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Nilstreit: Kompensation statt Mediation

Wie die Europäer sich an einer alternativen Konfliktlösung beteiligen können

SWP-Aktuell 2020/A 13, 02.03.2020, 4 Pages

doi:10.18449/2020A13

Research Areas

Der Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien um die Verteilung und Nutzung des Nilwassers ist in eine neue Phase eingetreten. Im Mittelpunkt steht jetzt die Frage, wie und über welchen Zeitraum das Stau­becken des Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) befüllt wird. Vor diesem Hintergrund haben die USA Ende 2019 einen neuen Vermittlungsversuch gestartet. Anfängliche Hoffnungen auf eine schnelle Eini­gung haben sich indes nicht erfüllt. Je länger Ergebnisse auf sich warten lassen, desto deut­licher wird, dass externe Mediation allein nicht ausreicht, den Konflikt zu lösen. Dieser kann offenbar nur entschärft werden, wenn Ägypten Äthiopien für ein Entgegen­kommen entschädigt. Deutschland und seine europäischen Partner sollten Ägypten beim Aufbau eines entsprechenden Kompensationsmechanismus finan­ziell unter­stützen. Dies würde die Stabilität in der konfliktträchtigen Nachbarregion Europas fördern und den dortigen Migrationsdruck verringern. Allerdings sollten die Europäer eine finan­zielle Beteiligung an klare Bedingungen gegenüber Kairo knüpfen, die darauf abzielen, das Wassermanagement und die allgemeine Regierungsführung zu verbessern.

Die unter Vermittlung der US-Adminis­tration geführten Verhandlungen zum Nilwasserkonflikt mussten Ende Februar abermals vertagt werden. Ägypten, Äthio­pien und Sudan konnten sich erneut nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Befüllung des GERD-Staubeckens einigen. US-Außenminister Pompeo hat angedeutet, es könnten noch Monate bis zu einer Über­einkunft vergehen. Nachdem bereits drei Verhandlungsrunden in Washington ohne konkretes Ergebnis geblieben sind, kann auch ein vollständiges Scheitern der US-Initiative nicht ausgeschlossen werden. In diesem Fall würde Artikel 10 der trilateralen Prinzipienerklärung von 2015 aktiviert. Er sieht vor, dass weitere Konsultationen stattfinden, gemeinsam um internationale Mediation ersucht oder auf der Ebene der Staats­- bzw. Regierungschefs verhandelt wird.

Der ausbleibende Erfolg der Vermittlungsbemühungen der Trump-Adminis­tration verdeutlicht einmal mehr, dass sich der Konflikt um die Nutzung des Nil­wassers in einer Sackgassen-Konstellation befindet. Ging es bei zahlreichen Verhandlungen in den letzten Jahr­zehnten um die grundsätzliche Frage der Wassernutzungsrechte, strei­ten Ägyp­ten und Äthiopien derzeit vor allem um den Zeitrahmen, in dem das Stau­becken des GERD – voraussichtlich ab 2020 – befüllt werden soll. Die ägyptische Regierung drängt auf eine langsame Befül­lung von 12 bis 21 Jahren, um größere Eng­pässe in der Wasserversorgung zu ver­mei­den. Die äthiopische Regierung hin­gegen will innerhalb von 6 Jahren befüllen, um die Tur­bi­nen zur Strom­erzeugung schneller in Betrieb nehmen zu können. Sudan, nicht nur geografisch zwischen bei­den Parteien gelegen, ist zwar auch in die Verhandlungen eingebunden, nimmt aber eine weit­gehend neutrale Posi­tion ein. Zusam­men mit Ägypten pro­fitiert Khartum von der bisherigen Wasserverteilung und ver­spricht sich gleichzeitig Vorteile vom GERD. Wei­terer Zeitverlust schwächt in jedem Fall die ägyptische Verhandlungsposition.

Ägypten unter Druck

Ägypten ist bei seiner Wasserversorgung fast vollständig auf den Nil angewiesen, der über 90 Prozent der nationalen Wasser­ressourcen bereitstellt. Rund 86 Prozent des Nilwassers, das den Assuan-Staudamm erreicht, kommt aus dem äthiopischen Hoch­land. Dennoch konnte Äthiopien bis­lang keinen Vorteil aus seiner geostrategisch günstigen Position als Oberlieger ziehen. In der Vergangenheit verhinderten fehlende finanzielle Mittel und eine in­stabile politische Lage den Ausbau der Wasserinfrastruktur in Äthiopien.

Vor diesem Hintergrund beharrten wech­selnde Regierungen in Kairo stets auf dem Status quo der Wasserverteilung. Dabei stütz­ten sie sich vor allem auf Vertrags­werke aus Kolo­nialzeiten: erstens auf eine Vereinbarung von 1929 mit der Kolonialmacht Groß­britannien, die Ägypten ein Vetorecht gegen Wasserprojekte am Ober­lauf einräumt, zwei­tens auf ein Abkommen mit Sudan von 1959, das die Nilwasser­ressourcen zwischen den beiden Staaten auf­teilt und Ägypten jähr­lich 55,5 Milliar­den Kubikmeter zu­sichert, Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter. Dass diese Verträge ohne Äthiopien aus­ge­handelt worden sind, ignoriert Kairo ge­flissentlich.

Durch den Bau des GERD hat sich das Machtgefüge am Nil grundlegend ge­ändert. Das Festhalten an den alten Was­ser­verträgen bietet Ägypten keinerlei Schutz mehr vor Einschränkungen der eigenen Was­server­sor­gung. Wiederholte Drohungen aus Kairo, das Dammbauprojekt gegebenenfalls mit militärischen Mitteln zu stoppen, sind nicht zuletzt wegen der Entfernung zwischen den beiden Ländern eher unrealistisch. Auch Bemü­hungen, über die Mobilisierung ver­bündeter Staaten Druck auf Äthiopien auf­zubauen, blieben bisher erfolglos. Die USA und die Europäer, aber ebenso die Golf­staaten und die Volksrepublik China unter­halten mit beiden Ländern gute Bezie­hun­gen; offen­kundig sind sie nicht bereit, im Wasserkonflikt einseitig Partei zu ergreifen.

Dass die äthiopische Führung von sich aus Kompromisse eingeht, ist aufgrund der nationalen Dimension des Projekts un­wahr­scheinlich. Ende 2019 waren die Bauarbeiten zu etwa 70 Prozent abgeschlossen, so­dass die Befüllung 2020 beginnen kann und die volle Inbetriebnahme – abhängig von der Befüll­dauer – 2025 realistisch scheint. Ein Groß­teil der äthiopischen Bevölkerung hat bis­ heute keinen Zugang zu Elektrizität. Der Bau des GERD hat für Äthiopien daher ähnliche Bedeutung wie einst der Bau des Assuan-Staudamms für Ägypten: Es geht hier nicht nur um ein Infrastruktur-Projekt, sondern um ein Jahrhundertvorhaben, das den Weg zur Modernisierung des Landes ebnen soll. Weitere Verzögerungen bei der Umsetzung oder eine drastische Verkleinerung des Vorhabens konnte und kann die Staatsführung in Addis Abeba gegenüber der eigenen Bevölkerung kaum rechtfertigen. Ein starkes Symbol war der Besuch von Premierminister Abiy Ahmed am GERD am 1. Februar 2020, nur einen Tag nach einer weiteren Verhandlungsrunde ohne Ergebnis.

Die Verhandlungen über die Befüllung des Staubeckens stecken fest – allerdings mit klarem Vorteil für Äthio­pien: Bei neuen Verzögerungen könnte die Regierung in Addis Abeba eine rasche Befüllung einleiten, die eine dramatische Wasserverknappung in Ägypten – sogar mit Auswirkungen auf die Energieerzeugung – hervorrufen könnte (siehe Gra­fik). Um ein solches Szenario ab­zuwenden, sind insbesondere die europäischen Staaten gefragt. Denn: Ägyptens Versorgungssicherheit und Äthiopiens Entwicklung sind zentral für die Stabilität der ge­samten Region mit über 250 Millio­nen Menschen. Ausbleibende Entwicklungs­möglichkeiten und Wasserknappheit können schwer­wiegende Folgen für Europa haben, auch in Form steigenden Migra­tionsdrucks. Kommt eine Einigung weiter­hin nicht zustande, sollten Deutschland und seine euro­päischen Part­ner alternative Lösungs­ansätze anbieten, um die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.

Kompensationslösung notwendig

Grafik

Ein erneuter Versuch von außen, den Nil­wasserkonflikt zu lösen, sollte sich nicht mehr nur darauf beschränken, Verhandlungen zwi­schen den Konfliktparteien zu ermög­lichen. Dieses Vorgehen hat sich nicht erst durch die bislang vergebliche Initiative der Trump-Admi­nistration als wenig effektiv heraus­gestellt. Auch die 1999 geschaffene und maß­geblich von euro­päischen Staaten unter­stützte Nile Basin Initiative (NBI) war dabei wenig erfolgreich. Ihr Ziel war, die Nilanrainer an einen Ver­handlungstisch zu bringen und parallel dazu die technische Zusammenarbeit zur Nutzung des Nil­wassers zu fördern. Die politischen und recht­lichen Fragen der Was­serverteilung und ‑nut­zung blieben trotz NBI ungelöst.

Vielmehr sollten die Europäer einen eige­nen Vorschlag präsentieren, der die ge­stie­gene Verhandlungsmacht Äthiopiens grund­sätzlich an­erkennt. Anders als bisher soll­ten sich Ver­handlungen unter europäischer Füh­rung nicht auf Verteilungsquoten kon­zentrieren, sondern darauf, wie und in welcher Form Ägypten negative Kon­sequen­zen abfedern kann, die eine lang­same Befül­lung des Staubeckens für Äthiopien hätte.

Denkbar wäre die Ausarbeitung eines Kompensationsmechanismus zwi­schen den beiden Ländern. Er müsste regeln, dass Ägypten Äthiopien für die wirt­schaftlichen Nachteile aus einer langsameren Aufstauung entschädigt. Als Berechnungsgrundlage für die Opportunitätskosten, die Äthiopien ent­stünden, könnte der finanzielle Wert der entgangenen Strom­menge und des entsprechenden volkswirtschaftlichen Nutzens dienen. Weil die Datenlage unklar ist, wäre die Ermittlung dieser Oppor­tuni­tätskosten keineswegs ein rein technischer Vorgang, sondern letztlich Ergebnis politi­scher Ver­handlungen, die Deutschland und seine europäischen Partner anleiten könn­ten. Zu­dem sollten die Golfmonarchien als wich­tigste Partner der drei betroffenen Nil­anrainerstaaten in die Verhandlungen ein­bezogen werden. Sie könnten von einer fried­lichen und nachhaltigen Konflikt­lösung profitieren, da sie im Nilbecken kräftig investiert haben, besonders im Agrarsektor.

Mit Blick auf mögliche Klimaschwankungen böte so ein Mechanismus Fle­xibi­lität bei der Befüllung des Staubeckens. Äthiopien könnte in regenreichen Jah­ren mehr Wasser stauen als zunächst ver­ein­bart, wodurch sich die Entschädigungs­zahlungen verringern würden. Umgekehrt könnte das Land in Dürrephasen über den Mechanismus entschädigt werden, wenn es mehr Wasser als vorgesehen nach Ägypten weiterleitet. Würde es gelingen, einen solchen Kompensationsmechanismus für die Befüllungsphase auszuarbeiten, könn­ten die getroffenen Regelungen auch zu­künftig für die Steuerung der Wassermenge am Staudamm genutzt werden.

Die Finanzierung eines derartigen Mecha­nismus müsste über Ägyp­ten laufen. Zwar hat das Land nach internationalem Recht Anspruch auf einen angemessenen und gerechten Anteil am Nilwasser, doch wäre eine Quotenregelung nach ägyp­tischen Vorstellungen rechtlich kaum halt- und faktisch nicht umsetz­bar. Wegen der leeren Staatskasse ist Kairo schwerlich in der Lage, so einen Mechanismus zu finan­zieren – hier müssten sich die Europäer engagieren.

Bedingungen für europäisches Engagement

Die Europäer sollten ihre Finanzierung eines solchen Kompensationsmechanismus und damit die Unterstützung Ägyptens aller­dings an Be­dingungen knüpfen, die auf eine um­fas­sende Lösung der Wasserkrise abzielen.

Der Konflikt um den GERD und die Nut­zung des Nilwassers spielt sich bereits vor dem Hintergrund eines akuten Wasser­not­standes in Ägypten ab (siehe Grafik). Auch ohne die Befüllung des GERD-Stau­beckens wird das Land laut Schätzungen der Ver­ein­ten Nationen (VN) im Jahr 2025 die Schwelle absoluter Wasserknappheit errei­chen. Star­kes Bevölkerungswachstum trägt hierzu ebenso bei wie Missmanagement im Wasser­sektor und Fehlallokation öffent­licher Mittel: Wäh­rend sich das Land unter Präsident Sisi zum drittgrößten Waf­fen­impor­teur welt­weit entwickelt und ressourcen­intensive Prestigeprojekte vorantreibt – wie eine neue Hauptstadt in der Wüste (mind. 45 Mil­liarden US-Dollar) oder den Bau eines Atom­kraftwerks (ca. 25 Milliarden US-Dollar) –, wurden staat­liche Investitionen ins Wasser­management vernachlässigt. So sind grö­ßere Vor­haben zur Meerwasser­entsal­zung erst ab 2017 konkretisiert worden.

Dementsprechend müssten Deutschland und seine europäischen Partner ihre finan­zielle Zuwendung im Rahmen der Kompensationslösung an folgende Bedingungen koppeln: Von Ägyp­ten müssten sie eine Neu­orientierung bei der staatlichen Ausgabenpolitik einfordern, die sich nicht weiter an autoritären Herrschafts­logiken ausrichten dürfte. Um eine solche Neu­orientierung durchzusetzen, wären politische Refor­men in Richtung bes­serer Regierungsführung und Rechenschaftspflicht unab­ding­bar. Äthiopien müsste sich dazu ver­pflich­ten, im Falle extremer Dürre­perioden während der beidseitig abgestimmten Befül­lung des Staubeckens flexi­bel zu reagieren.

Tobias von Lossow ist Research Fellow bei Clingendael – Netherlands Institute of International Relations.

Luca Miehe ist Forschungsassistent der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.

Dr. Stephan Roll ist Leiter der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364