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Mali, der Terror im Sahel und Covid‑19

Das neue Bundeswehr-Mandat für die Beteiligung an MINUSMA

SWP-Aktuell 2020/A 27, 15.04.2020, 4 Pages

doi:10.18449/2020A27

Research Areas

Der islamistische Terror breitet sich nicht nur in Mali weiter aus, sondern hat auch die Nachbarländer erfasst. Für die internatio­nale Gemeinschaft besteht das Dilemma darin, dass die regionalen Sicherheitskräfte zumindest Teil des Problems sind – aber ohne sie geht es nicht. Die Corona-Pandemie erhöht den Druck auf die schwachen staat­lichen Strukturen in der Region, während sie die Terror-Milizen kaum beeinträch­tigt. Als Folge steigt die Terrorgefahr in einem Gebiet von der Größe Europas, direkt in unserer Nachbarschaft, mit schwer absehbaren Auswirkungen auch auf Flucht­bewe­gungen. Die Bewältigung der Corona-Krise wird vorüber­gehend alles andere in den Hintergrund drängen. Was bedeutet das für die Multidimensionale Integrierte Stabi­lisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA)? Das Bundeswehr-Mandat für MINUSMA läuft Ende Mai 2020 aus, das der Vereinten Na­tio­nen (VN) einen Monat später. Beide Mandate müssen an die neuen Herausforderungen durch Covid‑19 an­ge­passt werden. Die VN sollten Länder wie Burkina Faso und Niger einbeziehen und alle Missio­nen besser verknüpfen. Das Hauptaugenmerk sollte vorerst auf zivilen und medizinischen Projekten liegen, weniger auf militärischen Fähigkeiten.

Ein Blick zurück: Im Januar 2013 drängte Frankreich mit der »Opération Serval« die Islamis­ten in Mali zurück, auf Bitten der in Bedrängnis geratenen mali­schen Regierung. Ende Februar 2013 man­datierte der Deut­sche Bundestag zwei Einsätze der Bundeswehr in Mali, zum einen im Rahmen der EU-geführten Aus­bildungs­mission (EUTM), die das malische Militär befähigen soll, die Sicherheit im Lande selbst wiederher­zu­stel­len, zum anderen logis­tische Hilfe für die Internationale Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung (AFISMA). Als deren Nachfolge­mission MINUSMA gemäß der Resolu­tion 2100 (2013) des VN-Sicherheitsrates eingerichtet wurde, passte der Deutsche Bundestag das Mandat der Bundes­wehr Ende Juni 2013 entsprechend an. Die aktu­elle Resolution 2480 (2019) läuft am 30. Juni 2020 aus und umfasst den Ein­satz von bis zu 13 289 Militärs und bis zu 1 920 Polizei­kräften, das deutsche MINUSMA-Man­dat umfasst bis zu 1 100 Soldatinnen und Soldaten und endet bereits am 31. Mai 2020.

Zweck von MINUSMA ist es unter anderem, die Umsetzung des Frie­densabkommens zwischen der malischen Regierung und den bewaffneten Gruppen im Land zu unterstüt­zen. Bestandteil des Mandats ist die Zusam­men­arbeit mit der EUTM Mali und der EU Cap­acity Building Mission in Mali (EUCAP Sahel Mali) sowie mit der G5-Sahel-Initia­tive und der französi­schen Nachfolge­mission »Opéra­tion Barkhane«. Das ro­buste Mandat lässt im Rahmen der Selbst­vertei­digung und zum Schutz der Zivil­bevöl­­kerung einen an­gemessenen militä­ri­schen Handlungsspielraum zu. Die direkte Be­kämpfung terroristischer Gruppen ist dabei nur bei unmittelbarer Gefahr vor­gesehen.

Prekäre Sicherheitslage

Die französische »Opération Serval« hat die Möglichkeiten und Grenzen einer mili­tä­rischen Operation aufgezeigt: Solange die An­grei­fer wie eine Armee auf die malische Hauptstadt Bamako vor­rückten, konnten die Franzosen sie wirkungsvoll zurück­drängen. Diese Überlegenheit verschwand unmittelbar, als die Rebellen übergingen in die asym­metrische Kriegsführung in Form von Anschlägen und Überfällen, sowohl gegen militärische als auch – bzw. sogar überwiegend – gegen »softe« zivile Ziele. Weder die malischen Streitkräfte noch die französischen Trup­pen oder MINUSMA waren (und sind) in der Lage, die Zivil­bevöl­kerung flächendeckend gegen diese Taktik der Nadelstiche zu schützen.

Be­schränkten sich die Anschläge anfangs auf den Norden Malis, haben sie sich nach und nach aus­geweitet auf die anderen Lan­des­teile und benachbarte Länder. Mit mili­tä­rischen An­passungsmaßnahmen konn­te diese Ent­wick­lung bisher nicht gestoppt werden. Die malische Regierung hat ver­sucht, von der Verantwortung der eigenen Sicher­heits- und Polizeikräfte abzulenken, indem sie MINUSMA Versagen vorwarf. Wenn aber die Bevölkerung weder die ma­li­schen noch die internationalen Streit­kräfte als ver­trau­enswürdigen Bereit­steller von Sicher­heit (an)erkennt, gewinnen Schutz­ver­spre­chen bewaffneter Grup­pen an Gewicht.

Laut einem Bericht der VN vom Dezember 2019 verschlechtert sich die humanitäre Lage in Mali zusehends. Etwa 3,9 Millionen Malier benötigen humanitäre Unterstützung, das sind über 20 Prozent der Bevöl­ke­rung, Tendenz steigend. Die Anzahl Toter und Verletzter durch Anschläge nimmt sig­ni­fikant zu, mehr als 1 000 Schulen wurden ge­schlossen. Die Bevölkerung kann keine Frie­dens­dividende durch die VN-Mission fest­stellen, eine staatliche Präsenz außerhalb der Hauptstadt ist kaum vor­handen. Dabei geht es nicht nur um isla­mis­tischen Terror, sondern auch um Drogen­schmuggel, orga­nisierte und all­ge­meine Kriminalität.

Hinzu kommt, dass das Coronavirus Afrika erreicht hat. Selbst wenn die Folgen noch nicht abzusehen sind, lässt das Zu­sam­­mentreffen von einem schwachen Ge­sund­heitssystem, schlechter Wasser­ver­sor­gung (Hygiene), ungenügender Staatlich­keit und einer äußerst fragilen Sicherheits­lage nichts Gutes erwarten. Allerdings ist die Bevölkerung in Afrika deut­lich jünger als in Europa, was die Anzahl schwerer Krankheits­ver­läufe in Grenzen halten könnte.

Internationalisierung des Konflikts

Die Sicherheitslage hat sich wegen der Aus­breitung des islamistischen Terrors nicht nur in Mali verschlechtert; die ganze Region ist betroffen. Burkina Faso galt lange als wei­test­gehend resistent, inzwischen spre­chen man­che Beobachter von »malischen oder gar syrischen Verhältnissen«. Der Schwerpunkt der Angriffe der Terrorgruppe Isla­mic State in the Greater Sahara (ISGS) liegt dort, wo Mali, Burkina Faso und Niger an­einander­grenzen, und reicht tief in die ein­zelnen Länder hinein. Damit ent­stehen Rück­zugs­orte, zu denen MINUSMA nicht gelan­gen kann. Zwar umfasst die G5-Sahel-Initia­tive mit den Ländern Maure­tanien, Mali, Bur­kina Faso, Niger und Tschad diesen Bereich, ist aber völlig anders konzipiert als MINUSMA.

Die Sicherheitslage in den nördlichen Regionen Ghanas, Benins und Togos wie auch im Nordwesten Nigerias ist schon heute fragil. Sollte der isla­mistische Terror diese Gebiete erreichen, hätte das fatale Aus­wir­kungen auf ganz Westafrika.

Ein weiteres Problem: Die Sicher­heitslage ist hochgradig komplex und volatil. Geht es im Norden Malis in erster Linie darum, den islamis­tischen Terror einzudämmen, über­lagern besonders im Zentrum des Landes ethnische und religiöse Aspekte die unter­schiedlichsten Konflikte. Hinzu kommen im ganzen Land ver­schie­dene Selbstverteidigungsgruppen, meist entlang einzelner Ethnien, die dem örtlichen Sicherheits­bedürfnis entspringen, die Gesamtproblematik jedoch ver­schärfen. Konflikte zwischen nomadisierenden Viehhirten und Bauern sowie der tägliche Kampf um Wasser sind in ganz Westafrika weit verbreitet und machen an den Ländergrenzen nicht Halt.

Die Ausbreitung von Covid‑19 in Afrika wird die Situation vor Ort radikal verändern und zuspitzen. In Burkina Faso steigt die Zahl der In­fizierten momen­tan rasant; und das, obwohl in der ganzen Region nur sehr wenig getestet wird. In westlichen Län­dern stützt sich die Strategie zur Eindämmung der Pandemie klar auf elementare staatliche Strukturen. In vielen afrikanischen Ländern wird das so nicht möglich sein. Abstand­halten ist aufgrund der gegebenen Verhält­nisse in den meisten afrikanischen Städten nicht umsetzbar. Darüber hinaus hat die Wahr­nehmung, das Virus hätten Ausländer ein­geschleppt und das Ausland sei dafür ver­antwortlich, zu Schuldzuweisungen und sogar Übergriffen geführt, zum Beispiel in Kamerun – hochbrisant für das Engage­ment der internationalen Gemeinschaft.

Mandatsverlängerung MINUSMA

Bis Ende Mai muss der Bundestag über die Verlängerung des MINUSMA-Mandats der Bundeswehr entscheiden. Ohne Berücksichtigung der Virus-Pandemie ergeben sich für ein neues Mandat drei Hand­lungs­optionen: erstens der Abzug aller Truppen, zweitens die Fortsetzung des Mandats wie bisher, drit­tens die Aufstockung des Kontingents.

Zieht die Bundeswehr ihre Truppen aus Mali ab, hätte das eine Signalwirkung auf andere Nationen und würde die Truppenstärke der MINUSMA möglicherweise noch mehr reduzieren. Das würde ein Ord­nungs­vaku­um erzeugen und die malischen Sicher­heitskräfte in die Verantwortung zwingen. Man dürfte wohl nicht damit rechnen, dass sie sich gegen die islamistische Bedro­hung durchsetzen könnten; eher würden sie sich weiter aus der Fläche zurück­ziehen und in wenigen Kasernen verschanzen. Somit be­kämen andere Gewaltakteure zusätz­lichen Raum, die Bevölkerung würde noch stärker leiden. Sie würde einen deutschen Rückzug nicht verstehen. Schließlich würde das Ver­hältnis zu Frankreich schwer belastet.

Die zweite Option, »weiter wie bisher«, wäre zwar ein Beweis der Durchhaltefähigkeit selbst unter zunehmend schwierigen Bedingungen, die Entwicklung der Sicher­heitslage in der Region macht aber deut­lich: Zeit allein wird das Problem nicht lösen. Der Aufwand für die Eigensicherung wird stei­gen, da­durch wiederum verringert sich die Schutz­wirkung für die Zivilbevölkerung, die Sicher­heitslage erodiert immer mehr.

Die dritte Option, eine Aufstockung des deutschen Anteils, könnte die Lage punk­tu­ell verbessern und ein positives Signal nicht nur an Frankreich senden. Eine flächen­deckende Schutztruppe ist indes wegen der Größe des Gebiets nicht möglich; Mali ist gut dreimal so groß wie Deutsch­land. Ein paar Tausend zu­sätzliche Soldaten können die Situation nicht grundsätzlich ändern. Über­dies würden die malischen Sicher­heits­kräfte noch mehr als bisher aus der Verantwortung entlassen.

Alle drei Optionen zeigen klar: Die reine Betrachtung der militärischen Kompo­nen­ten hilft nicht bei der Bekämpfung des Ter­rors – und ignoriert die Corona-Pandemie.

Eine neue Strategie

Was also tun? Ein Ansatz wäre, die VN-Trup­pen der MINUSMA besser aus­zustatten. Oft wird zum Beispiel beklagt, dass es nicht ge­nü­gend Hubschrauber gibt, um Einsatzkräfte zur Bekämpfung von Ter­roristen schnell verlegen zu können. Hubschrauber sind seit Jahren eine der am meisten nach­gefragten Kapazi­täten in allen Krisenregionen der Welt und gleichzeitig überall Mangelware.

Doch selbst Deutschland konnte von An­fang 2017 bis Mitte 2018 unter erheblichen An­strengungen nur 8 Hubschrauber (4 Tiger, 4 NH90) zur Verfügung stellen. Es steht zu vermuten, dass auch die anderen großen VN-Trup­pensteller für MINUSMA, Bangladesch, Burkina Faso, Tschad, Ägypten, Niger, Sene­gal und Togo, das nicht stem­men könn­ten. Noch dazu verbietet sich der flächendeckende Einsatz von Hubschraubern auf­grund der Größe des Gebiets von selbst. Kurz­um: Die militärischen Fähig­keiten der Mission scheinen wei­test­gehend ausgereizt.

Vielleicht bietet gerade die Corona-Pan­demie Möglichkeiten, eine neue Strategie für MINUSMA zu entwickeln. Die malische Regierung etwa könnte stärker in die Ver­antwortung genommen werden, denn die Krise verlangt eine zentrale Führung aus der Hauptstadt Bamako. Die Umsetzung vor Ort, die Ver­teilung von medizinischer Aus­rüstung und die Durchführung der Tests erfordern dagegen dezentrale Maßnahmen. Um dies zu koordinieren, müssen die Zent­ral­regierung sowie die Bezirke und Gemein­den Hand in Hand arbeiten. Damit bekäme man als wesentliches Schlüssel­element Staatlichkeit zurück in die Fläche.

Darüber hinaus sind weitere Bud­get- und Ausbildungshilfen zwingend nötig, ferner muss die Integration der einzelnen Kom­mu­nen, der religiösen Führer und der vielen Selbstverteidigungsgruppen vehe­ment vorangetrieben werden. Andernfalls wird die Verteilung der wenigen medizinischen Güter in der Bevölkerung regional entlang der dominierenden Ethnien ver­laufen.

Es ist davon auszugehen, dass die Virus-Pandemie alle anderen Bemühungen in den Hintergrund drängen und die staat­lichen Struk­turen in ganz Westafrika an den Rand des Zusammenbruchs bringen wird. Letzt­endlich muss sich MINUSMA mit Covid‑19 auf eine ganz neue Situation ein­stellen, ob­wohl sie selbst ebenso vom Virus betroffen und möglicherweise sogar gezwun­gen werden kann, das eigene Engage­ment vor­übergehend zu verringern.

So wird es auch darauf ankommen, die bereits weltweit knappen medizinischen Hilfs­güter teilweise nach Afrika zu schaffen. MINUSMA wird nicht nur danach beurteilt werden, ob sie der Bevölkerung gegen den Terror, sondern auch gegen das Virus hilft. Dabei dürfen die Hilfsmaßnahmen nicht direkt und damit an der Regie­rung in Bamako vorbei erfolgen, sondern müssen die malische Regierung unterstützen.

Einerseits wäre die Umstellung von MINUSMA aufgrund der medizinischen Not­lage ange­messen; dies ist wegen der überall begrenzten Ressourcen indes nicht machbar. Andererseits kann der Terror mit der bislang üblichen Vorgehensweise nicht eingedämmt werden. MINUSMA und damit ebenso das Bundeswehr-Kontingent können bestenfalls versuchen, die Herausforderungen der Corona-Krise möglichst kreativ und flexibel anzunehmen, und zwar durch eine stärkere Kon­zentration auf zivile und medizinische Hilfe­stellung, aber mit den vorhandenen Kapazi­täten. Daher sollte das Bundeswehr-Mandat unverändert ver­längert werden. Die VN müs­sen hingegen Burkina Faso, Niger und weitere Länder in Westafrika sowohl beim Kampf gegen den Terror als auch gegen Covid‑19 besser integrieren. Dazu müssen sie die be­stehenden Missionen weiter­füh­ren, regio­nal ergänzen und enger verknüpfen.

Fazit

Selbst wenn die Gefahren durch den isla­mis­tischen Terror in Mali zunehmen wer­den, steht fürs Erste die Corona-Krise im Fokus und nicht der Kampf gegen den Ter­ror. Da weltweit Res­sour­cen knapp sind, kann MINUSMA nicht primär in eine Hilfs­mission gegen die Pande­mie umge­wandelt werden; das Mandat kann die ak­tu­elle Ent­wicklung jedoch auch nicht igno­rie­ren. Die örtliche Bevöl­kerung wird genau beobachten, welchen Nutzen die VN-Mis­sion in der neuen Krise bringt, was sich auf die Attrak­tivität der verschiedenen Ge­walt­akteure aus­wirken wird. Also ist die Corona-Krise eng mit der steigenden terro­ris­tischen Bedro­hung verwoben. Die VN soll­ten dem mit einer er­wei­terten Strategie für West­afrika begegnen.

Fregattenkapitän Wolf Kinzel ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Mittlerer / Naher Osten und Afrika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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