Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung sollten einen wichtigen Platz in der neuen nationalen Sicherheitsstrategie einnehmen, schreibt Gerrit Kurtz (SWP) in diesem Megatrends Afrika Spotlight. Dabei sollten nicht nur Bedrohungen, sondern auch Chancen betrachtet, Prinzipien für Kohärenz genannt und eine stärkere Wirksamkeitsüberprüfung sichergestellt werden.
Seit 2017 ist Deutschland der weltweit größte Geber im Bereich Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung (siehe Abbildung 1). Die Bundesregierung hat ihre Ausgaben in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (Abbildung 2). Mittlerweile gehen rund ein Viertel aller bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeldeten Gelder für Friedensförderung auf sie zurück.
Neben Afghanistan (bis 2021) und dem Nahen Osten nimmt Afrika einen Schwerpunkt ein: etwas mehr als 30 Prozent der Gesamtausgaben gehen an den Nachbarkontinent. Schwerpunktländer waren 2020 Mali, Niger und die Demokratische Republik Kongo. Dies ist konsequent, da es in Afrika die meisten bewaffneten Konflikte gibt.
Die Bundesregierung hat einen Konsultations- und Dialogprozess für eine nationale Sicherheitsstrategie begonnen, welche sie binnen Jahresfrist vorlegen will. Die Strategie wird die erste ihrer Art für Deutschland sein. Sie soll die zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen, Interessen, Ziele und Instrumente der Bundesregierung auf den Punkt bringen.
Damit wird sie den Gesamtrahmen vorgeben, innerhalb dessen Deutschland fortan auch Friedensförderung in Afrika betreiben wird. Drei Aspekte sollten die Autor*innen der nationalen Sicherheitsstrategie insbesondere beachten: Chancen zur Veränderung, friedenspolitische Kohärenz, sowie Orientierung und Wirksamkeit.
Die nationale Sicherheit lenkt den Blick auf Gefahren: Russlands Krieg, Cyberangriffe, Desinformationskampagnen, Pandemien, Terrorismus, um nur einige zu nennen. Doch nachhaltige Sicherheitspolitik sollte friedenspolitische Aspekte einschließen, ganz im Sinne des erweiterten Sicherheitsbegriffs, von dem Außenministerin Annalena Baerbock gern spricht. Friedenspolitisch denken heißt auch, auf Gelegenheiten für konstruktive Veränderungen zu achten. Unterschiedliche Richtungen und Geschwindigkeiten von politischen Systemen sollten berücksichtigt werden.
Krisenprävention meint schließlich vorausschauendes, proaktives Handeln. In der Analyse gilt es daher, Szenarien entlang entscheidender Krisentreiber vorzubereiten, Anknüpfungspunkte für eigenes Handeln zu identifizieren, und an Entscheidungsträger*innen zu kommunizieren. Ob einseitige Friedenseinigung, Militärputsch oder politischer Elitendeal, der internationale Umgang damit hat oft einen entscheidenden Einfluss auf die Geschehnisse.
Ein Beispiel: Im Juni 2019 stand Sudan an einem Scheideweg. Nach monatelangen landesweiten Protesten hatten die Sicherheitskräfte Präsident Omar al-Bashir gestürzt und einen Übergangsmilitärrat eingerichtet. Der Protestbewegung war das jedoch nicht genug, sie rief nach einer zivilen Regierung und unterhielt ein Protestcamp vor dem Militärhauptquartier in der Hauptstadt Khartum. Dieses griffen Sicherheitskräfte am 3. Juni an und töteten über einhundert Menschen. Das Land drohte wieder in tiefe Repression und eine Konfliktspirale abzurutschen.
Doch am 30. Juni mobilisierte die gewaltfreie Bewegung Demonstrationen in nie dagewesener Größe. Gleichzeitig übten die USA und Großbritannien Druck auf die arabischen Unterstützer der Sicherheitskräfte in Sudan aus. In Berlin organisierte die Bundesregierung ein diplomatisches Treffen einflussreicher Regierungen der neu gegründeten „Friends of Sudan“. Äthiopien und die Afrikanische Union (AU) vermittelten zwischen Demokratiebewegung und Militär und wenig später stand die Einigung für eine zivil-militärische Übergangsregierung. Die internationalen Bemühungen, einschließlich Deutschlands, beugten nicht nur einer weiteren Eskalation vor, sondern halfen den sudanesischen Akteur*innen, einen Prozess tiefgreifender Reformen anzustoßen, auch wenn dieser mit dem Putsch im Oktober 2021 ein jähes Ende fand.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren erheblich in die ressorteigene und ressortgemeinsame strategische Vorausschau und Krisenfrüherkennung investiert. Gleichzeitig hapert es oft noch an der Verbindung von Analyse und präventiv orientiertem Handeln, dem „Early Action“ – wie die Bundesregierung letztes Jahr selbst anerkannte. Hierbei gilt es, noch flexibler Gelegenheiten für Konflikttransformation zu nutzen. Dafür kann die Bundesregierung existierende Instrumente beispielsweise im Rahmen des Zusammenspiels von humanitären, entwicklungspolitischen und friedensfördernden Maßnahmen stärker aufeinander abstimmen und dabei mit Partnern in der Europäischen Union (EU) oder bei den Vereinten Nationen (VN) zusammenarbeiten.
Eine wichtige Erkenntnis der Friedens- und Konfliktforschung ist, dass nicht alle normativen Ziele von Friedensförderung gleichzeitig zu erreichen sind bzw. dass es teilweise enorme Spannungen zwischen gängigen Zielen gibt. Die bekannteste, wenn auch oft zu stark vereinfachte Spannung ist die zwischen Frieden und Gerechtigkeit. Ähnliches lässt sich aber auch für den schnellen Wiederaufbau eines kriegszerstörten Gebiets einerseits und Korruptionsbekämpfung andererseits sagen.
Friedensförderung heißt eben auch, gerade in moralisch schwierigen Situationen nach belastbaren Ansätzen zu suchen, die Gewalt nicht nur kurzfristig zu stoppen. Sie sollten zumindest Ansätze zur Veränderung des Systems zulassen, welches Gewalt als probates Mittel der Konfliktaustragung erscheinen ließ. Friedensverhandlungen belohnen oft diejenigen Akteure, die besonders brutal und gewaltsam vorgegangen sind. Demgegenüber haben rein zivile oppositionelle Organisationen Schwierigkeiten, ihre Ziele in repressiven Systemen zu erreichen. Die Menschen in Südsudan sind beispielsweise mit dieser Dynamik gut vertraut. Dort hat die nach dem Friedensabkommen gebildete Regierung gerade ihre eigene Amtszeit um zwei Jahre verlängert, um erneute Kämpfe untereinander zu vermeiden.
Wie sich ein staatlicher Akteur wie die Bundesregierung in konkreten Situationen verhalten soll, lässt sich im Vorhinein nicht abstrakt festhalten. Hilfreich ist jedoch, die entscheidungsrelevanten Prinzipien zu nennen und offen anzuerkennen, dass es Spannungen und Zielkonflikte gibt. Dazu kann die Nationale Sicherheitsstrategie auf existierende Dokumente wie die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ von 2017 zurückgreifen.
Der Beirat zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung hat das Konzept der friedenspolitischen Kohärenz geprägt und dazu Studien mit Blick auf die deutsche Afrikapolitik in Auftrag gegeben. Friedenspolitische Kohärenz meint dabei, dass deutsches Regierungshandeln mit den vier Prinzipien des friedenspolitischen Leitbilds der Leitlinien möglichst weitegehend übereinstimmen soll (Menschenrechtsorientierung; kontextspezifisch, inklusiv und langfristig orientiert handeln; Risikomanagement; Primat der Politik und Vorrang der Prävention). Dieses sollte auch in die Leitprinzipien einer nationalen Sicherheitsstrategie einfließen.
Teil der friedenspolitischen Kohärenz ist die Ressortkohärenz, die oft eine Herausforderung ist. Zwar sind die Leitlinien formal ein Dokument der gesamten Bundesregierung, in der Praxis unterscheiden sich die Vorstellungen und Vorgehensweisen verschiedener Ressorts jedoch merklich, insbesondere zwischen Auswärtigem Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Verteidigungsministerium.
Das zeigt sich gerade in der Diskussion zur Lage des deutschen Beitrags zur UN-Mission in Mali nach mehreren Blockaden der dortigen Regierung. Die Auffassungen der Ressorts davon, wie ihre jeweiligen Aktivitäten genau zum übergreifenden Ziel eines nachhaltigen Friedens beitragen, passen nicht immer zusammen.
Welche Ansätze waren wirksam? Angesichts der bereits erheblichen finanziellen und politischen Investitionen in diesem Bereich ist es besonders wichtig, sich dies ständig zu fragen. Der Erfolg von Prävention lässt sich schlecht messen. Immerhin handelt es sich im besten Fall um ein Nicht-Ereignis aufgrund komplexer Wirkungsketten.
Ein Projekt, das zivilgesellschaftliche Organisationen darin unterstützt, lokale Friedenskomitees aufzubauen, kann beispielsweise ein Baustein zu Gewaltprävention auf der Ebene eines Dorfes sein. Vielleicht sprechen aber auch die wirtschaftlichen Anreize von Eliten gegen die gewaltsame Austragung von Konflikten, oder der Druck von regionalen Verbündeten.
Insbesondere reicht es nicht, nur einzelne Projekte oder Programme zu evaluieren. Man muss sie vielmehr im Gesamtkontext des eigenen Handelns und der Handlungen Dritter sehen. Die nationale Sicherheitsstrategie sollte daher auch eine Bereitschaft zu weiteren ressortübergreifenden Portfolio-Evaluationen deutschen Krisen-Engagements beinhalten. Dabei kann sie auf die Erfahrungen mit den Evaluationen zu Irak und bald zu Afghanistan verweisen.
Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung machen bereits jetzt einen wichtigen Teil des deutschen internationalen Engagements aus. Das sollte sich auch in der nationalen Sicherheitsstrategie widerspiegeln. Abschließend können Überlegungen aus diesem Themenfeld auch hilfreich für den Rest der Strategie sein: nicht nur Bedrohungen, sondern auch Chancen für Wandel analysieren, entscheidungsrelevante Prinzipien für kohärentes Handeln identifizieren, sowie eine beständige Überprüfung der Wirksamkeit von Maßnahmen sicherstellen.
Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Im Schatten des gescheiterten Übergangsprozesses verschärft sich die Konfliktsituation in Sudans Westen
doi:10.18449/2022A54
Die russische Invasion in die Ukraine, ein großer Weizenexporteur, verursacht weltweit Versorgungsrisiken. Dabei ist die Versorgungslage vielfach ohnehin angespannt. Unsere Beispiele zeigen auf, wie unterschiedlich einzelne Länder auf die Weizenknappheit reagieren. Individuelle Problemlagen in den Ländern bestimmen deren Lösungsansätze, zusätzlich zu den generelleren aktuellen Beschlüssen der G7 und der WTO zur Ernährungssicherheit. Die Koordination dieses 360 Grad hat Bettina Rudloff übernommen.