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Antizipieren, in welche Richtung Afrika sich entwickelt

blog Joint Futures 15, 25.10.2023

Deutschland bedarf einer Revision seiner Wirtschaftskooperation mit den Ländern des afrikanischen Kontinents. Dabei gilt es, die große Transformation auf dem Kontinent besser zu verstehen und eine Strategie zu entwickeln, die zur Industrialisierung Afrikas beitragen kann. Entwickelt sich Afrika, ist das gut  auch für Deutschlands Wohlstand.

 

Afrikas Reichtum an natürlichen Ressourcen sorgt auch im 21. Jahrhundert weiterhin für einen Wettlauf, in dem die globalen Weltmächte und aufstrebende Mächte um die Rohstoffe des Kontinents wetteifern. Doch die Aussicht auf einen afrikanischen Wachstumsschub durch das geo-ökonomische Agieren des Westens, der BRICS-Gruppe und der Staaten des globalen Südens, ist gering. Das von ihnen induzierte Wachstum durch Rohstoffförderung trägt nicht zu den erforderlichen Beschäftigungsschüben bei, im Gegenteil. Sie verschärfen die Ungleichheit und führen zu stagnierenden Zonen mit hoher informeller Beschäftigung.

Auch wenn die Zusammensetzung afrikanischer Exporte Kontinuität suggeriert, so hat sich die Lage der afrikanischen Länder seit den 1970er Jahren stark verändert. Die voranschreitende Urbanisierung und die entstehenden Inseln von wirtschaftlicher Dynamik zeigen an, wo die Musik auf dem Kontinent spielt.

Eine große Transformation ist in vollem Gange. An der dicht besiedelten Küste mit zahlreichen Millionenstädten zwischen Monrovia und Douala entwickelt sich eine riesige Agglomeration mit 400 Millionen Menschen. Dazu kommen Zentren wie Dakar, Casablanca, Kairo, Johannesburg, Luanda, Nairobi oder Addis Abeba. In den meisten Ländern ist die lokale Wertschöpfung noch nicht besonders groß, aber gerade in den urbanen Ballungsräumen, wo sich Kapital sammelt, und die talentiertesten Arbeitskräfte rekrutiert werden, entstehen positive externe Effekte. Wachsende Mittelschichten konsumieren und Klein- und mittelständische Unternehmen schaffen die Jobs vor Ort. Afrikanische Unternehmer*innen kennen die lokalen Märkte, sie haben Fühlungsvorteile und bedienen die Transportnetzwerke. Innovationen und neue Geschäftsideen breiten sich aus und rufen einen Prozess wirtschaftlicher Stimulierung hervor. Produktivitätswachstum wird durch industrielle Cluster befördert. Eine neue Dynamik in größeren Märkten, die vom Tourismus, den Nahrungsmittelindustrien, den Finanz-, Transport- und Mediensektoren und den IKT-Bereichen angeheizt wird, entsteht. Unternehmen pflegen Netzwerke über die Grenzen hinweg, wodurch der Handelsaustausch innerhalb des Kontinents wächst. Es handelt sich um intra-industriellen Austausch, Fertigwarenhandel, ganz im Gegensatz zum asymmetrischen Handel zwischen Afrika und der Europäischen Union oder China (Rohstoff- und Energieexporte und Importe von Maschinen, Fertigwaren und Kfz-Teile).

Deutschlands Instrumente

Die große Transformation auf dem Kontinent wird in den deutschen Ministerien kaum wahrgenommen. Stattdessen pflegt man eine Politik des Weiter-So. Dies wird besonders deutlich an den verfolgten Konzepten des Compact with Africa (CwA) und von AfricaNet und AfricaGrow. Der liberale Ansatz des CwA, makroökonomische Reformen an internationale Finanzierung zu koppeln, hat deutsche Unternehmen kaum veranlasst, mehr zu investieren. Der CwA setzt auf Finanzierung, makroökonomische Stabilität und möglichst hohe Exporteinnahmen, um die Schulden, die durch den Ausbau der Infrastruktur hervorgerufen werden, bedienen zu können. Langfristige Investitionen, verbunden mit Qualifizierungsprogrammen, höherer lokaler Wertschöpfung und Technologietransfer bleiben auf der Strecke. Die Instrumente des Africanet und AfricaGrow sowie die Hermesbürgschaften könnten die Kooperation mit afrikanischen Ländern durch deutsche Investitionen ausweiten. Doch haben diese Instrumente bislang nicht die erwünschten Erfolge erzielen können. Es dürfte vermutet werden, dass die eingesetzten Instrumente nicht den Bedürfnissen des deutschen Mittelstandes genau genug angepasst sind und die Beratungsdienstleistungen die mittelständischen Firmen nicht erreichen. Eine Überprüfung dieser Maßnahmen ist daher dringend angeraten.

Insgesamt muss man leider zu dem Votum kommen, dass in der Bundesregierung die Wirtschaftskooperation mit Afrika kaum ein Thema ist, und im für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zuständigem Ministerium besteht nur geringes Interesse an der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Dies manifestiert sich deutlich in der Afrika-Strategie des BMZ. Deutsche Afrikapolitik legt den Schwerpunkt auf andere Themen, unter anderem nachhaltige Entwicklung, Überwindung von Armut und Aufbau sozialer Sicherung, Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit, Menschenrechte und Frieden und Sicherheit. Dabei liegen die Dinge auf der Hand, die wirtschaftlich getan werden sollten.

Antizipieren heißt verstehen lernen

Für Deutschland ist es essenziell, die oben aufgeführten Dynamiken auf dem afrikanischen Kontinent besser verstehen zu lernen und darauf aufbauend die Weichen neu zu stellen. Für die deutsche Wirtschaft heißt dies, vor allem langfristig zu investieren und mit lokalem Unternehmertum zusammenzuarbeiten, Verknüpfungen in Wertschöpfungsketten und Unteraufträge mit lokalen Unternehmen befördern, um vom entstehenden Industrialisierungsschub gerade in den afrikanischen Großagglomerationen zu profitieren. Durch die enge Kooperation mit lokalen Unternehmen können deutsche Firmen agglomeration economies realisieren. Insbesondere der Zugang zu Finanzierung, Anwerbung von qualifizierten Arbeitskräften, Erschließung von Industrieflächen und schließlich auch die Verringerung der Markteintrittsbarrieren sind herausragende Anreize für gemeinsame Unternehmensaktivitäten. Es geht um Wirtschaftskooperation, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, Jobs zu schaffen. Das ist das, was afrikanische Staaten vom deutschen Engagement erwarten.

Deutsche Investoren können vom Aufstieg Afrika profitieren und einen Beitrag auch zur Wohlstandsmehrung in afrikanischen Ländern leisten. Sie können Technologie nach Afrika transferieren, hochwertige Arbeitsplätze schaffen und zugleich neues Wissen in Afrika auflesen. Im Zentrum der Agenda sollten langfristige Investitionen, Produktion, Arbeit und Lokalismus stehen, statt Finanzen und fossile Rohstoffe. Produktivismus ist die Leitlinie, das heißt, es geht um die Verbreitung produktiver wirtschaftlicher Möglichkeiten. Das Clustern von afrikanischen und deutschen Unternehmen könnte für einen Anschub deutsch-afrikanischer Wirtschaftskooperation sorgen.

Neuorientierung

Wo könnte deutsche Afrikapolitik ansetzen, um zum deutschen Wohlstand und zu unseren Sicherheits- und Werteinteressen beizutragen und zugleich anderen Ländern keine Schäden zuzufügen (beispielsweise durch Klimafolgen)? Vier wesentliche Bausteine sind für eine nachhaltige Kooperation von Belang:

Erstens: Die wirtschaftlich stärksten Länder sollten im Mittelpunkt des deutschen Engagements stehen und nicht von der EZ-abhängige arme Länder. Das heißt die Wirtschaftskooperation und damit auch Privatsektorförderung sollten sich vormals auf Nigeria, Südafrika, Algerien, DR Kongo, Angola, Kenia, Tansania und Uganda sowie die CwA-Länder Ägypten, Marokko, Äthiopien, Senegal und Elfenbeinküste konzentrieren. Diese Länder verfügen über die größte Wirtschaftskraft, weisen eine besondere Agglomerationsdynamik auf und strahlen auf Nachbarländer aus.

Zweitens, mag eine „Lasst tausend Blumen blühen“-Entwicklungspolitik aus rein EZ-zentrierter Sicht sinnvoll sein, wird den Gegebenheiten aber nicht mehr gerecht: a) In den afrikanischen Ländern gibt es ausreichende eigene Expertise, b) die eingesetzten Instrumente verfehlen ihre Wirkung und sind außer in Krisenländern von abnehmender Bedeutung, nicht zuletzt eine Folge der großen Transformation auf dem Kontinent.

Drittens: Deutschland hat eigene Interessen, wozu die Wirtschafts-, Sicherheits- und globale Interessen und Werteinteressen gehören. Werte stehen im Mittelpunkt der deutschen Diskussion. Deutsche Politiker*innen erklären gerne, was die richtigen Werte sind. Aber Werte werden in Teilen der Welt ganz anders gesehen als bei uns, sei es in den urbanen Zentren, Dorfgemeinschaften oder den Zivilgesellschaften. So stoßen unsere Vorstellungen, die oft genug durch falsche Wahrnehmungen geprägt sind, auf ihre Grenzen. Wir haben natürlich das Recht, unsere Werte zu vertreten. Es stellt sich nur die Frage, inwieweit das für eine Kooperation angemessen ist.

Viertens, ist eine deutsche Außenwirtschaftsförderung notwendig, die Instrumente einer beschäftigungsorientierten Industriepolitik einsetzt. Thomas Bonschab, Theo Rauch und Robert Kappel haben einige Bausteine für eine Neuaufstellung deutscher Wirtschaftsaktivitäten auf dem Kontinent formuliert. Unseres Erachtens sollte es Ziel sein, produktive Beschäftigungs- bzw. Existenzmöglichkeiten zu pushen. Investitionsabkommen sollten nicht nur einen besseren Schutz für Investitionen seitens afrikanischer Regierungen gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass Investitionen mit positiven Netto-Beschäftigungseffekten entstehen. Zwar hat es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen gegeben, aber heute geht es vor allem um die Dynamiken mit höherer Produktivität, so dass der wachsende afrikanische Mittelstand in die Lage versetzt wird, Technologietransfer aktiv anzugehen und in Kooperation mit deutschen Unternehmen in Industrieclustern und Sonderwirtschaftszonen collective efficiency zu erwirken. Die Förderung der Afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) durch administrative Unterstützung ist sinnvoll, aber es kommt vor allem auf Investitionen und Produktion an: „bringing production and jobs in“. Hilfreich wäre ein Paket von Maßnahmen, die afrikanische Unternehmen sowie deutsch-afrikanische Unternehmenskooperationen in die AfCFTA besser einbinden. Die AfCFTA kann nur dann zum Erfolg für Afrika werden, wenn die afrikanischen Unternehmen in der Lage sind, die Märkte zu bedienen. Dies würde auch dem stärkeren deutschen Engagement förderlich sein.

Deutschland droht den wirtschaftlichen Anschluss auf dem Kontinent zu verlieren. Die Stagnation der deutschen Investitionen in Afrika sind auch darauf zurückzuführen, dass deutsche Unternehmen die Investitionsmöglichkeiten dort nicht wirklich im Blick haben und die Maßnahmen der Bundesregierung nicht greifen (können). Gerade die Möglichkeiten für Wirtschaftskooperation in der großen Transformation auf dem Kontinent könnte für die deutsche Industrie, für Groß- und Mittelstandsunternehmen, lukrativ sein und zugleich die Rohstoffabhängigkeit Afrikas reduzieren helfen.

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

Prof. Dr. Robert Kappel ist emeritierter Professor für Wirtschaft und Politik in Afrika der Universität Leipzig. Zuletzt war er von 2004 und 2011 Präsident des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.