Wenn Wissenschaftler am 22. April auf die Straße gehen, sollte es auch um die Frage gehen, wie sie angesichts der Politisierung von Wissenschaft ihre Unabhängigkeit bewahren können, meinen Lars Brozus und Oliver Geden.
Kurz gesagt, 21.04.2017Wenn Wissenschaftler am 22. April auf die Straße gehen, sollte es auch um die Frage gehen, wie sie angesichts der Politisierung von Wissenschaft ihre Unabhängigkeit bewahren können, meinen Lars Brozus und Oliver Geden.
Am 22. April werden weltweit »Märsche für die Wissenschaft« – »Marches for Science« – veranstaltet. Damit reagieren Forscher und Experten auf den Aufwind für populistische Parteien und Politiker, die sich wenig um Wissenschaft und evidenzbasierte Politik scheren. Die Märsche sind ein Protest gegen den befürchteten Anbruch einer »post-faktischen Ära«, in der Expertise nicht mehr viel gilt.
Tatsächlich ist es ein gemeinsames Merkmal von Populisten, dass sie Wissenschaft und Experten infrage stellen. Die Wahl Donald Trumps in den USA, der Sieg der Brexit-Befürworter in Großbritannien und der Erfolg rechtspopulistischer Kräfte in Europa haben deshalb auch Konsequenzen für die Wissenschaft und die Reputation von Experten. So will der US-Präsident das Budget für Klimaforschung kürzen und die staatliche Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften kappen. Michael Gove, unter dem britischen Premier David Cameron Justizminister und ein führender Befürworter des Austritts Großbritanniens aus der EU, warf Experten ganz pauschal vor, die Bevölkerung zu bevormunden. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban schließlich will die renommierte Central European University in Budapest schließen, weil sie ihm zu kritisch ist.
Die meisten Wissenschaftler und Experten hat diese Entwicklung völlig überrascht. Bislang schien es Konsens, dass wissenschaftlicher Expertise in modernen Gesellschaften eine immer größere Rolle zukommt. Denn um wirksame Steuerung unter Bedingungen steigender Komplexität in Staat und Gesellschaft ausüben zu können, scheint belastbares Wissen unabdingbar. Dazu passt, dass Entscheidungsträger verstärkt an Wissenschaftler appellieren, sich in der Politikberatung zu engagieren, also eine Expertenrolle einzunehmen. Und nur ungern verzichten Politiker darauf, ihre Positionen mit Rückgriff auf externen Sachverstand zu begründen. Wenn sich für umstrittene Positionen keine oder kaum wissenschaftliche Expertise mobilisieren lässt, geraten sie bald in argumentative Nöte.
»Evidenzbasierte« Politik erschwert die politische Abgrenzung
Die Verwissenschaftlichung der Politik hat jedoch profunde Implikationen für den politischen Wettbewerb, da sie die demokratiepolitisch notwendige Abgrenzung der politischen Lager voneinander einzuebnen droht, die auf unterschiedlichen Angeboten für die Identifikation und Lösung von Problemen basiert. Aus Sicht politischer Akteure sind von Experten erarbeitete Handlungsempfehlungen daher selten neutral, und seien sie auch noch so wissenschaftlich begründet. Unumstrittene Problemlösungen sind nur dann zu erwarten, wenn der Sachverhalt konkurrenzpolitisch irrelevant ist, von Parteien oder Regierungen also nicht zur Abgrenzung gegen Kontrahenten verwendet wird. Dies ist allenfalls bei technisch-regulatorischen Detailproblemen der Fall.
Häufig aber nutzen die politischen Lager wissenschaftliche Expertise, um eigene Grundsatzpositionen zu profilieren und zu legitimieren. Der Hang zur Politisierung von Expertise mag sich nach Politikfeldern unterscheiden, er mag in Parlamenten stärker ausgeprägt sein als in Ministerien, auf den Leitungsebenen der Verwaltung stärker als auf deren Fachebenen. Tatsache aber ist: Fakten stehen selten für sich allein, mindestens ebenso wichtig ist, wie sie mit politisch relevanter Bedeutung aufgeladen werden können.
Populistische Politiker stellt der Bedeutungsgewinn von Wissenschaft vor besondere Herausforderungen. Im Regelfall gelingt es ihnen weniger gut als den politischen Wettbewerbern, renommierte Expertise für sich zu mobilisieren. Daher war es aus Sicht von Populisten schon immer problematisch, dass wissenschaftlicher Sachverstand in Politik und Verwaltung vergleichsweise hohe Wertschätzung genießt. Beim Versuch, das »Wir« der schweigenden Mehrheit gegen die zu bekämpfenden »Anderen« abzugrenzen, haben sie neben Migranten und etablierten Politikern stets auch Kultur- und Bildungseliten adressiert. Die Diskreditierung von Expertenwissen ist also keineswegs ein neues Phänomen. Nach ihren jüngsten Wahlerfolgen wenden sich Populisten heute jedoch zunehmend selbstbewusst gegen einen wissenschaftlichen »Fakten- und Deutungsimperialismus«: Expertenwissen sei eigentlich irrelevant, und »gesunder Menschenverstand« oder nicht belegbare »alternative Fakten« böten eine hinreichende, wenn nicht gar überlegene Grundlage für politische Entscheidungen.
Die den »Märschen für die Wissenschaft« zugrundeliegende These, mit dem Brexit-Votum, dem Wahlsieg Trumps und den Erfolgen »postfaktischer« Kampagnen in Europa breche eine Ära an, in der wissenschaftliche Expertise weniger gilt, führt also nicht völlig in die Irre. Es sollte dabei aber nicht übersehen werden, dass Wissenschaft und wissenschaftliche Beratung zumindest in Deutschland immer wichtiger für Politik und Verwaltung werden. Nicht zufällig erfahren die Märsche hierzulande breite politische Unterstützung, auch aus Landesregierungen und etablierten Parteien. Gefahr droht der Wissenschaft hingegen aus einer ganz anderen Richtung. Der allgemeine Trend zur Verwissenschaftlichung der Politik verstärkt das Risiko der Politisierung der Wissenschaft, das nicht nur von Populisten ausgehen muss. Für Wissenschaftler wird es daher wichtiger, ihre Integrität gegen politische Vereinnahmungsversuche zu wahren, selbst dort, wo es um der »guten Sache« willen geschieht.
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