Europäische Politik gegenüber dem Südkaukasus muss sich nicht nur mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Georgiens, Armeniens und Aserbaidschans sowie ungelösten Territorialkonflikten befassen. Darüber hinaus sollte sie ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wie sich das Verhältnis zwischen Religion und Politik, Kirche und Staat in den drei Ländern gestaltet und wie auswärtige Akteure darauf einwirken.
In Armenien und Georgien, den beiden Staaten mit den ältesten christlichen Landeskirchen, gingen »nationale« und »religiöse Wiedergeburt« in nachsowjetischer Zeit eine enge Verbindung ein. Wissenschaftler/innen und Vertreter/innen der Zivilgesellschaft in Georgien warnen vor einem »religiösen Nationalismus«. Die Gefahr bestehe, dass ethnische und konfessionelle Minderheiten ausgegrenzt werden und die von der Bevölkerungsmehrheit unterstützte klare Westorientierung des Landes konterkariert wird. In puncto Einwirkung von außen wird in den letzten zwei Jahren besonders über Russlands Einfluss diskutiert. Mit Hilfe von »soft power« versuchen russische Akteure eine Art orthodoxen Traditionalismus zu fördern, der sich gegen »westliche Dekadenz« wendet. Hier gilt es Stereotypen entgegenzutreten, die zu einer angeblich prinzipiell religionsfeindlichen Haltung Europas und des Westens verbreitet werden.
Aserbaidschan wiederum präsentiert sich als ein im Säkularismus verwurzeltes muslimisches Land mit multikultureller Tradition, das sich erfolgreich gegen von außen beeinflussten »religiösen Extremismus« zur Wehr setzt. Mit dem Hinweis, islamistische Kräfte mit Kontakt zu ausländischen Netzwerken müssten bekämpft werden, rechtfertigt Aserbaidschans Machtelite aber auch ihre autoritäre Herrschaft und stempelt jegliche Form von Opposition, ob säkular oder religiös, als Extremismus ab.