2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung. Darin ist auch ein Gesundheitsziel enthalten: Gesundheit und Wohlbefinden für alle Menschen in jedem Alter und an allen Orten. In einer Welt, in der Menschen so mobil sind wie noch nie, in der Krankheitsrisiken und Gesundheitschancen ungleich verteilt sind und internationale Finanz- und Warenströme gesundheitliche Auswirkungen haben, können Gesundheit und Wohlbefinden nicht mehr nur auf nationaler Ebene und durch staatliche Akteure allein gesichert werden. Eine Reihe von Entwicklungen – nicht zuletzt die laufende Überarbeitung der deutschen Strategie zur globalen Gesundheit von 2013 – eröffnet Deutschland die Chance, sich strategisch neu auszurichten, die sich wandelnden Herausforderungen bei der Sicherung und Förderung nationaler wie globaler Gesundheit kohärent anzugehen und international sichtbar neue Prioritäten zu setzen.
Gesundheitspolitik ist traditionell auf nationale Strukturen begrenzt. Doch muss sie sich heute in einer hochgradig vernetzten und mobilen Welt bewähren. Zu den gesundheitspolitischen Aufgaben zählt vorrangig, im eigenen Staat eine allen Menschen zugängliche, qualitativ hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, Gesundheitsrisiken abzubauen – auch im Verkehr, im Arbeits- und sozialen Umfeld – sowie gesundheitsfördernde Lebenswelten zu schaffen. Angesichts erhöhter Konnektivität und Mobilität von Menschen, Kapital und Waren in Deutschland und weltweit wird die Erfüllung dieser Aufgaben zu einer immer größeren Herausforderung:
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Binnen Stunden können sich Gesundheitsgefahren über den ganzen Globus verteilen.
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Medizinisches Personal wandert von ärmeren in reichere Länder ab.
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Alle Gesundheitssysteme sind mit den Bedürfnissen einer wachsenden oder alternden Gesellschaft überfordert.
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Weltweit erschweren es Antibiotika-Resistenzen, Infektionskrankheiten zu behandeln.
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Der Klimawandel verändert traditionelle Krankheitsmuster.
Leistungen zur Gesundheitsversorgung werden vor allem national erbracht, doch liegen die gesundheitspolitischen Herausforderungen oft auf globaler Ebene.
Verflechtung mit anderen Politikfeldern
Der Begriff globale Gesundheitspolitik beschreibt alle innen- und außenpolitischen Aktivitäten, die »im Ausland« gesundheitsrelevanten Einfluss nehmen – in der Gesundheits-, Bildungs-, Umwelt-, Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik ebenso wie im Bereich der Außenwirtschaft. Oftmals haben Gesundheitsgewinne, vor allem aber Gesundheitsverluste ihren Ursprung außerhalb des Gesundheitssektors. Notwendig ist daher, Verflechtungen mit anderen Politikfeldern genau zu beachten. Diese verbindende Denkweise schlägt sich im »health in all policies«-Ansatz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nieder.
So sind gesundheitsschädigende Produkte, die international gehandelt werden (wie zuckerhaltige Lebensmittel, Alkohol und Tabak), ein Grund für den weltweiten Anstieg von Fettleibigkeit sowie Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Krebserkrankungen. Da ökonomische Interessen häufig eine wichtigere Rolle spielen als Gesundheitsschutz, wird Wirtschaftsförderung oft priorisiert.
In gewalttätigen Konflikten werden zunehmend Gesundheitseinrichtungen und ‑personal gezielt angegriffen; in Syrien zum Beispiel gab es seit April 2011, so die Organisation Physicians for Human Rights, 492 Angriffe auf medizinische Infrastrukturen. Viele Staaten stehen als Folge gewalttätiger Konflikte vor der Herausforderung, eine große Zahl von Geflüchteten medizinisch zu versorgen.
Laut WHO und Weltbank hat rund die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer keinen ausreichenden Zugang zu lebenswichtiger Gesundheitsversorgung. Auch für die Entwicklungspolitik bleibt Gesundheit daher eine gewaltige Aufgabe. In diesem Feld lassen sich mittels Gesundheitspolitik ebenfalls Ziele erreichen. So können etwa entwicklungspolitische Gesundheitsprogramme die Stabilität in Partnerländern fördern.
Gesundheit als Menschenrecht, nationale und globale Ressource
WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom betonte zu Beginn seiner Amtszeit 2017, dass Gesundheit vor allem eines sei: eine politische Entscheidung. Verschiedene Motive können einer solchen Entscheidung zugrunde liegen.
Erstens ist Gesundheit ein Menschenrecht; die Förderung von Gesundheit gilt daher als eine Frage globaler sozialer Gerechtigkeit. Inakzeptabel ist demnach die extreme Ungleichverteilung von Krankheitsrisiken und Überlebenschancen, sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb einzelner Staaten. Zweitens liegt es im nationalen Interesse eines Staates, die öffentliche Gesundheit zu bewahren und zu fördern. Sie ist nationale Ressource, Voraussetzung und Folge von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. In Gesundheit an einem anderen Ort wird investiert, um im Sinne der globalen Gesundheitssicherheit vor Krankheit »zu Hause« zu schützen. Und drittens ist Gesundheit ein globales öffentliches Gut. Ein Staat ist in der Verantwortung, Gesundheitsleistungen für seine Bevölkerung sicherzustellen. Kann er das nicht, so sind andere Staaten und Akteure gefordert, nachhaltige Entwicklung im Gesundheitsbereich zu unterstützen.
Jeder dieser drei Aspekte hat seine Berechtigung, erfordert aber je eigene Maßnahmen, die sich ergänzen sollten. Gesundheit als Menschenrecht zielt darauf, Überlebenschancen und Partizipation an Entwicklungserfolgen gerechter zu verteilen, etwa durch besseren Zugang zu Medikamenten für marginalisierte Personen. Gesundheit als nationale Ressource impliziert beispielsweise, grenzüberschreitendes Infektionsgeschehen zu verhindern, wie während der Ebolafieber-Epidemie in Westafrika 2014/2015. Gesundheit als globales öffentliches Gut wiederum erfordert internationale Anstrengungen zur Entwicklung von Gesundheitssystemen.
Die Global-Health-Strategie der Bundesregierung
2013 hat die Bundesregierung erstmals eine Strategie zur globalen Gesundheitspolitik vorgelegt. Drei Ziele wurden vorgegeben:
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durch globales Handeln die öffentliche Gesundheit in Deutschland zu schützen und zu verbessern
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mit der Bereitstellung von Expertise und Ressourcen die Gesundheit außerhalb Deutschlands zu schützen und zu verbessern
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internationale Gesundheitsorganisationen zu stärken
Seitdem engagiert sich Deutschland zunehmend für globale Gesundheit. Kanzlerin Merkel schlug – auch unter dem Druck der Ebolafieber-Epidemie – im Rahmen der G7-Präsidentschaft 2015 sechs Punkte vor, die darauf zielen, Gesundheitskrisen internationalen Ausmaßes effektiver zu bewältigen:
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Bereitstellung von weltweit schnell einsetzbarem Fachpersonal
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Bereitstellung von schnell einsetzbarem medizinischen Material
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Einrichtung eines Fonds mit schnell abrufbaren Finanzmitteln
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Reform und Stärkung der WHO
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Stärkung von Gesundheitssystemen
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vermehrte Gesundheitsforschungs- und Entwicklungsaktivitäten
Unter Berlins Präsidentschaft trafen sich im Mai 2017 erstmals die Gesundheitsminister der G20. In einer gemeinsamen Erklärung stellten sie fest, dass – neben der international koordinierten Bewältigung von Gesundheitskrisen – belastbare Gesundheitssysteme die »Grundlage für eine wohlhabende und stabile Gesellschaft« seien.
Aufgabenteilung in Deutschland
Ministerien und Einrichtungen des Bundes haben seit 2013 ihr Global-Health-Engagement deutlich ausgebaut. Dabei haben die Ministerien verschiedene Aufgaben übernommen und sind unterschiedlich stark präsent. Das Entwicklungsministerium (BMZ) fördert traditionell die Arbeit internationaler Gesundheitseinrichtungen und bilaterale Programme zur Gesundheitsversorgung. Das Gesundheitsministerium (BMG) kooperiert mit der WHO und konzentriert sich auf den internationalen Gesundheitsschutz, vor allem Krankheitsüberwachung und Ausbruchsbekämpfung. Das Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) fokussiert auf Gesundheitsforschung und Hochschulbildung. Das Auswärtige Amt (AA) ist zuständig für humanitäre Hilfe bei akuten Gesundheitskrisen, auch solchen infolge gewalttätiger Konflikte.
Andere Ministerien könnten im Sinne des »health in all policies«-Ansatzes ihr Engagement steigern. So werden etwa die Landwirtschafts-, Umwelt- und Außenwirtschaftspolitik noch nicht sichtbar genug mit globaler Gesundheit in Verbindung gebracht. Das Kanzleramt nimmt eine eigenständige Rolle ein. So bat Merkel im April 2018 zusammen mit Ghanas Staatspräsident Nana Akufo-Addo und Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg den WHO-Generaldirektor, einen globalen Aktionsplan zum Entwicklungsziel Gesundheit vorzulegen.
Fünf Jahre nach Veröffentlichung der Strategie zur globalen Gesundheitspolitik sind zwischen den Ressorts die unterschiedlichen Themenbereiche weitestgehend aufgeteilt (siehe Graphik). Doch kann die strikte Zuständigkeitsverteilung zu Problemen in den Partnerländern führen, wenn sich dort Aktivitäten der Ressorts doppeln, wenn Komponenten fehlen oder nicht ineinandergreifen. Notwendig ist eine bessere Koordinierung, die in Berlin beginnen muss.
Eckpunkte für die Neuausrichtung
In den vergangenen Jahren haben sich mit dem Ebolafieber-Ausbruch und der Entwicklungsagenda 2030 die Rahmenbedingungen für globale Gesundheit in Deutschland geändert. Wissenschaft, andere Staaten und internationale Organisationen schreiben der Bundesregierung heute eine Führungsrolle in globaler Gesundheitspolitik zu. Dies ist ein Vertrauensbeweis wie auch ein Vertrauensvorschuss für die deutsche Politik.
Die Aktualisierung der deutschen Strategie zur globalen Gesundheit ist daher überfällig. Unter Federführung des BMG sowie breiter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft soll sie bis Ende 2019 abgeschlossen sein. Fünf Punkte sollten dabei berücksichtigt werden:
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Werteorientierung: Es bedarf einer klaren wertebasierten Prioritätensetzung, die auf bestehenden Erfahrungen und Stärken aufbaut, aber auch den Mut hat, neue Akzente zu setzen. Die globale Gesundheitspolitik könnte neben nationalen Interessen verstärkt auch globale Gerechtigkeitsaspekte in den Blick nehmen und deutlicher eine präventive, partnerschaftliche Grundhaltung einnehmen.
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Finanzielles Engagement: Finanziell nimmt Deutschland noch keine Führungsrolle ein. Die von der WHO vorgegebene Zielmarke, dass Industriestaaten 0,1 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit investieren, hat Deutschland bisher nicht erreicht.
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Neue Akteure: Im Sinne des »health in all policies«-Ansatzes ist es notwendig, Akteure partnerschaftlich einzubeziehen, die traditionell wenig Bezug zu globalen Gesundheitsthemen haben. Dazu zählen staatliche wie nichtstaatliche Akteure aus Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt- und Verteidigungsressort ebenso wie Akteure des öffentlichen Gesundheitswesens auf Länder- und kommunaler Ebene.
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Kooperation mit Geberpartnern: Die Prioritätensetzung sollte verstärkt mit anderen Staaten koordiniert werden, um Synergien zu nutzen. Zu den relevanten Geberpartnern zählen auch nichttraditionelle Akteure in globaler Gesundheit wie Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika.
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Aktionsplan: Neben einer klaren Schwerpunktsetzung und einer Bündelung aller laufenden Prozesse benötigt eine neuausgerichtete Strategie einen klaren Zeithorizont, Regeln für die Einbindung nichtstaatlicher Akteure sowie einen Überprüfungsmechanismus zur Erfolgsmessung. Ein Aktionsplan sollte diese Elemente zusammenfassen. Als Muster dafür kann der »Global Action Plan for healthy lives and well-being for all« dienen, den die WHO nach der erwähnten Bitte von Kanzlerin Merkel und anderen im Oktober 2017 veröffentlicht hat.
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