich Alliierte verunsichern und von einer »zu weit« gehenden Unterstützung der Ukraine abschrecken lassen.

Konvergierende Interessen und (radikale) Alternativen

Die Herausforderungen im asiatisch-pazifischen Raum könnten gravierendere Aus­wirkungen auf die regionale und globale Ordnung haben als Konflikte in Europa. Deshalb beeinflussen sie schon jetzt das Interessengleichgewicht und damit den Hand­lungsspielraum der beteiligten Akteure.

Erstens gibt es in Washington einen parteiübergreifenden Konsens, dass der amerikanische Einfluss im Pazifik bewahrt werden muss. Der indopazifische Raum wird als strategisches Gravitationszentrum angesehen. Der Einfluss der USA in dieser Region gilt als Schlüssel zur Aufrecht­­erhal­tung von Amerikas herausragender Position in der Welt. Daraus wird geschlussfolgert, dass die Ein­dämmung Chinas notwendig sei. So sind der Status Taiwans und die Bündnisse mit Australien, Japan und Süd­korea nach wie vor von zentraler Bedeu­tung für die USA, selbst in einem stark parteipolitisch geprägten Umfeld.

Zweitens braucht Washington seine Verbündeten im westlichen Pazifik. Da sich der amerikanische Vorsprung vor China bei den mili­tärischen Fähigkeiten verringert, benötigt das US-Militär die Stützpunkte, die logistische Unterstützung und die ergänzenden Fähigkeiten der regionalen Verbün­deten. Folglich beherbergen Australien, Japan und Südkorea substantielle US-Streit­kräfte, die eine schnelle Stationierung und dauerhafte Operationen in der Region ermöglichen. Nicht nur sind die USA be­strebt, die bilate­rale Sicherheitskooperation mit Australien und Japan zu stärken. Wash­ington betrach­tet diese beiden Länder auch als unverzicht­bare Partner für regionale Formate, etwa den Quadrilateralen Dialog mit Indien, mit denen Ressourcen gebündelt und Pekings Ambitionen eingedämmt werden sollen. Wegen Chinas beträcht­licher Wirtschaftskraft erfordert jeder Ver­such, Pekings tech­nologische oder finan­zielle Möglichkeiten einzuschränken, um­fassende Zusammenarbeit. Es überrascht daher nicht, dass sich die Regierung Biden in der gesamten indo­pazifischen Region um Unterstützung bemüht, um beispielsweise Wirtschaftspartnerschaften, resilientere Lieferketten, Technologietransfers und For­schungs­kooperationen zu fördern.

Drittens sind die Verbündeten im west­lichen Pazifik bereit, Beiträge für wirkungsvollere militärische Maßnahmen zu leisten. Viele europäische Regierungen dagegen sehen die Sicherheitsvorkehrungen der USA als selbstverständlich an und leiten nur ungern Mittel von sozialen und anderen Zwecken auf ihre Streitkräfte um. Austra­li­en, Japan und Südkorea unterhalten um­fangreiche Handelsbeziehungen mit China und haben auf diese Weise ihren Wohlstand davon abhängig gemacht. Um ihre Sicher­heit angesichts des wachsenden chinesischen Ein­flusses zu gewährleisten, setzen sie darauf, die USA in der Region zu behalten und ihre militärischen Bezie­hungen zu Washington zu verstärken. Für diese vorteilhafte Balance haben Can­berra, Tokio und Seoul verlässlich in die eigene und gemeinsame Abschreckung und Verteidigung mit den USA investiert. Australien und Südkorea taten und tun dies auch unter Regierungen, die den Beziehungen zu Washington skeptischer gegenüberstehen.

Viertens stehen den Verbündeten der USA theoretisch alternative (wenn auch nicht attraktive) Optionen zur Verfügung, und Washington ist sich dessen sehr wohl bewusst. Zum einen könnten politische Entscheidungstragende in Washington befürchten, dass sich ihre pazifischen Ver­bündeten für einen Schulterschluss mit China entscheiden könnten, wenn ihr Misstrauen gegenüber dem Engagement der USA ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Da Australien keinen und Japan und Süd­korea nur einen jeweils begrenzten Terri­torialstreit mit China haben, sind ihre Bedenken eher wirtschaftlicher und poli­tischer Natur. Eine andere regionale Architektur wäre zwar deutlich weniger vorteil­haft, würde aber ihre grundlegenden Interessen nicht direkt bedrohen und wäre daher wahrscheinlich tolerierbar. Zum ande­ren verfügen Japan und Südkorea über gewisse technische Voraussetzungen – und Seoul auch über erhebliche innen­politische Unterstützung –, um eigene Nuklearwaffen zu entwickeln und sich so vor chinesischer Nötigung zu schützen. Fiele die Rück­versicherung durch die USA weg, könnten sie beide Alternativoptionen kombinieren und sich mit Hilfe ihres eigenen nuklearen Schutzschirms mit Peking gut stellen.

Auf dieser Grundlage herrscht in Can­berra, Tokio und Seoul relative Zuversicht, dass die USA ihre Sicherheitsarchitektur aufrechterhalten und damit die erweiterte nukleare Abschreckung für den Westpazifik fortsetzen werden, unabhängig davon, ob Donald Trump die Präsidentschafts­wahlen 2024 gewinnt oder nicht. Darüber hinaus haben sowohl Trump als auch seine Anhänger wiederholt einen konfrontativen Ton gegenüber China angeschlagen und ihre Bereitschaft betont, die Machtprojek­tion der USA mit militärischen Mitteln noch mehr als unter der Biden-Administra­tion zu verstärken.

Ausgleichsbemühungen der USA und ihrer Verbündeten

Vor dem Hintergrund dieses sich verändern­­den politisch-militärischen Bedrohungsumfelds und des gleichgerichteten Interesse unter Alliierten, die heutige Ordnung zu bewahren, sind umfassende gemeinschaftliche Bemühungen zu erken­nen, Chinas militärischer Expansion ent­gegenzuwirken. Diese Anstrengungen sind extrem teuer. Der wichtigste strategische Balanceakt für die künftige Regierung dürfte darin bestehen, China wirksam ein­zuhegen, die strate­gische Abschreckung gegenüber Russland auf­rechtzuerhalten und die Eskalation poten­tieller Krisen zu vermeiden. Aus den Handlungen der letzten und jetzigen US-Administrationen lässt sich eine Vorgehens­weise erkennen, die vier Komponenten umfasst. Das sind die Entwicklung zusätz­licher nuklearer Fähig­keiten, der Ausbau konventioneller Optio­nen, die Verbesserung der Fähigkeiten der Bündnispartner und die Ausweitung der Sicherheitskooperation mit Verbündeten.

Erstens wird in Washington diskutiert, wie die USA ihre nuklearen Optionen besser nutzen. Zwar ist eine umfassende Modernisierung der Nuklearwaffen im Gange, doch kommen immer mehr Fach­leute und Entscheidungstragende zu dem Schluss, dass das US-Arsenal auch erweitert werden muss. Darüber hinaus hat der US-Kongress das Pentagon gedrängt, neue nukleare Fähigkeiten zu entwickeln, wie etwa den seegestützten nuklear bewaffneten Marschflugkörper (SLCM-N). Da die Trump-Administration bereits 2018 solche zusätzlichen regionalen Eskalationsoptionen gefordert hatte, würde eine zweite Administration hier Kontinuität bedeuten. Einige im republikanischen Lager fordern sogar, den Ersteinsatz solcher Nuklear­waffen mit geringer Reichweite in Betracht zu ziehen, um Chinas Optionen einzuschränken und Peking von einer Invasion Taiwans abzuschrecken. Unklar ist, wie viel Gewicht solche Stimmen in einer zweiten Amtszeit Trumps hätten.

Zweitens, und noch wichtiger, baut die US-Regierung ihre konventionellen Fähig­keiten aus. Hier hat die Biden-Administra­tion Kurs gehalten, obwohl viele Demo­kraten ursprünglich Trumps Entscheidung von 2019 kritisiert hatten, das mit Russland vereinbarte vertragliche Verbot von Mittel­streckenraketen aufzuheben. Infolgedessen werden die US-Streitkräfte demnächst solche bodengestützten Raketensysteme in ihren europäischen und pazifischen Stütz­punkten stationieren; eine geplante Ver­legung zum US-Stützpunkt in Wiesbaden wurde jüngst verkündet. Für Asien wurde schon konkretisiert, dass das Hyperschallsystem Dark Eagle nach Guam verlegt wer­den wird. Um das konventionelle Kräfteverhältnis mit China auszugleichen, müss­ten allerdings die verschiedenen anderen US-Mittelstreckensysteme auf dem Gebiet der Verbündeten stationiert werden. Da Peking wohl mit harten wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen reagieren würde, ist ungewiss, ob oder unter welchen Bedin­gungen Canberra, Tokio oder Seoul einer solchen Stationierung zustimmen würden.

Drittens arbeitet die US-Regierung mit ihren regionalen Verbündeten eng zusam­men, um deren eigene militärische Fähig­keiten zu verbessern. Zum einen ent­wickeln Australien, Japan und Südkorea ihre natio­nalen Fähigkeiten weiter, beson­ders im Hin­blick auf Langstreckenfähig­keiten und strategische Seestreitkräfte. Zum anderen unterstützt die US-Regierung ihre Verbündeten dabei, ihre Frühwarn- und Raketenabwehrfähigkeiten zu erweitern. Hierbei scheint besonders relevant, dass Washington die Herausforderungen der Ab­schreckung stärker gewichtet als Proliferationsbedenken. Ein Beispiel dafür ist der bei­spiellose Technologietransfer, der damit einhergeht, dass Australien mit nuklear angetriebenen U-Booten ausgestattet wird. Dieser Transfer erfordert neue Sicherheits- und Überprüfungsmaßnahmen, damit das hochangereicherte Uran für den Antrieb nicht für den Bau von Atom­waffen zweck­entfremdet wird. Ein weiteres Beispiel bildet die Entscheidung der USA, die Ein­schränkungen für Südkoreas Ent­wicklung ballistischer Raketen seit 2021 komplett aufzuheben. Ebenso wichtig ist der seit wenigen Jahren weit ver­breitete Verkauf von Tomahawk-Marschflugkör­pern, auch an Australien und Japan.

Viertens scheint Washington – obschon die transpazifischen Bündnisse bilaterale hierarchische Verhältnisse bleiben – seine Verbündeten nicht nur durch verbesserte nationale Fähigkeiten, sondern auch durch die Ausweitung der gemeinsamen Sicherheitskooperation und der Rollen der Ver­bündeten darin stärken zu wollen. Beispiels­weise möchte die Biden-Administration, dass japanische Werften regelmäßig US-Kriegsschiffe warten, um deren ständige Präsenz in Ostasien zu gewährleisten. Auch wertete sie bilaterale Konsultationen mit Südkorea auf, um Seouls Rolle bei US-Nuklearoperationen zu besprechen. Ferner betreibt sie Technologietransfers bei fort­schrittlichen militärischen Fähigkeiten, die Australiens strategische Reichweite aus­dehnen werden. Obwohl diese Bündnis­initiativen die Handschrift der Biden-Admi­nistration tragen, folgen sie dem Mantra »Lastenteilung bei gleichzeitiger Wahrung des Einflusses«. Diese Taktik kennzeichnete Trumps Amtszeit und wird derzeit von weiten Teilen der Republikanischen Partei angestrebt. Daher sind Fachleute und Ent­scheidungstragende in Australien, Japan und Südkorea zuversichtlich, dass diese Maß­nahmen 2025 weitergeführt werden, auch wenn ein Wechsel des Staatsoberhaupts Kommunikations- und Koordina­tionsschwierigkeiten, verfahrungstechnische Spitzfindigkeiten, Finanzierungsstreits und Umsetzungsverzögerungen mit sich bringen könnte.

Dennoch: Bedenken in Hülle und Fülle

Auch wenn einige Anhänger Trumps im eigenen Land jede Verringerung des US-Engagements im Ausland begrüßen würden, müsste eine zweite Regierung der Realität ins Auge sehen, dass der Verzicht auf erwei­terte nukleare Abschreckung nach wie vor in grundlegendem Widerspruch zu ihren Hauptzielen steht. Von ihrem langjährigen Beschützer im Stich gelassen und massiven Bedrohungen ausgesetzt, würden ehemalige Verbündete wahrscheinlich versuchen, China zu beschwichtigen und sich eigen­ständig Nuklearwaffenarsenale anzuschaffen. Solche Entwicklungen liefen den Inter­essen jeder US-Regierung zuwider, auch eines Weißen Hauses unter Trump. Ängste vor nuklearer Bedrohung stehen also nicht im Zentrum und lassen viel Raum für andere Befürchtungen unter Alliierten.

Zwar investieren die pazifischen Bündnispartner relativ viel in nationale und gemeinsame Abschreckung und Verteidigung. Doch auch sie sorgen sich wegen Trumps Neigung, Verbündete zu Zugeständnissen zu drängen. So erwarten die meisten in Südkorea mindestens eine Wiederholung der zähen Verhandlungen über Kostenteilung wie während seiner ersten Amtszeit. Trump und seine Anhän­ger verlangen von Seoul lautstark höhere finanzielle Beiträge für die US-Truppen, die auf der koreanischen Halbinsel stationiert sind. Verbunden ist diese Forderung häufig mit der Drohung, die US-Truppen teilweise oder gar vollständig abzuziehen, mit Hin­weisen auf das Handelsungleichgewicht und mit dem Herunterspielen der Bedrohung durch Nordkorea. Zwar ist die Präsenz der US-Soldaten durch die Unterstützung des Kongresses gesichert, aber das Weiße Haus hat beträchtlichen Spielraum bei der Festlegung von Umfang und Mandat dieser Truppenstationierungen. Viele erwarten, dass Trump diesen Spielraum nutzen wird, um den Verbündeten wirtschaftliche Zugeständnisse abzuringen. In Canberra und Tokio befürchten einige, dass eine Trump-Administration womöglich Verein­barungen zu militärischen Beschaffungen neu verhandeln will, um die finanziellen Gewinne der USA zu erhöhen. Aber nur wenige glauben, dass im Zuge solcher Aus­einandersetzungen bestehende Verein­barungen aufgekündigt werden.

Eine weitere Befürchtung in Australien, Japan und Südkorea ist, dass eine zweite Trump-Administration die verschiedenen Initiativen regionaler Sicherheitskoopera­tion, die das Weiße Haus unter Biden ein­geführt hat, einschränken oder aufgeben und alle Beziehungen wieder zuerst über Washington laufen lassen wird. Einerseits könnten Trump und seine Berater über die Vorzüge der Lastenteilung, die mit diesen neuen Formen der Zusammenarbeit ver­bunden sind, erfreut sein und diese weiter­verfolgen. Andererseits könnte eine repub­likanisch geführte Regierung die Rückkehr zum traditionellen zentralisierenden »Nabe-und-Speichen-System« anstreben, um mehr Kontrolle über Bündnispartner ausüben zu können. Die Verbündeten argwöhnen daher, dass diese zwischenstaatlichen Initiativen ohne die Führungsrolle der USA stagnieren und der Wettbewerb zwischen den Protegés um die Aufmerksamkeit der gemeinsamen Schutzmacht wieder angestachelt wird. Das könnte vor allem für die sehr praktische, aber politisch heikle trilaterale Partnerschaft zwischen Japan, Südkorea und den USA gelten.

Weniger ausgeprägt als die zuvor genannten Befürchtungen sind die Sorgen wegen Trumps »Dealmaking«-Tendenzen, also etwa in einer kostspieligen Krise im Stich gelassen (abandonment) oder in einen regio­nalen Konflikt verstrickt (entrapment) zu werden. Die Ungewissheit, welche Poli­tik Trump gegenüber China, Nordkorea und Russland wählen wird, spiegelt allgemeine Unsicherheiten über künftige Entwicklungen in Europa und Ostasien sowie Trump-spezifische Unwägbarkeiten wider. In Bezug auf China erwarten die meisten eine konfrontative Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, während einige wenige fürchten, dass Trump einen »Grand Bargain« mit Xi anstreben könnte. Zum Status Taiwans verhält sich Trump eher uneindeutig; in einem Verhandlungsprozess könnte er entweder jeg­liche Unterstützung für Tai­wan ableh­nen oder sich im Falle chinesischer Un­nach­giebigkeit dazu entschließen, Taipeh aus­drücklich zu verteidigen. Wäh­rend Ersteres die US-Verbündeten einer mög­lichen chine­sischen Nötigung aussetzen würde, könnte Letzteres zu einem offenen militärischen Konflikt mit Peking führen – und viele Verbündete bezweifeln, dass Trump in einer solchen Krise Entschlossenheit beweisen würde. Im Hinblick auf Nordkorea hoffen die meisten, dass Trump seine Lektion aus der gescheiterten Gipfel­diplomatie mit Kim Jong Un gelernt hat. Einige argwöhnen jedoch, Trump könnte zu beweisen ver­suchen, dass seine persön­lichen Beziehungen Vereinbarungen mög­lich machen, die andernfalls nur schwer zu erreichen wären. So könnte er wieder versuchen, Kim Jong Un mit wirt­schaftlichen Anreizen (und damit faktischem Sanktionsbruch) zu einem Aufrüstungsstopp zu bewegen. Damit Seoul diesen Deal hinnimmt, könnte Trump sogar so weit gehen, eine nukleare Selbstbewaffnung Südkoreas stillschweigend zu akzep­tieren. Was schließ­lich Russland betrifft, sind viele besorgt, dass Trump Putin einen Deal zum Einfrieren des Konflikts in der Ukraine vor­schlagen könnte – ein Ansatz, aus dem Xi seine eigenen Schlüsse für Ostasien ziehen könnte.

Auswirkungen auf Europa

Weil Trump zu Fehl­einschätzungen und erratischem Verhalten neigt, ist Vorsicht bei dem Versuch geboten, seine künftige Politik nach einer Wiederwahl zu progno­stizieren. Trotz­dem ist es wichtig zu ver­stehen, warum sich Australien, Japan und Südkorea weni­ger Sorgen um nukleare Rückversicherung der USA machen. Aus dieser Analyse lassen sich drei Folgerungen für Europa ziehen.

Erstens sind grundlegende Änderungen in Washingtons Beziehungen zu seinen pazifischen Verbündeten unwahrscheinlich, auch wenn Trump wiedergewählt werden sollte. Das ist eine gute Nachricht für Europa. Zum einen hängt Europas wirt­schaftlicher Erfolg davon ab, dass es keinen großräumigen Konflikt zwischen China und den USA gibt. Zum anderen sind stabile Beziehungen im asiatisch-pazifi­schen Raum indirekt äußerst günstig für die Nato, da die Sicherheitsvorsorge der USA in Euro­pa stark von der Erfüllung ihrer wichtigeren Verpflichtungen im pazi­fi­schen Raum ab­hängt. Dennoch bleiben erhebliche Unwäg­barkeiten aufgrund struk­tureller Herausforderungen sowie Trumps politischer Agenda und persönlicher Eigen­heiten. Allerdings dürfte der Druck aus Washington auf Europa, seine China-Politik anzu­passen, unter einer zweiten Trump-Admi­nistration wachsen, zumal diese wohl fast ausschließlich mit Hardlinern gegenüber China (China hawks) besetzt sein wird.

Zweitens sollten die Europäer sich damit auseinandersetzen, dass Washington und die pazifischen Bündnispartner im Krisen­fall weniger militärische als wirtschafts­politische Beiträge von Europa erwarten werden. Darum wäre es vorteilhaft, wenn europäische Regierungen ihr Gewicht innerhalb des globalen Wirtschaftssystems nutzen könnten, um die USA dabei zu unterstützen, die militärische Expansion Chinas einzudämmen. Bemüht sich Europa schon jetzt, Pekings tech­nologische und finanzielle Möglichkeiten zu beeinflussen, könnte es damit ein Zeichen setzen, dass es auch im Falle eines Krieges bereit ist, China mit Sanktionen zu belegen. Das wäre ein starkes Signal gegen Revisionismus in Ost­asien. Angesichts von Trumps Unberechenbarkeit könnten Schritte, die heute kost­spielig erscheinen, sich im Nachhinein als lohnend erweisen, falls die Region Asien-Pazifik instabil werden sollte.

Drittens lässt sich eine wertvolle Lehre daraus ziehen, dass die pazifischen Ver­bündeten der USA trotz einer möglichen zwei­ten Trump-Regierung zuversichtlich blei­ben. Der Grund für ihren Optimismus liegt in Washingtons Abhängigkeit von seinen Verbündeten und deren Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen. Zwar ist diese spezielle Gleichung wohl in erster Linie ein Resultat exogener Faktoren – wie der strategischen Bedeutung der Region und Chinas Ambitionen. Aber auch den Entscheidungstragenden, Fachleuten und der Öffentlichkeit in Europa sollte inzwischen klar sein: Je mehr sie in ihre eigenen Fähigkeiten investieren und je wirksamer sie regionale Sicherheitspolitik beeinflussen können, desto weniger müssen sie sich wegen Schwankungen in Washingtons Politik beunruhigen.

Dr. Liviu Horovitz ist Wissenschaftler, Elisabeth Suh Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Das Aktuell entstand im Rahmen des Projekts STAND (Strategic Threat Analysis and Nuclear (Dis-)Order).

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