Jump directly to page content

Anspruchsvoll, aber notwendig: Impulse für die Einbindung afrikanischer Diaspora-Gruppen

blog Joint Futures 22, 09.11.2023

Afrikanisches Diaspora-Engagement in Außenpolitiken steht bisher am Rande der deutschen Afrikapolitik. Susan Bergner ordnet in diesem Joint Futures Beitrag ein, welches Potential in Diaspora-Gruppen als transnationale Akteur*innen steckt und wie sie in politische Prozesse integriert werden können.

 

Die neuen Afrikapolitischen Leitlinien sollen den Wandel in der Welt mitgestalten und dem deutschen Handeln einen kohärenten und strategischen Rahmen geben. Damit Deutschland diesem Anspruch gerecht wird, muss die Bundesregierung offen dafür sein, die deutsche und afrikanische Zivilgesellschaft in politische Prozesse einzubeziehen. Nur in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen lässt sich die Bandbreite und Komplexität transnationaler Herausforderungen besser erkennen. Mit dem Wissen über diasporische Gemeinschaften können Handlungsfelder kontextspezifischer und innovativer ausgestaltet werden.

Diaspora-Vertreter*innen sind hier als politische Gruppen noch weitestgehend von der afrikapolitischen Außenpolitik der Bundesregierung ausgeschlossen. Mit Diaspora-Gruppen sind vertriebene oder freiwillig migrierte Gemeinschaften der ersten oder späteren Generationen gemeint, die transnationale Verbindungen und Identitäten zu einem (vorgestellten) Heimatland pflegen. Wer zählt also nicht zur Diaspora?

Migrant*innen, die keinen Bezug zum Heimatland pflegen und innerstaatliche Migrant*innen sind nicht Teil der Diaspora. Auch die meisten religiösen Gemeinschaften, insofern sie nicht ein Territorium umschließen, gehören nicht dazu. Ein zentrales Charakteristikum von diasporischen Gemeinschaften ist der aktive und freiwillige Rückbezug auf die (vorgestellte) Heimat in Form von Verbindungen zu Verwandten, aber auch durch politisches Engagement. Für die Außenpolitik der Bundesregierung sind daher besonders jene Diaspora-Gruppierungen relevant, die sich in der politischen Arbeit auf die Heimatländer oder internationale Herausforderungen konzentrieren.

Warum ist die Diaspora eine wichtige Partnerin?

Erstens schlummert in politisch mobilisierten Diaspora-Vertreter*innen ein großes ungenutztes Potenzial. Diaspora-Organisationen können unter bestimmten Voraussetzungen als Brücken dienen; wenn sie gute Kontakte zu den lokalen Gemeinschaften pflegen, können sie Zugänge zu schwer erreichbaren Gebieten oder Gruppierungen ermöglichen. Dies war der Fall bei jungen somalischen Kämpfer*innen, welche von der somalischen Diaspora in Norwegen durch ein Bildungsprojekt und Unterstützung zum Lebensunterhalt erreicht wurden. Das Projekt ermöglichte dieser schwer zugänglichen Gruppe, sich aus dem Kreislaauf der Gewalt zu lösen. Eine vermittelnde Rolle in bilateralen Beziehungen, gelingt dann besonders gut, wenn beide Staaten demokratisch sind. Zwar ist ein demokratisches System keine alleinige Bedingung, erleichtert jedoch den Handlungsspielraum für das Diaspora-Engagement.

Zweitens hat sich Deutschland zu einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik verpflichtet, in deren Zentrum auch die marginalisierte Zivilgesellschaft einen Platz finden muss. Hier kann die Bundesregierung ihren eigenen Anspruch gerecht werden, indem sie sich systematischer mit Diaspora als marginalisierte Zivilgesellschaft auseinandersetzt. Gerade das Ziel, postkoloniale Realitäten zu reflektieren, kann mit afrikanischen Diaspora-Zusammenschlüssen angegangen werden, die oft ein post-koloniale Erinnerung in ihre Arbeit integrieren. So ordneten afro-diasporische Vertreter*innen die Diskriminierung von Schwarzen Geflüchteten aus der Ukraine als Folge des europäischen Kolonialismus ein. Sie zeigten damit auf, dass die Bundesregierung kaum in der Lage ist, im Krisenfall adäquat auf marginalisierte Gruppen einzugehen, da koloniale Strukturen zum Beispiel durch Polizeigewalt weiterwirken. Gleichzeitig war die Frage der Zuständigkeit nur schwer von staatlichen Institutionen zu beantworten. Diasporische Organisationen übernahmen daher vorrübergehend staatliche Aufgaben, um den Schutz und die Unterstützung für diese Gruppe zu gewährleisten.

Drittens sollte sich Deutschland auch im internationalen Vergleich messen lassen. Die Herkunftsstaaten haben längst damit begonnen, afrikanische Diaspora-Gruppen durch eigene Institutionen in ihre Politiken zu verankern. Die Afrikanische Union (AU) hat neben der Ankündigung, Diaspora-Repräsentant*innen als sechste Region Afrikas zu erfassen, auch das Direktorat für Bürger*innen und Diaspora-Gruppen ins Leben gerufen. Gemeinsame Interessen zeichnen sich gerade ab, wenn Herkunftsstaaten an der Einbindung von zivilgesellschaftlichen Diaspora-Engagement in Fragen der nachhaltigen Entwicklung, in der humanitären Hilfe oder in Friedensprozesse interessiert sind. Zum Beispiel  tritt Frankreich über Entwicklungsprogramme mit Diaspora-Akteur*innen in Kontakt und die USA haben im September 2023 einen Advisory Council on African Diaspora Engagement gegründet, der die Partnerschaft zwischen Afrika und den USA voranbringen soll. Die Europäische Union (EU) fördert mit der European Union Global Diaspora Facility ein Pilotprojekt zum entwicklungspolitischen Engagement der Diaspora. Schließlich bildet der Globale Migrationspakt der Vereinten Nationen, der Diaspora-Gruppen als Partner*innen anerkennt, die Grundlage für vielfältige Angebote und Partnerschaften der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Auch Nichtregierungsorganisationen wie der Danish Refugee Council sind in diesem Rahmen über ein eigenes Diaspora-Programm mit Beirat aktiv.

Afrikanische Diaspora-Landschaft in Deutschland

Die politisch mobilisierte afrikanische Diaspora in Deutschland ist in unterschiedlichen formellen, aber auch informellen Zusammenschlüssen strukturiert. Einerseits kommen Diaspora-Vertreter*innen als Organisationen in Vereinen zusammen. Während das Network African Rural and Urban Development (NARUD e.V.) eine überregionale Ausrichtung mit einem Fokus auf die entwicklungspolitische Bildung und Zusammenarbeit hat, gibt es auch zahlreiche länderspezifisch ausgerichtete Organisationen. Zum anderen sind afrikanische Dachverbände präsent, um eine stärkere politische Stimme einzunehmen. Hier sind die Dachverbände The African Network of Germany (TANG e.V.), das Bündnis für Entwicklungspolitik mit Afrika (BEA e.V.) oder die Afrikanisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft (A.D.A.G.E.) zu nennen. Lose Netzwerke sind ebenso Teil der afrikanischen Diaspora-Gemeinschaften, die sich ad hoc und themenbezogen bilden. So hat sich das African Diaspora Steering Committe zu Migration und Arbeitsmobilität gebildet. Schließlich sind auch informelle Initiativen im Diaspora-Engagement sichtbar, wie die Initiative Care & Repair Decolonial Think Tank. Neben diesen gemeinnützigen und oftmals ehrenamtlich getragenen Zusammenschlüssen gibt es diasporische Unternehmen, die transnational aktiv sind.

Bei aller Heterogenität ist eine Gemeinsamkeit erkennbar: die Kombinationen aus außen- und innenpolitischen Themen. Dabei arbeiten Diaspora-Gruppen mit verschiedensten Instrumenten wie projektbasiertem Arbeiten, Beratung, Schreiben von Berichten, Advocacy, Präsenz in anderen Gremien und Netzwerken oder Veranstaltungen.

Potenzial und Grenzen diasporischen Engagements

Diaspora Engagement kann verschiedenste Politikbereiche umfassen:

Als humanitäre Akteurin ist die sudanesische Diaspora seit Ausbruch des Konflikts im April 2023 in den Bereichen Gesundheit, Advocacy, Informationsvermittlung und der Bereitstellung von finanzieller Mittel aktiv geworden. Gleichzeitig können diasporisch-humanitäre Organisationen mitunter gegen den Grundsatz der Neutralität in der humanitären Hilfe verstoßen, wenn sie nur ausgewählte Gruppen versorgen.

Im Bereich der nachhaltigen Entwicklung spielen Diaspora-Organisationen ebenso eine gewichtige Rolle. Die marokkanische Diaspora in der ländlichen Soussi Region war schon in den 1980er und 1990er Jahren ein Katalysator für die innovative Transformation der ländlichen Infrastruktur und sorgte für den Bau von Straßen, Wasser- und Stromversorgung. Als demokratische Kraft hat wiederum die ägyptisch-koptische Diaspora durch Debatten und die Anrufung des Internationalen Strafgerichtshofs, die Menschenrechte von Anhänger*innen der christlich-religiösen Gemeinschaft gefördert.

Diaspora-Gruppen können allerdings auch demokratische und nicht-demokratische Ziele und Mittel vereinen. Mitunter fördern sie auch autoritäre Regime. Ein prominentes Beispiel sind etablierte Vereine der eritreischen Diaspora in Deutschland, welche durch das Spendensammlungen oder regierungsnahe Öffentlichkeitsarbeit die Diktatur unterstützen.

Im gewaltsamen Konflikt zwischen den Volksgruppen  der Tiv und Jukun in Nigeria, der 2001 zu einem Massaker an der Tiv Volkgruppe führte, hat sich die nigeranische Tiv Diaspora lokal und auch international für einen Friedensprozess eingesetzt. In Postkonflikt-Gesellschaften können Diaspora-Gruppen einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes leisten. Die Rücküberweisungen aus der Diaspora in den USA haben in Liberia zum Wiederaufbau, zur Rückkehr von Geflüchteten aus Nachbarstaaten, zur Gründung von Kleinstunternehmen oder zur Verringerung der Perspektivlosigkeit junger Familienmitgliedern beigetragen. Doch in der Rolle als Mitgestalter von Friedensprozessen im Herkunftsland können neben den beschriebenen positiven auch negative Auswirkungen auftreten, wie die Unterstützung gewalttätiger Konfliktparteien, selektive und diskriminierende philanthropische Arbeit oder Spill-Over Effekte auf die Staaten, in denen Diaspora-Gemeinschaften leben.

Diese Schlaglichter zeigen bereits die Bandbreite der Handlungsfelder und deuten auf die Komplexität des transnationalen Diaspora-Engagements hin. Damit wird klar: Der Einbezug der Diaspora in politische Prozesse kann sich lohnen, ist aber auch sehr anspruchsvoll.

Handlungsfelder und blinde Flecken

Afrikanische Diaspora-Organisationen in Deutschland haben vor allem Zugang zu entwicklungspolitischen Akteuren der Bundesregierung. Ein Flaggschiff der Diaspora-Zusammenarbeit ist die Plattform WIDU.africa, die Kleinstunternehmen in teilnehmenden afrikanischen Ländern mit Unterstützung der Diaspora finanziell fördert. Der Austausch mit Diaspora-Gruppen erfolgt über Gesprächsrunden oder Foren wie dem Diaspora Summit 2022.

Außerhalb dieses Engagements sind bisher von anderen außenpolitischen Institutionen noch keine nennenswerten Vorstöße zur Einbindung von Diaspora-Vertreter*innen erkennbar.

Zwei blinde Flecken zeigen exemplarisch, wo Diaspora-Vertreter*innen mehr Aufmerksamkeit in der afrikanisch-deutschen Kooperation erhalten können:

Als schnell und agile humanitäre Akteure sind sudanische Diaspora-Vereine aufgefallen. Sie haben enge Verbindungen zu lokalen Gemeinschaften im Herkunftsland, ein gutes Verständnis für logistische Herausforderungen, starke Freiwilligennetzwerke und technische Expertise. Ein weiteres Handlungsfeld ist der Mangel an Partnerschaften und Zusammenarbeit mit Organisationen der humanitären Hilfe. Das Potenzial von Diaspora-Engagement in humanitären Not- und Krisensituationen kann durch eine systematische Verknüpfung mit der internationalen Infrastruktur besser genutzt werden. Die Einrichtung von agilen humanitären Koordinierungsmechanismen durch das Auswärtige Amt (AA), die es Diaspora-Organisationen ermöglichen, sich an internationalen humanitären Bemühungen zu beteiligen, wäre hier ein wegweisender Schritt.

Der Einbezug von Diaspora-Gruppen als Akteure der Friedensförderung ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dabei kann Deutschland über das AA, und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine unterstützende Rolle einnehmen. Die differenzierte Einbeziehung der Diaspora kann dabei auf mehreren Eckpfeilern aufbauen. Erstens braucht es fortlaufende Einschätzungen zu den Zielen und Tätigkeiten der Diaspora-Akteur*innen, die in die außenpolitischen Analysen des AA einfließen. So kann der dynamischen Konfliktsituation Rechnung getragen werden. Zweitens ist es wichtig, durch eine wissenschaftlich-ethische Begleitung über mögliche intra-diasporische Spannungen und über unterschiedliche Zugänge zu Diaspora-Gruppen informiert zu sein. Drittens sollte ein inklusiver Friedensprozess auch Aussöhnungsstrategien für diasporische Gemeinschaften vorsehen. Hierzu sollte das BMZ diasporische Versöhnung in die entwicklungspolitische Friedensarbeit integrieren.

Ein erster Schritt zur Einbindung von afrikanischen Diaspora-Gruppen in die Gestaltung deutscher Afrikapolitik sollte ein gegenseitiges Kennenlernen sein, das vom AA koodiniert wird. Denkbar wäre hier eine Miniserie an Veranstaltungen mit wechselnden Themenschwerpunkten, zum Beispiel zu Zielen und Interessen der afrikanischen Diaspora, eine fachlichen Kommentierung der Afrikapolitischen Leitlinien aus Sicht der Diaspora und zu Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Längerfristig würde es sich lohnen, in eine Datenbank zu (afrikanischen) Diaspora-Expert*innen zu investieren. Nach dem Vorbild des Brussels Binder könnte ein Pilotprojekt finanziert werden, das zur verstärkten Sichtbarkeit und zum erleichterten Zugang zur Expertise der politisch mobilisierten Diaspora beiträgt. Der Deutsche Bundestag ist ein weiterer Ort, an dem Diaspora-Expertise in die thematische Arbeit einfließen sollte, zum Beispiel durch Fachgesprächskreise stärker. Die Einbindung von Diaspora-Gruppierungen ist also kein Selbstläufer, lohnt sich jedoch, um agiler mit den sich schnell verändernden internationalen Herausforderungen Schritt zu halten.

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

Susan Bergner ist Doktorandin am Exzellenzcluster SCRIPTS an der Freien Universität Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Afrikanische Diaspora-Gruppen im internationalen politischen Gefüge.