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Rohstoffversorgung in Zeiten geoökonomischer Fragmentierung

Die EU muss die außenpolitische Dimension ihrer Rohstoffpolitik stärken

SWP-Aktuell 2024/A 22, 09.04.2024, 8 Pages

doi:10.18449/2024A22

Research Areas

Die politische Einigung auf das Europäische Gesetz zu kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Act, CRMA) markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung einer gemeinsamen Rohstoffpolitik der Euro­päischen Union (EU). In Anbetracht wachsender geopolitischer Spannungen strebt die EU nach mehr »strategischer Auto­nomie« entlang von Rohstofflieferketten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine engere Zusam­menarbeit mit mineralreichen Drittstaaten unerlässlich. Das geopolitische Umfeld erfordert es, dass die EU in der Rohstoffaußenpolitik koordiniert auftritt. Nur so wird sie diplomatisch wie programmatisch ansprechende Rohstoffpartnerschaften umsetzen können.

Mineralische Rohstoffe bilden die Grundlage für nahezu alle industriellen Wertschöpfungs­ketten und sind daher von großer stra­tegischer Bedeutung für die europäische Wirtschaft. Da die EU die überwiegende Mehr­heit dieser Rohstoffe importieren muss, steht sie aktu­ell vor gewaltigen Heraus­forderungen. Gründe sind einerseits die stei­gende Nach­frage, an­ge­trieben durch den Bedarf an Technologien für die Energiewende, die Elek­tromobi­li­tät und die Digita­lisierung, andererseits die Tatsache, dass ein Großteil dieser Roh­stoffe aus Nicht-EU-Ländern be­zogen wird – mit ausgeprägten Abhängigkeiten von wenigen Lieferanten, insbesondere China.

Der rus­sische Angriffskrieg gegen die Ukra­ine und ausbleibende russi­sche Gas­lieferungen haben in Europa das Bewusstsein für die mit solchen Abhängigkeiten verbundenen Risiken geschärft. Es wächst die Sorge, dass Handel zunehmend als politisches Druckmittel instru­mentali­siert werden könnte. Vor diesem Hintergrund strebt die EU an, ihre »strate­gi­sche Auto­nomie« auch in wirtschaftlichen Belangen zu stärken. Dementsprechend zielt die im Jahr 2021 vor­gestellte Industriestrategie European Green Deal auf eine dop­pelte Transformation ab: Die EU soll ein grüner und digitaler Wirtschaftsstandort werden und gleichzeitig ihre wirtschaft­liche Resi­lienz verbessern, indem ihre kri­tischen (Import-)Abhän­gigkeiten in strate­gischen Sektoren verringert werden, zu denen auch der Rohstoffsektor gehört.

Der EU-CRMA: Schaffung resilienter Rohstofflieferketten

Im März 2023 präsentierte die EU-Kom­mis­sion ihren Vorschlag für den Critical Raw Materials Act. Dessen Ziel ist es, die Versor­gung der europäischen Industrie mit kriti­schen Rohstoffen sicher­zustellen. Die breite politische Unterstützung ermöglichte eine schnelle Einigung über die EU-Verordnung, die bald in Kraft tritt. Die Einführung des CRMA stärkt die Rolle der EU in der Roh­stoffpolitik – ein Bereich, der zuvor haupt­säch­lich in der Verantwortung der Mitglied­staaten lag. Die EU-Kommission wird fortan das European Critical Raw Mate­rials Board (CRM-Board) leiten, das in Ko­ope­ration mit Vertreter:innen der Mitgliedstaaten die Implementierung des CRMA koordi­nieren soll. Das europäische Engagement basiert auf der »Liste der kriti­schen Rohstoffe«, die alle drei Jahre aktualisiert werden soll. Im letzten Update von 2023 wurden 34 kriti­sche Roh­stoffe identifiziert. Der CRMA fokussiert auf die Untergruppe der strate­gischen Rohstoffe (derzeit 17 an der Zahl), die besondere strategische Bedeutung für die EU haben und sehr hohe Versorgungs­risiken aufweisen. Für diese Rohstoffe werden konkrete Ziele für 2030 gesetzt: erstens die Steige­rung der europäischen Kapa­zitäten im Berg­bau, bei der Weiter­verarbeitung und im Recycling, zweitens die Diversifizierung der Importquellen (siehe Grafik 1).

Grafik 1

Grafik 1: Europäisches Gesetz zu kritischen Rohstoffen (CRMA)

Ausbau europäischer Kapazitäten: Die Zielmarke 2030 ist zeitlich knapp gewählt, da bei Bergbauprojekten von der Exploration bis zur Inbetriebnahme durchschnittlich über 15 Jahre vergehen. Des Weiteren erfor­dert auch der Auf- und Ausbau von Weiter­verarbeitungs- und Recyclingkapazitäten enorme Anstrengungen. Hier setzt die För­derung strategischer Pro­jekte (strategic projects) an: Diese sollen vom CRM-Board ausgewählt werden und von beschleunigten Genehmigungen sowie der Identifizierung von Finanzierungsquellen profitieren. Der CRMA selbst enthält keine neuen direkten Investitionen. Indus­trievertreter:innen äußern sich daher kritisch bezüglich der Realisierbarkeit dieser Projekte. Selbst wenn die europäischen Kapazitäten zügig ausge­baut werden, wird die EU nie vollständig autark sein, denn viele kritische Rohstoffe lagern nicht oder nur in unzureichender Menge in der EU, zum Beispiel Nickel und Kobalt, die für Batte­rien gebraucht werden.

Diversifizierung der Importe: Importe aus Drittländern werden auf absehbare Zeit die Hauptsäule der Versorgung mit mineralischen Rohstoffen in der EU bilden. Deshalb ist die Diversifizierung der Bezugsquellen ein zentrales Ziel der EU-Rohstoffstrategie. Der CRMA legt fest, dass höchstens 65 Pro­zent eines strategischen Rohstoffs aus einem einzelnen Drittland importiert wer­den sollen. Dies ist insbesondere mit Blick auf die dominante Stellung Chinas bedeutsam: Als Schlüsselakteur in transnationalen Liefer­ketten ist China der Hauptlieferant der EU für die meisten mineralischen Roh­stoffe; beispielsweise stammen über 90 Pro­zent der Seltenen Erden, des Galliums und Mag­ne­siums aus dem Land. Ausgesprochen hoch sind die Abhängigkeiten Europas im Bereich der Weiterverarbeitung. So kont­rolliert China zurzeit über 50 Prozent der weltweiten Kapa­zitä­ten, um raffiniertes Lithium und Kobalt zu produzieren.

Grafik 2

Grafik 2: Strategische Rohstoffpartnerschaften im CRMA

Um ihre Diversifizierungsziele zu errei­chen, muss die EU ihre Kooperation mit mineralreichen Staaten intensivieren. Dafür sieht der CRMA vor, strategische Rohstoff­partnerschaften (Strategic Raw Material Part­nerships) zu etablieren. Seit 2021 hat die EU-Kommis­sion bereits zwölf solche Part­ner­schaften initiiert und weitere ange­kündigt. Neben industrialisierten Berg­bau­ländern wie Kanada gehören zu den Roh­stoff­part­nern der EU auch zahlreiche Län­der aus dem sogenannten »Globalen Süden«.

Die meisten dieser bisher geschlossenen Partnerschaften basieren auf knapp formu­lierten Absichtserklärungen (Memoranden of Understanding, MoUs), die das Interesse an einer Zusammenarbeit im Rohstoffsektor bekunden. Diese Kooperatio­nen gilt es nun konkret auszugestalten. Hier­für sollen ge­meinsame Roadmaps aus­gearbeitet werden, in denen den Partner­staaten die Mög­lich­keit gegeben werden soll, eigene Prio­ritäten einzubringen und aktiv an der Gestaltung mitzuwirken. Das erklärte Ziel der EU ist eine Win-win-Situa­tion. Das ist durchaus ambitioniert – vor dem Hinter­grund, dass rohstoffreiche Länder konkrete Forderungen nach mehr Wertschöpfung im eigenen Land stellen.

Zu den Kernzielen und der geplanten Umsetzung der strate­gi­schen Rohstoffpartner­schaften siehe Grafik 2.

Geoökonomischer Kontext der EU-Rohstoffstrategie

Um als glaubwürdiger Partner im Rohstoff­sektor wahrgenommen zu werden, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Ange­bote anpassen und mit einer kohärenten Rohstoffaußenpolitik versehen. Denn bis­lang gelingt es der EU nicht, ihr Angebot an rohstoffreiche Länder wirk­sam neben etab­lierten Akteuren wie China zu platzieren. Wenn über­haupt, wird die EU lediglich als Teil von US-angeführten Initia­tiven gesehen.

Außerdem bleiben viele Part­nerländer skeptisch gegenüber Europas Kooperationsversprechen. Dies liegt zum einen an der bisherigen Zurück­haltung europäischer Unternehmen im Rohstoffsektor, zum ande­ren an signifikanten Macht­asymmet­rien in der Wertschöpfungskette. Diese Skepsis wird verstärkt durch die europäische Förderpolitik für heimische Industrien und durch die Einführung unilateraler Nach­haltigkeitsstandards wie dem CO2-Grenz­ausgleichssystem (CBAM), die oft als europä­ischer Protektionismus empfunden werden.

Forderungen mineralreicher Länder nach mehr Wertschöpfung

Die lokale Wertschöpfung ist ein Kern­anliegen rohstoffreicher Länder. Diese suchen in­mitten der steigenden globalen Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen Kooperationspartner, die Risiken des Roh­stoff­abbaus adressieren und lokale indust­rie­politische Ziele unterstützen.

Das strategische Vorgehen Indonesiens dient dabei vielen mineralreichen Ländern als Vorbild: Ab dem Jahr 2014 implementierte die indonesische Regierung Exportverbote für unverarbeitete Rohstoffe, ein­schließlich Nickel, einen Schlüsselrohstoff für die Stahl- und Batterieproduktion. Einen Han­dels­konflikt mit der EU in Kauf neh­mend, ge­lang es Indonesien so, die lokale Weiter­verar­bei­tung zu fördern und höhere Export­gewinne zu erzielen. Aktuell wird mit inter­natio­na­len Investoren daran gearbeitet, die lokale Batte­rie­produktion aufzubauen.

In vielen rohstoffreichen Ländern im Globalen Süden ist ein Trend zu industriepolitischen Interventionen zu beob­achten, die darauf abzielen, die lokale Wert­schöp­fung zu steigern. Die An­sätze und Mög­lich­keiten für derartige Maß­nahmen vari­ieren erheb­lich und sind abhängig von den jewei­ligen Rohstoffen sowie dem loka­len und regio­nalen Kontext. Viele Staaten be­ab­sich­ti­gen, den Rohstoffabbau mit ver­schie­denen vor- und nach­gelagerten Produk­tions­schrit­ten zu ver­knüpfen (linkages), was an be­stimmte Voraussetzungen wie Energie- und Transportinfra­struk­tur oder qualifizierte Fach­kräfte gebunden ist. Die Fähig­keiten der Regierungen für die indust­rie­politische Pla­nung unterscheiden sich stark, ebenso die Kapazitäten für die Um­setzung.

So sind es im Wesentlichen zwei Gruppen mineralreicher Länder, die von ihren Part­nern fordern, auch an höheren Wertschöpfungs­stufen in Lieferketten beteiligt zu wer­den: Die erste Gruppe umfasst die sogenannten »Mitt­leren Mächte«, zu denen mineralreiche Schwellen­länder wie Indonesien, Argentinien, Chile, Brasilien und Südafrika zählen. Sie haben sich nicht nur als Rohstoff­produ­zen­ten etab­liert, sondern spielen auch deshalb eine sig­ni­fikante Rolle auf dem globalen Rohstoffmarkt, weil sie (potenzielle) Zent­ren für die Weiter­verarbeitung von Roh­stoffen aus be­nachbar­ten Ländern sind. Dazu trägt bei, dass sie einige transnational agierende Berg­baufirmen beheimaten, darunter staat­liche Unter­nehmen wie Codelco (Chile) oder pri­vate Kon­zerne wie Anglo American (Süd­afrika). Auf der internationalen Bühne treten sie durchaus selbstbewusst auf und verknüpfen Rohstoffkooperationen mit weiteren außen- und handelspolitischen Themen. Einige die­ser Länder hinterfragen offen die west­liche Domi­nanz in der Welt­wirtschaft, ver­suchen aber gleichzeitig, ihre eigenen einseitigen Ab­hängig­kei­ten zu re­du­zieren – auch von China. Daher ist ein größe­rer Zugang zum euro­päischen Binnen­markt für sie oft attraktiv. Aller­dings fordern sie mehr Mitspracherechte in der Gestaltung von Kooperationsformaten.

Die zweite Gruppe bilden diverse kleinere Volkswirtschaften mit strategischen Roh­stoff­vorkommen, unter anderem Sambia, die Demo­kratische Republik Kongo (DR Kongo), Namibia und Usbekistan. Für diese Staaten ist der Export von unverarbeiteten Roh­stof­fen oftmals die primäre Einnahmequelle. Viele dieser Länder sind einseitig abhängig von den Aktivitäten weni­ger Berg­baufirmen oder von bestimmten Export­destinationen (meistens China), was zu einer hohen wirt­schaftlichen Vul­ne­rabilität führt. Struk­turelle Herausforderungen wie mangelnde Infrastruktur und geringe adminis­trative Kapazitäten erschweren die Um­setzung industriepolitischer Strate­gien zusätzlich. Dennoch bemühen sich diese Länder, ihre internationalen Bezie­hun­gen aktiv zu ge­stal­ten und die derzeit hohe Nach­frage nach Metallen zu nutzen, um gewinnbringende Kooperationen ein­zugehen.

Beide Gruppen teilen das Bestreben, sich nicht im geopolitischen Spiel der wirtschaft­lichen Supermächte aufreiben zu lassen. Sie wollen bestehende Handelsbeziehungen nicht kompromittieren und sich alle Optio­nen offenhalten.

Diplomatischer Balanceakt

Die meisten mineralreichen Staaten haben Interesse an ungestörten wirtschaftlichen Beziehungen mit China. In den letzten zehn Jahren hat China durch die Belt and Road Initiative (BRI) enge politische wie wirt­schaft­liche Beziehungen zu rohstoff­reichen Staa­ten aufgebaut; die entstandene Trans­port- und Logistikinfrastruktur ermöglicht die Vernet­zung mit chinesischen Industrien.

Nun steht die chinesische Kreditvergabe, oft abgesichert durch Rohstofflieferungen, immer wieder in der Kritik. Einige Regie­run­gen, wie jüngst diejenige der DR Kongo, hinter­fragen die Vertragstreue chinesischer Unter­nehmen und streben teilweise sogar Neu­verhandlungen an. Trotzdem ist für viele Regierungen China ein bedeutsamer Ent­wick­lungspartner, der auch langfristig im Rohstoffsektor involviert bleiben wird. Seit der Covid-19-Pandemie hat die chine­si­sche Regierung ihren Blick zwar verstärkt auf die heimische Wirtschaft gerichtet und chinesische Direkt­inves­titionen im Aus­land sind in vielen Berei­chen zurückgegangen, nicht allerdings bei Roh­stof­fen. Chine­sische Inves­titionen und neue Verträge haben hier 2023 ein neues Hoch erreicht. Zudem hat China den expor­tieren­den Län­dern zugesagt, ihre Industrialisierungs­bemühungen zu unter­stützen und lokale Projekte zu fördern. Dies unterstreicht: Die EU – eben­so wie andere Indust­rie­natio­nen – kann weder mit den Investitions­höhen noch mit dem Umfang und der Attrak­tivität der Gesamtpakete kon­kurrie­ren, die China seinen Partnern bietet.

Und doch haben sich vor allem die Ver­einigten Staaten diesem Vorhaben ver­schrie­ben. Aufgrund der Rivalität mit China hat die sichere Rohstoffversorgung in den USA politische Priorität erlangt. Die Biden-Admi­nistration hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein umfassendes Programm zur Stär­kung heimischer Industrien vorgestellt. Sie investiert beträcht­liche Summen in Form von Subventionen und steuerlichen An­rei­zen, nicht zuletzt um die Privatwirtschaft zu motivieren, neue Importquellen für Roh­stoffe zu er­schließen. Bei aus­ländischen Direktinvestitionen legen indes auch die USA eine gewisse Zurückhaltung an den Tag. Um die Diversifizierung voranzutreiben, setzen sie auch auf internationale Kooperationen, insbesondere die 2022 etablierte Mineral Security Partner­ship (MSP). In dieser suchen sie den Schulter­schluss mit verbündeten Staa­ten (allies), um finanzielle Synergien zu schaffen und Risi­ken für Investitionen in Rohstoffprojekte zu minimieren. Mitglied der Initiative sind derzeit 14 Staaten (dar­unter Deutschland) und die EU.

Die ame­rikanische Motivation, riskante Ab­hängigkeiten von China in Lieferketten so weit wie möglich zu reduzieren, findet in Europa Anklang. Jedoch zeigt sich die EU in ihrer diplo­matischen Position zurück­haltender als die USA: Kommissionspräsiden­tin von der Leyen betonte auf dem EU-China-Gipfel im Dezember 2023 erneut, dass eine Ent­kopplung (decoupling) von China nicht im Interesse Europas liege.

Die europäische Rohstoff­diplomatie gegenüber China und den USA ist ein Balanceakt. Gleichzeitig bedarf es einer sorgfältigen Abwägung im Umgang mit neuen, aufstrebenden Ak­teuren. Beson­dere Aufmerksamkeit ver­dient Saudi-Arabien, das sich als mittlere Macht poten­ziell im Roh­stoffsektor etablieren könnte. Mit der Ab­sicht, die Wirt­schaft über den Export fossi­ler Brenn­stoffe hinaus zu diver­sifizieren, richtet Saudi-Arabien seinen Fokus unter anderem auf mineralische Roh­stoffe. Das Land stellt in beträchtlichem Umfang Kapital bereit für Investitionen sowohl in den heimischen Bergbau als auch in inter­nationale Projekte. So hat es beispielsweise an­gekündigt, in den kommenden fünf Jah­ren etwa 10 Milliarden US-Dollar in afrika­nische Bergbauprojekte zu investieren. Eine engere Kooperation mit dem Golfstaat birgt zwar Potenziale, aber auch erhebliche Risi­ken, nämlich im Hin­blick auf deutliche Werte­differenzen sowie bezüglich Trans­parenz und Standards in Lieferketten.

Europas Profil schärfen

Im globalen Wettstreit um eine resiliente Rohstoffversorgung muss die EU einen eigenen, unab­hängigen Ansatz in der Roh­stoffaußenpolitik entwickeln, um ihre »strate­gi­sche Autonomie« zu stärken. Eben­so wie mine­ralreiche Staaten sollte sie ihre Koopera­tio­nen gründlich abwägen. Die Koordination über die MSP ist zweckmäßig, um Res­sour­cen zu bündeln. Gleichwohl muss die EU darauf achten, sich nicht von US-Initiativen abhängig zu machen. Die Ein­füh­rung des IRA zeigt den enormen Willen der US-Administration, die nationale Wirt­schaft zu fördern und die eigene Rohstoff­versor­gung zu sichern. Die EU kritisierte den IRA von Beginn an scharf, da er un­gleiche Wett­bewerbsbedingungen schaffe. Der Ver­such, den um­fassenden Zugang euro­päischer Unternehmen zu IRA-Förder­mitteln zu ver­han­deln, scheiterte bislang. Die Euro­päer sollten sich auf das Fortbestehen sol­cher in­dustriepolitischen Eingriffe seitens der USA ein­stel­len, un­abhängig vom Aus­gang der Präsidentschaftswahlen im Novem­ber.

Überdies erwartet die US-Regierung von Ver­bündeten, ihre Position gegenüber China mitzutragen. Hier muss sich die EU in ihrer Rohstoffaußenpolitik klarer positionieren. Sie sollte Ko­ope­ra­tionen mit China im Roh­stoffsektor offe­ner gegenüberstehen, als es die USA tun. Denn China bleibt auf un­bestimmte Zeit ein bedeu­ten­der Rohstoff­lieferant und ist gleichfalls in Bezug auf Stan­dard­setzung und Trans­parenz relevant. Außer­dem wird China auch künftig für viele mineral­reiche Län­der ein wich­tiger Entwicklungs- und Handelspartner sein, sodass die EU von präfe­renziellen Angeboten an diese Länder ohnehin Abstand neh­men muss. Stattdessen sollte sie an­streben, in Schlüsselbereichen wie Energie- und Infra­strukturplanung die Geber zielgerichtet zu koordinieren; dies wäre für alle Seiten von Nutzen.

Für einen unabhängigen Ansatz in der Rohstoffaußenpolitik muss die EU ihre Bemühungen verstärken, Rohstoffpartnerschaften effektiv umzusetzen. Hierbei steht sie vor zwei Her­ausforderungen:

Erstens fehlt es an öffent­lichen Geldern, da es keine politische Bereit­schaft gab, im CRMA festzuschreiben, dass EU-Mittel zur direkten Finanzierung von Rohstoffprojekten verwendet werden. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs für strategische Roh­stoffprojekte und be­gleitende Maßnah­men wird die Umsetzung sehr schwierig. Der CRMA sieht vor, die 2021 ins Leben geru­fene europäische Infrastrukturinitiative Global Gateway auch für den Roh­stoffsektor zu nutzen. Die Kapazität dieser Initiative sollte jedoch nicht über­bewertet werden, weil der Finanzrahmen von 300 Mil­liarden Euro bis 2027 bereits stark bean­sprucht ist und die geplanten Investitionen größtenteils gebun­den sind – es stehen also keine neuen Gelder zur Verfügung. Dennoch ist es sinn­voll, auf die Initiative zurückzu­greifen, um bereits geplante Pro­jekte, etwa im Energiesektor, für den Roh­stoff­sektor nutzbar zu machen. Im Ver­gleich zu China besitzt die EU hier zudem ein Alleinstellungs­merkmal, indem sie neben Kre­diten auch großzügige Zuschüsse vergibt und Trans­parenz einen höheren Stellenwert ein­räumt.

Zweitens ist ein strategisches Vorgehen entlang von Rohstofflieferketten ohne den europäischen Privatsektor nicht realisierbar. Die Industrie zeigt sich sehr enttäuscht über das Fehlen eines EU-Rohstofffonds. Die finanzielle Förderung strategischer Projekte obliegt folglich den Mitgliedstaaten. Hier gibt es positive Ent­wicklungen: Deutschland, Italien und Frank­reich planen die Ein­führung natio­naler Rohstofffonds und ko­ordinieren sich bereits auf Arbeitsebene. Es ist entscheidend, dieses Engagement auf euro­pä­ischer Ebene zu bün­deln und inner­europäischen Wettbewerb zu minimieren.

Wie bei Global Gateway setzen auch die Rohstofffonds auf die Beteiligung des Privat­sektors, um so­ge­nannte »Crowding-in«-Effekte zu erzielen. Das heißt, staatliche Investitionen und Garan­tien sol­len privates Kapital anzie­hen. Europäische Unternehmen agie­ren jedoch in Bezug auf risikoreiche Sek­toren wie Bergbau und Großinfrastruktur­projekte zurück­haltend. Dies ist teil­weise auf ihre Ausgangsposition zurückzuführen: Sie sind in der Regel End­abnehmer und somit weit entfernt vom Rohstoff­abbau. Europäische Bergbauunternehmen gibt es kaum. Wenn öffentliche Finanziers nicht aktiv gegensteuern, besteht das Risiko, dass notwendige Investitionen in strukturell schwächeren Rohstoffpartnerländern aus­bleiben.

Man muss abwarten, ob Industrievertreter:innen ihre Ankündigung, sich in größe­rem Um­fang zu beteiligen, umsetzen. Der Bundesverband der Deut­schen Industrie (BDI) be­tont, dass deutsche Unternehmen bereits stärker als Investoren und Abnehmer auf­treten. Zudem existieren Indus­trie­allianzen wie die European Raw Mate­rials Alliance (ERMA), die Projekte identifizieren. Sie könnten dabei unterstützen, Unter­neh­mens­­konsor­tien zu bilden, die Projekte ent­lang der gesamten Wert­schöpfungskette von Roh­stoffen bis zu Vor­produkten abdecken.

Empfehlungen: EU nur gemein­sam ein attraktiver Partner

Der CRMA hat eine solide Grundlage für eine kohärente europäische Rohstoffpolitik geschaffen. Für eine resiliente und nach­haltige Versorgung mit mineralischen Roh­stoffen müssen die industriepolitischen Ambitionen der EU nun mit ihren Diversifi­zierungsbemühungen in Einklang gebracht werden. Die Analyse des geopolitischen Um­felds unterstreicht die Notwendigkeit eines eigen­ständigen und unabhängigen euro­päischen Ansatzes. Angesichts der quan­titativen Über­legenheit von Rohstoff-Super­mächten wie China und den USA sollte die EU nicht in einen direkten Wett­bewerb mit diesen treten. Vielmehr sollte sie mit ausgewählten Partnerländern ziel­gerichtete Ko­operatio­nen eingehen und sich auf deren Ausgestaltung fokussieren.

Koordination und Kohärenz

Um international als attraktiver Wett­bewerber wahrgenommen zu werden und Rohstoffpartnerschaften wirkungsvoll um­zusetzen, ist eine stringente interne Koordi­nation essenziell. Diese Aufgabe obliegt der EU-Kommission, deren Kapazi­täten zu diesem Zweck ausgebaut wer­den müssen. Eine(n) EU-Rohstoff­beauftragte(n) zu er­nennen wäre eine sinn­volle Unterstützung.

Die EU sollte Rohstoffthemen in der euro­päischen Han­dels- und Klimapolitik systematisch mit­denken, auch um poten­zielle Kon­flikte rechtzeitig angehen zu können. Der EU-Kommission fällt es außer­dem zu, die Mit­gliedstaa­ten, auf deren Schul­tern ein Groß­teil der Umsetzung las­tet, gut zu koordi­nie­ren. Bedeu­tende euro­päische Industrienatio­nen wie Frankreich und Deutsch­land müssen ihr Ambi­tions­niveau im Rohstoffsektor auf die EU-Ebene übertragen. Die Bundesregierung kann zur Reali­sierung der Rohstoffpartnerschaften bei­tragen, indem sie ihr breites Spektrum an Wissen einbringt sowie die Vielzahl exis­tierender Programme sowohl in der Außen­wirtschafts­förderung als auch in der For­schung und der Entwicklungszusammen­arbeit.

Angesichts limitierter Ressourcen sowie der Notwendigkeit, einen Glaubwürdigkeits­verlust aufgrund unzureichender Umsetzung zu vermeiden, sollte die EU ihre An­strengungen auf Schwerpunkt­länder kon­zent­rieren. Es empfiehlt sich, länder­spezi­fische Arbeitsgruppen einzurichten, be­stehend aus Vertreter:innen der Mitgliedstaaten und nicht­staatlichen Akteuren, unter ande­rem Unter­nehmen und zivil­gesell­schaft­lichen Insti­tu­tionen. Die Imple­men­tierung dieser Strukturen in den Partner­län­dern, unter Füh­rung des Euro­päischen Aus­wärtigen Diens­tes (EAD), wäre zielführend.

Attraktive Kooperationsangebote

Angebote an Partnerländer müssen kontext­spezifisch und maßgeschneidert sein. Dabei gilt es, sowohl die strategische Bedeutung der Rohstoff­vorkom­men als auch die (in­dust­rie-)politi­schen Ziele und lokalen Be­din­gun­gen der Partnerländer ein­zubeziehen.

Viele mineralreiche Schwellenländer (»Mittlere Mächte«) wie Chile, Südafrika und Indonesien sind für die EU wichtig. Eine strategische Herangehensweise, die den Gestaltungs­willen der lokalen Regierungen anerkennt, ist für eine fruchtbare Kooperation ent­schei­dend. Berücksichtigt werden sollten For­derungen dieser Länder, Roh­stoffe im eigenen Land weiterzuverarbeiten sowie nachhaltige Lieferketten zu etablieren. Kooperationen sollten sich daher auf kon­krete Projekte beziehen, die wirtschaftlich reali­sierbar sind und zugleich im strategischen Inter­esse beider Seiten liegen. Ein relevanter Aspekt ist zudem der Techno­logietransfer, weshalb die Identifikation und Förde­rung von Pub­lic-Private-Partner­ships sowie Investitionen in Forschungs­kooperationen sinnvolle Begleitmaßnahmen darstellen.

Im Mittelpunkt der EU-Partner­schaften sollten kleinere Volkswirtschaften mit struktu­rellen Herausforderungen und begrenzten Imple­mentierungskapazitäten stehen, etwa Sambia oder die DR Kongo. Wegen der hohen Rohstoffnachfrage sind viele Regie­rungen sehr daran interessiert, Explorations- und Pro­duktionskapazitäten ihrer Länder zu ver­größern. Die EU könnte ihre Unterstützung für Geologische Dienste aus­weiten, um Poten­ziale auszuloten. Die Ko­operation mit tech­nischen Organisationen wie dem African Minerals Development Centre (AMDC) wäre eine Möglichkeit, zu industriepolitischen Strategien zu beraten.

Überdies bietet es sich in allen Fällen an, beim Ausbau der Infrastruktur für erneuer­bare Energien enger zusammenzuarbeiten. Hier kann an bestehende bilaterale Partner­schaften angeknüpft werden, notwendige Investitionen können über das Global-Gate­way-Programm und in Kooperation mit inter­nationalen Partnern erfolgen. Darüber hinaus sollte die EU bei der Um­setzung anderer Nachhaltigkeitsstandards gezielt unterstützen. Auch daran sind Partner­regie­rungen oft interessiert, da es die Akzep­tanz in der Be­völkerung erhöht und dem An­werben von Investoren förderlich ist.

Finanzierung stärken

Für eine effektive Implementierung von Roh­stoffkooperationen ist es unerlässlich, die finanziellen Möglichkeiten zu erweitern. Dies betrifft zum einen die EU-Ebene: Der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) ab 2028 sollte eine deut­liche Mittelerhöhung für die Global-Gateway-Initiative vor­sehen, um Infrastrukturprojekte im not­wendigen Ausmaß för­dern zu können. Ferner würde die nachträgliche Ein­rich­tung eines EU-Roh­stofffonds, ähn­lich dem Fonds für grünen Wasserstoff und an­gesiedelt bei der Euro­pä­i­schen Investitionsbank (EIB), die Hand­lungs­fähigkeit der EU substanziell stärken.

Zum anderen sollte die Bundesregierung die Realisierung des nationalen Rohstofffonds zügig voranbringen und zusätzliche Mittel für unterstützende Maß­nahmen in­nerhalb von Rohstoffkooperationen bereit­stellen. Dies würde Engagement für ein stra­tegisches Vorgehen, im Rahmen eines EU-Ansatzes, signalisieren. Nicht zuletzt wäre es ein Appell an deutsche Unternehmen, sich aktiv an internationalen Roh­stoffkooperationen zu beteiligen.

Meike Schulze ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dieses Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Forschungsnetzwerk Nachhaltige Globale Lieferketten«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird.

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