Susan Stewart erklärt, wer Poroschenko ist. Sie spricht über Schritte zur Stabilisierung des Landes und die Frage, wie die internationale Gemeinschaft das Land unterstützen kann.
Kurz gesagt, 28.05.2014 Research AreasSusan Stewart erklärt im Interview, wer eigentlich Petro Poroschenko, der neue Präsident der Ukraine, ist. Sie spricht über notwendige Schritte zur Stabilisierung des Landes und die Frage, wie die internationale Gemeinschaft das Land unterstützen kann.
In der Ukraine ist Petro Poroschenko im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden. Womit hat er seine Wähler überzeugt?
Poroschenko hat offenbar vielen Leuten das Gefühl gegeben, dass er jemand ist, der einen Stabilisierungsprozess einleiten kann. Vor allem hat er aber davon profitiert, dass es neben ihm keine mehrheitsfähigen Kandidaten gegeben hat. Julia Timoschenko etwa wirft man vor, dass sie seinerzeit einen für die Ukraine unvorteilhaften Gas-Deal mit Russland geschlossen hat. Dieses Bild konnte auch ihr antirussischer Wahlkampf nicht beschönigen. Außerdem wird ihr angelastet, dass sie der alten Elite angehört.
Trifft das nicht auch auf Poroschenko zu?
Das ist zwar richtig. Vor allem aber wird ihm hoch angerechnet, dass er den Maidan sehr eindeutig unterstützt hat, dass er in entscheidenden Momenten präsent war, auf dem Maidan, aber auch auf der Krim. Neben seinem Schokoladenimperium hat Poroschenko einen Fernsehsender, TV 5, der während des Maidan regimekritisch berichtet hat. Auch das war ein Pluspunkt für ihn.
Wie bedeutsam ist die Vernetzung Poroschenkos mit den alten Eliten?
Poroschenko hat immer sehr opportunistisch gehandelt. Er hat zu den Leuten gehört, die die Partei der Regionen im Jahr 2000 gegründet haben. Dann aber, nachdem er sich mit dem damaligen Präsidenten Kutschma überworfen hatte, die Partei 2004 verlassen und die Orangene Revolution unterstützt. Er war Außenminister unter Juschtschenko und schließlich Wirtschafts- und Handelsminister unter Janukowitsch. Parallel hat er sein Schokoladenimperium aufgebaut.
Er hat sich also offenbar immer sehr gut an die jeweiligen Verhältnisse angepasst.
Genau. Deswegen ist meine Befürchtung, dass es unter ihm nicht zu grundlegend neuen Mustern der Regierungsführung kommen wird. Das Thema Korruption etwa müsste als eines der ersten angegangen werden. Dabei müsste man gerade die Verflechtung von Politik und Wirtschaft in den Blick nehmen. Ob Poroschenko dafür der Richtige ist, ist fraglich.
Geht es dem "Zucker-Zar" Poroschenko in erster Linie um sein Geschäft?
Immerhin hat er angekündigt, seine Unternehmen bis auf den Fernsehsender zu verkaufen. Man muss beobachten, was das bedeutet. Er bleibt ja dennoch Teil der Wirtschaftsnetzwerke. Ob er dann alte Freunde bestrafen wird, weil sie korrupt sind, wird man sehen.
Wie wird er die Stabilisierung der Ukraine angehen?
Er setzt im Augenblick sehr darauf, das staatliche Gewaltmonopol im Donbass zurückzuerlangen, um die Sicherheit wiederherzustellen. Hierzu will er härter durchgreifen, als das die Interimsregierung getan hat. Ein erstes Beispiel hierzu haben wir gerade auf dem Donezker Flughafen gesehen. Zunächst will er also offenbar die Separatisten besiegen, um dann in den Dialog mit der Bevölkerung im Osten der Ukraine zu treten.
Wieso sollte es ihm besser gelingen, gegen die Separatisten vorzugehen, als dem Interimspräsidenten Turtschinow?
Ein Problem ist und bleibt, dass sich die Separatisten sehr geschickt dort verschanzen, wo Zivilisten sind – aber die Ukraine natürlich zivile Opfer vermeiden möchte. Hierauf wird auch Poroschenko Rücksicht nehmen müssen. Sein Hauptproblem ist aber der katastrophale Zustand der Armee. Ihr fehlt es an Gerät und an Personal. Außerdem sind die Führungskräfte schlecht ausgebildet. Hinzu kommt, dass die Polizei im Osten des Landes sich in der Regel entweder auf die Seite der Separatisten stellt oder nichts tut. Da gibt es sowohl Loyalitäts- als auch Kapazitätsprobleme. Damit wird Poroschenko genauso konfrontiert sein wie Turtschinow vor ihm. Es könnte also sehr gut sein, dass er bald ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommt.
Was sollten aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte zur Stabilisierung der Ukraine sein?
In jedem Fall war die Wahl des Präsidenten nur ein allererster Schritt auf einem langen Weg. Ganz wichtig ist es, dass Kiew nun sehr viel stärker mit den friedlichen Kräften im Osten des Landes kommuniziert als bisher. Dabei kann es im Augenblick nicht um den Dialog mit den Separatisten gehen, weil sie weder eine klare Position haben noch jemanden, der sie glaubwürdig vertreten könnte.
Wie könnte der Dialog mit dem Osten aussehen?
Für den Dialog gibt es bereits das Format des »Nationalen Dialogs«, das auch Teil der OSZE-Roadmap ist. Kiew muss aber den Kontakt mit den Menschen im Osten auch weit über diesen »Nationalen Dialog« hinaus herstellen und ihnen glaubhaft vermitteln, dass ihre Interessen einbezogen werden. Das Ministerkabinett hat zum Bespiel vor einigen Monaten ein Dezentralisierungskonzept genehmigt. Das könnte man mit Gesprächspartnern im Osten diskutieren und weiterentwickeln.
Welche weiteren Punkte sind wichtig für eine Stabilisierung der Ukraine?
Parlamentswahlen wären ein wichtiger Schritt, wichtiger als die Präsidentschaftswahlen sogar, weil sie den Menschen aus den unterschiedlichen Regionen das Gefühl geben würden, besser repräsentiert zu sein. Abgesehen davon funktioniert das jetzige Parlament zum Teil sehr schlecht. Poroschenko hat bereits angekündigt, dass noch in diesem Jahr Parlamentswahlen stattfinden sollen.
Ganz wichtig sind außerdem Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, zum Beispiel im Bereich der öffentlichen Beschaffungen. Dazu gehört auch, dass die Rechtsstaatlichkeit gestärkt wird: wer Korruption zur Anzeige bringt, muss sich darauf verlassen können, dass dem nachgegangen wird.
Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um eine Stabilisierung zu unterstützen?
Sie sollte vor allem darauf hinwirken, dass Russland sich zu konkreten Schritten verpflichtet. Es sollte zum Beispiel die Aktivitäten der Separatisten klar und öffentlich verurteilen und die Genehmigung des Föderationsrates für einen militärischen Einsatz im Osten der Ukraine widerrufen. Entsprechende Gespräche könnten entweder im Rahmen der OSZE erfolgen oder in einer Runde mit USA, EU, Russland und der Ukraine wie beim Ukraine-Gipfel in Genf. Gleichzeitig müssen unbedingt die Sanktionsdrohungen gegenüber Russland aufrechterhalten werden – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Russland überhaupt an den Verhandlungstisch begibt.
Was die Hilfspakete von EU und IWF betrifft, so sollte sehr genau darauf geachtet werden, dass die Ukraine die Anforderungen erfüllt, die an die Hilfen geknüpft sind. Es müssen Monitoring-Mechanismen entwickelt werden, mit denen man überprüfen kann, ob die Gelder so eingesetzt werden, wie verabredet. In dieses Monitoring könnte man sehr gut die ukrainische Zivilgesellschaft einbeziehen, die die Korruptionsmechanismen im Land besser kennt als externe Beobachter.
Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.
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