Der Putsch vom 25. Oktober 2021 setzte dem demokratischen Übergangsprozess in Sudan ein jähes Ende. Militär- und Sicherheitskräften gelingt es seitdem jedoch nicht, ihre Herrschaft zu festigen. Eine Rückkehr zu einer dauerhaften und stabilen Militärregierung in Sudan ist unwahrscheinlich. Zu groß sind die internen Gegensätze der Putschistengruppierungen und die wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes. Die Demokratiebewegung ist gut organisiert und dank ihrer dezentralen Struktur in der Lage, Verhaftungen und Gewalt zu trotzen. Ein neuer demokratischer Übergangsprozess wird nicht allein durch Wahlen herbeizuführen sein, welche die Putschisten für Sommer 2023 planen. Jedwede internationale Vermittlung in Sudan hat nur dann eine Chance, wenn sie eng auf die zivilgesellschaftlichen Pläne für eine Neuausrichtung des Staates abgestimmt ist.
Am 28. Februar 2022 veröffentlichte die United Nations Integrated Transition Assistance Mission in Sudan (UNITAMS) eine Zusammenfassung des fünf Wochen dauernden Prozesses, in dem sie eine breite Auswahl sudanesischer Stakeholder konsultiert hat. Die Mission identifizierte zwar einige Gemeinsamkeiten, doch bleibt die wichtigste Frage unbeantwortet: Wie kann das Land am Nil aus der Krise herausfinden?
Seit ihrer erneuten Machtübernahme im Oktober 2021 ist es den sudanesischen Militär- und Sicherheitskräften nicht gelungen, ihre Herrschaft grundlegend zu konsolidieren. Seitdem die Ministerinnen und Minister der Forces of Freedom and Change (FFC), der breiten Koalition politischer Parteien und Angehörigen der Zivilgesellschaft, am 22. November 2021 zurückgetreten sind, besteht das Kabinett hauptsächlich aus geschäftsführenden Staatssekretären. Im Amt sind nur noch jene Minister, die das Militär und die Unterzeichner des Juba-Friedensabkommens von 2020 nominiert haben. Der Regierung fehlen sowohl die Mittel als auch die Partner, um das Land zu stabilisieren.
Lediglich über Gewaltmittel verfügen die Militär- und Sicherheitskräfte noch, die es ihnen ermöglichen, Demonstrierende mit gezielten Schüssen, Tränengas und schweren Waffen in Schach zu halten. Immer noch gehen regelmäßig tausende Menschen in Khartum und vielen weiteren Städten des Landes auf die Straße, obwohl bei den Protesten bereits 83 Menschen ums Leben und mehr als 2.600 verletzt worden sind. Die zivile Übergangsregierung von Premierminister Abdalla Hamdok, die seit der Verfassungserklärung von August 2019 im Amt gewesen war, genoss breite Zustimmung in der Bevölkerung, bei aller Kritik an einzelnen ihrer Maßnahmen. Das unterscheidet Sudan von anderen Staaten in Sub-Sahara-Afrika, deren Regierungen in den letzten zwölf Monaten Opfer eines Militärputschs wurden.
Drei Faktoren erklären die Schwäche des Sicherheitssektors: seine internen Spannungen, die katastrophale wirtschaftliche Situation im Land und die Resilienz der Demokratiebewegung. Eine Rückkehr zu einer dauerhaft amtierenden Militärregierung steht damit vor erheblichen Herausforderungen.
Fragmentierung des Sicherheitsapparats
Die Schwäche des Sicherheitssektors beruht erstens auf seiner Fragmentierung. Die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter Führung von General Abdel Fattah al‑Burhan haben keine effektive Kontrolle über die Rapid Support Forces (RSF) unter dem Kommando von Generalleutnant Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti. Die Bashir-Regierung hatte die RSF seit 2013 als separate Miliz zur Aufstandsbekämpfung in Darfur eingesetzt. Noch im Juni 2021 widersetzte sich Hemedti Forderungen von Burhan und Rebellengruppen, die Kommandostrukturen zu vereinheitlichen. Hemedti, der auch stellvertretender Vorsitzender des Sovereignty Council (kollektive Staatsführung während der Transition) ist, hat bessere Beziehungen zu jenen Gruppen, die das Juba-Friedensabkommen von 2020 unterzeichnet haben, das er als einziger Vertreter der sudanesischen Regierung unterschrieben hat (Burhan zeichnete lediglich als Zeuge). Die Militärführung hingegen kann sich auf die Geschlossenheit der eigenen Streitkräfte nicht hundertprozentig verlassen. Daher entließ sie im Februar 2022 hunderte Offiziere. Kurzfristig sei Burhan auf die RSF angewiesen, um Khartum zu kontrollieren, langfristig sei Hemedti jedoch sein größter Gegner, schreibt auch die renommierte Expertin Kholood Khair. Burhan soll sich bereits in Gesprächen mit seinen ägyptischen Freunden besorgt darüber gezeigt haben, dass Hemedti putschen könnte. Die SAF bestritten solche Berichte.
So wie Burhan und Hemedti ihren Förderer Bashir im April 2019 im Präsidentenpalast gestürzt haben, könnte die Putschisten ein ähnliches Schicksal ereilen, wenn sie zu viel Gewalt einsetzen oder nicht mehr in der Lage sind, die wirtschaftlichen Pfründen des Sicherheitssektors zu garantieren.
Militärwirtschaft in der Sackgasse
Zweitens werden die Militär- und Sicherheitskräfte auf absehbare Zeit außerstande sein, die wirtschaftliche Misere Sudans zu überwinden. Zwar wird die sudanesische Wirtschaft von Unternehmen dominiert, die dem Sicherheitssektor zugerechnet werden. Sie profitieren jedoch auch von Steuer- und Zollvorteilen, die einer marktwirtschaftlichen Entwicklung entgegenstehen.
Sudans Wirtschaft leidet unter der zweithöchsten Inflationsrate der Welt, im Januar 2022 betrug sie 260 %. Blockaden von Bauern und Demonstranten auf der Hauptverbindungsstraße nach Ägypten ließen die Exporte im gleichen Monat um 85 % zurückgehen. Seit dem Putsch kam es immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Mehl, Speiseöl und Benzin. Die geringen Währungsreserven erschweren die Einfuhr dieser Güter. Die Coup-Regierung hat angekündigt, Steuererhöhungen und ihre Exporte von Gold, dem wichtigsten Exportgut Sudans, für den Import dieser strategischen Güter zu nutzen. Doch ist unwahrscheinlich, dass sie damit die internationalen Hilfsgelder ersetzen können, deren Zahlung seit dem Putsch ausgesetzt ist. Nachhaltiges inklusives Wachstum würde ohnehin nur nach tiefgreifenden Reformen möglich sein, die das Versorgungssystem des Sicherheitssektors gefährden würden.
Der mit Abstand größte Haushaltsposten sind Ausgaben eben für den Sicherheitssektor. Allein die von Internationalem Währungsfonds und Weltbank ursprünglich in Aussicht gestellten Summen belaufen sich auf rund drei Milliarden US-Dollar, zusätzlich zu 700 Millionen US-Dollar für Entwicklungshilfe, welche die USA zurückhalten. Die Regierung musste daher unter anderem das Sudan Family Support Programme streichen, das einer Mehrheit der Bevölkerung mittels (geringer) direkter Geldtransfers helfen sollte, den Schock der wirtschaftlichen Reformen besser zu verkraften. Seit Beginn des Übergangsprozesses 2019 ist die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, um sechs Millionen gewachsen. Bashir verlor die Kontrolle über seine Herrschaft, als er die eigenen Eliten nicht mehr kooptieren und die Bevölkerung nicht länger mit teuren Subventionen ruhigstellen konnte.
Resilienz der Demokratiebewegung
Den Putschisten steht eine breite Demokratiebewegung gegenüber, die sich rekrutiert aus politischen Parteien, organisierter Zivilgesellschaft, Berufsverbänden, Gewerkschaften, Bauern und Akademikern. Im Zentrum stehen die lokalen Widerstandskomitees, in städtischen Bezirken organisierte Gruppen vor allem junger Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Sie spielten schon während der Proteste gegen das Bashir-Regime 2018/19 eine wichtige Rolle. Seit dem Putsch vom Oktober 2021 führen sie einen Protestkalender für regelmäßige Demonstrationen. Tausende gehen in vielen Städten Sudans auf die Straße, auch wenn Khartum die größte Aufmerksamkeit erfährt.
Die Widerstandskomitees koordinieren sich zunehmend auf Ebene der Bundesstaaten Sudans. Ihr Motto ist ein dreifaches Nein: zur Partnerschaft mit dem Militär, zu Verhandlungen, zu Kompromissen. Der Einfluss der Widerstandskomitees zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die in den Forces for Freedom and Change vertretenen politischen Parteien Teile ihrer Positionen übernommen haben und ebenfalls eine rein zivile Regierung fordern, ohne Militärbeteiligung.
Die größte Stärke der Demokratiebewegung ist zugleich auch ihre markanteste Schwäche. Es mangelt ihr an einer einheitlichen, konkreten Vorstellung von einem neuen Übergangsprozess. Einer der führenden Köpfe der FFC, Khalid Omer Yousif (Sudanese Congress Party), ehemaliger Minister, warnte bereits vor einem erneuten Gerangel unter den politischen Parteien um die Verteilung von Posten. Solche internen Differenzen blockierten auch die Einrichtung des Übergangsparlaments vor dem Putsch. Es gibt auch keine einigende Führungsfigur.
Gleichzeitig ist die Demokratiebewegung aufgrund ihrer horizontalen Organisation und der Vielfältigkeit der Stimmen weniger anfällig für Verhaftungen und gezielte Gewalt gegen einzelne Personen. Trotz aller inhaltlichen Unterschiede sowohl innerhalb des FFC als auch zwischen FFC-Mitgliedern und Widerstandskomitees ist das zivile Lager vereint geblieben im Widerstand gegen die Militärregierung.
Als eine der größten Schwächen des Sicherheitssektors hat sich erwiesen, dass er nicht in der Lage war, zivile Partner für die Regierung zu gewinnen. Nach dem Putsch hatte Premierminister Abdalla Hamdok aus dem Hausarrest im eigenen Namen am 21. November 2021 gemeinsam mit Burhan eine neue politische Erklärung unterzeichnet. Diese brachte ihn vorübergehend zurück ins Amt, doch FFC und Demokratiebewegung lehnten sie rundweg ab. Hamdok trat am 2. Januar 2022 frustriert zurück, nachdem es ihm nicht gelungen war, das angestrebte Technokraten-Kabinett zu ernennen. Die Putschisten haben seitdem zwar hunderte von Beamten wieder in ihre Ämter eingesetzt, welche die Hamdok-Regierung wegen zu großer Nähe zum islamistischen Regime entfernt hatte. Doch die ehemals regierende National Congress Party bleibt verboten und zerschlagen. Keine zivile Partei von Bedeutung schlug sich bisher auf die Seite der Putschisten.
Ausblick
Die drei genannten Faktoren können sich gegenseitig verstärken. Während Ägypten, Burhans engster Partner, medizinische Hilfsgüter liefert, bemühte sich Hemedti in jüngster Zeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland um wirtschaftliche Unterstützung und militärische Zusammenarbeit. Ohne Strukturreformen können Hilfen jedoch nur kurzfristig wirken. Voraussetzung für tiefer greifende Reformen ist die Rückkehr zu einem demokratischen Übergang, der in Wahlen mündet. Damit es zu einer solchen Rückkehr kommt, müssen vier grundlegende Prozesse ineinandergreifen.
(1) Zuerst bedarf es einer möglichst breiten Einigung auf ein Verfahren, um eine neue Übergangsregierung herbeizuführen. UNITAMS startete zu diesem Zweck Anfang Januar 2022 Konsultationen. In der ersten Phase kam in 110 Treffen Missionspersonal mit über 800 Personen zusammen. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber UNITAMS ließen sich mit der Zeit mehr und mehr Gruppen auf die Treffen ein. Weitgehend parallel dazu finden Gespräche zwischen, vor allem aber innerhalb der Widerstandskomitees, politischen Parteien, unter Wissenschaftlern und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft statt, die jeweils eigene Entwürfe für eine politische Erklärung veröffentlichten. Doch nur ein einheitlicher Prozess wird breite Akzeptanz finden, auch bei den Generälen.
(2) Die Bildung einer neuen Übergangsregierung und die Abgabe der Regierungsmacht von Militärs und Sicherheitskräften würden sich im zweiten Schritt anschließen. Dann könnten auch internationale Geber ihre Unterstützung wieder aufnehmen. Zumindest die politischen Parteien und Widerstandskomitees müssten sich auf ein Übergangssystem, ein Personaltableau einschließlich Premierminister und eine Aufgabenverteilung während der Übergangsphase einigen.
(3) Ein weiterer Faktor ist der Friedensprozess mit bewaffneten Gruppen. Das Juba-Friedensabkommen von 2020 ist bislang nur schleppend umgesetzt worden. Die Unterzeichnergruppen wurden durch das Abkommen politisch aufgewertet, bewaffnete Akteure bekamen mehr Gewicht in der Regierung als das zivile Lager, während die wichtigsten bewaffneten Gruppen des Landes außen vor blieben. Eine künftige Übergangsregierung sollte die (Neu-)Verhandlung von Friedensabkommen nicht wie in der Vergangenheit den Sicherheitsakteuren überlassen.
(4) Schließlich müsste eine neue Übergangsregierung die Bedingungen für freie und faire Wahlen schaffen. Zu diesen Bedingungen gehören ein Ende der Gewalt und der willkürlichen Verhaftungen sowie eine (Übergangs-)Verfassung, ein Zensus und eine unabhängige Wahlbehörde. Internationale Organisationen könnten technische Hilfe leisten und Wahlbeobachtungsmissionen entsenden.
Schlussfolgerungen
Deutschland und seine Partner können die Sudanesinnen und Sudanesen dabei unterstützen, einen neuen Übergangsprozess einzuleiten. Dazu sollten sie den untereinander abgestimmten diplomatischen Druck auf die Putschisten aufrechterhalten und gezielte Sanktionen für Störer der Vermittlungsbemühungen vorbereiten. UNITAMS kann zwischen den zivilen Gruppen vermitteln und ihnen dabei helfen, sich auf einen Prozess zur Bildung einer neuen Übergangsregierung zu verständigen, vermag das Militär aber nicht davon überzeugen, abzutreten. Um dies zu erreichen, könnte sich Deutschland im Rahmen der Friends of Sudan einbringen, einer informellen Gruppe von Vertretern westlicher und regionaler Regierungen und internationaler Organisationen, die Deutschland mitgegründet hat. In diesem Rahmen könnte die Bundesregierung ihre Kontakte zu den regionalen Partnern der sudanesischen Regierung nutzen, um die Militärs zu veranlassen, ihre Lage und die Option einer verhandelten Abgabe von Macht neu zu bewerten. Dabei könnte eine hochrangige internationale Vermittlung hilfreich sein, wenn sie ihre Vorstellungen – auch indirekt – eng auf die zivilgesellschaftlichen Pläne für eine Neuausrichtung des Staates abstimmt.
Dr. Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung des Autors wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
doi: 10.18449/2022A21