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Kosovo - Serbien: Die EU muss in medias res gehen

Die EU-Politik gegenüber Serbien und Kosovo war zwar in Teilen erfolgreich, ist aber zunehmend von Widersprüchen geprägt. Es ist Zeit, die Schlüsselfrage der kosovarischen Eigenstaatlichkeit auf die Agenda zu setzen, meint Solveig Richter.

Kurz gesagt, 24.02.2012 Research Areas

Die EU-Politik gegenüber Serbien und Kosovo war zwar in Teilen erfolgreich, ist aber zunehmend von Widersprüchen geprägt. Es ist Zeit, die Schlüsselfrage der kosovarischen Eigenstaatlichkeit auf die Agenda zu setzen, argumentiert Solveig Richter.

Der Europäische Rat berät am 1. und 2. März über den Beitrittskandidatenstatus für Serbien. Noch im Dezember 2011 hatte er seine Zustimmung verweigert, um die Belgrader Regierung zu mehr Zugeständnissen in der Kosovo-Frage zu bewegen. Vier Jahre nach der Unabhängigkeit ist Kosovos Status nicht abschließend geklärt. Dies wirkt sich negativ auf die Entwicklung des Landes selbst, aber auch auf die gesamte Region Südosteuropa aus. Besonders prekär ist die Lage in Nordkosovo, wo größtenteils Serbinnen und Serben leben, die die Unabhängigkeit des Kosovo ablehnen und sich gegen den Aufbau staatlicher Institutionen von Seiten Pristinas zur Wehr setzen. Die EU hat in den letzten Monaten eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einer Lösung gespielt. Unter ihrer Vermittlung begannen im März 2011 direkte Gespräche zwischen Pristina und Belgrad mit dem Ziel, durch die Regelung wichtiger Alltagsprobleme die Beziehungen zwischen beiden Seiten zu verbessern. Gleichzeitig übte die EU politischen Druck auf Belgrad aus, indem sie Fortschritte bei der gewünschten Annäherung an die EU von der weiteren Kooperation mit Kosovo abhängig machte.

Die Erfolge der EU-Politik werden zunehmend von deren Schwächen verdrängt

Die EU erzielte mit diesem Ansatz wichtige Etappensiege. Dazu zählen etwa Einigungen beim Zoll- und Grenzmanagement oder bei der Übergabe von Grundbüchern. Gleichwohl war diese Politik von Beginn an von Widersprüchen geprägt, die sich zunehmend kontraproduktiv auswirken.

Zum Ersten ließ der Dialog mit seinem Fokus auf technische Fragen den eigentlichen Streitpunkt zwischen den Kontrahenten außen vor, nämlich die Eigenstaatlichkeit des Kosovo, aus dem die technischen Schwierigkeiten ja gerade resultieren. Die letzten Monate haben gezeigt, dass sich Aufgaben wie Zoll- und Grenzkontrolle faktisch kaum regulieren lassen, wenn genuine Fragen der Ausübung staatlicher Autorität nicht geklärt sind.

Zum Zweiten trugen die technischen Gespräche und der politische Druck auf die serbische Regierung selbst zu einer Eskalation bei. Die kosovarischen Serbinnen und Serben im Norden griffen zunehmend auf Gewalt zurück, um eine Umsetzung der Verhandlungsergebnisse, etwa beim Zoll, zu verhindern. Je stärker Belgrad auf die Forderungen aus Brüssel einging, desto radikaler agierten sie, fühlten sie sich doch von der serbischen Regierung im Stich gelassen.

Und zum Dritten kann es sich mittel- und langfristig als problematisch erweisen, dass sich die Erweiterungspolitik der EU gegenüber Serbien lediglich auf die Frage der Kooperation mit Kosovo konzentriert. Die innenpolitischen Probleme, etwa die mangelnde Unabhängigkeit der Medien, die eigentlich wesentlicher Bestandteil des Beitrittsprozesses sein sollten, rücken angesichts dessen in den Hintergrund. Zudem ruht eine glaubwürdige Konditionalitätspolitik nicht nur auf Anreizen und Sanktionen, sondern auch auf konsistenten Bedingungen. Dies ist im Fall Serbiens zunehmend fragwürdig, da die EU ihre Kriterien im Hinblick auf die Kosovo-Frage stetig erweiterte, diese zugleich aber immer unpräziser wurden.

Grundrisse einer veränderten EU-Politik: "Two-Track"-Verhandlungen

Solange die umstrittene Frage der Eigenstaatlichkeit des Kosovo ungeklärt bleibt, belastet sie die demokratische Entwicklung sowie einen möglichen EU-Beitrittsprozess beider Länder und spaltet die EU. An der Aufnahme offizieller politischer Gespräche zwischen Belgrad und Pristina führt somit kein Weg vorbei, zumal außerhalb eines formellen Rahmens die Optionen längst öffentlich diskutiert werden. Sie reichen von einer Art Grundlagenvertrag ähnlich dem deutsch-deutschen Modell bis hin zu einer Teilung des Kosovo im Gegenzug für eine volle Anerkennung der Unabhängigkeit durch Serbien. Der serbische Präsident Boris Tadić selbst ist in die Offensive gegangen und hat einen Vier-Punkte-Plan vorgeschlagen, der durchaus als Gesprächsgrundlage dienen könnte.

Dabei sollte die EU ihren Ansatz anpassen und ein zweigleisiges Vorgehen wählen, indem sie zunächst das normale EU-Beitrittsverfahren von den politischen Gesprächen um die Zukunft des Kosovo abkoppelt. Dies erlaubt ihr, sich einerseits wieder auf die innenpolitische Entwicklung in Serbien zu konzentrieren. Andererseits würde auch der öffentliche politische Druck auf beide Seiten wegfallen, der einer Konsensfindung eher im Wege steht. Eine langfristig tragfähige Lösung kann kaum erzwungen werden.

Ein erster wichtiger Schritt wäre es daher, Serbien als Beitrittskandidat zu akzeptieren. Die Regierung hat in den letzten Monaten bereits weitreichende Zugeständnisse gemacht, die es den EU-Mitgliedstaaten erlauben, ein positives Urteil zu fällen. Dies würde im Übrigen auch der Empfehlung der Europäischen Kommission entsprechen, die sich auf Basis der politischen und wirtschaftlichen Fortschritte des Landes bereits im Oktober dafür ausgesprochen hatte. Letztlich kann die EU nicht ignorieren, dass ein solcher Schritt auch der pro-demokratischen und pro-europäischen Regierung von Boris Tadić im Vorfeld der Parlamentswahlen im Mai den Rücken stärken würde.

Zugleich müssen die wesentlichen "Spoiler", die kosovarischen Serbinnen und Serben, als eigenständige Interessenvertreter/innen in die Verhandlungen einbezogen werden, zumindest im Hinblick auf den Status des Nordens. Obgleich eine solche politische Aufwertung letztlich deren aggressives Verhalten honorieren würde, ist es doch der einzig mögliche Weg, eine weitere Eskalation im Norden zu verhindern. Zurzeit spricht Brüssel mit gespaltener Zunge, wenn es einerseits von der serbischen Regierung eine Verringerung der Unterstützung für die serbischen Parallelstrukturen im Norden Kosovos verlangt, andererseits aber Belgrads Einflussnahme fordert, um die Gewalt zu verhindern und die Straßenblockaden im Norden aufzuheben.

Die EU sollte die Kosovo-Frage noch einmal entschieden auf die Agenda heben. Werden kritische Fragen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, steht zu befürchten, dass sich die Probleme, gerade in Nordkosovo, verschärfen und damit eine Lösung weiter erschweren.

Dieser Text ist ebenfalls bei EurActiv.de erschienen.