Nach dem Machtwechsel in Kasachstan stehen die Zeichen auf Kontinuität. Doch könnten sich künftig gesellschaftliche Stimmungen stärker Geltung verschaffen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass damit unruhigere Zeiten auf das Land zukommen. Eine Einordnung von Andrea Schmitz.
Kurz gesagt, 22.03.2019 Research AreasNach dem Machtwechsel in Kasachstan stehen die Zeichen auf Kontinuität. Doch könnten sich künftig gesellschaftliche Stimmungen stärker Geltung verschaffen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass damit unruhigere Zeiten auf das Land zukommen. Eine Einordnung von Andrea Schmitz.
Nursultan Nasarbajew war der letzte Präsident in den ehemaligen Sowjetrepubliken, der noch 1989, also vor der staatlichen Unabhängigkeit Kasachstans, als Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Kasachischen Sowjetrepublik an die Macht gekommen war – und er ist der erste, der freiwillig zurückgetreten ist. Nach fast 30 Jahren Amtszeit hat er damit einem durch ihn selbst kontrollierten Machtwechsel den Weg bereitet.
Nicht zuletzt dieser Schritt beweist Nasarbajews Talent als politischer Stratege, der das Land in die Unabhängigkeit führte und den neu entstandenen, ethnisch heterogenen Staat zu einer Nation konsolidierte. Der Ölreichtum des Landes verwandelte sich unter Nasarbajews Führung in monetäres und symbolisches Kapital, indem er die Wirtschaft für neoliberale Reformen öffnete, Investoren zur Erschließung der Rohstoffvorkommen ins Land holte und Kasachstan den Ruf eines anerkannten Akteurs in der internationalen Politik erwarb. Der demokratischen Versuchung erlag Nasarbajew dabei allerdings zu keiner Zeit. Politische Antagonisten hielt er in Schach, indem er sie entweder ins politische System integrierte – oder mit repressiven Mitteln neutralisierte. Kritik am System Nasarbajew war durchaus möglich, solange sie moderat formuliert war, die Person des Präsidenten nicht tangierte und von den dubiosen Geschäften schwieg, die ihm und seiner Familie zu einigem Reichtum verholfen haben.
Der Autorität Nasarbajews als dem ersten Präsidenten des Landes taten die kritischen Stimmen aber ohnehin keinen Abbruch. Im politischen System, das durch Verfassungsänderungen immer mehr auf den Präsidenten zugeschnitten wurde, fielen solche Stimmen einfach nicht ins Gewicht. Mit der Erhebung Nasarbajews zum Elbasy, dem »Führer der Nation« im Jahr 2010 wurde dessen Immunität vor Anfechtungen jedweder Art auch offiziell besiegelt. In den Folgejahren setzte eine fast kultische Nasarbajew-Verehrung ein, die durch formale Mechanismen zur Verstetigung seiner Macht untermauert wurde. So wurde noch 2018 ein Gesetz verabschiedet, dem zufolge Nasarbajew lebenslang dem Nationalen Sicherheitsrat vorstehen wird, was es ihm ermöglicht, auch nach seinem Rücktritt nicht nur auf innenpolitische Entscheidungen, sondern auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes Einfluss zu nehmen.
Es scheint mithin, als sei der Grundstein gelegt für eine Fortsetzung des politischen Kurses nach dem Willen des ehemaligen Staatsoberhaupts. Auch Qassym-Zhomart Tokajew, der als bisheriger Senatssprecher und langjähriger Gefolgsmann Nasarbajews nun das Präsidentenamt bis zu den regulär für Dezember 2020 vorgesehenen Neuwahlen übernommen hat, steht für Kontinuität. Dass nun Dariga Nasarbajewa, die älteste Tochter des Ex-Präsidenten, vom Senat einstimmig zur Sprecherin gewählt wurde, hat vielfach die Vermutung genährt, dass einer dynastischen Lösung der Machtfrage der Weg bereitet werden soll. Sollte Tokajew vorzeitig zurücktreten, würde nämlich Nasarbajewa nachrücken und hätte damit die Möglichkeit, sich als Nachfolgerin ihres Vaters noch vor den Wahlen in Position zu bringen.
Die Zeichen stehen also auf Kontinuität in Kasachstan. Und doch geht eine Ära zu Ende. Denn den machtvollen Willensbekundungen des Altpräsidenten zum Trotz: Es ist keineswegs gesagt, dass in Kasachstan alles bleibt, wie es ist. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass sich bei den Präsidentschaftswahlen Persönlichkeiten aus dem engeren Umfeld Nursultan Nasarbajews – seine Tochter etwa oder auch der gegenwärtige Interimspräsident – um das höchste Amt im Staat bewerben, so wird doch niemand aus diesem Kreis die unangefochtene Autorität beanspruchen können, die das System Nasarbajew so erfolgreich und langlebig gemacht hat. Dass dieser aus dem Off das politische Geschehen beeinflussen und Richtungsentscheidungen treffen kann, wird Machtkämpfe hinter den Kulissen kaum verhindern. Dadurch käme ein Moment der Instabilität ins System, das die politische Steuerung erschwert.
Vor allem aber könnten sich, anders als in der Vergangenheit, gesellschaftliche Stimmungen stärker Geltung verschaffen. Bereits jetzt ist in Teilen der Bevölkerung eine gewisse Nasarbajew-Müdigkeit erkennbar. Besonders der Personenkult um den Präsidenten, manifest zuletzt in der bereits beschlossenen Umbenennung der Hauptstadt, die künftig nicht mehr Astana, sondern Nursultan heißen soll, missfällt vielen. Darunter sind nicht nur Vertreter der gebildeten Schichten und junge Leute, die sich politischen Wandel und mehr Pluralismus wünschen, sondern auch all jene, denen eine Teilhabe an den Früchten der wirtschaftlichen Modernisierung versagt geblieben ist. Namentlich diesen galt das letzte Reformversprechen des Altpräsidenten, der noch im Februar in einem symbolischen Akt, der Handlungsfähigkeit demonstrieren sollte, die Regierung umgebildet hatte.
An diesen Versprechen und an der Hoffnung auf Veränderung, die sich an einen so bedeutenden Machtwechsel knüpft, wird der Nachfolger oder die Nachfolgerin Nasarbajews gemessen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dann unruhigere Zeiten auf Kasachstan zukommen.