Die 2020 veröffentlichten Leitlinien der Bundesregierung für den Indo-Pazifik definieren deutsche Interessen in der Region und führen darüber hinaus Initiativen auf, wie diese Interessen gesichert werden sollen. Die präzise sicherheitspolitische Übersetzung in praktische Maßnahmen befindet sich noch in einem frühen Stadium. Der als Indo-Pazifik bezeichnete Raum ist seit gut einem Jahrzehnt in den sicherheitspolitischen Fokus gerückt und Ort des Agierens zahlreicher regionaler und externer Akteure. In diesem Raum systemischer Rivalität des Westens mit China positioniert sich Deutschland nun auch. Ein Mittel der Wahl, um die deutschen Interessen abzusichern, ist die Bundeswehr. Jedoch sind die deutschen Streitkräfte bereits mit den bestehenden Einsätzen und Verpflichtungen derart strapaziert, dass ein Engagement im Indo-Pazifik nur leistbar ist, wenn an anderer Stelle weniger getan wird. Somit scheint eine Koalition gleichgesinnter Akteure am besten geeignet, um dem Problem einer zunehmenden Überdehnung der Streitkräfte zu begegnen.
Mit den Leitlinien zum Indo-Pazifik definiert Deutschland seine Interessen in der Region und skizziert Maßnahmen, um ihnen Nachdruck zu verleihen. Neben einer politischen, einer rechtsstaatlichen, einer wirtschaftlichen, einer humanitären, einer völkerrechtlichen und einer ökologischen Dimension beinhalten die Leitlinien auch eine sicherheitspolitische. Bisher hat sich die Bundesregierung zu diesem Themenkomplex zurückhaltend positioniert. Im Vorwort der Leitlinien betont sie, dass sie diese als Beitrag zu einer künftigen Strategie der Europäischen Union (EU) für den Indo-Pazifik ansieht. Dies erklärt die deutsche Präferenz, deutsche Initiativen in einen multilateralen Rahmen einzubetten und hierbei vorzugsweise die EU und regionale Partner vor Ort einzubeziehen.
Politische Geografie und strategische Semantik
Die Bundesregierung beschreibt das Gebiet des Indo-Pazifiks in den Leitlinien als die »Gesamtheit des vom Indischen Ozean und vom Pazifik geprägten Raums«. In diesem weit gefassten Verständnis reicht die Region von der afrikanischen Ostküste mit ihren Anrainerstaaten bis einschließlich zur Westküste des amerikanischen Kontinents. Der Begriff »Indo-Pazifik« ist insbesondere in westlich orientierten Staaten gebräuchlich; allein seine Verwendung in deren politisch-strategischer Rhetorik wird von vielen Beobachtern als inhaltliche Botschaft aufgefasst, stellt er doch Indien und den Indischen Ozean in den Mittelpunkt, während gleichzeitig die Bedeutung und Rolle Chinas weniger direkt angesprochen wird.
Gemein ist allen Beschreibungen des Raums eine geostrategische Interpretation, indem sie betonen, dass es sich um ein mehrheitlich maritim geprägtes Gebiet handelt, das als globaler wirtschaftlicher Dreh- und Angelpunkt verstanden wird und den mit Abstand größten Anteil am globalen Seehandel hat. Im Zentrum der indopazifischen Geografie – sowohl kartografisch wie auch ökonomisch – liegen am Übergang vom Pazifik zum Indischen Ozean das Südchinesische Meer und die Meerengen der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Lombokstraße. Durch diese Meerengen werden jährlich bis zu 30 Prozent des internationalen Warenhandels geschifft. Diese Warenströme sind unabdingbar für eine funktionierende und florierende Weltwirtschaft. Sollte es zu einer Störung oder zu Katastrophen auf See kommen, können sie jedoch auch eine Bedrohung darstellen für die maritime Umwelt und die Sicherheit der Küsten und Hafenstädte sowie der dort lebenden Bevölkerung.
Darüber hinaus sind maritime Ressourcen – ob Mineralien oder Fisch – zunehmend umstritten, ebenso der Zugang zum Meer und seinen Ressourcen. Schließlich besteht ein Kausalzusammenhang zwischen Handel und Wohlstand: Handel bedarf zu seiner vollen Entfaltung sicherer und stabiler Handelsrouten. Mithin hängt Wohlstand direkt von Sicherheit ab. Deutschlands Wohlstand und ökonomische Prosperität sind auf sichere Seewege angewiesen. Dies trifft in besonderem Maße auf den Indo-Pazifik zu.
Sicherheitspolitische Aspekte der Indo-Pazifik-Leitlinien
Mit den Leitlinien richtet die Bundesregierung ihren Fokus erstmals explizit auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Region. Die potenziellen Bedrohungen sind vielschichtig: Neben der oftmals alles überlagernden strategischen, wirtschaftlichen und systemischen Rivalität zwischen den USA und China gibt es im Indo-Pazifik drei Nuklearmächte (China, Indien, Pakistan) plus Nordkorea als schwer kalkulierbare De‑facto‑Nuklearmacht. Diese bereits explosive Konstellation wird noch prekärer durch ungeklärte Grenzstreitigkeiten, innere und zwischenstaatliche Konflikte, regional und global agierende Terror-Organisationen, Piraterie, organisierte Kriminalität, die Auswirkungen von Naturkatastrophen sowie Migrationsbewegungen. Gerade die zuletzt genannten Aspekte, die eher nichttraditionellen Sicherheitsbedrohungen, sind bei den Anrainern des Indo-Pazifiks weit oben auf der sicherheitspolitischen Agenda zu finden.
Dieses breite Spektrum an sicherheitspolitischen Bedrohungen steht in einem offensichtlichen Spannungsverhältnis zu der Wahrnehmung des Indo-Pazifiks als Zentrum globaler Warenströme. Als Reaktion auf diese sicherheitspolitische Lage beabsichtigt die Bundesregierung, das deutsche Engagement in der Region künftig auszuweiten. So will sie die sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation im Indo-Pazifik intensivieren, kontextabhängig mit einzelnen Staaten oder Organisationen wie dem südostasiatischen Staatenverbund ASEAN und mit Akteuren, die ebenfalls Interessen in der Region haben. Das kann sowohl unilateral als auch im Rahmen von EU, Nato oder Vereinten Nationen (VN) stattfinden.
Inhaltlich will sich Deutschland in folgenden Bereichen engagieren: Rüstungskontrolle, Nonproliferation, Cybersicherheit, humanitäre und Katastrophenhilfe, Piraterie- und Terrorismusbekämpfung, Konfliktbewältigung sowie Prävention bis hin zum Erhalt der regelbasierten Ordnung inklusive der Durchsetzung internationaler Rechtsnormen wie des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der VN. Die Instrumente, die die Bundesregierung dafür einsetzen möchte, reichen von Ausbau und Vertiefung von Kooperationen in der Region über zivile und militärische Diplomatie bis zu militärischer Anwesenheit im Rahmen von Übungen oder anderen Formen der Präsenz vor Ort.
Da der Indo-Pazifik in erster Linie ein maritim geprägter Raum ist, ist der Schwerpunkt der von der Bundesregierung in Aussicht gestellten sicherheitspolitischen Maßnahmen für die Region maritimer Natur, überwiegend sogar militärpolitischer. Deutlich nachrangiger beschäftigen sich die Leitlinien mit Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, dem Problem der Proliferation oder gar dem nordkoreanischen Nuklearprogramm und dazu ergangenen Sanktionen. Dementsprechend fällt die Wahl unter anderem auf die Deutsche Marine, wenn es darum geht, die in den Leitlinien genannten sicherheitspolitischen Initiativen umzusetzen.
Politischer Auftrag versus militärische Grenzen
Seit dem Jahr 2020 plant die Deutsche Marine, ein Schiff in den Indo-Pazifik zu entsenden, nachdem sie, abgesehen von wiederkehrenden Beiträgen zu den Operationen Enduring Freedom und Atalanta am Horn von Afrika, in den letzten zwei Jahrzehnten in der Region nicht präsent war. Trotz wiederholter Anläufe war es in den letzten Jahren nicht leistbar, dass ein deutsches Schiff dorthin fuhr, und zwar aus verschiedenen Gründen. Ausschlaggebend hierfür war (und ist) das Verhältnis von durch die Deutsche Marine schon geleisteten Beiträgen zu internationalen Operationen, Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen auf der einen Seite zur Verfügbarkeit entsprechend geeigneter Schiffe auf der anderen Seite. Ihre aktuellen Aufträge fordern die Marine bereits derart, dass sie neue nur übernehmen kann, wenn die bestehenden reduziert werden – und ein Engagement im Indo-Pazifik ist solch eine Zusatzaufgabe. Die Marine verfügt nur über eine begrenzte Zahl von Einheiten, die aufgrund ihrer Einsatzreichweite, Durchhaltefähigkeit auf Hoher See und der dafür notwendigen zeitweisen logistischen Unabhängigkeit geeignet sind für eine Entsendung.
Die Bandbreite der Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen der Marine ist vielfältig und umfangreich. Deutschland stellt kontinuierlich Einheiten für die stehenden Einsatzverbände der Nato ab. Je nach Art des Einsatzverbandes betrifft dies sowohl vergleichsweise größere Einheiten wie Fregatten, Korvetten oder Versorgungsschiffe als auch kleinere und spezialisierte Boote wie Minenjagd- und Minenabwehreinheiten. Darüber hinaus wird durch einen Teil des 2. Einsatzverbandes die Nato-Operation in der Ägäis mit Schiffen und Einheiten alimentiert. Seit Januar 2021 stellt die Marine hierfür eine weitere Versorgungseinheit sowie einen Führungsstab. Außerdem entsendet sie Schiffe in Einsätze der VN und der EU. Derzeit gilt dies für die EU-geführte Operation Irini vor der Küste Libyens, zu der sie mit einem Einsatzgruppenversorger und zeitweilig – insofern verfügbar – mit einem Seefernaufklärungsflugzeug beiträgt, und den VN-Einsatz UNIFIL, den Deutschland mit einer Korvette und dem Kern des maritimen Führungsstabes unterstützt. Jenseits dieser Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen beteiligt sich die Marine an zahlreichen nationalen, multinationalen sowie Nato-Ausbildungsabschnitten und ‑Übungen.
Die für all diese Vorhaben benötigten Schiffe werden aus der Gesamtheit der einsatzbereiten und zur Verfügung stehenden Einheiten der Marine ausgewählt. Das hat zur Folge, dass nicht immer das für die jeweilige Aufgabe am besten geeignete Schiff verfügbar ist. Im Sinne einer Lastenverteilung bei Einsätzen und Verpflichtungen werden bisweilen Einheiten entsendet, deren ursprüngliche Ausrüstung und ursprünglicher Auftrag den Anforderungen des Einsatzes nur minimal entsprechen. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung von Versorgungsschiffen in den stehenden Einsatzverbänden, insbesondere in der Nato-Operation in der Ägäis. Zwar haben sie operative Bedeutung im Rahmen der Versorgung und Unterstützung der Einsatzverbände, Fähigkeiten zum operativen Wirken im Sinne des Auftrags sind jedoch nur bedingt vorhanden.
Zurzeit verfügt die Deutsche Marine, zählt man Hafenschlepper und andere Hilfsschiffe nicht mit, über etwa 45 Einheiten. Werden die zuvor genannten Kriterien der Einsetzbarkeit und Seetauglichkeit berücksichtigt, kommen davon weniger als die Hälfte für einen Einsatz im Indo-Pazifik in Frage. Prädestiniert für einen solchen Auftrag sind aufgrund ihrer Größe, Beschaffenheit, Reichweite und Fähigkeiten augenscheinlich die zehn Fregatten und drei Einsatzgruppenversorger der Marine. Nimmt man einen größeren logistischen Aufwand und eine gewisse Einschränkung hinsichtlich der Seegebiete in Kauf, ist auch der Einsatz von einer der fünf Korvetten vorstellbar.
Diese Schiffstypen bilden den Kern der Einheiten, die wegen ihrer Ausstattung und Fähigkeiten am ehesten in die Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen der Deutschen Marine entsendet werden. Die Verfügbarkeit aller Schiffe unterliegt bestimmten Regelkreisen von Ausbildung, Instandhaltung und Einsatzbereitschaft. Jedes Schiff muss periodisch diesen Regelkreis durchlaufen. In Form von Personalwechseln und Werftaufenthalten zur Instandhaltung und Modernisierung werden einer Einsatzverfügbarkeit umfangreiche Ausbildungsabschnitte vorgeschaltet. Dementsprechend kann die Marine im besten Fall zu jedem Zeitpunkt eines Jahres nur etwa auf ein Drittel bis ein Viertel der Schiffe für Operationen, multinationale Übungen und Einsätze zurückgreifen. Verzögerungen bei Instandsetzungen, unvorhergesehene technische Ausfälle oder die verspätete Auslieferung von neuen Einheiten limitiert die Zahl der verfügbaren Schiffe zusätzlich. Ein Zuwachs an Aufträgen und Einsätzen ist kaum noch leistbar.
Dennoch wurde bereits für das Jahr 2021 die Entsendung von mindestens einem deutschen Marineschiff in den Indo-Pazifik angekündigt. Nach aktueller Planung soll die Fregatte Bayern ihre etwas mehr als sechsmonatige Reise in die Region im August 2021 aufnehmen. Eine kontinuierliche Präsenz ist dadurch noch nicht gegeben und wäre nur zu bewerkstelligen, wenn die Marine andere Aufträge wie Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen ruhen lässt. Bestenfalls wird es der Marine in unregelmäßigen und schwer planbaren Zeitabständen möglich sein, einzelne Schiffe für eine solche Entsendung bereitzustellen.
Ausschlaggebendes Kriterium für die Auswahl einer Einheit, die in den Indo-Pazifik entsendet wird, sollte der zu definierende operative Auftrag sein, da alle Schiffe der Marine unterschiedlichste Fähigkeiten besitzen und Signale vermitteln. In diesem Zusammenhang muss ein weiterer Faktor in die Überlegungen einfließen: die Bedrohungsanalyse. Eine Risikoabwägung ergibt, dass auch deutsche Schiffe unkalkulierbaren Bedrohungen ausgesetzt sein können. Analysiert werden muss zum Beispiel die potenzielle Gefahr durch terroristische Anschläge und Piraterieaktivitäten. Weiterer Bestandteil der Betrachtung sollte der Umstand sein, dass Berichten zufolge chinesische Fischfangflotten vermehrt dazu genutzt werden, territoriale Ansprüche zu untermauern, was wiederholt in gewaltsamen Auseinandersetzungen eskaliert ist. Solche Flotten und als Fischer getarnte maritime Milizen werden zur Aufklärung von Seegebieten und zur Drangsalierung fremder Schiffe eingesetzt. Hinzu kommt, dass die chinesische Küstenwache autorisiert ist, innerhalb der von China beanspruchten Seegebiete Gewalt und militärische Mittel anzuwenden.
Als einzeln fahrende Einheit können alle deutschen Marineschiffe zumindest sich selbst gegen begrenzte Bedrohungen schützen. Ein umfangreicherer Schutz ist indes nur in einem Verband mit mehreren Einheiten möglich; dasselbe gilt, wenn die Schiffe etwa zur Aufklärung, Lagebild-Erstellung oder für andere operative Aufträge genutzt werden sollen. Eine Entsendung einzelner deutscher Schiffe in den Indo-Pazifik ist aus operativer Sicht einzig in einem Verbund und mit einem entsprechenden Auftrag sinnvoll. In Gestalt eines einzelnen Schiffes hat die deutsche Präsenz eher politisch-symbolischen Charakter. Mit der Entsendung der Fregatte Bayern zeigt Deutschland Flagge im Indo-Pazifik und unterstreicht seine Absicht, sich dort künftig stärker zu engagieren.
Aufgrund der zu berücksichtigenden Konfliktlinien, Gefahren und Bedrohungen in der Region ist jede Präsenz eines deutschen Kriegsschiffes mehr als nur eine bloße Ausbildungsfahrt. Die Bundesregierung vermeidet bisher den Begriff »Einsatz«, wenn sie von der Entsendung der deutschen Fregatte in den Indo-Pazifik spricht. Denn ein »Einsatz« in Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1994 würde eine parlamentarische Mandatierung erfordern, bedeutete er doch, dass bewaffnete Streitkräfte im Rahmen eines Bündnisses der kollektiven Sicherheit eingesetzt werden. Dieser Tatbestand ist hier aber nicht gegeben.
In den vergangenen Jahren war die Deutsche Marine im indopazifischen Raum kaum vertreten. Am Horn von Afrika, abgestützt auf Djibouti, war die Marine zuletzt mit den Seefernaufklärern P‑3C im Rahmen der EU-Operation Atalanta präsent. Dieses Engagement, das heißt die Beteiligung an der Operation mit Einheiten, hat die Marine nun vorübergehend eingestellt und zieht ab Mai 2021 ebenfalls die unterstützende logistische Präsenz aus Djibouti ab. Das Mandat für diesen Einsatz wird vorerst verlängert, die Marine hat jedoch keine Einheiten für eine dauerhafte Anwesenheit verfügbar. Möglich bleibt eine zeitweise Beteiligung, wenn deutsche Schiffe dieses Seegebiet passieren.
Analog zur Marine soll auch die Luftwaffe im indopazifischen Raum Flagge zeigen. Ab 2022 wird die Luftwaffe beginnen, Tank- und Kampfflugzeuge im Rahmen von Langstreckenverlegungen nach Australien zu entsenden. Dies dient nicht allein dem Training der Langstreckenverlegung; vielmehr ist es zu verstehen als Zeichen der Präsenz in der Region, der Abschreckung gegenüber Störern der stabilen Ordnung im Indo-Pazifik und schließlich der Bereitschaft, schlagkräftige Mittel der Luftwaffe einzusetzen.
Neben dem Aspekt eines politisch erwünschten Flaggezeigens kann die Entsendung eines deutschen Schiffes eine nicht zu vernachlässigende völkerrechtliche Bedeutung haben, nämlich wenn dadurch internationale Rechtsnormen wie das VN-Seerechtsübereinkommen gestärkt werden gegenüber einseitigen Ansprüchen oder Praktiken. Mit ihren Leitlinien für den Indo-Pazifik bezieht die Bundesregierung hinsichtlich dieser Konfliktlinie Stellung, indem sie das bestehende SRÜ unterstützt.
In dem Wechselspiel von einseitigen Gebiets- und Rechtsansprüchen, Verstetigung im Sinne eines Gewohnheitsrechtes und dem Erhalt eines Status quo ante, basierend auf dem SRÜ, hat die Bundesregierung bislang im Rahmen diplomatischer Noten agiert. Die Leitlinien für den Indo-Pazifik rufen insbesondere bei den Anrainern, aber auch bei Partnern und Alliierten die Erwartung hervor, dass Deutschland seine Position und sein Rechtsverständnis darüber hinausgehend bekräftigt, zum Beispiel indem deutsche Schiffe sich an sogenannten »Freedom of Navigation«-Aktivitäten beteiligen oder diese eigenständig durchführen.
Solche Fahrten bergen allerdings immer die Gefahr einer Gegenreaktion und können Anlass für Zwischenfälle auf See und in der Luft sein. Auch dies muss in die Risikobetrachtung vor einer Entsendung einfließen. Behutsam wurde bei der Planung der Route für die Fregatte Bayern (soweit sie bisher bekannt ist) auf Gebiete verzichtet, in denen es zu Konflikten mit China kommen könnte. In dem Spannungsfeld von politischen Zielen und strategischen Botschaften, dem militärischen Auftrag und den verfügbaren Ressourcen empfiehlt es sich jenseits einer wahrnehmbaren gelegentlichen Präsenz in der Region, bereits bestehende Kooperationsstrukturen zu nutzen.
Verschiedenste Akteure – Handlungsoptionen für Deutschland
Die Bundesrepublik will ihre Aktivitäten im Indo-Pazifik in einen multinationalen Rahmen mit Partnern und Alliierten einbetten, die ihre Werte teilen. Ein Agieren im maritimen Umfeld mit dem Ziel, Interessen zu sichern, kann kaum ein Staat allein leisten. Gemäß den Leitlinien strebt Deutschland ein europäisches Handeln an, bevorzugt im Rahmen der EU; zwingend notwendig ist das aber nicht. Vielmehr erscheint es hilfreich, die Ziele, Interessen und Möglichkeiten verschiedenster Akteure mit den eigenen abzugleichen und entsprechende Bündnisse zu suchen.
Im sicherheitspolitischen Kontext könnten potenzielle Partner zunächst die sogenannten Quad-Staaten des indopazifischen Raums sein, also die USA, Australien, Indien und Japan. Der Quadrilateral Security Dialogue (Quad) ist bisher ein eher informell sicherheits- und militärpolitisch ausgerichteter Zusammenschluss mit dem Ziel, einen freien und offenen Indo-Pazifik zu garantieren. Dazu koordinieren die Quad-Staaten vor allem ihre militärischen Kooperationen und gemeinsame Übungen. Aktuell streben sie an, einerseits das Forum strukturell stärker zu institutionalisieren, andererseits weitere Teilnehmer zu einer engeren oder auch losen Assoziierung einzuladen.
Der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) konzentriert seine Aktivitäten auf vier Bereiche: maritime Kooperation, nachhaltige Entwicklung, wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Vernetzung. Sicherheitspolitische Fragen hat man bislang bewusst ausgeklammert. Dennoch bieten die Themenfelder der ASEAN Deutschland eine indirekte Möglichkeit, sie durch Initiativen und Maßnahmen politisch zu unterstützen. Im Kontext eines vernetzten Ansatzes könnte sich dies direkt auf Aspekte der Sicherheit auswirken.
Darüber hinaus gibt es einzelne Akteure, darunter europäische Staaten, mit eigenen, bisher oft nationalen Aktivitäten in der Region. Selbst wenn es Frankreichs Wunsch ist, auf politischer Ebene im Rahmen der EU eine nachhaltige Strategie für den Raum zu erarbeiten, so unternimmt es doch allein schon aufgrund seiner überseeischen Territorien verschiedenste Aktivitäten im Indo-Pazifik, mal national, mal mit wechselnden Partnern. Der französische Präsident Macron hat bei seinem Australienbesuch 2018 sogar den Vorstoß einer geostrategischen Rekalibrierung der Machtverhältnisse in der Region gewagt und von einer sich herausbildenden Achse Frankreich–Indien–Australien gesprochen. Die französische Perspektive auf den Indo-Pazifik ist primär sicherheitspolitischer Natur. Zusammen mit Frankreich erscheint die Nutzung vorhandener Infrastruktur in der Region ein erheblicher Vorteil zu sein. Neben den Hafenanlagen und logistischen Versorgungsmöglichkeiten für Schiffe können Frankreichs Übersee-Territorien und deren staatliche Nutzung eine Grundlage liefern für den Ausbau eines regionalen Lagebildes und für die Intensivierung vielschichtiger Forschungsprojekte in der Region.
Großbritannien entsendet in diesem Jahr seinen Flugzeugträger Queen Elizabeth zusammen mit einem Verband, der durch US-amerikanische Einheiten unterstützt wird, in den Indo-Pazifik und das Südchinesische Meer. Im Zeichen der »Global Britain«-Ansprüche der derzeitigen britischen Regierung stellt der Verband die größte britische Präsenz in der Region seit Jahrzehnten dar. Steten Einfluss in diesem Teil der Welt hat sich Großbritannien nicht nur wegen des Commonwealth über die letzten Jahrzehnte bewahrt. Durch bi- und multilaterale Kooperationen (z. B. Five Power Defence Arrangements), verbliebene überseeische Territorien (Pitcairn, Diego Garcia) und militärische Stützpunkte in Singapur, Nepal und Brunei Darussalam haben sich die Briten den Status eines indopazifischen Akteurs erhalten. Das Vereinigte Königreich steht in einem Spannungsverhältnis zwischen den selbst gesteckten Ambitionen aus dem »Schwenk zum Indo-Pazifik«, den Ableitungen aus dem »Global Britain«-Begehren, seinen eigenen nationalen Verteidigungsaufgaben, den bi- und multilateral eingegangenen Engagements im Nordeuropäischen Raum (z. B. Combined Joint Expeditionary Force, CJEF; Joint Expeditionary Force, JEF), den Beiträgen und Verpflichtungen im Rahmen der Nato und absehbar limitierten Ressourcen. Das wirtschafts- und sicherheitspolitische Interesse am Indo-Pazifik ist groß, jedoch wird Großbritannien diesen Spagat dauerhaft kaum allein leisten können.
Die jüngst veröffentlichte Indo-Pazifik-Strategie der Niederlande richtet den Fokus auf die wirtschafts- und handelspolitisch wichtigen Seewege am Übergang des Pazifischen zum Indischen Ozean mit dem Südchinesischen und dem Ostchinesischen Meer. Im Verband mit dem britischen Flugzeugträger Queen Elizabeth beabsichtigen die Niederlande, nach langer Zeit mit einer Fregatte in der Region Präsenz zu zeigen.
Aufgrund der ähnlichen Zielsetzungen, wie sie den jeweiligen strategischen Dokumenten entnommen werden können, ist vorstellbar, dass ein gemeinsames Vorgehen Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der Niederlande leicht zu realisieren wäre. Die eingebrachten Fähigkeiten und Ressourcen könnten sich gegenseitig ergänzen. Ein multinationales Vorgehen Deutschlands böte allein aus dieser Perspektive bereits objektive Vorteile. Die Einschiffung und Mitfahrt deutscher Austauschoffiziere auf französischen Schiffen, die auch im Indo-Pazifik operieren, ist fester Bestandteil eines schon seit 1989 mit Frankreich praktizierten bilateralen militärischen Austauschprogramms. Aktuell meldet das Bundesministerium der Verteidigung zwei deutsche Offiziere auf französischen seegehenden Einheiten, allerdings ohne die Region zu benennen, in der diese eingesetzt werden. Falls es der indopazifische Raum sein sollte, ist dieser Beitrag indes für Außenstehende nicht wahrnehmbar und hat kaum politische Signalwirkung. Wahrgenommen, vor allem in der Region, wird dagegen zum Beispiel die 2020 erfolgte Abstellung eines deutschen Marineoffiziers als Verbindungselement an das regional aktive Informationszentrum der Marine Singapurs (IFC). Derartige deutsche Beiträge haben Signalwirkung, insbesondere wenn der politische Auftrag lautet: Präsenz zeigen.
Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein möglicher Partner für ein gemeinsames Engagement. Die USA bezeichnen, maßgeblich angestoßen durch die Dokumente der letzten Jahre im Rahmen der Initiative »Free and Open Indo-Pacific«, den Raum zwischen der westlichen Grenze Indiens und der Westküste der USA als Indo-Pazifik. Dies stimmt mit dem militärischen Verantwortungsbereich des US-Indo-Pazifik-Kommandos überein. Es ist damit auch der regionale Zuständigkeitsbereich der 5. und der 7. US-Flotte, die als stehende Vorposten in der Region stationiert sind. Die amerikanische Perspektive scheint daher zunächst in erster Linie sicherheitspolitisch geprägt zu sein. Das im Januar 2021 von der letzten US-Administration entklassifizierte und veröffentlichte strategische Rahmenkonzept für den Indo-Pazifik macht jedoch deutlich, dass aus Sicht der USA Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gleichermaßen zentral sind.
Derzeit spricht einiges dafür, dass die Biden-Administration die wesentlichen Grundzüge dieser Politik übernehmen und fortsetzen wird. Bisher agieren die USA in der Region in sicherheitspolitischen Aspekten viel unter eigener Ägide oder in wechselnden Bündnissen. Die durch amerikanische Schiffe seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten »Freedom of Navigation«-Einsätze haben vor allem in den letzten Jahren im Zeichen sich anbahnender Großmachtrivalitäten im Indo-Pazifik den Beigeschmack amerikanischer Machtprojektion gegenüber China bekommen. Das Rahmendokument der USA für den Indo-Pazifik ist zwar explizit auf China ausgerichtet, beinhaltet gleichzeitig aber auch viele Gemeinsamkeiten mit den deutschen Leitlinien, was Interessen und angestrebte Maßnahmen in der Region angeht. Deutschland positioniert sich dennoch bei einigen Themen mit den Leitlinien weiterhin eher diplomatisch und vorsichtig. Dies betrifft diejenigen Dimensionen des sich ausbreitenden Wettstreits des Westens mit China, die im Indo-Pazifik dominieren, nämlich die systemische, die wirtschaftliche, die technologische – und auch die sicherheitspolitische Dimension.
Ein ständiger Einsatzverband für den Indo-Pazifik
Unabhängig von der Definition des geografischen Raums bestehen in den politischen Interessen, in der Bedrohungsanalyse sowie in den angestrebten Handlungsfeldern und Maßnahmen weitreichende Analogien zwischen Deutschland und seinen westlichen Partnern. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten für die Bundesregierung, eigene Interessen und Maßnahmen in einen multinationalen Rahmen einzubetten. Ein positiver Nebeneffekt wäre, dass die potenzielle Überdehnung nationaler militärischer Ressourcen minimiert werden könnte.
Vorstellbar wäre die Einrichtung eines ständigen maritimen Einsatzverbandes für den indopazifischen Raum, einer sogenannten Task Force, die nicht zwangsweise über stehende und fest zugewiesene Einheiten verfügen muss. Eine zeitweise Unterstellung bei einem Transit in das geografische Gebiet oder beim Durchqueren desselben, analog zu anderen laufenden Operationen, gäbe den teilnehmenden Nationen Flexibilität. Die Einheiten könnten während ihrer Zugehörigkeit zum Einsatzverband zum Lagebildaufbau beitragen und Aufträge oder Aufgaben längs ihrer Route übernehmen. Ferner wären ein Ausbildungsabschnitt oder gemeinsame Manöver mit Streitkräften innerhalb des geografischen Raums und entlang der geplanten Routen denkbar. Die operative Führung und Planungsarbeit dieses Einsatzverbandes könnte in einem neuen, ortsfesten und regional ansässigen Hauptquartier erfolgen, in das ein Grundstock teilnehmender Nationen einzelne Stabsmitglieder entsendet. Die Quad-Staaten des Indo-Pazifiks wären geeignet, den notwendigen militärischen Kern zu bilden.
Darüber hinaus könnten Indien, Indonesien oder Singapur als regionale Heimat der Stabsstruktur eingebunden werden. Indien versucht zurzeit, eine sicherheits- und militärpolitische Balance zu wahren, indem es innerhalb der Region mit den verschiedenen Akteuren und systemischen Polen in Interaktion tritt. So beteiligt es sich mit seinen Streitkräften an militärischen Übungen mit China, dem Iran oder Russland. Indonesien ist nicht nur der weltweit größte Inselstaat und unweit des Südchinesischen Meeres gelegen, sondern auch Heimat der höchsten Anzahl an Muslimen. Singapur ist ein multikultureller Schmelztiegel und ökonomischer Knotenpunkt am Rande des Südchinesischen Meeres, nahe der Straße von Malakka.
Will Deutschland auch künftig seinem Interesse an freien und sicheren Seewegen sowie der Achtung bestehender völkerrechtlicher Normen Ausdruck verleihen, indem es gelegentlich ein deutsches Kriegsschiff in den Indo-Pazifik entsendet, wäre Folgendes ratsam: Dem Auftrag des Schiffes sollte einmalig ein parlamentarisches Mandat zu Grunde gelegt werden, um seine Bedeutung hervorzuheben. Auch wenn dies formal nicht erforderlich ist und es danach noch immer kein Einsatz im Rahmen eines Bündnisses kollektiver Sicherheit wäre, würden mit der Entsendung, zumal auf Basis eines Mandats, zwei Signale gesetzt.
Das erste richtete sich eher nach innen in den deutschen politischen Raum und würde den sicherheitspolitischen Stellenwert des Indo-Pazifiks betonen. Außerdem würde der politischen Vermittlung dessen im öffentlichen Diskurs ein entsprechendes Gewicht beigemessen. Das zweite Signal würde sich nach außen an Deutschlands Partner richten. Die Entscheidung, ein Kriegsschiff zu entsenden, wäre in dem Fall nicht nur von der Regierung getroffen worden, sondern zusätzlich vom Parlament. Die damit verbundene Botschaft des politischen Auftrags würde gestärkt; parteiübergreifend würde anerkannt, dass ein Engagement Deutschlands im Indo-Pazifik wichtig ist, um die Stabilität der Region zu gewährleisten, die wiederum für Deutschland relevant ist. Alliierte und Partner könnten dies als langfristige strategische Positionierung im Sinne einer politischen Konstante wahrnehmen.
Für die Fregatte änderte sich durch eine Mandatierung nichts, weder ihr Auftrag noch der rechtliche nationale und internationale Rahmen. Das Signal, das von einem deutschen Engagement im Indo-Pazifik ausgeht, selbst wenn es sich nur um eine gelegentliche Entsendung handelt, wäre bei den Anrainern in der Region sowie den deutschen Partnern aber deutlicher sichtbar. Der Entsendung eines Kriegsschiffes wohnt immer eine starke diplomatische Komponente inne.
Göran Swistek ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
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doi: 10.18449/2021A29