Die Parlamentswahl in Georgien war von Kontroversen über den Kurs des Landes geprägt. Wenig deutet kurz nach der Wahl darauf hin, dass sich die innenpolitische Krise entschärft oder die Beziehung zwischen Tbilisi und Brüssel einfacher wird, meinen Franziska Smolnik und Giorgi Tadumadze.
Schon lange galt die Parlamentswahl in Georgien am Samstag als richtungsweisend. Seit Dezember 2023 ist Georgien EU-Beitrittskandidat, ein Großteil der Bevölkerung befürwortet die Mitgliedschaft in der Union. Doch der politische Kurs der georgischen Regierung in den vergangenen Monaten hat das Land einem Beitritt nicht nähergebracht. Im Gegenteil. Umstrittene Maßnahmen wie das Gesetz zur »Transparenz ausländischer Einflussnahme« haben zu einer rapiden Verschlechterung der Beziehungen zwischen Brüssel und Tbilisi geführt; diese befänden sich »auf einem historischen Tief«, so Paweł Herczyński, EU-Botschafter in Georgien, kurz vor der Wahl.
Welchen Spielraum die EU für ihre Politik künftig haben und welche Rolle sie spielen kann, dürfte maßgeblich von den Entwicklungen der kommenden Wochen und Monate abhängen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass der auf eine langfristige Transformation ausgerichtete Ansatz der EU ohne entsprechenden politischen Willen auf der Seite ihrer Partner Grenzen hat.
Laut offiziellem Ergebnis hat die Regierungspartei »Georgischer Traum« (GT) die Wahl mit rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen. Das stärkste Oppositionsbündnis erhielt rund 11 Prozent der Stimmen, insgesamt schafften vier Oppositionsparteien den Einzug ins Parlament. Das Ergebnis ist von Manipulationsvorwürfen überschattet: Sowohl die Staatspräsidentin als auch die führenden Oppositionsparteien bezeichneten die Wahl als illegitim; letztere lehnen ihre Mandate aus Protest ab und fordern Neuwahlen. Während die internationale Beobachtermission um ODIHR die ungleichen Bedingungen im Wahlkampf unterstreicht sowie die tiefgreifende politische Polarisierung im Land, gehen lokale Wahlbeobachter:innen einen Schritt weiter. Sie fordern die Annullierung der Abstimmung.
Bereits bei der Parlamentswahl 2020 sprach die Opposition von Manipulation und boykottierte das Parlament. Damals gelang es unter Vermittlung der EU, die Krise zumindest temporär zu entschärfen – ein Szenario, für dessen Wiederholung die Voraussetzungen heute noch ungünstiger scheinen.
Zum einen hat die politische Polarisierung weiter zugenommen und erfasst mittlerweile auch Bereiche wie Kultur und Universitäten. Der »Georgische Traum« hatte gar angekündigt, im Falle eines Wahlsieges zentrale Oppositionsparteien gänzlich verbieten zu wollen. Die notorisch fragmentierte Opposition hatte sich im Vorfeld der Wahl unter der Schirmherrschaft der Staatspräsidentin der »Georgischen Charta« verschrieben, einer Roadmap für Reformen und den Weg in die EU. Unterstützung findet dieser Kurs insbesondere auf Seiten der liberalen Zivilgesellschaft, aber auch der jungen Generation. Wie geschlossen die Opposition letztlich in der kommenden Zeit agieren wird, bleibt abzuwarten.
Zum anderen dürfte es der EU ungleich schwerer fallen, als Vermittlerin zwischen den politischen Lagern aufzutreten. Noch stärker als 2020 wird sie als Akteurin in der Auseinandersetzung wahrgenommen. Während der GT den westlichen Partnern Umsturzpläne und das Drängen Georgiens in einen Krieg mit Russland unterstellte, machte die EU deutlich, dass der vom GT eingeschlagene Weg nicht mit europäischen Werten und demokratischen Prinzipien vereinbar ist.
Die Eigenstilisierung des Georgischen Traums als Antikriegspartei mit einer Kampagne, die auf Ängste vor einer möglichen Ausweitung der russischen Aggression setzte, mag wahltaktischen Erwägungen geschuldet sein. Nichtsdestotrotz weist dieser Fokus auf eine Leerstelle in den EU-Debatten hin. Diese betrifft Georgiens Sicherheit in einem äußerst prekären geopolitischen Umfeld, zumal das Land keine direkte Grenze zur EU hat. Auch der Umgang mit den ungelösten Konflikten um Südossetien und Abchasien, nicht zuletzt mit Blick auf einen EU-Beitrittsprozess, wird unzureichend thematisiert.
Hinzu kommt, dass Georgien in den vergangenen Jahren ein wirtschaftliches Wachstum verzeichnete, die mit einer Annäherung an die EU verbundenen Hoffnungen auf Wohlstandseffekte aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. 2023 war die EU der wichtigste Handelspartner Georgiens, aber Russland spielt eine zentrale Rolle als Absatzmarkt für Georgiens Hauptexportgüter, wie Wein, Wasser und Spirituosen. Russland, so ein Ergebnis des Caucasus Barometer 2024, sehen nur verschwindend geringe ein Prozent der Befragten als Entwicklungsmodell. Doch auch die EU muss Lösungen und Angebote für die konkreten sicherheitspolitischen und sozioökonomischen Herausforderungen bieten, um attraktiv zu bleiben.