Trotz bester Prognosen hat die australische Labor Party die nationalen Parlamentswahlen am 18. Mai 2019 verloren. Für die überraschende Niederlage der Sozialdemokraten machen viele Beobachter den wenig charismatischen Spitzenkandidaten Bill Shorten verantwortlich, ebenso das geringe Interesse der australischen Wähler an Maßnahmen zum Klimaschutz. Gewonnen hat Premierminister Scott Morrison mit einem Wahlprogramm, das migrationskritisch ist und die Eigenverantwortung der Bürger betont. Die europäisch-australische Zusammenarbeit dürfte schwieriger werden, was Klimaschutz betrifft – leichter allerdings in Handelsfragen und bei der Entwicklung einer gemeinsamen Politik der OECD-Länder gegenüber China.
Seit der letzten Parlamentswahl im Jahr 2016 hatte es an positiven Prognosen für die Labor Party nicht gemangelt. In allen Umfragen wurde der Partei von Oppositionsführer Shorten ein – wenn auch knapper – Wahlsieg vorhergesagt. Nun konnte der seit 2018 amtierende Premier, der lange unterschätzte frühere Einwanderungsminister Morrison, einen Erfolg erzielen, der Labor in eine unerwartete Krise stürzt. Für die künftige Zusammenarbeit europäischer Länder mit Australien birgt der Wahlsieg der Konservativen durchaus Chancen. Insbesondere beim Umgang mit China wird ein abgestimmtes Vorgehen wahrscheinlicher. In Sachen Klimaschutz ist von der neuen australischen Regierung indes wenig zu erwarten.
Klimaschutz oder Wohlstand durch Kohleförderung?
Für europäische Beobachter ist es immer wieder überraschend, dass in Australien der Klimaschutz eine recht geringe Rolle spielt. Trotz günstiger Voraussetzungen steht das Land weder bei Wind- noch bei Sonnenenergie an einer führenden Stelle. Zu einfach und zu billig ist hier die Nutzung fossiler Brennstoffe, insbesondere von Kohle. 2017 steuerten Windenergie (4,9 Prozent) und Solarenergie (3,4 Prozent) einen nur bescheidenen, wenn auch wachsenden Teil zur Stromversorgung in Australien bei. Doch obwohl eine Energiewende bislang ausgeblieben ist, müssen die Verbraucher des Landes immer mehr für Strom bezahlen. Die durchschnittlichen Kosten stiegen von 2007 bis 2017 um real 63 Prozent.
Die Frage nach der künftigen Rohstoff- und Energiepolitik Australiens spielte im vergangenen Wahlkampf eine wichtige Rolle. Urbane Wähler zeigten sich sehr viel empfänglicher dafür, die Kohleförderung einzustellen, als die Bevölkerung im ländlichen Raum. Letztlich entschied der nordöstliche Bundesstaat Queensland die Wahl. Dort finden sich einige der größten bislang noch unerschlossenen Kohlelagerstätten des Landes. Besonders die Debatte um die Mine »Carmichael«, die das indische Unternehmen Adani nutzen will, schadete den Sozialdemokraten. Anders als die Konservativen wollte es die Labor Party grünen Wählern aus den Städten ebenso recht machen wie künftigen Bergmännern. Sie sprach sich weder für noch gegen die neue Kohlemine aus – und scheiterte mit diesem Spagat auf ganzer Linie.
Nur fünf der insgesamt 30 Sitze von Queensland gingen an Labor. Diese regionale Schwäche trug entscheidend zur Wahlniederlage der Partei bei. Schon lange gilt Queensland als »Deep North« Australiens. Es ist bemerkenswert, dass die Labor Party dem strukturkonservativen Bundesstaat im Wahlkampf nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Frustrierte Umweltschützer forderten bereits einen »Quexit«, den Ausschluss Queenslands aus dem Australischen Bund, um eine progressivere Umweltpolitik zu ermöglichen.
Australiens im Kern konservative Gesellschaft hat sich den Erfordernissen eines entschlosseneren Klimaschutzes schon häufig verweigert. 2005 etwa lehnte es der damalige Premierminister John Howard ab, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren, weil es Australien keinen Nutzen bringe. Solange große CO2-Emittenten wie die USA und China sich nicht an Maßnahmen zum Klimaschutz beteiligten, so Howard damals, habe es für sein Land wenig Sinn, dem Abkommen beizutreten. Ungeachtet dieser Vorgeschichte wurde der Klimaschutz im zurückliegenden Wahlkampf so stark betont, dass ein Sieg von Labor fast unvermeidlich erschien.
Fehlprognosen der Meinungsforscher
Maßgeblich beigetragen zu der Fehleinschätzung haben Journalisten und Intellektuelle. Diese Beobachter waren überzeugt, die breite Masse der Wähler betrachte Klimaschutz und eine stärkere Besteuerung von Reichen als ausschlaggebend für das Schicksal Australiens. Für die urbanen Eliten des Landes war unvorstellbar, dass Premier Morrison die Wahl für sich entscheiden könnte. Morrison gilt als äußerst konservativ und sehr gläubig. Im australischen Parlament trat er einmal mit einem Brocken Steinkohle auf, um für die Vorzüge des Kohleabbaus zu werben.
Die Fehlprognosen der Meinungsforscher erinnern an die Vorhersagen zum Brexit-Referendum in Großbritannien 2016 und vor der US-Präsidentenwahl im selben Jahr. Damals scheuten sich viele Wähler, bei Umfragen ihren Standpunkt offen zu äußern. Auch in Australien hielten offenbar zahlreiche Bürger mit ihrer Meinung hinterm Berg; erst in der Wahlkabine zeigten sie ihre tatsächliche Präferenz. Vor der Abstimmung galt es in Australien als politisch inakzeptabel, höhere Steuern und mehr Umverteilung abzulehnen, (kostspielige) Maßnahmen zum Klimaschutz zurückzuweisen oder eine weitreichende Stärkung individueller Identitäten zu missbilligen. Doch die Wähler haben am 18. Mai anders entschieden. Sie votierten für niedrigere Steuern und für eine Politik, die weiterhin auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen setzt. Nicht ohne Grund dankte Morrison am Wahlabend den »stillen Australiern«, die ihm und seiner Partei zum Sieg verholfen hätten.
Die Labor Party, die in der Woche vor den Wahlen den Tod des populären Ex-Premiers Bob Hawke betrauerte, war mit einem Ansatz angetreten, der sich fundamental von ihrer früheren Wirtschaftspolitik unterschied. Während die Partei unter den Premierministern Bob Hawke und Paul Keating von 1983 bis 1996 auf Deregulierung und eine Stärkung der Marktkräfte gesetzt hatte, verfolgte sie nun ein Konzept der Umverteilung und der Steuererhöhungen. Die australische Bevölkerung konnte sich für diese Politik nicht erwärmen.
Die migrationskritische Einwanderungsgesellschaft
Gewiss haben Steuer- und Klimaschutzpolitik nicht allein die Wahl für die Konservativen entschieden. Erstaunlich ist, wie sehr sich die Stimmung in Australien beim Thema Migration gewandelt hat. Das Land hatte Ende des Zweiten Weltkriegs gerade einmal 7 Millionen Einwohner (gegenüber rund 25 Millionen heute). Seit den späten 1940er Jahren verfolgte es ein Konzept der geregelten, aber stetig hohen Zuwanderung. Anfangs wurde diese Politik mit einer drohenden Besetzung Australiens durch asiatische Invasoren begründet. Der damalige Slogan hieß »Populate or Perish«. Später betonten australische Politiker den ökonomischen Nutzen von Migration, wofür sie Unterstützung in der eigenen Bevölkerung fanden. Noch im Jahr 2010 sagte knapp die Hälfte der Australier, das Land benötige mehr Menschen. Dieser Einschätzung stimmten in einer Umfrage von Januar 2019 gerade noch 30 Prozent der Bürger zu.
Die Labor Party hat im Wahlkampf diese Stimmung nicht aufgegriffen, sondern darauf gepocht, die bisherige Einwanderungspolitik fortzusetzen. Oppositionsführer Shorten versprach auch, mehr Flüchtlinge im Land aufzunehmen. Anders die Politik des amtierenden Premiers: Morrison vertrat zwar nicht offensiv einen migrationskritischen Kurs, setzte sich aber durch zwei Maßnahmen von Labor ab. Zum einen verweigerte er im November 2018 die Unterschrift Australiens unter den UN‑Migrationspakt, was er mit Sicherheitsbedenken begründete. Zum anderen legte er zusammen mit dem Haushaltsentwurf für 2019/2020 einen Plan vor, der es ermöglichen sollte, die Zuwanderung von 190 000 auf 160 000 Personen pro Jahr zu reduzieren.
Es wäre zu einfach, die wachsende Skepsis der Australier gegenüber Migration auf zunehmende Fremdenfeindlichkeit zurückzuführen. Im Mittelpunkt steht vielmehr das beschwerlicher werdende Alltagsleben. Australier sind wohlhabend, verbringen aber sehr viel Zeit in überfüllten Nahverkehrsmitteln oder immer länger werdenden Staus. Zuwanderer haben zur Überlastung der Großstädte beigetragen, weil sie sich eher in Sydney oder Melbourne als in Wagga Wagga oder Kalgoorlie ansiedeln. Die australische Politik hat auf die Engpässe bei Infrastruktur und Wohnungsmarkt noch keine Antwort gefunden, die die Wähler überzeugt hätte. Gewiss hat es der Labor Party in diesem Zusammenhang auch geschadet, dass ihr früherer Premierminister Kevin Rudd einst die massive Ausweitung der Zuwanderung forderte. Rudd sprach sich 2009 für ein »Big Australia« aus und propagierte den Anstieg der Landesbevölkerung auf 35 Millionen bis zum Jahr 2050.
Scheiterte Labor an seiner China‑Politik?
Ein Thema, das die australische Politik in den letzten Jahren intensiv beschäftigt hat, ist der Umgang mit China. Australien ist wie kaum ein anderes Land von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Volksrepublik abhängig. Zugleich sieht es sich heftigem politischen und ökonomischen Druck durch Peking und dessen Vertreter vor Ort ausgesetzt. Labor erweckte im Wahlkampf den Eindruck, die Gefahr einer chinesischen Unterwanderung nicht ernst zu nehmen – auch dies trug zur Niederlage vom 18. Mai bei.
Eine chinafreundliche Politik hat bei Labor lange Tradition. Unmittelbar nach Amtsantritt des sozialdemokratischen Premiers Gough Whitlam 1972 nahm Australien diplomatische Beziehungen zu China auf. Ende der 1980er Jahre beauftragte die Regierung von Premierminister Hawke und Finanzminister Keating den Ökonomen Ross Garnaut, einen Bericht zum wirtschaftlichen Aufstieg ostasiatischer Länder zu verfassen. Das so entstandene Werk »Australia and the Northeast Asian Ascendency« wurde zum Weißbuch der australischen Regierungen der letzten drei Dekaden. Kevin Rudd, Premier von 2007 bis 2010, gilt als Freund Chinas, auch weil er fließend Mandarin spricht. Diese Nähe zu Peking hat Labor bei der Wahl 2019 nicht genutzt, sondern geschadet. Denn die australische Gesellschaft sieht China zunehmend als Bedrohung und weniger als Chance.
In den letzten zwei Jahren kam es zwischen Australien und China zu wachsenden Spannungen. Der im Iran geborene Labor-Senator Sam Dastyari musste im Januar 2018 nach langer Kontroverse zurücktreten, weil er Zahlungen aus China angenommen und im Gegenzug die Positionen Pekings unterstützt hatte, etwa beim Streit um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. Die Dastyari-Affäre führte zu einem neuen Gesetz, dass es australischen Amtsträgern untersagt, sich von ausländischen Akteuren beeinflussen zu lassen. Politische Spenden aus dem Ausland wurden verboten und Lobbyisten gezwungen, Verbindungen zu ausländischen Unternehmen offenzulegen.
Obwohl die Sensibilität der australischen Gesellschaft in solchen Fragen erkennbar gestiegen ist, versuchte die chinesische Regierung zuletzt in wachsendem Maße, auf die australische Politik einzuwirken. Der chinesische Botschafter in Canberra warnte im Juni 2018 vor einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Er kritisierte, in Australien herrsche nach wie vor die Mentalität des Kalten Krieges. Einige Beobachter im Land kommentierten, die chinesische Regierung versuche der australischen Gesellschaft das gleiche Angebot zu machen wie der eigenen: Wohlstand im Gegenzug für Gehorsam und Zensur. Ein früherer australischer Spitzendiplomat, Peter Varghese, stellte fest, Peking erwarte eine »präventive Berücksichtigung« seiner Interessen.
Vor diesem Hintergrund vermittelte Labor im Wahlkampf nicht das Bild, uneingeschränkt australische Interessen zu vertreten. Die Konservativen hingegen hatten schon im Vorfeld einige Maßnahmen ergriffen, um Chinas Einfluss in Australien zurückzudrängen. Nicht nur kam das erwähnte neue Gesetz zustande, auch wurden einzelne chinesische Akteure des Landes verwiesen, etwa der Immobilienentwickler und politische Aktivist Huang Xiangmo.
Folgen für die australisch-europäischen Beziehungen
Der Wahlsieg der Konservativen kam für viele Beobachter unerwartet, weil sie überschätzt hatten, wie wichtig die von Labor betonten Themen den australischen Wählern sind. Die Sozialdemokraten konnten zwar die grün-urbane Bevölkerung von ihrem Programm überzeugen, doch entschieden wurde die Abstimmung in den ländlichen Wahlkreisen.
Was die Beziehungen Europas zu Australiens Regierung angeht, dürfte die Zusammenarbeit in Fragen des Klimaschutzes schwieriger werden. Es ist nicht zu erwarten, dass Premierminister Morrison sich verstärkt um eine Reduzierung der CO2-Emissionen bemühen wird. Bei der Frage, wie die OECD-Länder auf Chinas Außenwirtschaftspolitik reagieren sollen, wird die Kooperation mit der Regierung Morrison indes leichter werden. Die australische Führung versucht zwar, das Verhältnis zu China zu stabilisieren, hat sich aber in den letzten Jahren zunehmend selbstbewusst eine Einmischung Pekings in innere Angelegenheiten verbeten.
Für China ist Australien wohl ein Testfall. Ein australischer Beobachter bezeichnete sein Land schon warnend als Kanarienvogel in der Kohlengrube. Am Beispiel Australiens wird die aggressive Politik der Volksrepublik deutlich. Gerade weil das Land massivem Druck aus Peking ausgesetzt ist, sollten Europas Beziehungen zu ihm vertieft werden. Zu empfehlen ist, das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und Australien möglichst rasch abzuschließen.
Prof. Dr. Heribert Dieter ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen, außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam und Gastprofessor für internationale politische Ökonomie an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen am Bodensee.
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doi: 10.18449/2019A32