Dass Putin dem G8-Gipfel fernbleibt, eröffnet den G8 die Chance, sich weiter als Forum weltweit engagierter Demokratien zu etablieren, meint Lars Brozus.
Kurz gesagt, 15.05.2012 Research AreasLars Brozus
Dass Putin dem G8-Gipfel fernbleibt, eröffnet den G8 die Chance, sich noch stärker als Forum weltweit engagierter Demokratien zu etablieren, meint Lars Brozus.
Überraschend hat der russische Präsident Putin in der letzten Woche seine Teilnahme am diesjährigen G8-Gipfel in den USA abgesagt. Über die Gründe wird spekuliert, klar ist nur, dass statt Putin Ministerpräsident Medwedev nach Camp David reisen wird. Damit werden die Spielräume für eine dezidiert demokratiefreundliche Positionierung der G8 größer, denn wenn Moskau politisch nicht auf höchster Ebene vertreten ist, schwächt dies automatisch den russischen Einfluss auf Tagesordnung und Diskussionen. Der komparative Vorteil der G8, globales Agendasetting bei weitgehender herrschaftspolitischer Kohärenz der Teilnehmenden betreiben zu können, kann daher beim anstehenden Gipfel so deutlich wie lange nicht mehr zum Tragen kommen. Die in Camp David versammelten demokratischen Staats- und Regierungschefs aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Italien, Japan und Deutschland sollten diese Gelegenheit ergreifen und die Tagesordnung entsprechend anpassen.
Der G8-Gipfel am 18./19.5. ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe globaler Gipfeltreffen, die die internationale Politik gut vier Wochen lang prägen wird. An das Treffen in Camp David, dem traditionellen Rückzugsort US-amerikanischer Präsidenten in der Nähe von Washington, schließt sich unmittelbar der NATO-Gipfel in Chicago an (20./21.5.). Mexiko hat als Gastgeber des diesjährigen G20-Gipfels für den 18./19.6. nach Los Cabos eingeladen, und zum Abschluss werden sich viele Staats- und Regierungschefs beim UN-Gipfel Rio+20 am 20./21.6. in Brasilien wiedersehen. Dem Treffen der G8 kommt in dieser Abfolge eine wichtige Funktion zu, denn hier werden die versammelten Spitzenpolitiker Themen (vor-) besprechen, die die Diskussionen und Verhandlungen der nachfolgenden Gipfel bestimmen. Das gilt für die Fortsetzung des internationalen Engagements in Afghanistan, das den NATO-Gipfel prägen wird, die Gestaltung der internationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik, die bei den G20 im Mittelpunkt steht, und die internationale Umweltpolitik, die den Rio+20-Gipfel dominiert. Darüber hinaus sollten die G8 jedoch ganz unabhängig von den Folgegipfeln einen Fokus auf demokratiepolitische Fragen legen.
Mit einer demokratiepolitischen Ausrichtung grenzen sich die G8 von den G20 ab
Spezifisch demokratiefreundliches Agendasetting ist für die G8 auch deshalb attraktiv, weil mit den G20 ein anderer Governance-Club in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat, dem mit China, Russland und Saudi-Arabien gleich drei Nichtdemokratien angehören. Eine Abstimmung über zentrale Fragen internationaler Politik, die herrschaftspolitische Interessen direkt berühren, ist hier schwieriger. Auch in aktuellen Streitfällen wie Syrien und Iran, die eine ideologische Komponente aufweisen, reproduzieren die G20 die Konfliktlinien, die bereits andere Gremien wie den UN-Sicherheitsrat blockieren.
Die G8 haben demgegenüber das Potential, kohärenter zu diskutieren und zu agieren. Das begründet einen neuen Daseinszweck dieses Governance-Clubs, der die aufwendigen Zusammenkünfte auf Ebene der Staats- und Regierungschefs weiterhin rechtfertigt. Putins Absage bietet zudem in demokratiepolitischer Hinsicht eine besondere Chance, hat doch Medwedev den Umgang mit der ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidentin Timoschenko offen kritisiert. Das eröffnet womöglich Spielräume für die Entwicklung einer gemeinsamen Position der beim G8-Gipfel versammelten Staats- und Regierungschefs gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch. Die demokratiefreundliche Ausrichtung der G8 würde zudem durch das Aufgreifen von Themen unterstrichen, die den in Camp David nicht vertretenen demokratischen G20-Mitgliedern am Herzen liegen. Konkret bedeutet dies, die Präferenzen beispielsweise von Brasilien, Indien und Südafrika zu berücksichtigen. Hier kann an gemeinsame Interessen angeknüpft werden, die aus dem geteilten herrschaftspolitischen Hintergrund abzuleiten sind, etwa dem Gelingen der demokratischen Transformation in Nordafrika und dem Nahen Osten oder der Weiterentwicklung der internationalen Schutzverantwortung ("responsibility to protect").
Das Treffen in Camp David wird der erste Auftritt des neuen französischen Staatspräsidenten Hollande bei den G8 sein. Damit gewinnt das Lager derjenigen an Bedeutung, die sich für stärkere Wachstumsimpulse in der globalen Wirtschaft einsetzen. Ökonomische Fragen sollten jedoch nicht in den Mittelpunkt der Beratungen in Camp David rücken. Denn der Streit zwischen einer wirtschaftspolitischen Strategie, die auf fiskalische Konsolidierung und Strukturreformen setzt, und einem ökonomischen Ansatz, der makroökonomische Impulse durch die Bereitstellung von staatlichen Konjunkturprogrammen und günstigem Kapital erwartet, wird in erster Linie bei den G20 ausgefochten. Sie sind das bessere Forum für makroökonomische Auseinandersetzungen mit globaler Relevanz. Stattdessen sollten die G8-Mitglieder danach streben, sich über die Themen zu verständigen, zu denen ähnliche Ansichten bestehen. Das gilt beispielsweise für die Deauville-Partnerschaft, die beim letzten G8-Gipfel 2011 mit nordafrikanischen Transformationsländern eingegangen wurde. Ziel der Partnerschaft ist die demokratische Transformation von Staaten wie Ägypten und Tunesien. Diese Zusammenarbeit sollte weiter intensiviert und konkretisiert werden, um das gemeinsame Interesse der demokratischen G8- (und auch G20-) Staaten am Erfolg der herrschaftspolitischen Umgestaltung zu unterstreichen. Dies würde das Potential der G8, sich zu einem Forum weltweit engagierter Demokratien zu entwickeln, noch besser zur Entfaltung bringen.
Legitimität und Effektivität auf dem Prüfstand
Das geschwundene Interesse an den G8 hält Lars Brozus für problematisch. Denn gerade im Blick auf die G20 könnten sie zu einem innovationsfähigen Forum werden, das explizit demokratische Interessen vertritt.