Am 4. Juli 2026 begehen die USA den 250. Jahrestag ihrer Unabhängigkeitserklärung. Im ganzen Land drängen sich die Feiernden auf den Straßen. Die größte Party findet in Washington statt. Hunderttausende Anhänger und Anhängerinnen Präsident Donald Trumps sind in die Hauptstadt gepilgert, um ihrem Idol zu huldigen. Gegendemonstrationen werden durch ein massives Aufgebot von Polizei und Militär unterbunden. Die Lage ist hochgradig spannungsgeladen.
Seit Tagen deutet Trump an, dass er am Independence Day eine historische Entscheidung bekannt geben werde. Und tatsächlich: Zunächst bringt der Präsident die Menschenmenge mit bewährten Slogans aus seinen Wahlkampagnen in Stimmung. Dann verkündet er, weitere Amtszeiten anzustreben. Zwar besage der 22. Verfassungszusatz, dass ein Präsident nur zweimal gewählt werden könne. Er sei aber sicher, dass sich dies ändern ließe. Daher wolle er eine Bewegung ins Leben rufen, die für die Abschaffung des Zusatzes eintrete – dies sei schließlich klar erkennbarer Volkswille. Trump fordert seine Anhängerschaft dazu auf, sich »energisch« dafür einzusetzen, dass er bei den 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen antreten kann. Viele Beobachter im In- und Ausland sind entsetzt. Die angekündigte Amtszeitentgrenzung lässt sie um das Schicksal der Demokratie in Amerika bangen.
Ermutigt fühlt sich Trump durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieser hatte wenige Wochen zuvor in letzter Instanz alle noch anhängigen Klagen gegen die Präsidentschaftswahl 2024 abgewiesen und damit Trumps Wahlsieg über Kamala Harris anerkannt – trotz massiver Kritik an der Manipulation von Wahlergebnissen in entscheidenden Einzelstaaten und obwohl Trump wie schon 2016 die Mehrheit der bundesweit abgegebenen Stimmen (popular vote) verfehlte.
Zugleich hatte der Supreme Court die kontroversen Wahlgesetze, die in zahlreichen von Republikanern kontrollierten Bundesstaaten seit 2021 verabschiedet worden waren und Trump den Wiedereinzug ins Weiße Haus ermöglichten, als verfassungskonform gebilligt. Die große Mehrheit der Staatswissenschaftlerinnen und Verfassungsrechtler sieht darin eine Gefahr für freie und faire Wahlen. Schließlich benachteiligen die Änderungen der Gesetzgebung Angehörige von Minderheiten, etwa Afro-Amerikaner, die überwiegend den Demokraten zuneigen. Entsprechend heftig fallen die landesweiten Proteste aus. Sie werden von Angst und Wut darüber angetrieben, dass sich die Vorherrschaft des konservativen Teils der weißen Mehrheitsgesellschaft verstetigen könnte. Denn in der Gesamtbevölkerung ist dieser klar in der Minderheit.
Vorschau: Der Weg bis 2026
Bei den Kongresswahlen 2022 gelingt es den Republikanern, die Parlamentsmehrheit zurückzuerobern. Ihnen hilft eine gewisse Wechselstimmung – Teilen der wohlhabenden Wählerinnen in den Vorstädten, die 2020 für Joe Biden gestimmt haben, gehen die progressiven Reformvorhaben der Demokraten zu weit. Zudem haben die Republikaner in von ihnen kontrollierten Staaten die Wahlbezirke so zugeschnitten, dass ehemals umkämpfte Swing States wie Florida, North Carolina und Ohio fest in ihrer Hand sind, und hohe Hürden für die Wahlteilnahme aufgestellt, die Demokraten-nahe Wählergruppen abschrecken.
Ins Kapitol ziehen für die Republikaner überwiegend Trump-linientreue Abgeordnete ein, die in den verbleibenden Amtsjahren Bidens Fundamentalopposition betreiben. Am Obersten Gerichtshof wird 2023 eine Position frei, als der den Demokraten nahestehende Stephen Bryer aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegt. Doch der Kongress blockiert die Benennung einer Kandidatin durch Biden. Damit wiederholt sich die Konstellation von 2016, als die Nominierung des Liberalen Merrick Garland zum Nachfolger des überraschend verstorbenen konservativen Richters Antonin Scalia im letzten Amtsjahr Präsident Barack Obamas verhindert wurde.
So wird der Boden für die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus bereitet. Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 liegt er landesweit zwar deutlich zurück – wie schon 2016 und 2020. Die unter Ägide von Republikanern in den wichtigen Swing States verabschiedete Wahlgesetzgebung sorgt jedoch dafür, dass Trump eine Reihe dieser Einzelstaaten für sich gewinnen kann. In Georgia gibt es Berichte darüber, dass in den Vorstädten von Atlanta aggressive Wahlbeobachter Angehörige von Minderheiten durch Einschüchterung am Wählen gehindert und die Rechtmäßigkeit ihrer Stimmabgabe angezweifelt hätten. Vermutet wird, dass diese Praxis für den hauchdünnen Vorsprung Trumps ausschlaggebend gewesen sein könne.
In Detroit werden deutlich weniger Wahllokale eingerichtet als noch 2016 und 2020, so dass es inmitten eines Schneesturms zu langen Warteschlangen kommt. Viele Wählerinnen geben entnervt und durchgefroren den Versuch auf, ihre Stimmen abzugeben. Die von Republikanern dominierte Legislative Michigans hatte zuvor mehr als dreißig Gesetze eingebracht, die die Wahlregistrierung wie auch die Stimmabgabe erschwerten und die Unabhängigkeit der Wahlbehörden in Frage stellten. Die meisten Initiativen scheiterten zwar am Veto der Demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer. Einige davon, wie strengere Ausweisregeln und ein höherer Aufwand, um eine gültige vorläufige Stimme abzugeben, waren jedoch auf Grundlage eines Volksentscheids verabschiedet worden, der parallel zu den Zwischenwahlen 2022 stattfand.
In Wisconsin unterliegt Gouverneur Tony Evers (Demokrat) 2022 seinem Herausforderer. Seitdem ist der Staat wieder fest in konservativer Hand. Nach der ersten Auszählung der Stimmen liegt Kamala Harris hier mit rund 4.000 Stimmen vorn. Bei der Nachzählung kommt es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten, für die sich Anhänger von Demokraten und Republikanern gegenseitig verantwortlich machen. Schließlich entscheidet die Legislative aufgrund der »unklaren Lage, und um den Zeitplan zur Benennung der Elektoren einzuhalten«, Wahlleute unabhängig vom Ergebnis zu zertifizieren.
Mit Georgia, Michigan und Wisconsin auf seiner Seite erzielt Trump eine knappe Mehrheit im Electoral College. Der Supreme Court weist Eilanträge gegen die von Wisconsin erstellte Liste der benannten Wahlleute mit einer 5:4-Mehrheit ab, dabei beruft es sich auf die Independent State Legislature Doctrine. Diese unter amerikanischen Staatswissenschaftlern und Verfassungsexpertinnen hochumstrittene Doktrin besagt, dass die gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten autonom darüber entscheiden können, wie sie ihre Elektoren bestimmen. Dass jene Person nominiert wird, die die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, wäre demnach zwar etablierte Praxis, aber nur eine unter verschiedenen Möglichkeiten. Auch die Anträge gegen die Rechtmäßigkeit der Ergebnisfestsetzungen in Georgia und Michigan scheitern.
Rückblende: Die Erosion der amerikanischen Demokratie
Der Niedergang der amerikanischen Demokratie setzte vor mehr als drei Jahrzehnten ein. Seitdem gab es eine Reihe von kritischen Gabelungen (critical junctures), an denen jeweils ein Weg eingeschlagen wurde, der die Erosion beförderte. Es begann mit der sogenannten »Gingrich-Revolution«. Nachdem die Republikaner bei den Kongresswahlen 1994 erstmals seit 1952 eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern erobert hatten, brach der neue Sprecher des Repräsentantenhaus Newt Gingrich mit der gängigen Praxis überparteilicher Zusammenarbeit. Die Republikaner radikalisierten ganz bewusst Inhalt und Ton ihrer Angriffe auf die Demokraten, was die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft kontinuierlich vorantrieb.
Sichtbare Folgen des neuen Kurses waren unter anderem zwei Government Shutdowns, die Ende 1995 in kurzem Abstand aufeinanderfolgten, und die Einsetzung des Sonderermittlers Kenneth Starr, der in der Lewinsky-Affäre Untersuchungen gegen Präsident Clinton (Demokrat) durchführte. Zwar endeten diese Manöver mit politischen Niederlagen der Republikaner. Doch trugen sie maßgeblich dazu bei, dass der Umgang der Parteien und ihrer Anhängerschaft miteinander deutlich feindseliger wurde. Die parteipolitische und ideologische Polarisierung verschärfte sich kontinuierlich.
Die umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2000 hatten in dreifacher Hinsicht negative Auswirkungen auf die amerikanische Demokratie. Erstens wurde zum ersten Mal seit 1888 ein Kandidat Präsident, der nicht die Mehrheit der landesweit abgegebenen Stimmen erzielt hatte. George W. Bush verdankte seinen Sieg dem amerikanischen Wahlleute-System, das den ländlich geprägten, wenig bevölkerten und eher konservativen Bundesstaaten überproportional viele Stimmen im Electoral College verschafft. Zweitens wirkte die entlang der ideologischen Mehrheitsverhältnisse im Obersten Gerichtshof mit 5 gegen 4 Stimmen getroffene Entscheidung willkürlich, die Neuauszählung der Stimmzettel in Florida zu stoppen und Bush zum Sieger zu erklären. Denn maßgeblich dazu beigetragen, dass die Neuauszählung im Sunshine State nicht rechtzeitig beendet werden konnte und der Supreme Court einschritt, hatten, drittens, die von der Republikanischen Partei organisierten Versuche, die lokalen Wahlbehörden einzuschüchtern. Bei dem sogenannten »Brooks Brothers Riot« taten sich diverse Anhänger der Republikaner wie Roger Stone und andere hervor, die später in den Dunstkreis Trumps aufstiegen und ihm bei seinen vielfältigen Wahlmanipulationsversuchen und Schmierkampagnen assistierten.
Auf den ersten Afro-Amerikanischen Präsidenten folgt der Backlash
2008 bestärkte die Wahl von Barack Obama die Sorge signifikanter Teile der konservativ-weißen Bevölkerung, dass die darin zum Ausdruck kommenden demographischen, kulturellen und politischen Veränderungen Amerikas ihre Werte und privilegierte Stellung gefährden könnten. Während der gesamten Amtszeit des ersten Afro-Amerikaners im Weißen Haus versuchten politische Widersacher, allen voran Donald Trump, den Präsidenten mit der falschen Behauptung zu delegitimieren, er sei außerhalb der USA geboren und darum nicht für das Amt qualifiziert. Die Angst vor sozialem und ethnischem Wandel trug zum Aufkommen der Tea-Party-Bewegung bei. Ultrakonservative Interessen- und Wirtschaftsgruppen hatten diese vermeintlich spontan und dezentral entstandene Graswurzelbewegung finanziell und organisatorisch massiv unterstützt. Strategisch nutzten sie die Wut der Tea-Party-Aktivistinnen und ‑Aktivisten, um die Parteiführung der Republikaner von rechts außen unter Druck zu setzen. Die Tea-Party-Bewegung etablierte die Praxis, gemäßigtere Repräsentanten des Establishments in Vorwahlen durch zusehends radikalere Kandidaten herauszufordern – immer häufiger mit Erfolg.
Die »feindliche Übernahme« der Republikanischen Partei durch Trump und seine Wahl zum Präsidenten 2016 brach schließlich mit unzähligen Normen, die für eine funktionierende Demokratie essenziell sind. Trump instrumentalisierte staatliche Institutionen für persönliche Zwecke, verbreitete systematisch Unwahrheiten und ermutigte seine Anhänger wiederholt dazu, Gewalt anzuwenden. Die Republikaner im Kongress ließen ihn weitgehend ungehindert gewähren und ermöglichten so immer gravierendere Verstöße gegen informelle wie formelle Regeln. Dabei stellten sie parteipolitische Erwägungen über das institutionelle Eigeninteresse des Kongresses an der Verteidigung seiner gesetzgeberischen Kompetenzen und Kontrollfunktionen gegenüber der Exekutive. Das offenkundige Versagen der Gewaltenteilung und ‑kontrolle erschütterte das Vertrauen in das Regierungssystem und die Verfassung der Republik.
Selbst gegen die sogenannte »Große Lüge« brachten nur wenige Mandats- und Funktionsträgerinnen der Republikaner allenfalls zaghafte Einwände vor: Fälschlicherweise behauptete Trump, dass seine Wahlniederlage gegen Joe Biden 2020 auf Manipulationen seitens der Demokraten zurückzuführen sei, und verweigerte die Anerkennung des Ergebnisses. Während sich die Fachwissenschaft darüber besorgt zeigte, fanden die Vorwürfe des Wahlbetrugs gewaltige Resonanz im konservativen Teil der politisch zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Trump rief immer wieder dazu auf, nicht zuzulassen, dass die Wahl »gestohlen« würde. Am 6. Januar 2021 folgten Tausende diesem Ruf und stürmten das Kapitol in Washington, um zu verhindern, dass der Kongress das Wahlergebnis zertifizierte.
Der »Big lie«-Mythos setzte sich dauerhaft im kollektiven Gedächtnis der Republikaner fest. Die Behauptung, dass Wahlen, die nicht zugunsten ihrer Partei ausgehen, manipuliert sein müssten, wurde mehr und mehr zum gängigen Narrativ. Zwar förderten zahlreiche Nachauszählungen und Wahlprüfungen in mehreren Bundesstaaten keinerlei Beweise für Manipulationen zutage. Dessen ungeachtet zweifeln ein Jahr nach den Wahlen etwa 75 Prozent der Wählerschaft der Republikaner Bidens Sieg an.
Strategische Demokratiezersetzung
Seit vielen Jahren schrumpft der Anteil des konservativ-weißen Segments in der zusehends diverseren amerikanischen Gesellschaft. Damit erodiert auch die traditionelle Wählerbasis der Republikaner. Nach 1988 gelang es der Partei bei Präsidentschaftswahlen nur einmal, die Stimmenmehrheit auf Bundesebene zu erzielen. Auf den wachsenden Vorsprung der Demokraten reagiert die Grand Old Party, indem sie unter dem Vorwand, Wahlbetrug verhindern zu wollen, die Stimmabgabe erschwert (voter suppression).
Die Wahlen 2020 beschleunigen und intensivieren dieses Vorhaben. Viele Einzelstaaten, in denen Republikaner die Legislative kontrollieren, verschärfen die Bedingungen der Stimmabgabe (Ende 2021 hatten die Republikaner in 30 Staaten Mehrheiten in beiden Parlamentskammern). Erschwert werden beispielsweise: die Wählerregistrierung, indem die Anzahl der akzeptierten Nachweise verringert wird; die vorzeitige Wahl; die während der Covid 19-Pandemie erleichterte Briefwahl durch Reduzierung von Annahmestellen und Einschränkungen der Möglichkeiten, Wahlbriefe durch Dritte bzw. in anderen Wahlbezirken abzugeben. Und am Wahltag selbst sorgt eine Verringerung der Zahl an Wahllokalen in überwiegend den Demokraten zuneigenden Stadtbezirken für längere Wartezeiten, die geringfügig Beschäftigte besonders benachteiligen. Alle diese Einschränkungen betreffen nichtweiße Bevölkerungsgruppen überproportional. Klagen gegen die damit einhergehende Diskriminierung von Minderheiten weist der unter Trump mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court jedoch ab, unter Verweis auf zumutbare Härten – wie im Juli 2021 im Fall Arizona.
Viele Beobachterinnen und Fachleute stimmen darin überein, dass Trump und die Republikaner neben diesen konkreten Maßnahmen auch das generelle Vertrauen in die verlässliche und unparteiische Durchführung von Wahlen zu untergraben suchen (election subversion). Unabhängige Wahlaufsichtsbehörden werden parteipolitischer Kontrolle unterstellt, Wahlhelfer und Wahlhelferinnen erhalten Drohungen. Perspektivisch könnten diese Entwicklungen auf eine Art Beweislastumkehr hinauslaufen. Die rechtliche Praxis, nach der Beschwerdeführer nachzuweisen haben, dass es zu Wahlbetrug kam, würde abgelöst durch politisch motivierte Forderungen, die kaum zu erfüllen sind: nämlich wasserdicht zu belegen, dass kein Wahlbetrug stattgefunden haben kann. Dadurch ließe sich nahezu unbegrenzt behaupten, dass auch abwegig erscheinende Formen der Wahlmanipulation praktiziert worden seien. Ziel dieses Vorgehens: Die permanente Konfrontation mit aus der Luft gegriffenen Vorwürfen sät Zweifel an der Integrität der Wahlen und damit an der Legitimität ihrer Ergebnisse.
Vorschau: Wäre er wieder da
Auch während seiner zweiten Amtszeit erweist sich Trump als beratungsresistent, für Kritik unzugänglich und lernunfähig. Diesmal vermeidet er es – entgegen den Annahmen mancher Beobachter – jedoch von vornherein, erfahrene Köpfe in seine Regierung zu rekrutieren. Stattdessen ist für ihn bedingungslose Loyalität Kriterium bei der Besetzung von Ämtern. Entsprechend fehlt es überall an Regierungswissen und Sachverstand. Gleichzeitig stellt sich niemand in Administration und Legislative Trumps Versuchen entgegen, Kompetenzen an sich zu reißen und Institutionen zu unterminieren.
So beruft Donald Trump auf den freien Sitz im Obersten Gerichtshof ausgerechnet John Eastman, der während der Wahl 2020 argumentiert hatte, Vizepräsident Mike Pence müsse das Wahlergebnis zugunsten von Joe Biden nicht zertifizieren. Wie an die Presse durchsickert, sind die übrigen Mitglieder des Supreme Court in hohem Maße uneins, wie sie mit der Ernennung eines Richters umgehen sollen, der den Konsens über die zentrale Bedeutung von Mehrheitsentscheidungen in freien und fairen Wahlen für die Verfassung der amerikanischen Demokratie nicht teilt. Die von Präsident Obama ernannten Sonia Sotomayor, Elena Kagan und auch der um das Ansehen des Gerichtes besorgte Vorsitzende John Roberts sind entsetzt. Amy Coney Barrett hält sich bedeckt. Doch Clarence Thomas, Neil Gorsuch, Samuel Alito und Brett Kavanaugh unterstützen den neuen Kollegen.
Anders als während der ersten Amtszeit Trumps bleibt die Euphorie in den Chefetagen der Wirtschaft diesmal aus. Stattdessen werden die Aktien- und Finanzmärkte zunehmend nervös angesichts des wieder auflebenden handelspolitischen Protektionismus und des sich verschärfenden Konflikts mit China. Rasch zeigen sich die Folgen der erratischen Regierungsführung. Mitte 2025 rutscht die amerikanische Wirtschaft in eine Rezession. Parallel dazu wachsen die gesellschaftlichen Spannungen massiv. Um die Jahreswende 2025/26 verbreiten sich gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Trumps.
Der 4. Juli 2026 als Schicksalstag
Am Unabhängigkeitstag sieht Trump den Zeitpunkt gekommen, seine Macht auf unbestimmte Zeit zu zementieren. Die Republikaner fürchten aufgrund der grassierenden Unzufriedenheit im Land drastische Verluste bei den im November anstehenden Kongresswahlen – trotz der weitreichenden Manipulationen von Rahmenbedingungen und Durchführungsbestimmungen. Trump will durch die Abschaffung der Amtszeitbegrenzung einem dann möglicherweise oppositionellen Kongress zuvorkommen. Der seit 1951 geltende 22. Verfassungszusatz besagt zwar, dass ein Präsident nur zweimal gewählt werden darf; und die Hürden für eine Verfassungsänderung sind hoch: Zwei Drittel der Kongressabgeordneten in Washington und drei Viertel der Bundesstaaten müssen zustimmen. Dennoch hat es seit Inkrafttreten der Amtszeitbegrenzung mehrere Vorstöße gegeben, sie wieder aufzuheben, und zwar sowohl aus dem progressiven wie aus dem konservativen Lager.
Trump ist zuversichtlich, mit Hilfe der linientreuen Republikaner in den Parlamenten die Verfassungsänderung durchsetzen zu können. Gleichzeitig bereitet er sich darauf vor, im Falle des Scheiterns die Beschränkung auf zwei Amtszeiten zu ignorieren. Der zu erwartenden Kritik aus den Reihen der Demokraten, Teilen der Medien und der Gesellschaft kommt er zuvor, indem er seine Kritikerinnen als »schwach« bezeichnet und ihnen vorwirft, sie wollten Amerika zerstören. Der Präsident gibt sich überzeugt, dass der Oberste Gerichtshof auch diesmal seiner Linie folgen werde, und fordert seine Anhänger auf, dem Supreme Court im Zweifelsfall bei seiner Entscheidung »behilflich zu sein«. Die von Trump initiierte und von seinem wieder berufenen Chefstrategen Steve Bannon orchestrierte Massenbewegung soll den dafür notwendigen Druck erzeugen.
Wie das Verfassungsgericht entscheiden wird, vermag angesichts der aktuellen Besetzung niemand zu sagen. Auch gibt es massive Zweifel, ob Trump eine Entscheidung zu seinen Ungunsten akzeptieren würde. Die Zukunft der elektoralen Demokratie, in der freie und faire Wahlen über die Machtverteilung bestimmen, steht auf Messers Schneide.
Dr. Lars Brozus ist Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dr. Johannes Thimm ist Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika.
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doi: 10.18449/2021A73