Mit ambitionierten Plänen brechen die Staaten des Golf-Kooperationsrats auf in die Wasserstoffzukunft. Insbesondere Saudi-Arabien, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verfolgen ehrgeizige Vorhaben, die Europa und Asien-Pazifik mit Wasserstoff versorgen sollen. Zahlreiche Absichtserklärungen wurden abgeschlossen, erste Großprojekte auf den Weg gebracht. Für die Golfstaaten geht es nicht nur um Diversifizierung, sondern vor allem darum, bestehende Wirtschafts- und Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Dies wäre möglich, da sich die Wasserstoffwirtschaft in den vorhandenen institutionellen und fiskalischen Rahmen der Petroleumindustrie einfügt. Gleichzeitig ist sie eine wirksame Möglichkeit, den Klimaschutz international voranzutragen, birgt für Deutschland und Europa jedoch Zielkonflikte und offene Fragen.
Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar, die VAE und Oman (im Folgenden Golfstaaten) beheimaten rund ein Drittel der globalen Erdölreserven und etwa ein Fünftel der Welterdgasreserven. Nun haben die Golfstaaten umfangreiche Pläne für eine Wasserstoffwirtschaft vorgelegt. Während hohe Solarerträge und reichlich Fläche exzellente Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff aus erneuerbarem Strom darstellen, bieten Ressourcen und Geologie Anknüpfungspunkte für blauen Wasserstoff, der aus Erdgas unter CO2-Abscheidung gewonnen wird. Eine üppige Finanzierung, direkte Entscheidungswege sowie die vorhandene Infrastruktur prädestinieren die Golfstaaten als First Mover in Sachen Wasserstoff. Jedoch geht es für sie um mehr als bloße Diversifizierung: nämlich darum, Wirtschafts- und Machtstrukturen auch in einer dekarbonisierten Welt zu erhalten.
Wasserstoffpolitik in den arabischen Golfstaaten
Saudi-Arabiens Minister für Energie, Abdulaziz bin Salman al-Saud, verkündete im Oktober 2021 das Ziel, zum weltgrößten Wasserstoffproduzenten zu werden. Eine formalisierte Wasserstoffstrategie existiert nicht; allerdings orientiert sich die Wasserstoffpolitik des Landes grundsätzlich an der 2016 veröffentlichten Vision 2030, die eine holistische Transformation Saudi-Arabiens vorsieht und als zentrales Projekt des Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) gilt. Zwar geht auch sie nicht explizit auf Wasserstoff ein, nennt aber als strategische Ziele, Wertschöpfung und Exporte abseits des Öls signifikant zu erhöhen sowie erneuerbare Energien und die Erdgasindustrie auszubauen. Auch das Konzept der Circular Carbon Economy, von saudischen Akteuren mitentwickelt und während der G20-Präsidentschaft des Königreichs von der Gruppe angenommen, bietet einen Anknüpfungspunkt, insbesondere für blauen Wasserstoff. Im Rahmen der vier Rs – Reduce, Reuse, Recyle, Remove – setzt das Konzept neben Energieeffizienz, CO2-neutraler Stromerzeugung und natürlicher CO2-Reduktion vor allem auf den umfangreichen Einsatz von CO2-Abscheidung. Das abgeschiedene CO2 findet Anwendung als produktiver Input in der Industrie (falls eine Nachfrage geschaffen werden kann) oder für die tertiäre Ölgewinnung durch Injektion in Öllagerstätten (sogenanntes CO2-Fluten).
Die omanische Vision 2040 spricht ebenfalls nicht explizit von Wasserstoff, sondern fordert allgemein die »Diversifizierung von Energiequellen«. Die im Februar 2020 angekündigte nationale Wasserstoffstrategie wird zeitnah erwartet. Federführend daran beteiligt ist EJAAD, eine Kollaborationsplattform zwischen Ölministerium, Forschungsministerium und dem staatlichen Ölkonzern. Im August 2021 wurde die »Hy-Fly Alliance« gegründet, die Behörden, den Öl- und Gassektor, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie die Häfen Sohar und Duqm in einer gemeinsamen Plattform zusammenbringt. Zugleich wurden in mehreren Ministerien Referate für Wasserstoff eingerichtet, überdies ein staatlicher Wasserstoffkonzern namens Hydrogen Development Oman.
Die VAE haben im November 2021 auf dem COP26-Gipfel bekannt gegeben, dass sie an einer »Hydrogen Roadmap« arbeiten, deren erklärtes Ziel laute, dass das Land beim Wasserstoff eine Führungsrolle einnehmen solle. Geplant seien der Aufbau neuer Wertschöpfungsketten im Hinblick auf den Export von kohlenstoffarmem Wasserstoff und dessen Derivaten sowie die wasserstoffbasierte Herstellung von Stahl und Kerosin. Dafür sollen ein klarer regulatorischer Rahmen mit geeigneten Politiken, Standards und Zertifizierungen geschaffen werden. Veröffentlicht ist die Roadmap noch nicht, allerdings haben die VAE bereits einen Anteil von 25 Prozent am globalen Wasserstoffmarkt als Ziel ausgegeben. Die Wasserstoffpläne werden auch in Zusammenhang gesetzt mit der 2017 beschlossenen Energy Strategy 2050, der zufolge bis 2050 der Anteil sauberer Energie im Primärenergieverbrauch auf 25 bis 50 Prozent erhöht werden soll. Die im Dezember 2020 aktualisierten national festgelegten Beiträge (NDCs) der VAE bezeichnen Wasserstoff als »Energieträger der Zukunft«.
Der Ansatz Katars steht dem diametral entgegen. Weder gibt es einen politischen Rahmen noch Ankündigungen, die inländische Wasserstoffproduktion zu steigern. Stattdessen setzt Katar auf seine Position als weltführender Exporteur von Flüssiggas (LNG) und auf Abkommen zur Herstellung von blauem Wasserstoff in den jeweiligen Zielländern. Katar baut seine Beziehungen zu Importeuren sowie Kooperationen im Wasserstoffsektor weiter aus, was auch seine NDCs widerspiegeln. Diese führen Wasserstoff als Mittel zur Beitragserfüllung an.
Kuwait hat bis dato noch keinen nationalen Wasserstoffplan verabschiedet, aber die regierungsnahe KFAS hat im Januar 2021 ein Whitepaper für eine Strategie vorgelegt – das mit der übergeordneten Vision 2035 »New Kuwait« kongruent ist. Es schlägt vor, CO2-Abscheidung und erneuerbare Energien zu fördern sowie Produktionsanlagen für grünen und blauen Wasserstoff aufzubauen. Ferner wird angeraten, Wasserstoff im eigenen Land zu nutzen und die Zusammenarbeit mit anderen Golfstaaten zu intensivieren. Obwohl das Whitepaper den Fokus auf blauen Wasserstoff legt, scheint grüner Wasserstoff realistischer, da Kuwait ein Nettoimporteur von Erdgas ist.
Bahrains Umgang mit Wasserstoff war bislang zögerlich. Zwar wurden im November 2020 Studien zum Potenzial einer inländischen Wasserstoffökonomie in Auftrag gegeben, jedoch wollte die Regierung nach eigenen Angaben deren Entwicklung nur beobachten. Erst die im Januar 2022 veröffentlichte Industriestrategie 2022–2026 berücksichtigt die mögliche Produktion von grünem und blauem Wasserstoff.
Schlüsselakteure in den Wasserstoff-Entwicklungsplänen
In erster Linie sind die Energieministerien dafür verantwortlich, die für den Aufbau einer Wasserstoffökonomie nötigen Prozesse zu gestalten. Die Ministerien orientieren sich an den nationalen Plänen und schließen federführend Kooperationsabkommen ab. In Saudi-Arabien, Oman und Katar kommt den Ministerien (bzw. den jeweiligen Ministern) auf diese Weise die zentrale Rolle in der nationalen Wasserstoffpolitik zu. Insbesondere in den VAE, aber auch in Oman wurden in den letzten zwei Jahren zahlreiche Allianzen und Komitees gegründet, die koordinieren und Strategien ausarbeiten.
Andere wichtige Akteure sind die eng mit den Ministerien verbundenen nationalen Ölkonzerne: Saudi Aramco, Kuwait Petroleum Corporation (KPC), Bahrain Petroleum Company (BAPCO), QatarEnergy (QE), Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) in den VAE und Petroleum Development Oman (PDO). Bei ihnen handelt es sich um vertikal integrierte Unternehmen in öffentlicher Hand (mit der Ausnahme PDO, das zu 40 Prozent den internationalen Ölkonzernen Royal Dutch Shell, Total und Partex gehört, sowie einer geringen Anzahl von Aramco-Aktien in privater Hand). Zu ihren Aufgaben gehört neben dem operationalen Ölgeschäft auch die konkrete Ausgestaltung der Petroleumpolitik. In diesem Rahmen wird ihnen zunehmend ein Mandat für die Umsetzung von Wasserstoffpolitik übertragen.
Parallel dazu werden die Energie- und Wasserversorger bzw. Netzagenturen eingebunden, beispielsweise für die Versorgung mit entsalztem Wasser, gegebenenfalls auch für die Erzeugung erneuerbarer Energie. Von regionaler Bedeutung ist Saudi-Arabiens ACWA Power, das für Investitionen in das Strom- und Wassernetz zuständig ist.
Ein Schlüsselakteur in den Golfstaaten sind Staatsfonds. Sie verwalten das aus dem Petroleumgeschäft stammende öffentliche Vermögen durch profitorientierte Investitionen, agieren jedoch ebenso als Finanzierer nationaler Entwicklungsprojekte. Dies sind der saudi-arabische Public Investment Fund (PIF, ca. 500 Mrd. US-Dollar Volumen), die Kuwait Investment Authority (ca. 700 Mrd. US-Dollar), die Qatar Investment Authority (ca. 450 Mrd. US-Dollar), der Oman Petroleum Reserve Fund (ca. 1,3 Mrd. US-Dollar) und die Oman Investment Authority (ca. 17 Mrd. US-Dollar) sowie Mumtalakat für Bahrain (ca. 17,5 Mrd. US-Dollar). In den VAE gibt es aufgrund der föderalen, komplexen Herrschaftsstruktur eine Vielzahl von Staatsfonds. Der Hauptakteur im Wasserstoff ist Mubadala, der im Gegensatz zu anderen VAE-Fonds Nachhaltigkeit und ökonomische Diversifizierung als Ziele aufführt.
Trotz dieser günstigen finanziellen Voraussetzungen haben die Golfstaaten hinsichtlich der Finanzierung nicht zwingend einen Wettbewerbsvorteil, denn gleichzeitig benötigen sie anderswo größere Summen: Während Energie und Fläche reichlich vorhanden sind, ist Wasser rar. Das für die Wasserstoffherstellung notwendige Süßwasser wird mithilfe von Entsalzungsanlagen gewonnen. Die dafür zusätzlich aufgewendete Energie wirkt sich mit rund einem Prozent kaum auf die Grenzkosten der Wasserstoffproduktion aus; allerdings liegen die Kosten für die Entsalzungsanlagen im Milliardenbereich und erhöhen den Kapitalbedarf der Projekte erheblich.
Ein weiterer Schlüsselakteur, vor allem in Oman, sind Sonderwirtschaftszonen. Sie verfügen über ihnen eigens zugeteiltes Land, Infrastruktur sowie Expertise im Export. Wasserstoffanlagen sollen teilweise in diesen Sonderwirtschaftszonen entstehen, sodass diese an der Planung und Ausgestaltung der Projekte beteiligt sind. In Oman sind dies Sohar, Duqm und Salalah. Saudi-Arabien plant, Neom – ein als Teil der Vision 2030 vorgesehenes, kontroverses Utopia an der Rotmeerküste – eng mit einer großskalierten Anlage für grünes Ammoniak (das als Folgeprodukt oder Transportvehikel genutzt wird) zu verzahnen.
Schließlich wirken ausgewählte nationale Forschungsinstitutionen an der Wasserstofftransformation am Golf mit, insbesondere die saudische Universität KAUST, der einflussreiche Think-Tank KAPSARC, die Khalifah-Universität (VAE) und die Sultan-Qaboos-Universität (Oman), und nicht zuletzt internationale Netzwerke.
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Die der Grafik zugrunde liegenden Quellen sind aufgelistet unter https://bit.ly/SWP22A43Links. |
Erste Initiativen für eine Wasserstoffwirtschaft
Ambitionierte Pläne
Saudi-Arabien hat mehrere Großprojekte im Wasserstoffsektor angekündigt und teilweise auch schon umgesetzt. Ein Schwerpunkt ist die Rotmeerküste: Das Prestigeprojekt der saudischen Wasserstoffwirtschaft ist in der geplanten Metropole Neom (s. Grafik) beheimatet. Es kooperiert mit ACWA Power und dem US-Produzenten Air Products als exklusivem Vertriebspartner für grünes Ammoniak, hergestellt aus 4 Gigawatt (GW) Erneuerbaren. Thyssenkrupp stellt den Elektrolyseur für die Anlage bereit, die mit benutztem Trinkwasser aus Neom arbeiten soll.
An der Golfküste will Saudi-Arabien mithilfe von Schiefergas blauen Wasserstoff produzieren. Im Oktober 2021 wurde bekannt gegeben, dass ein Großteil des Jafurah-Felds mit einem Wert von 110 Milliarden US-Dollar hierfür genutzt werden soll. In Jubail Industrial City wurde eine bestehende Wasserstoffanlage aufgerüstet für die Herstellung von blauem Wasserstoff. Allein im Januar 2022 wurden acht weitere Abkommen für Wasserstoffprojekte auf den Weg gebracht, überdies Vorhaben zur inländischen Nutzung wasserstoffgetriebener Fahrzeuge. Sogar die Herstellung pinken Wasserstoffs aus Atomenergie wurde ins Spiel gebracht.
Oman hingegen konzentriert sich auf grüne Wasserstoffprojekte. Im Mittelpunkt steht ein Projekt der omanischen Ölinvestmentgesellschaft OQ, einer Tochtergesellschaft des kuwaitischen Staatsfonds, und des Hongkonger Unternehmens InterContinental Energy: Ab 2028 soll ein 25 GW Wind- und Solarkomplex mit Elektrolyseur gebaut werden. Über den Hafen von Duqm (s. Grafik), einem Hydrogen Valley der »Mission Innovation Hydrogen Valley Platform« der EU, soll das Projekt Europa und Asien versorgen.
Die VAE haben in Zusammenarbeit mit Siemens Energy und der einheimischen DEWA die erste Produktionsanlage für grünen Wasserstoff im Nahen Osten, angedockt an den Al Maktoum Solar Park, errichtet (in Betrieb seit 2021, s. Grafik). Ein Konsortium aus der Mubadala-Tochter Masdar, Siemens Energy, Lufthansa und anderen VAE-Partnern soll eine weitere Anlage bauen mit Schwerpunkt auf Wasserstoffderivaten für den Land- und Luftverkehr. Die emiratische Helios, eine Zweckgesellschaft für den Ausbau Erneuerbarer, hat im August 2021 Thyssenkrupp mit einer Machbarkeitsstudie für die Herstellung von grünem Ammoniak in Kizad beauftragt. Im Dezember 2021 haben der französische Konzern Engie und Masdar eine Allianz zum Ausbau eines Hubs für grünen Wasserstoff in den VAE gegründet.
Was den Vertrieb angeht, orientieren sich die Golfstaaten bislang vor allem an Asien-Pazifik: Nachdem Saudi Aramco im September 2020 in einem Modellversuch mit dem japanischen Institute of Energy Economics weltweit zum ersten Mal blauen Wasserstoff per Schiff geliefert hatte, wurden Absichtserklärungen mit Japans größtem Raffinerieunternehmen, Eneos Corporation, und Südkoreas Hyundai Heavy Industries unterzeichnet. Letztere bezieht sich auf die Lieferung von LNG, aus welchem in Südkorea blauer Wasserstoff hergestellt werden soll – dies entspricht auch der offensichtlichen Strategie Katars, das weiter auf den Export von LNG setzt und hier bereits Absichtserklärungen mit Südkorea und Großbritannien abschließen konnte.
Zudem wurden Abkommen zwischen dem saudischen PIF und den südkoreanischen Unternehmen Posco und Samsung C&T über die Herstellung von grünem Wasserstoff getroffen; weiterhin planen südkoreanische Unternehmen den Bau einer Anlage für grünes Ammoniak in den VAE. Ferner will Saudi-Arabien bei blauem Wasserstoff intensiver mit China kooperieren. Schon 2018 hat die emiratische ADNOC ein Abkommen mit dem japanischen Wirtschaftsministerium und Südkoreas GS Energy zu Ammoniak als Transportkraftstoff und zu blauem Ammoniak abgeschlossen.
Eine regional koordinierte Wasserstoffpolitik bleibt fraglich
Auch zwischen den Golfstaaten sind Kollaborationen angedacht. Dadurch könnte benötigtes Kapital gebündelt, Synergien begünstigt und die notwendige Spezialisierung erleichtert werden. Einige aktuelle Beispiele: Das saudische Neom arbeitet für den Solarausbau mit der emiratischen Helios zusammen. Bei einem Staatsbesuch des saudischen Kronprinzen MBS in Oman im Dezember 2021 wurden Absichtserklärungen über eine verstärkte Kooperation im Bereich Wasserstoff unterzeichnet. Das Duqm-Wasserstoffprojekt erhält ebenfalls finanzielle Unterstützung aus der Region – von einer Tochter des kuwaitischen Staatsfonds.
Bis dato waren Kooperation und Koordination unter den Golfstaaten aber unzuverlässig und ambivalent. Statt komparative Vorteile zu nutzen, kam es zuletzt zwischen den Staaten zum direkten Wettbewerb im Ausbau einzelner ölferner Sektoren. Grund dafür war unter anderem die hohe Abhängigkeit der nationalen Entscheidungsfindungen von internationalen Beraterfirmen, deren oft kurzsichtige Empfehlungen nur wenig regionale Differenzierung vorsehen und von teils zweifelhafter Qualität sind. Darüber hinaus waren gemeinsame Großprojekte bisher nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Auch die diplomatische Eskalation zwischen Saudi-Arabien, den VAE und Katar 2017 hat die tiefen politischen Fissuren zwischen den Staaten zu Tage treten lassen. In Anbetracht ähnlicher Zwischenfälle mit anderen Staaten können bei den aktuellen Machtverhältnissen in Riyad und Abu Dhabi künftige Disruptionen nicht ausgeschlossen werden.
Gründe und Perspektiven für eine Zusammenarbeit mit Deutschland
Diversifizierung und Klimapolitik
Ökonomische Diversifizierung wird häufig als eine aktuelle Herausforderung für die Golfstaaten dargestellt, obgleich sie sich seit einem halben Jahrhundert auf deren Agenden befindet. So nennt beispielsweise schon Saudi-Arabiens erster Entwicklungsplan für 1970–75 die »Diversifizierung der Quellen des Volkseinkommens und die Reduktion der Abhängigkeit vom Öl« als Ziel. Der Fortschritt diesbezüglich ist jedoch gering, selbst in den als diversifiziert wahrgenommenen VAE. Dies steht im Gegensatz zu internationalen Klimaschutzzielen: Nach Modellschätzungen verlangt eine Eindämmung der Erderwärmung auf 2 °C, dass etwa die Hälfte der regionalen Öl- und Gasreserven nicht mehr verbrannt wird. Dabei hatten die Golfstaaten bislang kaum Anreize, die Wertschöpfung jenseits von Öl und Gas auszubauen:
Erstens finanzieren die ressourcenreichen Monarchien ihre Staatshaushalte, je nach Land, zu 60 bis 95 Prozent aus dem Petroleumsektor. Dieser bietet damit einen gewaltigen Geldfluss unter direkter Regierungskontrolle. Den nationalen Bevölkerungen wird in Form von Einkommenstransfers, Stellen im öffentlichen Sektor und öffentlicher Versorgung ein Teil der Einnahmen ausgezahlt. Die Königshäuser festigen so, durch die Wahrung von ökonomischer (wie auch sicherheitspolitischer) Stabilität, ihre Position. Eine Abkehr vom Petroleumsektor hin zu anderen Branchen und einem steuerfinanzierten Haushalt würde dieses Modell sowie den Zugang zu den Geldflüssen behindern. Das vorhandene System lässt ein enormes Trägheitsmoment entstehen, das Diversifizierung und Dekarbonisierung ausbremst.
Dies erklärt jedoch zugleich, weshalb die Golfmonarchien dem Wasserstoff gegenüber aufgeschlossen sind: Eine durch den öffentlichen Sektor entwickelte Wasserstoffökonomie kann Eigentums- und Machtverhältnisse aufrechterhalten – mithin würde dieses Trägheitsmoment abgeschwächt.
Zweitens fehlen marktliche Anreize. Bei Preisen von 80 US-Dollar pro Fass Erdöl und 0,60 US-Dollar pro Kubikmeter Gas lagert unter dem Golf ein Vermögen von etwa 130 Billionen US-Dollar. Auf absehbare Zeit bleibt der Export von Erdöl- und Erdgasprodukten ein äußerst lukratives Geschäft. Zur Einordnung: Die Produktionskosten eines Fasses Erdöl aus der Region betragen durchschnittlich 10 US-Dollar, teils auch weniger. Damit liegt die Region am unteren Ende der Angebotskurve und könnte selbst bei einem Rückgang der Weltnachfrage über Dekaden noch Profite erwarten.
Der Export von Wasserstoff könnte für die Golfstaaten eine direkte Alternative zu fossilen Exporten schaffen, auf bestehende Infrastruktur und Kenntnisse aufbauen und damit entsprechend die Dekarbonisierung der Exporte vorantreiben. Grüner Wasserstoff bietet den Golfstaaten langfristig eine Absicherung gegen die wirtschaftlichen und politischen Folgen internationaler Klimaschutzbestrebungen; kurz- und mittelfristig wird er hingegen kaum fossile Exporte verdrängen können. Blauer Wasserstoff ermöglicht eine alternative Verwertung der Erdgasreserven und verhindert kurz- wie auch langfristig CO2-Emissionen, die sonst bei der Verbrennung des Gases anfallen würden. Der globale Klimaschutz könnte so durch Exporte von (namentlich blauem) Wasserstoff aus dem Golf profitieren.
Deutsche und europäische Klimapolitik hat bislang den Fehler gemacht, dass sie den einheimischen Verbrauch fossiler Brennstoffe (und unilaterale Senkungen desselben) zum Hauptindikator für wirksamen Klimaschutz (v)erklärt hat; zudem wurde blauer Wasserstoff in den bisherigen Plänen stiefmütterlich behandelt. Wenngleich die EU ein signifikanter Energieimporteur ist, stehen Exporteuren fossiler Brennstoffe ebenso andere Märkte offen. Effektiver Klimaschutz kann nur gemeinsam gelingen; das heißt, die Interessen von Exporteuren müssen einbezogen werden. Der bisherige europäische Weg verkennt, dass Exporteure pragmatisch sind und teils auch am längeren Hebel sitzen: Falls in den Golfstaaten Alternativen wie die Wasserstoffwende fehlschlagen, bleibt ihnen der Abverkauf von Fossilen im In- und Ausland, notfalls zu Niedrigpreisen. Diversifizierung ist letztlich im lokalen Diskurs der Golfstaaten primär Mittel zum Zweck, um Wohlstand langfristig zu sichern.
Dieses Kalkül ist kein Geheimnis. Saudi-Arabien etwa hat es beinahe wörtlich so formuliert: Im November 2021 machte Energieminister al-Saud die für 2060 geplante Klimaneutralität seines Landes vom Erfolg ökonomischer Diversifizierung und Wohlstandsgewinnung abhängig. Klimapolitisch bedingte Exportausfälle, so der Minister, würden nötigenfalls durch inländischen Verbrauch kompensiert – mit entsprechendem Wachstum nationaler Emissionen. Ein ähnlicher Mechanismus war bereits im Iran zu sehen, wo infolge der US-Exportsanktionen der inländische Ölkonsum deutlich anstieg.
Neue Partnerschaften
Im Jahr 2021 wurde im Rahmen des Deutsch-Saudischen Energiedialogs eine gemeinsame Absichtserklärung abgeschlossen, die vorsieht, deutsche Technologie in saudischen Wasserstoffprojekten zu nutzen und den Export von grünem Wasserstoff anzubahnen. Auch ein deutsch-saudisches Wasserstoffdiplomatiebüro wurde eröffnet. Ein ähnliches, indes vageres und weniger weitreichendes Abkommen wurde mit den VAE vereinbart und beinhaltet die Einrichtung einer partnerschaftlichen Task-Force für Projektfindung und Barrierenabbau.
Industriepolitisch besteht beim Modus Operandi der Golfstaaten ihrerseits vor allem Interesse an spezialisierten Partnerschaften für einzelne Elemente der Wertschöpfungskette, weniger daran, Aufträge für ganze Projekte zu vergeben. Deutsche Unternehmen können hier ihre Expertise im Bau einzelner Anlagen (z. B. Elektrolyseure) einbringen, aber es wird schwierig sein, sich an anderen Stellen gegenüber spezialisierten Firmen, wie dem US-Wasserstoffkonzern Air Products, zu behaupten.
Die deutschen Bestrebungen, Energieimporte aus Russland zu verringern, messen dem Golf eine neue Rolle zu. Die Reise von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck in die Region im März 2022 führte zwar in Katar »nur« zu einer Absichtserklärung, in den VAE wurden jedoch vier Kooperationsprojekte beschlossen mit dem Ziel, Wasserstoff herzustellen und nach Deutschland zu transportieren. Diese vier Projekte verwenden jeweils unterschiedliche Technologien und sind wichtige Testläufe, um offene Fragen zu klären. Überraschend ist, dass in beiden Fällen erstmals und entgegen bisheriger Pläne nebst grünem auch blauer Wasserstoff Teil der Abkommen ist. Damit zeigt sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz technologieoffen.
Fazit und Empfehlungen
Am Golf herrscht Aufbruchstimmung – wenn auch nicht überall im gleichen Maß. Während Saudi-Arabien ohne formalen Rahmen Großprojekte initiiert, schafft Oman neue Strukturen und stößt vielfältige Projekte an. Die VAE haben einen politischen Rahmen angekündigt und erste Projekte erfolgreich realisiert. Katar setzt weiter auf LNG und die Herstellung von blauem Wasserstoff im Zielland. Kuwait und Bahrain beschränken sich zurzeit noch auf Eigenkapitalzuschüsse und Machbarkeitsstudien. In der »Farbenlehre« agieren die Golfstaaten agnostisch: Oman konzentriert sich auf Grün, die VAE und Saudi-Arabien planen eine Balance zwischen Grün und Blau.
Es wird sich jedoch zeigen, welche der geplanten Projekte letztendlich durchgeführt werden – dass einer Projektanbahnung nichts folgt, ist in der Region nicht unüblich. Zudem muss irgendwann auch die Gretchenfrage des Transports beantwortet werden: Ammoniak, Wasserstoff oder gleich beim LNG bleiben? Für Katar ist diese Frage aufgrund vorhandener Infrastruktur einfach zu beantworten, in anderen Fällen scheint sie noch offen. Deutschland und die EU sollten eine einheitliche Linie zu Fragen des Transports entwickeln und sich gegebenenfalls eher an kleineren, dafür aber vollständig durchdachten Pilotprojekten beteiligen.
Das starke Interesse am Wasserstoff, das die Regierungen der Golfstaaten an den Tag legen, ist wenig intrinsisch, sondern orientiert sich an Wohlstandssicherung und ist vom Versprechen ausländischer Nachfrage beeinflusst. Wasserstoff eröffnet den Golfstaaten die Möglichkeit, wirtschafts- und machtpolitische Strukturen auch bei einer globalen Energiewende weitgehend aufrechtzuerhalten. Grüner Wasserstoff komplementiert bestehende (fossile) Energieexporte und ermöglicht langfristige Absicherung. Blauer Wasserstoff bietet mittel- bis langfristige Nutzungsperspektiven für Erdgas und ist hauptsächlich für Katar, die VAE und Saudi-Arabien von großem Interesse. Wasserstoffimporte aus der Region nach Europa können so auf beiden Seiten des Handels zum Klimaschutz beitragen.
Damit ergeben sich indes zwei zentrale Dilemmata für Deutschland und die EU als prospektive Importeure:
Erstens werden bei einer Wasserstoffkooperation mit den Golfstaaten Barrieren für den Klimaschutz vor allem deshalb abgebaut, weil die Wasserstoffökonomie den Golfstaaten ermöglicht, existierende machtpolitische Strukturen beizubehalten. Das heißt aber auch, dass die soziale Entwicklung behindert wird. Die prekäre Lage von Arbeitsmigranten, die Situation von Menschenrechten und die (fehlende) politische Partizipation können sich kaum verbessern, wenn die etablierten Machtstrukturen durch die Wasserstoffökonomie auch zukünftig geschützt werden. Allgemein stellt sich die Frage, wie konsequent es ist, Russland unter Berufung auf den Ukraine-Krieg energiepolitisch den Rücken zu kehren, sich dann aber an Autokratien zu wenden, die wiederum im Jemen Krieg führen. Einerseits werden Deutschland und Europa innerhalb ihrer Gesellschaften einen neuen Konsens darüber finden müssen, wo in der Energie- und Klimapolitik die Grenze zwischen Pragmatismus und Prinzipien gezogen werden soll. Andererseits wird es umso wichtiger, Nuancen zwischen einzelnen Staaten zu betonen. Hinsichtlich Autokratismus, Kriegsbeteiligung, Menschenrechtslage und absehbarer Zuverlässigkeit als Handelspartner gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Golfstaaten, die es zu evaluieren und zu berücksichtigen gilt.
Zweitens verdeutlicht das Beispiel der Golfstaaten das immer relevanter werdende Spannungsfeld zwischen nationalen und globalen Klimaambitionen. Deutschland und Europa haben sich vorgenommen, nur auf klimaneutralen, grünen Wasserstoff zu setzen. Klimaschonender (wenngleich nicht ‑neutraler), blauer Wasserstoff widerspricht zwar eigenen Ansprüchen, kann aber das globale Angebot CO2-intensiver Brennstoffe langfristig verringern und damit verhindern, dass die Emissionen einfach anderswo auftreten. Klimaschutz muss als globales Querschnittsthema verstanden werden und individuelle Perspektiven mitbedenken. Er lässt sich nicht unilateral und eindimensional, quasi mit dem Rammbock, durchsetzen. Unter anderem verkennt ein solcher Ansatz, dass die Golfstaaten als hocheffiziente Öl- und Gasproduzenten Klimabestrebungen ihrerseits unilateral massiv behindern können. Deshalb ist eine Klimaaußenpolitik nötig, die die diplomatischen, geopolitischen und handelspolitischen Verflechtungen von Klimapolitik in einem globalen Rahmen betrachtet. Das sollte Deutschland und die EU motivieren, ideologische Versteifungen auf grünen Wasserstoff weiter zu hinterfragen. Technologieoffenheit ist ein wesentlicher Schritt zu wirkungsvoller und umsetzbarer Energie- und Klimapolitik.
Dr. Dawud Ansari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.
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DOI: 10.18449/2022A43