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Die Türkei auf dem Weg zum globalen Rüstungsexporteur

Wachsende Konkurrenzfähigkeit und strategische Neuausrichtung der türkischen Rüstungsindustrie

SWP-Aktuell 2024/A 05, 01.02.2024, 8 Pages

doi:10.18449/2024A05

Research Areas

Die türkische Rüstungsindustrie hat sich in den letzten zehn Jahren rasant entwickelt und ihre Produkte haben dabei wiederholt ihre militärische Einsatzfähigkeit unter Beweis gestellt. Bayraktar-TB2-Drohnen des türkischen Unternehmens Baykar werden in zahlreiche Länder exportiert. Die ukrainischen Streitkräfte haben sie nach der russischen Invasion genutzt, die aserbaidschanischen im Konflikt mit Armenien in Berg-Karabach verwendet und auch in Syrien, im Nordirak und in Libyen kommt sie zum Einsatz. Die Drohne ist aber nur das sichtbarste Zeichen, dass in der türkischen Rüstungspolitik eine neue Ära angebrochen ist. Die Verteidigungsindustrie und das um sie herum entstandene Innovations-Öko-System sollen die Türkei als »Tekno-Nation« positionieren. Für die Nato-Partner ergeben sich in der Zusammenarbeit mit Ankara damit neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Blockierte Lieferungen von Kampfflugzeugen an Ankara, sei es durch Washington oder Berlin, könnten die strategische Neuausrichtung der türkischen Rüstungspolitik noch weiter verstärken.

Die Türkei strebt in der Rüstungs- und Ver­teidigungspolitik Souveränität an. Sie will logistisch, technisch, konzeptionell und bei der Herstellung von Waffensystemen immer weniger von Partnern aus Drittstaaten ab­hängig zu sein; mit anderen Worten, Ankara fokussiert sich auf Eigenproduktion statt auf Beschaffung aus dem Ausland. Um die­ses Ziel zu erreichen, werden Unternehmen im Verteidigungssektor vernetzt, Supply-Chain-Kapazitäten vor Ort ausgebaut und die rüstungsrelevante Forschung in den verschiedenen Wirtschaftssektoren des Landes zentral koordiniert.

Rüstungsprojekte wie die Entwicklung der unbemannten TB2-Drohnensysteme, des Atak-Hubschraubers, des Altay-Panzers, der Tarnkappen-Kampfdrohne Anka-3 oder des KAAN-Tarnkappen-Kampfflugzeugs zeigen, dass sich Ankara dabei an drei Leitlinien orientiert: (1) der systematischen Förderung einer »Know-how-Offensive« durch die Ko­operation mit Technoparks, Start-ups und Universitäten, (2) einer zu­nehmenden Unabhängigkeit von auslän­dischen Produzenten, sowie (3) der konti­nuierlichen Steigerung der Exportfähigkeit der eigenen Waffensysteme. Insbesondere die Umsetzung der beiden letztgenannten Grundsätze führt dazu, dass die türkischen Exportrestriktionen umso geringer aus­fallen, je höher der Anteil der inländischen Rüstungsproduktion ist.

Die derzeitige Rüstungspolitik der Türkei folgt somit dem zentralen Ziel, die Entwick­lung und Produktion von Waffensystemen ganz unter dem Siegel »Made in Türkiye« zu organisieren. Dabei ergeben sich allerdings Diskrepanzen zwischen den politisch-strate­gischen Entscheidungsprozessen in Ankara und den zeitlichen Umsetzungsmöglich­keiten bzw. den Produktionskapazitäten der beteiligten Rüstungsunternehmen.

Die Rüstungsprojekte der Türkei werden im Auftrag der staatlichen Agentur der Ver­teidigungsindustrie (türk. Savunma Sanayii Başkanlığı, SSB) entwickelt und produziert. Mit der SSB wurde 1985 eine Institution geschaffen, die Milliarden an Investitionen für die Modernisierung der türkischen Streitkräfte zur Verfügung stellt. Diese Mittel sind nicht im jährlichen Budget des Verteidigungsministeriums enthalten, das heißt, sie können als Sonderfonds verwendet werden. SSB ist gesellschaftsrechtlich eine staatliche Holding, die direkt dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan untersteht. Damit ist sie politisch weisungs­gebunden. Formal werden die Export­lizenzen vom Verteidigungs- und Außenministerium erteilt, während das Finanzministerium ein Vetorecht gegen Rüstungs­ausgaben aus dem Sonderfonds der SSB hat.

Die türkische Rüstungsindustrie als Wirtschaftsfaktor

Die Ursprünge der Transformation der tür­kischen Rüstungsindustrie hin zu einer Fokussierung auf heimische Produktion reichen mehrere Jahrzehnte zurück und sind keineswegs nur mit dem Namen des heutigen Staatspräsidenten Erdoğan ver­bunden. Die verschiedenen Sanktionen und Embar­gos, die westliche Regierungen, ins­besondere die USA, schon vor langer Zeit gegen die Türkei verhängt haben, können als Auslöser für diesen Prozess der mili­tärisch-industriellen Neuausrichtung und Modernisierung angesehen werden. Der Impuls bzw. die Erkenntnis der Notwendigkeit, die heimischen Produktionskapazitäten auszubauen, lässt sich auf die Mitte der 1970er Jahre datieren.

Eine wichtige Rolle spielte dabei das vom US-Kongress 1975 beschlossene mehrjährige Waffenembargo gegen die Türkei nach der Besetzung des Nordteils der Inselrepublik Zypern. Es folgten weitere Beschränkungen des Rüstungsexports an die Türkei, beispiels­weise durch die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl im Jahr 1992. Zu­letzt erließ die US-Administration Ende 2020 Strafmaßnahmen gegen die SSB. Diese standen im Zusammenhang mit der Be­schaf­fung des russischen Flugabwehrsystems S‑400 durch den Nato-Partner Türkei. Die Sanktionen hatten vor allem Folgen für die türkische Luftwaffe. Die USA schlossen tür­kische Unternehmen von der weiteren Ent­wicklung und Produktion des Nato-Kampf­flugzeugs F‑35 aus.

Weil die türkischen Streitkräfte durch die verschiedenen restriktiven Maß­nahmen (zeitweise) von einzelnen Rüstungsimporten abgeschnitten und aus Kooperationsprojekten ausgebootet wurden, wendete sich Ankara dem verstärkten Ausbau der eigenen Rüstungs­industrie zu. Im Dienste der Sicherung ihrer Resilienz richtete die Türkei ihre Rüstungspolitik im Schatten der internationalen Sanktionspolitik neu aus. Dieser Strategiewechsel spiegelte sich auch in Reformen wider, welche die türkische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in­stitutionell neu justierten. Insbesondere die Angliederung der SSB an das Präsidialamt im Jahr 2018 und die Befreiung der Agentur von Haushaltsverpflichtungen ermöglichen es der Behörde, spezifische Rüstungsprojekte zu fördern. Mit anderen Worten: Ein­zelne Sektoren der türkischen Wirtschaft wurden zunehmend auf den Verteidigungssektor ausgerichtet.

Im Zentrum der Förderung steht die mili­tärische Luftfahrtindustrie (Entwicklung und Produktion von Kampfflugzeugen, Militärdrohnen und Militärhubschraubern). Der staatliche Luft- und Raumfahrtkonzern Turkish Aerospace Industries (TUSAŞ) ge­hört seit 2005 zu 54,49 Prozent der Stiftung der türki­schen Streitkräfte und zu 45,45 Pro­zent der SSB (0,6 Prozent der Anteile besitzt die Turkish Aeronautical Association). Da­mit ist das Militär zugleich Unternehmer. Neben TUSAŞ sind weitere halbstaatliche Rüstungskonzerne wie Baykar, Roketsan, STM und Aselsan führend in der Branche. Gemeinsam erhalten sie einen Großteil der SSB-Aufträge und tragen wesentlich dazu bei, dass sich der Anteil der lokalen Produk­tion schrittweise erhöht. Darüber hinaus verkürzen sich durch die Zunahme der heimischen Fabrikation Lieferketten.

Die Transformation der türkischen Rüstungsindustrie nimmt insbesondere seit 2015 an Fahrt auf. Verschiedene Indikatoren deuten auf eine Investitionsoffensive hin, die mit einem deutlichen Wachstum der Beschäftigtenzahlen in der Branche ein­her­geht. Parallel dazu steigen die jährlichen Verteidigungsausgaben rapide an.

Die »unorthodoxe« Geldpolitik der türki­schen Regierung und die Inflationsentwicklung der letzten Jahre haben zwar die Binnenwirtschaft belastet, aber die Vertei­digungsausgaben nicht wesentlich beein­trächtigt. Diese beliefen sich im Jahr 2001 auf 7,22 Milliarden US-Dollar. Fast zwei Jahrzehnte später erreichten sie ein Volu­men von 20,44 Milliarden US-Dollar (2019). Im Jahr 2021 sanken die Verteidigungs­ausgaben – pandemiebedingt – auf 15,48 Milliarden US-Dollar und betrugen im Jahr 2022 noch 10,64 Milliarden US-Dol­lar. Im darauffolgenden Jahr stiegen sie er­neut auf 16 Milliarden US-Dollar. 2024 soll der Verteidigungshaushalt mit über 40 Mil­liarden US-Dollar einen neuen Höchststand erreichen. Dies würde einer Steigerung um 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr ent­sprechen.

Dieser Ausgabenanstieg geht einher mit einem wachsenden Anteil eigener Ent­wick­lungs- und Produktionskapazitäten. Nach Regierungsangaben hatten türkische Unter­nehmen im Jahr 2023 einen An­teil von 80 Prozent an der Gesamtrüstungsproduk­tion. Ein Jahr zuvor, 2022, hatte die Quote heimischer Firmen noch bei 73 Prozent gelegen (Türkiye Investment Office 2023). Die Fokussierung auf die Erweiterung loka­ler Forschungs- und Produktionskapazitäten führt zu einem rasanten Anstieg der Beschäftigten im Rüs­tungssektor. Waren im Jahr 2016 insgesamt 35.502 Menschen in der Branche beschäftigt, sind es drei Jahre später bereits 73.771. Ende 2022 arbeiteten insgesamt 81.132 Menschen in der türki­schen Rüstungsindustrie.

Die Rekrutierung von Ingenieuren und Facharbeitern, Softwareentwicklern und Marketingexperten unter Absolventen tür­ki­scher Uni­versitäten und aus dem Ausland stellt für die heimische Verteidigungsindus­trie kein Problem dar. Das Öko­system der Talentförderung zwischen Rüstungsunternehmen, Innovationsclustern und Forschungs­einrichtungen mit militärischem Schwerpunkt wurde systematisch vernetzt. Zahlreiche Uni­versitäten, sechs Innovations­cluster (Istanbul, zwei in Ankara, Bursa, Izmir und Eskişehir) und verschiedene »Tekno­parks« mit angeschlossenen Unter­nehmen und Start-ups, die im Bereich der Rüstungsinnovation forschen, belegen diesen konzeptionellen Ansatz.

Die Architektur dieses Ökosystems aus Innovationszentren, Forschungsnetzwerken, finanzieller Ausstattung und Brücken zu Unternehmen aus der Verteidigungs­industrie weist auf zwei Nebeneffekte der türkischen Rüstungspolitik hin. Zum einen wird das Narrativ der Türkei als »Tekno-Nation« mit Substanz unterfüttert. Regel­mäßige Luftfahrt- und Technologiemessen unter dem Namen »Teknofest« vermitteln einem Millionenpublikum öffentlichkeitswirksam Beispiele für Entwicklungsprojekte und institutionelle Übergänge zwischen Innovationsclustern und unternehmerischer Umsetzung.

Andererseits gelingt es der Regierung in Ankara und den Waffenproduzenten da­durch, sich zunehmend in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Symbolträchtige Präsentationen von Rüstungsprojekten, wie zuletzt im April 2023, als im Istanbuler Stadtteil Tuzla der erste Flugzeugträger aus türkischer Produktion, die »TCG Anadolu«, von Präsident Erdoğan vorgestellt wurde, sollen die »regionale Führungsposition der Türkei« festigen.

Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Türkei bei all diesem erweiterten sicherheits­politischen Engagement nicht über die tech­nologische Reife verfügt, um etwa mit den USA, Russland oder China konkurrieren zu können. Mit anderen Worten: Das Streben nach Autarkie bei Waffensystemen und militärischen Dienstleistungen wird zwar industriepolitisch umgesetzt; in der Praxis indes sind türkische Rüstungsfirmen, wie alle Europäer, nach wie vor auf Importe angewiesen. Dies gilt insbesondere für Halb­leiter und Mikrochips, die von auslän­dischen Technologieunternehmen bezogen werden müssen. Zudem ist zu berücksich­tigen, dass die türkische Rüstungsindustrie mangels eigener Rohstoffe in besonderem Maße vom Außenhandel abhängig ist. Energiepolitischer Partner ist vor allem Russland. Kurzum, der Autarkie-Rhetorik stehen nach wie vor handfeste externe Ab­hängigkeiten gegenüber.

Wachsende Exportfähigkeit

Für die Rentabilität der türkischen Rüstungs­produktion ist die Exportfähigkeit von zen­traler Bedeutung. Vor einem Jahrzehnt ex­portierte die Verteidigungsindustrie des Landes Waffensysteme im Wert von 1,9 Mil­liarden US-Dollar. Im Jahr 2022 stieg das Exportvolumen auf 4,4 Milliarden US-Dol­lar und erreichte im vergangenen Jahr einen neuen Höchstwert von 5,5 Mi­lliarden US-Dollar – ein Zuwachs um 27 Prozent gegenüber 2022.

Diese Exportsteigerung ist das Ergebnis der Eroberung neuer Märkte. Das Geschäfts­modell türkischer Rüstungsunternehmen wie Baykar, TAI, Roketsan, STM und Asel­san basiert zunehmend auf dem Absatz ihrer Produkte in Ländern und Regionen, die der Türkei noch vor einem Jahrzehnt verschlossen waren, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, in Asien (einschließlich Taiwan) und in jüngster Zeit auch in Lateinamerika. Die genannten Unternehmen sind global aufgestellt, ver­fügen über umfassende Produktportfolios im zivilen und militärischen Bereich und haben die Leistungsfähigkeit ihrer Waffen­systeme in verschiedenen Konfliktregionen unter Beweis gestellt. Schließlich ist zu be­rücksichtigen, dass in der Türkei hergestellte Rüstungsgüter auch wegen ihrer Preise wettbewerbsfähig sind und zunehmend international nachgefragt werden.

Mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel im Hinblick auf Israel, ist keine restriktive Ausfuhrpolitik des türkischen Verteidigungs­ministeriums zu beobachten. Die steigenden Zahlen bei den Waffenexporten signa­lisieren, dass die Türkei versucht, ihre sicher­heitspolitischen Interessen auch durch die Lieferung von Militärgütern in Krisen- und Kriegsgebiete durchzusetzen. In der Rüstungsexportpolitik spiegelt sich die Positionierung der Türkei unter Präsident Erdoğan als Mittelmacht zwischen Nato-Verpflichtun­gen einerseits und dem außen­politischen Ziel, den globalen Süden zu repräsentieren und militärisch aufzurüsten, andererseits wider. Die türkische Verteidigungsindustrie und ihre wachsende Export­fähigkeit stellen ein zentrales Scharnier zur Durch­setzung dieser strategischen Aus­rich­tung dar. Ein Beispiel für deren Erfolg ist die Attraktivität der Bayraktar-TB2-Drohnen des türkischen Unternehmens Baykar auf den internationalen Märkten.

Bayraktar-TB2-Drohnen

Ein Kernelement der türkischen Rüstungsindustriepolitik ist die Produktion und der Export von (militärischen) Drohnen. Im Jahr 2022 befanden sich mit Baykar, Asel­san, TAI und Roketsan erstmals vier tür­kische Unternehmen auf der Liste der 100 größ­ten Rüstungskonzerne, die das Stock­holm International Peace Research Institute (SIPRI) jährlich erstellt. Die Gesamteinnahmen der vier Unternehmen aus dem Rüs­tungsgeschäft beliefen sich auf 5,5 Mil­liarden US-Dollar, was einem Anstieg von 22 Prozent gegenüber 2021 entspricht.

Beispielhaft für diesen Aufstieg ist der Drohnenspezialist Baykar aus Istanbul. Das Unternehmen verkauft seine Militär­drohne Bayraktar TB2 (zu Deutsch: Fahnen­träger) mittlerweile in 30 Länder. Baykar verzeichnete von 2021 auf 2022 eine Umsatzsteigerung von 94 Prozent. Der Konzern war 2023 der größte Rüstungsexporteur der Türkei. Insgesamt erreichten die Exporte von Bay­kar ein Volumen von 1,76 Milliarden US-Dollar. Nach eigenen Aussagen liefert Baykar keine Drohnen nach Israel. Stattdessen hat Selçuk Bayraktar, Vorsitzender und CTO (Chief Technology Officer) des Unternehmens, seit Oktober 2023 Millionenbeträge aus dem Unternehmen an Hilfsorganisa­tionen im Gaza gespendet.

Das Nachfolgemodell TB3, das sich noch in der Entwicklung befindet, soll zu 100 Pro­zent »Made in Türkiye« produziert werden. Die Fabrikate der verschiedenen Drohnengenerationen dienen sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken. Innerhalb der Tür­kei werden die TB2 zur Erkennung von Waldbränden, zur Überwachung von Erd­bebengebieten (wie zuletzt im Februar 2023 im Südosten des Landes) und zur Verfolgung von Migrationsrouten eingesetzt.

In Syrien, im Nordirak, in Libyen und bei der militärischen Unterstützung Aserbai­dschans im Krieg mit Armenien wurden und werden TB2-Drohnen militärisch ein­gesetzt. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 waren es Bay­raktar-Drohnen, die den Vormarsch russi­scher Panzer­verbände auf Kiew entscheidend stoppten. Auch die Nato-Partner Albanien, Polen und Rumänien haben die Drohne bestellt und teilweise schon erhalten. Im Januar 2023 wurde mit Kuwait ein Vertrag über die Lieferung von TB2-Drohnen im Wert von 370 Millionen US-Dollar abgeschlossen. Im Juli folgte ein Deal mit Saudi-Arabien über 3,1 Milliarden Dollar.

Mit der Drohne TB2 ist die Türkei zu einem wichtigen Akteur in der inter­natio­nalen Rüstungsexportliga aufgestiegen. Ankara hat damit in verschiedenen Kon­flikt­gebieten und Exportmärkten große Bedeutung erlangt. Mehr als 185 Länder haben im Jahr 2023 Militärgüter aus der Türkei bezogen. Präsident Erdoğan ver­bucht diese internationale Expansion als Beleg dafür, dass mit dem zweiten Jahrhundert der Republik das »Jahrhundert der Türkiye« angebrochen sei. Damit verbunden ist die geo­graphische Neuausrichtung strategischer Partnerschaften und eine Neubewertung westlicher Bünd­nisverpflichtungen.

Kooperation mit Nato-Partnern

Die Kooperation mit Nato-Partnern ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der türki­schen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Auch wenn sich der Schwerpunkt der Rüstungspolitik Ankaras zunehmend auf inländische Entwicklung und Produktion verlagert, gibt es weiterhin Sicherheits- und Verteidigungsprojekte in Joint-Venture-Kon­stellationen mit Nato-Partnern. Ein Beispiel ist das Nato-Intel-FS2-Projekt. Hier entwickelt das türkische Unternehmen STM die ge­samte Software für die Aufklärungsinfrastruktur der Nato.

Ein weiteres Gemeinschaftsprojekt mit türkischer Beteiligung ist der Nato-Inno­vationsfonds. Dabei handelt es sich um den weltweit ersten multinationalen Risikokapitalfonds. 23 Mitglieder des Bündnisses be­teiligen sich daran mit einer Kapitaleinlage von insgesamt einer Milliarde US-Dollar. Der Fonds soll Start-ups finanzieren, die sich explizit auf militärische Forschung und Anwendung konzentrieren. Das Innova­tions­profil des Nato-Risikokapitalfonds eröffnet türkischen Unternehmen im Rüstungs­sektor weitere Kooperationsformate und Planungssicherheit.

Mit Blick auf die bilaterale Rüstungs­koope­ration mit Deutschland hat der Besuch von Präsident Erdoğan in Berlin im No­vem­ber 2023 eine neue Entwicklung aufgezeigt. Der türkische Wunsch nach Beschaffung von 40 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter Typhoon war bis dahin nicht öffentlich artikuliert worden. Der Eurofighter wird von einem Vierer-Konsor­tium produziert, dem neben Deutschland und Italien auch Spanien und Großbritannien angehören. Die beiden letztgenannten Länder haben bereits grünes Licht signalisiert. Die Zustimmung Berlins und Roms steht noch aus.

Das Verteidigungsministerium in Ankara betrachtet die Bewilligung des Kaufs von Eurofightern als selbstverständlichen Teil der Bündnistreue gegenüber einem Nato-Partner. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Türkei bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen zweigleisig fährt. 2021 beantragte sie in Washington den Erwerb von 40 Lockheed-Martin-F-16-Kampfflug­zeugen und 79 Modernisierungskits für ihre Altbestände.

Diese Kaufabsicht war seit 2022 im US-Kongress blockiert. Nachdem das Parlament in Ankara das schwedische Gesuch auf einen Nato-Beitritt am 23. Januar 2024 end­gültig ratifiziert hatte, teilte das State Department dem Kongress mit, dass der Verkauf in Höhe von 23 Milliarden US-Dol­lar unverzüglich genehmigt wird. Das State Department knüpft allerdings Bedingungen an die Einigung mit der Türkei, nämlich dass die F-16 nur für Nato-Bündniszwecke und nicht für Überflüge über griechischen Inseln genutzt werden.

Die Bundesregierung steht vor der Herausforderung, innenpolitische Aspekte und Nato-Bündnisverpflichtungen gegeneinan­der abzuwägen. Die deutschen Rüstungs­exporte erreichten 2023 einen Rekordwert von 11,71 Milliarden Euro. Die Genehmi­gungen der Ampelregierung für die Liefe­rung von Verteidigungsgütern an die Türkei be­liefen sich auf lediglich 1,22 Millionen Euro. Kriegswaffen­exporte nach Ankara lehnt die Koalition in Berlin ab. Seit Januar 2024 sollen Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beschleunigt werden. Allerdings wird die Türkei von den vereinfachten Verfahren nicht profitieren.

Geostrategische Aspekte

Die im Jahr 2019 getroffene Entscheidung Erdogans, das mobile Flugabwehrsystem S‑400 von Russ­land zu erwerben, war nicht nur ein politischer Affront gegenüber den Nato-Partnern, sondern führte auch zu schweren diplomatischen Verstimmungen auf bi­late­raler Ebene, insbesondere mit den USA. Türkische Rüstungsunternehmen, die an der Entwicklung des F-35-Kampfjets be­tei­ligt gewesen waren und dann aufgrund der US-Sank­tionen ausgeschlossen wurden, erlitten erheb­liche finanzielle Verluste.

Allerdings ist die Annäherung zwischen Russland und der Türkei im Bereich der Rüs­tungspolitik kein Einzelfall. Im Rahmen der bilateralen Energiekooperation sind Ab­hän­gigkeiten Ankaras von Moskau entstan­den, die sich strukturell verfestigt haben und auch innenpolitisch nicht in Frage ge­stellt werden, weil Erdoğan die euro­päische Sank­tionspolitik gegenüber Russland ablehnt.

Das türkische Verteidigungsministerium und die ihm zuarbeitenden Unternehmen haben aus der russischen Invasion in der Ukraine Lehren gezogen, die nicht nur für die heimische Rüstungsindustrie relevant sind. Zum einen wird eine rasche Erhöhung der produzierten und exportfähigen Stück­zahlen von militärischen Gütern angestrebt. Zum anderen sind türkische Firmen bereit, ihre Zusammenarbeit mit der Ukraine aus­zuweiten. Bereits vor der rus­sischen In­vasion wurden mehrere Abkommen mit ukrainischen Unternehmen geschlossen, im Dezember 2020 zum Beispiel über den Bau von Korvetten der Ada-Klasse für die ukrainische Marine. Darüber hinaus hat die Türkei der Ukraine Schiffskraftwerke zur Verfügung gestellt, welche die Strom­versor­gung sicherstellen. Eine entsprechende Ab­sichtserklärung wurde mit dem staatlichen ukrainischen Energieunternehmen ECU Anfang 2023 unterzeichnet. Die Antriebswerke der Tarnkappendrohne Anka-3 werden von dem ukrainischen Hersteller Ivchenko-Progress geliefert.

Neue Allianzen in der Rüstungspolitik

Das Bild der türkischen Rüstungsindustrie spiegelt eine veränderte politische Realität mit weitreichenden Konsequenzen wider. Planung und Produktion beschränken sich nicht mehr primär auf die Landesverteidigung. Sie beziehen heute den regionalen und globalen Markt mit ein. Zwei Para­meter spielen dabei die Hauptrolle: (i) die Gewähr­leistung der türkischen Sicher­heit und (ii) die Ausweitung der Export­fähigkeit der produzierten Waffensysteme. Darüber hinaus geht die Türkei zunehmend Rüs­tungsallianzen mit Staaten ein. Dabei prä­sentiert sie sich als Mittelmacht, die Zugang zu Rüstungsmärkten auf ver­schie­denen Kontinenten gefunden hat.

Am Beispiel der Rüstungsexportpolitik wird besonders deutlich, dass und wie die Türkei neue Partnerallianzen außerhalb der Nato ver­einbart. Die Rüs­tungskooperatio­nen werden durch die Vergabe von Export­lizenzen abgesichert und zeichnen sich durch regionale Diversifizierung aus. Die außenpolitische Zielsetzung Ankaras besteht darin, Rüstungsexporte strategisch ein­zusetzen. Dabei bezieht sie auch Länder ein, denen andere Nato-Partner mit Zurück­haltung begegnen, etwa Saudi-Arabien, Taiwan oder China.

Der Wandel in der Architektur der tür­kischen Rüstungsindustrie in den letzten zehn Jahren ist das Ergebnis des politischen Bestrebens, zivile und militärische Innova­tionsfähigkeit zu vernetzen. Die türkische Rüs­tungsindustrie ist von der nationalen Wäh­rungskrise und den anhaltenden In­flationsgefahren kaum betroffen. Im Gegen­teil, sie verzeichnet volle Auftragsbücher bei zunehmender internationaler Nach­frage. Steigende Branchenumsätze und wachsende Export­kapazitäten sind ein Beleg dafür, dass führende türkische Rüs­tungs­unternehmen wie Baykar, TAI, Roketsan, STM und Asel­san inzwischen über flexible Fertigungs­kapazitäten und stabile Liefer­ketten verfügen.

Schließlich ist zu unterstreichen, dass sich die dynamische Entwicklung des Mili­tärsektors in der Türkei auch in einer Mili­ta­risierung der türkischen Außenpolitik nieder­geschlagen hat. Insbesondere die wiederholten direkten militärischen Ein­griffe in Syrien, im Irak und in Libyen belegen den Nexus zwischen politischem Souveränitätsstreben und einer interventio­nistischen Außenpolitik mit militärischer Einsatzbereitschaft.

Herausforderungen für Nato‑Partner und die EU

Das Ziel der Türkei, sich als internationaler Rüstungsspezialist zu positionieren und zu einem globalen Exporteur modernster Mili­tär­technologie zu werden, stellt die Nato-Partner vor politische Herausforderungen. Das Beharren der Regierung in Ankara und der führenden türkischen Rüstungsfirmen auf dem Ausbau der heimi­schen Produk­tionskapazitäten macht deutlich, wie ent­schlossen die Türkei auf eine Ausweitung ihrer strategischen Autonomie hinarbeitet.

Diese Absicht erstreckt sich auf immer mehr und immer modernere Waffensysteme. Derzeit entwickelt die Türkei ihr erstes Tarn­kappen-Kampfflugzeug KAAN, das ausschließlich im eigenen Land gebaut und aus türkischen Quellen finanziert wird. Die Serienproduktion des KAAN soll bis 2028 gesichert sein. Damit wäre die Türkei in der Lage, ihre Altbestände an amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen schrittweise zu er­setzen. Die mögliche Beschaffung von Euro­fightern kann vor dem Hintergrund dieser Entwicklungsperspektiven als Alternative für den Übergang angesehen werden. Für den Fall, dass der Erwerb nicht zustande kommt, gibt es jedoch Hinweise auf Über­legungen der türkischen Regie­rung, das chinesisch-pakistanische Kampfflugzeug JF‑17 Thunder zu kaufen.

Die türkische Anfrage an die Bundes­regierung, dem Verkauf von Eurofightern zuzustimmen, eröffnet Handlungsspielräume für Nato-Partner. Das Eurofighter-Konsortium ist ein Hebel, um gegebenenfalls Konditionalitäten zwischen Berlin und Ankara auszuloten. Die Türkei bleibt im Bereich der Luftverteidigung vor allem von den USA, aber auch von den europäischen Nato-Partnern abhängig. Das hat Folgen auch für den zunehmenden Rüstungswettlauf zwischen der Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer. Die Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat 2022 französische Rafale-Kampfflugzeuge bestellt und mit den USA den Kauf von 40 F-35-Tarnkappenjägern vereinbart. In der Praxis wird damit die bestehende militärische Dominanz der tür­kischen Luftwaffe gegenüber Griechenland im östlichen Mittel­meer mittelfristig in Frage gestellt.

Als Nato-Mitglied bemüht sich die Türkei seit 2021 um eine Beteiligung an der EU-Verteidigungs­initiative der »Ständigen Struk­turierten Zusammenarbeit« (PESCO). Die projektbasierte Initiative ist ein Versuch, die Gemeinsame Sicherheits- und Vertei­digungs­politik der EU (GSVP) fortzuent­wickeln. Mit seinem Interesse an einer Mit­wirkung an dem PESCO-Projekt »Militä­rische Mobi­lität« hat Ankara seine Bereit­schaft zu einer sicherheitspolitischen Ko­ope­ration auf EU-Ebene signalisiert. Aller­dings erfüllt die Türkei als Drittstaat bisher nicht alle Bedingungen für eine Teilnahme an PESCO-Vorhaben.

Zudem ist die Beteiligung der Türkei an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) ausbaufähig. Laut dem im November 2023 veröffentlichten Türkiye 2023 Report der Europäischen Kom­mission hat die Türkei bis August 2023 lediglich eine Angleichungsquote (Alignment Rate) von 10 Prozent an die GASP-Ziele erreicht. Darüber hinaus hält die Türkei an ihrem Veto fest, das EU-Mitglied Zypern von allen möglichen verteidigungspolitischen Kooperationsformen zwischen EU und Nato auszuschließen.

Ausblick

Auf der einen Seite bemühen sich die EU und die Nato um eine Einbindung Ankaras; auf der anderen Seite verfolgt Präsident Erdoğan das strategische Ziel, die Türkei durch Produktion und Exportfähigkeit zu einem rüstungspolitischen Machtzentrum zu ent­wickeln. Dies ist eine Konstellation, die Konfliktpotential birgt und diplomatisches Geschick erfordert.

Der rasante Anstieg der türkischen Rüs­tungsexporte in den letzten Jahren und die damit einhergehende politische Förderung der Branche durch Erdoğan haben gezeigt, dass die türkische Industrie liefern kann. Die Nach­frage nach türkischen Militärgütern und das mit diesen Produkten erworbene Reputationskapital auf den globalen Rüs­tungs­märkten deuten darauf hin, dass die Türkei auch in Zukunft eine feste Größe auf den internationalen Schau­plätzen der Rüstungs­produktion und der militärischen Dienstleistungen bleiben wird. Die ziel­gerichtete Vernet­zung von Sicherheits­interessen mit der Innova­tionsfähigkeit der Rüstungsindustrie und der expandierenden Waffenexporte wird das außenpolitische Gewicht der Türkei in den kommenden Jahren stärken.

Der Verkauf von Eurofighter Typhoons an die Türkei wäre weit mehr als eine kommerzielle Rüstungsexportvereinbarung. Verteidigungspolitisch würde es die Ent­scheidung bedeuten, die Türkei weiterhin in westliche militärisch-industrielle Systeme zu integrieren statt indirekt ihre strategische Autonomie zu fördern. Es gilt, die Risiken einer Zustimmung im Auge zu behalten und zu versuchen, Ankara konstruktiv in die Pflicht zu nehmen. Der türkische Rüs­tungswunsch sollte an Bedingungen ge­knüpft werden, zum Beispiel an die Ein­haltung der über den UN-Rahmen hinaus­gehenden Sanktionspolitik gegenüber Russ­land. Schließlich könnten sich auch Chan­cen für neue Kooperationsformate eröffnen, etwa in Form des Exports von türkischen Rüstungsgütern, wie etwa Drohnen, an die Bundeswehr.

Dr. Jens Bastian ist Fellow am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS).

Das Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) wird gefördert durch die Stiftung Mercator und das Auswärtige Amt.

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