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EU-Klimapolitik erneut ausgebremst

Das Europäische Parlament hat am 16. April mit 334 zu 315 Stimmen eine schnelle Reform des Emissionshandels abgelehnt – eine Stärkung des wichtigsten Instruments der EU-Klimapolitik vor 2020 wird somit unwahrscheinlich, meint Susanne Dröge.

Kurz gesagt, 17.04.2013 Research Areas

Das Europäische Parlament hat am 16. April mit 334 zu 315 Stimmen eine schnelle Reform des Emissionshandels abgelehnt – eine Stärkung des wichtigsten Instruments der EU-Klimapolitik vor 2020 wird somit unwahrscheinlich, meint Susanne Dröge.

Das Europäische Parlament (EP) hat dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission nicht zugestimmt, im Schnellverfahren den Europäischen Emissionshandel (EU ETS) mit Hilfe des so genannten "Backloading" zu neuer Schlagkraft zu verhelfen. Dabei geht es um die vorübergehende Verringerung der Anzahl der Zertifikate für Treibhausgasemissionen. Nun bleibt noch die gängige Gesetzeserweiterung, bei der nach dem EP auch die 27 Umweltminister einbezogen werden. Die Chance auf eine rasche Reform des Emissionshandels ist allerdings vertan. Denn die Regierungen der Mitgliedsstaaten sind mit dem Management der EU-Schuldenkrise absorbiert. Zudem endet die Amtszeit der EU-Kommission, und ihre Neubesetzung in 2014 wird die Prozesse in Brüssel stoppen. Als Anknüpfungspunkt für eine Reform bliebe dann erst wieder die gerade angestoßene neue Strategie für die EU-Energie- und Klimapolitik bis 2030.

Der Europäische Emissionshandel ist ein klimapolitisches Instrument, mit dem in der EU Betreiber von über 10.000 Industrieanlagen und Kraftwerken dazu gebracht werden sollen, für ihre Treibhausgasemissionen zu bezahlen. Hierfür werden Zertifikate ausgeteilt. Unternehmen, die mehr emittiert haben als durch ihre Zertifikate abgedeckt ist, müssen zukaufen, jene, die weniger Treibhausgase emittiert haben, können verkaufen. Die EU-Klimapolitik steuert so über 40 Prozent der EU-weiten Emissionen von Kohlendioxid (CO2).

Krise, Preisverfall und Konstruktionsfehler

Der Emissionshandel ist am 1. Januar 2013 in seine dritte Phase gestartet, die bis 2020 dauert. Auf dem Papier klingt das in 2008 beschlossene Design schlüssig: Zentralisierung der Zuständigkeit bei der EU-Kommission, Versteigerung von Zertifikaten statt großzügiger freier Zuteilung, sinkende Gesamtmenge der jährlich erlaubten Emissionen bis 2020. All diese Faktoren hätten den CO2-Preis dauerhaft stabil halten bzw. erhöhen und den Unternehmen das Signal geben können, dass die Investition in den Klimaschutz auch langfristig lohnt.

Jedoch wurde diese Idee von mehreren Entwicklungen zunichte gemacht. Erstens waren die Unternehmen im Zeitraum 2008 bis 2012 (der Phase II des Emissionshandels) großzügig mit freien Zertifikaten ausgestattet worden. Dann kam die Krise hinzu, die Wirtschaft brach ein, die Emissionen ebenso. Zertifikate wurden billig, und viele Unternehmen hatten entsprechend hohe »Reserven«. Als besondere Regelung hatte die EU-Richtlinie zum Emissionshandel aber eingeführt, dass überschüssige Zertifikate auch in die nächste Handelsperiode (2013 - 2020) mitgenommen werden können, anstatt gelöscht zu werden. Auch die Einbringung von internationalen Zertifikaten aus dem UN-System hat das Angebot weiter erhöht. Der Absturz des CO2-Preises war dramatisch. Von rund 30 Euro pro Tonne CO2 in 2008 sank er auf ein Allzeittief von 2,81 Euro im Januar 2013. Inzwischen belaufen sich die Schätzungen der notwendigen Angebotsreduktion auf rund zwei Milliarden Zertifikate - dies entspricht der jährlichen Gesamtzuteilung in der EU. Der im EP vorgelegte Beschluss sah die Reduktion von 900 Millionen Zertifikaten vor, die jedoch bis spätestens 2019 wieder in den Markt gegeben werden sollten.

Der Preis als politischer Gradmesser

Aber selbst diese vorläufige Minimal-Reform hat kräftigen Protest bei Teilen von Wirtschaft und Politik hervorgerufen. Von der Industrie wurde das "Backloading" immerhin nicht einheitlich abgelehnt. Vielmehr wurde es sogar von großen Energieversorgern unterstützt. Sie hätten einerseits die Möglichkeit, höhere CO2-Preise an den Verbraucher weiterzugeben. Andererseits verfügen sie über genügend Zertifikate aus Altbeständen. Hingegen sind die energieintensiven Industrien, z.B. der Stahl- oder Zementerzeugung, vehement gegen den Eingriff in das System. Dies, obwohl ihre Ausstattung mit Zertifikaten seit jeher großzügig war und derzeit bei einzelnen Unternehmen bis zu 200 Prozent ihres Jahresbedarfs beträgt. Sie machen Wettbewerbsnachteile geltend und hegen die Befürchtung, dass die Zertifikate dauerhaft einbehalten werden könnten.

In den Mitgliedsstaaten ist das Bild ähnlich. Großbritannien hat seit April einen Mindestpreis für CO2 eingeführt. Dieser wird bis 2015 auf rund 21 Euro (18 Britische Pfund) pro Tonne CO2 steigen. Hingegen lehnen die osteuropäischen Regierungen, die sich von der EU-Klimapolitik gegängelt fühlen, eine Reform des EU ETS ab. In Deutschland gibt es bisher keine einheitliche Position, stattdessen blockieren sich Umwelt- und Wirtschaftsinteressen gegenseitig.

Für die Energiewende ist ein höherer CO2-Preis in vielerlei Hinsicht wichtig. Vor allem die Kohleverstromung ist derzeit so billig, dass ihr starker Anstieg die Klimabilanz Deutschlands zunehmend gefährdet. Sie sorgt zudem für einen geringen Preis an der Strombörse. Daraus erklären sich auch die extrem hohen Kosten aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die Verbraucher zahlen umso mehr, je größer die Differenz zwischen Börsenstrompreis und garantierten Einspeisevergütungen ist. Teurere CO2-Zertifikate würden diesen Effekt dämpfen.