Nach der Veröffentlichung der Pläne zum Abbruch der EU-Beitrittsgespräche bläst der isländischen Regierung ein steifer Wind ins Gesicht. Für die Beziehungen zur EU könnte sich der Schritt auf lange Sicht aber sogar als Chance erweisen, meinen Tobias Etzold und Christian Opitz.
Kurz gesagt, 20.03.2014 Research AreasNach der Veröffentlichung der Pläne zum Abbruch der EU-Beitrittsgespräche bläst der isländischen Regierung ein steifer Wind ins Gesicht. Für die Beziehungen zur EU könnte sich der Schritt auf lange Sicht aber sogar als Chance erweisen, meinen Tobias Etzold und Christian Opitz.
Im Herbst 2008 sah sich Island nach dem Zusammenbruch der drei größten Banken im Zuge der Pleite der US-Investment Bank Lehman Brothers am Rande des Staatsbankrotts. Als möglichen Ausweg aus der Krise bewarb sich die damalige rot-grüne Regierung daraufhin im Sommer 2009 um eine EU-Vollmitgliedschaft. Mit der unerwartet schnellen konjunkturellen Erholung schwand die Bereitschaft, in sensiblen Bereichen wie der Fischereipolitik Kompetenzen an Brüssel abzugeben, jedoch spürbar. Bereits als das euroskeptische Parteienbündnis aus Konservativen und Liberalen im Frühjahr 2013 die Parlamentswahlen gewann, wurden die Gespräche mit Brüssel auf Eis gelegt.
Ein Ende Februar von der Regierung vorgelegter Gesetzesentwurf nun soll die isländische EU-Beitrittsbewerbung offiziell beenden. Stattdessen ist vorgesehen, die Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten mit flexiblen Kooperationsverträgen zu stärken. Dies würde primär eine verbesserte Umsetzung des Europäischen Wirtschaftraumabkommens (EWR) beinhalten. Der EWR dehnt den europäischen Binnenmarkt aus und transferiert Teile des EU-Regelwerks in Länder, die Zugang zum Binnen¬markt wünschen, nicht aber eine EU-Vollmitgliedschaft.
Vertrauensverlust bei Bevölkerung und EU
Die Regierungskoalition lehnt bislang einen Volksentscheid zum Abbruch der Verhandlungen ab, obwohl sie noch vor kurzem versprochen hatte, bedeutsame Entscheidungen in den Beitrittsverhandlungen vom Volk absegnen zu lassen. Dieses eigenmächtige Vorgehen provoziert derzeit anhaltende Massendemonstrationen. In allererster Linie drückt der breite Protest einen nachhaltigen Vertrauensverlust gegenüber einer Regierung aus, die sich sowohl bei Aufnahme als auch beim geplanten Abbruch der Beitrittsverhandlungen mehr an Partikularinteressen orientiert als am Willen der Mehrheit. Eine Online-Petition gegen den Regierungsentwurf erreichte in kurzer Zeit über 50.000 Unterschriften – mehr als 20 Prozent der gesamten isländischen Wahlbevölkerung. 80 Prozent sprechen sich für die Fortführung der Gespräche aus. Allerdings fand die EU-Mitgliedschaft zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit. Aktuelle Umfragen bestätigen dies.
Der außenpolitische Schlingerkurs hat inzwischen auch bei der EU zu einem Vertrauensverlust geführt. Die Bereitschaft, Island in wichtige Vereinbarungen einzubinden, schwindet. Zwar hat der EU-Botschafter in Reykjavik nach der Veröffentlichung der Gesetzesvorlage davon gesprochen, dass sich Island mit der Beitrittsentscheidung Zeit lassen und die EU warten könne. Nicht immer aber war Brüssel so geduldig. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte Reykjavik nach der Ankündigung, die Beitrittsgespräche auf Eis zu legen, aufgefordert, ohne weitere Verzögerung über den Fortgang der Verhandlungen zu entscheiden. EU-Diplomaten hatten sich hinter den Kulissen irritiert gezeigt. Immerhin hatte die EU mehrere Jahre Zeit und Geld in die Verhandlungen mit dem Land investiert. Als erstes deutliches Zeichen der Verstimmung auf Seiten der EU kann das überraschende Verhandlungsergebnis von Mitte März im sogenannten »Makrelen-Krieg« interpretiert werden: Nach jahrelangem, teils erbittertem Streit über die Fangquoten für eine der wichtigsten Einnahmequelle im Nordatlantik einigte sich die EU schließlich lediglich mit Norwegen und den Färöer Inseln. Island blieb außen vor.
Die Regierung könnte in der EU-Politik auf mehr Teilhabe setzen
Angesichts des großen Widerstandes, mit dem die isländische EU-Politik im Moment konfrontiert ist, erscheint deren Neuausrichtung notwendiger denn je. Paradoxerweise könnte ein Anstoß hierzu ausgerechnet in dem Dokument skizziert sein, das die aktuelle Krise erst heraufbeschwor. Bislang nämlich ist die isländische EU-Politik vor allem durch eigenmächtiges Regierungshandeln, durch parlamentarisches Abnicken und durch Intransparenz gegenüber der breiten Öffentlichkeit geprägt. Das Gesetzesvorhaben sieht nun neben der formellen Beendigung der Beitrittsbewerbung vor, die Beziehungen zur EU durch eine größere Teilhabe des Parlaments und der Bevölkerung zu stärken.
Zum einen soll es eine direkte legislative Kontrolle geben, unter anderem in Form der Einrichtung eines Europaausschusses und jährlicher Regierungsberichte an das Parlament. Zum anderen soll das europäische Bewusstsein in der Bevölkerung gestärkt werden. Es soll vermehrt über die europäische Zusammenarbeit aufgeklärt werden. Hierzu werden etwa eine Förderung der zivilgesellschaftlichen Kontakte zwischen Island und Ländern der EU, ein breiteres Angebot an EU-Studiengängen sowie vermehrte Ausbildungsmöglichkeiten für junge Isländer in europäischen Institutionen vorgeschlagen.
Auch wenn die Regierungsvorschläge im Detail noch nicht ausgereift sind, sollte das Parlament sie ernsthaft prüfen. Denn ein geschärftes öffentliches Bewusstsein für Europa und eine stärkere Beteiligung des Parlaments könnten das bisherige »Elitenprojekt EU« langfristig besser innenpolitisch legitimieren und damit die Beziehungen zu Brüssel auf verlässlichere Füße stellen – ohne Vollmitgliedschaft, aber im Rahmen einer engen, flexiblen und anpassungsfähigen Zusammenarbeit. Dass es der Regierung mit der breiteren Teilhabe in EU-Fragen ernst ist, könnte sie jetzt sehr deutlich unter Beweis stellen: indem sie das Volk über den Gesetzesentwurf abstimmen lässt.
Der Text ist auch bei EurActiv.de und Handelsblatt.com erschienen.
Islands Interesse an einer EU-Mitgliedschaft ist erloschen, das zeigt der Ausgang der Wahlen am 27. April. Tobias Etzold und Christian Rebhan machen Islands rasche wirtschaftliche Erholung und die Probleme in der Eurozone als Ursachen hierfür aus.