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Mexiko – vom kurzen Nearshoring-Boom zum »Security-shoring« der USA

SWP-Aktuell 2025/A 15, 11.04.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A15

Research Areas

Mit der Neuordnung der internationalen Lieferketten hat Mexiko als Standort für neue Auslandsinvestitionen an Bedeutung gewonnen. Das Land konnte vom Near­shoring profitieren, das heißt von der Verlagerung von Dienstleistungen oder Produk­tionsprozessen in die Nähe der Konsumentenmärkte. Damit sind geringere Logistikkosten und oft ein besseres Management der Lieferantenbeziehungen verbunden. Der Boom hat sich jedoch aufgrund verschiedener Unsicherheitsfaktoren abgeschwächt. Nicht zuletzt belasten Washingtons Drohungen mit einer Erhöhung der Zollsätze die wirtschaftlichen Perspektiven, die mit dem Nearshoring verknüpft werden. Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum versucht dem Trend entgegenzusteuern, doch angesichts der immer drängenderen Forderung der USA gegenüber Drittländern, einen antichinesischen Kurs einzuschlagen, läuft Mexiko Gefahr, in die Klemme des »Security-shoring« zu geraten und autonomen Handlungsspielraum zu verlieren. Dies zwingt Mexiko, aber auch seine Wirtschaftspartner, die dort investiert haben, bereits jetzt dazu, die Weichen für ihre Produktionsprozesse neu zu stellen.

US-Präsident Trump verhängte zunächst Anfang Februar auf der Basis des Inter­national Emergency Economic Powers Act (IEEPA) Zölle in Höhe von 25 Prozent auf kanadische und mexikanische Exporte in die USA, nahm dann Fahrzeuge aus mexi­kanischer und kanadischer Produktion, die in die USA geliefert werden, von den Zöllen aus und verschob Tage später das Inkrafttreten der Zölle auf fast alle Waren um vier Wochen bis zum 2. April. An diesem »Libera­tion Day« wurde Mexiko nicht – wie die Staaten der gesamten Welt – mit einem generellen Zollsatz von 10 Prozent belegt. Die Ausnahme gilt für alle Produkte, die mit dem Freihandelsabkommen USMCA kon­form sind. Da­rüber hinausgehende Waren­listen sind mit anderen Zollsätzen behaftet.

Die Ankündigung von pau­schalen Zoll­sätzen auf importierten Stahl und Aluminium durch Präsident Trump hat viel­fältige Auswirkungen gezeitigt. Zuallererst aber schürt sie ein Klima der Unsicherheit unter allen Wirt­schaftsakteuren, da diese sich nicht auf stabile Rahmenbedingungen in mittelfristig kalkulierbaren Zeit­räumen verlassen kön­nen. Als rechtliche Grundlage hat Trump eine Notstandsverordnung ge­wählt. Deren Aktivierung wird mit dem wachsenden Einschleusen der Modedroge Fentanyl in die USA und der anhaltend mächtigen Rolle der organisierten Kriminalität im Nachbarland begründet. Mexikos Präsidentin Shein­baum versprach, 10.000 Soldaten an die Nordgrenze Mexikos zu entsenden, um den Zustrom von Drogen und Migranten ohne Papiere einzudämmen. Zudem wur­den Anführer aus dem Drogengeschäft fest­genommen und in die USA überstellt. Eine Rücknahme der Maß­nahmen konnte damit indes nicht erreicht werden.

Die mit diesen Unsicherheitsfaktoren verbundenen Ver­werfungen treffen sowohl den Handel als auch Investitionen, die gerade für Mexiko aufgrund günstiger Produktions­bedingungen (insbesondere niedrige Löhne) von zentraler Bedeutung und der Hauptgrund dafür waren, dass das Land im Jahr 2023 China als wichtigsten Handelspartner der USA ablösen konnte.

Der von Donald Trump forcierte Protektionismus prägt Mexikos bilaterale Bezie­hungen zu den USA in höchstem Maße und auf unabsehbare Zeit. Zudem verquickt die Trump-Administration handels-, migra­tions- und sicher­heitspolitische Fragen mit­einander, eine Taktik, die dem Bestreben mexikanischer Regierungen zuwiderläuft, diese Politikfelder separiert zu halten und darüber nach jeweils eigenen Logiken ver­handeln zu können. Dafür bildete das mit der ersten Trump-Administration vereinbarte und im Juli 2020 in Kraft getretene USMCA-Abkom­men mit Mexiko und Kanada als Partner der USA den geeigneten Rahmen. Doch die Zukunft dieses Abkommens, das 2026 überprüft werden soll, steht in Frage, seitdem einseitige Zollerlasse seine Gültigkeit unterlaufen haben. Von den Zoll­entscheidungen besonders hart getrof­fen ist die mexikanische Automobilindustrie. Der Handel mit Kraftfahrzeugen (Kfz) macht 22 Pro­zent des gesamten Warenverkehrs im Rahmen des Abkommens aus und ist daher als der kritische Sektor anzusehen. Von den 3,77 Millionen in Mexiko produzierten Kfz wurden 3,3 Millionen ins Ausland ge­liefert, was die Bedeutung des Standorts Mexiko als maßgebliche Drehscheibe für den Sektor unterstreicht.

Nearshoring als Mexikos wirtschaftliche Chance

Aufgrund seiner strategischen geografischen Lage, seiner Zeitzone und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist Mexiko für immer mehr Firmen, die ihre Effizienz steigern und ihre Kosten senken wollen, ein interessanter Standort geworden. Vor dem Hintergrund des Trends zur Verlagerung von Unter­nehmen bzw. Fer­tigungsabschnitten oder Ausstattungsvarianten der Produktion von Asien nach Mexiko erhoffte sich die Regie­rung, durch diese Wettbewerbsvorteile be­deutende neue Industrieansiedlungen in das Land zu ziehen. Mit der Neuordnung der internationalen Lieferketten als Folge der Abkehr von China sollte Mexiko zum Hauptnutznießer neuer Auslandsinvesti­tio­nen werden. Im Jahr 2023 konnte das Land ein historisches Maximum von 36,06 Mil­liarden US-Dollar an ausländischen Direkt­investitionen er­zielen. Für den Nachbarn im Süden der USA stellt der Nearshoring-Boom somit eine historische Chance dar, die in Jahrzehnten nicht wiederkommen könnte. Durch die Verlagerung von Ge­schäfts­prozessen in ein nahegelegenes Land bietet Nearshoring zahlreiche Vorteile wie räumliche Nähe, kulturelle Übereinstimmung und Kosteneinsparungen.

In Mexiko hofft man, dass das Land mit dem Rückenwind des Nearshoring-Trends den Sprung vom Produktions- zum Innova­tionsstandort schafft. Gerade der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China und die Zollerhöhungen, die noch die Biden-Administration für Importe aus China erlassen hat, wurden in Mexiko als zusätzlicher Impuls für Unternehmen interpretiert, die Nähe zum US-Markt zu suchen. Sogar chinesische Firmen haben beschlossen, ihre Betriebe nach Mexiko zu verlagern, um weiterhin in die USA expor­tieren zu können und so die hohen Zölle zu umgehen. Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2023 und August 2024 wurden mehr als 400 Investitionsprojekte angekündigt mit einem Volumen von 170 Milliarden US-Dollar; inzwischen spricht die Präsidentin sogar von 200 Milliarden US-Dollar. Nearshoring ist für Mexiko zu einer neuen Option geworden, die für das Wachstum bestimmter strategischer Sektoren (Immo­bilien, Automobile, Technologie) entscheidend ist. Der Boom zeichnete sich schon 2022 ab, als Investitionsvorhaben in Höhe von mehr als 9 Milliarden US-Dollar an­gekündigt wurden. Ein Jahr später gab der Automobilhersteller Tesla bekannt, den Bau eines neuen Werks in Mexiko zu planen, mit einem Kostenvolumen von rund 5 Mil­liarden US-Dollar.

Doch dieser Nearshoring-Boom fand im Jahr 2023 sein plötzliches Ende: Zwar ver­zeichnete Mexiko im selben Jahr den er­wähnten Rekordzufluss an ausländischen Direktinvestitionen (FDI), allerdings er­reichte der Anteil der Neuinvestitionen nur den zweitschlechtesten Wert seit 2006, dem Jahr, in dem das Wirt­schaftsministerium mit der Veröffentlichung von Investitionsdaten begonnen hat: Die errechneten 4,817 Milliarden US-Dollar entsprechen ge­rade einmal 13 Prozent der gesamten aus­ländischen Direktinvestitionen im Jahr 2023. Im Vorjahr hatten sie sich noch auf 18,147 Milliar­den US-Dollar belaufen und damit 50 Prozent der Investitionen aus­gemacht. Damit stellte sich der von der Regierung erhoffte Impuls für Produk­tivität, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Beschäftigung nicht ein. Schließlich legte auch Elon Musk im Juli 2024 den an­gekündigten Bau der Tesla-Fabrik auf Eis, so dass die erwartete Signalwirkung auch dieser Investition ausblieb. Infolgedessen wurden auch finanzielle Engagements im Bereich der Stahl- und Aluminiumindustrie in Frage gestellt, die in den Karosseriebau fließen sollten; auch andere Zulieferer traten auf die Bremse.

Die Strafzölle aus Washington, die ge­rade im Automobilsektor kumulative Wirkungen zeitigen, werden als mögliche Gründe dafür angeführt, dass Investoren ihre angekündigten wirtschaftlichen Engagements auf die lange Bank schieben oder gar ganz von diesen zurücktreten. Als weitere Faktoren hinzu kommen die be­kannten Defizite des Landes bei Energie- und Wasserversorgung, eine undurchsichtige Justiz­reform mit Direktwahl der Rich­ter durch die Bevölkerung, unzureichende Strafverfolgung und die instabile Sicherheitslage im gesamten Territorium des Staates, die auch durch die jüngsten Erfolge bei der Ergreifung von Anführern maßgeblicher Kartelle und deren Auslieferung an die USA nicht aus der Welt geschafft sind. Zwar verfügen manche US-Autobauer wie GM, Ford and Stellantis nach eigenen An­gaben in den USA über ungenutzte Kapazi­täten, um die heimische Produktion in be­grenztem Umfang erhöhen zu können; für die Mehrzahl der Konzerne ist der Stand­ort Mexiko bislang aber unverzichtbar, um ihr Angebot auf dem US-Markt aufrechterhal­ten zu können. Ihr Druck dürfte entschei­dend dafür gewesen sein, dass die anfangs verkündeten Zölle von 25 Prozent zunächst für einen Monat wieder ausgesetzt wurden.

Versuche einer Rettung des Nearshoring-Effekts

In Mexiko geht die Sorge um, dass die her­beigesehnte Nearshoring-Blase platzen könnte. Und dass dies geschieht, darauf deuten rückläufige Zahlen bei der An­mietung von Gewerbeflächen hin. Daher be­müht sich die mexikanische Präsidentin, das Nearshoring wieder anzukurbeln. Sie will ausländische Investitionen in einem Volumen von 277 Milliarden US-Dollar ins Land holen. Rhetorisch setzt sie dabei auf das traditionelle Argumentationsmuster: Die Zeit sei reif für Mexiko, um gemeinsam eine neue Phase der wirtschaftlichen Ent­wicklung einzuläuten. Als Nachbar der größten Volkswirtschaft der Welt sei das Land in einer einzigartigen Position, um vom Nearshoring – in der Diktion der Biden-Administration »Friendshoring« – zu profitieren, in einer Welt, in der die Rivali­tät zwischen den USA und China Investi­tionsentscheidungen und Lieferketten ver­ändere. Doch dieser Diskurs deckt sich nicht mit der Realität: Die Trump-Administration scheint keine »Freunde« zu haben, und die MAGA (Make America Great Again)-Ziele stehen dem entgegen. In einer Zeit rascher geopolitischer und geoökonomischer Ver­schiebungen und wachsender Zweifel an der Globalisierung kann Mexiko daher nur profitieren, wenn international agierende Unternehmen neben optimierten Liefer­ketten und geringeren Betriebskosten auch auf stabile Rahmenbedingungen rechnen dür­fen. Auch wenn die Auswirkungen der US-Zölle vorübergehender Natur sein sollten, könnte das Unsicherheitsszenario länger an­halten, wenn sich die USA und Mexiko nicht bei sensiblen Themen einigen, die im Zuge der Revision des trilateralen USMCA-Ab­kom­mens zwischen Mexiko, den USA und Kanada auf den Verhandlungstisch kommen. Die Gespräche sind für 2026 geplant.

Diese vielfältigen Unsicherheiten haben Auswirkungen auf die wirtschaftliche Dyna­mik: Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte bereits vor dem Amts­antritt von Präsident Trump, dass die mexi­kanische Wirtschaft im Jahr 2024 um 1,5 und 2025 um 1,3 Pro­zent wachsen wird, Werte, die deutlich unter dem latein­amerikanischen Durchschnitt von 2,1 bzw. 2,5 Pro­zent liegen. Angesichts der Unwägbarkeiten, die aus dem Fortgang der Zoll- und Handelspolitik erwachsen, hat die OECD ihre Wachstumsprognose für Mexiko im Jahr 2025 auf ‑1,3 Prozent und 2026 auf ‑0,6 Prozent gesenkt. Das Nearshoring ist im Niedergang begriffen.

Ein Frontalangriff Trumps und der Repu­blikaner auf die chinesische Produk­tion in Mexiko könnte einen zusätzlichen Tribut fordern, wenn ein steigender Dollarkurs den Schuldendienst des Landes verteuerte. Geringere Investitionen und Exporte auf­grund des Unsicherheitsszenarios, vor allem im Außenhandel (Zölle), geringere Rück­überweisungen (aufgrund der Ausweisung mexikanischer Staatsbürger aus den USA) und weniger Tourismus (aufgrund der Bedrohung durch Kriminalität) könnten den Kapitalzufluss ins Land vermindern.

Die mexikanische Präsidentin hat daher Anfang des Jahres versucht, dem Near­shoring einen neuen Impuls zu geben, in­dem sie ein Paket von Steueranreizen für die Ansiedelung ausländischer Unter­nehmen in Mexiko schnürte und damit ein Dekret verlängerte, das nun bis Ende 2030 in Kraft bleiben soll. Demnach werden Steueranreize gewährt, die aus einem Sofortabzug des Kaufpreises von neuen An­lagegütern sowie einem zusätzlichen Abzug von Ausgaben für die Ausbildung von Arbeitnehmern bestehen. Die Vergünstigun­gen können sowohl von Unternehmen, die be­reits in Mexiko ansässig sind, als auch von solchen in Anspruch genommen werden, die sich in Mexiko niederlassen wollen. Ziel der Verlängerung der Steuer­anreize ist es laut Dekret, Inves­titionen in Mexiko zu fördern und die Pro­duktivität der Unternehmen zu steigern. Hinzu treten Steuervergünstigungen, die sich vor allem auf die Senkung der Steuerlast auf Kraft­stoffe, der Einkommenssteuer und der Mehrwertsteuer in den nördlichen und süd­lichen Grenzgebieten beziehen.

Der Plan México – ein Präventivprogramm

Am 13. Januar 2025 stellte Präsidentin Sheinbaum in einem seltenen Schul­ter­schluss mit Vertretern der Privatwirtschaft den »Plan México« vor, der als lang­fristiger Rahmen für die Neuausrichtung des Landes dienen soll, insbesondere im Hinblick auf die komplizierteren Beziehungen zu den USA. Mit dem Programm soll den Sanktionen gegen Mexiko nach dem Amtsantritt von Donald Trump der Wind aus den Segeln genommen werden, indem sich das Land unabhängiger von Lieferungen aus China macht und gleichzeitig darauf hin­arbeitet, sich stärker gegen die wirtschaft­lichen Prio­ritäten Trumps zu immunisieren. Zunächst war der Plan vor allem eines: ein Aufruf zur Ruhe, eine Woche vor dem Amts­antritt von Präsident Trump. Seitdem hat sich die Regierung bemüht, gestärkt durch die ostentative Allianz mit der Wirt­schaft, einen klaren Kurs zu fahren, der sich an der Maxime der Wah­rung natio­naler Souveränität orientiert und in An­betracht der turbulenten Zeiten, die auf das Land zukommen könnten, sichtbar von Ordnung und Vernunft geleitet ist.

Der Plan zielt darauf ab, die Abhängigkeit von China zu verringern und den nord­amerikanischen Anteil im Handelsverkehr gemäß den Ursprungs­regeln des Frei­handelsabkommens USMCA zu steigern. Darüber hinaus soll es gelingen, den natio­nalen Input an Produkten, die in die USA exportiert werden, zu erhöhen. Dafür will der Staat die technologische Innovation der heimischen Industrie fördern und gleichzeitig in den verschiedenen Regionen des Landes entsprechende Impulse setzen, in­dem sogenannte Entwicklungspole mit Industrieparks und Forschungseinrich­tungen gegründet werden.

Letztlich ist der Plan eine nationale In­dustrialisierungsstrategie, mit der gleich mehrere Ziele verfolgt werden: Mexika­nische Arbeitnehmer sollen geschützt, ein fairer Handel gewährleistet, eine stärker lokal und regional aus­gerichtete Produk­tion mit höherer Wert­schöpfung gefördert und die regio­nale Integration vertieft werden. Ein Hauptanliegen des Plans ist, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie innerhalb des lokalen und regio­nalen Marktes zu stärken und die Import­substitution durch den Ausbau von natio­nalen Wertschöpfungsketten voranzutreiben. Dies soll sowohl neue Arbeitsplätze schaffen als auch die regionalen Ungleichgewichte in der wirt­schaftlichen Entwicklung des Landes ausgleichen. Von den 32 Bundesstaaten Mexikos tragen gerade vier mit beinahe 40 Prozent zum BIP des Landes bei. Diesem Missverhältnis soll auch durch ein ambitioniertes öffentliches Investitions­programm im Bereich der Wasser- und Stromversorgung begegnet werden. Gleiches gilt für die Straßeninfrastruktur, die an­gesichts der anhaltenden Übergriffe der Drogenkartelle sicherer gemacht werden soll. Ziel ist es vor allem, den nationalen Input zu erhöhen, die eigene Produktionsplattform zügig auszubauen und die Inves­titionen zu steigern. Dass diese Vorhaben in der Präsentation des Plan México unter der Überschrift »Importsubstitution« dar­gestellt werden, macht deutlich, dass hier insbeson­dere Importe aus China adressiert werden, die gerade im Bereich der Zulieferung von Kfz-Teilen und -Zubehör für die mexika­nische Auto­mobil­produktion von großer Bedeutung sind.

Unter den 13 Zielen sticht das Bestreben hervor, das Land an Australien und Süd­korea vorbei von der zwölftgrößten zur zehnt­größten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen zu lassen. Dies soll vor allem durch die Steigerung des Anteils der Inves­titionen am BIP auf über 25 Prozent und die Schaffung von 1,5 Millionen neuer Arbeitsplätze bis 2030 erreicht werden. Ins­besondere im Hinblick auf die Sektoren Textilien, Schuhe, Möbel und Spielwaren wird an­gestrebt, dass 50 Prozent des in­ländischen Angebots und Verbrauchs im eigenen Land produziert werden. Insgesamt soll der inländische Wertschöpfungs­anteil um 15 Prozent steigen und auch im öffent­lichen Beschaffungs­wesen sollen künftig 50 Prozent der Ausgaben durch Bezüge aus inländischer Pro­duktion gedeckt werden können. Ergänzt werden diese ehrgeizigen Ziele durch ent­sprechende Benchmarks für den Bildungsbereich, den Pharmasektor und den Tou­rismus; Regelungen zur Ent­bürokratisierung zugunsten der Unter­nehmen und Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen runden den Zielkatalog ab.

Der dem Plan zugrundeliegende Ansatz der Wirtschaftsförderung enthält Elemente, um auch der in Kanada laut gewor­denen Kritik an Mexiko als Hintertür für Produkte aus China zu begegnen. So hatte beispielsweise der Premierminister der größten kanadischen Provinz Ontario, Doug Ford, vorgeschlagen, Mexiko aus dem USMCA-Ab­kommen (United States–Mexico–Canada) auszuschließen. Einer der Schwer­punkte des Plan México ist die Rückführung von Produkten in die mexikanische Produktion, die in den letzten Jahrzehnten aus dem Ausland, vor allem aus China, importiert wurden. Würden 10 Prozent der chinesischen Exporte nach Nordamerika durch Produkte aus der Region ersetzt, würde das BIP Mexikos um 1,2 Prozent, das der USA um 0,8 Prozent und das Kanadas um 0,2 Pro­zent steigen. Es liegt auf der Hand, dass auch in Washington Forderungen nach einem anderen Umgang mit Chi­na auf der Tagesordnung stehen werden, wenn spätes­tens 2026 das Freihandels­abkommen über­prüft wird.

Trotz der ambitionierten Ziele des Mexiko-Plans sind mit Blick auf dessen Umsetzung Zweifel angebracht: Zum einen stellt sich die Frage, wie das not­wendige Kapital angesichts der Knappheit in den öffentlichen Kassen Mexikos mobilisiert werden soll, wenn doch von einer tendenziell ab­nehmenden Investitionsneigung auch aus dem Ausland auszugehen ist. Zum anderen dürften die Zeithorizonte zwischen dem angestrebten Umbau der nationalen Pro­duk­tionsplattform und den politisch doch recht kurzfristig erwarteten Umsteuerungseffekten auseinanderklaffen, was es un­wahrscheinlich macht, dass sich schon bald sichtbare Wirkungen verzeichnen lassen.

Vom Friend- zum »Security-shoring«

Die Biden-Administration hatte ihr Kon­zept zur geopolitischen Neuordnung unter das Motto des »Friendshorings« gestellt. Sie empfahl, Lieferketten weg von China in vertrauenswürdige Länder zu verlagern. Auf diese Weise sollten auch künftig der freie Marktzugang gewährleistet und die Risiken für die eigene Wirtschaft und nahe­stehende Handelspartner verringert werden können. Indem bestimmte Partner wie Mexiko aufgrund ihrer Identifikation mit den Werten der USA in den Vordergrund gerückt wurden, wurde das Konzept des Nearshorings stark normativ aufgeladen. Dies wurde bereits im Jahr 2022 deutlich, als die Biden-Administration mit drei Haus­haltsmaßnahmen den Wettbewerb mit China ausrief: mit dem Inflation Reduction Act, dem CHIPS Act und dem Infrastructure Act. Diese Maßnahmen konzentrierten sich zunächst auf vier globale Wertschöpfungsketten: Halbleiter, Großbatterien, kritische Mine­ralien und Metalle sowie Arzneimittel und Pharmachemikalien. Die zweite Trump-Admi­nistra­tion hat nun in der Liefer­kettenpolitik in­soweit eine verschärfte Gangart eingeschlagen, als die USA ihre internationalen Bezie­hungen zu China inzwischen ihren eigenen nationalen Sicher­heits- und innenpolitischen Interessen untergeordnet haben. Das Nearshoring verliert damit den Charakter einer schein­bar neutralen Verlagerungsstrategie von Produktionsstandorten von Asien nach Mexiko; vielmehr hat Washington in seinen Beziehungen zu China nationale Sicherheitsinteressen über alles andere gestellt. Mexiko gerät damit in die Gefahr, in seinen Wirtschaftsbeziehungen zwischen die Mühl­steine der beiden Großmächte zu geraten.

Der mexikanische Ökonom Enrique Dussel Peters empfiehlt daher, für die von den USA verfolgte Strategie eher den Begriff des »Security-shoring« zu ver­wenden. Damit werde besser zum Ausdruck gebracht, dass Washington seine Interessen mit einer Viel­zahl von Instru­menten und Maßnahmen gegen China verfolge. Die Systemkonkurrenz und ‑konfrontation zwischen den USA und China führe dazu, so Dussel Peters, dass Dritt­staaten spezifische Maßnahmen ergreifen müssten, um dem wachsenden Druck der USA, ihren Vorgaben zu folgen, gerecht zu werden. Drittstaaten und Staatenverbünde würden damit in die von Washington vor­geschlagenen spezifischen Maßnahmen, zum Beispiel in den Bereichen Handel und ausländische Direktinvestitionen (FDI), nach Maßgabe der nationalen Sicherheit der USA hineingezogen, ohne eigene Handlungsoptionen nutzen zu können. So werde eine Investition chinesischer Unternehmen in Mexiko weniger im Sinne des Nearshorings als cleverer Versuch gesehen, ein Hintertürchen zum US-Markt zu öffnen, sondern könne schnell Gegenstand einer kostspieligen geopolitischen Konfrontation zwischen Supermächten werden. Die USA üben Druck auf Dritte aus, US-Regeln und US-Instru­mente zu übernehmen, um das Engagement und die Zusammenarbeit mit China zu begrenzen – andernfalls wird ein Preis zu zahlen sein, wie etwa höhere Kosten für den Zugang zum US-Markt oder gar der komplette Ausschluss daraus. Genau diese Politik Washingtons ist derzeit der größte Vorteil Mexikos, den es in diesen schwierigen Zeiten für den globalen Freihandel zu bewahren sucht. Aber Mexikos Bemühungen werden gegenwärtig durch zwei Trends erschwert: die Verschärfung der US-amerikanischen »Security-shoring«-Strategie, die mit einer Triangularisierung der Handelspolitik zwischen China, den USA und Mexiko ein­hergeht, und den Rückgang ausländischer Direktinvestitionen. Indem handels- und investitionspolitische Entscheidungen in Drittstaaten zu einer Frage der nationalen Sicherheit der USA aufgewertet werden, sind sie der nationalen Entscheidungs­gewalt und den bilateralen Beziehungen weitgehend entzogen. Mexikos Bestrebungen, ein einvernehmliches bilaterales Ver­hältnis mit den USA zu pflegen, laufen damit ins Leere. Ein großer Teil der Wirt­schaftspolitik des Landes wird so von vorn­herein in ein trianguläres Bezugssystem zwischen den USA-China und Mexiko ge­stellt, bei dem geopolitische Erwägungen maßgebliche Bedeutung gewinnen. Die Wirkungen der US-Politik gehen aber weit darüber hinaus: Die Decoupling-Bemühun­gen der USA in Bezug auf China in den letzten Jahren haben Institutionen und Regelsysteme wie die WTO (World Trade Organization) und die damit verbundenen Prinzipien der Reziprozität und Meist­begünstigung ausgehöhlt. Die US-Regierung hat angekündigt, für Auto­teile ein auf einzelne Komponenten bezo­genes Ver­fah­ren zu etablieren, um deren US-Gehalt zu zertifizieren, so dass der 25-pro­zentige Zoll nur für den Wert ihres Nicht-US-Inhalts gilt. Daraus folgt, dass bis dahin USMCA-konforme Autoteile zollfrei bleiben, bis der US-Handelsminister in Absprache mit der US-Zoll- und Grenzschutzbehörde (CBP) ein Verfahren zur Anwendung von Zöllen auf ihren Nicht-US-Inhalt eingeführt hat.

Ausblick: Mexikos Wirtschaft und seine internationalen Investitions- und Handelspartner vor wichtigen Weichenstellungen

Will Mexiko auch über das Jahr 2023 hin­aus seine Position als wichtigster Handels­partner der USA bewahren, wird es immer weniger chinesische Wertschöpfungs­anteile in seine Exporte in die USA integrieren kön­nen, da es unter der Trump-Administration sonst mit Zöllen auf seine Ausfuhren rech­nen muss. Einige der in den Plan México von Präsi­dentin Sheinbaum aufgenommenen Maß­nahmen greifen diese möglichen Folgen des »Security-shoring« bereits prä­ventiv auf, um entsprechenden Vorwürfen des US-Präsidenten schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln zu nehmen. Allerdings ist diese Anpassung für die mexikanische Regierung mit hohen Kosten verbunden. Sie muss die öffentlichen Investitionen in den Bereichen Energieerzeugung, Wasser­versorgung, Transport und Bildung deutlich erhöhen. Dabei setzt die Präsidentin vor allem auf Bei­träge der Privatwirtschaft, die dafür der Präsidentin zumindest verbal die Hand gereicht hat. Angesichts des massiven mexi­kanischen Handelsbilanzdefizits gegenüber China (62,7 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023), das wert­mäßig durch den mexikanischen Außenhandelsüberschuss gegenüber den USA (152 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023) mehr als ausgeglichen wird, könnten mögliche Handelsbeschränkungen seitens der US-Regierung das eingespielte »Geschäftsmodell« Mexikos ernsthaft ge­fähr­den. Daraus ergibt sich auch das Inter­esse von Präsidentin Sheinbaum, chinesische Importe durch heimische Produkte zu ersetzen und damit eine größere Un­abhän­gigkeit von China zu erreichen. Gleichzeitig würde man der Regierung in Washington dadurch auch weniger Angriffsfläche im Rahmen des »Security-shoring« bieten, auch wenn die Umstrukturierungsprozesse als nur mittel- und langfristig wirksam an­zusehen sind. Die Zulieferung von Auto­teilen aus China, die insbesondere für die Export­produkte der Automobilindustrie notwendig ist, durch heimische Erzeugnisse zu substituieren, dürfte nur in sehr be­grenztem Umfang möglich sein, zumal viele Importe – gerade von Komponenten für die Automobilindustrie – als reiner Intra-Firmenhandel funktionieren. Sowohl Präsidentin Sheinbaum als auch ihr Vor­gänger López Obrador haben immer wieder betont, dass Mexiko nicht als »Sprungbrett« für Chinas Exporte in die USA dienen wolle.

Ob das neue Interesse an Mexiko als Near­shoring-Standort wirklich nachhaltig ist und sich die damit verbundenen Hoff­nungen erfüllen, die der internationale Finanzdienstleister J.P. Morgan im Juli 2023 mit der Ausrufung eines »New Mexican Moment« zu wecken versuchte, muss offen­bleiben. Seit jener Zeit hat sich die Dynamik deutlich abgeschwächt und Mexiko steht unter dem wachsenden Druck der Sicherheits- und Handelsinteressen seines nörd­lichen Nachbarn. Dies könnte dazu führen, dass die Nearshoring-Erwartungen schnell von der triangulären »Security-shoring«-Logik erstickt werden. Hiervon wären dann auch die internationalen Investoren be­troffen, die bislang die Standortvorteile des Landes als verlängerte Werkbank der USA nutzen konnten. Der Mexiko-Plan von Prä­sidentin Sheinbaum greift zwar einige der zu erwartenden Herausforderungen auf, steht aber unter dem Vorbehalt knapper öffentlicher Mittel und anhaltender innerer Sicherheitsprobleme. Nur mit einer nach­haltigen Strategie zur Steigerung der eige­nen Wettbewerbsfähigkeit kann es dem Land gelingen, den erhofften »Moment« zu nutzen und Mexiko auf einen neuen Wachs­tumspfad zu leiten. Dies wird ohne Betei­ligung frischer Auslandsinvestitionen kaum realisierbar sein, so dass die mexikanische Regierung neben dem Druck, den die USA auf sie ausübt, auch ihre Hausarbeiten machen muss, wenn das Land auf einen Pfad resilienter Lieferketten einschwenken soll. Dafür ist es notwendig, bereits jetzt die Weichen neu zu stellen. Ansonsten wird mit der Überprüfung des USMCA-Frei­handels­abkommens im Jahr 2026 durch die drei nordamerikanischen Länder eine schwie­rige Neuordnung der Handels­beziehungen verbunden sein.

Für die deutsche Autobranche, die für ihr US-Geschäft in substantieller Form auf den Standort Mexiko gesetzt hat, bedeuten diese neuen Entwicklungen einen weiteren harten Schlag. Zwar bewegt sie sich dabei im Geleitzug mit US-amerikanischen Kon­kurrenten und könnte gegebenenfalls von deren Lobbybemühungen profitieren, wenn die dann erzielten Ausnahmeregelungen nicht auf einzelne Firmen beschränkt wer­den. Für Audi und Porsche, die über keine eigenen Produktionsstätten in den USA ver­fügen, dürfte der Verkauf von Fahr­zeugen aus den Werken in Mexiko in dessen nörd­lichem Nachbarland mit mas­siven Preis­steigerungen verbunden sein und den Ab­satz beinträchtigen. BMW, das auch breit in South Carolina engagiert ist, produziert bestimmte Baureihen seit 2019 in einem Werk in San Luis Potosí, so dass ein be­stimmtes Seg­ment des Angebots auf dem USA-Markt be­troffen wäre. Für Volkswagen wäre der Effekt für bestimmte Produkt­linien deutlich spürbarer, aber auch Mercedes würde im Bereich von Lastkraftwagen wegen mancher Antriebssysteme und Komponenten, die in Mexiko produ­ziert werden, erheb­liche Zusatzkosten reali­sieren müs­sen. Angesichts der Komplexität der jewei­ligen Lieferketten erscheint eine kurzfristige Verlagerung von Produktionsstandorten eher unrentabel, so dass viel von einer generellen Regelung abhängen wird, die im Rahmen der Überprüfungsverhandlungen des USMCA-Abkommens getroffen werden müsste. Ohne solche berechenbaren Grundlagen wird eine Stabilisierung der Rolle Mexikos im Geflecht der internatio­nalen Lieferketten, speziell im stra­tegischen Bereich der Automobilindustrie, kaum gelingen. Nur wenn die drei Beteiligten keine Verhandlungslösung finden, wird sich ermessen lassen, wie hoch mögliche Kosten des »Security-shoring« für die Wirt­schaftsakteure ausfallen werden.

Prof. Dr. Günther Maihold ist Non-Resident Senior Fellow der SWP.
Das Papier entstand im Rahmen des Projektes Nachhaltige Globale Lieferketten, das vom
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird.

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