Putins Verfassungsreform schreitet mit großen Schritten voran, ein Gesetzentwurf liegt bereits vor. Er gibt wenig Aufschluss darüber, wie die Nachfolge von Putin im Präsidentenamt geregelt werden soll. Eine Analyse von Fabian Burkhardt.
Wladimir Putin hat es eilig. Weniger als eine Woche nach seiner Rede zur Lage der Nation, in der der russische Präsident den massivsten Eingriff in die russische Verfassung seit 1993 ankündigte, ist der Gesetzentwurf schon in die Staatsduma eingebracht. Der Zeitplan ist straff: In den nächsten Monaten müssen beide Parlamentskammern und Regionalparlamente darüber abstimmen, im April soll eine Volksbefragung abgehalten werden, und anschließend wird Putin das Gesetz unterzeichnen. Insgesamt bestehen wenig Zweifel, dass das Reformpaket zügig in der aktuellen Form in Kraft tritt.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass Putin mit diesem Verfassungsstreich das Startsignal für die »Operation Machterhalt« gegeben hat. Kompetenzen des »Superpräsidenten« sollen nach dieser Interpretation an andere staatliche Institutionen umverteilt werden, so dass Putins Nachfolger im Präsidentenamt deutlich geschwächt anträte. Putin könnte dann nach dem Ende seiner verfassungsgemäß letzten Amtszeit eine andere Position im Staat bekleiden, die es ihm erlauben würde, weiterhin de facto an der Macht zu bleiben und den handverlesenen Nachfolger in Schach zu halten.
Eine genauere Analyse von Putins Vorstoß legt jedoch eine andere Schlussfolgerung nahe: Der sehr starke Präsident verliert durch die Verfassungsänderungen stellenweise Macht, was jedoch wenig ins Gewicht fällt. An anderen Stellen gewinnt er sogar Macht hinzu; Elemente der Gewaltenteilung, des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung werden ausgehebelt. In der Summe dürfte das Amt des Präsidenten gestärkt aus der Reform hervorgehen. In seiner Rede an die Nation betonte Putin: »Russland soll eine starke Präsidialrepublik bleiben«. Von einer Parlamentarisierung kann keine Rede sein. Über mögliche Szenarien, welches Amt Putin nach seinem Abtritt vom Präsidentenamt übernehmen könnte, sagt das Reformpaket wenig aus. Putin pokert weiter und hält sich alle Optionen offen. Um welche Änderungsvorhaben geht es konkret?
Die Staatsduma soll in Zukunft nicht mehr nur der Ernennung des Premierministers zustimmen, sondern zusätzlich auch der der Vizepremiers und der Minister. Dies ändert aber nichts an der Vormachtstellung des Präsidenten: Dieser kann auch in Zukunft die Duma auflösen, wenn diese drei Mal die Zustimmung zum vom Präsidenten vorgeschlagenen Premier verweigert. Zwar ist es nicht der Präsident, sondern der Premier, der der Duma laut Gesetzentwurf Vizepremiers und Minister zur Bestätigung vorschlägt. Der Präsident aber, der an das Votum der Duma gebunden ist, bekommt ein neues Druckmittel gegenüber dem Premier: Er kann diesen zukünftig entlassen, ohne dass das ganze Kabinett zurücktreten muss. In seiner Rede zur Lage der Nation hob Putin zur Rolle des Präsidenten zudem hervor, dass dieser Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Chef der Strafvollzugsbehörden bleibt. Zieht man noch in Betracht, dass der Präsident die Richtlinien in der Innen- und Außenpolitik bestimmt und als Schiedsrichter über den Gewalten steht, so bleibt die minimale Umverteilung nahezu folgenlos für die Übermacht des Präsidenten.
Eine weitere scheinbare Umverteilung von Kompetenzen stellt sich ebenfalls als Nebelkerze heraus: Die Leiter der »Machtbehörden«, zu denen für gewöhnlich die Bereiche Militär, Sicherheit und Strafverfolgung gezählt werden, sollen vom Präsidenten neuerdings nach Konsultationen mit dem Oberhaus des Parlaments, dem Föderationsrat, ernannt werden. Da dieser aufgrund der derzeitigen Nominierungsprozedur präsidentenhörig ist, wird der Präsident auch in Zukunft die Kandidaten seiner Wahl ernennen können.
Putins Gesetz sieht ferner vor, den ohnehin auf Moskau zugeschnittenen Föderalismus zu zentralisieren, was die Machtvertikale des Präsidenten stärken wird: Zum einen sollen die regionalen Staatsanwälte künftig nach Konsultationen mit dem Föderationsrat vom Präsidenten ernannt werden. Bisher müssen die Regionalparlamente zustimmen. Außerdem sieht Putin vor, dass ein einheitliches System der öffentlichen Verwaltung geschaffen wird: Die bis dato unabhängigen Kommunen werden der Föderal- und Regionalverwaltung untergeordnet. Auch die Judikative lässt Putin nicht unangetastet: Nach der Reform soll der Präsident veranlassen können, dass Richter des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs vom Föderationsrat entlassen werden. Bisher waren Disziplinarverfahren der Richterschaft überlassen.
Eine Änderung, um die sich zurzeit viele Spekulationen ranken, betrifft den Staatsrat, der künftig in der Verfassung verankert wird. Vielfach wird angenommen, dass Putin dem Organ so neue Macht zuweisen will und damit das Amt des Staatsratsvorsitzenden für sich in Betracht zieht. Doch der Verfassungsstatus sagt nichts darüber aus, wie viel Macht der Staatsrat tatsächlich hat; es kommt darauf an, welche Kompetenzen ihm per Gesetz zugeschrieben werden. Derzeit ist er ein vierteljährlich tagendes Gremium für Regionalpolitik, in dem die Gouverneure dem Präsidenten ihre Anliegen in überwiegend »weichen« Politikfeldern vortragen. Zudem ist er vollständig unter präsidialer Kontrolle: Der Präsident hat den Vorsitz, der Sekretär ist ein Präsidentenberater, und organisatorisch wird das Gremium von einer Abteilung des Kremls betreut. Auch nach der Reform soll das Organ weiter vom Präsidenten berufen werden. Kurzum: Bisher ist der Staatsrat kein Ort, in dem Putin dem zukünftigen Präsidenten ein Gegengewicht bieten könnte. Viel wichtiger ist, dass auch der Sicherheitsrat, der über strategische Fragen in den »harten« Bereichen Militär, Geheimdienste und Wirtschaft entscheidet, weiterhin vollständig vom Präsidenten dominiert werden wird; das Reformpaket sieht hier keine Änderungen vor.
Unterm Strich bleibt, dass der Präsident gestärkt aus der Verfassungsreform hervorgehen wird. Über den Putin-Transit kann weiterhin nur spekuliert werden. Sicher wird Putin mit weiteren Überraschungsmomenten aufwarten, davon zeugt der unerwartete Rücktritt der Medwedjew-Regierung. Denkbar sind etwa vorgezogene Duma- oder Präsidentschaftswahlen. Auch Putin selbst ist nicht vor Überraschungen gewappnet, die die raffiniertesten Nachfolgepläne durchkreuzen können. Denn mit dem Verfassungsstreich wird auch eine Zeit innenpolitischer Turbulenzen eingeläutet.
Politische Risiken vor dem großen Wahlzyklus 2021–2024
doi:10.18449/2019A53