Um seine Gasvorkommen zu vermarkten, setzt Israel bislang auf Exporte nach Ägypten und Jordanien. Durch regionale Vernetzung im Energiebereich, etwa im Rahmen des Anfang 2019 gegründeten Eastern Mediterranean Gas Forums (EMGF), verspricht sich die israelische Regierung bessere politische Beziehungen mit der Region. Gleichzeitig hofft Israel auf den Bau der EastMed-Pipeline. Sie würde einen direkten Exportlink nach Europa schaffen, damit aber die Energiekooperation mit den arabischen Nachbarn unterminieren. Die Europäische Union (EU) sollte die regionale Energiekooperation befördern, da diese die Zusammenarbeit auf anderen Gebieten begünstigen könnte. Entsprechend sollte die EU den Bau der EastMed-Pipeline nicht unterstützen.
Laut Schätzungen verfügt Israel über 800 Milliarden (Mrd.) bis 1 Billion Kubikmeter (m³) Erdgas. Sein Eigenverbrauch liegt bei circa 10 Milliarden m³ jährlich; 2017 entsprach das einem Anteil von circa 35 % des gesamten Energieverbrauchs. Bisher ist die Erschließung der Gasvorkommen zum Export des Gasüberschusses jedoch nicht weit vorangeschritten. Dies ist die Folge der überhasteten israelischen Energiepolitik, die ein Resultat der Energiekrise 2011–2013 ist.
Damals kamen zwei Entwicklungen zusammen: Erstens zwangen anhaltende Anschläge auf Pipelines auf der Sinai-Halbinsel den wichtigsten Gaslieferanten Ägypten, im Sommer 2011 seine Gaslieferungen an Israel auszusetzen. Zweitens erschöpfte sich das einzige entwickelte israelische Gasfeld, Yam Tethys, Anfang 2012. Infolgedessen hat die israelische Regierung alle Lizenzen für die Gasfelder Tamar, Leviathan, Karish und Tanin ohne Ausschreibung an das amerikanisch-israelische Konsortium Noble Energy / Delek Drilling vergeben, das die Gasvorkommen entdeckt hatte. Eine schnelle Vergabe sollte die Erschließung beschleunigen. Außerdem hat das israelische Staatsunternehmen Israel Electric Corporation (IEC) dem Konsortium einen bis 2021 stabilen Abnahmepreis zugesichert, der über dem Marktpreis liegt. Die Monopolstellung von Noble / Delek hat durch fehlenden Konkurrenzdruck allerdings nicht zur Erschließung neuer Gasfelder geführt; überdies verstieß sie gegen israelisches Kartellrecht. Klagen folgten, Interventionen des Kartellamts zwangen Noble / Delek zum Verkauf von Anteilen an den Gasfeldern – die Erschließung der Gasfelder verzögerte sich weiter.
Umstrittene Exportstrategie
In der nachfolgenden Debatte mahnten Kritiker aus dem Energieministerium und dem Israeli Institute for Economic Planning, nationale Gasreserven seien für Israels strategische Autonomie und den eigenen Energiebedarf unabdingbar. Regierung, Außenministerium und Nationaler Sicherheitsrat halten bis heute an der Exportabsicht fest; sie beauftragten den überministeriellen »Tzemach«-Ausschuss mit der Ausarbeitung einer Regierungspolitik. Gemäß dem 2012 vorgelegten Bericht könnten bis zu 50 % des Gasvorkommens exportiert werden. 2018 hat der »Adiri«-Ausschuss in einer Fünf-Jahres-Evaluierung diese Einschätzung relativiert: Ab 2030 sei in Israel mit einem Energiemangel zu rechnen, da die Gasvorkommen durch steigenden Verbrauch (Prognose für 2040: 35 Mrd. m³ jährlich) und die Umstellung der Stromerzeugung von Kohle auf Gas zur Neige gehen würden.
Diese unklare Politik nach der Energiekrise 2011–2013 verwirrte ausländische Investoren und hielt sie vom israelischen Markt fern. So trat 2014 die australische Firma Woodside unerwartet vom Anteilskauf am Gasfeld Leviathan zurück und mit Edison verabschiedete sich im August 2018 ein bereits aktives Energieversorgungsunternehmen vom israelischen Markt. In zwei Ausschreibungsrunden für Förderlizenzen haben nur das griechische Unternehmen Energean und ein indisches Konsortium Konzessionen erworben. Energean erläuterte, wie lange die Entwicklung der Felder Karish und Tanin dauere, hänge nicht nur von der Nachfrage am israelischen Markt ab, sondern vor allem von Exportperspektiven. Die israelische Regierung betrachtet den Ausbau von Exportmöglichkeiten darum als Mittel für die wirtschaftliche Erschließung ihrer Gasvorkommen.
Ausbau regionaler Kooperation
Naheliegende Abnehmer für israelisches Erdgas sind Jordanien und Ägypten, doch die Marktsituation in der Region ändert sich schnell: Während Ägypten in der Vergangenheit auf Gasimporte angewiesen war, kann es seit Anfang 2019 durch heimische Erdgasförderung seinen Eigenbedarf decken. Allerdings hat die ägyptische Regierung viel in Gasverarbeitung und Verflüssigungsanlagen investiert; die Kosten würden sich nur durch hohe Exporte amortisieren – wozu das Land weiterhin Gas importieren müsste. Ein derartiger Erdgashandel könnte Ägypten zur Drehscheibe für den Export von Flüssiggas machen. Auch das hohe Bevölkerungswachstum lässt erwarten, dass Ägypten in Zukunft erneut Erdgas importieren muss.
Nachdem es seit 2011 zwischen der IEC und der Regierung in Kairo Streit um die Gaslieferungen gegeben hatte, haben sich beide Länder 2018 geeinigt: Israel soll 10 Jahre lang circa 7 Milliarden m³ Erdgas jährlich nach Ägypten exportieren.
Für den Gasexport verfügt Israel über eine Pipeline bei Sodom, die seit 2017 geringe Mengen Gas nach Jordanien pumpt, und die seit 2011 brachliegende Arisch-Aschkelon-Pipeline, an der Noble / Delek Ende 2018 für 518 Millionen US-Dollar 39 % der Anteile erworben hat. Expertenberichten zufolge kann die Exportverbindung bei Aschkelon über das nationale Pipelinesystem aber nur mit 2 bis 3 Milliarden m³ pro Jahr beliefert werden. Des Weiteren muss die Transportrichtung der Pipeline umgekehrt werden, was aufwendig ist und israelische Gaslieferungen nach wie vor verzögert. Gegen israelische Exporte spricht auch, dass das ägyptische Pipelinenetz auf der Sinai-Halbinsel bereits in Gegenrichtung mit Exporten nach Jordanien belegt ist. Ein Exportstopp ist unwahrscheinlich, weil Kairo beabsichtigt, 2019 die Hälfte des jordanischen Gasbedarfs zu stellen. Wenn Israel die – zur Erschließung der eigenen Gasfelder notwendige – Kooperation mit den Nachbarländern verstetigen oder ausbauen möchte, muss es in jedem Fall zeitnah in zusätzliche Infrastruktur investieren.
Auch der Bau einer dritten Export-Pipeline, die bereits Ende 2019 fertiggestellt werden und jährlich 3 Milliarden m³ Gas nach Jordanien exportieren soll, verläuft nicht unproblematisch. Da viele Jordanier die Kooperation mit Israel für Verrat an den Palästinensern halten, gibt es in der Bevölkerung Widerstand. Jordanische Parlamentarier drohen, den Importvertrag aufzukündigen, oder rufen zur Sabotage der Pipeline auf.
Um die regionale Gaskooperation dennoch voranzubringen, ist Israel Anfang 2019 als Gründungsmitglied dem EMGF beigetreten. Ihm gehören außerdem Ägypten, Jordanien, Zypern, Griechenland, Italien und die Palästinensische Autonomiebehörde an. Das Forum soll durch Abstimmung der Energiepolitiken der Mitgliedsländer einen gemeinsamen Gasmarkt im Ostmittelmeerraum schaffen. Derzeit ist das EMGF ein lockerer Zusammenschluss und dient lediglich der Kommunikation. Trotzdem ist es ein vielversprechendes Format: Es soll erstens Erwartungen und Ziele der Gasimporteure und ‑exporteure der Region in Einklang bringen, zweitens Versorgungssicherheit garantieren, drittens Interdependenz fördern, indem Preise abgesprochen und Infrastruktur zusammengeführt wird. Vor allem Israel hofft, dass es durch die Zusammenarbeit im EMGF sein Verhältnis zu Jordanien und Ägypten verbessern kann: von der aktuellen Sicherheitskooperation über den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen hin zu einer Normalisierung und Vertiefung der politischen Beziehungen.
Die EastMed-Pipeline
Jedoch setzt Israel nicht nur auf Exporte in die Region, sondern auch auf den geplanten Bau einer Pipeline nach Europa. Eine solche transkontinentale Pipeline unterstützen ebenso Zypern, Griechenland und Italien. 2015 haben sie die EU-Kommission aufgefordert, das sogenannte EastMed-Projekt als Project of Common Interest (PCI) zu definieren (Nr. 7.3.1) und es in den Ten-Year Network Development Plan aufzunehmen (Project Code: TRA-N-330), der die Energie-Infrastruktur in der EU vernetzen will. Das Pipelineprojekt fügt sich damit ein in den Rahmen des Southern Gas Corridors, den das Europäische Parlament (EP) und der Rat der Europäischen Union in der Verordnung 347/2013 beschlossen haben. Ende 2015 hat die EU-Kommission mit Unterstützung durch den Kommissar für Klimapolitik und Energie, Miguel Arias Cañete, diese Verordnung angepasst, indem sie das Pipelineprojekt der zweiten PCI-Liste hinzugefügt hat. Rat und EP haben der Liste zugestimmt, zwei Monate später trat sie in Kraft.
Der Bau der EastMed würde 4 bis 5 Jahre dauern und circa 7 Milliarden Euro kosten, wobei die EU die Hälfte der Kosten tragen müsste. Träger der anderen Hälfte und Bauherr wäre IGI Poseidon, eine Tochter der griechischen DEPA und der italienischen Edison. IGI Poseidon hat 2016 eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, die mit 2 Millionen Euro über das Programm Connecting Europe Facility finanziert wurde. 2022 sollen die Entwicklungsphase und die Planung des Front-End-Engineerings abgeschlossen sein. Dann hängt die endgültige Umsetzung von der EU-Kommission ab: Sie entscheidet über die Mittelfreigabe.
Die Anbindung an die EU böte Israel einen sicheren Absatzmarkt und einen Ausweg aus der energiepolitischen Isolation des Nahen Ostens. Damit wäre die EastMed-Pipeline eine Alternative zu Reformen des eigenen Energiemarktes und zum kostspieligen Ausbau der Infrastruktur mit den teils widerwilligen Nachbarn Ägypten und Jordanien. Doch obwohl die Machbarkeitsstudie den Bau der längsten Pipeline der Welt für realistisch hält, sprechen nicht nur die hohen Kosten und die Sicherheitslage im Ostmittelmeerraum gegen sie.
Trade-off zwischen regionaler und transkontinentaler Kooperation?
Für Israel ist der Bau der Gasverbindung nach Europa vor allem aus sicherheitspolitischen Erwägungen attraktiv. Laut dem israelischen Energieminister Juval Steinitz würde der direkte Gashandel mit der EU den arabischen Staaten die Möglichkeit nehmen, Israel politisch unter Druck zu setzen. Umgekehrt würde dieses Vorhaben aber jegliche regionale Kooperation im Energiebereich unterminieren. Der exklusive Zugang zum EU-Gasmarkt, den Israel, Zypern und Griechenland mit dem EastMed-Projekt bekämen, würde die arabischen Länder des EMGF marginalisieren und dadurch die Organisation lahmlegen. Wirtschaftliche und politische Potentiale eines gemeinsamen Gasmarktes im östlichen Mittelmeerraum, wie ihn das EMGF anstrebt, blieben ungenutzt.
Dabei müsste die Entscheidung Israels zwischen regionalem und europäischem Absatzmarkt kein Nullsummenspiel sein: Durch langfristige Integration in den regionalen Gasmarkt ließe sich auch der europäische Markt bedienen, wenn das Erdgas der Region zu den Verflüssigungsanlagen in Ägypten transportiert würde. Dies wäre kostengünstiger als der Pipelinebau und würde die Gaslieferanten Zypern und Israel zu weitreichender Kooperation mit dem Energieumschlagplatz Ägypten anspornen.
Die wirtschaftliche Kooperation hätte einen wichtigen Nebeneffekt: Die sich entwickelnde Interdependenz wäre nicht ohne Weiteres umzukehren und könnte eine Ausweitung der Beziehungen in der Region bewirken. Insbesondere das EMGF könnte zur Lösung energiepolitischer und zwischenstaatlicher Konflikte beitragen, wie der Aufteilung des Aphrodite-Gasfeldes zwischen Israel und Zypern. Die Dynamik des entstehenden Gasmarktes im Ostmittelmeerraum hat bereits dazu geführt, dass zum Beispiel der Libanon, selbst kein EMGF-Mitglied, unter Zugzwang ist, mit dem Erzfeind Israel den Verlauf seiner Seegrenzen zu verhandeln. Auch die Mitgliedschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde im EMGF könnte eine neue Konstellation im Nahostkonflikt bedeuten. Israel ist mit den Palästinensern in Gesprächen über die Förderung des Gasvorkommens vor der Küste Gazas.
Schlussfolgerungen
Die EU sollte Israels widersprüchlicher Gasexportpolitik eine klare Position entgegensetzen: Regionale Energiekooperation im östlichen Mittelmeer muss Vorrang haben vor einem teuren transkontinentalen Pipelineprojekt. Der wirtschaftliche Nutzen des Projekts ist ohnehin zweifelhaft, weil potentielle Liefermengen aus dem Ostmittelmeerraum (anfangs 10 Mrd. m³ jährlich) im Verhältnis zum europäischen Gesamtbedarf unbedeutend sind. Ihr Ziel der Diversifizierung von Gasimporten aus Drittländern könnte die EU auch ohne Pipelinebau realisieren. So verweist eine Studie der Generaldirektion Externe Politikbereiche der Union von 2017 auf Ägyptens Schlüsselfunktion am Gasmarkt des Ostmittelmeerraums. Sie empfiehlt, auf vorhandene ägyptische Infrastruktur zu setzen, um den europäischen Markt flexibel zu versorgen. Investitionen in zusätzliche Infrastruktur seien nur bei funktionierender regionaler Kooperation sinnvoll. Hinzu kommt das erklärte Interesse der EU an zwischenstaatlicher Zusammenarbeit in der Region; sie unterstützt sie bereits in der Euromediterranen Partnerschaft, im Barcelona-Prozess (heute: Union für den Mittelmeerraum) und in der Europäischen Nachbarschaftspolitik.
Folglich wäre es zielführend, wenn die EU den Anspruch des EMGF bestärkt, den Energiemarkt des Ostmittelmeerraums zu einen und zu koordinieren. Dem ungewissen wirtschaftlichen Nutzen des Pipelinebaus steht also der erhebliche politische Nutzen regionaler Kooperation gegenüber. Da auch für Israel die Integration in die Region durch Kooperation am Gasmarkt politische Vorteile böte, sollte die EU das EastMed-Pipelineprojekt nicht weiter fördern. Entsprechende Handlungsoptionen wären: eine Debatte im EP, ein Tagesordnungspunkt im Rat, die Streichung von der PCI-Liste durch die EU-Kommission bei der nächsten Vorlage 2021.
Stefan Wolfrum ist Forschungsassistent im Projekt »Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen«. Das Projekt ist in der SWP-Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika angesiedelt und wird vom Auswärtigen Amt gefördert.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A58