Dr. Oliver Geden ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. Sachstandsbericht des IPCC.
Felix Schenuit ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und promoviert am Center for Sustainable Society Research und DFG-Excellenzcluster »Climate, Climatic Change, and Society« (CLICCS).
■ Wenn die EU bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen will, wird es nicht genügen, konventionelle Klimaschutzmaßnahmen zur Emissionsvermeidung zu ergreifen. Um unvermeidbare Restemissionen auszugleichen, werden zusätzlich auch unkonventionelle Maßnahmen zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre notwendig sein – etwa mittels Aufforstung oder der Direktabscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft.
■ Nicht alle Mitgliedstaaten und Branchen werden im Jahr 2050 bereits Treibhausgasneutralität erreicht haben, manche werden 2050 schon unter Null liegen müssen. Die Option der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre ermöglicht eine stärkere Flexibilisierung der Klimaschutzpolitik, wird aber auch neue Verteilungsfragen aufwerfen.
■ Die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sollte gegenüber der nachträglichen Entnahme von CO2 politisch priorisiert werden. Netto-Null-Ziele sollten explizit in Emissionsminderungsziele und Entnahmeziele unterteilt werden, statt die Effekte beider Ansätze beliebig miteinander zu verrechnen.
■ Die zukünftige Entwicklung einer EU-CO2-Entnahme-Politik sollte durch ein adäquates Policy-Design in produktive Bahnen gelenkt werden. Ob die EU mittelfristig einen proaktiven oder zurückhaltenden Einstiegspfad wählt, wird nicht zuletzt mit davon abhängen, welche Netto-Negativ-Ziele sie für die Zeit nach 2050 anstrebt.
■ Die EU sollte ihren Fokus in den kommenden Jahren darauf richten, verstärkt in Forschung und Entwicklung von CO2-Entnahme-Methoden zu investieren und vermehrt praktische Erfahrungen mit deren Einsatz zu sammeln.
■ Nur wenn es der EU und ihren Mitgliedstaaten auf dem Weg zu Netto Null tatsächlich gelingt, konventionelle Emissionsminderungen und unkonventionelle CO2-Entnahmen überzeugend miteinander zu verbinden, kann die EU ihrem Vorreiter-Anspruch in der Klimapolitik gerecht werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Schlussfolgerungen
2 Die Entnahme von atmosphärischem CO 2 als globale Herausforderung
2.1 Klimapolitische Funktionslogiken
2.2 Ausgewählte Methoden der CO 2 ‑Entnahme
2.2.2 Kohlenstoffbindung im Boden
2.2.3 Bioenergie mit CO 2 -Abscheidung und ‑Speicherung (BECCS)
2.2.5 Direktabscheidung und Speicherung von CO 2 (DACCS)
2.2.6 Beschleunigte Verwitterung an Land und im Ozean
3 Integration des CO 2 -Entnahme-Ansatzes in die europäische Klimapolitik
3.1 Irritation des klimapolitischen Paradigmas
3.2 Normalisierung des CO 2 ‑Entnahme‑Ansatzes
3.3 Neue Regeln, ähnliches Spiel
4 Akteure und Positionierungen
4.3 Regulatorisch verknüpfte Nachbarstaaten
4.6 Nichtregierungsorganisationen
5 Der CO 2 -Entnahme-Ansatz: Einstiegspfade, Zielstruktur und Policy-Designs
5.1.2 Zurückhaltender Einstieg
5.2 Ausgestaltung des Netto-Null-Ziels
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Die Europäische Union (EU) versteht sich in der internationalen Klimapolitik als Vorreiterin, die ihr Handeln am neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientiert. Unter dem Eindruck der Verschärfung der Klimaziele im Pariser Abkommen 2015, der Ergebnisse der jüngsten Sonderberichte des Intergovernmental Panel on Climate Change und der Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung hat die EU ihr Treibhausgasminderungsziel für 2050 erhöht – von zuvor 80–95 Prozent auf Netto-Null-Emissionen. Allerdings werden sich nicht alle Emissionsquellen bis 2050 restlos eliminieren lassen. Insbesondere der Luftverkehr, einzelne Industriebranchen und die Landwirtschaft dürften auch über die Mitte des Jahrhunderts hinaus noch Restemissionen (residual emissions) beisteuern. Um die Gesamtbilanz auf null zu bringen, wird es deshalb nicht genügen, konventionelle Klimaschutzmaßnahmen zur Emissionsvermeidung zu ergreifen. Zusätzlich werden in der EU auch unkonventionelle Maßnahmen zur gezielten Entnahme von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre zum Einsatz kommen müssen –im Umfang von mehreren Hundert Millionen Tonnen pro Jahr.
Bislang spielt der Ansatz der Entnahme von atmosphärischem CO2 in der klimapolitischen Debatte der EU nur eine Nebenrolle. Dies liegt einerseits am Entwicklungsstand der entsprechenden Methoden. Abgesehen von der bereits etablierten Option der (Wieder-)Aufforstung sind Verfahren zur CO2-Entnahme wie etwa die Kombination von Bioenergie und Abscheidung/Speicherung von CO2, die erhöhte Kohlenstoffbindung in Böden oder die Direktabscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft nur unzureichend erforscht oder befinden sich noch nicht im Stadium der Marktreife. Weitaus stärker schlägt jedoch zu Buche, dass der Ansatz der CO2-Entnahme ein erhebliches Irritationspotential birgt. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf das klimapolitische Problemlösungsparadigma der EU, sondern auch auf das damit verbundene Narrativ, dem zufolge wissenschaftlich begründete Emissionsminderungsziele und die Unterstützung für klimafreundliche Technologien dazu beitragen, das globale Klimasystem zu stabilisieren und gleichzeitig »grünes Wachstum« in Europa zu generieren. Die Debatte wird sich deshalb künftig nicht nur um die Bewertung konkreter Methoden drehen, sondern auch um die konzeptionelle Rolle des CO2-Entnahme-Ansatzes.
Die vorliegende Studie geht der Frage nach, auf welche Weise der gegenwärtig noch unkonventionell erscheinende CO2-Entnahme-Ansatz in die EU-Klimapolitik integriert werden kann. Relevant für die Beantwortung werden nicht nur die technologischen und ökonomischen Potentiale einzelner Methoden sein, sondern auch die Einschätzung zentraler Akteure, wem unter einem sich wandelnden Paradigma mehr und wem weniger Verantwortung zufallen würde, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen.
Die Debatte wird nicht zuletzt durch den Umstand geprägt sein, dass nicht alle Mitgliedstaaten und Branchen zum Zeitpunkt eines gesamteuropäischen Netto-Null-Zustands im Jahr 2050 ebenfalls Treibhausgasneutralität erreicht haben müssen. Solche mit einem hohen Anteil an residualen Emissionen, ungünstigen ökonomischen Voraussetzungen oder überdurchschnittlicher Verhandlungsmacht werden die Erwartung artikulieren, dass es in der EU-Klimapolitik auch weiterhin Vorreiter und Nachzügler geben darf. Dies könnte etwa bedeuten, dass Ländern wie Polen oder Tschechien zugestanden wird, mit ihren Emissionen im Jahr 2050 noch über der Null-Linie zu liegen, während Vorreiterstaaten wie Deutschland, Frankreich oder Schweden aufgefordert wären, bereits mehr als 100 Prozent zu reduzieren, der Atmosphäre also mehr CO2 zu entnehmen als sie noch an Treibhausgasen ausstoßen.
Es ist kaum zu antizipieren, welchen Einstiegspfad in CO2-Entnahmen die EU in der kommenden Dekade wählen wird und welche Rolle die entsprechenden Verfahren langfristig in der EU-Klimapolitik spielen werden. Insofern wäre es verfrüht, bereits sehr kleinteilige regulatorische Vorschläge auszuarbeiten. Zwar hat die Kommission in ihren Entwürfen für eine EU-Klimastrategie 2050 und ein EU-Klimagesetz damit begonnen, der CO2-Entnahme einen signifikanten Stellenwert einzuräumen. Doch es zeichnet sich bisher allenfalls in Ansätzen ab, welche Mitgliedstaaten, Parteienfamilien, Branchen, Unternehmen und NGOs den Entnahme-Ansatz voranbringen wollen und welche Methoden dabei präferiert werden.
Zu erwartende politische Widerstände werden sich einerseits auf den Entnahme-Ansatz selbst richten, nicht nur wegen der beschriebenen Verteilungswirkungen, sondern auch wegen der Befürchtung, dass klassische Klimaschutzmaßnahmen durch ihn in Frage gestellt werden könnten. Andererseits wird sich der Widerstand aber auch auf einzelne Methoden beziehen, in der Regel auf Basis spezifischer Risikowahrnehmungen und mutmaßlich entlang der sich bereits etablierenden Trennlinie zwischen ökosystembasierten und technologischen Entnahmeverfahren.
Damit die notwendige Erweiterung der EU-Klimapolitik tatsächlich gelingt, muss die Vermeidung von Treibhausgasemissionen gegenüber der nachträglichen Entnahme von CO2 politisch priorisiert werden. Zudem darf nicht der Eindruck entstehen, dass einzelne Mitgliedstaaten und Branchen überproportional von der konzeptionellen Integration der CO2-Entnahme profitieren. Dabei sind zwei Handlungsschritte von besonderer Bedeutung: die konkrete Ausgestaltung des Netto-Null-Ziels und die Entwicklung eines Policy-Designs.
Um das Primat konventioneller Klimaschutzmaßnahmen abzusichern und sichtbar zu kommunizieren, ist es ratsam, Netto-Null-Ziele in Emissionsminderungsziele und Entnahmeziele aufzusplitten, statt die Effekte beider Ansätze beliebig miteinander zu verrechnen, also etwa in einer Größenordnung von 90:10 Prozent. Würden die 90 Prozent als Mindestvorgabe verstanden, so würden Durchbrüche bei CO2-Entnahme-Methoden nicht dazu führen, bei Emissionsreduktionen nachzulassen, sondern dazu, dass Netto-Null- bzw. Netto-Negativ-Emissionen früher erreicht werden.
Zudem sollte frühzeitig geregelt werden, in welchem Verhältnis Vorreiter und Nachzügler zueinander stehen. Wenn einzelne Länder und Sektoren die Null-Linie aus nachvollziehbaren Gründen erst später erreichen als der EU-Durchschnitt, so sollte die Divergenz doch zumindest zeitlich begrenzt werden bzw. mit einer finanziellen Abgeltung korrelieren. Die EU sollte keinem Mitgliedstaat zugestehen, den Netto-Null-Status mehr als 10–15 Jahre später als der Durchschnitt zu erreichen. Im Verhältnis zwischen Branchen wird es hingegen auf absehbare Zeit nicht möglich sein, eine ähnliche Verpflichtung für alle Nachzügler zu etablieren, insbesondere in der Landwirtschaft existieren technische Machbarkeitsgrenzen. Hier ist darauf zu achten, dass Sektoren, denen im Grundsatz residuale Emissionen zugestanden werden müssen, selbst für CO2-Entnahmen verantwortlich sind, ganz gleich, ob sie entsprechende Zertifikate aus anderen Sektoren erwerben oder selbst direkt in CO2-Entnahme-Methoden investieren.
Die Entnahme von atmosphärischem CO2 als globale Herausforderung
Die Eindämmung des anthropogenen Klimawandels erfordert, dass die Konzentration von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen (THG) in der Atmosphäre stabilisiert wird. Dies kann grundsätzlich auf zwei Wegen erreicht werden: Im Mittelpunkt der internationalen Klimapolitik stehen seit jeher die Emissionsquellen und damit die Vermeidung von Treibhausgasemissionen, etwa bei der Stromproduktion, in der Industrie, im Transportsektor oder durch Landnutzungsänderungen.
Um die globalen Klimaziele erreichen zu können, müssen Methoden der gezielten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zum Einsatz kommen.
Daneben existierte jedoch immer schon ein zweiter Strang der Klimaschutzpolitik, der auf die Erhaltung und den (Wieder-)Ausbau von Emissionssenken, also auf die Entnahme von Kohlendioxid (CO2)1 aus der Atmosphäre setzt, etwa durch Programme zur (Wieder-)Aufforstung von Wäldern oder zur Renaturierung von Ökosystemen. Da die globalen Emissionen von Treibhausgasen seit der Einigung auf die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) im Jahr 1992 fast kontinuierlich weiter gestiegen sind, hat der konventionelle Klimaschutzansatz, der sich auf die Vermeidung von Emissionen richtet, nichts an Dringlichkeit eingebüßt, ganz im Gegenteil. Doch um die globalen Klimaziele, die von der UNFCCC beschlossen worden sind, erreichen zu können, müssen ergänzend dazu in erheblichem Umfang auch unkonventionelle Klimaschutzmethoden der gezielten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre2 zum Einsatz kommen. Darüber besteht in der Klimaforschung inzwischen ein breiter Konsens.3 Dies ist nicht nur mittels einer Ausweitung der Senkenfunktion von Ökosystemen möglich, sondern auch mit Hilfe von technologischen Verfahren wie etwa der Direktabscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft, bei denen das CO2 anschließend geologisch gespeichert wird. Bei der Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS), das bei der Verwendung von fossilen Energieträgern in Kraftwerken oder in industriellen Prozessen anfällt, handelt es sich um eine konventionelle Klimaschutzmethode, da das gespeicherte CO2 nicht der Atmosphäre entnommen wurde.4
Der Ansatz einer großskaligen CO2-Entnahme wird in der Klimawissenschaft schon seit Anfang des Jahrtausends diskutiert und ist in den letzten 10 Jahren zu einem integralen Bestandteil der Klimaschutzszenarien geworden, die der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) auswertet. Die Szenarien im IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel basieren auf der Entnahme von enormen Mengen an CO2 (Carbon Dioxide Removal, CDR) – 730 Milliarden Tonnen (Gigatonnen, Gt) bis 2100, fast das 15‑fache des gegenwärtigen jährlichen THG-Ausstoßes.5 Dennoch hat das Thema CDR sowohl auf der globalen klimapolitischen Agenda als auch in den Debatten in den Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens nach wie vor nur eine randständige Bedeutung. Zudem ist beim gegenwärtigen Forschungs- und Entwicklungsstand unsicher, wie groß die Potentiale einzelner CDR-Methoden tatsächlich sind und wie schnell sie ausgebaut werden können.6
Klimapolitische Funktionslogiken
Die klimapolitische Notwendigkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, ergibt sich aus zwei voneinander zu unterscheidenden Funktionslogiken: Erstens ermöglicht es CDR theoretisch, ein Überschießen des CO2-Budgets, das der Welt zum Erreichen eines gegebenen Temperaturziels noch verbleibt,7 zu einem späteren Zeitpunkt wieder auszugleichen, indem Netto-Negativ-Emissionen generiert werden.8 Zweitens wird CDR aber bereits benötigt, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, da sich nicht alle THG-Emissionen restlos eliminieren lassen werden – sei es aus technologischen, ökonomischen oder politischen Gründen. Da das verbleibende Emissionsbudget für den unteren Rand des im Pariser Abkommen festgelegten Zielkorridors von 1,5 bis 2°C wesentlich geringer ausfällt als für den oberen Rand, erreichen 1,5-Grad-kompatible Emissionspfade die Netto-Null-Linie deutlich früher als 2-Grad-kompatible Pfade (siehe Abbildung 1).
Niemand zieht grundsätzlich in Zweifel, dass es unvermeidbare Emissionsquellen gibt, die durch Senken ausgeglichen werden müssen.
In der politischen Debatte über den Ansatz der gezielten CO2-Entnahme steht dessen Funktion, ein zwischenzeitliches Überschießen des CO2-Budgets auszugleichen, bislang noch im Vordergrund. Kritiker beanstanden nicht nur enorme CDR-Gesamtvolumen in Klimaschutzszenarien und unintendierte negative Nebeneffekte, die mit der Implementierung einzelner Methoden verbunden sein könnten, sondern vor allem die mit CDR verknüpfte Möglichkeit, den grundlegenden Widerspruch zwischen begrenztem CO2-Budget und weiter steigenden Emissionen durch die Langfristvision eines Erreichens von Netto-Negativ-Emissionen zu überdecken.9
Mehr Aufmerksamkeit richtet sich in jüngster Zeit auf den Einsatz von CDR zum Ausgleich residualer Emissionen (vor allem Methan und Lachgas aus der Landwirtschaft sowie CO2 aus Industrieprozessen und dem Luftverkehr), insbeson vor allem im Zusammenhang mit globalen oder nationalen Netto-Null-Zielen, die in der Klimapolitik zunehmend populär werden.10 Dies liegt zum einen im Pariser Abkommen begründet, dessen Artikel 4 ausdrücklich die Zielvorgabe enthält, dass »in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken«11 erreicht werden soll – womit die globale Temperatur mindestens stabilisiert werden könnte.12 Zum anderen ist seit der Veröffentlichung des IPCC-Sonderberichts zum 1,5-Grad-Ziel verstärkt zu beobachten, dass Nationalstaaten, Städte und Unternehmen jeweils individuelle Netto-Null-Ziele diskutieren und auch beschließen. Dadurch gerät die Ausgleichsfunktion der CO2-Entnahme stärker in den Fokus. Zwar ist das in globalen wie nationalen Klimaschutzszenarien angenommene Niveau an residualen Emissionen durchaus Gegenstand von Kritik,13 in der Debatte zieht jedoch niemand grundsätzlich in Zweifel, dass es unvermeidbare Emissionsquellen gibt, die durch Senken ausgeglichen werden müssen. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, welche CDR-Methoden zukünftig eingesetzt werden könnten.
Ausgewählte Methoden der CO2‑Entnahme
In globalen Klimaschutzszenarien werden bislang vor allem zwei Entnahmemethoden eingesetzt: Aufforstung und – in weit größerem Umfang – die energetische Nutzung von Biomasse in Kombination mit der Abscheidung und Speicherung von CO2 (BECCS). Die weitgehende Beschränkung auf zwei Verfahren ist vor allem auf pragmatische Überlegungen in der klimaökonomischen Modellierung zurückzuführen und Ausdruck bestehender Wissenslücken. Die Palette möglicher CO2-Entnahme-Verfahren ist jedoch wesentlich breiter. Sollten die in den globalen Szenarien angenommenen CDR-Volumina jemals realisiert werden, so ist nicht zu erwarten, dass dies im global koordinierten Rückgriff auf lediglich zwei Methoden geschehen wird. Da sich viele Methoden noch in einer frühen Phase von Forschung und Entwicklung befinden, sind Abschätzungen über Entnahmepotentiale und Kosten mit großen Unsicherheiten behaftet. Zudem sind bei jedem Verfahren mehrere Varianten denkbar, in denen sie zur Anwendung kommen könnten. Der tatsächliche Einsatz von Entnahmeverfahren in einzelnen Ländern wird nicht nur von ihrer Effektivität und ihren Kosten abhängen, sondern auch von unterschiedlichen geographischen Voraussetzungen, volkswirtschaftlichen Strukturen und politischen Präferenzen.14
Mit dem Ziel, den bereits bestehenden Wissensbestand zu bündeln und Forschungslücken zu identifizieren, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien zu CO2-Entnahme-Verfahren veröffentlicht.15 Um einen schnellen Überblick über die wichtigsten Methoden zu verschaffen, werden die Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst. Der Fokus wird dabei auf jene Faktoren gerichtet sein, die die politischen Debatten über eine weitere Erforschung, den Start von Pilotprojekten und den großskaligen Einsatz der unterschiedlichen Methoden maßgeblich prägen bzw. beeinflussen dürften: Zu diesen Kriterien zählen die spezifischen Funktionsmechanismen der Verfahren, die Verfügbarkeit, die globalen Entnahmepotentiale, die Kosten, die Permanenz der CO2-Speicherung und mögliche Risiken.16
(Wieder-)Aufforstung
Bei diesem Ansatz wird durch die planmäßige Ausweitung von Waldflächen mittels Photosynthese mehr CO2 aus der Atmosphäre in Holzbiomasse gebunden. Da das Entnahmepotential eines Waldes langfristig deutlich abnimmt, kommt dem Alter der Baumbestände und den zur Verfügung stehenden Landflächen große Bedeutung zu. Das zusätzliche globale CO2-Entnahmepotential wird für 2050 auf 0,5–3,6 Gt CO2 taxiert. Erhöht werden kann es durch eine langfristige Nutzung des geernteten Holzes, etwa als Baumaterial. Die Kostenschätzungen belaufen sich für 2050 pro entnommener Tonne CO2 auf 5–50 US-Dollar.17
Wälder können nicht vollständig gegen natürliche und menschliche Einflüsse wie Dürren, Schädlinge und Feuer geschützt werden.18 Die dauerhafte Speicherung des entnommenen CO2 ist somit in hohem Maße unsicher. Als negative Nebenwirkungen gelten der hohe Landflächen- und Wasserverbrauch, eine
mögliche Verminderung der Biodiversität (je nachdem, wie sich die jeweilige Landnutzung ändert) und eine verminderte Reflexion der Wärmestrahlung der Sonne (Albedo) bei Waldflächen in nördlichen Breitengraden. Aufforstung und Wiederaufforstung sind als Methoden zur CO2-Entnahme bereits etabliert.
Kohlenstoffbindung im Boden
Eine Erhöhung der Anreicherung von CO2 in Böden kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, unter anderem durch eine Änderung landwirtschaftlicher Verfahren, etwa den Verzicht auf tiefes Pflügen, das Einarbeiten von Ernteresten oder die Einsaat von Zwischenfrüchten. Das Entnahmepotential liegt bei 2–5 Gt CO2. Begrenzt ist es jedoch durch eine mittel- bis langfristig eintretende Kohlenstoffsättigung der Böden. Die Kosten werden pro Tonne CO2 auf 0–100 US-Dollar geschätzt.
Die Dauerhaftigkeit der Speicherung ist vergleichsweise unsicher. Sie hängt auch davon ab, wie das Land langfristig bewirtschaftet oder genutzt wird. Ein positiver Nebeneffekt ist die Anreicherung der Böden mit CO2. Dadurch verbessert sich die Wasser- und Nährstoffspeicherfähigkeit und erhöht sich die Fruchtbarkeit der Böden. Landnutzungskonflikte sind nicht zu erwarten, da die agrarische Nutzung der Böden trotz der verstärkten CO2-Anreicherung fortgesetzt werden könnte. Verfahren zur Erhöhung der Kohlenstoffbindung in Böden wären umgehend einsetzbar.
Bioenergie mit CO2-Abscheidung und ‑Speicherung (BECCS)
BECCS kombiniert die Energieproduktion aus der Biomasse schnell wachsender Pflanzen mit der Abscheidung und Speicherung des dabei entstehenden CO2. Da Biomasse während ihres Wachstums CO2 bindet, ist die Kombination beider Prozesse gleichbedeutend mit einer Netto-Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Das Potential von BECCS liegt bei 0,5–5 Gt CO2. Die Höhe hängt entscheidend von der Verfügbarkeit nachhaltig produzierter Biomasse ab, deren Anbau in Konkurrenz zu anderen Nutzungen steht. Die Kosten pro entnommener Tonne CO2 werden auf 100–200 US-Dollar geschätzt.
Die Permanenz der Entnahme kann durch die unterirdische geologische Speicherung des CO2 gewährleistet werden. Als positiver Nebeneffekt von BECCS gilt, dass im Unterschied zu den meisten anderen Entnahmeverfahren Energie erzeugt wird (Strom, Biokraftstoff oder Wasserstoff). Demgegenüber schlägt als Nachteil zu Buche, dass der notwendige Biomasseanbau landintensiv ist (pro negativer Tonne CO2 jedoch weniger als bei der Aufforstung), Wasser und Düngung erfordert und dadurch stärker als die meisten anderen Entnahmestrategien im Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion und der Biodiversität steht. Die einzelnen Bestandteile des Verfahrens, Energieproduktion aus Biomasse und CCS, gelten jeweils als ausreichend erforscht und getestet. Die beiden Teilprozesse werden bislang nur in einer einzigen kommerziellen Anlage (zur Biokraftstoffproduktion in den USA) kombiniert, zwei Demonstrationsanlagen im Strom- und Wärmesektor wurden 2019 in Großbritannien und Schweden in Betrieb genommen. Um BECCS in Zukunft großskalig einsetzen zu können, müssten nicht zuletzt auch Infrastrukturen zum Transport und zur Einlagerung des abgeschiedenen CO2 geschaffen werden.
Pflanzenkohle
Die Erhitzung von Biomasse, zum Beispiel von Pflanzenresten, unter Abwesenheit von Sauerstoff verhindert die Verrottung des organischen Materials und damit die Freisetzung von CO2. Die in diesem Verfahren entstehende sogenannte Pflanzenkohle kann anschließend in Ackerböden eingearbeitet werden. Das Potential von Pflanzenkohle als Maßnahme zur CO2-Entnahme liegt bei etwa 0,5–2 Gt CO2. Die Kosten werden pro Tonne CO2 auf 30–120 US-Dollar geschätzt.
Je nach gewähltem Verfahren bietet die Produktion von Pflanzenkohle die Möglichkeit, CO2 für einige Jahrhunderte weitgehend stabil zu speichern. Landnutzungskonflikte um Biomasse können durch die Verwertung von Pflanzenabfällen begrenzt werden. Die Einbringung der Pflanzenkohle in geeignete Böden wirkt sich zudem positiv auf deren Qualität aus. Die Herstellung von Pflanzenkohle und deren Einbringung in Ackerböden wird bereits praktiziert, mangels spezifischer Anreizsysteme jedoch nur in sehr begrenztem Umfang. Erfahrungen mit großskaligen Anlagen und entsprechenden Produktions- und Lieferketten für Biomasse wurden bislang noch nicht gemacht.
Direktabscheidung und Speicherung von CO2 (DACCS)
CO2 kann auch mittels chemischer Prozesse aus der Umgebungsluft gefiltert (Direct Air Capture, DAC) und dann unterirdisch gespeichert werden. Das Potential von DACCS ist im Prinzip unbegrenzt. Da für DAC-Anlagen keine großen Flächen benötigt werden, könnten theoretisch beliebig viele Einheiten in Betrieb genommen werden, in relativer Nähe zu erschlossenen geologischen CO2-Speichern. Neben Lage und Umfang der globalen Speicherkapazitäten schränkt vor allem der hohe, aus CO2-armen Quellen zu speisende Energiebedarf das Potential dieser Methode ein. Aufgrund der geringen Zahl und Größe der bislang gebauten Anlagen ist die Entwicklung der DAC-Technologie bei weitem noch nicht abgeschlossen. Ein großskaliger Ausbau der Produktionskapazitäten lässt daher eine signifikante Senkung der Kosten erwarten, bis auf 100–300 US-Dollar zur Jahrhundertmitte.
Erste DAC-Anlagen werden in der Schweiz, Italien, Island, USA und Kanada betrieben. Aus wirtschaftlichen Gründen wird das abgeschiedene CO2 bislang in der Regel nicht unterirdisch gespeichert, sondern weiterverwendet (Carbon Capture and Utilization, CCU), etwa in der Getränkeindustrie oder bei der Produktion synthetischer Treibstoffe. Im Falle des Einsatzes CO2-freier Energieträger sind diese DAC-Projekte bestenfalls treibhausgasneutral, da das CO2 bei der Nutzung der entsprechenden Produkte wieder emittiert wird. Um mit DAC tatsächlich dauerhaft CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, muss das Treibhausgas permanent geologisch gespeichert werden.
Beschleunigte Verwitterung an Land und im Ozean
Bei diesem Verfahren werden natürliche CO2-bindende Prozesse der Verwitterung von Mineralien beschleunigt. Dazu werden Karbonat- und Silikatgesteine abgebaut, gemahlen und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen oder im Oberflächenwasser der Ozeane ausgebracht. Das Potential liegt zur Jahrhundertmitte bei 2–4 Gt CO2. Die Kosten werden pro Tonne CO2 auf 50–200 US-Dollar geschätzt.
Im Vergleich zu den anderen Entnahmemethoden werden die negativen Nebeneffekte als vergleichsweise gering eingestuft. Das Verteilen des gemahlenen Gesteins auf landwirtschaftlichen Flächen würde keine Nutzungskonflikte verursachen und könnte zur Verbesserung der Bodenqualität beitragen. Das Ausbringen des Gesteinsmehls im Meer könnte der zunehmenden Ozeanversauerung entgegenwirken. Allerdings müsste für einen großskaligen Einsatz eine umfangreiche Infrastruktur für den Abbau, den Transport und die Ausbringung des Gesteins geschaffen werden. Konkrete Verfahren der beschleunigten Verwitterung sind bislang nur unzureichend experimentell erforscht und dementsprechend noch nicht einsatzbereit.
Ozeandüngung
Diese Methode zielt darauf ab, den Nährstoffgehalt im Ozean zu erhöhen, bevorzugt durch die Zuführung von Eisen. Auf diese Weise könnte das Planktonwachstum im Ozean gefördert werden, wodurch wiederum mehr atmosphärisches CO2 gebunden würde. Schätzungen des zukünftigen Entnahmepotentials und der damit verbundenen Kosten sind im Vergleich zu anderen Methoden mit sehr viel größeren Unsicherheiten behaftet.
Der Grad an Dauerhaftigkeit der Speicherung des entnommenen CO2 ist umstritten, da nur ein kleiner Teil des zusätzlichen Planktons ins Sediment am Meeresboden eingelagert wird. Bislang sind darüber hinaus vor allem zwei negative Nebeneffekte bekannt: Grundsätzlich besteht die Gefahr einer Überdüngung, in deren Folge den betroffenen Ozeangebieten durch starke Planktonblüten sehr viel Sauerstoff entzogen werden könnte. Zudem entsteht bei einer Überdüngung vermehrt Lachgas, was dem eigentlichen Ziel, der Atmosphäre klimaschädliche Gase zu entziehen, zuwiderläuft. Wegen der negativen und in ihrem Ausmaß kaum abzuschätzenden Nebenwirkungen und der geringen Effizienz als CO2-Entnahme-Methode wird die Ozeandüngung in der Forschung inzwischen kaum noch als ernsthafte Option behandelt.
Integration des CO2-Entnahme-Ansatzes in die europäische Klimapolitik
Die vom IPCC ausgewerteten globalen Emissionsszenarien, die ein Einhalten des in Paris beschlossenen Zielkorridors von 1,5 bis deutlich unter 2°C globaler Durchschnittstemperatur skizzieren, beinhalten außerordentlich große Mengen an CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre. Mit Ausnahme von Großbritannien unternimmt bislang jedoch kein UNFCCC-Vertragsstaat ernsthafte Anstrengungen, um ein umfassendes CDR-Forschungs- und Demonstrationsprogramm zu erarbeiten, und noch weniger, um spezifische regulatorische Instrumente zu entwickeln. Angestoßen durch die jüngsten IPCC-Sonderberichte zum 1,5-Grad-Ziel und zur Landnutzung akzeptieren Fachpolitiker und Ministerialbeamte zwar inzwischen grundsätzlich, dass der Einsatz von CDR unabdingbar sein wird, wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden sollen. Bislang vermeidet die UNFCCC aber eine Debatte darüber, mit welchen Methoden und vor allem von welchen Akteuren die entsprechenden Mengen an CO2-Entnahmen generiert werden sollen.19
Die Erfahrung der zurückliegenden internationalen Klimaverhandlungen legt die Erwartung nahe, dass die EU auch beim Thema CO2-Entnahme aus der Atmosphäre eine Führungsrolle einnehmen könnte. Die Europäische Union ist nach wie vor der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit, Europa trägt ein hohes Maß an historischer Verantwortung für den Klimawandel und die EU hebt beständig ihre Führungsrolle im globalen Klimaregime hervor.20 Klimaökonomische Modelle zur globalen Emissionsminderung gehen davon aus, dass die EU im Verlauf des 21. Jahrhunderts zu den größten »Produzenten« von CDR zählen und etwa 50 Gt beisteuern wird, mehr als das Zehnfache ihrer derzeitigen Emissionen, aber zugleich weniger als 10 Prozent des globalen CDR-Gesamtvolumens.21 Wenn es der Weltgemeinschaft tatsächlich gelingen soll, auf dem Weg zur Einhaltung des Pariser Zielkorridors Netto-Negativ-Emissionen zu erreichen, wird die EU nicht umhinkommen, sich langfristig Minderungsziele von mehr als 100 Prozent zu setzen. Doch bisher spielt der Ansatz der Entnahme von atmosphärischem CO2 in der klimapolitischen Debatte innerhalb der EU nur eine Nebenrolle.
Irritation des klimapolitischen Paradigmas
Zwar hat sich die EU einer wissenschaftsbasierten Klimapolitik verschrieben, dennoch kann ihre bisherige Zurückhaltung beim Thema CO2-Entnahme nicht überraschen. Pläne für die Umgestaltung volkswirtschaftlicher Sektoren und reale Umbauprozesse – etwa von nationalen Energiesystemen – folgen üblicherweise nicht den Optimierungsannahmen in komplexen globalen Klimaschutzszenarien. Um abzuschätzen, in welcher Weise der (unkonventionelle) Ansatz der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre in die europäische Klimapolitik integriert werden könnte, gilt es nicht nur zu beleuchten, wie CDR in das bestehende Setting aus politischen Präferenzen, ökonomischen Interessen und nationalen Infrastrukturen passt. Ebenso wichtig ist es zu analysieren, wie sich der neue Klimaschutzansatz zu dem in Europa dominierenden klimapolitischen Paradigma verhält. Dieses ist in den letzten beiden Dekaden von dem Narrativ geprägt gewesen, dass wissenschaftlich begründete Zielvorgaben für eine Emissionsminderung und die Förderung klimafreundlicher Technologien dazu beitragen werden, das globale Klimasystem zu stabilisieren und gleichzeitig »grünes Wachstum« in Europa zu generieren.22
Dieses innerhalb der EU von den wichtigsten Akteuren geteilte kognitive Problemlösungsmodell23 ist seit mindestens zwei Jahrzehnten relativ stabil und die dafür geschaffenen Instrumente haben dementsprechend einen hohen Grad an Institutionalisierung erreicht. Die im Politikfeld Klimaschutz zentralen Akteure (Europäische Kommission und Mitgliedstaaten Nordwesteuropas) zählen in der EU auch insgesamt zu den einflussreichsten Kräften. Gleichzeitig hat sich die Vetomacht Polens und der Visegrád-Gruppe in den vergangenen zehn Jahren spürbar abgeschwächt, nicht zuletzt weil die Green Growth Group der klimapolitisch progressiveren Mitgliedstaaten verstärkt bereit ist, die Möglichkeit zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Rat zu nutzen, und nicht mehr in jeder Grundsatzfrage einen Konsens sucht oder entsprechende Entscheidungen an den Europäischen Rat delegiert.24 Zudem hat das Europäische Parlament (EP) in den Gesetzgebungsverfahren seit 2014 weiter an Gewicht gewonnen.
CDR birgt ein beträchtliches Irritationspotential für die klimapolitische Erfolgsstory Europas.
Die EU-Klimapolitik ist polyzentrisch organisiert25 und stützt sich seit mehr als 20 Jahren auf eine breite, über die EU-Organe hinausreichende Akteurskonstellation. Diese umfasst eine vergleichsweise umweltfreundlich eingestellte Bevölkerung und schlagkräftige Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Sie gesteht Wissenschaftlern eine starke Rolle in der Politikformulierung zu und setzt auf Unternehmen, die massiv in emissionsvermeidende Technologien investieren. Daneben gibt es inzwischen kaum noch relevante Akteure, die eine ambitionierte Klimapolitik grundsätzlich ablehnen. So stellt etwa die energieintensive Industrie ehrgeizige Langfristziele nicht mehr als solche in Frage. Ihre Kritik erschöpft sich in der Regel darin, den geplanten Umfang ihres Beitrags zur Erfüllung dieser Ziele in Zweifel zu ziehen. Da – trotz anderslautender Befürchtungen vor den Europawahlen 2019 und im Unterschied zu den USA oder Australien – auch Klimawandelleugner in der EU bislang keinen nennenswerten politischen Einfluss haben, existiert in der EU kein konkurrierendes Paradigma, keine machtvolle klimapolitische Gegenerzählung.26
Es kann kaum bestritten werden, dass der klimapolitische Ansatz der EU in der Vergangenheit vergleichsweise erfolgreich war. Die Emissionen sind von 1990 bis 2018 bereits um mehr als 20 Prozent gesunken,27 womit die EU im Vergleich der westlichen Industriestaaten weit vorne liegt und ihren Anspruch auf eine Führungsrolle in der internationalen Klimapolitik legitimiert.28 Da innerhalb der EU ein breites Interesse daran besteht, diese europäische Erfolgsgeschichte fortzuschreiben – nicht zuletzt um der grassierenden Wahrnehmung einer krisengeschüttelten oder nur eingeschränkt handlungsfähigen Union entgegenzuwirken – verhalten sich die klimapolitischen Akteure tendenziell risikoavers. In diesem Kontext ist mit einer Debatte über das Verfahren der systematischen Entnahme von atmosphärischem CO2 zwar keine direkte Infragestellung des dominanten Paradigmas verbunden, das auf die Vermeidung eines gefährlichen, durch anthropogene Emissionen verursachten Klimawandels ausgerichtet ist. Allerdings birgt CDR ein beträchtliches Irritationspotential für die klimapolitische Erfolgsstory Europas.
Denn eine unvermittelte Anerkennung der Notwendigkeit, dass der Atmosphäre in großem Umfang CO2 entnommen werden muss bis hin zu Netto-Negativ-Emissionen, ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, dass es in der – maßgeblich von der EU vorangetriebenen – globalen Klimapolitik seit Jahrzehnten grundlegende Versäumnisse gibt, die mit konventionellen Klimaschutzmaßnahmen allein nicht mehr ausgeglichen werden können. Die EU selbst mag in der Lage sein, ihre klimapolitische Bilanz gegen den Eindruck des Scheiterns zu verteidigen. Dies wirft aber die Frage auf, warum ausgerechnet die EU die Last tragen sollte, nun auch bei CDR auf internationaler Ebene zum Vorreiter zu werden. Wäre dies einfach nur Ausdruck ihrer globalen politischen Verantwortung oder könnten die europäischen Volkswirtschaften von einem unkonventionellen klimapolitischen Ansatz zumindest langfristig auch profitieren? Es ist durchaus fraglich, ob umfangreiche EU-Programme zu CO2-Entnahme-Methoden wie BECCS und (Wieder-)Aufforstung das Versprechen positiver Nebeneffekte, das mit der gegenwärtigen Klimapolitik eng verknüpft ist (beispielsweise »grünes« Wachstum, mehr Arbeitsplätze, verbesserte lokale Luftqualität und eine geringere Abhängigkeit von Energieimporten), würden stützen können.
Mitentscheidend dafür, ob das Konzept der gezielten CO2-Entnahme in die EU-Klimapolitik integriert wird, dürfte sein, welche Deutungsmuster die Klimaschutzdebatte mittelfristig prägen werden. Ein nicht zu unterschätzender Einfluss wird vom Status von CDR in den künftigen UNFCCC-Verhandlungen ausgehen, von den (wahrgenommenen) Erfahrungen mit CDR-Programmen und -Methoden in anderen G20-Ländern, von der Rolle der CO2-Entnahme in IPCC-Szenarien und nicht zuletzt von der Positionierung europäischer Umweltverbände und Unternehmen. Wird CDR primär als problemadäquate Antwort auf den fortschreitenden Klimawandel verstanden, als sinnvolle Erweiterung des bestehenden klimapolitischen Portfolios, möglicherweise sogar als Umsetzung des in der europäischen Umweltpolitik vielbeschworenen Vorsorgeprinzips (precautionary principle) im Sinne eines vorausschauenden Risikomanagements? Oder wird man den Ansatz der Entnahme von atmosphärischem CO2 eher als Unterminierung einer ehrgeizigen Klimaschutzpolitik deuten, als dubiosen Versuch, notwendige Emissionsminderungen weiter in die Zukunft zu verschieben, in der vagen Hoffnung, dass künftige Generationen neue technische Lösungen finden werden?29 Solche Bewertungen entwickeln sich selbstverständlich nicht in einem politischen oder gesellschaftlichen Vakuum. Neue Problembeschreibungen und Lösungsansätze können nicht ohne Auswirkung auf die Relevanz bisher genutzter Politikinstrumente und die Beziehungen zwischen den maßgeblichen Akteuren bleiben.30 Deshalb wird die Frage, welchen Akteursgruppen unter einem sich wandelnden Paradigma mehr und welchen weniger Verantwortung zufallen würde, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen, ein zentraler Faktor in den Erwägungen der Regierungen, Fachpolitiker, Branchenverbände, Unternehmen und NGOs sein.
Normalisierung des CO2‑Entnahme‑Ansatzes
Sieht man einmal von forstwirtschaftlichen Maßnahmen ab,31 so kann sich die europäische Klimaschutzpolitik in puncto CDR derzeit noch nicht auf ausgereifte CO2-Entnahme-Verfahren stützen, bei denen absehbar wäre, zu welchen Kosten sie realisiert werden könnten und wer von ihrem Einsatz profitieren würde. Ähnlich wie jene auf globaler Ebene wird sich auch die europäische Debatte zunächst auf konzeptionelle Aspekte der CO2-Entnahme fokussieren und erst in einem späteren Schritt auf konkrete Methoden, also zunächst weit mehr auf Fragen des »Warum« und »Wie viel« als auf das »Wie«.
Eine ernsthafte Diskussion über die Notwendigkeit von Netto-Negativ-Emissionen findet auf EU-Ebene bislang nicht statt.
Dass eine Debatte über CDR in der EU und ihren Mitgliedstaaten so lange nicht stattgefunden hat, liegt auch an der verzögerten Anpassung der europäischen Emissionsminderungsziele an die globalen Szenarien des IPCC. Das 2009 vom Europäischen Rat beschlossene EU-Minderungsziel von 80–95 Prozent bis 2050 bezog seine politische Legitimation aus einem expliziten Rückgriff auf eine Tabelle aus dem 4. IPCC-Sachstandsbericht von 2007, der 80–95 Prozent als angemessenen Minderungsbeitrag der Industrieländer darstellte. Da der 5. IPCC-Sachstandsbericht 2013 auf eine entsprechende Tabelle verzichtete, entwickelte sich in der EU anschließend keinerlei Diskussion über eine Anpassung des Klimaziels für 2050.32 Dies änderte sich erst nach der Einigung auf das Pariser Abkommen. Während europäische NGOs zunächst argumentierten, die Etablierung des globalen 1,5-Grad-Ziels erfordere, dass die EU ihr Minderungsziel auf 95 Prozent verschärfe, setzte sich mit dem IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel 2018 eine neue Zielmarke durch, die binnen kürzester Zeit als Maßstab für alle klimapolitischen Akteure in den Industriestaaten leitend geworden ist: Netto-Null-Emissionen bzw. Treibhausgasneutralität.33 Die Differenzierung zwischen einzelnen Ländern, aber auch Städten, Branchen und Unternehmen erfolgt nun über das Jahr, bis zu dem die Netto-Null erreicht werden soll. Der IPCC gibt dafür inzwischen nur noch globale Durchschnittswerte an und verzichtet auf jegliche Unterscheidung zwischen Ländergruppen, um genuin politischen Verhandlungen nicht vorzugreifen. Für eine mindestens 50-prozentige Chance, die globale Erwärmung bis 2100 bei 1,5 Grad zu stabilisieren, müssten die THG-Emissionen bis 2067 die Null-Linie erreichen (die leichter zu reduzierenden CO2-Emissionen bereits bis 2050) – um anschließend weit in »negatives Territorium«34 vorzustoßen. Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten leiten aus den IPCC-Zahlen ab, dass die EU den Status der Treibhausgasneutralität bis 2050 erreicht haben sollte (siehe Abbildung 1, S. 9, und Tabelle 1).35 Die Mehrzahl der europäischen NGOs fordert indessen eine THG-neutrale EU bis spätestens 2040. Eine ernsthafte Diskussion über die Notwendigkeit, dass Europa danach Netto-Negativ-Emissionen erreichen muss, findet auf EU-Ebene bislang nicht statt – auch wenn dies als langfristige Option in der Verordnung über das Governance-System für die Energieunion bereits angelegt ist.36
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i Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC), Global Warming of 1.5 °C. [wie Fn. 3], Tabelle 2.4. ii European Commission, In-Depth Analysis in Support of the COM(2018) 773, Brüssel, 28.11.2018. Quelle: siehe Fn. 51. iii Wert basiert auf Fortschreibung des Emissionsminderungspfads von 80–95 Prozent bis 2050. |
Dass sich die klimapolitische Debatte auf Netto-Null-Ziele refokussiert, hat einen (weitgehend unintendierten) Nebeneffekt: Der Ansatz der CO2-Entnahme beginnt sich zu normalisieren. Während ein 80–95-Prozent-Ziel sicherlich ohne CDR erreicht werden könnte, ist dies bei einem Reduktionsziel von 100 Prozent unmöglich – und das ganz unabhängig vom Zieljahr (siehe Abbildung 1, S. 9). Alle klimapolitischen Akteure (auch die umweltpolitischen NGOs) akzeptieren grundsätzlich, dass auch in einer treibhausgasneutralen EU noch residuale Emissionsquellen existieren werden, weil diese sich nicht oder nur zu sehr hohen Kosten eliminieren lassen – etwa in der Landwirtschaft, der Stahl- und Zementindustrie oder dem Luftverkehr.37 Diese Restemissionen können physisch nur mit dem Einsatz von CO2-Entnahme-Methoden ausgeglichen werden.38
Neue Regeln, ähnliches Spiel
Die Implementierung eines Netto-Null-Ziels wird nicht einfach nur eine europaweite Verschärfung der klimapolitischen Anforderungen mit sich bringen; mit der Normalisierung des CO2-Entnahme-Ansatzes entsteht zugleich auch eine neue Flexibilitätsressource. Netto-Null wird einerseits erstmals alle Branchen und Mitgliedstaaten ins Blickfeld ambitionierter Klimapolitik rücken und damit auch politisch durchsetzungsstarke Sektoren wie die Agrarwirtschaft oder Mitgliedstaaten mit sehr niedrigem Pro-Kopf-Einkommen wie Bulgarien und Rumänien. Alle Emittenten werden unter erhöhten Begründungsdruck geraten, auch solche, die bislang implizit davon ausgingen, dass ihr Treibhausgasausstoß zu einem großen Teil unter jene 5–20 Prozent fallen wird, die ein EU-Minderungsziel von 80 bis 95 Prozent bis 2050 noch übrig ließ. Die Vorgabe Netto Null wird andererseits aber auch eine Debatte über die Art und den Umfang residualer Emissionen und deren Ausgleich durch gezielte CO2-Entnahmen befördern. Viele Regierungen, Branchen und Unternehmen, die unter einem zunehmenden Veränderungsdruck stehen, damit sie immer ehrgeizigere Emissionsminderungsziele auch tatsächlich erreichen, werden in CDR zunächst vor allem eine neue politische Flexibilitätsressource sehen, ohne zwingend selbst einen Einsatz entsprechender Verfahren zu planen. Zugleich wird eine sich allmählich herausbildende politische wie ökonomische Nachfrage nach CDR auch potentielle Anbieter von CO2-Entnahmen auf den Plan rufen, die sich zutrauen, die entstehenden Marktchancen zu nutzen.
Der Ansatz der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre wird das Feld der Klimapolitik erweitern.
Die Integration von CDR in ein Netto-Null-Zielprogramm geht somit nicht mit einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der EU-Klimapolitik einher und ebenso wenig wird sie zu grundlegenden Veränderungen in der Interaktion der zentralen Akteure führen.39 Der Ansatz der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre wird jedoch das Feld der Klimapolitik erweitern, indem die Zahl der Deutungs- und Handlungsvariablen zunehmen wird. Die Normalisierung des Konzepts der gezielten Entnahme von atmosphärischem CO2 wirft unmittelbar Fragen der Konvergenz und Gerechtigkeit auf, vornehmlich zwischen Mitgliedstaaten und zwischen Emissionssektoren bzw. Branchen: Wer darf länger oder gar dauerhaft oberhalb der Null-Linie bleiben? Wer organisiert und wer zahlt die CO2-Entnahmen?
Wenn es möglich ist, residuale Emissionen durch CO2-Entnahmen auszugleichen um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, dann ist es selbstverständlich ebenfalls denkbar, dass einzelne Staaten oder Branchen (etwa solche mit einem geringen Anteil residualer Emissionen oder günstigen Bedingungen für den Einsatz von CDR-Methoden) deutlich mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als sie selbst noch an Treibhausgasen ausstoßen. Diese akteursspezifische Netto-Negativ-Option gäbe anderen Staaten oder Branchen (etwa solchen mit einem hohen Anteil an residualen Emissionen, ungünstigen Bedingungen für den Einsatz von CDR-Methoden oder schwierigen ökonomischen Voraussetzungen) die Option, ihre Emissionen im Rahmen einer EU-weiten Netto-Null-Zielvorgabe (noch) nicht um 100 Prozent reduzieren zu müssen.40 Vor diesem Hintergrund hat Polen, als der Europäische Rat im Dezember 2019 das Klimaneutralitätsziel 2050 erstmals beschloss, die Formulierung durchgesetzt, dass »ein Mitgliedstaat […] sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten [kann], dieses Ziel für sich umzusetzen«.41 Bei der Veröffentlichung ihres Entwurfs für ein EU-Klimagesetz hat die Kommission dieser Position Rechnung getragen, indem sie nicht etwa vorschlägt, dass alle Mitgliedstaaten 2050 klimaneutral sein müssen, sondern Klimaneutralität als »Unionsziel« definiert, das von der EU insgesamt zu erreichen ist.42 Diese Klauseln, die für die klimapolitisch interessierte Öffentlichkeit nicht leicht zu deuten sind, erlauben es den progressiven Mitgliedstaaten der Green Growth Group zunächst noch, der Frage auszuweichen, ob sie bereit sind, sich zugunsten Polens und anderer potentieller Nachzügler bereits für 2050 auf nationale Reduktionsziele von mehr als 100 Prozent zu verpflichten. Aus Sicht der Vorreiterstaaten wäre in einem solchen Fall nicht zuletzt fraglich, ob und wann sie aus ihrem Vorsprung bei der Entwicklung von CO2-Entnahme-Verfahren jemals einen ökonomischen Vorteil ziehen können. Ein naheliegender Ausweg läge darin, EU-weit finanzielle Anreize für das Generieren von negativem CO2 zu setzen und entsprechende Gutschriften länder- und branchenübergreifend nutzbar zu machen. Dies würde in letzter Konsequenz aber bedeuten, dass Staaten und Unternehmen mit objektiv schwierigeren Ausgangsbedingungen höhere Kosten zu tragen hätten. Zudem müsste vor dem Hintergrund der derzeitigen Struktur der EU-Klimapolitik – die Emissionsminderungsverpflichtungen der Staaten und Unternehmen über deren eindeutige Zuordnung zu drei regulatorischen Säulen (Emissionshandel, mitgliedstaatliche Lastenteilung und Landnutzung / Forstwirtschaft) organisiert – dann bereits vorab definiert werden, welche Akteursgruppen langfristig verpflichtet wären, Überschüsse an negativem CO2 bereitzustellen.
Akteure und Positionierungen
Angesichts ihres Anspruchs, die eigene Klimapolitik (zumindest diskursiv) am klimawissenschaftlichen Konsens zu orientieren, wird es für die EU nicht mehr darum gehen, ob sie CDR einsetzen wird, sondern nur noch, wie. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Integration des CO2-Entnahme-Ansatzes in den kommenden Jahren im Wesentlichen auf die konzeptionell-modellierende Ebene beschränkt bleibt und sich (noch) nicht in einer konsistenten Handlungspraxis widerspiegelt – ein in der Klimapolitik weit verbreitetes Phänomen.43 Ein erstes wichtiges Gelegenheitsfenster wird sich im Umfeld der Entscheidung über eine Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030 öffnen, die für Ende 2020 erwartet wird – entweder bereits in den strategischen Festlegungen über Höhe und Struktur des Ziels, spätestens aber in den nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung der drei wichtigsten klimapolitischen Rechtsakte der Union: der Emissionshandelsrichtlinie, der Lastenteilungsverordnung und der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land-Use, Land-Use Change and Forestry, LULUCF).
Aus gegenwärtiger Sicht lässt sich nur begrenzt einschätzen, wie die Integration von CDR in die europäische Klimapolitik verlaufen wird.
Aus gegenwärtiger Sicht lässt sich nur begrenzt einschätzen, wie die Integration von CDR in die europäische Klimapolitik verlaufen wird, denn viele der in diesem Feld relevanten Akteure (EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäisches Parlament, regulatorisch mit der EU verknüpfte Nachbarstaaten, Unternehmen und umweltpolitische NGOs) haben bislang noch keine substantielle – und damit potentiell stabile – Position zur Rolle gezielter CO2-Entnahmen erarbeitet. Ebenso wenig gibt es aussagekräftige Untersuchungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz von CDR bzw. einzelner CDR-Methoden.44
Europäische Kommission
Die Kommission ist eine der treibenden Kräfte bei der Integration von CDR in die EU-Klimapolitik. Sie ist schon vor mehr als einer Dekade dafür eingetreten, den Ansatz der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre in globale Klimaschutzszenarien des IPCC aufzunehmen. Seither hat sie die Etablierung der zugrundeliegenden Modellierungsinfrastrukturen in der Klimaökonomie entscheidend befördert.45 In EU-internen Klimaschutzszenarien spielte die planmäßige CO2-Entnahme jedoch lange Zeit keine Rolle. Dies änderte sich erst Ende 2018 mit der Vorlage eines Entwurfs für eine neue Klima-Langfriststrategie, dem formellen Auftakt für die Beratungen der Mitgliedstaaten über ein neues EU-Klimaziel 2050.46 Mit diesem Strategiepapier verankerte die Kommission nicht nur die Netto-Null-Vision in der EU-Klimapolitik. Sie erklärte gezielte CO2-Entnahmen auch explizit zu einer der strategischen Prioritäten beim Verfolgen einer Netto-Null-Politik. Zwar liegt das Hauptaugenmerk künftiger Anstrengungen auch weiterhin auf der Vermeidung von THG-Emissionen. Die Umfänge residualer Emissionen und der damit korrespondierenden CO2-Entnahmen fallen im Jahr 2050 jedoch beträchtlich aus (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2 |
Quelle: Europäische Kommission, Ein sauberer Planet für alle. Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft, KOM(2018) 773, Brüssel, 28.11.2018. |
Bei den technologischen CDR-Methoden setzt die Kommission bislang nur auf BECCS und DACCS. Diese sollen ab 2035 zum Einsatz kommen.
In der Kombination zweier unterschiedlicher Netto-Null-Szenarien (einmal mit höheren, einmal mit relativ niedrigen Anteilen an technologiebasiertem CDR) geht die Kommission in ihrer begleitenden technischen Analyse47 für 2050 von residualen Emissionen von über 550 Megatonnen aus, die durch CDR auszugleichen wären, was etwa 10 Prozent der EU-Emissionen im Jahr 1990 entspricht. Das Strategiedokument der Kommission sieht vor, die CO2-Entnahmen aus Landnutzung und Forstwirtschaft entgegen dem derzeitigen Trend wieder auszubauen und die Landsenke zukünftig vollumfänglich auf das EU-Klimaziel anzurechnen. In der Emissionsberichterstattung der EU und ihrer Mitgliedstaaten werden die (zumeist negativen) LULUCF-Emissionen jeweils separat ausgewiesen. Bis 2020 werden sie gar nicht auf die Erfüllung des EU-Emissionsminderungsziels (20 Prozent) angerechnet. Für die Erfüllung des 2030-Ziels (40 Prozent) ist dies zu einem kleinen Teil möglich, aber nur insoweit sich einzelne Mitgliedstaaten dafür entscheiden, die individuell festgeschriebenen Höchstmengen an LULUCF-Gutschriften bei der Einhaltung ihrer Minderungsverpflichtungen gemäß der Lastenteilungsverordnung einzusetzen. Bei den technologischen CDR-Methoden setzt die Kommission bislang ausschließlich auf BECCS und DACCS. Diese sollen ab 2035 zum Einsatz kommen.48
Während die Kommission die Entnahme von atmosphärischem CO2 konzeptionell also stark aufwertet, lässt sich bisher noch nicht abschätzen, wie sich dies in der politisch-administrativen Praxis auswirken wird. In der Mitteilung zum European Green Deal finden CDR-relevante Initiativen mit einer Ausnahme – der Entwicklung einer neuen EU-Forststrategie – keine Erwähnung.49 Im Kommissionsentwurf zum Europäischen Klimagesetz hingegen wird explizit auf den notwendigen Einsatz von »natürlichen und technologischen« Entnahmemethoden verwiesen, um das Ziel der THG-Neutralität EU-weit erreichen zu können.50 Über das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 werden bereits CDR-Forschungsprojekte gefördert. Politisch unterstützt die Kommission zudem neue Projekte zur Abscheidung, zum Transport und zur geologischen Speicherung von CO2 (Port of Rotterdam und Northern Lights). Sie hat darüber hinaus angekündigt, aus den Mitteln des circa 10 Milliarden Euro umfassenden Innovationsfonds, der ab 2021 Teil des Emissionshandelssystems (Emissions Trading System, ETS) ist, auch Pilot- und Demonstrationsanlagen für CCS und CDR zu fördern.
Mitgliedstaaten
Die Mitgliedstaaten lassen bislang kaum erkennen, wie sie mit dem Thema CO2-Entnahme künftig strategisch umgehen wollen. Dies wird sich im Zuge der Konkretisierung eines EU-weiten Netto-Null-Ziels ändern. Ein Blick auf die Mitgliedstaaten, die bereits nationale Ziele zur Treibhausgasneutralität verabschiedet haben, zeigt allerdings, dass dies meist ohne detaillierte Überlegungen darüber geschieht, mit welchem Niveau an residualen Emissionen im ersten Netto-Null-Jahr zu rechnen ist und wie die entsprechenden CO2-Entnahmen realisiert werden sollen. Selbstverständlich stehen auch bei einem THG-Neutralitätsziel klassische Emissionsreduktionen im Vordergrund, bei der Verkündung entsprechender Ziele allerdings nicht selten auch das Politikmarketing. Zwar haben die Regierungen von Schweden (2045), Portugal (2050), Frankreich (2050), Finnland (2035) und Österreich (2040) bereits nationale Netto-Null-Ziele beschlossen, und auch Deutschland (2050) hat sich in seinem Ende 2019 verabschiedeten Bundes-Klimaschutzgesetz dazu bekannt; doch in keinem dieser Länder kann bisher von einer planvollen nationalen CDR-Politik die Rede sein. Dementsprechend fehlt es auch an einer aktiven Positionierung in dieser Frage auf EU-Ebene.51
Regierungen entwickeln ihre Haltung jedoch nicht selten auch reaktiv, in Bezug auf konkrete Pläne der EU-Kommission oder die Positionierungen anderer Mitgliedstaaten. Eine besondere Bedeutung dürfte dabei der künftigen Haltung derjenigen Mitgliedstaaten zukommen, deren derzeitige Emissionsprofile vergleichsweise hohe Mengen an residualen Emissionen erwarten lassen, und derjenigen, die sich aus politischen oder volkswirtschaftlichen Gründen nicht darauf einlassen wollen, Netto-Null-Emissionen bereits 2050 zu erreichen. Zur ersten Gruppe zählt Irland, wo 33 Prozent der Gesamtemissionen aus der Landwirtschaft stammen, ein großer Teil davon Methan und Lachgas, die sich, sofern man an den derzeitigen Produktionsstrukturen festhält, nur unter großem Aufwand oder überhaupt nicht eliminieren lassen werden. Irland dürfte es sehr schwerfallen, die voraussichtlich hohen Mengen an Residualemissionen mit CO2-Entnahmen vollständig selbst auszugleichen.52 Dies gilt umso mehr, als Irland gegenwärtig zu der sehr kleinen Gruppe von Mitgliedstaaten zählt, bei der LULUCF keine Nettosenke, sondern eine Emissionsquelle darstellt. Sollte der nicht unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sich Irland für außerstande erklärt, auf nationalem Territorium Netto-Null-Emissionen erreichen zu können, wäre damit die Erwartung verbunden, dass in anderen Mitgliedstaaten Netto-Negativ-Emissionen generiert werden.
Die zweite Gruppe wird derzeit von Polen angeführt, dessen Regierung in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats zum Netto-Null-Ziel 2050 hat festhalten lassen, dass das Land »sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten [kann], dieses Ziel für sich umzusetzen«. Die polnische Regierung hat in den Verhandlungen mehrfach den Standpunkt vertreten, dass ein nationales Netto-Null-Niveau kaum vor 2070 vorstellbar sei. Auch dies würde aus heutiger Sicht bedeuten, dass die Emissionen einiger anderer EU-Mitgliedstaaten zur Jahrhundertmitte bereits netto negativ sein müssten, und das aufgrund des relativ großen Umfangs der polnischen Emissionen in beträchtlichem Ausmaß.53 Sowohl für Irland als auch für Polen lässt sich durchaus begründen, warum das Erreichen des Netto-Null-Ziels noch herausfordernder ist als im EU-Durchschnitt. Ob, und wenn ja, unter welchen Bedingungen dieser Umstand anerkannt werden wird, ist vor allem eine Frage der Verhandlungsmacht der betreffenden Regierungen.
Dass manche EU-Mitgliedstaaten – vor allem jene im Norden und Westen – im Klimaschutz größere Anstrengungen unternehmen als andere, ist dabei keineswegs neu. Jedoch dürfte die aus heutiger Sicht paradox scheinende Erwartung, dass manche Länder vor 2050 unter Null gehen sollen, damit andere (erst einmal) über Null bleiben können, in klimapolitisch ehrgeizigen Mitgliedstaaten auf einigen Widerspruch stoßen – insbesondere solange mit dem Einsatz von Entnahmemethoden keine wirtschaftlichen Vorteile erzielt werden können. Ein näherer Blick auf jene Länder und Regierungen, die bereits Netto-Null-Ziele verabschiedet haben, zeigt jedoch, dass die Planungen für gezielte CO2-Entnahmen noch am Anfang stehen:
In Österreich hat die neue Regierungskoalition Anfang 2020 zwar ein überraschend ehrgeiziges Klimaneutralitätsziel für 2040 angekündigt, jedoch nicht skizziert, ob sich der Emissionspfad bis 2050 unter die Null-Linie bewegen soll. Hinsichtlich des Ausgleichs residualer Emissionen wird Österreich vorrangig auf LULUCF-Senken setzen.54 In Finnland hat sich die Regierung, die 2019 ins Amt gekommen ist, auf ein Netto-Null-Ziel für 2035 als Zwischenschritt zu Netto-Negativ-Emissionen geeinigt. Konkrete Maßnahmen, um diese selbstgestellte Vorgabe zu erfüllen, sind im NEKP jedoch noch nicht abgebildet. Für den Ausgleich residualer Emissionen setzt Finnland erklärtermaßen auf eine Ausweitung der Senken aus Landnutzung und Forstwirtschaft und kündigt für die CO2-Entnahme ein eigenständiges Unterziel an.55 Frankreich ist der einzige EU-Mitgliedstaat, der bereits in seinem NEKP ankündigt, zur Erreichung seines Nullemissionsziels eine technologische CO2-Entnahme-Methode einzusetzen. Im Jahr 2050 sollen aus BECCS 10 Megatonnen beigesteuert werden. Allerdings hat die Regierung in Paris bisher nicht spezifiziert, wie die entsprechenden Kapazitäten aufgebaut werden könnten und wo das CO2 gespeichert werden soll.56 In Portugal hat sich die Regierung bereits 2016 dazu bekannt, das Land bis 2050 THG-neutral zu machen, und mögliche Wege dorthin 2019 in einer nationalen Langfriststrategie skizziert. Zum Ausgleich residualer Emissionen ist ausschließlich die LULUCF-Senke vorgesehen.57
Deutschland hat sich mit dem Klimaschutzgesetz vom Dezember 2019 ausdrücklich auch zum Netto-Null-Ziel 2050 bekannt. Bislang ist aber nicht deutlich geworden, in welchem Umfang CO2-Entnahmen notwendig sein dürften und mit welchen Methoden sie realisiert werden sollen.58 Während das Klimaschutzgesetz auf die Rolle von LULUCF verweist, erwähnt der NEKP-Entwurf den möglichen Einsatz sowohl biologischer als auch technischer CDR-Verfahren, ohne jedoch ins Detail zu gehen.59 Antworten der Bundesregierung auf einschlägige parlamentarische Anfragen60 legen nahe, dass die Präferenz derzeit auf dem Ausbau der LULUCF-Senke liegt. Der Grund dafür ist nicht nur, dass diese Senke derzeit nur circa 2 Prozent der Emissionen von 1990 ausmacht und damit weit unter dem EU-Durchschnitt liegt.61 Die Bevorzugung von LULUCF als CO2-Entnahmequelle ist auch auf die in Deutschland nur geringe Akzeptanz für die geologische Speicherung von CO2 zurückzuführen, wie sie bei BECCS und DACCS zur Anwendung käme.62
Am fortgeschrittensten ist die CDR-Debatte innerhalb der EU bislang in Schweden. Dort hat man sich bereits 2016 auf ein Nullemissionsziel für 2045 festgelegt, ähnlich wie Finnland explizit mit der Perspektive, anschließend Netto-Negativ-Emissionen zu generieren. Allerdings wurde bei der Verkündung des Netto-Null-Ziels lediglich definiert, dass 85 Prozent mit konventionellen Klimaschutzmaßnahmen erreicht werden sollen. Eine Regierungskommission wurde 2018 damit beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie die verbleibenden 15 Prozent realisiert werden können. Im Gespräch sind etwa eine stärkere Anrechnung der LULUCF-Senken, die Nutzung von internationalen Gutschriften oder technologische CO2-Entnahme-Methoden. Der entsprechende Bericht wurde erst im Januar 2020 vorgelegt,63 eine Grundsatzentscheidung der schwedischen Regierung zum Umgang mit CDR steht noch aus. Im Klimaaktionsplan, den die Regierung Ende 2019 vorgelegt hat, wird bereits ein Engagement zur Förderung von BECCS angekündigt. Dieses Verfahren ließe sich in Schweden nicht nur in Biomasse-betriebenen Strom- und Wärmekraftwerken einsetzen, sondern auch in der Papier- und Zellstoffproduktion, die für einen großen Teil der industriellen Emissionen verantwortlich ist.64 Würde Schweden dazu übergehen, seine sehr umfangreichen CO2-Entnahmen aus Landnutzung und Forstwirtschaft voll auf die Erfüllung des nationalen Klimaziels anzurechnen, könnte das Land ein Netto-Null-Emissionsniveau schon vor 2030 erreichen.65
Regulatorisch verknüpfte Nachbarstaaten
Die Klimapolitik der EU regelt nicht nur die Emissionsquellen und -senken ihrer derzeit 27 Mitgliedstaaten. Über regulatorische Verknüpfungen hat sie direkt und indirekt auch Effekte auf einige europäische Nachbarstaaten. So sind Island und Norwegen als Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) auch Teil des EU-Emissionshandels. Ab 2021 fällt Norwegen mit eigenen nationalen Zielen auch unter die Lastenteilungs- und unter die LULUCF-Verordnung. Das nationale Emissionshandelssystem des Nicht-EWR-Mitglieds Schweiz wiederum ist seit 2020 mit dem EU ETS verknüpft. Im Falle des Vereinigten Königreichs gilt es als wahrscheinlich, dass das Land auch nach der noch laufenden Übergangsphase entweder Teil des EU-ETS bleibt oder – ähnlich wie die Schweiz – daran interessiert sein wird, einen national organisierten Emissionshandel mit dem der EU zu koppeln. Zudem ist zu erwarten, dass eine europäische Netto-Null-Politik auch die sehr großen CO2-Speicherkapazitäten ins Blickfeld rücken wird, über die Norwegen und Großbritannien unter dem Meeresboden der Nordsee verfügen.66 Aufgrund dieser vielfältigen Verflechtungen wird eine EU-Politik der gezielten CO2-Entnahme direkt und indirekt auch von diesbezüglichen Schritten in den genannten Nachbarländern mitgeprägt werden. Sollten die Schweiz, Norwegen oder Großbritannien CO2-Entnahmen zum integralen Bestandteil ihrer Klimapolitik machen, wird dies entsprechende Entwicklungen innerhalb der EU befördern.
Auch die Regierung der Schweiz hat 2019 ein Netto-Null-Ziel 2050 beschlossen. Die Details der neuen schweizerischen Klimastrategie sollen im Laufe des Jahres 2020 ausgearbeitet werden. Bereits in ihrer Ankündigung verweist die schweizerische Regierung darauf, dass zum Ausgleich der residualen Emissionen neben internationalen Projektgutschriften und natürlichen CO2-Speichern »auch Technologien zum Einsatz kommen, die der Atmosphäre Treibhausgase dauerhaft entziehen und diese speichern«, und dass heimische Industrie und Forschungseinrichtungen einen wichtigen Part bei der Entwicklung solcher Technologien übernehmen werden.67 Auf diese Weise versucht die schweizerische Regierung, den Ansatz der aktiven CO2-Entnahme unmittelbar in das dominante klimapolitische Paradigma zu integrieren und für ein grünes Wachstumsversprechen anschlussfähig zu machen. Damit hebt sie implizit auch die Rolle von Climeworks hervor, einem aus der ETH Zürich hervorgegangenen Unternehmen, das weltweit zu den führenden Herstellern von Direct-Air-Capture-Anlagen gehört.
Großbritannien ist derzeit weltweit das führende Land bei der Integration des CO2-Entnahme-Ansatzes. Dies dürfte vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen sein: erstens auf die institutionalisierte Einbindung wissenschaftlicher Expertise in den Politikprozess des Königreichs, die das britische Klimaschutzgesetz von 2008 gewährleistet, und zweitens auf das traditionell hohe Maß an Technologieoffenheit in der Klimapolitik des Landes. Das unabhängige Committee on Climate Change (CCC), das Regierung und Parlament in allen Fragen der Klimapolitik berät und in 5-Jahres-Schritten Vorschläge für nationale Emissionsbudgets unterbreitet,68 hat schon 2016 angeregt, für das Erreichen eines Reduktionsziels von 80 bis 90 Prozent bis 2050 in großem Umfang auf CDR-Methoden zu setzen und dabei insbesondere auf BECCS.69 Bereits 2017 lief das erste interdisziplinäre CDR-Forschungsprogramm an. Im gleichen Jahr nahm die Regierung CO2-Entnahme-Technologien explizit in ihre Clean Growth Strategy auf, während das CCC einen detaillierten Katalog an Fortschrittsindikatoren für CDR entwickeln ließ.70 So überrascht es nicht, dass eine von der Regierung in Auftrag gegebene CCC-Studie zu den Möglichkeiten, bis 2050 auf nationaler Ebene ein Netto-Null-Niveau zu erreichen, den umfangreichen Einsatz von CO2-Entnahme-Methoden empfiehlt.71 Nach der offiziellen Verabschiedung eines entsprechenden Ziels im Juni 2019 verkündete die Regierung schon im folgenden Herbst, dass sie ein Programm zur Förderung von CDR-Demonstrationsprojekten im Umfang von umgerechnet knapp 40 Millionen Euro auflegt.72 Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern liegen für das Vereinigte Königreich bereits eine Fülle von Studien zum technischen Potential und regulatorischen Anreizen für den Einsatz verschiedener CO2-Entnahme-Methoden vor.73 Die britische Regierung hat bislang allerdings noch nicht erkennen lassen, welche Methoden sie priorisieren will und welche Anreizsysteme sie dafür aufzubauen gedenkt.74
Europäisches Parlament
Obgleich das Europäische Parlament in seiner Mehrheit zu den klimapolitisch progressiveren Akteuren in der EU zu zählen ist, hat es sich bei der Frage gezielter CO2-Entnahmen bisher kaum hervorgetan. Zwar war es das EP, das bei den 2018 abgeschlossenen Verhandlungen zur Verordnung über das Governance-System für die Energieunion gegenüber dem Rat durchsetzte, dass die langfristige Option eines europäischen Netto-Negativ-Emissionspfads in dem Dokument ausdrücklich erwähnt wird. Daraus folgten jedoch keine wahrnehmbaren Aktivitäten des EP in Sachen CDR. In Initiativberichten wurde der CO2-Entnahme-Ansatz bis dato nicht in den Vordergrund gerückt. Auch in konkreten klimapolitischen Gesetzgebungsverfahren der vergangenen Legislaturperiode, – etwa bei den Novellen zur Emissionshandelsrichtlinie, zur Lastenteilungsverordnung und der Neuaufsetzung der LULUCF-Verordnung – hat ein dezidierter CDR-Ansatz keine Rolle gespielt. Es gibt derzeit keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, wie sich das EP in seiner derzeitigen Zusammensetzung positionieren würde, wenn eine verstärkte Integration von CDR in zentrale EU-Rechtsakte auf der Agenda stünde.
Unternehmen
Im Rahmen des europäischen klimapolitischen Paradigmas werden unternehmerische Akteure in zweifacher Weise angesprochen: Zum einen als (emittierende) Verantwortliche für das Problem und zum anderen als potentielle Innovationstreiber mit grünen Wachstumschancen. Das Gleiche gilt auch für die Thematik der CO2-Entnahme. Die Durchsetzung des Netto-Null-Ziels in fast allen europäischen Staaten bringt auf der Verantwortungsseite zunächst einmal die Erwartung mit sich, dass jedes Unternehmen Wege auslotet, seine Emissionen weitestmöglich zu eliminieren und den verbleibenden Rest auszugleichen.75 Zugleich steht zumindest implizit die Annahme im Raum, dass künftig eine signifikante Nachfrage nach CO2-Entnahmen entstehen wird, die innovativen Unternehmen auch Marktchancen bietet, weit über den eigenen Ausgleichsbedarf hinaus.
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, haben sich europäische Unternehmen und Branchenverbände bislang noch nicht zum Ansatz der CO2-Entnahme und dem dazu notwendigen Regulierungsrahmen positioniert.76 Eine Ausnahme stellt der in der Schweiz ansässige DAC-Anlagenbauer Climeworks dar, dessen Geschäftsmodell – das Ausfiltern von Kohlenstoffdioxid aus der Umgebungsluft – nur dann erfolgreich sein kann, wenn die CO2-Entnahme zum integralen Bestandteil der Klimapolitik der Industrie- und Schwellenländer wird. Da es für die geologische Speicherung von CO2 bisher noch keine wirksamen Anreizsysteme gibt, lassen sich DAC-Anlagen derzeit nur dann kommerziell einsetzen, wenn das aus der Luft abgeschiedene CO2 wiederverwendet wird, etwa in der Getränkeindustrie.77
Politisch weit mehr Gewicht besitzen Unternehmen, die CO2-Entnahmen zu einem integralen Bestandteil eines schon lange etablierten Geschäftsmodells machen wollen. Diese finden sich vor allem in Ländern mit Netto-Null-Zielen und fortgeschrittener CDR-Debatte. So plant etwa Stockholm Exergi, der Stromversorger und Fernwärmebetreiber der schwedischen Hauptstadt, nicht nur die weitgehende Dekarbonisierung seiner ohnehin schon überwiegend Biomasse-betriebenen Produktion, sondern will mit Hilfe von BECCS und Pflanzenverkohlung die Emissionen mittelfristig auch unter die Null-Linie bringen.78 Im Vereinigten Königreich hat der Betreiber des ehemals größten Kohlekraftwerkkomplexes des Landes, die Drax-Gruppe, angekündigt, die Stromproduktion nach und nach komplett auf Biomasse umzustellen und mit Hilfe von BECCS bis 2030 Netto-Negativ-Emissionen zu generieren.79 Beide Unternehmen betreiben bereits heute BECCS-Demonstrationsanlagen, stehen aber auf dem Standpunkt, dass die Aufnahme eines kommerziellen Betriebs staatlicher Unterstützungsleistungen bedarf. Während Drax davon ausgeht, das abgeschiedene CO2 auf britischem Hoheitsgebiet speichern zu können, sehen die Planungen von Stockholm Exergi vor, das CO2 nach Norwegen zu transportieren.
Dass Unternehmen aus dem Energiesektor zu den CDR-Pionieren zählen, ist durchaus naheliegend. Die Option, BECCS in Kraftwerken einzusetzen, dominiert bis heute die CDR-Portfolios in klimaökonomischen Szenarien. Auch das technologieorientierte der beiden Nullemissionsszenarien der EU-Kommission geht davon aus, dass der europäische Stromsektor im Jahr 2050 bereits 141 Megatonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt. Doch der zuständige Branchenverband hat sich diese Sichtweise noch nicht zu eigen gemacht: Die Langfristvision von Eurelectric geht davon aus, dass der europäische Stromsektor bis 2045 Netto-Null-Emissionen erreichen kann, auf Basis von Erneuerbaren und Kernenergie, aber ohne CDR. Von einem anschließenden Unterschreiten der Null-Linie ist in entsprechenden Strategiedokumenten bislang an keiner Stelle die Rede. Inwieweit der Stromsektor von einem Einsatz von CO2-Entnahme-Methoden finanziell profitieren könnte, hängt maßgeblich davon ab, wie die betreffende Regulierung ausgestaltet wird, wie die technische Entwicklung voranschreitet und welcher Preis pro negative Tonne CO2 sich bei potentiellen Nachfragern im Zertifikatehandel erzielen lässt. So geht das technologieorientierte Kommissionsszenario davon aus, dass im Jahr 2050 die Emissionen im gesamten ETS bei minus 50 Megatonnen liegen werden. Branchen wie der Stahl-, Zement-, Chemie- und Luftverkehrsindustrie werden nach wie vor residuale Emissionen zugestanden, die der Stromsektor mit CO2-Entnahmen (über)kompensiert.80 Außerhalb des Emissionshandels träte zudem die Agrarwirtschaft als großer Nachfrager für negatives CO2 auf. Die in diesem Sektor schwer bzw. nicht zu vermeidenden Emissionen könnten durch Entnahmemethoden wie Pflanzenverkohlung oder die erhöhte Kohlenstoffbindung in Böden ausgeglichen werden, vor allem aber durch die sehr viel größeren Senken aus der Forstwirtschaft.81 Ob aus dieser modellierten Konstellation tragfähige Geschäftsideen und Geschäftskonzepte entstehen, lässt sich aus heutiger Sicht kaum vorhersagen.82 Es lässt sich aber absehen, dass die Option der CO2-Entnahme die klimapolitischen Zukunftserwartungen von Unternehmen und Branchen verändern wird.
Nichtregierungsorganisationen
Umweltpolitische NGOs stellen nicht in Abrede, dass die von ihnen geteilte Nullemissionsvision ein Netto-Element beinhaltet, also residuale Emissionen und CDR. Bei ihnen ist aber durchgängig die Befürchtung präsent, dass die Aufwertung eines CO2-Entnahme-Ansatzes die Integrität der europäischen Klimapolitik unterminieren könnte – entweder auf einer konzeptionellen Ebene oder durch den Einsatz von Methoden, die die NGOs als problematisch einschätzen, insbesondere BECCS und DACCS. Verglichen mit der EU-Kommission und nationalen Regierungen treten NGOs generell für frühere Netto-Null-Zieldaten und niedrigere Volumina an residualen Emissionen bzw. CDR ein. So fordert der Dachverband der europäischen klimapolitischen NGOs, CAN Europe, ein Zieljahr 2040 und eine weitgehende Dekarbonisierung aller Emissionssektoren. Im Rückgriff auf das in den vergangenen Jahren populär gewordene Konzept »naturnaher Lösungen« (nature-based solutions)83 will CAN Europe den Einsatz der CO2-Entnahme-Methoden auf »erprobte« Praktiken wie die Wiederherstellung von Ökosystemen oder die Erhöhung der CO2-Speicherung in Böden beschränkt sehen.84 Technische Verfahren wie BECCS oder DACCS werden in Positionspapieren in der Regel gar nicht erwähnt oder aber als »künstlich« und »risikobehaftet« abgelehnt.85 Die politisch konstruierte Trennlinie zwischen »natürlichen« und »künstlichen« CDR-Methoden ist ein prägendes Element des europäischen NGO-Diskurses. Nur einzelne nationale Organisationen scheren aus dieser Argumentationslinie aus, etwa die britische Sektion des World Wildlife Fund for Nature (WWF), in deren Netto-Null-Szenario für 2045 technologische Methoden wie BECCS und DACCS höhere CDR-Volumina generieren als ökosystembasierte Ansätze.86
Der CO2-Entnahme-Ansatz: Einstiegspfade, Zielstruktur und Policy-Designs
Auf ihrem Weg zur Erfüllung der eigenen klimapolitischen Ziele wird die Europäische Union nicht umhinkommen, ergänzend zu weitreichenden Maßnahmen der klassischen Emissionsminderung auch den unkonventionellen Klimaschutzansatz der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre zu verfolgen. Dass der Einsatz von CDR-Methoden notwendig wird, dürfte der breiteren Öffentlichkeit erst dann bewusst werden, wenn die EU oder zumindest einige der umweltpolitisch progressiven Mitgliedstaaten Netto-Negativ-Ziele beschließen. Die Entnahme von atmosphärischem CO2 ist allerdings schon unabdingbar, um das bereits beschlossene Netto-Null-Ziel der EU bis 2050 zu erreichen, da nicht alle Emissionsquellen vollständig eliminiert werden können (etwa in der Landwirtschaft, in der Stahl- und Zementindustrie oder im Luftverkehr) und diese residualen Emissionen mit Hilfe von CDR-Methoden ausgeglichen werden müssen.
Zwar hat die Kommission damit begonnen, dem Konzept der CO2-Entnahme einen signifikanten Stellenwert einzuräumen. Doch es zeichnet sich bislang allenfalls rudimentär ab, welche Mitgliedstaaten, Parteienfamilien, Branchen, Unternehmen und NGOs den Entnahme-Ansatz voranbringen wollen, welche Koalitionen dabei entstehen und welche Methoden dabei präferiert werden. Da zudem noch kaum absehbar ist, wie sich die einzelnen Entnahmeverfahren in der kommenden Dekade technologisch und hinsichtlich ihrer Kosten entwickeln werden, lässt sich derzeit nicht prognostizieren, auf welche Weise und in welcher Geschwindigkeit sich der Übergang zu einer gezielten CO2-Entnahme-Politik vollziehen wird.87 Dementsprechend wäre es auch verfrüht, für die EU bereits sehr kleinteilige regulatorische Vorschläge auszuarbeiten.
Die Entnahme von atmosphärischem CO2 ist schon unabdingbar, um das bereits beschlossene Netto-Null-Ziel der EU bis 2050 zu erreichen.
Im Folgenden werden deshalb mit einem zurückhaltenden und einem proaktiven Einstieg zwei idealtypische Varianten skizziert, wie der Pfad hin zur Aneignung einer CDR-Politik in der kommenden Dekade verlaufen könnte. Der Fokus liegt dabei auf (klima)politischen Entscheidungen und ersten Ansätzen ihrer regulatorischen Implementierung.88 Belastbare Abschätzungen der damit jeweils realisierbaren CDR-Volumina können hier nicht getroffen werden. Das liegt auch daran, dass die materiellen CO2-Entnahme-Effekte einer klimapolitischen Integration des CDR-Ansatzes wohl erst ab den 2030er Jahren voll zum Tragen kämen, insbesondere bei technologischen CDR-Methoden wie BECCS, DACCS oder der beschleunigten Verwitterung.
Unter den Governance-Mechanismen der EU-Klimapolitik nimmt die Steuerung über quantifizierte Mittel- und Langfristziele einen herausragenden Stellenwert ein, ganz gleich ob diese rechtsverbindlich sind oder (zunächst) nur indikativ-symbolischen Charakter haben.89 Ein entscheidender Faktor dafür, ob die EU den Einstieg in eine dezidierte CO2-Entnahme-Politik wählt, dürfte deshalb die noch ausstehende Beantwortung der Frage sein, welchen Emissionsminderungspfad die EU für die Zeit nach dem Erreichen von Netto-Null-Emissionen anpeilt. Sachlogisch zieht zwar bereits ein Netto-Null-Ziel den Einsatz von CDR nach sich, in der klimapolitischen Kommunikation ist dieser Zusammenhang aber noch kaum präsent. Die einen Schritt weiter gehende – und in der Governance-Verordnung zur Energieunion bereits angelegte – Netto-Negativ-Vision lässt sich dabei idealtypischerweise in zwei Varianten zerlegen (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3 |
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Oliver Geden / Glen P. Peters / Vivian Scott, »Targeting Carbon Dioxide Removal in the European Union«, in: Climate Policy, 19 (2018), S. 487–494, aktualisiert mit Zahlen aus European Commission, In-Depth Analysis in Support of COM(2018) 773, Brüssel, 28.11.2018. |
Zum einen könnten die CDR-Volumina in den Jahrzehnten nach dem Erreichen des Netto-Null-Ziels stabil gehalten werden, die EU-Klimapolitik also einen begrenzten CDR-Ansatz verfolgen. Bei zunächst weiter sinkenden Residualemissionen (infolge des technischen Fortschritts oder sich verändernder Konsummuster)90 würden sich die Netto-Emissionen der EU recht bald stabilisieren. Zum anderen könnte die Union im Einklang mit dem Paris-Abkommen und den globalen Szenarien des IPCC aber ebenso gut versuchen, durch immer umfassendere CO2-Entnahmen die eigenen Netto-Emissionen stetig weiter abzusenken, also in einem heute kaum vorstellbaren Ausmaß immer weiter in negatives Territorium vorzudringen. Mit dem Verfolgen eines umfassenden CDR-Ansatzes würde die EU einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der internationalen Klimapolitik leisten, der ihrer historischen Verantwortung und ihren ökonomischen Möglichkeiten entspricht. Die EU würde damit helfen, zumindest das globale Nullemissionsziel (Art. 4 des Paris-Abkommens) zu erreichen, indem sie Schwellen- und vor allem Entwicklungsländern mehr Zeit verschafft, ihre Emissionen auf null zu bringen.91 Sollte die Welt in der zweiten Jahrhunderthälfte tatsächlich die Zielmarke von Netto Null erreichen, würde dies den globalen Temperaturanstieg zumindest bremsen.92
Die Integration des gegenwärtig noch unkonventionell erscheinenden CO2-Entnahme-Ansatzes in die Klimaschutzagenda wird letztlich nur dann gelingen, wenn das Irritationspotential für das vorherrschende klimapolitische Paradigma minimiert wird, wenn dieses also lediglich ergänzt und nicht etwa unterminiert wird. Im Kern darf sich deshalb weder die Beschreibung der zentralen Ursache des Klimaproblems noch die bestehende Zuweisung der Verantwortung für Beiträge zur Problemlösung verändern. Da Emissionen von Treibhausgasen (und dabei insbesondere von CO2) den Kern des Klimaproblems ausmachen, muss deren Vermeidung gegenüber der nachträglichen (Wieder-)Entnahme politisch priorisiert werden. Zudem darf nicht der Eindruck entstehen, dass einzelne Mitgliedstaaten und Branchen überproportional und zulasten anderer Akteure von der konzeptionellen Integration von CDR profitieren. Das bislang erfolgreiche klimapolitische Narrativ der EU hingegen bedarf möglicherweise einer Anpassung. Für eine »paradigmenschonende« Integration des CO2-Entnahme-Ansatzes sind zwei Handlungsbereiche von besonderer Bedeutung: die konkrete Ausgestaltung des Netto-Null-Ziels und die Entwicklung eines grundlegenden Policy-Designs.
Einstiegspfade
Proaktiver Einstieg
Eine EU-Klimapolitik, die die internationalen Klimaschutzziele des Pariser Abkommens tatsächlich ernst nimmt, müsste auch eine proaktive Haltung zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre entwickeln. Auf der symbolischen Ebene ließe sich das am deutlichsten hervorheben, indem die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu übergingen, explizit ehrgeizige Netto-Negativ-Ziele für die zweite Jahrhunderthälfte zu beschließen. Da die Planungs- und Umsetzungszeiträume für tiefgreifende volkswirtschaftliche Transformationen sehr lang sind, muss Mitte der 2020er Jahre ohnehin damit begonnen werden, über den bisherigen Planungshorizont 2050 hinauszudenken.93 Denkbar wären eine entsprechende Entscheidung des Europäischen Rats, die Wahl eines entsprechenden Zeithorizonts im EU-Klimaschutzgesetz und die Vorgabe entsprechender Projektionszeiträume für die NEKP im Rahmen der Governance-Verordnung. Selbst wenn der Zeithorizont nur ein wenig erweitert würde, wäre die Signalwirkung enorm. Schon ein EU-Ziel von minus 110 Prozent bis 2060 (ergänzt um korrespondierende Ziele der Mitgliedstaaten) würde unübersehbar machen, dass die Union einen dezidierten CO2-Entnahme-Ansatz wird verfolgen müssen.94 Vor einem solchen Hintergrund fiele es nicht nur leichter, die Integration von CDR in die EU-Klimapolitik in den 2020er Jahren zu begründen; ein derartiges Vorgehen würde auch Befürchtungen zerstreuen helfen, dass die Debatte um CO2-Entnahmen lediglich dazu dient, klassische Maßnahmen zur Emissionsminderung aufzuschieben oder gar zu verhindern.
Eine Aufwertung von CDR würde sich folgerichtig schon in einer Neudefinition des EU-Klimaziels für 2030 widerspiegeln. Im Zuge der anstehenden Verschärfung des festgelegten Beitrags (Nationally Determined Contribution, NDC) der EU im Rahmen des Pariser Abkommens – bei der die Union unter hohem internem wie internationalem Erwartungsdruck steht95 – und der anschließenden Novellierung der zentralen klimapolitischen Rechtsakte ließen sich die CO2-Entnahmen, die im Rahmen der LULUCF-Verordnung anvisiert werden, erstmals vollumfänglich für die Erfüllung des EU-Klimaziels anrechnen. Dass sich ebendieses Ziel für 2030 (auf Basis gegenwärtiger Projektionen) allein dadurch um vier bis fünf Prozentpunkte verschärfen ließe, wird der Kommission und den Mitgliedstaaten eine derartige Entscheidung eher noch erleichtern.96
Wenn eine solche numerische Integration der CO2-Entnahmen in die Emissionenbilanz transparent vonstattenginge – der CDR-Anteil bei der Erreichung künftiger EU-Klimaziele also immer explizit ausgewiesen wird –, hätte dies nicht nur eine internationale und innereuropäische Signalwirkung. Es würde auch die Legitimationsgrundlage für konkrete Maßnahmen zur Regulierung von CO2-Entnahme-Methoden erweitern. In diesem Kontext wären nicht nur Accounting-Regeln zu definieren. Geklärt werden müsste auch, wie steigende CO2-Entnahme-Mengen in das Zusammenspiel der zentralen klimapolitischen Rechtsakte (ETS, ESR, LULUCF) eingepasst werden könnten. Es wäre zudem zu entscheiden, wie der Einsatz von bereits verfügbaren biologischen CDR-Methoden kurzfristig angereizt werden könnte, wie Forschung, Entwicklung und Markteinführung von technologischen Entnahmemethoden in Europa zu fördern wären und wie der Ausbau umfangreicher Kapazitäten für den Transport und die geologische Speicherung von CO2 schnell vorangetrieben werden könnte.
Zurückhaltender Einstieg
Zwar mag es geboten erscheinen, dass die EU proaktiv eine CO2-Entnahme-Politik entwickelt, wenn man ihren selbsterklärten Anspruch ernst nimmt, eine wissenschaftsbasierte Klimapolitik zu verfolgen. Ebenso denkbar aber ist, dass die EU nur einen Einstieg Schritt für Schritt vollzieht. Möglicherweise wird sich der Ansatz der CO2-Entnahme (noch) nicht überzeugend in das dominante klimapolitische Paradigma integrieren lassen, weil große und zunächst unauflösbare politische Widerstände bestehen bleiben. Dabei könnten etwa Vorbehalte gegen bestimmte CDR-Methoden im Mittelpunkt stehen oder die (begründete) Befürchtung, dass einige der vehementesten Befürworter des CDR-Ansatzes vor allem von der Motivation geleitet werden, ihre Verantwortung für ehrgeizige konventionelle Emissionsminderungen auf andere Akteure oder in die ferne Zukunft zu verlagern. Auch die Unsicherheit, ob die in globalen 1,5–2 °C-Emissionsszenarien angenommenen CDR-Mengen auch nur annähernd realistisch sind oder ob der (verpflichtende) Einsatz von CDR langfristig tatsächlich Chancen für grünes Wachstum mit sich bringt, könnte die EU davon abhalten, dem CO2-Entnahme-Ansatz bereits in der kommenden Dekade einen großen Stellenwert einzuräumen. In einer solchen Konstellation würde die EU zunächst davon Abstand nehmen, ihre Zielvorstellungen für die zweite Jahrhunderthälfte früh zu konkretisieren. Als mehrdeutige Standardformel dürfte sich in diesem Fall auf EU-Ebene das schon heute gebräuchliche net zero by 2050, net negative thereafter etablieren – auch wenn einzelne progressive Mitgliedstaaten schon darüber hinausgehen und nationale Emissionsminderungsziele von über 100 Prozent verabschieden werden.
Der Einstieg in eine dezidierte CO2-Entnahme-Politik würde vor diesem Hintergrund vor allem inkrementell vonstattengehen. Die Wichtigkeit von Senken würde zwar vermehrt betont werden, zusätzliche Initiativen blieben aber im Wesentlichen auf naturnahe Lösungen beschränkt. Zu erwarten wäre eine nur allmähliche Aufwertung von LULUCF bei der Neujustierung der EU-Klimapolitik bis 2030, nicht zuletzt aufgrund von politischen Differenzen hinsichtlich der Anrechnungsmodalitäten bei ökosystembasierten Emissionsquellen und ‑senken. Stattdessen dürften internationale Klimaschutzgutschriften (inklusive solcher aus CDR-Projekten) wieder einen größeren Stellenwert bei der Erfüllung der europäischen Klimaziele erhalten. Die Förderung von CCS-Infrastrukturen bliebe im Wesentlichen auf Emissionen aus industriellen Produktionsprozessen beschränkt. Zwar würden Forschung und Entwicklung von technologischen CDR-Methoden durchaus in begrenztem Umfang gefördert, Impulse zu ihrer Markteinführung würden aber wohl vornehmlich von Durchbrüchen in anderen Weltregionen abhängen. Umfassende regulatorische Anpassungen auf EU-Ebene wären zunächst nicht notwendig.
Ausgestaltung des Netto-Null-Ziels
Die weltweite Etablierung von Netto-Null-Zielen wird die klimapolitische Aufmerksamkeit für die Emissionsstruktur des jeweiligen Zieljahrs, also das Verhältnis von residualen Emissionen und CO2-Entnahmen, beträchtlich steigen lassen. Im Zentrum der Debatte wird einerseits die Frage stehen, welchen Sektoren residuale Emissionen zugestanden werden sollen und mit welchen CDR-Optionen diese ausgeglichen werden können. Diese Debatte wird sich strukturell nicht wesentlich von den Auseinandersetzungen über Prioritätensetzungen bei klassischen Klimaschutzmaßnahmen unterscheiden, wie sie seit zwei Jahrzehnten gang und gäbe sind.97 Sie dürfte innerhalb weniger Jahre zur »Normalisierung« des CO2-Entnahme-Ansatzes führen, nicht zuletzt dank grafischer Darstellungen in Form von einander gegenübergestellten bzw. an der Null-Linie gespiegelten Balken (siehe Abbildung 4). Während Vertreter der betroffenen Branchen argumentieren werden, dass die von der EU-Kommission und den nationalen Regierungen jeweils entworfenen Szenarien zu niedrige Volumen für residuale Emissionen ansetzen, dürften sie aus Sicht der NGOs zu hoch sein. Spiegelbildlich dazu dürften die Einschätzungen zu den CDR-Volumen ausfallen. Beide Seiten werden ihre Position jeweils mit eigenen Szenarien unterfüttern. Auch dies wäre kein Novum im Vergleich zur gegenwärtigen klimapolitischen Debatte. Zu einem ernsthaften Problem für die politische und gesellschaftliche Akzeptanz des CO2-Entnahme-Ansatzes und die internationale Reputation der EU-Klimapolitik kann sich diese Auseinandersetzung dann entwickeln, wenn der Eindruck entsteht, dass der (geplante) Einsatz von CDR-Methoden vor allem dazu dient, die bisherigen (geplanten) Emissionsminderungspfade massiv zu entschärfen.
Diesem klimapolitisch fatalen Eindruck ließe sich am ehesten entgegenwirken, wenn man Netto-Null-Ziele in Emissionsminderungsziele und Entnahmeziele aufsplitten würde, statt die Effekte beider Ansätze beliebig miteinander zu verrechnen. So ließe sich der Fortbestand des Primats konventioneller Klimaschutzmaßnahmen absichern und sichtbar kommunizieren.98 Damit ist die Frage, welches Verhältnis sinnvollerweise anzustreben wäre, allerdings noch nicht gelöst, zumal sich deren Beantwortung von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und auch zwischen einzelnen Branchen durchaus unterscheiden wird. Da auf Ebene der EU bislang konventionelle Emissionsminderungen von 80 bis 95 Prozent bis 2050 anvisiert wurden, läge ein konsensfähiges Verhältnis wohl in einem Korridor von 80:20 Prozent bis 95:5 Prozent. Die Szenarien der Langfriststrategie der EU-Kommission bewegen sich in einer Größenordnung von 90:10 Prozent. Würden die 90 Prozent als Mindestvorgabe für THG-Minderungen verstanden, so würden etwaige Durchbrüche bei CDR-Technologien nicht dazu führen, dass bei konventionellen Emissionsreduktionen nachgelassen wird, sondern Netto-Null- bzw. Netto-Negativ-Emissionen früher erreicht werden. Bei einer solchen Herangehensweise würden CO2-Entnahmen nicht mehr als potentiell fragwürdiges Element einer verdeckten Ambitionsminderung erscheinen, sondern als zentraler Baustein einer klimapolitischen Ambitionssteigerung.
Ein Verhältnis von 90:10 ließe sich einigermaßen reibungslos in die klimapolitische Erzählung der EU einbauen. Möglicherweise wäre diese Integration des CDR-Ansatzes in das Problemlösungsparadigma der Union durch einen neuen Deutungsansatz zu flankieren, dem zufolge das Erreichen von Netto Null als Zeitpunkt markiert wird, ab dem die EU und ihre Mitgliedstaaten die Atmosphäre nicht mehr länger als »Deponieraum« für Emissionen nutzen.99 Dies liefe auf eine Gleichsetzung von CO2 und anderen Treibhausgasen mit weitgehend zu vermeidendem Abfall hinaus, von dem ein kleiner Teil wiederverwendet werden kann und ein unvermeidbarer Rest durch Ausgleichsmaßnahmen ausbalanciert werden muss. Die Betrachtung der Treibhausgasemissionen als waste management problem hat durchaus Überzeugungspotential,100 allerdings nur dann, wenn die Erzählung auch auf eine einigermaßen überzeugende Praxis zu verweisen vermag. Auf diese Weise ließe sich der eigene Beitrag zur globalen Problemlösung auch sozialmoralisch von der Handlungspraxis weniger ehrgeiziger Akteure entkoppeln, unter der Devise »Ending our contribution to global warming«.101 Im Übergang von Netto-Null- zu Netto Negativ-Emissionen bräche dann dementsprechend die Phase an, in der die EU damit beginnt, den bereits in die Atmosphäre entlassenen »Abfall« wieder zurückzuholen.
Grundzüge des Policy-Designs
Um Anreize zur gezielten CO2-Entnahme zu schaffen, ist eine Fülle von Maßnahmen denkbar. Konkrete regulatorische Schritte auf EU-Ebene werden in der kommenden Dekade nicht zuletzt auf Betreiben von proaktiven Mitgliedstaaten und Unternehmen erfolgen. Dennoch ist es sinnvoll, die weitere Entwicklung einer EU-CO2-Entnahme-Politik nicht allein in Reaktion auf Bottom-up-Initiativen zu gestalten, sondern durch ein sorgfältig vorbereitetes Policy-Design in produktive Bahnen zu lenken. So richtig es etwa ist, zusätzliche Mittel für Forschung und Entwicklung bereitzustellen und Innovationsprozesse zu gestalten,102 zusätzliche Maßnahmen zum Ausbau des Senkenpotentials in der Landnutzung und der Forstwirtschaft zu ergreifen,103 finanzielle Anreizsysteme für CO2-Entnahmen zu entwerfen104 oder die Einbettung technologischer CDR-Methoden in globale Governance-Strukturen voranzutreiben,105 so sehr fehlt es derzeit doch eher an strategischen Rahmensetzungen. Dies gilt zuallererst für die Frage der Verantwortungsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen einzelnen Sektoren, aber auch für mögliche Entscheidungen über (vorläufig) präferierte CO2-Entnahme-Methoden.
Die EU sollte keinem Mitgliedstaat zugestehen, Netto Null mehr als 10‑15 Jahre später als der Durchschnitt zu erreichen.
Wenn Netto Null auf EU-Ebene nicht bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten und Branchen im kollektiven Zieljahr auf null stehen, sollte geregelt werden, in welchem Verhältnis Vorreiter und Nachzügler zueinander stehen. Selbst wenn es gute Gründe gibt, warum einzelne Länder und Sektoren die Null-Linie erst später erreichen als der EU-Durchschnitt, so sollte das Abweichen davon doch zumindest begrenzt bzw. finanziell abgegolten werden. Da es langfristig für alle Mitgliedstaaten möglich sein sollte, ihre Emissionen zumindest auf Netto Null zu bringen, sollte die EU dazu übergehen, die Verzögerung zeitlich zu limitieren, also keinem Mitgliedstaat zugestehen, Netto Null mehr als 10 bis 15 Jahre später als der Durchschnitt zu erreichen. Der Erfolg des Projekts Netto Null darf nicht dadurch gefährdet werden, dass sich bei den Bürgern in den europäischen Vorreiterstaaten der Eindruck verfestigt, sie seien – in der waste management-Metapher gesprochen – dauerhaft dafür zuständig, den Abfall anderer EU-Mitgliedstaaten wegzuräumen.
Im Verhältnis zwischen Branchen wird es hingegen auf absehbare Zeit nicht möglich sein, eine ähnliche Verpflichtung für alle Nachzügler zu etablieren. Während es bei Stahl-, Zement- und Luftverkehrsindustrie langfristig vor allem um das Kostenniveau von technischen Dekarbonisierungsoptionen gehen dürfte (deren Marktfähigkeit nicht zuletzt vom Niveau der CO2-Bepreisung abhängig sein wird),106 bestehen insbesondere in der Landwirtschaft technische Machbarkeitsgrenzen.107 Hier ist darauf zu achten, dass Sektoren, denen im Grundsatz residuale Emissionen zugestanden werden müssen, selbst für die entsprechenden CO2-Entnahmen verantwortlich sind, ganz gleich, ob sie entsprechende Zertifikate aus anderen Sektoren (z.B. Strom- oder Forstwirtschaft) erwerben oder direkt in CO2-Entnahme-Methoden investieren, was speziell im Agrarsektor naheliegt.108
Entsprechende Verantwortungszuweisungen müssen regulatorisch über die Säulen Emissionshandel, mitgliedstaatliche Lastenteilung (für Nicht-ETS-Sektoren wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft) und Landnutzung / Forstwirtschaft organisiert werden. Während der Emissionshandel europaweit harmonisiert ist und über einen einheitlichen Reduktionsfaktor für die Zertifikate und die sich daraus ergebende Preisbildung gesteuert wird, gibt es in den beiden anderen Säulen nach wie vor politisch verhandelte, mitgliedstaatlich differenzierte Ziele. Zwischen den drei Säulen bestehen derzeit nur bedingt Flexibilitäten, die (politischen wie monetären) Vermeidungskosten für eine Tonne CO2 unterscheiden sich stark. Wenn die EU nicht dazu übergehen will, langfristig nahezu alle Sektoren in den Emissionshandel zu überführen – was politisch nicht im Interesse der Nachzügler unter den Mitgliedstaaten sein kann, solange sie in der Lage sind, für sie vorteilhafte nationale Ziele auszuhandeln –, wird sie früher oder später definieren müssen, welche Säulen (und damit: welche Akteursgruppen) in der Hauptverantwortung stünden, CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre zu organisieren.
Kurzfristig könnte eine solche komplexe Entscheidung aufgeschoben werden, indem die EU ausschließlich auf eine Ausweitung der LULUCF-Senken setzt, mit möglicherweise verschärften nationalen Mindestzielen schon für 2030. Eine solche Präferierung biologischer Senken ließe sich durchaus nachvollziehbar begründen, einerseits mit dem Argument der Anwendungsreife von schon praktizierten CDR-Methoden (Aufforstung, Renaturierung von Ökosystemen, erhöhte Anreicherung von Kohlenstoff in Böden), andererseits unter Verweis auf die mutmaßlich größeren öffentlichen Akzeptanzraten dieser Verfahren im Vergleich zu technologischen Senken.109 Mittelfristig aber wird die EU nicht umhinkommen, auch letztere in ihre Klimapolitik zu integrieren. Nach heutigem Stand der Debatte und ersten Demonstrationsanlagen in einzelnen Mitgliedstaaten wird es sich hierbei wohl vor allem um BECCS und DACCS handeln, möglicherweise aber auch um die beschleunigte Verwitterung von mineralischem Gestein. Steuern ließen sich etwaige Präferenzen, indem das CO2-Entnahme-Ziel in spezifische Unterziele für ökosystembasierte und technologische Verfahren differenziert wird. Vorbehalte gegen einzelne CDR-Methoden müssen nicht in explizite Ausschlüsse münden. Es genügt bereits, für ihre Entnahmeleistung schlichtweg kein Anrechnungsverfahren zu definieren.110
Vielen Beobachtern – vor allem solchen, die sich nicht schwerpunktmäßig mit Klimapolitik beschäftigen – mag es verwegen erscheinen, sich bereits jetzt damit auseinanderzusetzen, welchen Emissionspfad die EU nach 2050 einschlagen sollte. Doch für die Perspektive auf die klimapolitische Herausforderung der CO2-Entnahme macht es einen gewichtigen Unterschied, weil es die Entscheidung zwischen einem proaktiven und einem zurückhaltenden Einstiegspfad beeinflusst. Da die CO2-Bindung in Böden und Wäldern mit natürlichen Sättigungseffekten einhergeht, kann nicht umstandslos davon ausgegangen werden, dass sich eine im Jahr 2050 erreichte natürliche Senkenleistung auch in jedem Folgejahr problemlos wiederholen lässt. Selbst wenn die EU dauerhaft »nur« Netto-Null-Emissionen erreichen wollte, dürften in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kaum noch die dafür zusätzlich benötigten Landflächen zur Verfügung stehen. Zudem besteht bei steigenden Temperaturen die Gefahr, dass die CO2-Speicherleistung von Ökosystemen nachlässt. Sollte Europa seiner Verantwortung für das Erreichen der globalen Klimaziele gerecht werden wollen und dementsprechend langfristig sogar eine ehrgeizige Netto-Negativ-Strategie verfolgen, wird am vermehrten Einsatz von leichter skalierbaren technologischen CDR-Methoden und der dauerhaften geologischen CO2-Speicherung kaum ein Weg vorbeiführen.111 Während Fachpolitik und Fachadministration dies bei ihren Planungen zum Auf- und Ausbau einer gezielten CO2-Entnahme stets berücksichtigen sollten, muss zugleich vermieden werden, die Öffentlichkeit und Nicht-Fachpolitiker mit extrem ambitionierten Netto-Negativ-Zielen kommunikativ zu überfordern und das bislang erfolgreiche Problemlösungsparadigma einer großen Belastungsprobe auszusetzen. Die schlichte Notwendigkeit, CO2-Entnahmen im Rahmen einer Netto-Null-Strategie zu einem integralen Bestandteil der EU-Klimapolitik zu machen, bietet die Chance, sequenziell vorzugehen.112 Zunächst sollte im Vordergrund stehen, verstärkt in Forschung und Entwicklung von CO2-Entnahme-Methoden zu investieren, vermehrt praktische Erfahrungen mit deren Einsatz zu sammeln und CDR diskursiv wie handlungspraktisch zu »normalisieren«. Nur wenn es der EU und ihren Mitgliedstaaten auf dem Weg zu Netto Null tatsächlich gelingt, konventionelle Emissionsminderungen und unkonventionelle CO2-Entnahmen überzeugend miteinander zu verbinden, werden sich die Europäer eines Tages zutrauen, in einem zweiten Schritt auch eine ehrgeizige Netto-Negativ-Strategie zu verfolgen, die CO2-Entnahmen also in einem bisher noch nicht vorstellbaren Maße auszubauen.
Abkürzungen
BECCS |
Bioenergy with Carbon Capture and Storage (Bioenergie mit CO2-Abscheidung und ‑Speicherung) |
CCC |
Committee on Climate Change (Vereinigtes Königreich) |
CCS |
Carbon Capture and Storage (CO2‑Abscheidung und ‑Speicherung) |
CCU |
Carbon Capture and Utilization (CO2‑Abscheidung und -Nutzung) |
CDR |
Carbon Dioxide Removal |
CO2 |
Kohlendioxid |
DAC |
Direct Air Capture |
DACCS |
Direct Air Carbon Capture and Storage (Direktabscheidung und Speicherung von CO2) |
ESR |
Effort-sharing Regulation (Lastenteilungsverordnung) |
ETS |
Emissions Trading System (Emissionshandelssystem) |
EWR |
Europäischer Wirtschaftsraum |
Gt |
Gigatonne |
IPCC |
Intergovernmental Panel on Climate Change |
LULUCF |
Land-Use, Land-Use Change and Forestry (Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft) |
Mt |
Megatonne |
NEKP |
Nationaler Energie- und Klimaplan |
THG |
Treibhausgase |
UNFCCC |
United Nations Framework Convention on Climate Change (Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen) |
Endnoten
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Methoden zur Entnahme anderer Treibhausgase (etwa Methan, Lachgas oder F-Gase) aus der Atmosphäre werden bislang kaum diskutiert.
- 2
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Wir vermeiden in dieser Studie so weit wie möglich den Begriff Negative Emissionen, weil dieser häufig zu Missverständnissen führt, vor allem aufgrund einer impliziten Gleichsetzung mit dem Begriff Netto-Negativ-Emissionen. Mit letzterem wird ein bilanzieller Status beschrieben, bei dem (weltweit, oder in einem Teilsystem wie der EU, einem Land, einer Branche oder einem Unternehmen) insgesamt mehr CO2 aus der Atmosphäre entnommen als noch an Treibhausgasen ausgestoßen wird. Der Umstand, dass CO2-Entnahme-Methoden eingesetzt werden, sagt für sich genommen noch nichts darüber aus, ob die Gesamtsumme der Netto-Emissionen oberhalb, unterhalb oder exakt auf der Null-Linie liegt.
- 3
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Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the Impacts of Global Warming of 1.5°C above Pre-industrial Levels and Related Global Greenhouse Gas Emission Pathways, in the Context of Strengthening the Global Response to the Threat of Climate Change, Sustainable Development, and Efforts to Eradicate Poverty, Genf 2018.
- 4
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Jan C. Minx u.a., »Negative Emissions – Part 1: Research Landscape and Synthesis«, in: Environmental Research Letters, 13 (2018) 063001; Sabine Fuss u.a., »Negative Emissions – Part 2: Costs, Potentials and Side Effects«, in: Environmental Research Letters, 13 (2018) 063002.
- 5
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Joeri Rogelj u.a., »Mitigation Pathways Compatible with 1.5°C in the Context of Sustainable Development«, in: IPCC, Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report [wie Fn. 3], S. 122.
- 6
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Gregory F. Nemet u.a., »Negative Emissions – Part 3: Innovation and Upscaling«, in: Environmental Research Letters, 13 (2018) 063003, S. 1–30.
- 7
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Aufgrund des annährend linearen Zusammenhangs zwischen der kumulierten Menge der CO2-Emissionen und dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur lässt sich jedes Temperaturziel in ein noch verbleibendes CO2-Budget umrechnen. Spätestens seit dem 5. Sachstandsbericht des IPCC (2013/14) gilt das verbleibende Budget in der Klimaforschung und der Klimapolitik als zentrale Kategorie, vgl. Joeri Rogelj u.a., »Estimating and Tracking the Remaining Carbon Budget for Stringent Climate Targets«, in: Nature, 571 (2019), S. 335–342; Bård Lahn, »A History of the Global Carbon Budget«, in: Wiley Interdisciplinary Reviews [WIREs]: Climate Change, 11 (2020), e636.
- 8
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Aufgrund des sehr knappen verbleibenden CO2-Budgets gehen alle illustrativen Modellpfade im IPCC-Sonderbericht zum 1,5°C-Ziel davon aus, dass in der zweiten Jahrhunderthälfte Netto-Negativ-Emissionen erreicht werden müssen.
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Oliver Geden, Die Modifikation des 2-Grad-Ziels. Klimapolitische Zielmarken im Spannungsfeld von wissenschaftlicher Beratung, politischen Präferenzen und ansteigenden Emissionen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2012 (SWP-Studie 12/2012); Oliver Geden, »Climate Advisers Must Maintain Integrity«, in: Nature, 521 (2015), S. 27–28; Kevin Anderson /
Glen Peters, »The Trouble with Negative Emissions«, in: Science, 354 (2016) 6309, S. 182–183; European Academies Science Advisory Council (EASAC), Negative Emission Technologies: What Role in Meeting Paris Agreement Targets?, Halle: EASAC, Februar 2018; Alice Larkin u.a., »What if Negative Emission Technologies Fail at Scale? Implications of the Paris Agreement for Big Emitting Nations«, in: Climate Policy, 18 (2018) 6, S. 690–714; Nils Markusson / Duncan McLaren /
David Tyfield, »Towards a Cultural Political Economy of Mitigation Deterrence by Negative Emissions Technologies (NETs)«, in: Global Sustainability, 1 (2018) E10, S. 1–9. - 10
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Oliver Geden, »An Actionable Climate Target«, in: Nature Geoscience, 9 (2016), S. 340–342; Steve Pye u.a., »Achieving Net-zero Emissions through the Reframing of UK National Targets in the post-Paris Agreement Era«, in: Nature Energy, 2 (2017) 3, 17024; United Nations Environment Programme (UNEP), The Emissions Gap Report 2019, Nairobi, November 2019.
- 11
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United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), Adoption of the Paris Agreement, 12.12.2015.
- 12
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Jan S. Fuglestvedt u.a., »Implications of Possible Interpretations of ›Greenhouse Gas Balance‹ in the Paris Agreement«, in: Philosophical Transactions of the Royal Society. Series A, Mathematical, Physical, and Engineering Sciences, 376 (2018) 2119, S. 1–17.
- 13
-
Duncan P. McLaren u.a., »Beyond ›Net-Zero‹: A Case for Separate Targets for Emissions Reduction and Negative Emissions«, in: Frontiers in Climate, 1 (2019) 4, S. 1–5.
- 14
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Rob Bellamy / Oliver Geden, »Govern CO2 Removal from the Ground Up«, in: Nature Geoscience, 12 (2019) 11, S. 874–876.
- 15
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Pete Smith u.a., »Biophysical and Economic Limits to Negative CO2 Emissions«, in: Nature Climate Change, 6 (2016) 1, S. 42–50; UNEP, The Emissions Gap Report 2017, Nairobi, November 2017; Fuss u.a., »Negative Emissions – Part 2« [wie Fn. 4]; Royal Society / Royal Academy of Engineering, Greenhouse Gas Removal, London 2018; Gernot Klepper / Daniela Thrän, Biomasse im Spannungsfeld zwischen Energie- und Klimapolitik. Potenziale – Technologien – Zielkonflikte, München 2019; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Climate Engineering und unsere Klimaziele – eine überfällige Debatte, Bonn 2019 (Schwerpunktprogramm 1689); International Energy Agency (IEA), Energy Technology Perspectives 2020, Paris 2020 (im Erscheinen); weitere in der Literatur behandelte Methoden sind unter anderem: Renaturierung von Mooren und marinen Habitaten, Vergraben von Biomasse, Verwendung von CO2 in langlebigen Materialien wie zum Beispiel Kohlefaserverbundwerkstoffen.
- 16
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Schätzungen zu Entnahmepotentialen und Kosten wurden bislang fast ausschließlich auf globaler Ebene vorgenommen, entsprechende EU-spezifische Daten liegen nicht vor.
- 17
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Die in diesem Kapitel für alle Methoden angeführten CO2-Entnahmepotentiale sind als jährlich realisierbare Werte zu verstehen. Wie auch die Kostenschätzungen (in US-Dollar von 2011) beziehen sie sich stets auf das Jahr 2050. Die entsprechenden Angaben sind einer umfassenden Meta-Studie entnommen, die über 2000 Fachartikel auswertet, vgl. Fuss u.a., »Negative Emissions – Part 2« [wie Fn. 4].
- 18
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Im globalen Maßstab sind Landnutzung und Forstwirtschaft derzeit noch Emissionsquellen, emittieren netto also mehr CO2 als durch (Wieder-)Aufforstung gebunden wird (siehe Abbildung 1, S. 9).
- 19
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Mathias Fridahl, »Socio-political Prioritization of Bioenergy with Carbon Capture and Storage«, in: Energy Policy, 104 (2017), S. 89–99; Glen P. Peters / Oliver Geden, »Catalysing a Political Shift from Low to Negative Carbon«, in: Nature Climate Change, 7 (2017) 9, S. 619–621; Mathias Fridahl / Mariliis Lehtveer, »Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS): Global Potential, Investment Preferences, and Deployment Barriers«, in: Energy Research & Social Science, 42 (2018), S. 155–165.
- 20
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Lisanne Groen / Sebastian Oberthür, »The European Union and the Paris Agreement: Leader, Mediator, or Bystander?«, in: WIREs Climate Change, 8 (2017) 1, e445.
- 21
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Peters / Geden, »Catalysing a Political Shift from Low to Negative Carbon« [wie Fn. 19]; Naomi E. Vaughan u.a., »Evaluating the Use of Biomass Energy with Carbon Capture and Storage in Low Emission Scenarios«, in: Environmental Research Letters, 13 (2018) 4, 044014.
- 22
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Vivian Scott / Oliver Geden, »The Challenge of Carbon Dioxide Removal for EU Policy-Making«, in: Nature Energy, 3 (2018) 5, S. 350–352.
- 23
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Marcus Carson / Tom Burns / Dolores Calvo (Hg.), Paradigms in Public Policy. Theory and Practice of Paradigm Shifts in the EU, Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2012.
- 24
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So etwa bei den Verhandlungen zur Reform des Emissionshandels, vgl. Torbjørg Jevnaker / Jørgen Wettestad, »Ratcheting Up Carbon Trade: The Politics of Reforming EU Emissions Trading«, in: Global Environmental Politics, 17 (2017) 2, S. 105–124. Die Möglichkeit, mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen, verändert im Rat der EU die Kräfteverhältnisse zuungunsten potentieller Veto-Spieler, selbst wenn es am Ende zu Konsensentscheidungen kommt, vgl. Stéphanie Novak, »The Silence of Ministers: Consensus and Blame Avoidance in the Council of the European Union«, in: Journal of Common Market Studies, 51 (2013) 6, S. 1091–1107.
- 25
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Tim Rayner / Andrew Jordan, »The European Union: The Polycentric Climate Policy Leader?«, in: WIREs Climate Change, 4 (2013) 2, S. 75–90.
- 26
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Zwar haben rechtspopulistische Parteien in Europa zuletzt verstärkt klimawandelskeptische Elemente in ihre Kommunikation übernommen. Das Thema steht aber auf der Agenda der Rechtspopulisten nicht im Zentrum. Es dient ihnen lediglich dazu, um mit Verweis auf dieses Politikfeld den eigenen Anti-Elitismus hervorzuheben. Bemerkenswert ist dabei der Unterschied zwischen dem EP und dem Rat der EU: Die im Parlament meist randständigen Vertreter rechtspopulistischer Parteien profilieren sich häufig als Leugner des Klimawandels (vgl. Stella Schaller / Alexander Carius, Convenient Truths. Mapping Climate Agendas of Right-wing Populist Parties in Europe, Berlin: adelphi, 2019). Wenn Vertreter der gleichen Parteien Regierungsverantwortung in den Mitgliedstaaten übernehmen (etwa die PiS in Polen oder bis 2019 die FPÖ in Österreich), fallen sie im Rat der EU jedoch nicht mit klimaskeptischen Positionen auf.
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Die letzten verfügbaren Statistiken für 2018 weisen eine Reduktion von 23,3 Prozent für die EU28 aus. Nach dem Austritt Großbritanniens wird sich die relative Reduktionsleistung der EU27 aufgrund der seit 1990 überdurchschnittlichen Emissionsminderungen des Vereinigten Königreichs um etwa 3 Prozentpunkte verringern, vgl. European Environment Agency (EEA), Trends and Projections in Europe 2019: Tracking Progress towards Europe’s Climate and Energy Targets, Kopenhagen 2019.
- 28
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Groen / Oberthür, »The European Union and the Paris Agreement« [wie Fn. 20].
- 29
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Michael Obersteiner u.a., »How to Spend a Dwindling Greenhouse Gas Budget«, in: Nature Climate Change, 8 (2018), S. 7–10; Nils Markusson / Duncan McLaren / David Tyfield, »Towards a Cultural Political Economy of Mitigation Deterrence by Negative Emissions Technologies (NETs)«, in: Global Sustainability, 1 (2018) E10, S. 1–9.
- 30
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David Béland / Michael Howlett, »How Solutions Chase Problems: Instrument Constituencies in the Policy Process«, in: Governance, 29 (2016) 3, S. 393–409.
- 31
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Die EU28 hat in der Emissionskategorie »Landnutzung und Forstwirtschaft« (Land-Use, Land-Use Change and Forestry, LULUCF) seit dem Jahr 2000 durchschnittlich eine Netto-CO2-Entnahme von 0,32 Gt pro Jahr realisiert, mit zuletzt leicht abnehmender Tendenz. Diese Netto-Senke entspricht zwar gut 5 Prozent der EU-Emissionen von 1990, wird aber bisher beim Erreichen des EU-Emissionsminderungsziels (20 % von 1990–2020) nicht mit angerechnet. In der Regulierungsphase 2021–2030 wird eine solche Anrechnung zum ersten Mal möglich, allerdings nur in sehr beschränktem Umfang, vgl. Hannes Böttcher u.a., EU LULUCF Regulation Explained. Summary of Core Provisions and Expected Effects, Freiburg: Öko-Institut, Juni 2019.
- 32
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Brigitte Knopf / Oliver Geden, »A Warning from the IPCC: the EU 2030’s Climate Target Cannot Be Based on Science Alone«, energypost.eu, 26.6.2014, <https://energypost.eu/ warning-ipcc-eu-2030s-climate-target-based-science-alone/> (Zugriff am 7.2.2020).
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Auch wenn beide Begriffe häufig synonym verwendet werden, ist Treibhausgasneutralität nicht umstandslos mit einer (breiter gefassten) Klimaneutralität gleichzusetzen. Politisch relevant wird diese Unterscheidung beispielsweise im Luftverkehr, dessen Klimawirkungen bei Langstreckenflügen in großer Höhe über den reinen THG-Ausstoß hinausgehen, vgl. Jan S. Fuglestvedt u.a., »Implications of Possible Interpretations of ›Greenhouse Gas Balance‹ in the Paris Agreement« [wie Fn. 12]; Lisa Bock / Ulrike Burkhardt, »Contrail Cirrus Radiative Forcing for Future Air Traffic«, in: Atmospheric Chemistry and Physics, 19 (2019) 12, S. 8163–8174.
- 34
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James Meadowcroft, »Exploring Negative Territory Carbon Dioxide Removal and Climate Policy Initiatives«, in: Climatic Change, 118 (2013) 1, S. 137–149.
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Dies spiegelt sich bisher in allen zentralen Dokumenten der EU-Institutionen wider: in dem Entwurf der Kommission für eine EU-Klima-Langfriststrategie vom November 2018; in der Mitteilung der Kommission zum Europäischen Grünen Deal im Dezember 2019, in den tags darauf vorgelegten Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, in dem im März 2020 präsentierten Entwurf der Kommission für ein EU-Klimagesetz sowie in der kurz darauf von Rat und Kommission bei der UNFCCC eingereichten EU-Langfriststrategie.
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In Artikel 15 der Verordnung heißt es, wenn auch ein wenig verklausuliert, dass die verpflichtende Erstellung nationaler und europäischer Langfriststrategien dazu dient, die »langfristigen Reduktionen von Treibhausgasemissionen sowie eines verstärkten Abbaus dieser Gase durch Senken in allen Sektoren […] zu verbessern, um sobald wie möglich ein Gleichgewicht zwischen anthropogenen Emissionen aus Quellen und dem Abbau von Treibhausgasen durch Senken in der Union und danach, falls möglich, negative Emissionen zu erreichen«, vgl. Verordnung (EU) 2018/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz.
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David Gernaat u.a., »Understanding the Contribution of Non-carbon Dioxide Gases in Deep Mitigation Scenarios«, in: Global Environmental Change, 33 (2015), S. 142–153; Steven J. Davis u.a., »Net-zero Emissions Energy Systems«, in: Science, 360 (2018), eaas9793; Gunnar Luderer u.a., »Residual Fossil CO2 Emissions in 1.5–2 °C Pathways«, in: Nature Climate Change, 8 (2018), S. 626–633; Christopher G. F. Bataille, »Physical and Policy Pathways to Net‐zero Emissions Industry«, in: WIREs Climate Change, 11 (2020) 2, e633.
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Ein zumindest bilanzieller Ausgleich residualer Emissionen wäre vorübergehend auch dann denkbar, wenn europäische Regierungen und Unternehmen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Minderungsverpflichtungen wieder auf Gutschriften aus internationalen Klimaschutzprojekten zurückgreifen dürften. In der EU ist dies aufgrund der negativen Erfahrungen mit entsprechenden Mechanismen, die das Kyoto-Protokoll vorsah, inzwischen nicht mehr möglich. Über eine Änderung der offsetting-Politik wird in der EU erst nach einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über internationale Marktmechanismen entschieden werden, die das Pariser Übereinkommen vorsieht (Art. 6). Selbst im Falle einer erneuten Öffnung der EU-Klimapolitik für solche Projektgutschriften ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil aus dem Einsatz von CDR-Methoden stammen wird, nicht zuletzt aus (Wieder-)Aufforstungsprojekten, vgl. Matthias Honegger / David Reiner, »The Political Economy of Negative Emissions Technologies: Consequences for International Policy Design«, in: Climate Policy, 18 (2018) 3, S. 306–321.
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Aufgrund der sehr viel größeren CDR-Volumina stünde die EU-Klimapolitik im Falle einer umfassenden, derzeit aber nicht verfolgten Netto Negativ-Strategie unter weit größerem Veränderungsdruck, vgl. Oliver Geden / Glen P. Peters / Vivian Scott, »Targeting Carbon Dioxide Removal in the European Union«, in: Climate Policy, 19 (2019) 4, S. 487–494.
- 40
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Eine ähnliche Auseinandersetzung könnte mittel- bis langfristig auf internationaler Ebene zu beobachten sein. Falls die Weltgemeinschaft tatsächlich ernsthafte Anstrengungen unternehmen sollte, global Netto-Null-Emissionen zu erreichen, werden Schwellen- und Entwicklungsländer – unter Verweis auf das in der UNFCCC festgeschriebene Prinzip der Common but Differentiated Responsibilities and Respective Capabilities (CBDR-RC) – von den traditionellen Industrieländern erwarten, dass diese vorangehen und ihre Emissionen weit unter die Null-Linie bringen.
- 41
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Europäischer Rat, Tagung des Europäischen Rates (12. Dezember 2019) – Schlussfolgerungen, Brüssel, 12.12.2019 (EUCO 29/19), S. 1.
- 42
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Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1999 (Europäisches Klimagesetz), KOM(2020) 80 final, Brüssel, 4.3.2020.
- 43
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Oliver Geden, »The Paris Agreement and the Inherent Inconsistency of Climate Policymaking«, in: WIREs Climate Change, 7 (2016), S. 790–797.
- 44
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Untersuchungen zur gesellschaftlichen Akzeptanz von CDR leiden generell darunter, dass der Ansatz bzw. einzelne Methoden kaum bekannt sind und in entsprechenden Befragungen zunächst erläutert werden müssen und die Art der Erläuterung die Antworten der Befragten wiederum stark beeinflusst. Zudem fehlt den Befragten ein entscheidender Orientierungspunkt, nämlich die wahrnehmbare Positionierung politischer und unternehmerischer Akteure in Bezug auf CDR. Die mutmaßlich validesten Aussagen können für BECCS getroffen werden, da die beiden Elemente, Bioenergie und CCS, bereits seit einigen Jahren Teil der energie- und klimapolitischen Debatte sind. Hier zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede zwischen europäischen Ländern: So wird etwa CCS in Großbritannien erkennbar positiver eingeschätzt als in Deutschland. BECCS wird in beiden Ländern positiver eingeschätzt als fossiles CCS, vgl. Elisabeth Dütschke u.a., »Differences in the Public Perception of CCS in Germany Depending on CO2 Source, Transport Option and Storage Location«, in: International Journal of Greenhouse Gas Control, 53 (2016), S. 149–159; Gareth Thomas / Nick Pidgeon / Erin Roberts, »Ambivalence, Naturalness and Normality in Public Perceptions of Carbon Capture and Storage in Biomass, Fossil Energy, and Industrial Applications in the United Kingdom«, in: Energy Research & Social Science, 46 (2018), S. 1–9; Rob Bellamy / Javier Lezaun / James Palmer, »Perceptions of Bioenergy with Carbon Capture and Storage in Different Policy Scenarios«, in: Nature Communications, 743 (2019), S. 1–9.
- 45
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Richard Moss u.a., Towards New Scenarios for Analysis of Emissions, Climate Change, Impacts, and Response Strategies. Intergovernmental Panel on Climate Change Expert Meeting Report, 19.–21.9.2007, Genf: IPCC, 2008; Beatrice Cointe / Christophe Cassen / Alain Nadaï, »Organising Policy-Relevant Knowledge for Climate Action – Integrated Assessment Modelling, the IPCC, and the Emergence of a Collective Expertise on Socioeconomic Emission Scenarios«, in: Science & Technology Studies, 32 (2019) 4, S. 36–57.
- 46
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Oliver Geden / Felix Schenuit, Klimaneutralität als Langfrist-Strategie. Die Ausgestaltung des EU-Nullemissionsziels und die Folgen für Deutschland, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2019 (SWP-Aktuell 38/2019).
- 47
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European Commission, In-Depth Analysis in Support on the COM(2018) 773: A Clean Planet for All – A European Strategic Long-term Vision for a Prosperous, Modern, Competitive and Climate Neutral Economy, Brüssel, 28.11.2018, Tabelle 9.
- 48
-
Vgl. ebd., S. 188ff; Pantelis Capros u.a., »Energy-system Modelling of the EU Strategy towards Climate-neutrality«, in: Energy Policy, 134 (2019), 110960.
- 49
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Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal, COM(2019) 640 final, Brüssel, 11.12.2019.
- 50
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Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments [wie Fn. 42].
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Die nationalen Energie- und Klimapläne (NEKP), die im Kontext der Verordnung zur Governance der Energie-Union bis Ende 2019 verpflichtend einzureichen sind, weisen hinsichtlich der Emissionsprojektionen nur einen Zeithorizont bis 2040 auf und enthalten in der Regel nur knappe Verweise auf gezielte CO2-Entnahme-Politiken. Während man Hinweise auf technologische CDR-Optionen fast vergeblich sucht, spielt die (potentielle) Senkenleistung von Landnutzung und Forstwirtschaft eine weitaus größere Rolle, meist aber nur im Kontext der Erfüllung der nationalen Verpflichtungen im Rahmen der LULUCF-Verordnung. Entwürfe der NEKP mussten bereits bis Ende 2018 eingereicht werden und wurden anschließend von der Kommission bewertet. Das am 12.12.2019 erstmals erfolgte Bekenntnis des Europäischen Rats zu einem europäischen Netto-Null-Ziel 2050 hatte auf die NEKPs, die rechtzeitig bis Ende 2019 eingereicht wurden und meist mehrere Hundert Seiten umfassen, keinen Einfluss mehr. Auch die in der ersten Jahreshälfte 2020 – und somit bereits deutlich verspätet eingereichten – NEKPs (u.a. von Spanien, Slowenien und Bulgarien) nehmen auf das EU-weite THG-Neutralitätsziel nur kursorisch Bezug. Bis zum 15.5.2020 hatten drei Mitgliedstaaten (Deutschland, Irland und Luxemburg) ihren finalen NEKP noch nicht eingereicht.
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Ein durchaus ähnliches Problem existiert in Neuseeland, dessen Regierung deshalb darauf verzichtet hat, ein Netto-Treibhausgasneutralitätsziel für 2050 gesetzlich zu verankern. Netto Null bezieht sich dort nur auf langlebige Treibhausgase (wie CO2 oder Lachgas), biogenes Methan aus der Landwirtschaft soll zwischen 2017 und 2050 lediglich um 24–47 Prozent reduziert werden.
- 53
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Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs wird Polen absehbar zum zweitgrößten Emittenten in der EU aufsteigen, hinter Deutschland und noch vor Frankreich und Italien.
- 54
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ÖVP / Die Grünen, Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020–2024, Wien 2020.
- 55
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Ministry of Economic Affairs and Employment of Finland, Finland’s Integrated Energy and Climate Plan, Helsinki, 20.12.2019.
- 56
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10 Mt CO2 entsprechen etwa 2 Prozent der französischen Emissionen von 1990, vgl. Ministère de la Transition écologique et solidaire, Projet de Plan National Integré Énergie-Climat de la France [= NEKP-Entwurf], 2019.
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Ministry of the Environment and Energy Transition of Portugal / Fundo Ambiental / Portugese Environment Agency (APA), Roadmap for Carbon Neutrality 2050 (RNC2050). Long-term Strategy for Carbon Neutrality of the Portuguese Economy by 2050, Lissabon 2020.
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Üblicherweise geben das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie jeweils eigenständig gesamtwirtschaftliche Klimaschutzszenarien in Auftrag. Für eine Reduktion von netto 100 Prozent bis 2050 liegen bislang noch keine Veröffentlichungen der etablierten Modellierungskonsortien vor.
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Vgl. Deutscher Bundestag, »Gesetz zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften, vom 12. Dezember 2019«, in: Bundesgesetzblatt, Teil I (2019), Nr. 48, 17.12.2019, S. 2513–2521, sowie Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Entwurf des integrierten nationalen Energie- und Klimaplans, Berlin, 4.1.2019.
- 60
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Deutscher Bundestag, Drucksache 19/7400, 29.1.2019; ders., Drucksache 19/14052, 15.10.2019.
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Sie lag 2018 bei 27 Mt.
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Exemplarisch für diese Haltung steht das Umweltbundesamt, das bislang die einzige Studie zum Erreichen eines Netto-Null-Ziels 2050 in Deutschland veröffentlicht hat und sich darin a priori darauf festlegt, dass dieses Ziel ohne CCS erreicht werden muss. In seinem ambitioniertesten Szenario nimmt das Umweltbundesamt ein gesamtwirtschaftliches Null-Wachstum ab 2030 an, was erkennbar im Widerspruch zum derzeit dominanten Klimapolitik-Paradigma steht, Umweltbundesamt, Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität – RESCUE: Langfassung, Dessau-Roßlau, November 2019 (Climate Change 36/2019); vgl. auch Dütschke u.a., »Differences in the Public Perception of CCS in Germany« [wie Fn. 44].
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Unter den drei genannten Optionen wird gezielten CO2-Entnahmen das größte Potential zugeschrieben, vor allem den Verfahren BECCS und Pflanzenverkohlung. Internationale Projektgutschriften sollen möglich sein, 2045 allerdings nur noch aus CDR-Projekten, vgl. Statens offentliga utredningar, Vägen till en klimatpositiv framtid, Stockholm 2020.
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Anton A. Hansing / Mathias Fridahl, »European and Swedish Point Sources of Biogenic Carbon Dioxide«, in: Mathias Fridahl (Hg.), Bioenergy with Carbon Capture and Storage. From Global Potentials to Domestic Realities, Stockholm /
Brüssel: The European Liberal Forum, 2018, S. 31–44. - 65
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Die Emissionen Schwedens beliefen sich im Jahr 2017 ohne LULUCF auf 52,7 Mt. Unter voller Einrechnung der LULUCF-Senke von 43,7 Mt wären es nur 9 Mt gewesen. Verglichen mit 1990 hätte dies bereits einem Emissionsrückgang von 87 Prozent entsprochen.
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Diese Kapazitäten wären nicht nur für CO2 aus der Anwendung von BECCS und DACCS relevant, sondern auch für abgeschiedenes CO2 aus konventionellen industriellen Prozessen, etwa aus der Stahl- und Zementproduktion. Norwegen positioniert sich bereits seit einigen Jahren als potentieller Empfänger von CO2 aus der EU, wofür allerdings eine adäquate Transportinfrastruktur aufgebaut werden müsste, vgl. Jo-Kristian S. Røttereng, »When Climate Policy Meets Foreign Policy: Pioneering and National Interest in Norway’s Mitigation Strategy«, in: Energy Research & Social Science, 39 (2018), S. 216–225. Entgegen anderslautenden Medienberichten hat Norwegen noch kein nationales Netto-Null-Ziel beschlossen. Es existiert lediglich eine entsprechende Resolution des Parlaments, die von der amtierenden Minderheitsregierung nicht als bindend betrachtet wird, vgl. Erlend A. Hermansen / Glen Peters / Bård Lahn, »Climate Neutrality the Norwegian Way: Carbon Trading?«, CICERO [Oslo], 17.9.2019, <https://cicero.oslo.no/no/posts/nyheter/ climate-neutrality-the-norwegian-way-carbon-trading> (Zugriff am 11.2.2020).
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Bundesrat Schweiz, »Bundesrat will bis 2050 eine klimaneutrale Schweiz«, Medienmitteilungen des Bundesrates, Bern, 28.8.2019.
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Felix Schenuit / Oliver Geden, »Ein deutsches Klimaschutzgesetz nach britischem Vorbild: Voraussetzungen einer Realisierung«, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 68 (2018) 10, S. 16–18.
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Committee on Climate Change (CCC), UK Climate Action Following the Paris Agreement, London 2016 (CCC Report).
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Government of the UK, Clean Growth Strategy. Leading the Way to a Low Carbon Future, London 2017; Tom Berg / Goher-Ur-Rehman Mir / Ann-Kathrin Kühner, CCC Indicators to Track Progress in Developing Greenhouse Gas Removal Options. Final Report, Utrecht: Ecofys Netherlands, 2017.
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Die Studie geht für 2050 von konventionellen Emissionsreduktionen von 89 Prozent aus und dementsprechend großen CDR-Volumina von mehr als 100 Mt., vgl. CCC, Net Zero – The UK’s Contribution to Stopping Global Warming, London 2019.
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United Kingdom Research and Innovation (UKRI), UKRI Greenhouse Gas Removal Demonstrators Call for Proposals, Swindon 2019, <https://bbsrc.ukri.org/documents/ukri-call-for-proposals-spf-ggr-demonstrators-2019-2020/>.
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Vgl. Pete Smith / R. Stuart Haszeldine / Stephen M. Smith, »Preliminary Assessment of the Potential for, and Limitations to, Terrestrial Negative Emission Technologies in the UK«, in: Environmental Science: Processes & Impacts, 18 (2016) 11, S. 1400–1405; Devon Platt / Mark Workman / Stephen Hall, »A Novel Approach to Assessing the Commercial Opportunities for Greenhouse Gas Removal Technology Value Chains: Developing the Case for a Negative Emissions Credit in the UK«, in: Journal of Cleaner Production, 203 (2018), S. 1003–1018; Habiba A. Daggash u.a., Bioenergy with Carbon Capture and Storage, and Direct Air Carbon Capture and Storage: Examining the Evidence on Deployment Potential and Costs in the UK, London: UK Research Centre, April 2019; Renewable Energy Association, Going Negative – Policy Proposals for UK Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS), London: Renewable Energy Association, 2019 (REA Position Paper).
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Im Unterschied zur Empfehlung des CCC schließt die britische Regierung die Nutzung internationaler Projektgutschriften nicht aus, hat sich aber noch nicht dazu positioniert, welchen Anteil diese an der Zielerreichung haben könnten. Mögliche Anreizsysteme und Regulierungsoptionen für Entnahmemethoden hat das britische Wirtschafts- und Energieministerium BEIS bereits 2019 untersuchen lassen, vgl. Vivid Economics, Greenhouse Gas Removal (GGR) Policy Options – Final Report, London 2019.
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Dies zeigt sich bereits jetzt in einer Fülle von Unternehmensankündigungen zum (baldigen) Erreichen von CO2- oder Klimaneutralität, etwa durch Bosch (2020), Siemens (2030), Mars (2040) oder Shell (2050). Entsprechende Ankündigungen fußen auf selbst definierten Systemgrenzen und sehen in der Regel die Einbeziehung von derzeit nur schwach regulierten internationalen Emissionsgutschriften vor. Sie basieren unternehmensseitig auf Freiwilligkeit, sind also Ausdruck von Corporate Social Responsibility. Dies ist strikt zu unterscheiden von zukünftigen EU-Rechtsakten, mit denen verbindlich definiert werden wird, welche CO2-Entnahme-Aktivitäten und welche internationalen Gutschriften anrechenbar sind, vgl. Burkhard Huckestein, »Klimaneutrale Unternehmen und Verwaltungen: Wirksamer Klimaschutz oder Grünfärberei?«, in: GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 29 (2020) 1, S. 21–26.
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Die weltweit bislang ehrgeizigste Ankündigung kommt von Microsoft. Das Unternehmen will bis 2030 Netto-Negativ-Emissionen erreichen, und zwar unter Einbeziehung der kompletten Lieferkette und unter Verzicht auf internationale Emissionsminderungsgutschriften. Die – allerdings freiwilligen – Pläne sehen vor, im Jahr 2030 bereits CO2-Entnahmen von 5 Mt zu realisieren, mit einem breiten Portfolio biologischer und technologischer Entnahmemethoden. Bis zum Jahr 2050 will Microsoft dann alle seit Gründung des Unternehmens verursachten Emissionen ausgeglichen haben, vgl. Brad Smith, »Microsoft Will Be Carbon Negative by 2030«, Official Microsoft Blog, 16.1.2020, <https://blogs. microsoft.com/blog/2020/01/16/microsoft-will-be-carbon-negative-by-2030/> (Zugriff am 11.2.2020).
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Christoph Beuttler / Louise Charles / Jan Wurzbacher, »The Role of Direct Air Capture in Mitigation of Anthropogenic Greenhouse Gas Emissions«, in: Frontiers in Climate, 1 (2019) 10, S. 1–7.
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Fabian Levihn u.a., »Introducing BECCS through HPC to the Research Agenda: The Case of Combined Heat and Power in Stockholm«, in: Energy Reports, 5 (2019), S. 1381–1389.
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»British Power Plant Promises to Go Carbon Negative by 2030«, BBC News, 10.12.2019, <https://www.bbc.com/news/ business-50712500> (Zugriff am 11.2.2020).
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Vgl. European Commission, In-Depth Analysis [wie Fn. 47], Tabelle 9.
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Um den klimapolitischen Druck auf den Agrarsektor zu mindern, rechnen nationale und europäische Landwirtschaftsverbände die forstwirtschaftlichen Senken inzwischen häufig der eigenen Branche zu, bisweilen auch die Emissionsreduktionen aus dem Biomasse-Anbau, vgl. etwa Copa-Cogeca, Copa and Cogeca Position on Climate Action, Brüssel, September 2019.
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Mit Puro.earth existiert bereits eine Handelsplattform für zertifizierte CO2-Entnahme-Gutschriften, die sich bislang auf Pflanzenkohle und die Speicherung von CO2 in langlebigen Produkten konzentriert, bei noch geringen Handelsumsätzen.
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Für die Begründung dieses Ansatzes, der es NGOs erst ermöglichte, sich positiv auf CDR zu beziehen, vgl. Bronson W. Griscom u.a., »Natural Climate Solutions«, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 114 (2017) 44, S. 11645–11650; für eine Problematisierung des Konzepts vgl. Rob Bellamy / Shannon Osaka, »Unnatural Climate Solutions?«, in: Nature Climate Change, 10 (2020), S. 98–99.
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Climate Action Network Europe (CAN), CAN Europe Position on Long Term Targets, Brüssel, 4.10.2018.
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Die deutsche Sektion von Fridays for Future lehnt technologische Senken nicht explizit ab, sondern schließt sie – im Widerspruch zum IPCC – bei der Definition von Netto Null von vornherein aus. So heißt es im Glossar zum eigenen Forderungskatalog, der unter anderem THG-Neutralität bis 2035 einschließt: »Nettonull: Es wird nur die Menge Treibhausgase ausgestoßen, die durch natürliche Prozesse (z. B. Wachstum von Pflanzen) wieder aufgenommen wird«, <https://fridaysforfuture.de/forderungen/glossar/> (Zugriff am 2.2.2020).
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Vgl. den im Auftrag des WWF (UK) erstellten Report von Vivid Economics, Keeping it Cool. How the UK Can End Its Contribution to Climate Change, London 2018. Die deutsche WWF-Sektion sieht bei DACCS zwar noch offene Fragen hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Prozesses der CO2-Abscheidung, lehnt CCS aber keineswegs grundsätzlich ab, vgl. WWF Deutschland, Klimaschutz in der Industrie. Forderungen an die Bundesregierung für einen klimaneutralen Industriestandort Deutschland, Berlin 2019.
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Vgl. Nikolaos Zahariadis, »Ambiguity and Choice in European Public Policy«, in: Journal of European Public Policy, 15 (2008) 4, S. 514–530; Aleh Cherp u.a., »Integrating Techno-economic, Socio-technical and Political Perspectives on National Energy Transitions: A Meta-theoretical Framework«, in: Energy Research & Social Science, 37 (2018), S. 175–190; Cameron Roberts / Frank W. Geels, »Conditions for Politically Accelerated Transitions: Historical Institutionalism, the Multi-level Perspective, and Two Historical Case Studies in Transport and Agriculture«, in: Technological Forecasting and Social Change, 140 (2019), S. 221–240.
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Selbstverständlich ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Elemente der hier idealtypisch differenzierten Einstiegspfade in der politischen Praxis miteinander kombiniert werden.
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Oliver Geden / Severin Fischer, Moving Targets. Die Verhandlungen über die Energie- und Klimapolitik-Ziele der EU nach 2020, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2014 (SWP-Studie 1/2014); Claire Dupont / Sebastian Oberthür (Hg.), Decarbonization in the European Union. Internal Policies and External Strategies, London: Palgrave Macmillan, 2015.
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Detlef P. Van Vuuren u.a., »Alternative Pathways to the 1.5 °C Target Reduce the Need for Negative Emission Technologies«, in: Nature Climate Change, 8 (2018) 5, S. 391–397; Bataille, »Physical and Policy Pathways to Net‐zero Emissions Industry« [wie Fn. 37].
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Glen P. Peters u.a., »Measuring a Fair and Ambitious Climate Agreement Using Cumulative Emissions«, in: Environmental Research Letters, 10 (2015) 100504, S. 1–9.
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Eine solche Stabilisierung würde sich allerdings mit einer hohen Wahrscheinlichkeit oberhalb von 1,5 °C bewegen, vgl. Rogelj u.a., »Mitigation Pathways« [wie Fn. 5]. Mit dem Verfolgen einer Netto-Negativ-Strategie würde die EU einen signifikanten Beitrag zur Wiederabsenkung der atmosphärischen CO2-Konzentration leisten, um die Phase des Überschießens der angezielten Temperaturschwelle möglichst kurz zu halten, vgl. Kirsten Zickfeld / Vivek K. Arora / Nathan P. Gillet, »Is the Climate Response to CO2 Emissions Path Dependent?«, in: Geophysical Research Letters, 39 (2012) 5, S. 1–6; Oliver Geden / Andreas Löschel, »Define Limits for Temperature Overshoot Targets«, in: Nature Geoscience, 10 (2017) 12, S. 881–882; Kate L. Ricke / Richard J. Miller / Douglas MacMartin, »Constraints on Global Temperature Target Overshoot«, in: Scientific Reports, 7 (2017) 14743, S. 1–7.
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Für das Jahr 2050 hat der Europäische Rat erstmals im Jahr 2009 ein eigenes EU-Emissionsminderungsziel (80–95 %) beschlossen, also mit mehr als 40 Jahren Vorlauf. An diesem Langfristziel haben sich in der Folge nicht nur viele EU-Mitgliedstaaten orientiert. Auch die europäischen Zwischenziele für 2020 und 2030 wurden unter Bezugnahme auf das 2050-Ziel festgelegt, wenn auch nicht immer in konsistenter Weise.
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In der begleitenden Modellierung zum Kommissionsentwurf einer EU-Langfriststrategie ist ein solcher Emissionsminderungspfad bereits angelegt, vgl. European Commission, In-Depth Analysis [wie Fn. 47], Tabelle 9. Noch kurz vor Beginn des Legislativverfahrens waren in Entwürfen des Kommissionsvorschlags für ein europäisches Klimagesetz an mehreren Stellen Verweise auf die Netto-Negativ-Option enthalten. In der Version, die schließlich am 4. März 2020 veröffentlicht wurde, sucht man diese Verweise vergeblich.
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Susanne Dröge / Vijeta Rattani, Nach dem Klimagipfel in Kattowitz. Wichtige Elemente der EU-Klimaagenda 2019, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2019 (SWP-Aktuell 15/2019).
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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits vor ihrer Wahl angekündigt, zunächst eine Erhöhung des Reduktionsziels um 10 Prozentpunkte bis 2030 (von 40 auf 50 %) vorschlagen zu wollen und später auszuloten, inwiefern auch 55 Prozent möglich sind. Sachlich ist dies vor dem Hintergrund eines verschärften 2050-Ziels durchaus geboten, politisch aber äußerst anspruchsvoll, erst recht im Kontext der wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Covid‑19-Pandemie, vgl. Geden / Schenuit, Klimaneutralität als Langfrist-Strategie [wie Fn. 46].
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In diesen Debatten ist die Tendenz zu beobachten, Problemlagen so zu konturieren, dass sie zu den jeweils präferierten Lösungsansätzen passen, vgl. Arno Simons / Jan-Peter Voß, »The Concept of Instrument Constituencies: Accounting for Dynamics and Practices of Knowing Governance«, in: Policy and Society, 37 (2018) 1, S. 14–35.
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Geden / Peters / Scott, »Targeting Carbon Dioxide Removal in the European Union« [wie Fn. 39]; McLaren u.a., »Beyond ›Net-Zero‹« [wie Fn. 13]. Sollte sich die EU dazu entschließen, wieder Gutschriften aus internationalen Klimaschutzprojekten zuzulassen, so wäre es bedenkenswert, dabei ausschließlich solche aus CDR-Projekten anzurechnen, insbesondere solche, die auf technologischen Entnahmemethoden basieren. Da diese bislang weltweit kaum zum Einsatz kommen, ließe sich auch das unter dem Kyoto-Regime häufig fragliche Kriterium der Additionalität leichter erfüllen.
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Ottmar Edenhofer / Christian Flachsland / Steffen Brunner, »Wer besitzt die Atmosphäre? Zur Politischen Ökonomie des Klimawandels«, in: Leviathan, 39 (2011) 2, S. 201–221.
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Klaus S. Lackner / Christophe Jospe, »Climate Change Is a Waste Management Problem«, in: Issues in Science and Technology, 33 (2017) 3.
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Die Parole »Ending the UK’s contribution to global warming« hat das UK Committee on Climate Change in der Kommunikation seiner Netto-Null-Studie [siehe Fn. 71] erfolgreich in den Mittelpunkt gestellt. Dabei unterschlägt das CCC allerdings die Dimension der historischen Emissionen, die aufgrund der Langlebigkeit von CO2 auch nach dem Erreichen von Netto Null noch klimawirksam sind.
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Nemet u.a., »Negative Emissions – Part 3« [wie Fn. 6]; Max Åhman / Jon Birger Skjærseth / Per Ove Eikeland, »Demonstrating Climate Mitigation Technologies. An Early Assessment of the NER 300 Programme«, in: Energy Policy, 117 (2018), S. 100–107; Per Ove Eikeland / Jon Briger Skjærseth, The Politics of Low-Carbon Innovation. The EU Strategic Energy Technology Plan, Cham: Palgrave Macmillan, 2020.
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Gert-Jan Nabuurs u.a., »By 2050 the Mitigation Effects of EU Forests Could Nearly Double through Climate Smart Forestry«, in: Forests, 8 (2017) 484, S. 1–14.
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Platt / Workman / Hall, »A Novel Approach« [wie Fn. 73].
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Asbjørn Torvanger, »Governance of Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS): Accounting, Rewarding, and the Paris Agreement«, in: Climate Policy, 19 (2019) 3, S. 329–341.
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Davis u.a., »Net-zero Emissions Energy Systems« [wie Fn. 37]; Yoichi Kaya / Mitsutsune Yamaguchi / Oliver Geden, »Towards Net Zero CO2 Emissions without Relying on Massive Carbon Dioxide Removal«, in: Sustainability Science, 14 (2019) 6, S. 1739–1743; Bataille, »Physical and Policy Pathways to Net‐zero Emissions Industry« [wie Fn. 37].
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Dies gilt im Kontext der derzeitigen Produktionsstrukturen und Konsummuster insbesondere für Methan aus der Tierhaltung. Inwiefern in diesem Bereich weitreichende Veränderungen zu erwarten sind, lässt sich nicht vorhersagen. Einen deutlich geringeren Fleischkonsum mit klimapolitischen Maßnahmen herbeiführen zu wollen, dürfte absehbar an Machbarkeitsgrenzen stoßen, vgl. Jessica Jewell / Aleh Cherp, »On the Political Feasibility of Climate Change Mitigation Pathways: Is It Too Late to Keep Warming below 1.5°C?«, in: WIREs Climate Change, 10 (2019), e621.
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Etwa durch Verfahren wie der erhöhten Anreicherung von Kohlenstoff in Böden, dem Einbringen von Pflanzenkohle in Böden oder dem Ausbringen von Mineralien zur beschleunigten Verwitterung, vgl. Pete Smith u.a., »Land-Management Options for Greenhouse Gas Removal and Their Impacts on Ecosystem Services and the Sustainable Development Goals«, in: Annual Review of Environment and Resources, 44 (2019) 1, S. 255–286.
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Auch wenn die Akzeptanz individueller CDR-Optionen zwischen Mitgliedstaaten oder sogar einzelnen Regionen deutlich differieren dürfte.
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Zwar wäre es auch jetzt schon möglich, BECCS-Anlagen zu betreiben, etwa zur Stromproduktion. Allerdings würde ein Betreiber unter den derzeitigen Regularien des ETS keinerlei Gegenleistung für das aus der Atmosphäre entnommene CO2 erhalten. Um dies zu ermöglichen, müssten umfangreiche Anrechnungsregeln definiert werden, die nicht nur zwischen einzelnen BECCS-Verfahren unterscheiden, sondern auch zwischen den spezifischen Lebenszyklusemissionen der jeweils eingesetzten Biomasse. Letztere unterscheiden sich sehr stark, je nachdem, ob es sich um eigens angebaute und importierte Energiepflanzen handelt oder um Reststoffe aus der heimischen Forstwirtschaft, vgl. Mathilde Fajardy u.a., BECCS Deployment: A Reality Check, London: Grantham Institute, Januar 2019 (Briefing paper Nr. 28).
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Royal Society / Royal Academy of Engineering, Greenhouse Gas Removal [wie Fn. 15]. Angesichts des relativ hohen Flächenbedarfs, den Aufforstungsmaßnahmen mit sich bringen, dürfte die Frage des land footprints alternativer Entnahmemethoden zu einem zentralen Streitgegenstand werden, inklusive der Frage, in welchem Maße dabei auf Landflächen aus Nicht-EU-Staaten zurückgegriffen werden sollte, etwa im Hinblick auf die für BECCS notwendige Biomasse, vgl. Mathilde Fajardy / Solene Chiquier / Niall Mac Dowell, »Investigating the BECCS Resource Nexus: Delivering Sustainable Negative Emissions«, in: Energy & Environmental Science, 11 (2018), S. 3408–3430.
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Geden, »An Actionable Climate Target« [wie Fn. 10]; Joeri Rogelj u.a., »A New Scenario Logic for the Paris Agreement Long-Term Temperature Goal«, in: Nature, 573 (2019), S. 357–363.
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ISSN 1611-6372
doi: 10.18449/2020S10