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Eine neue Entwicklungsphase der BRICS

Erweiterung und neue Identität

SWP-Aktuell 2023/A 52, 17.08.2023, 8 Pages

doi:10.18449/2023A52

Research Areas

Vom 22. bis zum 24. August 2023 wird in Johannesburg der 15. Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) stattfinden. Mit der nun bestätigten virtuellen Teilnahme des russischen Präsidenten Putin konnten diplo­matische Verwicklungen aufgrund des gegen ihn vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehls vermieden werden. Die Aufmerksamkeit gilt nun wieder der weiteren Entwicklung der BRICS. Im Zuge einer möglichen Erweiterung seiner Mitgliedschaft um bedeutende Rohstoffmächte könnte sich der BRICS-Verbund als Stimme des Globalen Südens konsolidieren und gleichzeitig seine weltpolitische Rolle ausweiten. Doch die Übermacht Chinas innerhalb der BRICS wird von den anderen Mitgliedern kritisch gesehen – man will sich dem weltpolitischen Vormachtstreben Pekings nicht unter­ordnen. Gleichwohl wird sich der Westen mit einem gestärkten Selbstbewusstsein der BRICS-Staaten und deren Vorstellungen von der internatio­nalen Ordnung proaktiv auseinandersetzen müssen.

Die BRICS sind als Gruppe durch innere Ungleichgewichte gekennzeichnet, sei es hin­sicht­lich der Größe der einzelnen Län­der, ihrer jeweiligen Wirtschaftskraft oder auch ihrer Rolle in der internationalen Politik. Diese innere Heterogenität wurde lange als Beschränkung für den Zusammen­halt und die politische Wirksamkeit der Gruppe an­gesehen. Chinas Wirtschaft ist zum Beispiel bedeutender als die Volkswirtschaften Bra­siliens, Russ­lands, Indiens und Südafrikas zusammen, gleichzeitig ist China ein wich­tiger Wirtschafts- und Handelspartner für diese vier Länder. Darüber hin­aus ist das poli­tische Gewicht Chinas rele­vant für den Zusammenhalt der Gruppe. Angesichts der heterogenen Interessenlagen der betei­ligten Länder beruht der Weg zum Erfolg der BRICS bis heute auf ihrem Willen zur prak­tischen Zusammenarbeit als Grund­lage der Vertrauensbildung.

Die Zielsetzungen des BRICS-Verbundes ergeben sich daher primär auch aus den individuellen Interessen seiner Mitglieder. Auf internationaler Ebene bewegen sich die BRICS bisher trotz ihrer Forderung nach einer Neu­ordnung der globalen Ordnung zwischen zwei Polen: Einerseits bilden sie einen Gegen­pol zu vom Westen dominierten internatio­nalen Foren, andererseits fungieren sie häu­fig als Kooperationspart­ner westlicher Staa­ten und agieren kom­plementär zu west­lichen Interessen. Zwar kriti­sieren die BRICS die be­ste­hende inter­nationale Ord­nung, (unter)­stütz­en sie durch ihr prakti­sches Han­deln letzt­lich aber eher und legi­timie­ren sie dadurch. Dies zeigte sich deut­lich während der Finanzmarktkrise 2007 / 2008 und in abgeschwächter Form bei der Bewäl­ti­gung der weltweiten Aus­brei­tung des Coronavirus.

Wachsende Spannungen zwischen den westlichen Staaten und (einigen) BRICS-Län­dern bezüglich der Implementierung von Sanktionsregimen – nicht zuletzt im Kon­text des Ukraine-Krieges – könnten dazu führen, dass die BRICS künftig mit einer grö­ßeren Zahl von Entwicklungs­ländern enger zusammenarbeiten. Damit würden das BRICS-Format ebenso wie seine Rolle bei der Reform der Global Governance wei­ter gestärkt. Aktuell steht der BRICS-Ver­bund im Zeichen zunehmender innerer Span­nun­gen, bedingt durch die Großmacht­konkur­renz zwischen den USA und China bzw. Russ­land, und muss sein internatio­nales Han­deln anpassen. Überdies haben viele Staa­ten ihr Interesse an einem Beitritt bekundet.

Die innere Institutionalisierung der BRICS

Seit Goldman Sachs 2001 das Akronym BRIC für einen Investmentfonds schuf, haben Brasilien, Russland, Indien und China ihre Zusammenarbeit sowohl erwei­tert als auch vertieft. Dabei standen Ver­fahren der Entscheidungsfindung und die Ausweitung ihrer Agenda im Vordergrund. Im Jahr 2011 ist Südafrika bei­getreten und vervollständigte damit die Gruppe um die Präsenz Afri­kas, die bis dahin gefehlt hatte. Obwohl es sich bei der BRICS-Gruppe um einen infor­mellen Zusammenschluss ohne eigene Charta handelt, vertritt sie dennoch in vie­len Fragen gemeinsame Positionen, etwa was globale Gesundheit, eine neue welt­weite Handels- und Finanzordnung oder die Sicher­heitsarchitektur angeht.

Der institutionelle Charakter der BRICS hat sich im Lauf der Jahre ebenfalls weiter­entwickelt, sowohl durch ein hohes Maß an politischer Inter­aktion in Gestalt jährlicher Gipfeltreffen als auch durch die Schaffung wirtschaftlicher Insti­tutionen wie der Neuen Entwicklungsbank (NDB) 2014 und die im selben Jahr getroffene Vereinbarung über eine Reserve und einen Notfallfonds (Con­tin­gency Reserve Arrange­ment, CRA). Nach An­gaben der Welt­bank ist der Anteil der BRICS am glo­balen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 18 Prozent im Jahr 2010 auf 26 Pro­zent im Jahr 2021 angestiegen, mit jährlichen Zu­wächsen wäh­rend dieses Zeit­raums. Aller­dings muss dabei eine grund­legende Asym­metrie berück­sichtigt werden, weil dieser Aufwärts­trend insbesondere auf das Wachs­tum Chinas zurückgeht, das 2021 über 70 Pro­zent des BIP der BRICS ausmachte.

Auf institutioneller Ebene konnte der BRICS-Verbund unterschiedliche Dynamiken miteinander verbinden: Die multilaterale Ausrichtung geht mit bilateralen Ver­ein­ba­rungen zwischen den fünf Mitgliedern ein­her. Die Bilateralisierung der BRICS erwei­tert also den »Multilateralismus à la carte«. Die­ser wiederum erlaubt es den Mitgliedern, ihre Zusammenarbeit einzu­schränken, wenn ihre Interessen divergieren, und von kollek­tiven BRICS-Einrichtungen wie der NDB zu profitieren, wenn diese mit dem eigenen Interessenprofil über­einstimmen. Diese flexi­bilitätswahrende Komponente ist – trotz zunehmender geopolitischer Spannungen – das Element, das den Zusammenhalt dieser heterogenen Versammlung politischer Ak­teure bis heute gesichert hat. Das Schwanken zwischen der Bildung zwischenstaat­licher Koalitionen auf der einen Seite und dem Interesse an der Formulierung gemein­samer Narrative und Normen im Sinne von community building auf der anderen Seite hat sich als erfolgreiche Überlebensmaxime der BRICS erhalten – selbst angesichts wech­selnder politischer Einstellungen von Regie­rungen in einzelnen Mitgliedstaaten wie zuletzt in Brasilien.

Eine zentrale Rolle fällt dabei der NDB zu, die das Narrativ der BRICS als Infrastruktur­gemeinschaft maßgeblich geprägt hat. 48 Pro­zent der im Zeitraum von 2016 bis 2020 geförderten Projekte bezogen sich auf Infrastrukturmaßnahmen. Als Maßnah­men, die unter das globale Nachhaltigkeitsziel »Industrie, Innovation und Infrastruktur« (SDG 9) fallen, werden in der NDB-Strategie 2017–2021 sogar beinahe zwei Drittel aller Projekte beschrieben. Die Aktivitäten der NDB und ihr Gestaltungs­anspruch spiegeln sich in der Frage der Mitgliedschaft wider: Die NDB soll sowohl ihren kreditnehmen­den als auch ihren nicht kreditnehmenden Mitgliedern einen Anlaufpunkt bieten – prin­zipiell steht sie allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen offen.

Der Wandel der BRICS-Identität

Mit der Gründung der Gruppe war das Akro­nym BRIC gekoppelt an eine bestimmte Wahrnehmung ihrer Mitgliedsländer, näm­lich als die sogenannten »rising powers«, als die aufsteigenden Mächte der Weltwirtschaft und damit auch als geeig­netes Ziel von Auslandsinvestitionen. Schnell war die Debatte um die BRICS von der Frage ge­prägt, ob ihr Handeln in der internationalen Poli­tik vor allem Statusinteressen folge oder ob sie auch bereit wären, sich an der Verteilung von Lasten (burden sharing) zu beteiligen.

Seit die G20 im Jahr 2008 die zentrale Instanz zur Bewältigung der globalen Finanz­marktkrise wurde, hat sich dieses Forum zu einem Ort entwickelt, an dem sich die BRICS-Staaten als die neuen Anführer des Globalen Südens profilieren konnten. Damit hat sich die Tendenz verfestigt, das Akro­nym BRICS weniger mit »aufsteigenden Mäch­ten« zu assoziieren, deren Auf­stieg mit Ausnahme Chinas weitgehend ins Stocken geraten ist, sondern stattdessen das Aufkommen einer »postwestlichen Welt« mit multipolaren Charakteristika in den Vor­­dergrund zu rücken. Tragend ist nun weni­ger eine gemein­same Identität als das Inter­esse an einer neuen globalen Ordnung, die am besten durch die strate­gische Bünde­lung von Kräften in einer Gruppe vorangetrieben werden könne. Damit hat das Trans­formationsinteresse an Gewicht gewonnen, wäh­rend das Aufstiegsnarrativ immer mehr in den Hintergrund getreten ist.

Die innere Heterogenität der BRICS-Gruppe, die Dominanz Chinas in wirtschaft­licher Hinsicht und Russlands G8-Mitglied­schaft bis zu seinem Ausschluss im Jahr 2014 behinderten indes nicht die Bemühun­gen, sich als Stimme des Globalen Südens zu etablieren und in gewissem Umfang auch eine Führungsrolle anzustreben. Wich­tigstes Instrument dabei war und ist die Förderung der NDB, um Süd-Süd-Koopera­tionen voran­zubringen und so ein Zeichen für ein ver­ändertes Verständnis von Ent­wicklungs­zusammen­arbeit zu setzen, die nun auf der Basis von Solidarität und ver­minderten Auf­lagen stattfinde. Auf­genom­men wird dabei wiederum das Narra­tiv glo­baler Machtverschiebungen, die diesmal jedoch zugunsten des Globalen Südens er­folgen sollen.

Auf globaler Ebene konnten die BRICS ihre Innovationskraft bislang allerdings nur sehr beschränkt unter Beweis stellen. Ihr Anspruch, das internationale Ordnungs­gefüge zu reformieren, hat nicht zu den er­wünschten Gewichtsverschiebungen ge­führt. Vielmehr ist die BRICS-Gruppe zunehmend in den Strudel der Verwerfungen inter­natio­naler Politik geraten und wird von China und Russland als Instrument betrach­tet, um west­lichen Positionen entgegen­zuwirken. Daraus ergibt sich eine wachsende Rivalität zwi­schen den BRICS und der G7, die sich seit dem rus­sischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbunde­nen geo­politischen Spannungen weiter verschärft. Obwohl in den letzten Jahren BRICS-Mit­glie­der und andere Staaten des Globalen Südens zu G7-Gipfeln eingeladen wurden, entwickelt das BRICS-Forum anti­westliche Tendenzen, die sich mit der (berechtigten) Kritik an der un­gleichen Macht­verteilung im multilateralen System ver­mischen und die BRICS so für unterschiedliche Akteure attraktiv machen.

Die Erweiterungsfrage: BRICS, BRICS+, Friends of BRICS?

Über 40 Staaten weltweit haben laut Aus­sage der südafrikanischen Regierung ihr Inter­esse an einer BRICS-Mitgliedschaft be­kun­det. 23 Staaten haben einen formalen Antrag gestellt. Dazu gehören Ägypten, Algerien, Argentinien, Bahrain, Indonesien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sowie jüngst auch Belarus. Die bisherigen Mitglie­der wollen ein Ver­fah­ren erarbeiten, das den Aufnahme­prozess regelt und Gegenstand einer mög­lichen Beschlussfassung auf dem Gipfel in Johannesburg sein soll.

An der Erweiterungsfrage zeigt sich er­neut die unterschiedliche Interessenlage der BRICS-Mitglieder: China betrachtet eine Erweiterung zu BRICS+ als Teil seiner Stra­tegie zur Neugestaltung der internationalen Ordnung und wird dabei von Russland unter­stützt. Die drei anderen Mitglieder Brasilien, Indien und Südafrika hin­gegen standen diesem Interesse an einer Erweiterung zunächst sehr reserviert gegenüber, da sie durch eine Aufnahme neuer Mitglie­der ihren eigenen Status gefährdet sahen – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich einige wirtschaftlich starke Akteure unter den potenziellen Beitrittskandidaten befinden. Darüber hinaus befürchten sie, dass sich das bereits bestehende chinesische Über­gewicht verstärken würde. Zudem könnte durch eine Aufblähung des Verbunds die ohnehin prekäre Kohäsion leiden und die Konsensfindung noch schwieriger werden. Aus diesem Grund bevorzugen diese drei Länder eine Erweiterung in Form von ab­geschwächten Mitgliedschaften, die die bis­herige Kern­gruppe in ihrer jetzigen Zusam­men­setzung erhalten würden.

Während China seit 2017 auf eine bal­dige Entscheidung drängt, spielen Brasilien, Indien und Südafrika auf Zeit und wollen zunächst Formen der Beteiligung an der NDB anbieten und längere Aufnahmefristen etablieren. Die NDB hat bereits die VAE, Bangladesch und Ägypten als Mit­glieder aufgenommen, Uruguay ist Beitrittskandidat. Daher ist denkbar, dass neben der BRICS-Kerngruppe ein er­wei­terter Kreis von BRICS+-Staaten ent­stehen wird, der von einem noch weniger eingebundenen Kreis der »Friends of BRICS« umrahmt würde. Die Teilhaberechte wären bei einer solchen Lösung proportional zur Entfernung vom Kern zunehmend schwä­cher ausgeprägt. Auch hier müssen sich die BRICS-Mitglieder noch einig werden dar­über, welche Staaten aufgenommen werden sollten.

Für einige interessierte Staaten wäre ver­mutlich selbst eine schwächere Lösung attraktiv. Denn eine Annäherung könnte Reputationsgewinn und möglicherweise eine weitere Absicherung (etwa gegen Sank­tionen und deren Folgen) bedeuten, und das in einer zunehmend pola­risierten Welt, in der sich Auf­forderungen, sich einer be­stimmten Seite der geopolitischen Konkurrenz anzuschließen, womöglich häufen werden. Außerdem dürfte eine BRICS-Mit­glied­schaft die Beziehungen zu weiteren Ländern im Globalen Süden stärken.

Die unterschiedlichen Haltungen zur Erweiterungsfrage werden durch die Art und Weise unter­strichen, wie die BRICS-Mit­glie­der konkret vorgehen: Die Umsetzung des BRICS+-Rahmens ist bei verschiedenen BRICS+-Gipfeln 2017 (China), 2018 (Südafrika) und 2022 (China) erfolgt, indem auch eine Reihe von Entwicklungsländern einge­laden waren, die nicht Teil des BRICS-Kerns sind. Die Teilnehmer dieser BRICS+-Gipfel sind nicht generell festgelegt, sondern variieren stark in Abhängigkeit von den Prä­ferenzen des Landes, das gerade die Prä­si­dentschaft führt. Brasilien, Russland und Indien hatten beschlossen, in den Jahren 2019 bis 2021 während ihrer jeweiligen Prä­si­dentschaft keine BRICS+-Gipfel abzu­hal­ten.

Doch jenseits der forma­len Erweite­rung durch die Aufnahme neuer Mitglieder sind auch andere Formate vorstellbar: Diskutiert wird zum einen ein regionaler Ansatz, der insbesondere die Kooperation mit jenen regionalen Gruppen und Organi­sa­tionen in Betracht zieht, in denen ein­zelne BRICS-Mit­glied­staa­ten selbst aktiv sind. Hier­zu zählen etwa Mercosur (dem das BRICS-Mitglied Brasilien angehört), die Eura­sische Wirt­schaftsunion (Russland), die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Tech­nical and Economic Co­operation (BIMSTEC) (Indien), die Shanghaier Organisation für Zusammen­arbeit (China, Russland, Indien) sowie die Afrika­nische Union (Südafrika). Ein solch regio­naler Zuschnitt hätte den Vorteil, dass die NDB regionale Ent­wicklungsbanken an­sprechen könnte und regionale Stabilisierungsinstrumente ein­be­zogen werden könn­ten, wodurch sich die Reichweite der finan­ziellen Kooperation erhöhen ließe. Auf diese Weise würde ein Rahmen für ein gemeinsames Portfolio im Investitions­bereich geschaffen, der eine Beteiligung folgender Institutionen ermög­lichte: der Eurasischen Entwicklungs­bank (EDB), der Entwicklungs­bank des Südlichen Afrika (DBSA), des SAARC-Entwicklungs­fonds (SDF), des Mercosur-Fonds für Struk­turelle Kon­ver­genz (FOCEM), der Chinesischen Entwick­lungsbank (CDB) sowie des China-ASEAN-Investi­tions­koope­rations­fonds (CAF). Die Zusammenarbeit mit Staats­fonds in der ara­bischen Welt wäre eine zusätzliche Option.

Zum anderen wäre als Alternative hierzu eine Pool-Option denkbar, in der einzelne Schwer­gewichte aus dem Kreis derjenigen Entwicklungsökonomien, die als Ressourcen­mächte in der Weltwirtschaft Bedeutung haben, in den BRICS+-Rahmen auf­genom­men würden. In diesen Zusammenhang fällt die sogenannte InPEAKS-Gruppe, der Indonesien, Pakistan, Ägypten, Argentinien, Kasachstan und Saudi-Arabien angehören. Ergänzend könnte man auf bereits be­stehende Allianzen zugehen, etwa die Platt­form zum Schutz der Regenwälder (Brasi­lien, Demokratische Republik Kongo, Indo­nesien), oder auf einzelne Staaten, die stark auf Rohstoffgewinnung ausgerichtet sind, wie Argentinien, Bolivien und Chile (das latein­amerikanische Lithium-Dreieck).

Von indonesischer Seite wurde Interesse an einem Kooperationsformat geäußert, das dem Modell der Organisation Erdöl expor­tierender Länder (OPEC) nachempfunden ist, um eigene Nickel-, Kobalt- und Mangan­vorkommen international besser verwerten zu können. Allerdings würden Zusammenschlüsse wie eine Gas-OPEC oder sektorale Plattformen für die Verwertung Seltener Erden oder Dünger mit dem Ziel, größere Marktmacht und damit höhere Preise zu er­zielen, auch die Abnehmer in Entwick­lungs­ländern betreffen. Sie würden dem Geist der BRICS als Vertreter des gesam­ten Glo­ba­len Südens also zuwider­laufen. Die Attrak­ti­vität für viele Länder des Globalen Südens läge aber sicherlich darin, den BRICS+-Rah­men dafür zu nutzen, durch Sektorplattformen protek­tionisti­schen Ten­denzen in den Industrieländern ent­gegen­zuwirken, etwa Friend­shoring und anderen Maßnahmen zur Re­industrialisie­rung, wie sie ins­besondere die USA ergrif­fen haben.

Letztlich wird eine selektive Erweiterung um solche Länder im Vordergrund stehen, die aktiv zur BRICS-Gruppe beitragen kön­nen, aber keinen politischen Konfliktstoff und diplomatischen Ballast mitbringen. Die VAE, Saudi-Arabien und Indonesien könn­ten angesichts ihrer wirtschaft­lichen Bedeu­tung und ihres Kooperations­potenzials inter­essante Kandidaten für einen anlaufen­den Aufnahmeprozess sein. Dieser Ansatz würde es den BRICS ermöglichen, ihren Einfluss auszuweiten, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu ver­tiefen sowie poten­ziell disruptive Folgen zu minimieren, die die Aufnahme poli­tisch komplexer Länder mit zusätzlicher Prob­lem­last haben könnte. Dies setzt jedoch voraus, dass die BRICS sich dar­auf verständigen, auf regionale Lobby­arbeit zu ver­zichten, im Rahmen derer sie sich auf der Grundlage regionaler Bündnisse für be­stimmte Länder einsetzen – etwa China für Pakistan, Russland für Belarus und den Iran oder Brasilien für Argentinien. Ein solcher Verzicht ist aktuell aber nur bedingt wahrscheinlich.

Die Transformationsagenda der BRICS

In ihren gemeinsamen Erklärungen haben die BRICS-Staaten die übergreifenden Grund­sätze für ihre Zusammenarbeit for­muliert. Sie betonen stets die Achtung der Souveränität, der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der nationalen Einheit ihrer Mitglieder sowie die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Zudem wollen sie sich für die Förderung des Frie­dens einsetzen – ein Aspekt, der namentlich Brasilien, Indien und Süd­afrika seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in arge Bedrängnis gebracht hat.

Ein besonderes Augenmerk der BRICS gilt der Transformation des internationalen Finanzsystems. Diskutiert wird der Aufbau einer eigenen Reservewährung, die als Währungskorb R5 oder R5+ angedacht und deren Bezeichnung angelehnt ist an die Anfangsbuchstaben der Währungen der fünf BRICS-Staaten (Real, Rubel, Rupie, Ren­minbi, Rand). Ziel ist ein Mechanismus, der sich am System der Sonderziehungsrechte der Weltbank orientiert und der durch entsprechende Reservenbildung bei den jeweiligen Nationalbanken als Sicherungs­option fungieren könnte.

Auch wenn gegenwärtig noch 84,3 Pro­zent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den BRICS-Staaten in US-Dollar abgewickelt werden und über den chine­sischen Yuan nur 4,5 Prozent, sind die Beteiligten bestrebt, für den Intra-BRICS-Handel nicht mehr den Dollar als primäre Zahlungs- und Rechnungseinheit zu ver­wenden. Wenn die BRICS-Mitglieder für den internationalen Handel nur den »Bric« als Währung nutzen wollten, um damit der Dollar-Hegemonie zu entkommen, müsste dies in bilateralen Vereinbarungen fest­gelegt werden. Brasilien und China haben bereits vereinbart, den bilateralen Handel über die jeweiligen Landeswährungen ab­zuwickeln, China und Russ­land praktizieren dies seit Längerem.

Ab­gesichert werden soll die neue Währung durch Gold und andere strategische Export­güter (Rohstoffe). Dies könnte die Attraktivität ebenso für internationale An­leger erhöhen, da wegen steigender Rohstoff­preise zusätzliche Gewinne zu erwarten wären. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass alle BRICS-Staaten auch weiterhin für einen großen Teil ihres Außenhandels auf den Dollar zurückgreifen werden. Überdies ist das Volumen des Intra-BRICS-Handels eher gering, wenn man vom jeweils bilate­ralen Handel mit China absieht. Aus geo­politischer Sicht ist das Streben nach einer De-Dollarisierung Ausdruck des Interesses, die Fähigkeit der USA einzu­schränken, ihre Sicherheitsinter­essen mithilfe von Finanz­sanktionen durchzusetzen.

Insgesamt betrachtet sind mit der Schaffung einer neuen Währung zahlreiche Fra­gen verbunden, zum Beispiel wie Wechsel­kursstabilität gewährleistet, die Geldpolitik koordiniert und eine angemessene Finanz­infrastruktur aufgebaut werden kann. Sie bedürfen intensiver Klärung innerhalb des BRICS-Verbundes und be­nötigen eine belast­bare Vertrauensbasis. Daher wird das Thema gemeinsame Währung bei dem anstehenden Gipfel in Johannesburg noch keine Rolle spielen, wie die südafrikanische Regie­rung ankündigte.

Die Rolle Südafrikas als Gastgeber des BRICS-Gipfels

Im Rahmen des Außenministertreffens der »Freunde der BRICS-Gruppe« am 2. Juni 2023 in Kapstadt bezeichnete Südafrikas Außenministerin die BRICS als Block, der als »Vorkämpfer für die Entwicklungsländer« auftrete. Iran, Saudi-Arabien, die Ver­einigten Arabischen Emirate, Kuba, die Demokratische Republik Kongo, die Komo­ren, Gabun und Kasachstan schickten Ver­treter zu den Gesprächen; Ägypten, Argen­tinien, Bangladesch, Guinea-Bissau und Indonesien nahmen virtuell teil.

Südafrika, einer der ökonomisch schwächeren Staaten in der BRICS-Allianz, hat dieses Jahr den Vorsitz inne. Für die süd­afrikanische Regierung ist BRICS ein wich­ti­ges Format, das einerseits die Beziehungen zu dem für Südafrika zentralen Wirtschafts­partner China stärkt und andererseits eine Möglichkeit bietet, die Beziehungen zu anderen Schwellenländern zu intensivieren. Dennoch genießt BRICS für die süd­afrika­nische Regierung seit der Präsidentschaftsübernahme durch Cyril Ramaphosa im Feb­ruar 2018 nicht mehr die Sonderstellung, die es noch unter dem Vorgänger Jacob Zuma einnahm, der sich außenpolitisch vorrangig darauf konzent­rierte. Ramaphosa hat sich in den letzten Jahren sehr darum bemüht, die poli­tischen und wirtschaft­lichen Bezie­hungen mit west­lichen Staaten wieder voranzubringen, was ihm zum Teil auch gelungen ist.

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Zuspitzung des geo­poli­tischen Konfliktes kommt Südafrika mit dieser Haltung immer deutlicher an seine Gren­zen, weil es an verschiedenen Punkten gezwungen ist, Position zu bezie­hen. Nach der Durchführung eines Marine­manövers mit China und Russland im Februar 2023 und dem – bisher unbelegten – Vorwurf durch den US-Botschafter in Südafrika, dass Waffen und Munition von einem süd­afrika­nischen Marine­stützpunkt nach Russ­land geliefert wurden, haben sich die Beziehungen zwischen Südafrika und den USA ver­schlechtert. Dies geht so weit, dass im US-Senat sogar Forderungen laut wur­den, Süd­afrika vom African Growth and Opportu­nity Act (AGOA) auszuschließen, der afrika­nischen Staaten bevorzugten Zugang zum US-Markt gewährt.

Dass es die südafrikanische Regierung nach langem Ringen geschafft hat, Wladimir Putin davon zu überzeugen, nur virtuell am BRICS-Gipfel teilzunehmen, hat Südafrika aus einer schwierigen Lage befreit. Nach­dem der Internationale Strafgerichtshof am 17. März 2023 einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat und auch die innerjuristische Lage in Süd­afrika recht eindeutig ist, wäre die süd­afri­kanische Regierung verpflichtet gewesen, Putin bei seiner Einreise zu ver­haften. Die Diskussion um eine mögliche Verhaftung des russischen Präsidenten hat diejenige über den diesjährigen BRICS-Gip­fel lange Zeit dominiert und dazu geführt, dass die südafrikanische Regierung ihre eigene Agenda nur begrenzt vorwärtsbringen konnte.

Für Südafrika stehen während seines BRICS-Vorsitzes zwei Ziele im Mittelpunkt: Erstens will es die Interessen des afrikanischen Kontinents im Rahmen der BRICS vertreten. Ein Fokus liegt auf der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den afrikanischen Ländern und den BRICS-Staaten und damit verbunden auf der Aus­weitung des Handels. Südafrika ist einer der Staaten in der Afrikanischen Union, die sich aktiv dafür einsetzen, die afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) zu erweitern. Die Be­mühungen zur Zusammenarbeit inner­halb der AfCFTA haben sich seit der Covid-Pan­demie intensiviert. Im August 2022 hat die südafrikanische Regierung ein außenpoli­tisches Dokument vorgestellt, das ihre Fokussierung auf eine Stärkung der Rolle Afrikas in der Welt unterstreicht.

Das zweite Ziel erschließt sich durch einen kurzen Blick in die jüngste Ver­gan­gen­heit: Ramaphosa ist einer der größten Kritiker der ungleichen Verteilung von Covid-Impf­stoffen, die er schon 2020 als »Impfstoff-Apartheid« bezeichnet hatte. Im selben Jahr startete er mit dem BRICS-Partner Indien eine gemein­same Initiative, um eine tempo­räre Auf­hebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe zu erwirken. Über den südafrika­nisch-indischen Vorschlag konnte erst 2022 eine (vorläufige) Einigung bei der Welt­han­dels­organisation erzielt werden, die den bei­den Staaten aber nicht weit genug geht. Seit­dem hat die südafrikanische Regie­rung das glo­bale Gesundheitsmanagement im­mer wie­der offen kritisiert und die Un­gleich­heiten im multilateralen System an­ge­prangert. Dies erklärt die zweite zentrale Ziel­setzung Süd­afrikas, nämlich sich im Rahmen der BRICS-Allianz dafür stark zu machen, das multi­laterale System inklusiver zu ge­stal­ten. Die BRICS-Allianz wird somit als Chance gesehen, gemeinsam mit anderen Staaten ein Korrek­tiv gegen die bestehende multi­late­rale Ordnung aufzu­bauen, die als von den USA dominiert betrachtet wird und vor allem westliche Interessen befördere.

Der Westen und die »goldene Dekade« der BRICS-Entwicklung

Das BRICS-Format kommt durchaus jeweils unterschiedlichen Interessen seiner Mit­glie­der entgegen. Für China ist BRICS geo­poli­tisch inter­essant, weil es eine Alternative zur G7 darstellt. Man sieht in Peking inso­weit eine »goldene Dekade« der BRICS anbrechen, als es zunehmend gelinge, den Verbund zur weltweit einflussreichsten Plattform für Süd-Süd-Ko­operation zu machen. Russ­land kann darüber seine internationale Isolation umgehen. Für Indien, Brasi­lien und Süd­afrika – und eben­so für andere interessierte Länder – er­öffnet das Format die Möglichkeit, sich einer geo­poli­tisch aufgeladenen internationalen Ord­nung zu entziehen und stattdessen die Posi­tion des Globalen Südens anhand einer alter­nativen Agenda zu stär­ken. Aus euro­päischer Sicht ist klar, dass einer solchen Positionierung der BRICS-Gruppe nicht dadurch begegnet wer­den kann (in welchem Format auch immer), dass man versucht, diesen Ver­bund zu be­kämpfen oder zu spalten, wie es zuweilen in den USA diskutiert wird. Wenn die BRICS und andere Entwicklungsländer anstreben, eine füh­rende Rolle bei der Gestaltung der Globalisierung und der Weltordnungspolitik zu spielen, sollten diese Bemühungen pro­aktiv aufgenommen werden. Es erscheint deshalb notwendig, die wachsende Diskurs­macht der BRICS ernst zu nehmen. Dies ist vor allem auch deshalb wichtig, weil sich viele Länder des Globalen Südens den BRICS an­schließen (wollen), da sie befürchten, in Großmacht­konflikte hineingezogen und ebenfalls Ziel von Sanktionsmaßnahmen oder deren Folgen zu werden.

Aus chinesischer Sicht würde der Erweiterungsprozess in Richtung BRICS+ eine »goldene Dekade« der BRICS-Gruppe ein­leiten. Die chinesische Führung erhofft sich durch ihn also eine Stärkung ihrer geopoli­ti­schen Positionen. Allerdings widersetzen sich ins­be­sondere Brasilien, Indien und Südafrika dem damit verbundenen Hege­moniestreben Pekings im BRICS-Rahmen. Nicht zuletzt das chinesisch-indische Kon­kurrenzverhält­nis mit einer langjährigen Konfliktgeschichte dürfte verhindern, dass sich die BRICS dauerhaft den Maximen einer chinesischen Weltordnungspolitik unterordnen. Mög­liche Kollisionen inner­halb der BRICS sowie eine wachsende Riva­lität und Kon­kurrenz zwischen den BRICS und der G7 entsprechen dem Interessen­profil Chinas und Russlands. Die Europäische Union sollte einer solchen Dynamik entgegenwirken, anstatt sie zu befördern, wie es durch eine angespannte Rhetorik oder weitere Formate geschieht, die geopoli­tische Polari­sierung begünstigen.

Gerade Staaten wie Südafrika, Brasilien oder Indien betrachten die BRICS-Gruppe als Plattform alternativer Stimmen bei der Ausgestaltung der Global Governance. Die­sem Anliegen sollten westliche Staaten entgegenkommen und an gemeinsamen Ziel­setzungen arbeiten, zumal eine so geartete Kooperation dazu geeignet ist zu verhindern, dass die BRICS der alleinige Ort für einen solchen Austausch sind. Als erster Schritt bieten sich zum Beispiel Gespräche der G7- und der BRICS-Sherpas an, bei denen zu­min­dest eine Zusammenarbeit in den Politik­feldern ins Auge gefasst werden könnte, die von der geopolitischen Konkur­renz weniger betroffen sind, etwa Umwelt- und Klima­fragen oder globale Gesundheitspolitik.

Eine zu starke Politisierung der BRICS mit antiwestlichem Zungenschlag dürfte aktuell nicht im Interesse der Mehrheit der BRICS-Kerngruppe liegen. Einige Mitglieder wünschen sich mehr Zusammenarbeit in weniger großen flexiblen und informellen For­maten auf globaler Ebene – im Gegen­satz zu in der Vergangenheit maßgeblichen Großkonferenzen mit universaler Teilnahme aller Staaten – und bevorzugen kleinere Koali­tionen. Dafür eignen sich Formate wie das Shangri-La-Dialogforum, die auch von euro­päischer Seite besser genutzt werden soll­ten. Ein wichtiges Signal wäre es dar­über hinaus, wenn sich europäische Kon­feren­zen wie die Münchner Sicherheits­konferenz auch jenseits entsprechender Ein­ladungen stärker für Thematiken des Glo­balen Südens öffnen. Sie können damit zeigen, dass sie be­reit sind für ein verändertes Verständnis in Bezug auf die Frage, wie die Weltordnung künftig aussehen soll, eine Weltordnung, die gemeinsam gestaltet und somit nicht wieder als »vom Westen verordnet« wahr­genommen wird. Solche Fragen der künf­tigen internationalen Ord­nung dürfen nicht nur auf die unmittel­baren europäischen Interessen fokussieren und müssen auch im Dialog mit den Staa­ten des Glo­balen Südens bearbeitet werden, um damit neue politische Impulse an diese Länder zu senden.

Prof. Dr. Günther Maihold ist Non-Resident Senior Fellow der SWP.
Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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