Der Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien um die Verteilung und Nutzung des Nilwassers ist in eine neue Phase eingetreten. Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, wie und über welchen Zeitraum das Staubecken des Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) befüllt wird. Vor diesem Hintergrund haben die USA Ende 2019 einen neuen Vermittlungsversuch gestartet. Anfängliche Hoffnungen auf eine schnelle Einigung haben sich indes nicht erfüllt. Je länger Ergebnisse auf sich warten lassen, desto deutlicher wird, dass externe Mediation allein nicht ausreicht, den Konflikt zu lösen. Dieser kann offenbar nur entschärft werden, wenn Ägypten Äthiopien für ein Entgegenkommen entschädigt. Deutschland und seine europäischen Partner sollten Ägypten beim Aufbau eines entsprechenden Kompensationsmechanismus finanziell unterstützen. Dies würde die Stabilität in der konfliktträchtigen Nachbarregion Europas fördern und den dortigen Migrationsdruck verringern. Allerdings sollten die Europäer eine finanzielle Beteiligung an klare Bedingungen gegenüber Kairo knüpfen, die darauf abzielen, das Wassermanagement und die allgemeine Regierungsführung zu verbessern.
Die unter Vermittlung der US-Administration geführten Verhandlungen zum Nilwasserkonflikt mussten Ende Februar abermals vertagt werden. Ägypten, Äthiopien und Sudan konnten sich erneut nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Befüllung des GERD-Staubeckens einigen. US-Außenminister Pompeo hat angedeutet, es könnten noch Monate bis zu einer Übereinkunft vergehen. Nachdem bereits drei Verhandlungsrunden in Washington ohne konkretes Ergebnis geblieben sind, kann auch ein vollständiges Scheitern der US-Initiative nicht ausgeschlossen werden. In diesem Fall würde Artikel 10 der trilateralen Prinzipienerklärung von 2015 aktiviert. Er sieht vor, dass weitere Konsultationen stattfinden, gemeinsam um internationale Mediation ersucht oder auf der Ebene der Staats- bzw. Regierungschefs verhandelt wird.
Der ausbleibende Erfolg der Vermittlungsbemühungen der Trump-Administration verdeutlicht einmal mehr, dass sich der Konflikt um die Nutzung des Nilwassers in einer Sackgassen-Konstellation befindet. Ging es bei zahlreichen Verhandlungen in den letzten Jahrzehnten um die grundsätzliche Frage der Wassernutzungsrechte, streiten Ägypten und Äthiopien derzeit vor allem um den Zeitrahmen, in dem das Staubecken des GERD – voraussichtlich ab 2020 – befüllt werden soll. Die ägyptische Regierung drängt auf eine langsame Befüllung von 12 bis 21 Jahren, um größere Engpässe in der Wasserversorgung zu vermeiden. Die äthiopische Regierung hingegen will innerhalb von 6 Jahren befüllen, um die Turbinen zur Stromerzeugung schneller in Betrieb nehmen zu können. Sudan, nicht nur geografisch zwischen beiden Parteien gelegen, ist zwar auch in die Verhandlungen eingebunden, nimmt aber eine weitgehend neutrale Position ein. Zusammen mit Ägypten profitiert Khartum von der bisherigen Wasserverteilung und verspricht sich gleichzeitig Vorteile vom GERD. Weiterer Zeitverlust schwächt in jedem Fall die ägyptische Verhandlungsposition.
Ägypten unter Druck
Ägypten ist bei seiner Wasserversorgung fast vollständig auf den Nil angewiesen, der über 90 Prozent der nationalen Wasserressourcen bereitstellt. Rund 86 Prozent des Nilwassers, das den Assuan-Staudamm erreicht, kommt aus dem äthiopischen Hochland. Dennoch konnte Äthiopien bislang keinen Vorteil aus seiner geostrategisch günstigen Position als Oberlieger ziehen. In der Vergangenheit verhinderten fehlende finanzielle Mittel und eine instabile politische Lage den Ausbau der Wasserinfrastruktur in Äthiopien.
Vor diesem Hintergrund beharrten wechselnde Regierungen in Kairo stets auf dem Status quo der Wasserverteilung. Dabei stützten sie sich vor allem auf Vertragswerke aus Kolonialzeiten: erstens auf eine Vereinbarung von 1929 mit der Kolonialmacht Großbritannien, die Ägypten ein Vetorecht gegen Wasserprojekte am Oberlauf einräumt, zweitens auf ein Abkommen mit Sudan von 1959, das die Nilwasserressourcen zwischen den beiden Staaten aufteilt und Ägypten jährlich 55,5 Milliarden Kubikmeter zusichert, Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter. Dass diese Verträge ohne Äthiopien ausgehandelt worden sind, ignoriert Kairo geflissentlich.
Durch den Bau des GERD hat sich das Machtgefüge am Nil grundlegend geändert. Das Festhalten an den alten Wasserverträgen bietet Ägypten keinerlei Schutz mehr vor Einschränkungen der eigenen Wasserversorgung. Wiederholte Drohungen aus Kairo, das Dammbauprojekt gegebenenfalls mit militärischen Mitteln zu stoppen, sind nicht zuletzt wegen der Entfernung zwischen den beiden Ländern eher unrealistisch. Auch Bemühungen, über die Mobilisierung verbündeter Staaten Druck auf Äthiopien aufzubauen, blieben bisher erfolglos. Die USA und die Europäer, aber ebenso die Golfstaaten und die Volksrepublik China unterhalten mit beiden Ländern gute Beziehungen; offenkundig sind sie nicht bereit, im Wasserkonflikt einseitig Partei zu ergreifen.
Dass die äthiopische Führung von sich aus Kompromisse eingeht, ist aufgrund der nationalen Dimension des Projekts unwahrscheinlich. Ende 2019 waren die Bauarbeiten zu etwa 70 Prozent abgeschlossen, sodass die Befüllung 2020 beginnen kann und die volle Inbetriebnahme – abhängig von der Befülldauer – 2025 realistisch scheint. Ein Großteil der äthiopischen Bevölkerung hat bis heute keinen Zugang zu Elektrizität. Der Bau des GERD hat für Äthiopien daher ähnliche Bedeutung wie einst der Bau des Assuan-Staudamms für Ägypten: Es geht hier nicht nur um ein Infrastruktur-Projekt, sondern um ein Jahrhundertvorhaben, das den Weg zur Modernisierung des Landes ebnen soll. Weitere Verzögerungen bei der Umsetzung oder eine drastische Verkleinerung des Vorhabens konnte und kann die Staatsführung in Addis Abeba gegenüber der eigenen Bevölkerung kaum rechtfertigen. Ein starkes Symbol war der Besuch von Premierminister Abiy Ahmed am GERD am 1. Februar 2020, nur einen Tag nach einer weiteren Verhandlungsrunde ohne Ergebnis.
Die Verhandlungen über die Befüllung des Staubeckens stecken fest – allerdings mit klarem Vorteil für Äthiopien: Bei neuen Verzögerungen könnte die Regierung in Addis Abeba eine rasche Befüllung einleiten, die eine dramatische Wasserverknappung in Ägypten – sogar mit Auswirkungen auf die Energieerzeugung – hervorrufen könnte (siehe Grafik). Um ein solches Szenario abzuwenden, sind insbesondere die europäischen Staaten gefragt. Denn: Ägyptens Versorgungssicherheit und Äthiopiens Entwicklung sind zentral für die Stabilität der gesamten Region mit über 250 Millionen Menschen. Ausbleibende Entwicklungsmöglichkeiten und Wasserknappheit können schwerwiegende Folgen für Europa haben, auch in Form steigenden Migrationsdrucks. Kommt eine Einigung weiterhin nicht zustande, sollten Deutschland und seine europäischen Partner alternative Lösungsansätze anbieten, um die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.
Kompensationslösung notwendig
Ein erneuter Versuch von außen, den Nilwasserkonflikt zu lösen, sollte sich nicht mehr nur darauf beschränken, Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zu ermöglichen. Dieses Vorgehen hat sich nicht erst durch die bislang vergebliche Initiative der Trump-Administration als wenig effektiv herausgestellt. Auch die 1999 geschaffene und maßgeblich von europäischen Staaten unterstützte Nile Basin Initiative (NBI) war dabei wenig erfolgreich. Ihr Ziel war, die Nilanrainer an einen Verhandlungstisch zu bringen und parallel dazu die technische Zusammenarbeit zur Nutzung des Nilwassers zu fördern. Die politischen und rechtlichen Fragen der Wasserverteilung und ‑nutzung blieben trotz NBI ungelöst.
Vielmehr sollten die Europäer einen eigenen Vorschlag präsentieren, der die gestiegene Verhandlungsmacht Äthiopiens grundsätzlich anerkennt. Anders als bisher sollten sich Verhandlungen unter europäischer Führung nicht auf Verteilungsquoten konzentrieren, sondern darauf, wie und in welcher Form Ägypten negative Konsequenzen abfedern kann, die eine langsame Befüllung des Staubeckens für Äthiopien hätte.
Denkbar wäre die Ausarbeitung eines Kompensationsmechanismus zwischen den beiden Ländern. Er müsste regeln, dass Ägypten Äthiopien für die wirtschaftlichen Nachteile aus einer langsameren Aufstauung entschädigt. Als Berechnungsgrundlage für die Opportunitätskosten, die Äthiopien entstünden, könnte der finanzielle Wert der entgangenen Strommenge und des entsprechenden volkswirtschaftlichen Nutzens dienen. Weil die Datenlage unklar ist, wäre die Ermittlung dieser Opportunitätskosten keineswegs ein rein technischer Vorgang, sondern letztlich Ergebnis politischer Verhandlungen, die Deutschland und seine europäischen Partner anleiten könnten. Zudem sollten die Golfmonarchien als wichtigste Partner der drei betroffenen Nilanrainerstaaten in die Verhandlungen einbezogen werden. Sie könnten von einer friedlichen und nachhaltigen Konfliktlösung profitieren, da sie im Nilbecken kräftig investiert haben, besonders im Agrarsektor.
Mit Blick auf mögliche Klimaschwankungen böte so ein Mechanismus Flexibilität bei der Befüllung des Staubeckens. Äthiopien könnte in regenreichen Jahren mehr Wasser stauen als zunächst vereinbart, wodurch sich die Entschädigungszahlungen verringern würden. Umgekehrt könnte das Land in Dürrephasen über den Mechanismus entschädigt werden, wenn es mehr Wasser als vorgesehen nach Ägypten weiterleitet. Würde es gelingen, einen solchen Kompensationsmechanismus für die Befüllungsphase auszuarbeiten, könnten die getroffenen Regelungen auch zukünftig für die Steuerung der Wassermenge am Staudamm genutzt werden.
Die Finanzierung eines derartigen Mechanismus müsste über Ägypten laufen. Zwar hat das Land nach internationalem Recht Anspruch auf einen angemessenen und gerechten Anteil am Nilwasser, doch wäre eine Quotenregelung nach ägyptischen Vorstellungen rechtlich kaum halt- und faktisch nicht umsetzbar. Wegen der leeren Staatskasse ist Kairo schwerlich in der Lage, so einen Mechanismus zu finanzieren – hier müssten sich die Europäer engagieren.
Bedingungen für europäisches Engagement
Die Europäer sollten ihre Finanzierung eines solchen Kompensationsmechanismus und damit die Unterstützung Ägyptens allerdings an Bedingungen knüpfen, die auf eine umfassende Lösung der Wasserkrise abzielen.
Der Konflikt um den GERD und die Nutzung des Nilwassers spielt sich bereits vor dem Hintergrund eines akuten Wassernotstandes in Ägypten ab (siehe Grafik). Auch ohne die Befüllung des GERD-Staubeckens wird das Land laut Schätzungen der Vereinten Nationen (VN) im Jahr 2025 die Schwelle absoluter Wasserknappheit erreichen. Starkes Bevölkerungswachstum trägt hierzu ebenso bei wie Missmanagement im Wassersektor und Fehlallokation öffentlicher Mittel: Während sich das Land unter Präsident Sisi zum drittgrößten Waffenimporteur weltweit entwickelt und ressourcenintensive Prestigeprojekte vorantreibt – wie eine neue Hauptstadt in der Wüste (mind. 45 Milliarden US-Dollar) oder den Bau eines Atomkraftwerks (ca. 25 Milliarden US-Dollar) –, wurden staatliche Investitionen ins Wassermanagement vernachlässigt. So sind größere Vorhaben zur Meerwasserentsalzung erst ab 2017 konkretisiert worden.
Dementsprechend müssten Deutschland und seine europäischen Partner ihre finanzielle Zuwendung im Rahmen der Kompensationslösung an folgende Bedingungen koppeln: Von Ägypten müssten sie eine Neuorientierung bei der staatlichen Ausgabenpolitik einfordern, die sich nicht weiter an autoritären Herrschaftslogiken ausrichten dürfte. Um eine solche Neuorientierung durchzusetzen, wären politische Reformen in Richtung besserer Regierungsführung und Rechenschaftspflicht unabdingbar. Äthiopien müsste sich dazu verpflichten, im Falle extremer Dürreperioden während der beidseitig abgestimmten Befüllung des Staubeckens flexibel zu reagieren.
Tobias von Lossow ist Research Fellow bei Clingendael – Netherlands Institute of International Relations.
Luca Miehe ist Forschungsassistent der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
Dr. Stephan Roll ist Leiter der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
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doi: 10.18449/2020A13