Die Förderung von staatlich-privaten Kooperationen in rohstoffreichen Ländern im Globalen Süden kann eine flankierende Maßnahme sein, um die Wirkung von Lieferkettengesetzen zu unterstützen. Der Fall der Corona-Bekämpfung im südafrikanischen Bergbausektor zeigt, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Staat und privaten Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen dazu dienen kann, die Nachhaltigkeit transnationaler Lieferketten zu erhöhen. Dennoch bergen diese Kooperationen das Risiko negativer Kaskadeneffekte, wenn staatliche Kernaufgaben an Unternehmen delegiert werden. Die Bundesregierung sollte daher auch das staatlich-regulatorische Umfeld im Bergbausektor und insbesondere die Qualität der Umsetzung von Gesetzen in den Partnerländern mit in den Blick nehmen und Maßnahmen auf den Weg bringen, die dazu beitragen können, soziale und ökologische Rechte zu stärken.
Mit der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hat Deutschland neue Wege hin zu einer verbindlichen Regulierung von Lieferketten beschritten. Es folgt damit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden, die bereits verbindliche Regulierungen umsetzen. Mit Inkrafttreten des deutschen Gesetzes zu Beginn des Jahres 2023 steigen die Anforderungen an aktuell etwa 600 Unternehmen. Sie müssen sicherstellen, dass es in ihrem unmittelbaren Geschäftsbereich und bei ihren direkten Zulieferern nicht zu Verletzungen von Menschenrechten und spezifischen Umweltstandards kommt.
Nachhaltigkeit durch öffentlich-private Allianzen
Deutschland ist als exportorientierte Ökonomie besonders abhängig von Rohstoffimporten. Die digitale Transformation und die Energiewende werden den Rohstoffbedarf voraussichtlich weiter erhöhen. Dabei ist die nachhaltige Gestaltung von Rohstofflieferketten eine große Herausforderung. Denn diese sind aufgrund der Vielzahl von Verarbeitungsschritten, die mitunter in unterschiedlichen Ländern stattfinden, besonders komplex. Gleichzeitig ist die Steuerungsfähigkeit der deutschen Politik im Hinblick auf transnationale Rohstofflieferketten begrenzt, da die Bundesregierung nicht unmittelbar auf die Setzung von Standards und auf deren Um- und Durchsetzung vor Ort einwirken kann. Auch verfügt Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten nicht über große Bergbauunternehmen, die den Abbau vor Ort mitgestalten und auf diese Weise zu »sauberen« Lieferketten beitragen könnten.
Der industrielle Abbau von Rohstoffen geht mit gravierend negativen ökologischen und sozialen Begleiterscheinungen einher und führt in vielen Ländern der Welt zu massiven Konflikten. Eine stärkere Um- und Durchsetzung von Nachhaltigkeitszielen ist in diesem Sektor daher unabdingbar. Die Reichweite von Lieferkettengesetzen ist begrenzt. Rechtliche Regelungen in rohstoffimportierenden Ländern können die vielschichtigen Herausforderungen entlang von Rohstofflieferketten nicht lösen. Deswegen stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung – und auch die EU, sollte sie sich zu einem verbindlichen europäischen Lieferkettengesetz durchringen – durch flankierende Maßnahmen die Umsetzung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards in Rohstofflieferketten erhöhen könnten.
Bedarf dafür besteht besonders in großen industriellen Projekten des Rohstoffabbaus, bei denen es – aufgrund von unterschiedlichen Interessen – häufig zu Konflikten zwischen Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und betroffenen Gemeinden kommt. Multi-Stakeholder-Ansätze, die als Ziel auch in den Sustainable Development Goals (SDGs) verankert sind, bieten sich hier an, denn diese Formate beziehen verschiedene Akteure und ihre Interessen mit ein und sind auch bereits in unterschiedlicher Form in rohstoffreichen Ländern etabliert. Damit erhöhen sich die Legitimität der von diesen Gruppen getroffenen Entscheidungen und die Wahrscheinlichkeit, dass die gemeinschaftlich beschlossenen Standards durchgesetzt werden. Derartige Modelle, die auf einer Kooperation zwischen der jeweiligen Regierung und privaten Akteuren (profitorientierten Firmen und nicht-profitorientierten privaten Organisationen) beruhen zu dem Zweck, gesellschaftliche Ziele zu erfüllen, bezeichnet man als Public Private Partnerships (PPP).
Die Bundesregierung kann solche PPPs im Rahmen der bilateralen (entwicklungspolitischen) Zusammenarbeit anstoßen bzw. fördern. Auf diese Weise kann sie die Partnerländer bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards unterstützen und somit indirekt auf die Governance vor Ort einwirken.
Sozialer Sprengstoff im Bergbau
Die Einbeziehung von Bergbaufirmen in die Impfkampagne in Südafrika gilt als jüngstes Beispiel für eine erfolgreiche staatlich-private Allianz. Es illustriert gleichzeitig, wie Nachhaltigkeit in einem Land gestaltet werden kann, in dem es häufig zu Konflikten im Rohstoffsektor kommt.
Für die südafrikanische Wirtschaft spielt die Rohstoffindustrie eine zentrale Rolle: Mit über 450.000 Beschäftigten zählt sie zu den größten Arbeitgebern des Landes und hatte im Jahr 2020 einen Anteil von 8,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt.
Die südafrikanische Bergbaugesetzgebung hat hohe soziale und Umweltstandards etabliert, hinzu kommen freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen. Die Regulierung des Bergbaus in Südafrika ist somit anschlussfähig an die regulatorischen Rahmenbedingungen der europäischen Lieferkettengesetze.
Dennoch kommt es in Südafrika immer wieder zu massiven Konflikten um den industriellen Bergbau. Ein besonders dramatisches Beispiel, das internationale Aufmerksamkeit erfahren hat, war das Massaker von Marikana im Jahr 2012, bei dem die südafrikanische Polizei 34 Minenarbeiter bei einem »wilden Streik« erschoss. Gegenstand des Konflikts waren die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in den Siedlungen rund um die Platin-Mine Marikana in der Gemeinde Rustenburg, die von der britischen Firma Lonmin betrieben wurde. Auch deutsche Unternehmen waren als Hauptabnehmer von Lonmin in die Lieferkette involviert.
Der Gewaltexzess von Marikana mag ein Einzelfall sein, aber er ist nur ein besonders krasser Ausdruck für einen Dauerkonflikt. Ein umfassender Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2019 beschreibt die Stimmung in vielen Bergbaugemeinden Südafrikas als ein »Klima der Angst«, in dem Menschen, die Bergbauvorhaben kritisieren, bedroht werden, um ihr Leben fürchten und dabei auch unter staatlichen Repressionen leiden.
Das zeigt, dass zwischen regulatorischem Anspruch und der Wirklichkeit im südafrikanischen Bergbausektor eine massive Lücke klafft, zumal die Erwartungen hinsichtlich der Entwicklungspotentiale, etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Verbesserung der Infrastruktur, in den betroffenen Gemeinden hoch sind. Umso bedeutsamer ist es, die Bedingungen für erfolgreiche Allianzen zwischen dem Staat, den Unternehmen und nicht-profitorientierten Organisationen in den Blick zu nehmen.
Covid-19-Bekämpfung im südafrikanischen Bergbausektor
Bereits zu Beginn der Gesundheitskrise, die die weltweite Verbreitung des Coronavirus ausgelöst hat, forderte die südafrikanische Regierung private Unternehmen dazu auf, bei der Bekämpfung der Pandemie und der Bewältigung der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgen mitzuhelfen. Auch der südafrikanische Covid-19-Wiederaufbauplan aus dem Oktober 2020 setzt auf eine Stärkung von Public Private Partnerships. Bei der Pandemiebekämpfung waren diese staatlich-privaten Allianzen erfolgreich: Die Impfquote im Bergbausektor ist fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.
Kooperation zur Minimierung von Covid-19-Risiken im Bergbau
Noch während des strikten Lockdowns in Südafrika beschloss die Regierung im April 2020 die Wiederaufnahme des Bergbaubetriebs mit halber Produktionskapazität. Dafür mussten allerdings umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ergriffen werden. Die Arbeit in den meist engen und schlecht durchlüfteten Minen, und die Schwierigkeit, dort Abstandsregeln einzuhalten, sowie die weite Verbreitung von Vorerkrankungen unter der Belegschaft erhöhten das Risiko für Infektionen und schwere Krankheitsverläufe. Eine überdurchschnittliche arbeitsbedingte Mobilität und prekäre Lebensbedingungen, insbesondere in den zahlreichen informellen, mit unzureichender Infrastruktur ausgestatteten Bergbausiedlungen, erschwerten die Pandemiebekämpfung zusätzlich.
Vor diesem Hintergrund fanden seit Beginn der Pandemie intensive Verhandlungen zwischen dem Bergbauministerium, Unternehmen und Gewerkschaften statt. Das Ministerium reagierte zügig mit dem Erlass zunächst freiwilliger, später verbindlicher Arbeitsschutzrichtlinien für die Förderunternehmen und kündigte Stichkontrollen an, um deren Umsetzung zu überwachen. Der Minerals Council of South Africa (MCSA) – der bedeutendste Industrieverband und Repräsentant der größten Bergbaufirmen des Landes – kooperierte umfangreich und übernahm darüber hinaus sogar die zentrale Rolle bei der Pandemieeindämmung innerhalb des Sektors. Der MCSA stimmte nicht nur den strikten Covid-Protokollen zu, sondern etablierte auch zahlreiche freiwillige Begleitmaßnahmen. Im Januar 2021 sagte der Verband öffentlich die Unterstützung der anlaufenden nationalen Impfkampagne zu – und setzte sie im Bergbausektor erfolgreich um.
Die Rohstofffirmen haben hohe Testkapazitäten aufgebaut und ein niedrigschwelliges Impfangebot bereitgestellt. Im Bergbau wird doppelt so häufig getestet wie im Landesdurchschnitt. Die Industrie setzt dabei auf breite Aufklärungskampagnen zu Covid und zur Impfung und schafft gezielte Impfanreize. Angestellte in Minen können sich in 75 Impfzentren, oft in direkter Nähe zu den Minen, immunisieren lassen. Nach Angaben des MCSA waren Mitte Dezember knapp 71 Prozent der circa 450.000 Mitarbeitenden im Sektor mindestens einmal geimpft, während die landesweite Impfquote bei Erwachsenen bei 43 Prozent lag.
Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung der Impfkampagne
Eine Reihe von Faktoren hat die konstruktive Zusammenarbeit von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften begünstigt:
Gemeinsames Interesse: Eine Hauptbedingung für die erfolgreiche öffentlich-private Kooperation zur Eindämmung von Corona war das gemeinsame Interesse aller drei Akteure, die Produktion im Bergbausektor aufrechtzuerhalten, nicht zuletzt in Anbetracht der aktuell hohen Rohstoffpreise und der Aussicht auf maximale Gewinne. Trotz einiger pandemiebedingter Einschränkungen konnte die Versorgung der internationalen Märkte auch tatsächlich gewährleistet werden Gemäß den Berechnungen der Südafrika-Niederlassung von Price Waterhouse Coopers (PWC) Südafrika war der südafrikanische Bergbau im Finanzjahr 2021 (Juli 2020 – Juni 2021) sehr profitabel. So stiegen die Einnahmen im Sektor gegenüber dem Finanzjahr 2019 um 33 Prozent auf etwa 793 Milliarden Rand (rund 44 Mrd. Euro). Sie bescherten dem angespannten Staatshaushalt schätzungsweise 229 Milliarden Rand, etwa 12 Milliarden Euro. Im Finanzjahr 2021 bekräftigen die Rohstoffförderer wieder ihre Rolle als wichtiger Arbeitgeber des Landes: Etwa 2,3 Millionen Arbeitnehmer waren direkt im Bergbau oder in den vor- und nachgelagerten Branchen beschäftigt.
Von der Freiwilligkeit zum Unternehmensstandard: Dass die Impfkampagne im Bergbausektor so erfolgreich war, verdankt sich einem Gerüst aus beständigen Kooperations- und Aushandlungsprozessen. So diente der Mine Health and Safety Council – in dem Vertreter der Regierung, der Unternehmen und der Gewerkschaften sitzen – als wichtiges Gremium zur Koordination der Pandemiebekämpfung. Während die meisten Arbeitnehmervertreter im Council das Vorgehen des Ministeriums und der Industrie weitgehend widerspruchslos unterstützten, wählte die regierungskritische Gewerkschaft Association of Mineworkers and Construction United (AMCU) einen anderen Weg. Über einen Gerichtsprozess im April 2020 erreichte sie die gesetzliche Anerkennung von Covid-19 als Angelegenheit des Arbeitsschutzes. Damit war das Bergbauministerium verpflichtet, für die Unternehmen im Rohstoffsektor verbindliche Richtlinien zum Gesundheitsschutz zu erlassen.
Gesundheits- und Arbeitsschutzrechte: Ein weiterer zentraler Treiber der produktiven staatlich-privaten Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung waren die bereits etablierten rechtlichen Rahmenbedingungen. Mit dem »Mine Health and Safety Act« war 1996 nicht nur der erwähnte Council gegründet worden; das Gesetz hatte auch umfangreiche Gesundheits- und Arbeitsschutzstandards im Sektor verankert. So sind für Minenarbeiter jedes Jahr ärztliche Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen, durch die Gesundheitsrisiken früh erkannt und bestehende Erkrankungen überwacht werden. Da die Corona-Prävention wie erwähnt inzwischen auch als Arbeitsschutzmaßnahme gilt, ist eine entsprechende Vorsorge gegen die Verbreitung von Covid-19 mittlerweile engmaschig in den Arbeitsalltag integriert.
Gesundheitsinfrastruktur: Um den Anforderungen des Arbeitsschutzes trotz der schlechten öffentlichen Versorgung gerecht zu werden, haben die meisten Unternehmen eigene Gesundheitszentren aufgebaut und mit qualifiziertem Personal ausgestattet. Zudem profitiert der Sektor von seiner langjährigen Erfahrung im Kampf gegen Tuberkulose und HIV/AIDS. Diese private Gesundheitsinfrastruktur konnte während der Pandemie genutzt werden und Angestellte im Bergbau waren somit nicht auf das schwache und stark fragmentierte Gesundheitssystem Südafrikas angewiesen. Im Rahmen der Sozial- und Beschäftigungspläne, die an die Vergabe der Bergbaulizenzen geknüpft sind, wurden bereits vor der Pandemie vielerorts Gesundheitseinrichtungen in Bergbaugemeinden verbessert oder neu errichtet. Auf diese konnte während der Pandemie zurückgegriffen werden.
Grenzen der Impfkampagne
Die Grenze der Impfkampagne beginnt vor dem Firmentor. Während der Großteil der Belegschaft inzwischen geimpft ist, sind viele Menschen in den Anrainergemeinden des Bergbaus weiterhin ungeschützt – und deren Unzufriedenheit wächst.
Die Interessen der Bergbaugemeinden werden weder von den südafrikanischen Gewerkschaften vertreten noch vom Ministerium ausreichend berücksichtigt. Auch fehlt den Kommunen ein eigenständiger Zugang zu etablierten Foren wie dem Mine Health and Safety Council. Zwar müssen Delegierte von Gemeinden nach dem Gerichtsurteil vom April 2020 in Multi-Stakeholder-Konsultationen mit einbezogen werden. Die vom Bergbau betroffenen Gemeinden beklagen jedoch, dass diese weiterhin ohne sie stattfinden. Das wichtige Instrument der Gemeinden und ihrer Vertreterinnnen und Vertreter, durch Protest und Streik auf sich aufmerksam zu machen und so Einfluss zu nehmen, ist wegen der Pandemie gegenwärtig nur eingeschränkt einsetzbar.
Der MCSA hat zugesagt, die Impfkampagne auf die Bergbaugemeinden auszuweiten. Doch diese Ankündigung scheint bislang nicht umfassend umgesetzt worden zu sein. Zwar gibt es vereinzelt Presseberichte über Impfaktionen in Gemeinden, aber Zahlen, die Aussagen über Impferfolge im Umfeld der Minen zulassen würden, liegen nicht vor. Diese fehlende institutionelle Einbeziehung der Bergbaugemeinden, kombiniert mit dem Frust über unzureichende materielle Teilhabe an den Profiten der Förderindustrie, erhöht das Konfliktpotential im Umfeld der Minen. Das Beispiel der Corona-Bekämpfung im Bergbau zeigt dabei erneut auf, dass das Engagement der Firmen die mangelnde staatliche Sorgfaltspflicht nur sehr begrenzt ausgleichen kann.
Positive und negative Kaskadeneffekte
Das Beispiel der Impfkampagne im südafrikanischen Bergbausektor gilt mit Blick auf die Frage der konkreten Problembewältigung – der Notwendigkeit, die Verbreitung von Corona im Bergbausektor einzudämmen – als erfolgreich. Gleichzeitig verdeutlicht die Analyse, dass sich aus dieser Form staatlich-privater Arrangements nicht nur positive, sondern auch negative Kaskadeneffekte ergeben. Die Übernahme der Verantwortung für staatliche Aufgaben durch Unternehmen geht mit einem stillschweigenden Rollentausch zwischen Staat und Unternehmen einher und kann in diesem Sinne nur bedingt als erfolgreiches Modell für staatlich-private Kooperationen angesehen werden. Aus diesem strukturellen Problem heraus lässt sich aber auch die generelle Konfliktanfälligkeit des südafrikanischen Bergbaus erklären.
Sicherung der Produktionsabläufe
Krisen wie die gegenwärtige Covid-19-Pandemie erhöhen für die Akteure innerhalb eines Wirtschaftszweigs – Staat, Firmen und Gewerkschaften – den Anreiz, durch ein gemeinsames Arrangement die Produktionsfähigkeit »ihres« Sektors aufrechtzuerhalten. Der südafrikanische Staat profitiert durch die Fortführung der Abbautätigkeit von den fiskalischen Mehreinnahmen und von der Sicherung dringend benötigter Arbeitsplätze und kann an seinem rohstoffbasierten Entwicklungsmodell festhalten. Die Bergbaufirmen wiederum haben keine finanziellen Ausfälle durch Produktionsunterbrechungen. Die Gewerkschaften, die im korporatistisch angelegten Regierungssystem Südafrikas eine zentrale Stellung einnehmen, tragen ihren Teil zur Erhaltung der Arbeitsplätze bei und beziehen weiterhin die damit verbundenen Mitgliedsbeiträge. Darüber hinaus sichern sie ihre politische Stellung, indem sie die Arbeitnehmerinteressen durchsetzen.
Staatliche Interessenkonflikte
Die starke Fokussierung des südafrikanischen Staats auf den reibungslosen Ablauf wirtschaftlicher Produktionszyklen spiegelt sich bereits in der Gesetzgebung des Landes wider. Diese zielt deutlich darauf ab, den Bergbaufirmen durch schlanke Verfahren und wenig Einspruchsmöglichkeiten durch externe Akteure einen störungsfreien Geschäftsbetrieb zu ermöglichen. Für die Umsetzung des Bergbaugesetzes ist das Bergbauministerium zuständig, dessen Außenstellen Anträge auf Erteilung von Schürfrechten prüfen, die wiederum vom Bergbauminister abgesegnet werden. Das Ministerium genehmigt auch die Sozial- und Beschäftigungspläne und kontrolliert den Arbeitsschutz in den Minen. Seit 2014 ist es zudem für die Umsetzung der Umweltgesetze zuständig. Das Umweltministerium kann lediglich Einspruch erheben, wenn bei ihm Beschwerden gegen die Genehmigung von Schürfrechten eingehen.
Dadurch entsteht innerhalb des Bergbauministeriums ein Interessenkonflikt. Aufgabe und oberste Priorität des Ministeriums ist es, den Bergbau in Südafrika zu fördern und neue Investitionen anzuziehen, um die staatlichen Einnahmen aus dem Sektor zu erhöhen. Die Durchsetzung umfassender Umweltstandards wird dabei eher als Hindernis wahrgenommen, dessentwegen sich Prozesse verzögern.
Die Defizite bei der Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards werden darüber hinaus durch den Umstand zementiert, dass in allen Ministerien Kapazitäten und Ressourcen fehlen, um die Einhaltung von Standards gründlich zu kontrollieren. Dieser Sachverhalt wird durch Korruption innerhalb der Ministerien, insbesondere im Bergbauministerium, und in den Kommunen noch verschärft. Mögliche externe Effekte der Bergbauaktivitäten, wie Wasser- oder Umweltverschmutzung, können aus diesem Grund nicht hinreichend überprüft werden. Die Umsetzung der gesetzlich verankerten Standards hängt in Bergbauregionen somit zunehmend vom Willen der Firmen ab, während der Staat durch die Auslagerung öffentlicher Aufgaben an private Firmen wichtige Kompetenzen und Handlungsspielräume verliert.
Risiken für Firmen
Für die Bergbaufirmen mag die Übernahme öffentlicher Zuständigkeiten auf den ersten Blick attraktiv sein. Doch begeben sie sich damit in Tätigkeitsbereiche, die außerhalb ihres Kerngeschäfts – des Abbaus und der Verarbeitung von Rohstoffen – liegen. Die Förderung von Entwicklung auf lokaler Ebene erfordert viel Sensibilität und Expertise, die Bergbaufirmen sich mühsam und in der Regel nach der Versuch-und-Irrtum-Methode aneignen müssen. Das verursacht hohe Kosten für die Unternehmen, während die erhoffte Wirkung der beachtlichen Ausgaben der Firmen für Investitionen in den vom Bergbau betroffenen Kommunen, sogenannte Corporate Social Investments, oft ausbleibt. Auch dies erklärt, warum viele soziale Proteste am Werkstor beginnen und nicht vor den Türen der lokalen Gemeindeverwaltung.
Bergbauunternehmen in Südafrika verfolgen bei der Umsetzung ihrer sozio-ökonomischen Verpflichtungen einen Compliance-orientierten Ansatz, das heißt sie orientieren sich an der Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen. In vielen Fällen führt dies jedoch nicht dazu, dass die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinden in angemessener Weise erfüllt werden und sich die dortigen Lebensbedingungen spürbar verbessern.
Dieses Manko wird dadurch verstärkt, dass die Sozial- und Beschäftigungspläne von Firmen oft nicht mit den integrierten Entwicklungsplänen der Kommunen abgestimmt sind, in denen diese im Fünfjahresturnus ihre Modernisierungsziele niederlegen. Ein Abstimmungsprozess zwischen den beiden Dokumenten wäre notwendig, um zu verhindern, dass die Gemeinden bei der Ausarbeitung der Sozial- und Beschäftigungspläne umgangen bzw. ignoriert werden und dadurch Unzufriedenheit entsteht. Die mangelnde Koordination befeuert geradezu unvermeidlich Streitigkeiten zwischen den Bergbaufirmen und den Kommunen über Zuständigkeiten, beispielsweise in der Frage der Unter- und Instandhaltung der von den Firmen finanzierten Infrastruktur wie Straßen, Schulen oder Krankenhäuser.
Viele Bergbauunternehmen investieren schon alleine aus Gründen der Risikominderung freiwillig in Infrastruktur und öffentliche Versorgung. Denn viele sehen mittlerweile in der sogenannten »sozialen Betriebslizenz« (Social License to Operate) das größte Störpotential innerhalb der Lieferkette. Eine fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für die Aktivitäten von Bergbaufirmen führt in den vom Bergbau betroffenen Gemeinden oft zu Konflikten, zu Streiks und Protesten und mitunter zur Unterbrechung der Produktion – mit hohen Kosten für alle Firmen entlang der Lieferkette.
Jenseits des Werkstors: Folgen fehlender staatlicher Fürsorge
Die starken Gewerkschaften fungieren im südafrikanischen Fall als Korrektiv, dank dessen – bis zu einem bestimmten Punkt – zumindest fundamentale Arbeitnehmerrechte geschützt werden können. Dies ist sogar im Interesse der Betriebe, da durch die Einhaltung von Arbeitsstandards der Produktionszyklus aufrechterhalten werden kann. Die Sicherung bestimmter Rechte und Privilegien für gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte birgt aber das Risiko, dass sich in den Bergbaukommunen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft herausbildet, da die Belegschaft am Arbeitsplatz von zusätzlichen Leistungen profitiert, die anderen Mitgliedern der Gemeinde nicht unbedingt zur Verfügung stehen.
Zudem können Bergbaufirmen vom Gesetzgeber nur für die Betriebsdauer der Mine zur Erbringung von Leistungen im sozialen, Gesundheits- und Infrastrukturbereich verpflichtet werden. Auch die freiwillige Bereitstellung von Leistungen erfolgt nur, solange eine Mine in Betrieb ist, um negative Auswirkungen auf die Geschäftsaktivität und dadurch entstehende Kosten abzuwenden. Wird eine Mine stillgelegt, verliert die lokale Bevölkerung den Zugang zu diesen Leistungen.
Lektionen für öffentlich-private Arrangements
Staatlich-private Kooperationen können als flankierende Maßnahme zum deutschen und geplanten europäischen Lieferkettengesetz durchaus positive Anreize setzen. Das Beispiel des südafrikanischen Bergbausektors verdeutlicht aber, dass das Instrument dann an seine Grenzen stößt und sogar negative Anreize setzt, wenn Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, zunehmend staatliche Aufgaben in den Bereichen Infrastruktur, lokale Entwicklung und Gesundheit zu erfüllen.
Eine Mitverantwortung der Firmen für die Einhaltung der Menschen- und Umweltrechte ist sowohl im deutschen Lieferkettengesetz als auch in der südafrikanischen Gesetzgebung fest verankert. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Unternehmen die auf staatlicher und kommunaler Ebene bestehenden Kapazitäts- und Ressourcenengpässe in der öffentlichen Verwaltung im Gegenzug für den Zugang zu lukrativen Schürfrechten ausgleichen. Das Risiko, das dies geschieht, ist in Ländern mit schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen besonders hoch.
Die Bundesregierung sollte daher bei der Förderung von staatlich-privaten Kooperationen das politische und regulatorische Umfeld in den Blick nehmen und, wo nötig, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Kapazitätsaufbau auf allen staatlichen Ebenen betreiben, um so die Korrektivfunktion öffentlicher Institutionen zu stärken, deren Fokus bislang nicht nur im südafrikanischen Fall in der Regel auf der wirtschaftlichen Förderung des Rohstoffsektors und weniger auf der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards liegt.
Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf dem Monitoring von Nachhaltigkeitszielen liegen, die nicht im unternehmensnahen Bereich liegen oder im Fokus der gewerkschaftlichen Interessenvertretung stehen. Hierzu gehören vor allem Umweltziele. Luft- und Wasserverschmutzung als Folgen des industriellen Abbaus von Rohstoffen treten häufig erst mit zeitlicher Verzögerung auf und gelangen meist erst dann auf den Schirm staatlicher Institutionen, wenn sie bereits gesundheitliche Schäden für Menschen mit sich bringen.
Um dem oben beschriebenen Risiko einer selektiven Interessenvertretung entgegenzuwirken, ist es unabdingbar, die Interessen der Gemeinden zu fördern – entweder durch Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung oder durch die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit zugunsten unabhängiger Institutionen in den Partnerländern einsetzen. Hierzu gehören Menschenrechtskommissionen oder unabhängige Ombudsstellen, die Beschwerden von Betroffenen aufgreifen und publik machen.
Im Hinblick auf Südafrika sind die Möglichkeiten der Einwirkung begrenzt. Das Land gehört zwar zu den acht »Globalen Partnern« Deutschlands im Reformkonzept BMZ 2030. Die Kooperation mit Südafrika konzentriert sich allerdings nicht auf den Rohstoffsektor. Daher hat Deutschland im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit nur bedingt Ansatzpunkte, um auf die staatliche Governance in diesem Produktionszweig einzuwirken, zumal die südafrikanische Regierung bislang weiterhin auf ein extraktives Wirtschaftsmodell setzt, das durch hohe Rohstoffpreise im Moment besonders attraktiv ist. Daher sollte erwogen werden, bestehende und geplante Projekte der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich Governance und Korruptionsbekämpfung auf den Rohstoffsektor auszuweiten. Dabei sollte es das Ziel sein, die staatliche Aufsichtsfunktion in diesem Industriebereich auf nationaler und regionaler Ebene zu stärken. Die Bundesregierung sollte sich weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, Südafrika zum Beitritt zur Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) zu bewegen. Damit würden die Zahlungsströme im Rohstoffsektor, insbesondere staatliche Einnahmen und deren Verwendung, sichtbar. Die Schaffung einer Multi-Stakeholder-Gruppe ist ein zentrales Element des EITI-Standards. Sie würde gewährleisten, dass Akteure in Südafrika, die bisher nur unzureichend in bestehende Dialogformate integriert sind, eine Stimme erhalten.
Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass im geplanten Lieferkettengesetz der EU ein risikobasierter Ansatz verankert und dementsprechend Regelungen fixiert werden, die auf die Minimierung von sozialen und Umweltrisiken und nicht (nur) auf die Erfüllung von gesetzlichen Mindeststandards abzielen. Dies ist eine Chance, bestehende Schwächen im deutschen Lieferkettengesetz zu korrigieren.
Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten und leitet das Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«. Dr. Christina Saulich arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Meike Schulze als Forschungsassistentin in diesem Projekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
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doi: 10.18449/2021A84