Warum die Bundesregierung das EU-Abkommen mit Ägypten in seiner vorliegenden Form nicht unterstützen sollte
Megatrends Spotlight 28, 25.03.2024Die geplanten umfangreichen EU-Hilfen für Ägypten tragen vor allem zur Stützung autoritärer Herrschaft bei, nicht aber zur nachhaltigen Stabilisierung des Landes. Zudem ist das Vorgehen der EU-Kommission verfahrensrechtlich höchst problematisch, erklärt Stephan Roll in diesem Megatrends Afrika Spotlight.
Ursula von der Leyen nennt das Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Ägypten einen „historischen Meilenstein“. Gemeinsam mit den Regierungschefs von Italien, Griechenland, Belgien, Österreich und Zypern war die EU-Kommissionspräsidentin am 17. März nach Kairo gereist, um das Abkommen mit Präsident Abdel Fatah al-Sisi zu unterzeichnen. Kern der neuen Vereinbarung ist ein 7,4 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zur Stabilisierung der Staatsfinanzen und der am Boden liegenden ägyptischen Wirtschaft. Im Gegenzug erhofft sich die EU-Kommission von der Sisi-Administration vor allem Unterstützung bei der Eindämmung irregulärer Migration. Ägypten ist mit über 110 Millionen Einwohnern nicht nur als Transit-, sondern zunehmend auch als Herkunftsland von Bedeutung. Bei dem in der Vereinbarung als „ganzheitlich“ bezeichneten Ansatz zur Migrationssteuerung dürften die beiden Themen Grenzsicherung und Rückführung für die Kommission am wichtigsten sein.
Dass der Plan der EU-Kommission aufgeht, muss stark bezweifelt werden. Ihr Vorgehen weckt Erinnerungen an das Jahr 2016, als Ägypten mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Programm zur Rettung der ägyptischen Staatsfinanzen vereinbarte. Damals, in der Hochphase der sogenannten Flüchtlingskrise, war in den europäischen Hauptstädten die Angst vor einem Staatsbankrott Ägyptens und daraus resultierenden möglichen Fluchtbewegungen ähnlich groß wie heute. Kurzerhand unterstützten deshalb mehrere europäische Staaten das IWF-Abkommen mit großzügigen Budgethilfen. Allein Deutschland stellte 450 Millionen Euro an sogenannten Ungebundenen Finanzkrediten (UFK) zur Verfügung, auch in der Erwartung, dass Ägypten dann seine Grenzen besser sichern würde. Und tatsächlich: Nur wenige Tage nach Gewährung der Finanzhilfen sank die Zahl der Migrant*innen, die von Ägypten aus den gefährlichen Weg über das Mittelmeer wagten, von über 12.000 zwischen Januar und September 2016 auf unter 100 in den darauffolgenden Monaten. Auch die Zahl der Ägypter*innen, die über alternative Routen, zumeist über Libyen, irregulär in die EU gelangten, blieb im Vergleich zu anderen Nationalitäten auf einem niedrigen Niveau.
Die Freude in den europäischen Hauptstädten über diesen Erfolg währte jedoch nur kurz. Das IWF-Programm und weitere Hilfen des Währungsfonds brachten Ägypten keineswegs die erhoffte wirtschaftliche Stabilisierung. Statt nachhaltigem Wachstum verzeichnete das Land vielmehr einen Anstieg der Staatsverschuldung. Steigende Inflation und Einsparungen im ohnehin maroden Sozialsystem führten zu einem dramatischen Anstieg der Armutsrate, die inzwischen deutlich über 35 Prozent liegen dürfte. Auch die Bereitschaft der staatlichen Stellen, die Landesgrenzen angemessen zu sichern, ließ in den Folgejahren zusehends nach. Im Jahr 2022, sechs Jahre nach dem Abkommen mit dem IWF, machten Ägypter*innen mit 21.753 Menschen die größte Gruppe unter den Migrant*innen aus, die über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa kamen.
In ihrer Analyse der gegenwärtigen Situation erwähnt die EU-Kommission zwar auch die unzureichende Umsetzung von Reformen durch die ägyptische Regierung. Sie führt die Wirtschaftsmisere des Landes aber in erster Linie auf die Auswirkungen externer Schocks wie die russische Invasion der Ukraine, den Gaza-Krieg sowie den blutigen Konflikt im Nachbarland Sudan zurück. Tatsächlich haben diese Entwicklungen Ägypten in den vergangenen zwei Jahren getroffen. Sie sind aber keineswegs die Hauptursache für die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise. Diese erklärt sich vielmehr aus der schuldenfinanzierten Ausgabenpolitik der ägyptischen Staatsführung unter Präsident Sisi.
Statt sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung zu orientieren, hat Sisi vor allem die Interessen des ägyptischen Militärs im Blick. Zwischen 2017 und 2021 war das hoch verschuldete Ägypten der drittgrößte Waffenimporteur weltweit. Zudem treiben fragwürdige Infrastrukturvorhaben die Staatsverschuldung immer weiter in die Höhe. Allein die Kosten für die pompöse Verwaltungshauptstadt, an deren Bau das Militär kräftig mitverdient, werden auf bis zu 59 Milliarden US-Dollar geschätzt. Ein erheblicher Teil davon dürfte aus der Staatskasse kommen. Und auch der schuldenfinanzierte Bau eines Atomkraftwerks durch russische Unternehmen dürfte den öffentlichen Haushalt auf Jahre hinaus belasten. Gleichzeitig ist kaum zu erwarten, dass sich die ägyptische Wirtschaftspolitik in Zukunft grundlegend ändern wird. Das autoritäre Herrschaftssystem ist auf den Rückhalt des Militärs angewiesen, dessen Macht immer weiter ausgebaut wird. Fehlende Gewaltenteilung, mangelnde Pressefreiheit und die polizeistaatliche Unterdrückung der regierungsunabhängigen Zivilgesellschaft sind mit guter Regierungsführung nicht vereinbar.
Das Abkommen der EU mit Ägypten wirft aber nicht nur hinsichtlich der zugrunde liegenden Annahmen Fragen auf. Auch verfahrenstechnisch erscheint das übereilte Vorgehen der Kommission problematisch. So sieht die Vereinbarung vor, dass Ägypten neben Investitionen und Zuschüssen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro (davon 200 Millionen Euro für den Bereich Migrationsmanagement) auch Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro erhalten soll. Von diesen Makrofinanzhilfen will die EU-Kommission mit Hilfe des Europäischen Rates bereits 2024 eine Milliarde Euro im Schnellverfahren nach Kairo überweisen. Eine vorherige Befassung durch das EU-Parlament wäre damit ausgeschlossen. Kommissionspräsidentin von der Leyen beruft sich bei ihrem Vorgehen auf Artikel 213 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Dieser sieht vor, dass der EU-Rat in Ausnahmefällen auf Vorschlag der Kommission einen entsprechenden Beschluss fassen kann, wenn die Situation in einem Drittland sofortige Finanzhilfen erforderlich macht.
Diese Begründung ist alles andere als plausibel. Denn gerade im Jahr 2024 dürfte Ägypten keine Probleme haben, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Hintergrund ist ein Ende Februar unterzeichnetes Investitionsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Für 24 Milliarden US-Dollar sowie die Umwandlung einer Zentralbankeinlage in Höhe von 11 Milliarden US-Dollar hat sich Abu Dhabi die Rechte zur touristischen Erschließung und Nutzung der Region Ras al-Hikma an der ägyptischen Mittelmeerküste gesichert. Das Geld soll innerhalb von zwei Monaten schrittweise nach Kairo überwiesen werden. Frische Liquidität erhält das Land zudem durch die geplante Aufstockung eines bestehenden Kreditabkommens mit dem IWF von drei auf acht Milliarden US-Dollar.
Die Bundesregierung sollte daher das Vorgehen der EU-Kommission nicht unterstützen. Die EU hätte ausreichend Zeit, um Finanzhilfen für Ägypten im Rahmen eines ordentlichen parlamentarischen Entscheidungsprozesses sorgfältig zu prüfen. Eine Auszahlung der vorgesehenen Hilfen scheint in jedem Fall nur dann sinnvoll, wenn die ägyptische Regierung zuvor eine Reihe von Reformmaßnahmen umsetzt, um eine bessere Regierungsführung sicherzustellen. Dazu gehören zuvorderst der Rückbau der militärischen Wirtschaftsaktivitäten sowie konkrete Schritte zur Beendigung der polizeistaatlichen Repression. Andernfalls werden die Hilfen nur zur Festigung des autoritären Herrschaftssystems unter Präsident Sisi, nicht aber zur nachhaltigen wirtschaftlichen Stabilisierung des bevölkerungsreichsten südlichen Nachbarlandes der EU beitragen. Eine Eindämmung der irregulären Migration werden sie, wenn überhaupt nur für kurze Zeit erreichen können.
Dr. Stephan Roll leitet die SWP-Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
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