Im Dezember 2018 beschloss das südafrikanische Parlament mit den Stimmen des regierenden African National Congress (ANC) und der Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) einen Zusatz zur Verfassung. Er soll die bestehende Möglichkeit konkretisieren, Land entschädigungslos zu enteignen. In der Diskussion über eine Landreform in Südafrika wird vielfach der Eindruck erweckt, als könnten entschädigungslose Enteignungen weißer Farmer das Problem der ungleichen Einkommensverteilung im Land lösen. Dabei ist ein ganzes Set an politischen Reformen nötig, um mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Sichtbare Erfolge könnten dazu beitragen, jene Gruppen zu besänftigen, die 25 Jahre nach dem Ende der Apartheid von der südafrikanischen Demokratie enttäuscht sind. Ein Scheitern der Reformen dürfte hingegen die ohnehin große Frustration in Südafrikas Bevölkerung noch verstärken.
Die gerechte Verteilung von Land ist ein Thema, das die politische Diskussion in Südafrika vor den Wahlen im Mai 2019 dominiert. Gegen Ende der Apartheid waren über 87 Prozent des Landes im Besitz von Weißen, die aber nur knapp 11 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Der ANC hatte nach Übernahme der Regierung 1994 auf eine breit angelegte Landreform verzichtet, jedoch angekündigt, innerhalb von fünf Jahren 30 Prozent des Landes nach dem Prinzip des »Willing Buyer, Willing Seller« umzuverteilen – die Regierung kauft demnach verkaufswilligen weißen Farmern ihr Land ab. Schwarze Südafrikanerinnen und Südafrikaner können dieses Land dann kaufen, teilweise gefördert durch Subventionsprogramme. Doch 25 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen ist die Bilanz dürftig: Bis 2018 wurden nur 9,7 Prozent statt der versprochenen 30 Prozent des Landes umverteilt. Die südafrikanische Regierung hatte den Zeitpunkt immer weiter verschoben, zu dem sie das gesetzte Ziel erreichen wollte. Später gab sie die Zielvorgabe auf.
Die von großen Teilen der Bevölkerung als ungerecht empfundene Landverteilung ist im letzten Jahr zum Kernthema der politischen Auseinandersetzung um soziale Gerechtigkeit in Südafrika geworden. Im Wahlkampf steht die Landreform dabei ganz oben auf der politischen Agenda der drei bedeutsamsten Parteien – ANC, EFF und die Democratic Alliance (DA). Die DA bietet eher marktwirtschaftliche Instrumente zur Problemlösung an, die EFF setzen auf die Verstaatlichung von Land und der ANC vertritt Elemente beider Lösungsansätze.
Für den regierenden ANC steht viel auf dem Spiel: Er war nach dem Ende der Apartheid mit dem Versprechen angetreten, die soziale Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen zu überwinden. Doch trotz mancher Fortschritte, etwa bei der Energieversorgung, gehört Südafrika heute zu den Ländern mit dem höchsten Grad an sozialer Ungleichheit weltweit. Laut der nationalen Statistikbehörde leben derzeit 55 Prozent der rund 58 Millionen Südafrikanerinnen und Südafrikaner in Armut. Die Arbeitslosenquote liegt nach offiziellen Angaben bei etwa 27 Prozent. Nach wie vor betrifft die Armut in erster Linie jene Gruppen, die unter der Apartheid als »Black« oder »Coloured« bezeichnet wurden. Dabei hat sich inzwischen eine kleine schwarze Mittelschicht entwickelt.
Lange Zeit war die ehemalige Befreiungsbewegung ANC nahezu die einzige politische Alternative für die nichtweiße Wählerschaft, weil die Partei die aus der Apartheid resultierende ungleiche Verteilung der Einkommen zwischen Schwarzen und Weißen bekämpfen wollte. Die DA hat sich zwar als zweitstärkste Kraft etabliert, doch nur allmählich findet sie Zuspruch auch bei der schwarzen Bevölkerungsschicht; bislang bekam sie ihre Stimmen vorrangig aus den Reihen der weißen Südafrikaner und der »Coloureds«.
Schon bei der Parlamentswahl 2014 verlor der ANC seine Zweidrittelmehrheit und fiel auf 62 Prozent. Erstmals zog die EFF mit 6 Prozent der Stimmen ins Parlament ein. Sie richtete sich mit ihrem Wahlprogramm an jene Teile der Bevölkerung, die ökonomisch ausgeschlossen waren und das Vertrauen in den ANC verloren hatten. Die wichtigste Forderung der EFF war und ist die Verstaatlichung von Bergbau und Land. Damit trieb sie den ANC in der letzten Legislaturperiode im Parlament vor sich her. Die Abgeordneten der EFF brachten mehrere Anträge ein, um die Möglichkeit der entschädigungslosen Enteignung prüfen zu lassen. Der ANC hatte die Behandlung des Themas immer wieder abgelehnt. Anfang 2018 stimmten die Abgeordneten des ANC jedoch für eine erneute Resolution der EFF, nach der die Ergänzung der südafrikanischen Verfassung um die Möglichkeit einer entschädigungslosen Enteignung geprüft werden sollte.
Verschiedene Aspekte der Landreform
Dem ANC ist es mittlerweile gelungen, das Thema der Landreform für sich zu vereinnahmen. Seitdem Cyril Ramaphosa im Februar 2018 das Amt des unter Korruptionsverdacht stehenden Ex-Präsidenten Jacob Zuma übernommen hat, kämpft die Partei darum, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Zuma wird »State Capture« vorgeworfen: die Besetzung von Stellen in Ministerien und Ämtern mit politisch Verbündeten zum eigenen finanziellen Vorteil. Eine Kommission untersucht derzeit die Vorwürfe. Bei vielen Südafrikanerinnen und Südafrikanern ist der Eindruck entstanden, dass die ehemalige Befreiungsbewegung ihre Ideale verraten hat und sich in erster Linie selbst ökonomisch bereichert.
Ihre Frustration spiegelt sich auch in einer zunehmenden Zahl von Nichtwählern wider. Die Wahlbeteiligung ist seit 1994 kontinuierlich gesunken: 43 Prozent der Wahlberechtigten registrierten sich 2014 entweder erst gar nicht oder waren registriert, gingen aber nicht zur Wahl. In der Folge erhielt der ANC nur 35 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten in Südafrika, 1994 waren es noch 54 Prozent.
Die Ankündigung einer Landreform wird im In- und Ausland mit der Sorge betrachtet, dass sie mit gewaltsamen Enteignungen einhergehen könnte. Doch die bisherigen Schritte Pretorias weisen auf einen demokratischen und geordneten Prozess hin. Im Dezember 2018 legte ein Komitee das Ergebnis eines zehn Monate dauernden Konsultationsprozesses vor, bei dem Gruppen im ganzen Land nach ihrer Meinung zur Landreform befragt wurden. Noch im selben Monat bestätigte das südafrikanische Parlament, dass es die zentralen Empfehlungen des Komitees umsetzen werde.
Hierzu gehört eine Ergänzung von Paragraph 25 der südafrikanischen Verfassung. Damit soll die Möglichkeit, Land ohne Kompensation zu enteignen, explizit formuliert werden. Faktisch ist diese Möglichkeit in der südafrikanischen Verfassung – wie in vielen anderen Verfassungen – bereits angelegt. In der Praxis wurde davon bislang aber kaum Gebrauch gemacht. Die Sorge, dass durch Konkretisierung von Paragraph 25 entschädigungslose Enteignungen in großem Umfang stattfinden könnten, gilt als unbegründet. Dazu müsste laut der Politikwissenschaftlerin Ruth Hall – einer von zehn Expertinnen und Experten in Cyril Ramaphosas Beratungsgremium für die Landreform – auch Paragraph 36 der Verfassung geändert werden. Dieser lässt zwar unter bestimmten Bedingungen Einschränkungen von Rechten zu – etwa dem Recht auf Eigentum –, jedoch schreibt er vor, dass solche Einschränkungen verhältnismäßig sein müssen. Für eine Änderung von Paragraph 36 wäre eine 75‑Prozent-Mehrheit im Parlament nötig – und die gilt auch nach den Parlamentswahlen 2019 als unwahrscheinlich.
Das Parlament beschloss im Dezember 2018, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe einzurichten, besetzt mit Vertretern der unterschiedlichen Parteien und zusätzlichen Personen. Diese soll dem Parlament bis Ende März 2019 Bericht erstatten und einen Vorschlag zur Ergänzung von Paragraph 25 erarbeiten. In dem Zusatz soll die Möglichkeit von Enteignungen explizit formuliert werden und sie somit legitimieren. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass der Zusatz die Kriterien für Entschädigungen konkreter fassen wird. Ihrer Einschätzung nach wird es nur in wenigen Fällen zu Enteignungen kommen, beispielsweise wenn Land als Spekulationsobjekt genutzt wird. Sie monieren aber, dass die Probleme der hochgradigen sozialen Ungleichheit nicht gelöst werden können, indem man sich auf eine reine Umverteilung von Land beschränkt.
Letztendlich geht es nicht nur um die Bereitstellung von Land, sondern auch um dessen Nutzung – Südafrika muss Lösungen für ein vielschichtiges Problem finden –, und zwar über das Thema entschädigungsloser Enteignungen hinaus. Derzeit stehen mindestens drei Aspekte des Problems im Zentrum der politischen Debatte: erstens geht es um die Frage, welcher Mix an Politikinstrumenten nötig ist, um eine gerechtere Verteilung von Land und Ressourcen zu bewirken, ohne die Landwirtschaft zu schädigen. Zweitens geht es um die Rechtssicherheit von Menschen, die auf Gemeinschaftsland leben – Land, das traditionelle Eliten verwalten und das sich vorwiegend in den ländlichen Provinzen befindet. Drittens spielt die gerechtere Verteilung von Wohnraum in der Stadt eine wichtige Rolle.
Historisch bedingte Ungleichverteilung und die Landfrage
Die ungleiche Landverteilung in Südafrika wurde durch eine Reihe politischer Maßnahmen und Gesetze vor und während der Apartheid zementiert. Der »Natives Land Act« aus dem Jahr 1913, der eine Neuverteilung der Besitzverhältnisse in Südafrika vorsah, wies Gebiete exklusiv für die weiße Bevölkerung aus. In der Folge wurden schwarze Menschen von ihrem Land vertrieben. Diese strukturelle Ungleichheit wurde unter der Apartheid seit 1948 gefördert. Das Apartheidregime teilte die Bevölkerung nicht nur in verschiedene rassistisch bestimmte Gruppen ein, es trennte diese Gruppen auch räumlich.
Zwischen 1960 und 1980 wurden etwa 3,5 Millionen schwarze Menschen (zu großen Teilen gewaltsam) in die »Homelands« umgesiedelt. Diese Gebiete im ländlichen Raum standen unter der Verwaltung traditioneller Eliten, also von Repräsentanten tribaler Herrschaftsstrukturen und ‑dynastien, wie beispielsweise Chiefs. Diese verfügten über Verwaltungsstrukturen, die »traditional authorities« – am ehesten als »traditionelle Behörde« zu übersetzen. Diejenigen, die in der Apartheid den traditionellen Behörden zugehörten, hatten aufgrund ihrer Verwaltungsbefugnisse eine Sonderstellung, somit konnten sie sich von den übrigen Teilen der schwarzen Bevölkerung abgrenzen.
Anderen schwarzen – als »Africans« deklarierten – Südafrikanerinnen und Südafrikanern war die Aufnahme eigener Wirtschaftstätigkeit ebenso untersagt wie der Landerwerb. Schwarze Menschen sollten im Rahmen der sogenannten »Bantu Education« dazu erzogen werden, Befehle auszuführen; sie wurden nicht dazu ausgebildet, selbständige Tätigkeiten zu erlernen. Die Angehörigen der schwarzen Bevölkerung waren größtenteils in der Landwirtschaft und im Bergbau als Arbeitskräfte für weiße Besitzer tätig oder als Dienstleister in weißen Haushalten.
Auch in den Städten trieb das Regime die Segregation voran. 1950 erließ es den Group Areas Act, der die Unterteilung der Städte anhand rassistischer Kriterien vorsah. Große Teile der städtischen Bevölkerung siedelte es unter massivem Gewalteinsatz in für sie deklarierte Stadtgebiete um. Die unterschiedlichen Stadtbezirke wurden auf Basis der rassistischen Hierarchie ausgestattet, etwa beim Straßenbau oder beim Zugang zu Dienstleistungen wie Strom oder Wasser. Dabei wurden Gebiete mit weißer Bevölkerung privilegiert, während in denen mit schwarzer Bevölkerung miserable Bedingungen herrschten. Abstufungen bestanden zudem zwischen »Indians«, »Coloureds« und »Africans«; alle diese Gruppen wurden ebenfalls physisch voneinander getrennt.
Bis heute ist die ungleiche Ressourcenverteilung in der Infrastruktur erkennbar, eine Folge der Segregation ist die Dysfunktionalität mancher Gebiete.
Es sind genau diese von dem Apartheidregime geförderten Unterschiede in den Strukturen für Schwarze und Weiße, die der ANC nach dem Ende der Apartheid zu überwinden versprach. Nach den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1994 begann er damit, Programme zur Umverteilung von Land umzusetzen. Dabei beschloss der ANC aber, auf eine umfassende und tiefgreifende Landreform und damit verbundene Enteignungen von Weißen zu verzichten.
Drei Programme sollten die Situation der schwarzen Südafrikanerinnen und Südafrikaner verbessern:
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Unter dem Redistributionsprogramm sollte Land an sie umverteilt werden, um so ihre strukturelle Ungleichheit im Verhältnis zur weißen Bevölkerung zu beseitigen. Die Umverteilung basiert auf dem bereits beschriebenen Prinzip des »Willing Buyer, Willing Seller«.
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Das Restitutionsprogramm sah entweder die Rückgabe von Land oder auch eine finanzielle Kompensation für jene vor, die im Zuge der rassistischen Gesetzgebung gewaltsam von ihrem Land vertrieben wurden. Hierbei haben die Berechtigten nicht unbedingt Anspruch auf das Territorium, das sie verloren haben, sondern auf Ersatzflächen oder alternativ auf finanzielle Kompensation. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass produktiv wirtschaftende Farmen oder auch andere Betriebe nicht durch die Rückgabe von Land beeinträchtigt werden.
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Das »Tenure«-Programm sollte Rechtssicherheit für jene schaffen, die nach wie vor auf Gemeinschaftsland (in den ehemaligen Homelands) oder als Pächter auf dem Land von (in der Regel) weißen Besitzern leben oder wirtschaften. Verschiedene Gesetze sollten sicherstellen, dass diese Personen nicht einfach von Land vertrieben werden können, selbst wenn sie nicht dessen rechtmäßige Eigentümer waren.
Angesichts der mageren Umverteilungsbilanz der ANC-Regierungen wird die Effektivität dieser Programme nun in Frage gestellt. Mit ihrer Forderung nach flächendeckenden Enteignungen ohne Entschädigung machen die EFF deutlich, dass nach ihrer Ansicht die Umverteilung nur durch Enteignungen zu erreichen ist. Eine Evaluation der südafrikanischen Landpolitik seit dem Ende der Apartheid lässt indes erkennen, dass Enteignungen dafür nicht zwingend notwendig sind. Auch der Report sprach sich dafür aus, stärker von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, etwa wenn Land nicht produktiv genutzt wird.
Zu diesem Ergebnis kam 2016 eine Kommission unter Leitung des ehemaligen Präsidenten Kgalema Motlanthe, die vom Parlament eingesetzt worden war. Bis Oktober 2017 hatte sie sich umfassend mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit in Südafrika befasst. Die Gründe für die schleppende Umverteilung von Land sind laut Kommission nicht unbedingt in einer fehlerhaften Konstruktion der bisherigen Programme zu suchen, sie lägen vielmehr vor allem in deren mangelhafter Umsetzung. Insbesondere die Bearbeitung der Anträge auf Redistribution dauere zu lange. Ein zentrales Problem sei die grassierende Korruption und die damit verbundene Ineffizienz der südafrikanischen Verwaltungen. Dadurch würde die Bearbeitung der Anträge verschleppt.
Außerdem werde die Rechtssicherheit schwarzer Südafrikanerinnen und Südafrikaner unterminiert, die in den ehemaligen Homelands und in der Provinz KwaZulu-Natal leben. Dazu trügen eine klientelistische Gesetzgebung und illegale Praktiken der nach wie vor bedeutsamen traditionellen Behörden bei.
Soll für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Land gesorgt werden, ist demnach ein Umsteuern in verschiedenen Bereichen erforderlich. Cyril Ramaphosa setzte im September 2018 das bereits erwähnte (siehe S. 3) Gremium aus zehn erfahrenen Expertinnen und Experten ein, das ihn bei weiteren Schritten beraten soll. Die südafrikanische Regierung ist allerdings in erster Linie mit der politischen Frage konfrontiert, ob sie sich eine Entmachtung der einflussreichen traditionellen Behörden zutraut.
Gemeinschaftsland und Klientelpolitik
Ursprünglich wollte der ANC die bereits beschriebene Verwaltungsstruktur, die in den Gebieten der damaligen Homelands von traditionellen Behörden bestimmt war, nach dem Ende der Apartheid abschaffen. Doch dazu kam es nicht. Denn in den 1990er Jahren brachen gewaltsame Konflikte zwischen dem ANC und der Inkatha Freedom Party (IFP) auf, die sich für die Repräsentanz der ethnischen Gruppe der Zulu einsetzte. Um diese Konflikte zu beenden, ging der ANC Kompromisse ein. Aus ihnen resultierte auch die heutige Sonderstellung traditioneller Behörden.
Die Bevölkerung, die in den ehemaligen Homelands lebt, besitzt das Land in diesem Gebiet gemeinschaftlich – es befindet sich weder im Besitz des Staates noch in dem von Privatpersonen. In Südafrika betrifft das 17 Millionen der insgesamt 58 Millionen Menschen. Die traditionellen Behörden sollen nach südafrikanischem Recht das Land im Sinne der Gemeinden verwalten, die auf diesem Gebiet leben. Entscheidungen über die Nutzung des Landes sollen nach intensiver Konsultation gemeinschaftlich getroffen werden.
Ein Entgegenkommen speziell an die Gruppe der Zulus in der Provinz KwaZulu Natal war die Einsetzung des Ingonyama Trust (IT), der rund drei Millionen Hektar Land in KwaZulu Natal verwaltet. Der Zulu-König Goodwill Zwelithini ist der alleinige Treuhänder des Fonds, insgesamt neun weitere Mitglieder traditioneller Gemeinschaften sitzen im Verwaltungsrat.
Verschiedene Studien haben aufgezeigt, wie illegale Praktiken des Fonds die Rechte von Menschen verletzen, die auf dem Gemeinschaftsland leben. Sie besitzen Zertifikate (sogenannte Permission to Occupy Certificates [PTO]), die ihnen das Recht garantieren, auf Gemeinschaftsland zu wohnen. Menschen, die auf Gemeinschaftsland leben, benötigen von den traditionellen Behörden eine Wohnbestätigung. Diese Bestätigung ermöglicht es ihnen, Verträge zu schließen und beispielsweise ein Bankkonto zu eröffnen.
Der Trust nutzte die damit gegebene Abhängigkeit aus. Im Oktober 2017 schaltete er eine Anzeige, die Personen die Bestätigung einer Adresse versprach, wenn sie ihre PTOs in ein Pachtverhältnis umwandeln würden. Die Organisation verschwieg jedoch, dass dies mit Kosten verbunden war. Wenige Wochen später wurde vielen Personen neben den Pachtverträgen eine Rechnung über die Zahlung von Pacht zugesandt. Darüber hinaus schloss der IT Verträge mit Dritten ab, beispielsweise mit Bergbau-, Agrar- oder anderen Wirtschaftsunternehmen, die von ihm verwaltete Gebiete nutzen wollten. Indem er Pachtverträge einging, versuchte der IT die Konsultation mit den Gemeinden zu umgehen.
Im Motlanthe-Report wird festgestellt, dass die den traditionellen Behörden anzulastende Unterminierung der Rechte von Menschen, die auf Gemeinschaftsland leben, mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme sei. Diese Praxis sei in KwaZulu-Natal besonders stark ausgeprägt; dies gelte aber auch für andere Regionen in Südafrika.
Aninka Claassens, Wissenschaftlerin an der University of Cape Town und in der Motlanthe-Kommission zuständig für das Thema Landverteilung, macht für die Missachtung der Rechte der ländlichen Bevölkerung allerdings nicht nur die Praxis der traditionellen Behörden verantwortlich. Die südafrikanische Regierung habe in den 2000er Jahren diverse Erlasse verabschiedet, die den Spielraum der traditionellen Behörden ausgeweitet hätten, Geschäfte abzuschließen. Für sie sei es nun einfacher, Konsultationsprozesse zu umgehen. Von dieser Praxis habe auch die Regierung profitiert, wenn sie Verträge, beispielsweise mit Bergbaufirmen, an der Bevölkerung vorbei abschloss. Unter Jacob Zuma sei dies zwar zusehends häufiger praktiziert worden, allerdings habe es so etwas auch schon in der Regierungszeit seines Vorgängers Thabo Mbeki gegeben.
Hier spielt ein weiterer Aspekt mit hinein: Südafrika verfolgt seit 2001 eine Politik des Black Economic Empowerment (BEE). Danach muss ein bestimmter Anteil schwarzer Personen in den Verwaltungsstrukturen von Firmen und Unternehmen vertreten sein. Jede ökonomische Kooperation bringt somit Vorteile für eine aufstrebende schwarze Elite mit sich – ein Instrument, um die Ungerechtigkeiten aus der Apartheid auszugleichen. In der Praxis ist diese Elite häufig eng mit dem ANC verwoben. Beamte aus dem südafrikanischen Bergbauministerium (Department of Mineral Resources, DMR) sollen Firmen geraten haben, direkt mit den traditionellen Behörden über den Abschluss von Verträgen zu verhandeln. Denn so ließe sich die Konsultation mit ihren Gemeinden vermeiden – und das würde die Deals erleichtern.
Cyril Ramaphosa hat nach seiner Amtsübernahme bereits auf diese Missstände reagiert. Seit Februar 2018 hat es Umstrukturierungen im Bergbauministerium gegeben. Eine der zentralen Versprechungen Ramaphosas ist es, die Korruption in den südafrikanischen Verwaltungen einzudämmen.
Politisch aufgeheizt ist der Diskurs über die Frage, wie auf die Praktiken der traditionellen Behörden reagiert werden soll. Die EFF forderten eine komplette Verstaatlichung des Ingonyama Trust, um das Land anschließend der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Der Zulu-König erklärte daraufhin öffentlich, er sei notfalls bereit, in den Krieg zu ziehen, sollte der Fonds enteignet werden. Bei einem Besuch des Königs fiel Cyril Ramaphosa in einem symbolischen Akt vor ihm auf die Knie. Der Präsident versicherte, dass er die Rechte der traditionellen Behörden weiterhin ernst nehmen würde.
Ramaphosas Geste wurde teilweise mit großem Unverständnis aufgenommen. Gerade jene Teile der Bevölkerung, die sich seit langem eine Abkehr von den traditionellen Verwaltungsstrukturen wünschen, haben seinen Kniefall scharf kritisiert. Der ANC wiederum will erneute Konflikte mit den traditionellen Behörden tunlichst vermeiden, auch weil diese machtvolle politische Vertretungen besitzen.
Gerade für Ramaphosa ist ein Konflikt mit den traditionellen Eliten in KwaZulu-Natal vor den Wahlen heikel. Wegen der Präsenz der Inkatha Freedom Party ist diese bedeutsame Provinz ohnehin das Sorgenkind des ANC. Jacob Zuma erhielt seinerzeit politische Unterstützung in der Provinz, weil er selbst ein Zulu ist und über mächtige Netzwerke verfügte. Als er 2018 vom ANC zum Rücktritt gezwungen wurde, kam es zu Protesten von ANC-Anhängern aus der Provinz. Seitdem Ramaphosa das Amt des ANC-Parteichefs übernommen hat, kämpft er um die volle Unterstützung seiner Partei. Ein gutes Wahlergebnis könnte ihm den Rückenwind geben, den er braucht, um die nötigen Reformen bei der Verwaltung durch traditionelle Behörden anzugehen. Eine wirksame Entmachtung der traditionellen Eliten gilt jedoch als unwahrscheinlich, zu stark ist deren politische Lobby. Doch muss sich der Trust wegen seiner Praktiken gerade vor einem südafrikanischen Gericht verantworten.
Wohnen und Arbeiten in städtischen Zentren
Mindestens genauso wichtig wie die Landreform ist mittlerweile das Anliegen, städtischen Wohnraum in Südafrika zu schaffen und zu verteilen. Lebten 1980 rund 43 Prozent der Bevölkerung im urbanen Raum, waren es 2015 schon 60 Prozent. Und Prognosen der UN deuten auf steten Zuwachs hin – bis zu 80 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung könnten 2050 Städter sein. Angesichts des Zuwachses in den Städten ist es notwendig, mehr Wohnraum für die Bevölkerung bereitzustellen.
Auch hier spielt die Frage der Gerechtigkeit eine Rolle. Nicht nur mit der Verteilung von Grundbesitz, sondern auch mit ihrer Wohnungsbaupolitik hat das Apartheidregime die strukturelle Kluft zwischen Schwarzen und Weißen zementiert. Die Segregation zwischen dem weißen Zentrum und der nichtweißen Peripherie wirkt bis heute nach.
Seit 1994 wurden im Zuge eines sehr ambitionierten Programms für den sozialen Wohnungsbau ungefähr drei Millionen Wohneinheiten neu geschaffen. Ungeachtet dessen befinden sich heute noch bis zu 20 Prozent der südafrikanischen Haushalte in traditionellen oder informellen Siedlungen; Letztere sind in der Regel ohne Genehmigung gebaut worden sind. In Kapstadt, der reichsten Stadt Südafrikas, hatten 2016 81,6 Prozent aller Haushalte Zugang zu legalem Wohnraum. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass knapp ein Fünftel der Bevölkerung dort weder in rechtlich gesicherten Mietverhältnissen lebt noch legalen Zugang zu Gütern wie Strom oder Wasser hat.
Im sozialen Wohnungsbau (»Reconstruction and Development Programme«) werden Einheiten größtenteils in jenen Vierteln an der Peripherie errichtet, die der schwarzen Bevölkerung unter dem Apartheidregime zugewiesen wurden. Zwar sind viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner tief in ihren Gemeinden verwurzelt; das »Township« ist heute nicht mehr unbedingt ein Ort sozialer Benachteiligung. Kritiker bemängeln gleichwohl, dass der soziale Wohnungsbau in den Townships fernab der ökonomischen Zentren die Segregation fördere.
Diese Form der Segregation ist mit einer Reihe weiterer Probleme verbunden. Um in die urbanen Zentren zu gelangen, müssen viele Personen weite Strecken zurücklegen. Dies verursacht sehr hohe Kosten und beeinträchtigt ihre Chancen auf dem südafrikanischen Arbeitsmarkt. Weil die Kosten hoch und die Wegstrecken sehr lang sind, schlafen viele wochentags in den Innenstädten auf der Straße oder in besetzten Häusern, damit sie ihre Arbeit ausüben können.
Laut einer Erhebung der südafrikanischen Statistikbehörde aus dem Jahr 2015 wenden über die Hälfte der ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung mehr als ein Fünftel des Haushaltseinkommens für Transportkosten auf; bei den reichsten 20 Prozent der Haushalte entfallen nur rund 3 Prozent ihrer Einkommen auf Transporte.
Die südafrikanische Regierung hat mehrere Programme aufgelegt, um den Problemen zu begegnen. Unter dem Slogan »Corridors of Freedom« hat sie die Schaffung eines Nah- und Fernverkehrsnetzes angestoßen, das die Mobilität verbessern und auf diese Weise ökonomische und soziale Gleichheit herbeiführen soll. Doch die bisherigen Konzepte haben die soziale Segregation nicht beseitigen können, wie das Beispiel Johannesburg zeigt. Bislang nutzen vornehmlich Angehörige der Mittel- und Oberschicht den sogenannten »Gautrain«, einen modernen Schnellzug, der ökonomisch bedeutsame Stadtteile Johannesburgs und Pretorias miteinander verbindet. Für jemanden mit durchschnittlichem Verdienst ist der Zug zu teuer. Die Busse der Firma Rea Vaya sind erschwinglicher. Nach wie vor legt ein Großteil der Bevölkerung große Strecken aber immer noch zu Fuß zurück oder nutzt das informelle System der Minibusse, das auch die peripheren Stadtteile miteinander vernetzt.
Heute findet soziale Mischung der rassistisch segregierten Gruppen in erster Linie dann statt, wenn schwarze Südafrikanerinnen und Südafrikaner sozial aufsteigen und in der Folge in die ehemals weißen Wohnviertel ziehen. Dabei gibt es in Südafrika diverse Bestrebungen, die Segregation zu überwinden. Das City Support Programme (CSP) zielt beispielsweise darauf ab, durchmischte Wohn- und Arbeitsviertel zu schaffen, in denen eine bessere Mobilität herrscht und Dienstleistungen breiter zugänglich sind. Eine Herausforderung für die Stadtplanung ist es dabei, eine Balance zu finden zwischen der staatlichen Verantwortung, den Investitionen des privaten Sektors und der Einbeziehung der Bevölkerung. Dazu ist vor allem Zeit und Geduld nötig.
Allerdings besteht schon jetzt die Möglichkeit, Boden in den Städten kurzfristig bereitzustellen. So könnte etwa ungenutzter staatlicher Wohnraum in südafrikanischen Städten erschlossen werden oder es ließen sich bereits bestehende informelle Siedlungen infrastrukturell entwickeln. Land in staatlichem Besitz könnte ohne große Anstrengungen freigegeben werden, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Nicht zuletzt bedarf es aber vor allem langfristiger Konzepte für eine nachhaltig angelegte Entwicklung der urbanen Zentren.
Frustrationspotential
Die Analyse hat deutlich gemacht, dass die kontrovers diskutierten Enteignungen ohne Entschädigung nur ein Element der Landreform in Südafrika sind. Dass sich die ungleiche Einkommensverteilung in Südafrika mit der Enteignung von Weißen quasi im Handstreich aus der Welt schaffen ließe, ist lediglich ein leeres Versprechen vorrangig populistischer Kräfte. Immerhin haben sie damit aber den ANC zum Einlenken gezwungen.
Die neueste Erhebung des Afrobarometers unterstreicht die große Bedeutung, die eine gerechtere Verteilung von Ressourcen für die Südafrikanerinnen und Südafrikaner hat: 62 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bereit wären, ihr Wahlrecht aufzugeben, wenn sie dafür Zugang zu sozialen Dienstleistungen und wichtigen Gütern erhielten (etwa zu Wasser oder zu Wohnraum). Die Unzufriedenheit kommt auch in den politischen Protesten zum Ausdruck, deren Zahl sich in den letzten Jahren erhöht hat.
Südafrika ist nach wie vor ein Staat mit demokratischen Prinzipien und gefestigten Institutionen, die durch Jacob Zumas »State Capture« zwar beschädigt, aber nicht zerstört wurden. Ein großer Teil der Bevölkerung steht Enteignungen ohne Entschädigung kritisch gegenüber: 53 Prozent befürworten das Prinzip des »Willing Buyer, Willing Seller«. Die Konsultationen der Regierung zeigen aber auch, dass sich vor allem die benachteiligten Gruppen für die radikalere entschädigungslose Enteignung aussprechen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die nächste südafrikanische Regierung wieder vom ANC geführt. Sie wird mit der Aufgabe konfrontiert sein, eine Landreform durchzusetzen, die schnelle sichtbare Erfolge zeitigt, aber trotzdem nach den Regeln der Demokratie vollzogen wird. Ein erneutes Scheitern bei der Umverteilung von Land würde die ohnehin bestehende Frustration der Bevölkerung noch verstärken.
Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
Laura Kotzur war Praktikantin in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
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doi: 10.18449/2019A16