Im Aufbau einer neuen globalen Gesundheitsarchitektur nach der Covid-19-Pandemie stehen wichtige Weichenstellungen an, insbesondere bei der Verhandlung des Pandemieabkommens und der Schaffung robuster Lieferketten. Vor dem Hintergrund ihrer systemischen Rivalität betrachten die USA und China globale Gesundheitspolitik als Feld geopolitischer Konkurrenz. Das gefährdet die Umsetzung der Lehren aus der Covid-19-Pandemie und den Schutz menschlicher Gesundheit. Für Deutschland stellt sich die Frage, inwieweit es seinen multilateralen Ansatz in der globalen Gesundheitspolitik anpassen muss, um auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen zu antworten. Dazu empfiehlt es sich, unabhängige Gestaltungsmacht zu entwickeln und gleichzeitig ein verlässlicher, multilateraler Partner zu sein.
Die laufenden Verhandlungen zur Verabschiedung eines Abkommens zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Pandemien (»Pandemieabkommen«) und zur Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) sind Ausdruck der internationalen Bemühungen, eine robuste internationale Gesundheitsarchitektur zu erschaffen. Deren Hauptziel ist die effektive Bekämpfung von Gesundheitsgefahren mittels schneller und transparenter Kommunikation sowie funktionierender Kooperation zwischen Staaten. Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen wird eine solche offene Kooperation – insbesondere im Krisenfall – im Vergleich zu 2021, als die Verhandlungen zum Pandemieabkommen begannen, zunehmend unwahrscheinlicher.
»Geopolitische Spannungen« meint in diesem Kontext die Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte, die sich aus konkurrierenden Machtansprüchen und Einflusszonen ergeben. Geopolitisches Handeln ist gekennzeichnet durch den Einsatz von Ressourcen mit dem Ziel, nationale Eigeninteressen durchzusetzen und den eigenen politischen Einfluss auszuweiten.
Dergleichen ist bereits in den Verhandlungen zum Pandemieabkommen zu beobachten: China und Russland, aber auch die USA lehnen es ab, dass das Abkommen Transparenz- und Berichtspflichten gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen Vertragsparteien enthält, sowohl zu Krankheitsausbrüchen als auch zu öffentlichen Investitionen in nötige medizinische Güter sowie zu deren Beschaffung.
Geopolitische Komponenten lassen sich ebenfalls im Handel mit medizinischen Gütern und im Umgang mit medizinischen Lieferketten ausmachen. Schon während der Covid-19-Pandemie hat zum Beispiel China den Handel mit Medizinprodukten genutzt, um nationale Interessen in anderen Politikfeldern zu verfolgen und seine Einflusssphäre zu vergrößern. Gerade im Bereich Gesundheit kann ein solches Vorgehen weitreichende und negative Konsequenzen für die globale Bevölkerung haben. Es ist daher nicht überraschend, dass das Thema globale Gesundheit lange aus geopolitischen Rivalitäten ausgeklammert wurde und sogar die USA und die Sowjetunion auf diesem Gebiet kooperierten.
Für die deutsche Außenpolitik stellt sich angesichts dieser Entwicklungen die Frage, wie sie auf die geopolitischen Auswüchse globaler Gesundheitsgovernance und bei medizinischen Lieferketten reagieren und sie mit dem deutschen Ansatz des multilateralen Handelns vereinbaren kann. Ein Gelingen ist möglich, wenn Deutschland erstens vermeidet, die Gesundheitsgovernance unilateral zu instrumentalisieren, um eigene geopolitische Ziele zu erreichen, und zweitens das geopolitische und unilaterale Handeln anderer Staaten antizipiert.
Gesundheitsstrategie der USA
Mit Ausnahme der Zeit unter Präsident Trump, als sie sich von der WHO abkehrten, waren die USA stets führender Akteur in der globalen Gesundheitspolitik. Dies zeigt auch die Nationale Sicherheitsstrategie der Biden-Administration, indem sie Bezüge zur globalen Gesundheitspolitik herstellt. Die Sicherheitsstrategie betont die Zusammenarbeit mit »like-minded partners« in Gesundheitsfragen und kritisiert Chinas Verhalten während der Covid‑19-Pandemie. Zudem unterstreicht sie die Rolle der USA als Geldgeber für die WHO und den Pandemic Fund sowie als Träger des 2003 initiierten U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR). All dies ist Ausdruck des ausgeprägten US-Gestaltungswillens.
Bekräftigt wird er durch die im August 2023 erfolgte Zusammenführung verschiedener bestehender Stellen im Bureau of Global Health Security and Diplomacy (»das Büro«), das im Außenministerium angesiedelt ist. Der Leiter dieses Büros bezeichnet globale Gesundheitssicherheit (»Global Health Security«) als »Schlüsselelement« amerikanischer Außenpolitik. Schwerpunktmäßig mit Gesundheitsdiplomatie beschäftigen sich außerdem zwei neue Abteilungen: das Office of Health Diplomacy and Capacity Development und das Office of Regional and Multilateral Diplomacy, die beide dem Büro angegliedert sind. Gesundheitsdiplomatie wird also als notwendig angesehen, um neue Allianzen in der Gesundheitsgovernance zu schaffen.
Mit einem Volumen von fast 7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 ist PEPFAR das umfangreichste Programm des Büros. In der Debatte um die Verlängerung des Programms wird unter anderem hervorgehoben, dass es »Soft Power«-Implikationen habe und eine wichtige Rolle auf dem afrikanischen Kontinent spiele, zumal China dort über Gesundheitsdiplomatie seinen Einfluss ausbaue. Derzeit ist jedoch fraglich, ob das Büro die nötigen finanziellen Mittel für die kommenden Jahre erhalten wird. Dies gilt umso mehr, als eine erneute republikanische Präsidentschaft die globale Gesundheitspolitik wahrscheinlich verändern würde. Viele konservative Republikaner plädieren dafür, Konditionalitäten bei der Finanzierung von PEPFAR einzuführen und Einrichtungen auszuschließen, die zu Abtreibungen beraten oder diese vornehmen. Somit wird das Thema Gesundheit nicht nur aufgrund systemischer Rivalität auf globaler Ebene politisiert, sondern auch innenpolitisch instrumentalisiert.
Fazit: Obwohl die Bemühungen der USA zunehmend durch innenpolitische Konflikte und damit einhergehende Konditionalitäten geprägt sind, wird eines deutlich: Die USA nutzen die globale Gesundheitspolitik, um ihre geopolitische Einflusssphäre etwa in Konkurrenz mit China auszuweiten und auf diplomatischem Weg Allianzen zu schmieden, um Gesundheitsgefahren gemeinsam zu bekämpfen.
Chinas globale Rolle
Bereits vor der Covid-19-Pandemie hat China im Rahmen der »Belt and Road Initiative« (BRI) in Gesundheitsfragen mit Ländern des globalen Südens zusammengearbeitet. Diese Kooperation wurde während der Pandemie im Rahmen der Masken- und Impfstoffdiplomatie intensiviert. Der Ansatz der chinesischen Regierung unterscheidet sich insofern von dem der USA, als die Achtung der nationalen Souveränität als Eckpfeiler in der chinesischen Initiative zur Globalen Sicherheit verankert wurde. Das bedeutet, ausländische Regierungen, die Hilfe aus China erhalten, bleiben verantwortlich für Entscheidungen über ihre Gesundheitspolitik. Daher sind Konditionalitäten in Chinas Globaler Sicherheitsinitiative ebenso wie in seiner Gesundheitsdiplomatie nicht gegeben.
Vor allem im Bereich Impfstoffe gegen Covid-19 ist China damit in eine Lücke gestoßen, die Länder des globalen Nordens durch »Impfnationalismus« gerissen haben. Des Weiteren etabliert sich China in den Verhandlungen zum Pandemieabkommen zum Fürsprecher von Ländern des globalen Südens, insbesondere wenn es um Patentrechte und einen gerechten Vorteilsausgleich für das Teilen genetischer Ressourcen von Pathogenen geht. Es steht zu vermuten, dass China im Gegenzug darauf hofft, dass diese Länder es bei der Durchsetzung seiner Interessen unterstützen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich auch in der chinesischen Gesundheitspolitik das geopolitische Streben des Landes ausdrückt. Einerseits vergrößert China durch den Handel mit medizinischen Gütern seine Einflusssphäre, andererseits geht es neue Allianzen mit Ländern des globalen Südens ein.
Deutschlands Ansatz
Die Aufnahme des Themas Prävention und Bekämpfung von Pandemien in die Nationale Sicherheitsstrategie zeigt, dass die Bundesregierung die Bedeutung globaler Gesundheitspolitik für die nationale Sicherheit erkannt hat und darüber hinaus als sicherheitspolitische Aufgabe betrachtet.
Unter geopolitischen Gesichtspunkten thematisiert die Sicherheitsstrategie allerdings ausschließlich Importabhängigkeiten bei medizinischen Produkten. Der Fokus liegt hier auf der Diversifizierung von Lieferketten im Sinne eines »de-risking«. Es fehlen weitergehende Überlegungen zu einer möglichen bi- und multilateralen diplomatischen Einwirkung auf Staaten, die den deutschen Einfluss stärken sowie Kooperation und Transparenz in der Früherkennung und Prävention von Gesundheitsgefahren verbessern dürfte. Die Notwendigkeit solcher Ansätze wird indes nur zu deutlich, denkt man an die mangelnde Transparenz Chinas in allen Phasen der Covid-19-Pandemie.
Die China-Strategie der Bundesregierung benennt das Problem mangelnder Kooperation konkret, indem sie die grundsätzlichen Transparenzpflichten von WHO-Mitgliedstaaten betont. Dies bezieht sich klar auf die Intransparenz Chinas im Umgang mit Covid-19. Explizit behandelt werden zudem die wirtschaftlichen Verflechtungen bei medizinischen Gütern. Dies korrespondiert mit dem in der Sicherheitsstrategie erwähnten »de-risking«.
Obwohl die China-Strategie der Bundesregierung China auch als Rivalen versteht und Gesundheitsthemen in diesen Kontext stellt, dominiert in dem Dokument nach wie vor der multilaterale Ansatz deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Die generelle Stoßrichtung der Nationalen Sicherheits- wie der China-Strategie sind Kooperation und Koordination, auch mit »schwierigen« Partnern. Beide Strategien gehen jedoch nicht darauf ein, wie die Bundesregierung damit umgehen will, wenn Staaten wie China, Indien oder Russland in Gesundheitsfragen unilateral agieren oder den Handel mit medizinischen Gütern sowie die globale Gesundheitspolitik dafür nutzen, ihre geopolitischen Interessen zu verfolgen.
Aufgrund der Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie und mit Blick auf die aktuelle geopolitische Lage sollte Deutschland allerdings damit rechnen, dass andere Staaten globale Gesundheitspolitik zunehmend als Feld geopolitischer Konkurrenz ansehen und als außenpolitisches Instrument einsetzen.
Möglicher deutscher Weg
Deutschland sollte angesichts der sich verändernden geopolitischen Lage globale Gesundheit stärker als außen- und sicherheitspolitisches Themenfeld begreifen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es nicht zu einem »de-coupling« von anderen Staaten kommen darf. Dieses würde die multilaterale Bekämpfung von Gesundheitsgefahren erheblich erschweren und der Schaffung einer robusten globalen Gesundheitsarchitektur zuwiderlaufen.
Ungeachtet dessen gefährden geopolitische Rivalitäten zunehmend die Verbesserung der globalen Gesundheitsarchitektur. Während also die Bundesregierung um multilaterales Handeln bemüht sein muss, wird Deutschland es nicht vermeiden können, dass manche Akteure etwa die Lieferung von Impfstoffen an Länder des globalen Südens als außenpolitisches Werkzeug gebrauchen oder in der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen nicht transparent zusammenarbeiten.
Ein möglicher deutscher Weg wäre, die bei medizinischen Lieferketten bereits angewandte »de-risking«-Strategie auf weitere Bereiche globaler Gesundheitspolitik zu übertragen. Auf diese Weise könnte Deutschland unabhängige Gestaltungsmacht entwickeln. Die Bundesregierung sollte daher Strategien für den Fall erarbeiten, dass sich Staaten bei der gemeinsamen Bekämpfung von Gesundheitsbedrohungen unkooperativ zeigen oder ihre globalen Bemühungen besonders für unilaterale Zwecke instrumentalisieren bzw. zur Verfolgung geopolitischer Interessen nutzen.
Konkret kann das multilaterale Handeln Deutschlands um drei Aspekte erweitert werden: Erstens ist zu empfehlen, das Pandemieabkommen und die IGV-Reform (die beide 2024 abgeschlossen werden sollen) sowie eine an den US-Ansatz angelehnte Gesundheitsdiplomatie dazu zu verwenden, eine breite Allianz von Staaten zu etablieren. Diese Allianz sollte sich auf ein geteiltes Verständnis von globaler Gesundheitsgovernance gründen und viele Staaten aus dem globalen Süden umfassen. Zweitens wäre wünschenswert, dass Deutschland keine oder nur wenige Bedingungen an internationale Gesundheitsprogramme knüpft und in der »Global Gateway«-Initiative der Europäischen Union (EU) auf den Verzicht solcher Konditionen hinwirkt. Indem es beim Export medizinischer Güter Länder wie Äthiopien, Kambodscha oder Mosambik bevorzugt behandelt, könnte Deutschland dem chinesischen Einfluss entgegentreten. Drittens sollte Deutschland, wenn es medizinische Güter exportiert oder Programme initiiert, zwar das geopolitische Handeln anderer Akteure im Blick haben und praktikable Alternativen bieten, die seinen Partnern mehr Vorteile bringen als diejenigen anderer Akteure. Trotzdem gilt es, geopolitische Spannungen von den Bemühungen, eine neue globale Gesundheitsarchitektur aufzubauen, fernzuhalten – wie es in der Vergangenheit und vor allem auch zu Beginn der Verhandlungen gelang.
Nicht zuletzt kommt der EU große Bedeutung zu, die in der »Global Health Strategy« ihre außenpolitische Gesundheitsagenda formuliert hat. Diese berücksichtigt geopolitische Aspekte bisher ebenfalls (zu) wenig. Die Ausnahme bilden auch hier pharmazeutische Importabhängigkeiten. Die EU sucht sie durch Produktionsverlagerung in die EU sowie durch Bevorratung anzugehen. Entsprechend den Ausführungen in der deutschen Sicherheitsstrategie sollte aber ebenso auf EU-Ebene eine Diversifizierung von Lieferketten das Ziel sein.
Dr. Michael Bayerlein ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa. Dr. Pedro A. Villarreal ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie arbeiten im Projekt »Die globale und europäische Gesundheitsgovernance in der Krise«, das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird.
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