Der Inselstreit im Südchinesischen Meer ist Ende Oktober mit der demonstrativen Fahrt eines US-Kriegsschiffs durch von China beanspruchte Gewässer in eine neue Runde eingetreten, aus der die USA gestärkt hervorgehen. Nun ist es Zeit für einen Kompromiss, meint Christian Becker.
Kurz gesagt, 12.11.2015 Research AreasDer Inselstreit im Südchinesischen Meer ist Ende Oktober mit der demonstrativen Fahrt eines US-Kriegsschiffs durch von China beanspruchte Gewässer in eine neue Runde eingetreten, aus der die USA gestärkt hervorgehen. Nun ist es Zeit für einen Kompromiss, meint Christian Becker.
Ende Oktober entsandten die USA den Lenkwaffenzerstörer USS Lassen in die unmittelbare Nähe einiger Inseln und Atolle im Südchinesischen Meer, die von der Volksrepublik China beansprucht werden. Im Frühjahr hatte es internationale Aufregung um die Befestigung ebendieser Inseln bzw. Atolle durch China gegeben. Seinerzeit wandten sich vor allem Vietnam und die Philippinen, die ebenfalls Anspruch auf Teile der Inselgruppe erheben, gegen die chinesischen Baumaßnahmen. Unterstützt wurden sie darin von den USA und Japan. Mehr als deutliche Proteste waren damals jedoch nicht zu vernehmen – nach allgemeiner Einschätzung hatte China mit dem Ausbau der Inseln Fakten zu seinen Gunsten geschaffen.
Doch nun antworten die USA – nicht zum ersten Mal in der Region, jedoch erstmals nach der im wahrsten Sinn des Wortes »Zementierung« des chinesischen Anspruchs auf die umstrittenen Inseln – mit maritimen Operationen. Die »Freedom of Navigation Operations« zielen darauf, die völlige Bewegungsfreiheit amerikanischer See- und Luftstreitkräfte in nach amerikanischer Lesart internationalen Gewässern zu demonstrieren.
Im Nachgang zur Fahrt der USS Lassen gab es, vor allem von Vertretern eines harten Auftretens gegenüber China, zwar Kritik an der verwirrenden Pressearbeit zu der Operation durch die US-Administration. Dieser handwerkliche Fehler ändert jedoch nichts an der Kernbotschaft, die in China und den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers durchaus angekommen sein dürfte.
Prestige als Kern des Konflikts
Auch wenn oft militärstrategische und ökonomische Gründe für den Inselstreit angeführt werden, geht es im Kern doch um Prestige. China auf der einen Seite will zeigen, dass es als aufstrebende Macht eigene Interessen und Ordnungsvorstellungen auch gegen Widerstand durchsetzen kann. Dieses Signal soll nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gesendet werden, um die chinesische Führung vor der eigenen Öffentlichkeit als Beschützer nationaler Interessen zu präsentieren. Auf der anderen Seite möchten die USA als pazifische Macht nicht den Eindruck entstehen lassen, dass ihnen andere Akteure eine Änderung des Status quo aufzwingen können
Das Problem Beijings ist nun, dass man Ansprüche angemeldet hat, die sich nicht durchsetzen lassen. Gegenwärtig und auf absehbare Zeit kann Beijing demonstrative Fahrten US-amerikanischer Kriegsschiffe durch aus chinesischer Sicht eigene Gewässer schlicht und einfach nicht verhindern. Würde die chinesische Führung auf Gewalt setzen, stünde sie vor der Weltöffentlichkeit als Auslöser eines Konfliktes dar, für den die Volksrepublik im Übrigen noch lange nicht gerüstet ist. Versucht sie, US-amerikanische Kriegsschiffe mit nicht-militärischen Mitteln zu stoppen, etwa durch eine Blockade mit Fischerbooten oder Kräften der Küstenwache, so riskiert sie Bilder einer Machtasymmetrie, die in dramatischem Widerspruch zu dem propagierten Bild einer selbstbewussten Großmacht stehen.
Beijing bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als auch weitere Aktivitäten der US-Streitkräfte hinzunehmen. Selbst geharnischte Statements oder anderweitige Gegenmaßnahmen, zum Beispiel auf ökonomischem Gebiet, können den Eindruck nicht verhindern, dass China die eigenen Ansprüche nicht untermauern kann, wenn es darauf ankommt.
Offenbar hat auch China erkannt, dass es sich mit der scharfen Rhetorik, die unmittelbar nach der Durchfahrt der USS Lassen zu vernehmen war, nur weiter in die Sackgasse manövriert. Sicher wirkt es martialisch, wenn hohe chinesische Militärs davor warnen, die Volksbefreiungsarmee werde die Verletzung chinesischen Territoriums nicht hinnehmen, oder staatliche Medien gar davon sprechen, man habe keine Angst vor einem Krieg. Je schärfer Beijing jedoch reagiert, desto deutlicher und demütigender wird das Zurückrudern bei der nächsten zu erwartenden Patrouille, die von US-Seite bereits angekündigt wurde.
Und so ist inzwischen deutlich geworden, dass Beijing den sicherheits- und militärpolitischen Gesprächsfaden keineswegs abreißen lassen möchte: Kurz nach der amerikanischen Initiative war der für die umstrittene Operation zuständige Befehlshaber des US Pacific Command in Beijing zu Gast. Auch bei einem kurz nach der Fahrt der USS Lassen stattfindenden Treffen der beiden Verteidigungsminister am Rande eines multilateralen Gesprächsforums in Malaysia war die Sache zwar Thema; der Ton aber wirkte sehr viel versöhnlicher als die ersten unmittelbaren Reaktionen und der Tenor der Berichterstattung in den chinesischen Staatsmedien.
Dass sich Beijing bislang de facto für ein Hinnehmen der amerikanischen Aktivitäten entscheidet, kann weitreichende Auswirkungen haben: Die südostasiatischen Staaten beobachten die sino-amerikanische Rivalität genau und wägen ab, wie sie sich zwischen den beiden großen Akteuren positionieren. Sollte das Gefühl entstehen, dass ein überambitioniertes China im Ernstfall zum Papierdrachen wird, wäre dies sicher nicht der einzige, aber ein gewichtiger Faktor für eine Positionierung zugunsten der USA.
Der Rundensieg der USA ist Gefahr und Chance zugleich
Insofern geht die jüngste Runde im Inselstreit wohl an die USA. Allzu weit darf Washington das Erfolgsrezept ihrer »Freedom of Navigation Operations« jedoch nicht treiben. Beijing mag sich derzeit in der Frage des Inselstreits in einer Sackgasse befinden. Doch wer sich zu sehr in die Enge getrieben fühlt, kann auch gefährlich werden. Daher kommt es nun darauf an, China einen geordneten Rückzug zu ermöglichen. Ein Aussetzen der amerikanischen Operationen als Gegenleistung für die vorsichtige Implementierung eines – von der chinesischen Führung bislang abgelehnten – multilateralen Gesprächsformats über den Inselstreit wäre eine bittere Pille für Beijing, aber vielleicht ein Ausweg aus der Sackgasse, von dem alle Beteiligten profitieren könnten.
Überlegungen zum chinesischen Kalkül im Inselstreit
Chinas kürzlich veröffentlichtes Weißbuch zur Militärstrategie gibt Hinweise darauf, welche Art von Großmacht China sein will. Christian Becker und Nadine Godehardt über vier Punkte, die bei der Lektüre ins Auge stechen.
Besseres Klima, aber fortdauernde Konflikte in Ost- und Südostasien
Beitrag zu einer Sammelstudie 2013/S 16, 05.09.2013, 43 Pages, pp. 22–26