Kuba hat seit April 2018 einen neuen Präsidenten und zum ersten Mal seit der Revolution trägt er nicht den Namen Castro: Mit Miguel Díaz-Canel Bermúdez ist der lang angekündigte Generationswechsel vollzogen worden. Eine grundsätzliche Neuorientierung der kubanischen Innen- und Außenpolitik ist damit jedoch nicht verbunden. Die Fortführung der Revolution steht nicht zur Debatte, aber Kuba will sich modernisieren und an veränderte Realitäten anpassen. Sichtbarster Ausdruck davon ist ein Verfassungsreformprozess, mit dem eine Anerkennung des Privateigentums und eine Erneuerung institutioneller Regelungen verbunden ist. In dem Entwurf werden neue machtpolitische Weichenstellungen und die Bereitschaft erkennbar, die Reformpolitik vorsichtig weiterzutreiben. Doch das Verhalten gegenüber der Opposition scheint sich kaum zu ändern. Entscheidend für die zukünftige Entwicklung wird sein, ob Díaz-Canel sich eine größere Unabhängigkeit von der im Hintergrund immer noch präsenten Castro-Dynastie verschaffen kann.
Nach dem Machtwechsel von Fidel zu Raúl Castro im Jahr 2008 und dem Tod des »Comandante« acht Jahre später ist eine weitere Wegmarke im Prozess der Transition des Landes erreicht: die Übergabe des Präsidentenamts von Raúl an Miguel Díaz-Canel. Der Mythos der alten »Revolucionarios« wird langsam Geschichte. Der Generationswechsel bedeutet auch das Ende des personalistischen Führungsstils der Castros. Er wird nicht nur deutlich, wenn man sich das Alter des neuen Präsidenten vor Augen führt, der 30 Jahre jünger ist als sein Amtsvorgänger. Die neue Verfassung, über die Kuba gegenwärtig diskutiert, wird den Generationswechsel sozusagen institutionalisieren, indem sie ein maximales Amtseintrittsalter von 60 Jahren für das höchste Staatsamt vorsieht. Zudem soll ab sofort eine Beschränkung auf maximal zwei Amtsperioden gelten. Ein weiteres Anzeichen für eine zunehmende Konstitutionalisierung der politischen Führung und somit die Abkehr vom Personenkult ist die Wiedereinführung des Premierministeramtes, das Fidel Castro 1976 abgeschafft hatte. Auf den ersten Blick scheint Kuba endgültig im Post-Castrismus angekommen. Doch Raúl Castro ist immer noch Vorsitzender des Partido Comunista de Cuba (PCC) und oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Er ist damit nach wie vor in einer Position, die es ihm erlaubt, den politischen Wandel aus dem Hintergrund zu kontrollieren.
Raúl Castro und seine Veto‑Position
Die fortgesetzte Präsenz Raúls zeigt, dass im politischen System Kubas trotz des Generationswechsels Kontinuität besteht. Zwar hat formal betrachtet der Präsident das höchste Staatsamt inne, doch in der politischen Praxis dürfte bei Richtungsentscheidungen kein Weg am Parteivorsitzenden Castro vorbeiführen. Die Armee ist auf Kuba eine zentrale Stütze des Systems, denn sie ist nicht nur Inhaberin der Militärgewalt, sondern tritt auch als zentraler Wirtschaftsakteur auf. Das Militär kontrolliert und lenkt eine Fülle staatlicher Unternehmen– eine der Lehren, die die kubanische Führung aus den Transformationsprozessen in Osteuropa gezogen hat: Denn mit dieser Konstruktion soll vermieden werden, dass Wirtschaftsoligarchen in Erscheinung treten. Somit hat Castro die Geschicke des Landes nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch in der Hand. Von ihm wird es abhängen, welche neuen politischen Gruppen innerhalb der Kommunistischen Partei sich konsolidieren können, er wird die Zusammensetzung der neuen Generation moderieren und steuern.
Sein politischer Ziehsohn Díaz-Canel stellt sich selbst als Garant der Kontinuität, dar. Der Fortbestand der kubanischen Revolution steht für ihn an erster Stelle. In den Monaten seit seinem Amtsantritt bekam man von ihm nur allzu bekannte Töne zu hören: Er verurteilte das US-amerikanische Embargo gegenüber der Karibikinsel, das der Hauptgrund für die ökonomischen Schwierigkeiten des Landes sei und endlich aufgehoben werden müsse. Und er beschwor die Solidarität der mit Kuba verbündeten Staaten untereinander und insbesondere das enge Verhältnis zu Venezuela. Dorthin führte Díaz-Canel auch sein erster Auslandsbesuch, so wie auch Präsident Nicolás Maduro als Erstes nach Havanna gereist war.
Ein Blick auf das Kabinett lässt erkennen, dass Díaz-Canel mit der Mannschaft von Raúl Castro weiterregiert. Insbesondere die Schlüsselministerien, das Innen-, Außen- und Verteidigungsressort, sind in denselben Händen geblieben. Eine eigene Gruppe politischer Vertrauter hat Díaz-Canel offenbar nicht mitgebracht. Es sind weiterhin das Netzwerk von Raúl Castro und die damit verbundenen Loyalitätsmuster, die die Politik Kubas in der neuen Phase bestimmen.
Arbeit am »nachhaltigen Sozialismus«
Raúl Castro hat seinem Nachfolger viele unerledigte Aufgaben hinterlassen: die Verfassungsreform, die weitere Neuordnung der Wirtschaft und die Zusammenführung der beiden kubanischen Währungen. Gerade letztere Maßnahme ist so konfliktträchtig, dass sie bislang nicht angegangen wurde. Alle diese Vorhaben stehen unter der Überschrift eines »nachhaltigen Sozialismus«. Die Existenz von Privateigentum wird erstmals auch formell anerkannt, aber auf die sozialen Errungenschaften der Revolution und den Primat der Kommunistischen Partei soll nicht verzichtet werden. Díaz-Canel hat sich diesen Pfad der Reform der Verfassung und der Wirtschaft bereits zu eigen gemacht, bei dem die Maxime gilt, dass strukturelle Verwerfungen vermieden werden müssen.
Der Ausbau des Privatsektors ist derzeit eines der zentralen Projekte der kubanischen Führung. Seit 2010 dürfen Kubaner und Kubanerinnen selbstständig als sogenannte Cuentapropistas (»auf eigene Rechnung Arbeitende«) oder in Cooperativas tätig sein. Die schwache nationale Wirtschaftsleistung brauchte dringend einen Schub, denn nach wie vor sind Konsumgüter Mangelware und auch Nahrungsmittel müssen in großen Mengen importiert werden. Eine Bilanz der bisherigen Maßnahmen zeigt, dass der kubanische Staat das Versprechen auf eine Erhöhung des Wohlstands, mit dem er die ersten Reformversuche 2010 anging, nicht einhalten konnte. Sowohl bei der Streichung von Stellen in ineffizienten Staatsfirmen als auch bei der Steigerung der Selbstständigenzahlen wurden die Vorgaben nur zur Hälfte erfüllt. Der letzten statistischen Erhebung zufolge waren 2016 rund 29 Prozent der Arbeiter im Privatsektor tätig. Dies entspricht zwar einem Anstieg von circa 13 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010; das erwünschte Ziel einer Erhöhung um 40 Prozent wurde jedoch nicht erreicht. Auch die erhofften Beschäftigungseffekte aus der Erweiterung des Privatsektors sind ausgeblieben. Das Wachstum des BIP lag in den letzten Jahren relativ konstant bei circa 2 Prozent. Auch hier wurde das angestrebte Ziel von 5 Prozent verfehlt.
Im Juli 2018 verabschiedete die neue Regierung Gesetze, die die Aktivitäten des privatwirtschaftlichen Sektors eher erschweren. Denn der Staat will nicht nur unangekündigte Prüfungen durchführen, sondern auch alle Transaktionen nachvollziehen können. Nach einer Verschärfung branchenspezifischer Auflagen können die Behörden jetzt schneller Strafen verhängen oder sogar Lizenzen und Eigentum entziehen. Verstöße werden als »Vergehen gegen die kubanische Gesellschaft« eingestuft. Die staatlichen Organe haben damit große Spielräume erhalten für willkürliche Eingriffe, die dem Schutz der Staatsfirmen dienen könnten. Da die Ministerien, die für die staatseigenen Betriebe zuständig sind, auch die Überprüfung der Unternehmen in der jeweiligen Branche durchführen, ist in bestimmten Marktsegmenten kein gleichberechtigter Wettbewerb zu erwarten; dies gilt vor allem für die Sektoren Tourismus, Gastronomie und Transportwesen. Die neuen Restriktionen sind zudem ein negatives Signal an die ausländischen Firmen, die zu einem Engagement in der Sonderwirtschaftszone Mariel aufgerufen werden. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass auch im Bereich der Auslandsinvestitionen die gesetzten Ziele nicht erreicht werden. Gewünscht war eine Summe von 7 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2017 lag diese allerdings bei nur 2 Milliarden. Damit fehlen die dringend benötigten Deviseneinnahmen. Selbst im Tourismussektor, der »Lokomotive der Entwicklung« (Díaz-Canel), sind Einbußen zu erwarten: Wegen der angespannten Beziehungen zu den USA und des schlechter werdenden Preis-Leistungs-Verhältnisses wurde das Ziel von 5 Millionen Besuchern im Jahr 2018 bereits auf 4,75 Millionen reduziert – eine Zahl, die wohl auch nicht erreicht werden dürfte.
Das Kernprojekt Verfassungsreform
Eine der beherrschenden Debatten in Kuba ist derzeit die Änderung der Verfassung von 1992, deren Grundzüge noch aus dem Jahr 1976 stammen. Im Vorschlag der PCC-Führung zur neuen Verfassung sind nur 11 der Artikel in der ursprünglichen Fassung erhalten geblieben, 13 wurden komplett entfernt und 113 überarbeitet. Die Reform ist damit mehr als nur ein symbolischer Akt. In den Änderungen wird die Bedeutung des PCC und des Sozialismus für den kubanischen Staat betont. Der sozialistische Charakter des politischen Systems Kubas wird als unwiderruflich bezeichnet, allerdings wird auf die Zielvorgabe der »kommunistischen Gesellschaft« verzichtet. Gleichwohl will die PCC an ihrem Namen nichts ändern, auch soll sie die einzige zugelassene Partei des Landes bleiben. An der Vormachtstellung der aktuellen Machtelite, so das deutliche Signal, wird auch in Zukunft kein Weg vorbeiführen.
Eine wichtige Neuerung betrifft die Struktur der Führung von Partei und Staat: Hier folgt die PCC dem Muster eines »abgeschwächten Präsidentialismus«: Das Amt des Premierministers soll wieder eingeführt werden. Er soll vom Präsidenten bestimmt und von der Asamblea Nacional bestätigt werden. Dem Regierungschef obliegen die Leitung des Ministerrats und Exekutivkomitees und die Kontrolle der nationalen und lokalen Administrativinstitutionen. Das neue Amt, so die Erwartung, soll die sozialistischen Institutionen stärken und die Fokussierung auf eine Person, wie sie zu Zeiten Fidels betrieben wurde, obsolet machen. Zudem wird festgelegt, dass dem Staatsrat, der als Organ der Nationalversammlung zwischen den Parlamentssitzungen die faktische legislative und exekutive Gewalt innehat, nicht mehr der Staatspräsident sondern der Präsident der Nationalversammlung vorsitzt. Damit wird der Versuch unternommen, Exekutive und Legislative miteinander institutionell zu verschränken, um die Akkumulation von zu viel Entscheidungsmacht beim Staatspräsidenten zu verhindern. Indes ist dieses auf eine kollektive Führung hin zugeschnittene Modell der Machtverteilung auf drei Ämter ein Konstrukt, das gegenseitige Blockaden und Machtkonkurrenzen befördern kann, wenn die steuernde Hand Raúl Castros eines Tages wegfallen sollte. Auch die weiteren Verfassungsänderungen wie die Beschränkung der Zahl der Amtsperioden und der Altersgrenzen für den Amtseintritt sind weniger Ausdruck von Zweifeln am sozialistischen System, sondern eher des Willens, die Institutionen gegen Tendenzen zur Alleinherrschaft abzusichern.
Am Ende des Prozesses soll der Verfassungsentwurf in einem Referendum abgesegnet werden. Zuvor jedoch werden seit dem 13. August und noch bis zum 15. November 2018 sogenannte consultas abgehalten. In diesen Befragungen dürfen die kubanischen Bürgerinnen und Bürger Vorschläge zu Veränderungen an dem Entwurf vorbringen. Dazu finden landesweit Veranstaltungen in den Gemeinden und im Ausland statt. Einer der Sprecher der politischen Opposition, Guillermo Fariñas Hernández, hat allerdings bereits kritisiert, dass durch die Öffentlichkeit der Diskussion über den Verfassungsentwurf jegliche Kontroverse unterdrückt werde. Auch kritische Demonstrationen wurden bereits verboten und der Oppositionelle José Daniel Ferrer García zu Beginn einer solchen consulta verhaftet. Es besteht der Verdacht, dass man mit den consultas lediglich den Eindruck von Legitimität vermitteln wollte.
Díaz-Canel strebt jedoch offenbar eine Belebung der Kommunikation zwischen Volk und Regierung an, insbesondere durch die sozialen Medien. Dafür hat er jetzt seinen eigenen Twitter-Kanal eingerichtet. Um die Kluft zwischen Stadt und Land zu schließen, will er zudem die Provinzen stärker in politische Entscheidungen einbeziehen und damit vom Zentralismus zumindest partiell abrücken.
Miguel Díaz-Canel: Reformer oder Bewahrer der Revolution?
Dass der neue Präsident auf einer Linie mit Raúl Castro ist, kann nicht überraschen. Sein Aufstieg scheint wie aus dem Parteibilderbuch: Vom Engagement in der Jugendorganisation über Posten in der Provinz führte ihn sein Weg bis ins Politbüro. Sein pragmatischer Stil und sein technokratischer Ansatz bei der Bearbeitung von Problemen decken sich mit dem Geist, der die neue Verfassung durchweht. Die Frage, wie weit sein Mut zum Wandel reicht, ist nur mit Blick auf die künftige Rolle Raúl Castros zu beantworten. Die Öffnung Kubas wird auch er nur sehr vorsichtig und in kleinen Schritten verfolgen. Das Primat der Partei und die Bewahrung des Systems sind dabei die begrenzenden Leitplanken. Zudem ist der Sicherheitsapparat die Schaltzentrale im Land. Hier dürfte das größte Problem Díaz-Canels liegen: Er hatte in der Vergangenheit kaum Kontakt zu diesem mächtigen Akteur und ihm fehlen somit Zugänge, um später einmal als möglicher Oberbefehlshaber auf diesen einwirken zu können. Zudem hat der Sohn Raúl Castros, Alejandro Castro Espín, als Leiter des Sicherheitsdiensts eine nicht unbedeutende Rolle in diesem Apparat. Ob Díaz-Canel unabhängiger von der Castro-Familie regieren kann, wird von seinen politischen Fähigkeiten und wirtschaftlichen Erfolgen abhängen. Deshalb sollte der Einfluss des neuen Präsidenten nicht überschätzt werden. Die eigentliche Bewährungsprobe beginnt für ihn mit dem Ableben Raúl Castros oder dessen wirklichem Ausscheiden aus dem politischen Geschäft. So lange wird sich in Kuba die Politik der zaghaften Erweiterung von Freiheitsspielräumen, aber auch der Repression fortsetzen. Der kubanische Transitionsprozess ist mit der Amtsübernahme durch Miguel Díaz-Canel nur in eine neue Phase getreten, die eigentliche Nagelprobe für seine Tragweite und Nachhaltigkeit steht noch aus.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP. Amelie Heindl ist Praktikantin der Institutsleitung.
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