Die G20 ist das Beste, was wir haben, wenn es um das Weltregieren geht. Viele Fragen können nur mit internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden. Doch das Format ist nicht geeignet, nennenswerte Ergebnisse zu erzielen, meint Hanns W. Maull.
Kurz gesagt, 06.07.2017 Research AreasDie G20 ist das Beste, was wir haben, wenn es um das Weltregieren geht. Viele Fragen können nur mit internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden. Doch das Format ist nicht geeignet, nennenswerte Ergebnisse zu erzielen, meint Hanns W. Maull.
Etwas Besseres als die G20 haben wir nicht, wenn es darum geht, die Welt zu regieren. Denn nur dieses Gremium von Staats- und Regierungschefs ist von seiner Zusammensetzung her wie thematisch breit genug aufgestellt, um dem Anspruch des Weltregierens gerecht zu werden. Die G20 hat deshalb (durchaus zu Recht) das alte Format der G7/G8 wenn schon nicht abgelöst, so doch überschattet, in dem sich die wichtigsten westlichen Industriestaaten seit 1975 selbst mit Aufgaben des Weltregierens betraut hatten. Immerhin sitzen in Hamburg Staaten und internationale Organisationen um den Konferenztisch, die rund achtzig Prozent der Wirtschaftsleistung der Welt repräsentieren, zudem alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und Indien. Es gibt wohl keine Frage der Weltpolitik oder Weltwirtschaft, die im Kreise der G20 nicht schon angesprochen wurde. Im Gegensatz zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, einem anderen wichtigen Schauplatz des Weltregierens, hat im Rahmen der G20 zudem kein Mitglied ein Vetorecht. Entschieden wird im Konsens – und die umfangreichen Kommuniqués der Gipfeltreffen mit ihren Anhängen und separaten Erklärungen werden in ihrer Breite dem Anspruch des Weltregierens zumindest thematisch gerecht.
Kaum bleibende Erfolge
Wie schlägt sich G20 als Weltregierung? Naja, es geht so. Blickt man zurück auf die stattliche Zahl dieser Veranstaltungen seit der großen Finanzmarktkrise 2008 (insgesamt ist dies der zwölfte G20-Gipfel), sind die Erträge eher bescheiden. Am ehesten vermochte die G20 im Krisenmanagement zu überzeugen: Die Beschlüsse der Treffens von Washington und London 2008 und 2009 dürften dazu beigetragen haben, die weltwirtschaftlichen Verwerfungen im Gefolge des Zusammenbruchs des amerikanischen Bankhauses Lehmann Brothers im September 2008 einzudämmen. Jenseits des Krisenmanagements dagegen fällt es schwer, den G20-Gipfeltreffen nachdrückliche, bleibende Erfolge zu attestieren. Am ehesten kann man hier auf Fortschritte bei der Ausgestaltung der internationalen Finanzmarkt-Architektur verweisen, mit der sich mehrere G20-Gipfeltreffen befassten. Und wer könnte etwas dagegen einwenden, Frauen als Unternehmensgründerinnen zu fördern oder gegen die wachsende Resistenz von Krankheitserregern durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika vorzugehen?
Dennoch: Einen großen Wurf wie das Klimaabkommen von Paris kann sich die G20 bei all ihren Weltregierens-Bemühungen nicht an die Fahnen heften. Das ist wenig verwunderlich, wenn man sich klarmacht, wie die G20 in der Praxis funktioniert. In Hamburg treffen sich 27 Staats- und Regierungschefs sowie die Chefs von acht internationalen Organisationen. Jeder soll, darf und muss zu Wort kommen – aber auch nur fünf Minuten Redezeit pro Kopf füllten alleine schon beinahe drei Stunden der vorgesehenen Arbeitszeit. Hinzu kommen die Mahlzeiten sowie der »Dialog mit der Zivilgesellschaft«. Faktisch heißt das, dass die Gipfelbeschlüsse in aufwändigen bürokratischen Prozessen über Monate hinweg von Beamten der Mitgliedsregierungen vorbereitet und abgestimmt werden. Die Treffen selbst sind primär kostspielige Medien-Inszenierungen; die Chefs beugen sich dann bestenfalls noch über die letzten eingeklammerten Passagen in den Entwürfen der Gipfeldokumente, die es zu bereinigen gilt. Dabei kommt dem Gastgeber – in diesem Falle Angela Merkel – die Aufgabe zu, die notwendigen Kompromisse zu schmieden, damit am Ende alle ihre Unterschriften unter die Gipfeldokumente setzen können. Die Produkte dieser bürokratischen Marathonläufe sind vorhersehbar ausufernd und weichgespült: Schließlich muss sich ja jede der beteiligten Regierungen mit ihren spezifischen Anliegen in den Abschlussdokumenten wiederfinden. Zugleich darf da nichts stehen, an dem irgendeine der Regierungen Anstoß nehmen könnte.
Die Prinzipien der alten Weltordnung gelten nicht mehr viel
Reicht das für ordentliches Weltregieren? Wird Hamburg die Welt ein wenig friedlicher, wohlhabender, besser machen? Man darf zunächst gespannt sein, ob Donald Trump bei dieser Inszenierung mit ihren klar verteilten Rollen überhaupt mitspielen wird. Tut er das nicht, dann wäre damit auch der G20-Prozess schwer beschädigt. Freilich wäre die Vorstellung abwegig, dass alle anderen Mitgliedsstaaten geeint und entschlossen voranschreiten wollten, nähme nur Washington den Fuß von der Bremse. Tatsächlich gibt es auch ohne die US-Regierung im Kreise der G20 höchst unterschiedliche, oft widerstrebende Positionen. Es stimmt zwar: Der amerikanische Präsident pfeift mit seinen unberechenbaren Tweets auf die bisherigen Spielregeln der Weltordnung. Aber wäre er nicht ein Sicherheitsrisiko für sein eigenes Land und die Welt, könnte man ihm geradezu dankbar dafür sein, dass seine Person und seine Politik nun aufdecken, wie wenig das Weltregieren noch funktioniert. Denn nicht nur Washington bricht mit den Prinzipien und Leitlinien der alten Weltordnung: Auch Russland oder China zollen ihr zwar rhetorisch Tribut, verhalten sich aber in der Praxis vor allem so, wie es ihnen gerade passt. Ja, selbst in der Europäischen Union sind gemeinsam gefasste Beschlüsse manchmal nichts mehr wert, wenn sie einzelne Mitgliedsstaaten nicht goutieren.
Angela Merkel hat ja Recht, wenn sie immer wieder darauf verweist, dass sich Herausforderungen wie der Klimawandel, der Terrorismus oder die Migration nur mit internationaler Zusammenarbeit bewältigen lassen. Und auch Nordkoreas Atomwaffenprogramm, an das Pjöngjang mit seinem perfekt getimten Raketentest gerade wieder erinnert hat, gehört in diesen Zusammenhang: Selbst diese US-Regierung weiß, dass sie mit Nordkoreas atomarer Bedrohung alleine nicht fertig werden kann. Aber das heißt noch lange nicht, dass die G20 den Anforderungen an ein ordentliches Weltregieren tatsächlich gerecht wird. Ihr gegenwärtiges, hochbürokratisches Format hat sich überlebt, es bedarf dringend der Entschlackung. Schön wäre es ja, aber doch auch höchst überraschend, wenn wir uns an die Ergebnisse des G20-Gipfels in Hamburg vor dem nächsten Treffen in Argentinien im kommenden Jahr noch erinnern könnten. Effektives Weltregieren geht anders.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.
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