Europa hat Gewissheit: Bis Ende 2017 werden die Briten über ihre Mitgliedschaft in der EU abstimmen. Der gestärkte Premier Cameron will vorab das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU neu aushandeln. Nicolai von Ondarza zeigt Kompromisslinien auf.
Kurz gesagt, 13.05.2015 Research AreasNicolai von Ondarza
Europa hat Gewissheit: Bis Ende 2017 werden die Briten über ihre Mitgliedschaft in der EU abstimmen. Der gestärkte Premier Cameron will vorab das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU neu aushandeln. Nicolai von Ondarza zeigt Kompromisslinien auf
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Der britische Wahlkampf war langatmig, der Wahlabend dafür umso spektakulärer: Mit einer überraschenden absoluten Mehrheit ist David Cameron als Premierminister wiedergewählt worden. In puncto Europa hat er direkt angekündigt, seine schon 2013 verkündete Strategie in die Tat umzusetzen: In der ersten Parlamentssitzung will er die Gesetzgebung für ein EU-Austrittsreferendum auf den Weg bringen; beim nächsten Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Juni wird er eine neue Stellung Großbritanniens in der Union fordern.
Verhandlungen mit Cameron sind geboten
An einem Scheitern dieser Verhandlungen können weder Europa noch Cameron Interesse haben. Der wiedergewählte Premier weiß, dass die Briten wirtschaftlich keine attraktive Alternative zur EU haben. Übereinstimmend kommen wissenschaftliche Studien zu dem Schluss, dass Großbritannien selbst der größte wirtschaftliche Verlierer einer Abkoppelung von seinem größten Exportmarkt wäre. Trotz aller EU-skeptischer Rhetorik bleibt das erklärte Ziel der neuen Regierung, die Briten zu einer Zustimmung zur EU zu bewegen.
Auch für die Europäische Union wäre ein Verlust des drittgrößten Mitgliedes nicht nur symbolisch eine Katastrophe. Wirtschaftlich würde sie einen ihrer größten Nettozahler verlieren, der zwar der Währungsunion ferngeblieben, aber eng mit vielen EU-Staaten verbunden ist, allen voran Irland, aber auch Deutschland. Nach außen wäre der Verlust der größten Militärmacht der EU mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat gerade in Zeiten einer unruhigen Nachbarschaft mit Konflikten von Nordafrika bis zur Ukraine ein herber Verlust. Die EU sollte daher bereit sein, konstruktiv zu verhandeln.
Schwierige Rahmenbedingungen für die Verhandlungen
Trotz der gemeinsamen Interessen sind harte Verhandlungen zu erwarten. Denn Camerons wichtigste Reformziele sind für die meisten anderen EU-Mitgliedstaaten tabu. Zwar hat er bisher bewusst keine vollständige Reformliste ausbuchstabiert, um keine Spaltung in der konservativen Partei zu riskieren. Dennoch haben sich zwei zentrale Punkte herauskristallisiert: Zum einen die Personenfreizügigkeit, die wegen der vergleichsweise hohen Arbeitsmigration aus der EU nach Großbritannien im Vereinigten Königreich besonders umstritten ist. Cameron will das Prinzip anders als der EU-skeptische Flügel seiner Partei zwar nicht ganz abschaffen, aber Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten vier Jahre lang in Großbritannien schlechter stellen. Besonders die Staaten aus Mittel- und Osteuropa, traditionell britische Verbündete, werden aufs Schärfste gegen diese Forderung ankämpfen.
Zum anderen will Cameron das symbolhafte Ziel einer »immer engeren Union« aus dem EU-Vertrag streichen oder zumindest für Großbritannien aufheben lassen. Das hätte zwar realpolitisch kaum Folgen; die EU würde aber damit eines ihrer zentralen Symbole aufgeben, zudem wäre eine Vertragsänderung erforderlich – eine Ratifikation in allen 28 EU-Mitgliedstaaten und die Zustimmung des Europäischen Parlaments inklusive. Zu solchen Vertragsänderungen war die EU schon auf dem Höhepunkt der Eurokrise nicht bereit, und auch jetzt liegt die Bereitschaft, Verträge zu ändern, in anderen Hauptstädten bei null. Insbesondere Paris stemmt sich kategorisch dagegen, da 2017 französische Präsidentschaftswahlen anstehen, bei denen EU-Vertragsänderungen zugunsten Großbritanniens nicht gerade als Wahlwerbung gelten dürften.
Die Macht der Hinterbänkler
EU-skeptische Kräfte werden zudem versuchen, Großbritannien zum EU-Austritt zu treiben. Druck kommt zum einen von der überwiegend EU-skeptischen britischen Presse, die auf eine weitergehende Einschränkung der britischen EU-Mitgliedschaft drängen wird. Zum anderen wird Cameron aber vor allem die Hinterbänkler seiner eigenen Partei von seinem Kurs überzeugen müssen. Mit einer Mehrheit von nur zwölf Abgeordneten ist Cameron auf die Geschlossenheit der Tories angewiesen. Doch schon jetzt will deren Anti-EU-Flügel ihn zu weiteren, unrealistischen Forderungen drängen, etwa dass Großbritannien ein kategorisches Recht zum Opt-out von jeder EU-Gesetzgebung eingeräumt wird. Ohne das Gegengewicht der Liberaldemokraten werden sie versuchen, Cameron vor sich herzutreiben. Ihr Ziel ist eine Referendumskampagne, die den Premier im Interesse seiner politischen Glaubwürdigkeit zwingt, den Austritt aus der EU zu empfehlen, weil er die unrealistischen Forderungen in Brüssel nicht durchsetzen konnte.
Eine Strategie für die Verhandlungen mit London
Um dies zu verhindern, müssen die EU und die deutsche Europapolitik die britische Bevölkerung vom Verbleib in der EU zu überzeugen, ohne gleichzeitig die Grundprinzipien der EU aufzugeben. Das ist eine Gratwanderung, die sich lohnt. Denn solange das gemeinsame Interesse an einer Fortführung der EU-Mitgliedschaft besteht, ist auch der Gewinn eines britischen EU-Referendums möglich.
Die EU sollte nun mit gezielten Reformen diejenigen Briten für sich gewinnen, die zwar Kritik an der EU üben, aber (noch) Interesse am Binnenmarkt haben. Cameron hat durchaus Reformpläne im Gepäck, die in der Union auf Zustimmung stoßen dürften: So hat sich die EU-Kommission die Aufhebung der Grenzen im digitalen Markt, die Schaffung eines Energiebinnenmarkts und die Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit bereits selbst auf die Fahnen geschrieben, ebenso wie das Ziel, bürokratische Hürden abzubauen. Auch das britische Anliegen, die Interessen von Nicht-Eurostaaten im Binnenmarkt gegenüber denen der eng integrierten Eurostaaten zu schützen, ist legitim und würde den Zusammenhalt in der EU stärken.
Ferner sollten die EU-Partner Großbritannien die Kosten eines Austritts vor Augen führen und rote Linien deutlich öffentlich artikulieren, um zu verhindern, dass Cameron von den harten EU-Skeptikern in seiner Partei zu unrealistischen Forderungen gedrängt wird. Insbesondere sollten Vertragsänderungen und weitere britische Opt-outs ausgeschlossen werden, die bis 2017 weder zeitlich noch politisch umsetzbar sind. Hingegen können über die EU-Gesetzgebung oder Veränderungen in der politischen Strategie der Union wichtige Reformen innerhalb eines Jahres auf den Weg gebracht werden. Eine gute Grundlage, um das Referendum auf 2016 vorzuziehen – und zu gewinnen.
Der Text ist auch bei EurActiv.de und Zeit.de erschienen.
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