Lars Brozus schlägt zwei Maßnahmen einer anti-autoritären Außenpolitik vor: die Intensivierung der Beziehungen zu demokratischen Gestaltungsmächten und die Modernisierung der Vereinten Nationen.
Kurz gesagt, 23.06.2014 Research AreasLars Brozus schlägt zwei Maßnahmen einer anti-autoritären Außenpolitik vor: die Intensivierung der Beziehungen zu demokratischen Gestaltungsmächten und die Modernisierung der Vereinten Nationen.
Zwischen autoritären Regimen und Demokratien nehmen sowohl ordnungs- als auch herrschaftspolitische Konflikte zu. Diese Konflikte zeigen sich in unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob Staaten wie die Ukraine oder Georgien bei der Wahl ihrer internationalen Partner frei sind. Sie zeigen sich ebenfalls in der Unterstützung oder Ablehnung von Aufständen gegen autoritäre Herrschaft wie in Libyen oder Syrien. Auch in Ägypten geht es gegenwärtig um die innerstaatliche Herrschaftsordnung. Hier konkurrieren einige Golfmonarchien mit der EU und den USA um Einfluss. Faktisch befördern Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate mit ihrer materiellen Unterstützung des Sisi-Regimes die Re-Autoritarisierung des Landes.
Gestützt wird die These einer sich intensivierenden Konfrontation zwischen autoritären Regimen und Demokratien durch Befunde der Demokratisierungsforschung. Seit Mitte der 2000er Jahre weist diese darauf hin, dass demokratisches Regieren weltweit in die Defensive geraten ist. Dazu trägt bei, dass einige autoritäre Regime relativ erfolgreich regieren, etwa indem sie für anhaltendes Wirtschaftswachstum sorgen. Autoritäres Regieren wird so zu einem wettbewerbsfähigen Angebot in der globalen herrschaftspolitischen Konkurrenz.
Wie kann aus außenpolitischer Sicht mit dieser Herausforderung umgegangen werden? In der Ukraine-Krise haben die führenden westlichen Demokratien bereits gehandelt und Russland von den G8 suspendiert. Die zwar konsequente, in gewisser Weise aber auch ratlose Rückkehr zu den G7 sollte durch zwei Maßnahmen flankiert werden: einerseits durch den Ausbau der Beziehungen zu den demokratischen Gestaltungsmächten, andererseits durch die Modernisierung der Vereinten Nationen.
Von GIBSA zu »G-Dem«: Ein Netzwerk demokratischer Gestaltungsmächte
Wir wissen, dass die gemeinsame Präferenz für eine bestimmte innerstaatliche Herrschaftsordnung keine automatische Interessenübereinstimmung in Fragen der internationalen Ordnung bedingt. So haben die deutschen Partner im sogenannten GIBSA-Quadrilog, einem Dialogformat der GestaltungsmächteDeutschland, Indien, Brasilien und Südafrika, in der Ukraine-Krise – anders als Deutschland selbst – zurückhaltend reagiert. Dieses Verhalten sollte jedoch nicht überbewertet werden. Es müsste vielmehr Ansporn sein auszuloten, wo Schnittmengen von Interessen und Präferenzen für die Gestaltung der internationalen Ordnung liegen, die die geteilten herrschaftspolitischen Überzeugungen aufgreifen.
Die brasilianische Initiative «Responsibility while Protecting«, die darauf abzielt, die internationale Schutzverantwortung (R2P) weiterzuentwickeln, könnte ein Anknüpfungspunkt sein, über diese gemeinsamen Interessen und Präferenzen nachzudenken. R2P bekräftigt die Verpflichtung aller Staaten, ihre Bevölkerung vor Massengewalttaten zu schützen. Wenn ein Staat dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann die Staatengemeinschaft eingreifen. In Libyen drohte 2011 der damalige Machthaber Gaddafi damit, seine politischen Gegner zu massakrieren. Der Sicherheitsrat billigte daraufhin einen internationalen Einsatz, der militärische Mittel einschloss. Die bedrohte Bevölkerung konnte damals zwar geschützt werden, der Einsatz trug aber auch zum Sturz Gaddafis bei. Dies löste in den UN heftige Kontroversen darüber aus, ob dies eine Überdehnung des ursprünglichen Mandats darstellte. In Reaktion darauf schlug Brasilien vor, die Regeln für Interventionen zu präzisieren, bei denen es darum geht, schwerste Menschenrechtsverletzungen abzuwenden.
Man muss mit der Analyse und den Schlussfolgerungen dieser Initiative – wie auch anderer Vorstöße der demokratischen Gestaltungsmächte – nicht einverstanden sein. Der Anspruch auf Mit-Gestaltung oder -Führung der internationalen Ordnung, den solche Initiativen dokumentieren, sollte jedoch politisch aufgegriffen werden. Ziel könnte ein Netzwerk demokratischer Gestaltungsmächte sein (eine Art »G-Dem«, in Anlehnung an Kürzel für Staatenclubs wie die G7/8 oder G20), das sich darauf verständigt, Elemente eines attraktiven Modells demokratischen Regierens zu entwickeln. Als Partner kommen dafür etwa die in den G20 vertretenen Demokratien in Betracht. Zweifellos besteht zwischen einigen von ihnen großes Misstrauen. Deutschlands hohes internationales Ansehen könnte dazu beitragen, diese Vorbehalte abzubauen.
Die Vereinten Nationen modernisieren
Gegen die von informellen G-Formaten wie den G20 ausgeübte Clubgovernance bestehen allerdings berechtigte Bedenken seitens der in diesen Clubs nicht repräsentierten Staaten. Deshalb wird eine vorwiegend auf Clubgovernance ausgerichtete anti-autoritäre internationale Strategie dauerhaft auf Widerstand oder wenigstens eine »begrenzte Kooperationsneigung« der Nichtrepräsentierten treffen. Dies könnte dadurch aufgefangen werden, dass sich die demokratischen Gestaltungsmächte gemeinsam dafür einsetzen, die UN zu modernisieren. Hierbei würde es etwa um die Reform der Arbeitsmethoden von Sicherheitsrat und Generalversammlung, aber auch um eine bessere Ausstattung der UN mit Ressourcen gehen. Die UN sind – trotz aller organisationsinterner Pathologien und Dysfunktionalitäten – der einzige universale Rahmen, der es allen Staaten ermöglicht, an globaler Steuerung teilzuhaben. Hier kann ein demokratisch-partizipativer Herrschaftsstil seine Stärken ausspielen. Die Modernisierung der UN wäre daher ein lohnendes Vorhaben für ein Netzwerk demokratischer Gestaltungsmächte.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen. Eine gekürzte Version ist als Blogbeitrag bei »Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken« erschienen.
Für eine produktive Debatte über deutsche Außenpolitik ist es unerlässlich, dass die Befunde der Interventionsforschung ernst genommen werden, meint Lars Brozus.
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