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Die Evangelikalen und die Politik in Brasilien

Die Relevanz des religiösen Wandels in Lateinamerika

SWP-Studie 2019/S 26, 02.12.2019, 34 Pages

doi:10.18449/2019S26

Research Areas

Dr. Claudia Zilla ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika

 Seit den 1970er Jahren vollzieht sich in Lateinamerika ein religiöser Wandel: Der Anteil der Bevölkerung katholischen Glaubens geht stark zurück, der evangelikalen Glaubens nimmt rasant zu. Beide Entwick­lungen sind miteinander kausal verknüpft.

 Im Zuge dieser demographischen Transformation büßt die katholische Kirche ihre besondere Stellung in der Gesellschaft und ihren privilegierten Zugang zur Politik ein. An ihre Stelle tritt eine Großzahl vielfältiger und autonomer evangelikaler, vor allem pfingstkirchlicher und neo-pfingst­kirchlicher Kirchen.

 Dass die evangelikalen Kirchen ein so großes soziales Gewicht bekommen, hängt unter anderem mit ihrer Bedeutung als »Problemlöserinnen« in prekären Gesellschaftssektoren zusammen. Dieses Engagement dehnen die Glaubensgemeinschaften in wachsendem Maße auf den Bereich der Politik aus.

 In Brasilien kommt die Steigerung sozialer Relevanz und politischer Macht der evangelikalen Kirchen in besonders markanter Weise zum Vorschein: Seit dem 1. Januar 2019 führt mit Jair Messias Bolsonaro ein ehemaliger Militär die Regierungsgeschäfte, der sich von einem evangelikalen Pastor im Jordan taufen ließ.

Problemstellung und Empfehlungen

Eine der bedeutendsten demographischen Transformationen der letzten Jahrzehnte in Lateinamerika besteht im Wechsel großer Bevölkerungsteile vom Katholizismus zu verschiedenen Formen des evange­likalen Glaubens, insbesondere zu pfingstkirchlichen und neo-pfingstkirchlichen Strömungen, die inner­halb des breiten evangelischen Spektrums die Mehr­heit bilden. Bezeichneten sich in den 1970er Jahren noch 92 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung als katholisch und nur 4 Prozent als evangelisch, so gaben im Jahr 2014 bereits 19 Prozent der Gläubi­gen an, einer evangelischen Kirche anzugehören, während der Anteil der Katholiken und Katholikinnen auf 69 Prozent zurückging. In den zentralamerikanischen Ländern Guatemala, Honduras und Nicaragua machen Menschen evangelischen Glaubens, darunter größtenteils Evangelikale, heute rund 40 Prozent der Bevölkerung aus.

Welche Implikationen hat diese Entwicklung auf der gesellschaftlichen und der politisch-institutio­nel­len Ebene? Geht mit dem steigenden demographischen Gewicht der Evangelikalen in Lateinamerika auch ein Zuwachs an sozialer Relevanz und politischer Macht einher? Und wenn ja, wie gestaltet sich das Zusammenspiel zwischen den evangelikalen Kir­chen und der Politik? Welche Rolle spielen evangelikale Führungsfiguren und Gläubige in der Politik? Wie artikulieren sie religiöse und politische Interessen? Diesen Fragen geht die vorliegende Studie nach.

Während die Analyse des demographischen und gesellschaftlichen Aufstiegs der Evangelikalen sich auf ganz Lateinamerika bezieht, werden die spezifisch politischen Implikationen dieser Entwicklung an einem nationalen Fallbeispiel eingehender unter­sucht: Brasilien. Zwar ist Brasilien nach wie vor das Land mit den meisten Katholiken und Katholikinnen weltweit; zugleich ist es jedoch mittlerweile zum größ­ten pfingstkirchlichen Land der Welt avanciert. Auch wenn Evangelikale in der brasilianischen Politik im Vergleich zu Katholiken nach wie vor unterrepräsentiert sind, verfügen sie in diesem Land schon jetzt über ungleich mehr Popularität – nicht zuletzt in­folge des Amts­antritts des neuen Präsidenten Jair Messias Bolsonaro am 1. Januar 2019, eines im Jordan evangelikal getauften Militärs.

Die vorliegende Untersuchung kommt zu folgenden Erkenntnissen: Das gewaltige Wachstum der Evangelikalen hat zunächst Auswirkungen auf der Ebene der subjektiv-individuellen Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Diese betreffen nicht nur den religiösen Glauben und die Wertvorstellungen, sondern auch die Weltsicht und den Weltbezug der Menschen. In der Sphäre der evangelikalen Kirchen spielt die eigene religiöse Identität generell eine un­gleich zentralere Rolle als im Katholizismus. Es sind persönliche Gotteserfahrungen und bewusste Ent­scheidungen, die die Anhängerinnen und Anhänger dieser Kirchen zu religiöser Bekehrung veranlasst haben bzw. zu ihrem Bekenntnis bewegen. Daher prägt die evangelikale Identität die Lebensführung in stärkerem Maße als das Katholisch-Sein.

Mit dem demographischen Aufstieg der evangelikalen Kirchen geht der zunehmende Bedeutungsverlust der ehemals dominanten katholischen Kirche einher. Dadurch ändert sich das Kräfteverhältnis zwischen den wichtigsten religiösen Akteuren der Zivilgesellschaft. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Machtverschiebung nur von der einen zur anderen Konfession, sondern auch von einer stark zentralisierten Kirche hin zu einer atomisierten Landschaft un­zähliger, äußerst autonomer evangelikaler Glaubensgemeinschaften, die sich nicht als typologisch homo­gene Gruppe ansprechen lassen. Eine weitere Kon­sequenz dieser Entwicklung ist, dass der religiöse und der Akteurspluralismus in der Gesellschaft zuneh­men. Evangelikale Kirchen beherrschen gleicher­maßen das Straßenbild der urbanen Zentren, Armen­viertel und abgelegenen Dörfer. Sie sind dort präsent, wo der Staat fehlt und die katholische Kirche freie Räume hinterlassen hat. Große evangelikale Kirchen operieren wie Wirtschaftsunternehmen. Sie besitzen bedeutende Anteile am sogenannten Gospel-Markt und verfügen über weitverzweigte Mediennetzwerke.

In Brasilien dominieren drei evangelikale Mega­kirchen die politische Arena: die Igreja Universal do Reino de Deus (Universalkirche des Königreichs Got­tes), die Assembleia de Deus (Versammlung Gottes) und die Igreja do Evangelho Quadrangular (Kirche des Vierfältigen Evangeliums). Auch wenn deren Mitglie­der sich in verschiedenen Parteien engagieren, stehen die Partido Republicano Brasileiro (Republikanische Partei) und die Partido Social Cristão (Sozial-christ­liche Partei) in besonderem Maße unter dem Einfluss der genannten Kirchen. Nicht ausschließlich, jedoch stärker vertreten sind Evangelikale im rechten und mitte-rechten ideologischen Spektrum. Die politische Strategie evangelikaler Großkirchen ist in erster Linie darauf ausgerichtet, institutionelle Interessen wie religiöse Gleichstellung und Gleichbehandlung oder den Zugang zu Medienlizenzen durchzusetzen und einer konservativen Moralagenda Geltung zu ver­schaffen. Zu diesem Zweck unterstützen evangelikale Kirchen Kandidaturen informell oder offiziell. Und zu diesem Zweck bemühen sie sich um die parlamentarische Artikulation ihrer Interessen über die parteien­übergreifende Evan­gelische Parlamentarische Front und die Beset­zung relevanter Ausschüsse im Kongress.

Allgemein ist in Brasilien unter der Präsidentschaft von Jair Messias Bolsonaro die Demarkationslinie zwischen Politik und Religion durchlässiger geworden. Bereits als Präsidentschaftskandidat profitierte Bolsonaro wie kein anderer von der Unterstützung eines Großteils der evangelikalen Wählerschaft; heute genießt er weiterhin überproportional hohe Zustimmungswerte in dieser Gesellschaftsgruppe. Aus einer demokratisch-pluralistischen Perspektive sind drei Entwicklungen in Brasilien zu problematisieren: Erstens engagieren sich die dominanten evangelikalen Kirchen gegen die soziale und auch rechtliche An­erkennung von nicht-traditionellen Lebensentwürfen. Zweitens avancieren Führungsfiguren der einflussreichsten Megakirchen zu gewichtigen Wirtschaftsleuten, die sich noch dazu direkt oder indirekt poli­tisch betätigen, was eine Machtkonzentration über drei gesellschaftliche Subsysteme hinweg bedeutet. Drittens ist der ideologische Flügel von Bolsonaros Kabinett von dem Glauben getrieben, in einem Kulturkampf mit Kräften zu stehen, die das Christen­tum bedrohen.

Ein kontextsensibler (entwicklungs-)politischer An­satz, der sich auf Brasilien und Lateinamerika richtet, sollte die Relevanz der Evangelikalen in Gesellschaft und Politik stärker berücksichtigen und ausgewählte evangelikale Akteure als Gesprächspartner und ‑part­nerinnen – vor allem auf lokaler Ebene – einbeziehen. Die Tatsache, dass die Gesell­schaften in Deutsch­land und der Europäischen Union christlich geprägt sind, versetzt die Europäerinnen und Europäer in eine gute Position, um in den bilateralen und biregio­nalen Beziehungen jenen Ideologien entgegenzuwirken, die glauben machen wollen, man befinde sich in einer Konkurrenz zwischen den Reli­gionen, bei der das Christentum den Kürzeren ziehe. Derartige Vor­stel­lungen gefährden den sozialen Frieden in Latein­amerika.

Zum Verhältnis von Religion und Politik

Politik und Religion stehen in einer komplexen und wechselseitigen Beziehung zueinander – selbst in säkularen Staaten. Indem Religionen den Glauben und die Lebensführung ihrer Gemeindemitglieder prägen, die zugleich Bürgerinnen und Bürger eines Staates sind, beeinflussen sie auch Gesellschaft und Politik. Jede Religion beinhaltet nicht nur Bezüge zum Übersinnlichen bzw. Transzendentalen,1 son­dern auch eine bestimmte Weltsicht. Der religiöse Glaube bietet Weltorientierung und reguliert die dialektische Beziehung zwischen Weltdistanz und Weltzuwen­dung. Die Weltdistanz ergibt sich aus der Beschäf­tigung mit transzendentalen Fragen (Beziehung zu Gott und zum Jenseits), die Weltzuwendung bereits aus der Tatsache, dass Religionen und ihre Gläubigen in der Welt sind und wirken.2 Darüber hinaus er­heben Religionen den Anspruch, das Weltliche nor­mativ mitzugestalten, sei es im privat-individuellen oder im öffentlich-kollektiven Bereich.

In diesem Spannungsverhältnis zwischen Welt­distanz und Weltzuwendung fordern Religionen von ihren Angehörigen jeweils einen unterschiedlichen Grad der Weltabkehr bzw. der Weltgestaltung;3 und dieser kann sich wiederum, wie hier am Beispiel der Evangelikalen zu zeigen sein wird, im Laufe der Zeit verändern. Dieser Forderung (Weltabkehr vs. Welt­gestaltung) liegt eine gewisse Idealvorstellung von Gesellschaft bzw. des sozialen Systems und eine spezi­fische Haltung gegenüber der Politik – zumindest implizit – zugrunde. Darüber hinaus reagieren Reli­gionen fortlaufend auf politische Ereignisse und Ent­wicklungen, etwa durch theologische Brüche, doktri­näre Erneuerungen und institutionelle Anpassungen.

Wie Politik muss auch Religion auf der empirischen Ebene der Praxis be­leuchtet werden, damit sich Inter­aktionsmuster identifizieren lassen.

Politik findet ihrerseits nicht in einem Werte­vakuum, sondern in einem normativen Umfeld statt, das unter anderem der Beeinflussung durch religiöse Überzeugungen ausgesetzt ist. Politische Entscheidun­gen können mehr oder minder verdeckt durch Glau­benssätze inspiriert sein oder mit diesen sichtbar kollidieren. Darüber hinaus ist es Sache der Politik, den Status und den Handlungsspielraum religiöser Organisationen rechtlich zu regeln. Dieser Aufgabe der Politik stehen Glaubensgemeinschaften selbst­verständlich nicht gleichgültig gegenüber. In säkula­ren Staaten mit pluralistischen Gesellschaften gelten Kirchen als anerkannte Akteure nicht nur auf dem »Markt spiritueller Güter«, sondern auch auf dem »Markt der Werte, Ideen und Interessen«. Dabei ist eine strikte institutionelle Trennung zwischen Staat und (dominanter) Religion so gut wie nirgends vor­han­den.4 Das Kräfteverhältnis unter den verschiedenen Glaubensgemeinschaften in einem Land kann sich im Hinblick auf materielle wie immaterielle Res­sourcen (Status, Mitglieder, Finanzen, Durchsetzungsvermögen) unterschiedlich darstellen. Jede Religion definiert auch ihr Verhältnis zu anderen Glaubensrichtungen. Das Beziehungsmuster zwischen ihnen kann strukturell wie situativ eher das einer Konkurrenz oder einer Kooperation (etwa Ökumene im Chris­tentum) sein. Darüber hinaus übernehmen Religions­gemeinschaften bzw. deren Organisationen häufig soziale Aufgaben. Diese bleiben nicht ohne politische Wirkung, wenn etwa in abgelegenen Orten die in­stitutionelle Präsenz von Kirchen für die Bürgerinnen und Bürger deutlicher spürbar ist als die des Staates – eine sehr verbreitete Situation in Lateinamerika.

Wie Politik muss auch Religion auf der empirischen Ebene der Praxis, also auf der Ebene der Funk­tionsweise der Institutionen und des Handelns kon­kre­ter Akteure beleuchtet werden, damit Inter­aktions­muster identifizierbar werden. So lassen sich beispielsweise selbst im Fall der ausgesprochen hierarchisch organisierten katholischen Kirche in zwei ähnlich entwickelten südamerikanischen Län­dern wie Argentinien und Chile deutliche Unterschiede im Umgang des jeweiligen Klerus mit den Militärdiktaturen der 1970er und 1980er Jahre fest­stellen: unterstützend und kooperativ östlich der Anden (Argentinien), kritisch und eher Widerstand leistend westlich der Anden (Chile).5 Solche Divergen­zen zeigen, dass die Kategorie Religion zu breit, zu heterogen ist, um als heuristisches Diagnoseinstru­ment dienen und zu sinnvollen Erkenntnissen leiten zu können. Zum Beispiel beherbergt die katholische Kirche derart divergente Strömungen wie das Opus Dei und die Befreiungstheologie.6

Vor diesem Hintergrund sind generalisierende Aussagen über die Beziehung zwischen den Evange­likalen und der Politik in Lateinamerika nur mit großer Vorsicht zulässig, denn der nationale Kontext spielt dabei eine zentrale Rolle. Faktoren wie eine spezifische sakrale Tradition, politische Kultur oder historische Prägung beeinflussen die Akteure und Institutionen in der religiösen und der öffentlichen Sphäre eines Landes auf unterschiedliche Weise. Außerdem sind die zwei gesellschaftlichen Subsysteme Religion und Politik rechtlich, institutionell und sozial von Staat zu Staat individuell ausgestaltet. Hin­zu kommt, dass wir es bei den evangelikalen Kirchen mit einer vielfältigen, hoch fragmentierten Landschaft zu tun haben, die im starken Kontrast zum Zentralismus der katholischen Kirche steht, mit ihrem Pontifikat an der Spitze und dem Vatikan als Hauptsitz. Wer das politische Wirken der Evangelikalen untersuchen will, muss sich aus den genannten Gründen auf ein konkretes Setting fokussieren. Im vorliegenden Fall ist dies Brasilien. Der Analyse dieses Falles geht zum Zwecke der Kontextualisierung eine Betrachtung der Entwicklung der evangelikalen Kir­chen in Lateinamerika voraus.

Der religiöse Wandel in Lateinamerika

Der Evangelikalismus breitet sich in Lateinamerika gegenwärtig massiv aus. Zwei weitere Entwicklungen gehen damit einher: Auf der individuell-subjektiven Ebene findet eine Intensivierung von Religiosität statt, denn im Vergleich zu den Katholiken spielt der Glaube im Leben der Evangelikalen eine ungleich bedeutendere Rolle. Auf der gesellschaftlichen Ebene nimmt die Dominanz der katholischen Kirche aus zweierlei Gründen ab: weil sie Mitglieder zugunsten der evangelikalen Kirchen verliert und weil diese der katholischen Kirche den sozialen und politischen Ein­fluss streitig machen. Es ist ein Zusammenhang, der in Brasilien in besonderer Ausprägung zu beobachten ist, doch tendenziell – mit wenigen Ausnahmen – für die ganze Region gilt.

Der evangelikale Glaube

Der Begriff »evangelikal« (Spanisch: evangélica/o)7 ist mehrdeutig und umstritten. Er bezieht sich auf eine heterogene Gruppe von weitgehend unabhängigen christlichen Kirchen protestantischer Tradition, die mit verschiedenen nationalen und regionalen Ver­bänden assoziiert sind. Nomenklaturen und Klassifizie­rungen innerhalb dieses religiösen Universums sind nicht streng konsistent. Diskrepanzen in den Be­zeichnungen gibt es zwischen Sprachen, Gläubigen, religiösen Autoritäten und in der Forschung.8 »Evan­gelikal« wird hier als Überbegriff verwendet, der in erster Linie Pfingstkirchen und Neo-Pfingstkirchen umfasst.9 Mitglieder der historischen protestantischen Kirchen wie Lutheraner und Calvinisten, also der sogenannten Einwanderungskirchen oder Transplantationskirchen in Lateinamerika, fallen nicht unter diesen Terminus. Vielmehr bezeichnet »Evangelikal« eine breite Palette von (mittlerweile) lateinamerikanischen Kirchen neueren Datums, die einen Großteil der folgenden Merkmale aufweisen:10

Evangelikale Kirchen gehen von einer wörtlichen Auslegung der Bibel aus. Darin sei die gesunde Lehre (sana doctrina) enthalten, die Christus verherrlicht und die Sünde heilt. Deshalb wird der intensiven Lek­türe der Bibel große Bedeutung beigemessen. Evange­likale glauben, dass Gott in das tägliche Leben ein­greift, zum Beispiel indem er Christen mit starkem Glauben gute Gesundheit und materiellen Reichtum schenkt (Wohlstandsevangelium). Das Werk des Heili­gen Geistes hat eine zentrale Bedeutung in der Lehre und der Glaubenspraxis der Evangelikalen. Bestandteil der Gottesdienste sind oft Manifestationen, die als »Gaben des Heiligen Geistes« betrachtet werden, wie zum Beispiel Heilung durch Handauflegen, Zungenreden (Glossolalie), Exorzismus und der Empfang direkter Offenbarungen von Gott. Im Hinblick auf die Eschatologie, das heißt die Lehre vom Endschicksal des einzelnen Menschen und der Welt, sind Evangelikale Anhängerinnen und Anhänger des Millenarismus: Sie glauben, dass die Wiederkunft Jesu Christi bevorstehe, der ein tausend Jahre (Millennium) wäh­rendes Reich mit Israel als politisch und religiös dominierender Weltmacht errichten wird, auf die das Endgericht folgt. Während Pfingstkirchen stärker den Prämillenarismus (den Glauben, die Gegenwart sei vormillenarisch) vertreten, hängen die Neo-Pfingst­kirchen einem Postmillenarismus (dem Glauben, das Millennium sei bereits angebrochen) an.

Evangelikale treten meist noch rigoroser als Katholiken gegen nicht-traditionelle Lebensstile auf.

Obwohl die katholische Kirche in Lateinamerika mit dem Rückhalt des Vatikans eine ähnlich kon­servative Haltung in moralischen und sozialen Fragen einnimmt, sind Evangelikale meist rigoroser gegen Abtreibung, Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehe, künstliche Mittel der Geburtenkontrolle, Sex außerhalb der Ehe und Alkoholkonsum. Dieser Unter­schied bleibt selbst zwischen Menschen katho­lischen Glaubens auf der einen und evangelischen Glaubens auf der anderen Seite mit ähnlicher Fröm­migkeit bestehen.

In einer Umfrage des Pew Research Centers aus dem Jahr 2014 gaben ehemalige Katholiken und Katholikinnen auf die Frage nach den Gründen für ihre Bekehrung zum Evangelikalismus am häufigsten folgende Antworten:11 die Suche nach einer persön­lichen Verbindung zu Gott (81%); die Freude an einem Gottesdienst in einer neuen Kirche (69%); das Bedürfnis, mehr Wert auf Moral zu legen (60%); der Wunsch, einer Kirche anzugehören, die den Mitgliedern mehr hilft (59%); die persönliche Ansprache von Seiten der neuen Kirche (58%). Somit dominieren immaterielle Anliegen eindeutig gegenüber materiellen Interessen. Qualitative Studien zeigen, dass evan­gelikale Kirchen ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln und eine emotionale Bindung fördern, die heute weder die katholische Kirche noch der Staat bieten können. Nicht wenigen Menschen aus prekären und verwundbaren sozialen Verhältnissen, die von Alko­holismus und häuslicher Gewalt geprägt sind, gelingt es offenbar besser, der Misere zu entfliehen und sich in die Arbeitswelt zu integrieren, nachdem sie sich einer evangelikalen Kirche angeschlossen haben.12 Die Glaubensgemeinschaften führen sie also in ein geordnetes Leben (zurück). Die von den Pfingstkirchen vertretene Auffassung, materielles Wohlergehen sei ein Beleg für die Gunst Gottes (Wohlstandsevange­lium), wirkt hier als selbsterfüllende Prophezeiung. Sie bezieht sich auch auf die Gemeinschaft als Ganzes. Deshalb spielt in evangelikalen Kreisen der Grundsatz, dass die Gläubigen ein Zehntel oder einen ande­ren Anteil ihres persönlichen Einkommens an die Gemeinde abtreten, eine zentrale Rolle. Unter Ver­weis auf das Alte Testament wird die Abgabe von den Autoritäten der Kirchen eingefordert und mit großer Disziplin von der Mehrheit der Gläubigen geleistet, was den evangelikalen Kirchen und Eliten bedeutende Ressourcen verschafft.

Ein weiteres Kennzeichen der Evangelikalen, ins­besondere der Neo-Pfingstler, ist ein starkes Sendungs­bewusstsein. Die Missionsarbeit hat in der Geschichte der (im weiteren Sinne) evangelischen Bewegung in der Region drei verschiedene Phasen durchlaufen:13 (1) Evangelisierung im Dienste der mensch­lichen Ent­wicklung mit dem Ziel der individuellen und sozialen Förderung und der Anerkennung der am weitesten ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft; (2) Evange­lisierung im ausschließlich religiösen Sinne; (3) Evan­gelisierung mit der vorherrschenden Intention, zu bekehren und für sich selbst zu werben, und aus einem Kirchenverständnis heraus, das dem Unternehmensmanagement ähnelt. In Anbetracht der zahlenmäßigen Expansion der evangelikalen Gemein­den in der Region und der Zentralität, die diese der Missionsarbeit beimessen, spricht man von der »zwei­ten Evangelisierung Lateinamerikas«.

Die abnehmende Dominanz der katholischen Kirche

Lateinamerika gilt als die katholische Weltregion. Die zwei wichtigsten Kolonialmächte Spanien und Por­tu­gal hinterließen dem Subkontinent eine gesellschaftlich, ökonomisch und politisch dominante Religion. Der Reichtum religiöser Anschauungen, der Lateinamerika durch die große Zahl der indigenen Völker und den Einfluss der afrikanischen Sklaven und Skla­vinnen prägte, schlug sich seit jeher zwar in einem religiösen Synkretismus (z.B. Macumba in Brasilien) nieder; auch trugen die Einwanderer und Einwande­rinnen, die anderen Konfes­sionen anhingen, zu einer gewissen religiösen Vielfalt bei. Diese blieb aber lange auf die Siedlungen von Migranten und Migrantinnen reduziert und war vor allem in der breiten Gesellschaft relativ »unsichtbar«.

In diesem Kontext hat die Römisch-Katholische Apostolische Kirche in der großen Mehrheit der latein­amerikanischen Staaten bis heute einen Sonderstatus, der mit einer Reihe von rechtlichen und finanziellen Vorteilen einhergeht: etwa eine spezielle Erwähnung in der Verfassung, die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes (und nicht lediglich des zivilen Rechts), steuer­liche Begünstigungen oder finanzielle Zuwendungen von Seiten des Staates. Zu den Vorrechten der katholischen Kirche gehört auch ein privilegierter Zugang zur Politik, sei es durch eine formalisierte oder tolerierte Beeinflussung der Gesetz­gebung, die offizielle Beteiligung der Kirche an poli­tischen Prozessen oder enge Verbindun­gen zwischen der geistlichen und der politischen Elite. Die katho­lische Kirche besitzt darüber hinaus ein großes Mobi­lisierungskapital; sie kann Mega­events ausrichten und Menschen auf die Straße bringen. Umfassende intellektuelle Ressourcen und eine aus­geprägte Hal­tung der Weltzuwendung erlauben ihr, doktrinäre Positionen – sprich, von der Kirche vertretene und verbreitete Lehren – in säkularen Begriffen und in Form einer soziologisch anmutenden Argumentation zu artikulieren, so dass sie als universalistisch und anschlussfähig präsentiert werden können. Schließlich verfügt die katholische Kirche über Schu­len, Uni­versitäten, Krankenhäuser, soziale Organisationen, politische Parteien, die ihr mehr oder weniger nahe­stehen (etwa christdemokratische Parteien), und über Kirchenmitglieder in sämtlichen Staatsorganen.14

Die katholische Kirche in Latein­amerika hat schon zwei Zäsuren erlebt, die mit einem sensiblen Machtverlust einhergingen.

Derartige Verbindungen zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft können natürlich und selbstverständ­lich wirken, solange die dominante Religion nicht von säkularen gesellschaftlichen bzw. politischen Kräften und/oder anderen, schlechter gestellten bzw. unterdrückten Glaubensgemeinschaften in Frage ge­stellt wird. In der langen Epoche ihrer Vorherrschaft in der Region hat die katholische Kirche zumindest zwei Zäsuren erlebt, die mit einem sensiblen Macht­verlust einhergingen.

Der erste Umbruch wurde durch säkulare Kräfte vorangetrieben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts musste die katholische Kirche in Latein­amerika eine signifikante Beschneidung ihrer Vor­rechte hinnehmen. Mit dem Aufkommen des Bürger­tums und – damit verbunden – liberaler politischer Kräfte wurden in den Staaten des Subkontinents For­derungen nach einer schärferen Trennung von Kirche und Staat und nach einer Säkularisierung des Staates laut, die in einer Reihe von laizistischen Reformen mündeten. Beispielsweise wurden der Religionsunterricht aus den staatlichen Schulen verbannt, die stan­des­amtliche Trauung und Geburtseintragung ein­geführt und ein Großteil der Ländereien und Immo­bilien der katholischen Kirche in Staatseigentum überführt. Durch diese Maßnahmen büßte die Kirche nicht nur materielle Ressourcen, sondern auch spür­bar an politischem Einfluss ein; gleichwohl behielt sie ihre Vorrangstellung gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften.15

Die zweite Anfechtung ihrer Dominanz, der sich die katholische Kirche in Lateinamerika gegenübersah (und noch sieht), ist weniger politischer als gesell­schaftlicher Natur und manifestiert sich als »religiöser Konkurrenzdruck«.16 Seit den 1950er und noch inten­siver seit den 1970er Jahren verliert sie stetig Mit­glieder – jedoch nicht aufgrund einer Expansion des Säkularismus.17 Vielmehr wächst der religiöse Plura­lismus, und zwar nicht mehr, weil Einwanderer und Einwanderinnen dazu beitragen, sondern eindeutig aus den lateinamerikanischen Gesellschaften heraus. Vor allem evangelikale Gemeinden (im Folgenden aufgrund der Begrifflichkeit, die in der Hauptdatenquelle verwendet wird, unter der breiteren Kategorie »evangelisch« subsumiert) haben im Laufe der Jahre Anhänger und Anhängerinnen gewonnen. Nur vier Länder der Region weisen davon abweichende Trends auf,18 zum einen weil sich der Katholizismus dort als stabil erweist, zum anderen wegen eines wachsenden Säkularismus: In Mexiko und Paraguay hat die katho­lische Kirche im Gegensatz zum übrigen Latein­amerika keine (erheblichen) Verluste erlitten. 80 bzw. 89 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich in diesen beiden Staaten heute als katholisch und nur 5 Pro­zent als evangelisch. In Chile (38%) und Uruguay (41%) dagegen hat sich die Zahl der Atheisten und Agnos­tiker deutlich erhöht.

In den meisten Ländern Lateinamerikas findet jedoch ein religiöser Wandel statt: Die Daten deuten auf einen starken Zusammenhang zwischen der rück­läufigen Zahl derjenigen, die sich selbst als katholisch bezeichnen, und dem Anstieg nicht-katholischer Chris­ten, hauptsächlich Evangelikaler, hin. Dem Latinobarómetro 2018 zufolge betrachtet sich weniger als die Hälfte der Bevölkerung von Honduras (37%), El Salvador (38%), Nicaragua (40%), Guatemala (43%) und der Dominikanischen Republik (48%) als katho­lisch. Diese Länder weisen die höchsten Anteile an evangelischen Gläubigen in Lateinamerika auf, die größtenteils wiederum Evangelikale sind (Honduras: 39%, El Salvador: 28%, Nicaragua: 32%, Guatemala: 41%, Dominikanische Republik: 21%). In Brasilien (54%), Panama (55%) und Costa Rica (57%) versteht sich zwar immer noch eine Mehrheit als katholisch, aber auch dort bezeichnet sich mehr als ein Viertel der Bevölkerung als evangelisch. Zwischen 1995 und 2017 sank in zehn Ländern der Region der Anteil der Katholiken und Katholikinnen um 22 bis 39 Prozentpunkte. Besonders deutlich ist dabei der Rückgang in Mittelamerika.

In den letzten 50 Jahren hat sich in den meisten Staaten Lateinamerikas das Gewicht der Religionen zugunsten evangelikaler Kirchen verschoben.

Mithin hat sich in den letzten fünfzig Jahren in der großen Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten das zahlenmäßige Gewicht der Religionen verschoben: zulasten der katholischen Kirche und zugunsten evan­gelikaler Kirchen.19 Beide Entwicklungen sind kausal miteinander verknüpft; Umfragen bestätigen, dass die meisten Evangelikalen früher der historisch dominanten Religion angehörten. Sie sind von »passi­ven Katholiken und Katholikinnen« bzw. »nominellen Gläubigen«, die sich mit der Konfession zwar kulturell verbunden fühlten, jedoch an religiösen Aktivitäten nicht regelmäßig teilnahmen,20 zu »aktiven Evangelikalen« geworden. Dies auch deshalb, weil der Evan­gelikalismus keine Frage der Geburt, sondern der be­wussten Entscheidung von Erwachsenen ist. Die Hin­wendung zu einer evangelikalen Glaubens­gemein­schaft geht mit einem stärkeren Engagement für die Religion und die eigene Gemeinde einher.

Parallel zur Ausweitung des religiösen Pluralismus in Lateinamerika nahm auch die religiöse Akzeptanz zu. Dazu haben zwei Faktoren beigetragen: Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Oktober 1962–Dezem­ber 1965) unter Papst Johannes XXIII., das der pasto­ralen und ökumenischen Erneuerung der Kirche die­nen sollte, öffnete sich die katholische Kirche einer­seits für die Anerkennung der Religionsfreiheit. Ande­rerseits erhöhte sich mit der Erweiterung von (kol­lek­tiven) Rechten und dem Erstarken politischer und sozialer Bewegungen indigener Gemeinschaften in Lateinamerika die Toleranz für vielfältige Welt­anschau­ungen.21 Es besteht eine gewisse »kulturelle Kontinuität« zwischen der lateinamerikanischen popu­lären Religiosität und dem Evangelikalismus.22 Elemente der volksnahen Religiosität werden von den evangelikalen Kirchen übernommen und legitimiert.23

Die evangelikale Vielfalt

Die Entwicklung der – im weitesten Sinne – evange­lischen Kirchen in Latein­amerika kann historisch in drei Phasen unterteilt werden, die sich jeweils durch einen unterschiedlichen Grad der Weltdistanz bzw. Weltzuwendung und somit auch durch eine be­stimm­te Beziehung zur Gesellschaft und zur Politik aus­zeichnen:24

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die ersten Mis­sionare der traditionellen protestantischen Denomi­na­tionen25 nach Lateinamerika. Sie sahen in der Mission und in Bildungs- und Erziehungsangeboten einen Weg, auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Ideelle Grundlage ihres sozialen Engagements war eine auf das Gemeinwohl gerichtete Sozialethik. Ihre Mitglieder nahmen Evangelisierungs-, Erziehungs- und Sozialaufgaben wahr. Zahlreiche Pastoren und Gemeindemitglieder dieser Kirchen sympathisierten mit der Befreiungs­theologie, der ökumenischen Be­wegung und dem Ansatz einer kontextualisierten Deutung von Bibelaussagen, die von einer rein wört­lichen Rezeption der Heiligen Schrift Abstand nimmt. Politisch zumeist liberal eingestellt, setzten sich die frühen Evangelikalen zusammen mit antiklerikalen Kräften für die Religions­freiheit, die Trennung von Staat und Kirche, laizistische Bildung und die Zivilehe ein. Auch wenn diese Art von Bündnissen durchaus erfolgreich war, blieb die politische Rolle der Protes­tanten und Protestantinnen der ersten Stunde limi­tiert. Gleiches gilt für ihr soziales Gewicht, da ihre Evangelisierungsbemühungen kaum Früchte trugen. Ihr Wirkungsradius blieb auf die europäischen Ein­wanderungsgemeinschaften begrenzt. Heute bilden die Kirchen dieser Phase die Minderheit innerhalb des evangelischen Universums in Lateinamerika. Sie ver­fügen jedoch über ein beträchtliches intellektuelles Kapital und gute Verbindungen zu den mittleren und höheren Gesellschaftsschichten.

Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte eine neue protestantische Bewegung – hauptsächlich über Missionare aus den USA – die Region. In vergleichen­den Analysen wird sie als konservativ-biblisch, anti­kommu­nistisch und antiökume­nisch26 bezeichnet. Der Hauptantrieb der Missionsarbeit dieses »evange­likalen Protestantismus« bzw. »Evangelikalismus« (Spanisch: evangelicales) war die Bekehrung, die den Menschen zur Begegnung mit Jesus Christus und der Glaubensgemeinschaft zu stetigem Wachstum ver­helfen sollte. Dieser Evangeli­kalismus baute auf einem wörtlichen Verständnis der Bibel auf, die nach Ansicht seiner Vertreterinnen und Vertreter einen Erlösungsplan enthält, und forderte die Abkehr von der korrupten Welt und somit auch Distanz zur Politik; höchstens die individuelle Partizipation wurde toleriert. Dementsprechend ist die Sozialethik hier weniger auf die Gesellschaft als Ganzes denn auf die kleinere religiöse Gemeinde ausgerichtet. Unter den Mittel-, aber vor allem den unteren sozialen Schichten Lateinamerikas verbreitete sich der evangelikale Protestantismus mit großem Erfolg. Anhängerinnen und Anhänger dieser religiösen Bewegung27 neigen zu einer konservativen Werthaltung und zur Apo­logie der herrschenden sozialen und politischen Ver­hältnisse.28 Es war diese protestantische Strömung, die in Lateinamerika schließlich der Denomination evangélica/o (anstatt protestante) zur Durchsetzung verhalf. Im Kontext dieser wachsenden evangelikalen Präsenz löste der Rollentypus des nationalen evan­gelischen Pastors schließlich den des ausländischen protestantischen Missionars ab.

Die Evangelikalen der Gegenwart, deren Denominationen die größte Gruppe innerhalb der evangelischen Welt Lateinamerikas bilden, gehen historisch zwar ihrerseits auf eine Bewegung zurück, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstand und von Führungsfiguren mit charismatischer Begabung in die Region getragen wurde. Diese Kirchen müssen jedoch mittlerweile als eindeutig latein­amerikanisch ver­wurzelt angesehen und die Glaubensrichtung – auch wenn sie konservativ-biblisch orientiert ist – heute nicht mehr als evangelikal, sondern mit dem spani­schen Begriff evangélica be­zeich­net werden. Die heute in Lateinamerika vorherrschenden Evangelikalen haben viele Positionen der Vergangenheit (Anti­kommunismus, Antiökumenismus etc.) aufgegeben. Sie wollen in erster Linie bekehren und streben eine Erneuerung der lateinamerikanischen Religiosität an. Sie haben vor allem in den urbanen und ländlichen unteren sozialen Schichten neue Anhängerinnen und Anhänger gewonnen.

Die pfingstkirchliche Sozialethik war ursprünglich individualistisch und auf die Missionsarbeit fokussiert. Die prämillenaristische Lehre, an die sie glau­ben, begünstigte die Akzeptanz der weltlichen Un­gerechtigkeit und des persönlichen Leidens, denn die bevorstehende Wiederkehr Christi würde diesen ein Ende setzen. Daraus resultierte eine Weltabkehr, die soziales und politisches Engagement ablehnte. Diese Haltung änderte sich jedoch ab den 1980er Jahren und wich einer zunehmenden Weltzuwendung, die eher typisch für den Postmillenarismus der neo-pfingstkirchlichen Bewegung ist. Auch diese weist der Mission zum Zweck der Bekehrung den höchsten Rang zu. Die Sozialethik der Neo-Pfingstler stellt sich jedoch als politische Ethik dar, während der Wohl­tätigkeitsarbeit eher marginale Bedeutung zugemessen wird. Gläubige werden aufgefordert, sich in Gesell­schaft und Politik zu engagieren. Besondere Resonanz findet die neo-pfingstkirchliche Bewegung in den Mittel- und höheren sozialen Schichten Latein­amerikas. Durch den Erfolg der Pfingstkirchen und Neo-Pfingstkirchen avancierten diese Evangelikalen der dritten Phase zu gewichtigen Minderheiten in vielen Ländern der Region. In Zentralamerika haben sie bereits die 40-Prozent-Marke überschritten.

In ein und demselben Land können über mehrere Tausend verschiedene evangelikale Kirchen existieren.

Aus religionssoziologischer Sicht wurde die Pfingst­bewegung schon vor zehn Jahren als eine heterogene, fluide und hoch dynamische soziale Bewegung be­schrieben.29 In ein und demselben Land können über mehrere Tausend verschiedene und selbständige evan­gelikale Kirchen existieren, die sich zu unterschied­lichen Dachorganisationen zusammenfinden – wenn überhaupt. Selbst religiöse Gemeinden in abgelegenen Orten, die einer bestimmten evangelikalen Kirche (in der Regel in einer Großstadt) angehören, bewahren sich zumeist eine hohe Autonomie. Die Beziehung zwischen den zentralen und den peripheren Gemein­den gestaltet sich oft über eine Art Lizenzvergabe, durch die die ländlichen Filialen das Recht übertragen bekommen, die Denomination zu verwenden.

Zahlreiche evangelikale Kirchen sind als Produkt von Abspaltungen entstanden, die sich um charismatische Führungsfiguren sammeln. Im Allgemeinen überwiegt die Tendenz, pastoralem Charisma gegen­über theologischer Kompetenz den Vorzug zu geben.30 Formelle Ausbildungswege gibt es dabei kaum. Ver­einzelt haben Kirchen ein paar Auswahlkriterien und Vorbereitungsstufen für die Qualifizierung als Pastor bzw. Pastorin entwickelt, die aber nicht systematisch angewendet werden. Insgesamt ist es für Gläubige mit Führungskompetenzen relativ leicht, sich nach einer kurzen »Sozialisierungszeit« als Pastoren zu legitimieren und in der Folge eine eigene Gemeinde oder sogar eine neue Kirche zu gründen. Das Aufrücken in eine solche Stellung wird auch als eine Form des sozialen Aufstiegs erlebt und aufgefasst. Die meisten Pastoren stammen aus einfachen Verhältnissen. Die ausgeprägte Tendenz zur Abspaltung hängt zudem mit dem Selbstverständnis der Evangelikalen zusammen: Sie sehen sich als eine Bewegung der Erweckung und Erneuerung der Traditionen. Deshalb neigen sie dazu, nach einer gewissen Phase der Institutionalisierung erneut den Bruch mit dem Bestehenden zu wagen, was den Prozess der Fragmentierung weiter vorantreibt.31 Das ist der Grund, warum evangelikale Kir­chen mit übernationaler Präsenz in Lateinamerika eher die Ausnahme bilden. Jedoch selbst in den Fäl­len, in denen sich die evangelikalen Glaubensgemeinschaften zu einer größeren internationalen Bewegung ausländischen Ursprungs rechnen, überwiegt beim Personal, bei der Struktur und Funktionsweise das lateinamerikanische – oder mehr noch nationale – Profil.

Das Wirken der evangelikalen Kirchen prägt mittlerweile das Leben vieler Menschen, sei es in der Stadt oder auf dem Land.

Dieses lateinamerikanische oder nationale Profil hat seinerseits vielfältige Erscheinungsformen. Beson­ders im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen solche evangelikalen Kirchen, die wie Unternehmens­konzerne im Servicebereich verschiedenen gesell­schaftlichen Milieus Dienstleistungen anbieten. Zahl­reicher sind jedoch die evangelikalen Kirchen, deren Aktivitäten sich auf die marginalisierten und benach­teiligten sozialen Gruppen in ärmeren Gemein­den richten. Das Wirken der evangelikalen Kirchen prägt mittlerweile das Leben vieler Menschen, sei es in der Stadt oder auf dem Land. In den urbanen Zentren haben sich viele evangelikale Gemeinschaften, meist Neo-Pfingstler, unter der Führung charismatischer Prediger von »Garagentempeln« zu »Megakirchen« gewandelt und sich in ehemaligen Theatern und neuen monumentalen Gebäuden eingerichtet. In Santiago de Chile soll gegenüber der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile die erste evangelikale Universität des Landes entstehen.32 In den klei­neren Orten und Dörfern werden zum Beispiel ein­fache Läden am Abend oder am Wochenende in evangelikale Tempel umfunktioniert. Evangelikale Kirchen sind darüber hinaus stark in den Armen­vierteln (villas, favelas) präsent, in denen oft krimi­nelle Banden das Sagen haben. Häufig sind sie die einzigen, die in den »Unterwelten« Lateinamerikas, den Gefängnissen, Seelsorge und soziale und gesund­heitliche Hilfe leisten. Wo die Menschenrechte massiv verletzt werden und der Staat entweder abwesend oder lediglich durch Repression präsent ist, unterstützen evangelikale Pastoren die Betroffenen im­materiell wie materiell.

Das wachsende politische Engagement der Evangelikalen

Religiöser Pluralismus gehört heute zur sozialen Wirk­lichkeit Lateinamerikas. Dabei kommt den evangeli­kalen Kirchen eine bedeutende Rolle zu. Gemessen an ihrem demographischen Gewicht sind Evangelikale jedoch in sämtlichen Staaten Lateinamerikas politisch (noch) unterrepräsentiert. Die Anfänge der politischen Partizipation von Evangelikalen in Lateinamerika gehen auf die 1980er Jahre zurück, als sich in vielen Ländern der Übergang von einer Militärdiktatur zu einem demokratischen System vollzog. Die pfingstkirchlichen und neo-pfingstkirchlichen Evangelikalen begannen erst etwas später, in den 1990er Jahren, auf die Politik Einfluss zu nehmen. Der Wandel im Welt­bezug der lateinamerikanischen Evangelikalen – von einer ursprünglichen Weltabkehr zu einer Weltzuwen­dung, die einst charakteristisch für den traditionellen Protestantismus war – hing mit mehreren Faktoren zusammen:33

Die Evangelikalen verfügen in Lateinamerika mitt­lerweile über eine eigene, mehrere Generationen um­fassende Geschichte und großes demographisches Gewicht. Dies hat ihr Selbstbewusstsein erhöht und ihren Anspruch auf politische Mitgestaltung gestärkt. Die etablierten Parteien dagegen sind durch schlechte Regierungsführung und Korruptionsskandale in hohem Maße diskreditiert. Diese sogenannte Reprä­sen­tationskrise bereitete den Boden für den Eintritt neuer Akteure in die Politik, die ihr soziales Prestige aus politikfremden Berufen schöpfen, zum Beispiel Schauspiel, Sport, Journalismus. In diesem Klima suchten auch einige evangelikale Pastoren den Weg in die aktive Politik. Sie präsentierten sich als erfolg­reiche religiöse Führungsfiguren mit einem Diskurs der ethischen Erneuerung und der Moralisierung der Politik. In Lateinamerika genießt »die Kirche« (jeg­licher Konfession) die höchsten Vertrauenswerte (63%) in der Bevölkerung, während den politischen Parteien (jeglicher Couleur) am wenigsten Vertrauen (13%) entgegengebracht wird.34

Die Hinwendung zur Politik, die mehr und mehr Evangelikale vollzogen, hatte auch eine theologische Dimension, nämlich die Abkehr vom Prämillenarismus und die Hinwendung zum Postmillenarismus, ein Prozess, den viele Glaubensgemeinschaften Ende der 1980er Jahre durchliefen. Denn die postmillenaristische Lehre geht mit einer optimistischeren Welt­sicht und einem stärkeren Gegenwartsbezug einher. Ihre Anhängerinnen und Anhänger glauben, dass sie an der Errichtung des Königreichs Gottes auf Erden aktiv mitwirken können – auch durch politisches Engagement.

Das zivilgesellschaftliche Engagement der Evangelikalen in Lateinamerika hat stark zugenommen.

Seit der dritten Demokratisierungswelle in den 1980er Jahren wurden in vielen lateinamerikanischen Ländern evangelikale Parteien gegründet. Die meisten von ihnen konnten jedoch keine politische Relevanz erreichen. In dieser Phase bemühten sich evange­likale Kirchen auch um eine Gleichstellung mit der katho­lischen Kirche im Sinne einer Ausweitung der Religionsfreiheit, der Säkularisierung des Staates und der Verwirklichung des demokratischen Gleichheitsprinzips. Um die entsprechende Gesetzgebung bzw. Verfassungs­reformen voranzutreiben, setzten die Evan­gelikalen in vielen Ländern der Region auf öffent­liches Engagement und Lobbyarbeit.

In der gleichen Epoche gelangten bereits die ersten Evangelikalen an die Schaltstellen der Macht. In den 1980er und 1990er Jahren stellte Guatemala die ersten beiden evangelikalen Staatsoberhäupter Latein­amerikas – den Diktator General Efraín Ríos Montt und den demokratisch gewählten Jorge Serrano Elías. Jahrzehnte später, im Januar 2016, trat der evangelikale Komiker Jimmy Morales das Amt des Staatspräsidenten von Guatemala an. In Costa Rica schaffte es der Evangelikale Fabricio Alvarado, ein Sänger christ­licher Musik und Abgeordneter der evangelischen Partei der Nationalen Wiederherstellung (Restauración Nacional, RN), in die Stichwahl 2018 für die Präsidentschaft, die er jedoch gegen Carlos Alvarado verlor. Erfolgreicher war – neben Jair Messias Bolso­naro in Brasilien (mehr dazu weiter unten) – der Katholik und linksgerichtete Kandidat der Nationalen Regenerationsbewegung (Movimiento Regeneración Nacional, MORENA) Andrés Manuel López Obrador, der bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen 2018 evangelikale Unterstützung erhielt. Die evange­likal-konservative Partei der sozialen Begegnung (Partido Encuentro Social, PES) trug seine siegreiche Präsidentschaftskandidatur mit.35

Auch das zivilgesellschaftliche Engagement der Evangelikalen in Latein­amerika hat beträchtlich zu­genommen. Viele von ihnen nehmen regelmäßig an Protestkundgebungen teil und wenden sich offensiv gegen die Politik der Vielfalt (diversity politics), gegen die positive Diskriminierung von Minderheiten und gegen die Erweiterung von Rechten zur Gleichstellung der Frauen und für bestimmte Gruppen, die nicht-traditionellen Lebensentwürfen folgen: So haben die Evangelikalen etwa in Kolumbien bei der Volks­abstim­mung 2016 gegen das Friedensabkommen mobil ge­macht, weil dieses angeblich von einer »Gender-Ideo­logie« getragen sei; in Mexiko traten sie, ebenfalls 2016, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ein,36 in Argentinien 2018 gegen die Entkriminalisierung von Abtreibungen und in Uruguay im selben Jahr gegen das sogenannte integrale Gesetz zur rechtlichen An­erken­nung von Transsexuellen, um nur einige aktu­elle Beispiele zu nennen. In ihrem Kampf »für Leben und Familie« stimmen die Evangelikalen stark mit einigen katholischen Gruppen und rechten politischen Kräften überein, eine ideologische Konvergenz, die als »konservative Neuökumene« bezeichnet worden ist.37

Die Rolle der Evangelikalen in Brasilien

In Brasilien hat das Zusammenspiel von Evangelikalen und Politik eine Dynamik, die in der Region ihres­gleichen sucht.38 Die politische Relevanz der Evange­likalen in diesem südamerikanischen Land fußt auf einer gesellschaftlichen Bedeutung, die über das demo­graphische Gewicht der Glaubens­gemein­schaft hinausgeht. Die »evangelikale Welt« Brasiliens ist stark ausdifferenziert und schließt mittlerweile ver­schiedene soziale Schichten ein. Es sind jedoch in erster Linie drei evangelikale Kirchen und zwei mit ihnen verbundene Parteien, die auf der politischen Bühne dominieren. Sie haben starken Anteil daran, dass Jair Messias Bolsonaro im Oktober 2018 zum Präsidenten gewählt worden ist.

Die gesellschaftliche Relevanz

In absoluten Zahlen ist Brasilien (nach den USA) weltweit der Staat mit der zweitgrößten christlichen Bevölkerung. Es ist zugleich das größte katholische Land und es beherbergt mittlerweile – verschiedenen Schätzungen zufolge – die mitgliederstärksten evan­gelikalen Gemeinden der Welt. Der brasilianische Zensus 2010 erfasste über 42 Millionen Menschen evangelischen Glaubens, was 22,2 Prozent der Gesamt­bevölkerung entspricht.39 Davon sind 13,3 Prozent Mitglieder von Pfingstkirchen, 4 Prozent von histo­rischen protestantischen Kirchen und 4,8 Prozent Protestanten und Protestantinnen ohne kirchliche Zugehörigkeit. Laut einer repräsentativen nationalen Umfrage von Oktober 2017, also sieben Jahre nach dem Zensus, bezeichnen sich inzwischen sogar 32 Pro­zent der Brasilianer und Brasilianerinnen als evan­geli­kal.40 Überproportional vertreten unter den Evangelikalen sind Frauen und jüngere Menschen, also jene Gruppe mit dem größten demographischen Wachstum.41

Das evangelikale Universum ist so vielfältig wie die brasilianische Gesellschaft und auch in diesem reli­giö­sen Subsystem herrscht eine große soziale Ungleich­heit. Es gibt evangelikale Kirchen für Reiche und evan­gelikale Kirchen für Arme, aber auch große Kirchen, die in sozialer Hinsicht integrativer sind. Je nach Zahl und sozialer Herkunft ihrer Mitglieder verfügen die evangelikalen Kirchen und deren Führungsriegen über unterschiedliche materielle Ressourcen. Im Allgemeinen gilt aber, dass sich die Evangelikalen in Brasilien mit Blick auf die finanzielle Unterstützung ihrer Ge­meinden im Vergleich zu Katholiken und Katholikin­nen durch eine höhere Zahlungsmoral auszeichnen.42 Die Abgabe des Zehnten ist eine tief internalisierte Norm, auf die die Kirchenführungen sich stark ver­lassen können. Anders als die katholische Kirche, die finanzielle Begünstigungen oder Zuschüsse vom Staat erhält, sind die evangelikalen Kirchen auch ungleich stärker auf diese Einnahmen angewiesen.43 Von vie­len Gläubigen wird die Zahlung des Zehnten als funk­tionales Äquivalent für den Beitrag zu einer Sozialversicherung angesehen, die es in der Form in Brasi­lien für diese Menschen nicht gibt: In einer Notlage oder im Falle von Arbeitslosigkeit dürfen Gläubige auf die Unterstützung der anderen Gemeindemitglieder hoffen.44 Im Einklang mit der Wohlstandstheologie, der vor allem die Neo-Pfingstler anhängen, also des Glaubens an ein Anrecht auf den spirituellen wie materiellen Segen, wird der Zehnte als eine Investi­tion angesehen, die sich auszahlt.

Manche evangelikale Kirchen haben spirituelle Nischenprodukte ent­wickelt, die ganz bestimmte soziale Gruppen ansprechen.

Zwar deckt sich die evangelikale Moral eher mit traditionellen Rollenverständnissen und mit konser­va­tiven Werten, doch sind in Brasilien mittlerweile auch liberalere Gemeindekonzepte entstanden. Zu­fluchtsstadt (Cidade de Refúgio) heißt beispielsweise die 2011 in São Paulo von einem lesbischen Pastorinnenpaar gegründete evangelikale Gemeinde.45 Ein homosexuelles Ehepaar evangelikaler Pastoren er­rich­tete im Jahr 2013 die Christliche Kirche der Gegen­wart (Igreja Cristã Contemporȃnea, ICC), »damit die gläubigen Homosexuellen auch ihren Ort finden können«.46 So vermehren sich und wachsen auch die evangelikalen Kirchen, die sich einer inklusiven Theo­logie verschreiben und der LGBTQ-Gemeinschaft öffnen, deren Einrichtungen sich in den Großstädten Rio de Janeiro und São Paulo konzentrieren. Wiede­rum andere Kirchen haben sich wie Nischenprodukte entwickelt, die ein ganz bestimmtes spirituelles Markt­segment ansprechen. Im Jahr 1999 zum Beispiel grün­dete Rinaldo Luis de Seixas Pereira, genannt Apos­tel Rina, die Bola de Neve Church (Schneeball­kirche). Der leidenschaftliche Surfer und Pastor mit einem Ab­schluss in Marketing richtet sich mit seinem infor­mel­len und stark auf Sport fokussierten Kirchenkonzept an ein junges Publikum, das jenseits von Dogmen Jesus folgen möchte. Bei den Gottesdiensten dieser Neo-Pfingstkirche, die mittlerweile in sämtlichen Regionen Brasiliens und in vielen Ländern aller Kon­tinente vertreten ist, dient ein Surfbrett als Altar.47

Eine ganz andere Zielgruppe erreichen evangelikale Gemeinden, die in den brasilianischen Favelas (Armenvierteln) und Gefängnissen aktiv sind.48 Beides sind Orte, wo die Menschenrechte – auch durch den Staatsapparat selbst – massiv verletzt werden und marginalisierte, stark benachteiligte Bevölkerungsgruppen der Kontrolle krimineller Banden und der Willkür des (kaum präsenten) Staates ausgesetzt sind: Im Hinblick auf das Milieu sind die Gefängnisse eine Extension der abgeschotteten Viertel, in denen die Gefangenen früher lebten. Neben Drogenbanden sind evangelikale Kirchen zumeist die ein­zigen Akteure, die (erlaubten) Zugang zu den Favelas und den Justiz­vollzugsanstalten haben. Sie bieten den Menschen eine Alternative zur kriminellen Aktivität an. Wo es keine Kultur- oder Sporteinrichtungen gibt, veranstalten sie erlebnis­orientierte Gottesdienste mit viel Musik und sorgen für attraktive Unterhaltung; sie fördern zudem das Gefühl persönlicher Anerkennung und friedlicher Zugehörigkeit.

Dutzende von evangelikalen Kirchen melden sich wöchentlich in den verschiedensten Gefängnissen des Landes an, um mit den Inhaftierten auf dem Hof Gottesdienste abzuhalten, Seelsorge zu leisten und Sozialarbeit anzubieten. Evangelikale Freiwillige ver­sorgen die Insassen mit sanitären Produkten und be­handeln sie medizinisch. Pastoren sorgen auch für die Kommunikation zwischen den Gefangenen und ihren Verwandten, für die sie oft einfach als vermisst gel­ten. Sie unterstützen auch die Familien bisweilen finanziell, wenn die Inhaftierung eines Angehörigen eine (illegale) Geldquelle des jeweiligen Haushalts zum Versiegen brachte. Evangelikale Pastoren genie­ßen in den Gefängnissen hohes Ansehen: Sie werden hin und wieder von den Leitungen der Strafanstalten um Schlichtung bei internen Konflikten gebeten und von den Anführern der Gangs respektiert. Diese per­sonelle Nähe ist jedoch nicht ohne Risiko. Es kommt immer wieder vor, dass Pastoren einem lukrativen Deal nicht wiederstehen können und ihre persönlichen oder kirchlichen Bankkonten für Geldwäsche zur Verfügung zu stellen. Dabei erlauben sie sich, einen Anteil der regelmäßig eingezahlten Beiträge zu behalten.

Die Seelsorge und Sozialarbeit der evangelikalen Kirchen in den Favelas und Gefängnissen folgt einem individualistisch-pragmatischen Ansatz. Die Kirchenvertreter helfen den Menschen spirituell und mate­riell, den Tag zu überstehen. Diese Praxis der evange­likalen Pastoren auf der lokalen Ebene mündet aller­dings in den seltensten Fällen in einem sozialpoliti­schen Engagement auf höherer, institutioneller Ebene bzw. in der Forderung nach strukturellen Reformen im Land.

Drei Megakirchen beherrschen die evangelikale Landschaft Brasiliens. Alle kennzeichnet ein ausgeprägter politischer Gestaltungswille.

Zum bunten Spektrum evangelikaler Glaubens­gemeinschaften in Brasilien gehören drei Megakirchen mit dichter Präsenz im Lande und in anderen latein­amerikanischen Staaten – und mit ausgeprägtem politischem Gestaltungswillen. Die Versammlung Gottes (Assembleia de Deus, AD) feierte im Jahr 2011 ihr hundertjähriges Bestehen und ist damit nach der Christlichen Kongregation in Brasilien (Congregação Cristã no Brasil, CCB) die zweitälteste und zugleich die größte Pfingstkirche Brasiliens (nach eigenen Angaben hat sie rund 22,5 Millionen Mitglieder). Die Ursprünge der AD-Bewegung liegen in den USA; der brasilianische Zweig wurde von den schwedischen Missionaren Daniel Berg und Gunnar Vingren in Belém, im Bundesstaat Pará, gegründet. Seit den 1980er Jahren erlebte die AD-Bewegung sukzessive Abspaltungen. Viele Einzelgemeinden und Gemeinde­gruppen verselbständigten sich, ohne jedoch den Namen aufzugeben. Zum historischen Dachverband mit Hauptsitz in Rio de Janeiro gehört die Generalkonvention der Versammlungen Gottes in Brasilien (Convenção Geral das Assembleias de Deus no Brasil, CGADB), die aber eine nur sehr schwache Integrations- und Leitungsfunktion ausübt. Die CGADB besitzt einen Verlag (Casa Publicadora das Assembleias de Deus, CPAD), einen Radiosender49 und Hochschulen.50 Innerhalb des Spektrums der evangelikalen Groß­kirchen gelten die AD-Kirchen als vergleichsweise dezentral organisiert. Sie folgen in diesem Punkt dem presbyterianischen Modell der repräsentativen Ver­sammlungen, an denen Laien beteiligt sind und die unter der charismatischen Führung von Pastor-Präsi­denten stehen.51 Die AD gliedert sich in zahlreiche Ministérios, die mehrere Gemeinden umfassen und an deren Spitze jeweils eine Mutterkirche mit einem Pastor-Präsidenten (auch Bischof oder Apostel genannt) steht. Als Abspaltung von der Generalkonvention ist 1989 die Nationalkonvention der Versammlungen Gottes (Convenção Nacional das Assembleias de Deus no Brasil, CONAMAD), auch bekannt als Ministério de Madureira, entstanden. Ein weiterer bedeutender Zweig der AD ist die Versammlung Gottes – Sieg in Christus (Assembleia de Deus Vitória em Cristo, AD‑VC) unter der charismatischen Führungsfigur des Pastors Silas Malafaia. Im Vorstand all dieser AD-Ober­kirchen sind ausschließlich Männer vertreten.

Kleiner (mit – nach eigenen Angaben – 8 Millio­nen Mitgliedern), jedoch besonders sichtbar in der Öffentlichkeit und Politik Brasiliens ist die Universal­kirche des Königreichs Gottes (Igreja Universal do Reino de Deus, IURD), die 1977 vom ehemaligen Katho­liken und selbsternannten Bischof Edir Macedo gegründet wurde. Im Gegensatz zu den AD-Kirchen ist die IURD hierarchisch organisiert.52 Die IURD gleicht mittlerweile einem Konzern, der nach moder­nen Management- und Marketingkriterien geführt wird. Zur IURD gehört ein Medienimperium mit zahl­reichen Mittelwellen- und UKW-Radiostationen, die das nationale Territorium weitgehend abdecken. Hin­zu kommen über 20 TV-Sender, 100 Senderbeteili­gungen, das Mediennetzwerk Rede Record sowie ein Verlag und drei Tageszeitungen. Große öffentliche Aufmerksamkeit erreichte die Einweihung des Salo­mon-Tempels der IURD am 31. Juli 2014 in São Paulo, eines monumentalen Gebäudes mit Platz für 10000 Gläubige, das eine Replik des Jerusalemer Tempels sein soll. An der Feier nahmen renommierte Persön­lichkeiten aus Politik und Gesellschaft, darunter Ver­treter und Vertreterinnen der PT-Regie­rung teil. Der größte Teil des Vermögens der IURD soll aus Spenden stammen.

Gegenüber dem endemischen Problem der Korruption in Brasilien ist auch die evangelikale Elite nicht resistent.

Die Kirche des Vierfältigen Evangeliums (Igreja do Evangelho Quadrangular, IEQ) ist die dritte bedeutende evangelikale Denomination in Brasilien (und mit weniger als 8 Millionen Mitgliedern nach eigenen Angaben die kleinste der drei). Sie wurde ursprünglich 1923 von Aimée Semple McPherson (»Sister Aimee«) in Los Angeles, Kalifornien, gegründet. In Brasilien war es das Ehepaar Harold und Mary Wil­liams, das diese Glaubensrichtung einführte. Geleitet wird die Kirche heute von Reverend Mario de Oliveira. Die IEQ hat mittlerweile nach eigenen Angaben über 11000 Kirchen bzw. Gemeinden in ganz Brasilien. Besonders stark vertreten ist sie in den Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais und Paraná.53

Gegenüber dem endemischen Problem der Korruption in Brasilien ist auch die evangelikale Elite nicht resistent. Einige Beispiele: Pastor Silas Malafaia, Füh­rungsfigur der AD-VC, wird mit einem Fall von Geld­wäsche in Verbindung gebracht.54 Im Rahmen der so­genannten Operação Timóteo55 ging die Bundespolizei gegen ein Netz der Korruption um Lizenzvergaben im Bergbausektor vor, an dem Malafaia beteiligt gewesen sein soll. Auch gegen Bischof Macedo und weitere Leitungspersonen der IURD ermittelte die brasilianische Staats­anwaltschaft wegen Veruntreuung: Der Anklage zufolge wurden zwei Briefkastenfirmen dazu benutzt, um Mittel aus steuerbefreiten Spenden in Steueroasen zu transferieren und wieder nach Brasi­lien zurückzuüberweisen. In einem Zeitraum von zwei Jahren sollen dabei 38 Millionen US-Dollar über diese Kanäle hin- und hergeschoben worden sein.56 Die Anschuldigungen der Bundespolizei aus dem Jahr 2007 gegen Mário de Oliveira, Pastor-Präsident der IEQ und Natio­nalabgeordneter der Partido Social Cristão (PSC), sind noch schwerwiegender: De Oliveira soll Anfang der 2000er Jahre einen Auftrag zur Er­mordung von Carlos Willian de Souza, Rechtsanwalt der IEQ und Nationalabgeordneter der Christlichen Arbeiterpartei (Partido Trabalhista Cristão, PTC), er­teilt haben. De Oliveira soll den gewählten Parlamentarier Willian unter Druck gesetzt haben, auf sein Mandat im Abgeordnetenhaus zugunsten des ersten Kandidaten auf der Ersatzliste zu verzichten, des IEQ-Pastors Antonio Costa. Willian bestand indes auf sei­nem Mandat als Abgeordneter, was ihn die Mitgliedschaft in der IEQ kostete; er wurde aus dieser evan­geli­kalen Gemeinde ausgeschlossen.57 Der Oberste Bundes­gerichtshof stellte das Straf­verfahren aus Mangel an Beweisen ein.

Die politische Relevanz

Nach wie vor kann sich die katholische Kirche in Brasilien auf privilegierte Beziehungen zum Staat stützen. Das ist der Hintergrund, vor dem sich evan­gelikale Akteure für die Verteidigung individueller und institutioneller religiöser Rechte einsetzen. Da­rüber hinaus engagieren sie sich politisch, um die Position der eigenen Denomination im Rahmen einer wachsenden evangelikalen Konkurrenz zu sichern. Die Universalkirche des Königreichs Gottes (IURD) ist in dieser Hinsicht besonders aktiv. Sie bildet damit ein Modell, an dem andere evangelikale Kirchen sich zunehmend orientieren. Zwar tendieren die meisten Denominationen zu einer betont konservativen und traditionellen Moralagenda; es ist aber fast unmög­lich, die vielfältige evangelikale Kirchenlandschaft ideologisch zu verorten. Zu beobachten ist indes, dass sich die geistlichen Autoritäten der evangelikalen Glaubensgemeinschaften vor Wahlen immer öfter und expliziter politisch positionieren. Das öffentliche Engagement der Pastoren reicht von der informellen Unterstützung bestimmter (mitunter denominations­­fremder) Kandidatinnen und Kandidaten bis zur passiven Wahlbeteiligung. Darüber hinaus wirken evangelikale Abgeordnete in überparteilichen Kor­porationen mit, die ihre Interessen vertreten. Und einige Evangelikale schließlich versuchen durch die Besetzung von Exekutivämtern – darunter Ministerposten – die Regierungspolitik im Bund, in den Bundesstaaten und in den Städten mitzugestalten.

(Un)Gleichheit im religiösen Pluralismus

Ähnlich wie in anderen Ländern der Region hat der Übergang zur Demokratie in Brasilien in den Jahren 1985/86 den Weg freigemacht für eine wachsende politische Beteiligung evangelikaler Akteure. Die Nationale Verfassunggebende Versammlung 1987–1988 bot den Rahmen für ein erstes, noch bescheide­nes politisches Engagement. Sie bestand aus beiden Kammern der direkt gewählten nationalen Legis­lative. Von den insgesamt 559 Mitgliedern der Ver­sammlung waren 32 evangelisch, von denen wiede­rum 18 evangeli­kalen Glaubensgemeinschaften angehörten (davon 13 Vertreter der AD, 2 der IEQ und 1 der IURD).58 Die evangelikalen Parlamentarier in der verfassungs­gebenden Versammlung setzten sich für die Gleich­stellung ihrer Konfessionen gegenüber der katholischen Kirche ein. Ideologisch betrachtet stan­den sie rechts von der Mitte. Doch abgesehen von einer ausgeprägt konservativen Moralagenda (sie be­zogen zum Beispiel Stellung gegen das Recht auf Ab­treibung und gegen Homosexualität) mangelte es ihnen in vielen weiteren Fragen an einer klaren Posi­tionierung.

Trotz des in der Verfassung fixierten Gleichheitsprinzips genießt die katholische Kirche in Brasilien seit jeher einen privilegierten Status.

Zwar enthält die 1988 verabschiedete und 1998 reformierte Verfassung Brasiliens59 in ihrer Präambel einen Gottesbezug, sie verleiht jedoch dem Katholi­zismus bzw. der katholischen Kirche keinen Sonderstatus. Im dogmatischen Teil sichert die Verfassung die Freiheit des Gewissens, der Religion und der Reli­gionsausübung, den Schutz der Kult- und Religionsstätten sowie der zugehörigen Schriften und Liturgien zu. Im organischen Teil wird dem Staat untersagt, religiöse Kulte oder Kirchen zu errichten oder diese zu subventionieren oder mit diesen in eine Abhängig­keitsbeziehung einzutreten. Religiöse Organisationen jeglicher Konfession sind laut Bürgerlichem Gesetzbuch (2002) Personen des privaten Rechts.60

Trotz dieses Gleichheitsprinzips (Isonomie) genießt die katholische Kirche in Brasilien seit jeher einen privilegierten Status – de jure wie de facto. Der bi­laterale Vertrag zwischen dem brasilianischen Staat und dem Heiligen Stuhl, der vom Nationalkongress im Jahr 2009 ratifiziert wurde, hat die Begünstigungen festgeschrieben und sogar ausgebaut (etwa durch die Zulassung öffentlicher Zuwendungen). Diese Ent­scheidung stieß in nicht-katholischen Kreisen auf hef­tige Kritik. In der Folge reichte George Hilton, National­abgeordneter der Progressiven Partei (Partido Progre­sista, PP) und Pastor der IURD, den Entwurf für ein Allgemeines Religionsgesetz (Lei Geral das Religiões 5598/2009) ein, das die Bestimmungen des Abkommens mit dem Vatikan auf die Kirchen aller Konfes­sionen erweiterte.61 Dank einer großen Mobilisierung evangelikaler Abgeordneter wurde diese Gesetzes­initiative in der unteren Kammer angenommen und an den Senat weitergeleitet. Dort wurde die Vorlage im März 2016 zuletzt abgeändert und zum Ende der Legislaturperiode 2018 wegen fehlender Aktivität auf Eis gelegt.62 Mit dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro und dem Anbruch der neuen Legislaturperiode im Januar 2019 ergab sich eigentlich eine günstige Konjunktur für die Wiederaufnahme der Diskussion über das Gesetz, zu der es jedoch ein knappes Jahr später noch nicht gekommen ist.

Wenngleich dieses »Gleichstellungsgroßprojekt« zunächst gescheitert ist, können die Evangelikalen doch kleinere politische Errungenschaften auf ande­ren Ebenen verbuchen. Auf Initiative des Abgeordneten Cleber Verde von der Republikanischen Partei Brasiliens (Partido Republicano Brasileiro, PRB), der zugleich Mitglied der AD ist, beschloss der nationale Kongress Brasiliens im Jahr 2010 beispielsweise das Gesetz Nr. 12.328, das den 30. November zum Dia Nacional do Evangélico erklärt.63 Neben den vielen bestehenden katholischen Festtagen bekamen die Bürgerinnen und Bürger evangelischen Glaubens nun ihren staatlich anerkannten Gedenktag. Die Bundesstaaten bzw. Städte dürfen selbst bestimmen, ob sie den Tag an dem genannten Datum begehen und wel­chen Charakter sie ihm zumessen (ob er etwa auch ein Feiertag ist). Des Weiteren erteilte José Serra, Außen­minister der Regierung von Michel Temer (2016–2018), im Mai 2016 dem AD-Pastor-Präsident Samuel Cassio Ferreira und seiner Frau einen diplo­matischen Pass für drei Jahre. Zwar führt das Dekret, das die Vergabe diplomatischer Pässe regelt, religiöse Autoritäten unter den zu begünstigenden Persönlich­keiten nicht auf. Es war jedoch bisher durchaus Usus, den Kardinälen der katholischen Kirche einen solchen zu verleihen. Das brasilianische Außenministerium verwies zur Begründung für die nun auf weitere De­nomi­nationen erweiterte Praxis auf das »nationale Interesse« und den Grundsatz der Isonomie (Gleichheit vor dem Gesetz), der unter der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva verankert worden war. Im Jahr 2011 wurde beschlossen, jeder Denomination das Recht auf zwei diplomatische Pässe zuzubilligen.64

Informelle und offizielle Kandidaturen

Bis in die 1980er Jahre hinein galt in evangelikalen Kreisen Brasiliens der Imperativ, »der Gläubige mischt sich in die Politik nicht ein«. Doch mit dem gesell­schaft­lichen und politischen Umbruch im Zuge der Demokratisierung machten sich die Evangelikalen mehr und mehr das Motto »der Gläubige wählt den Gläubigen« zu eigen. Seit diesem Einstellungswandel verfolgen vor allem die drei Megakirchen AD, IURD und IEQ ein korporatives Repräsentationsmodell, innerhalb dessen sie sich bei Wahlen einer großen Bandbreite von Handlungsoptionen bedienen: Sie gewähren »fremden Kandidaturen« informelle Unter­stützung oder promoten eigene Kandidaten und Kan­didatinnen für parlamentarische Mandate und Exe­kutivämter auf sämtlichen staatlichen Organisations­ebenen.65 Dies geschieht im Kontext eines hoch­fragmentierten Parteiensystems und wahlrechtlicher Bestimmungen (etwa Verhältniswahl in großen Wahl­kreisen mit faktisch niedriger Sperrklausel), die einer Vielzahl von Parteien die parlamentarische Repräsentation ermöglichen. So sind in der aktuellen Legis­laturperiode (2019–2023) 30 Parteien in der Abgeord­netenkammer vertreten, wobei die stärkste politische Kraft, die Partido dos Trabalhadores (PT), lediglich über knapp 11 Prozent der Mandate verfügt.

Die evangelikale Wählerschaft orien­tiert sich bei der Wahl mehr als andere Milieus an den Vorschlägen ihrer Kirchenführungen.

Wie sich die informelle Unterstützung kirchenfremder Kandidaturen gestaltet, lässt sich besonders gut bei Präsidentschaftswahlen beobachten. Die evan­gelikalen Kirchenführungen, vor allem die der drei Megakirchen, suchen im Wahlkampf das Gespräch mit den Präsidentschaftskandidaten und -kandidatin­nen und treten mit manchen von ihnen – des linken wie des rechten ideologischen Spektrums – in kon­krete Verhandlungen ein. Im für sie besten Fall er­zielen sie einen politischen Deal: Sie erhalten die Aus­sicht auf eine bestimmte Gesetzgebung und auf Kon­zes­sionen im Tausch für die politische Unter­stützung durch die Kirchenmitglieder. Auch wenn selbst in Brasilien nicht von einem konfessionellen Wahl­verhal­ten im engeren Sinne eines Captive-Voting gesprochen werden kann, bleibt die Wahlwerbung, die charismatische Pastoren im Rahmen der Liturgie und über die evangelikalen Massen- und sozialen Medien betreiben, nicht wirkungslos. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha aus dem Jahr 2017 deckte auf,66 dass zwar nur 19 Prozent der brasilianischen Wählerschaft die Kandidatinnen und Kandidaten stark berücksichtigen, die die eigene Kirche vorschlägt. Allerdings steigt der Anteil unter den Wahlberechtigten evangelischer Konfessionen auf 26 Prozent und er erreicht sogar die 31-Prozent-Marke unter den neo-pfingstkirchlichen Evangelikalen. Diese religiös-politische Gefolgschaft stellt ein attraktives Stimmenpotential auch für nicht-evange­likale Kandidaten und Kandida­tinnen dar und bildet zugleich die Verhandlungsmacht der evangelikalen Kirchenführungen, wie das folgende Beispiel ver­anschaulicht.

Im Kontext des Präsidentschaftswahlkampfs 2014, aus dem Dilma Rousseff (PT) siegreich hervorging, veröffentliche Pastor Silas Malafaia, eine prominente Führungsfigur der AD-VC, einen Tweet, in dem er die Kandidatin der Sozialistischen Partei Brasiliens (Partido Socialista Brasileiro, PSB), Marina da Silva, aufforderte, ihr Versprechen zurückzunehmen, sich im Falle eines Wahlerfolgs für die »Ehe für alle« ein­zusetzen. Sollte sie es nicht tun, so Malafaia, werde er eine diffamierende Rede gegen sie halten. Marina da Silva, Mitglied der AD, hatte als Umweltministerin (2003–2008) dem Kabinett der Lula-Regierung an­gehört und sich in der Zeit vor dem Wahlkampf in einigen Moralfragen in liberaler Weise geäußert. Sie gab diesen Kurs unmittelbar nach der mahnenden Intervention des Pastors wieder auf und kehrte zur orthodoxen AD-Moralagenda zurück.67

In Brasilien gibt es zwar Parteien mit christlicher Ausrichtung, jedoch keine evangelikalen Parteien im engeren Sinne.

Im Unterschied zur informellen Rückendeckung für kirchenfremde Wahl­bewerber und -bewerberin­nen ist die Unterstützung offizieller Kandidaten ein Akt der institutionellen Repräsentation einer Kirche, auch wenn sie wahlrechtlich gesehen über eine Parteiliste stattfindet. Diese zusätzliche Bindung einer Kandidatur an eine Kirche über die Parteizugehörigkeit hinaus muss nicht allgemein-öffentlich bekannt sein. Vielmehr werden solche Kandidaturen – zu­meist für Legislativorgane – innerhalb der Glaubensgemeinschaften lanciert und gefördert. Hierfür ist die konfessionelle Zugehörigkeit der Bewerberin bzw. des Bewerbers zwar eine Voraussetzung, jedoch keine hinreichende Bedingung. Notwendig ist auch, dass die Führung der entsprechenden Kirche sich geschlossen hinter die Kandidatur stellt und für diese unter ihren Mitgliedern wirbt. In einigen Fällen finden sogar Vorwahlen in religiösen Kreisen statt. Die kirchliche Wahl­werbung kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen; besonders nachdrücklich bis aggressiv wird sie etwa von der IURD betrieben.

In Brasilien gibt es zwar Parteien mit christlicher Ausrichtung, jedoch keine evangelikalen Parteien im engeren Sinne. Die evangelikale politische Landschaft ist ähnlich fragmentiert wie das Parteiensystem. Gleich­wohl lässt sich feststellen, dass evangelikale Kandidaturen im rechten und mitte-rechten politi­schen Lager dominieren. Einen überproportional hohen Anteil von Evangelikalen weisen zwei poli­tische Parteien auf: die Republikanische Partei Brasi­liens (Partido Republicano Brasileiro, PRB), die sich im Mai 2019 in Republikaner (Republicanos) umbenannte, und die Sozial-christliche Partei (Partido Social Cristão, PSC). Beide Parteien zeichneten sich bei den Parla­mentswahlen 2018 durch eine große Zahl er­folgreicher offizieller Kandidaturen aus. Die PRB wurde 2003 gegründet und erhielt ihre Regis­trierung beim Obersten Wahl­gericht zwei Jahre später. Der Antrag hierfür wurde vom IURD-Pastor Vitor Paulo Araújo dos Santos gestellt. Auch wenn IURD und PRB weder juristisch noch satzungsgemäß verbunden sind, befindet sich die Partei faktisch unter der politischen Kontrolle der Kirche. Die Steuerung erfolgt größtenteils über persönliche Beziehungen: Rund zwei Drittel der Mitglieder der Nationalen Exekutivkommission und der Nationalen Geschäftsführung der PRB haben enge Verbindungen zur IURD.68

Die PSC wurde im Jahr 1985 gegründet und 1990 offiziell registriert. Die Partei definiert ihre ideologische Ausrichtung auf der Grundlage der christlichen Soziallehre und des Respekts der traditionellen Moral­ordnung. Sie pflegt besonders enge politische Verbin­dungen zur AD. Der prominente AD-Pastor Everaldo Pereira beteiligte sich als Kandidat der PSC an den Präsidentschaftswahlen 2014, allerdings ohne Erfolg: Mit 0,75 Prozent der Stimmen belegte er lediglich den fünften Rang. Bei den zwei (nicht-evangelikalen) tra­ditionellen Parteien, die in der jüngeren Vergangenheit die Präsidentinnen und Präsidenten des Landes gestellt haben, der PT und der Partei der Brasilianischen Sozialdemokratie (Partido da Social Democracia Brasileira, PSDB), ist der evangelikale Impact uneinheit­lich: Im Zeitraum 1998–2014 lancierte die PSDB mehr als vier Mal so viele Kandidaten und Kandidatin­nen evangelikalen Glaubens wie die PT. Im gleichen Ausmaß war sie auch erfolgreicher bei der Durchsetzung dieser Kandidaturen.69

Korporative parlamentarische Arbeit

Evangelikale sind, was die konfessionelle Verteilung betrifft, im Nationalkongress zwar unterrepräsentiert. Eine Folge der informellen und offiziellen Unter­stützung von Mandatsbewerbern und -bewerberinnen ist jedoch, dass evangelikale Interessen im Parlament stärker artikuliert werden, als zu erwarten wäre. Ver­treten werden diese zum einen von der überpartei­lichen Evangelischen Parlamentarischen Front (Frente Parlamentar Evangélica, FPE), auch evangelikale Frak­tion (bancada evangélica) genannt. Dabei handelt es sich um einen – nach der parlamentarischen Ge­schäftsordnung – satzungsgemäßen Zusammen­schluss von Abgeordneten verschiedener Parteien mit dem Ziel, gemeinsame Agendapunkte durchzusetzen. Eine parlamentarische Front muss zumindest ein Drittel der Mitglieder der Legislative vereinigen, um offiziell anerkannt zu sein.70 In der letzten Legislatur­periode wurden 199 Abgeordnete und vier Senatoren der FPE zugerechnet. Die meisten davon waren Mit­glieder der IURD und der AD.71 Als Koordinator fungierte der PSC-Abgeordnete Hidekazu Takayama, ein bekannter Pastor der AD.72 Die aktuelle Zahl der evangelikalen Kongressmitglieder (Abgeordnete und Senatoren) variiert je nach Quelle. Generell ist aber festzuhalten, dass mehr als 20 Parteien – PRB (21), PSL (7), PSD (7), PR (6), PP (6), DEM (6), PSDB (5), PSC (5) – Evangelikale in ihren Reihen haben und zumindest drei evangelikale Kirchen – AD (33), IUDR (17) und Igreja Batista (12) – mit Repräsentanten im Nationalkongress vertreten sind. Unter den evangelikalen Abgeordneten der FPE befinden sich viele Kan­didaten, die in ihren Wahlkreisen die meisten Stim­men auf sich vereinigen konnten.

In der zurückliegenden Legislaturperiode sprach sich die FPE ausdrücklich für Bolsonaro als Präsidentschaftskandidaten aus. Zudem präsentierte sie am 24. Oktober 2018, also vier Tage vor der Stichwahl, das Manifest »Brasilien den Brasilianern«. Das 60-sei­tige Dokument enthält eine Analyse der politisch-ökonomischen Situation des Landes und eine Reihe von marktwirtschaftlich orientierten Vorschlägen für die Modernisierung des Staates, die Stärkung der Rechtssicherheit und eine komplette Neugestaltung des Bildungswesens.73 Die Autorinnen und Autoren plädieren in dem Papier für eine Schule frei von Ideo­logie (Escola sem Ideologia) bzw. eine Schule ohne Partei (Escola sem Partido), Schlagworte, die seither große Popularität erlangt haben. Sie wenden sich da­mit gegen die Politik der vorausgegangenen PT-Regie­rungen, die sich für Geschlechtergleichheit, die Krimi­nalisierung der Homophobie und die Legalisierung der Abtreibung eingesetzt hatten.74 Im Einklang mit dieser konservativen Moralagenda lancierte die FPE bereits in den Jahren 2013 und 2014 zwei Gesetzes­initiativen. Die erste zielt darauf, das Verständnis von Familie auf die »Einheit von Mann und Frau« zu beschränken (Estatuto da Familia, Projeto de Lei 6583/ 2013). Mit der zweiten soll die angebliche »kulturmarxistische« Indoktrinierung von Schülerinnen und Schülern beendet werden (Escola sem Partido, Projeto de Lei 7180/14) ein.

Besonders effektiv lassen sich wertkonservative Interessen durchsetzen, wenn man Schlüsselpositionen in den parlamentarischen Ausschüssen innehat, die sich mit gesellschaftlichen Themen befassen. In der letzten Legislaturperiode waren 14 der 36 Mit­glieder des Ausschusses für Menschenrechte Evangelikale. Deren ebenfalls starke Präsenz im Ausschuss für Technologie und Kommunikation (14 von 42) ist auf das Interesse evangelikaler Kirchen an einem un­eingeschränkten Zugang zu Lizenzen für Rundfunk und Fernsehen zurückzuführen.75 Im Jahr 2014 hin­derte nur eine knappe Mehrheit den damaligen Kon­gressabgeordneten Jair Bolsonaro – bekannt für seine homophoben, misogynen und die Militärdiktatur verherr­lichenden Aussagen – daran, den Vorsitz der Kommission für Menschenrechte und Minder­heiten in der brasilianischen Abgeordnetenkammer zu übernehmen.

Ein Evangelikaler als Präsident

Im Oktober 2018 gewann der Kandidat der Soziallibe­ralen Partei (Partido Social Liberal, PSL), Jair Messias Bolsonaro, mit dem Motto »Brasilien über alles; Gott über allen« die Stichwahl um das Amt des brasilia­nischen Staatspräsidenten. Im Wahlkampf erhielt Bolsonaro die offene Unterstützung der überpartei­lichen Evangelikalen Parlamentarischen Front im Nationalkongress und der meisten Führungsfiguren der wichtigen evangelikalen Kirchen. Schließlich entschied sich ein Großteil der evangelikalen Wähler­schaft für ihn. Diese Rückendeckung blieb nicht ohne Wirkung auf Bolsonaros Kabinettsbildung und sein Regierungshandeln. Im Kontrast zu den Vorgänger­regierungen des wiederdemokratisierten Brasiliens spielt in Bolsonaros Präsidentschaft die Religion – ins­besondere der evangelikale Glaube – eine bedeu­tende Rolle.

Ob Bolsonaro selbst als ein »echter Evangelikaler« angesehen werden kann, ist Gegenstand öffentlicher Debatten in Brasilien.

Ob Bolsonaro selbst als ein »echter Evangelikaler« angesehen werden kann, ist Gegenstand öffentlicher Debatten in Brasilien. Im Mai 2016 wurde er im Jordan von Pastor Everaldo Pereira, einem prominenten Leiter der AD und Vorsitzenden der Sozial-christ­lichen Partei (Partido Social Cristão, PSC), getauft; Bilder und Videos der Zeremonie wurden im Internet verbreitet. Seine aktuelle Frau, Michelle Bolsonaro, ist evangelikal. Die Trauung hat der berühmte Pastor Silas Malafaia von der AD-VC durchgeführt. An dem Abend, als die Wahlergebnisse der Stichwahl bekannt wurden, trat Bolsonaro vor seine Haustür. Bevor er vor den Kameras eine kurze Rede hielt, nahm der Baptistenprediger und Politiker Magno Malta die Hand des neu gewählten Präsidenten und sprach ein Gebet. Doch einige sehen im Verhalten Bolsonaros den Ausdruck einer »christlichen Ambiguität« und behaupten, er habe nie aufgehört, sich als Katholik zu fühlen.76 Entscheidend für die vorliegende Analyse ist indes weniger die subjektiv-religiöse Gesinnung Bolso­naros als vielmehr der Bedeutungszuwachs, den die Evangelikalen durch seinen Wahlsieg und seine Regierungsführung verbuchen können.

Bolsonaros evangelikale Unterstützung

Bolsonaro erklärte bereits in seinem Wahlkampf, dass (dem christlichen) Gott mehr Raum in der Politik gegeben werden sollte. Im Einklang damit beteuert der Präsident auch jetzt wiederholt, dass der brasilianische Staat zwar säkular sei, Brasilien aber christlich, und man deshalb den Glauben der großen Mehr­heit der Bevölkerung nicht übergehen dürfe. In seiner Wahlkampagne setzte Bolsonaro stark auf die evan­gelikale Wählerschaft und deren religiöse Führung. Zwar ist dieses Phänomen nicht neu, denn seit der Re‑Demokratisierung haben viele Politiker und Poli­tikerinnen mit präsidentiellen Ambitionen die Unter­stützung geistlicher Autoritäten und deren Gemeinden aktiv gesucht. Einige haben sogar innerhalb der Wahlkampfmaschinerie »evangelikale Komitees« mit dem Ziel gegründet, die Gunst der evangelikalen Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Doch Bolso­naro setzte in besonders sichtbarer und erfolgreicher Weise auf diese Strategie: Kurz vor der Stichwahl zwischen Bolsonaro und seinem Kontrahenten von der PT, Fernando Haddad, ergab eine Umfrage von Datafolha, dass unter den Bürgerinnen und Bürgern evangelikalen Glaubens, die 31 Pro­zent der Wählerschaft ausmachen, Bolsonaro mit 40 Prozent Zustim­mung (gegenüber 15% für Haddad) führte. Unter den Katholikinnen und Katholiken, die 55 Prozent der Wählerschaft darstellen, konnten die beiden Kandi­daten auf nahezu gleich viel Unterstützung (29% vs. 25%) rechnen.77 Sechs Monate nach Antritt seiner Prä­sidentschaft erhielt Bolsonaro höhere Zustimmungs­raten unter den Bürgerinnen und Bürgern evangelikalen Glaubens (41%) als unter den Katholiken (30%) und Religionslosen (25%).78

Die AD und die IURD erwarten vom neuen Präsidenten eine Politik, die im Einklang mit ihren Werten und Interessen steht.

Bolsonaro konnte auch auf den expliziten Rückhalt der zwei großen evangelikalen Kirchen AD und IURD zählen. Beispielsweise bot Bischof Macedo, Gründer der IURD und Eigentümer des zweitgrößten Mediennetzwerks Brasiliens, Bolsonaro die Gelegenheit, auf seinem Fernsehsender TV Record ein exklusives (und vom Reporter wohlwollend geführtes) Interview zu geben, während die übrigen Aspiranten auf die Präsi­dentschaft gemeinsam bei einem anderen Sender debattierten. Unter anderem damit erlangte Bolso­naro eine starke, unangefochtene Medienpräsenz, die ihm – dem Angehörigen einer Partei mit schwacher parlamentarischer Repräsentation – gemäß den wahl­rechtlichen Bestimmungen nicht zustand.

Im Gegenzug für die offensichtliche Rücken­deckung für Bolsonaro erwarten die AD und die IURD vom neuen Präsidenten eine Politik, die im Einklang mit ihren Werten und Interessen steht. Zum Beispiel drängt die Evangelikale Parlamentarische Front da­rauf, dass Bolsonaro die fiskalischen Pflichten der Kirchen flexibilisiert. Bei zwei Forderungen waren sie bereits erfolgreich: Zum einen hob die Steuerbehörde (Receita Federal) des Wirtschaftsministeriums auf Druck von Präsident Bolsonaro für die kleineren Kirchen die Verpflichtung auf, sich in das Nationale Register der juristischen Personen (Cadastro Nacional de Pessoas Jurídicas, CNPJ) einzutragen. Zum anderen wurde der Mindestbetrag, ab dem die Kirchen über ihre täglichen Finanztransaktionen informieren müs­sen, von 1,2 auf 4,9 Millionen brasilianische Real an­gehoben.79

Der (religiös-)ideologische Kabinettsflügel

Seitdem er an der Macht ist, stellt Bolsonaro mit Nachdruck seine Berufung zum Militär heraus, und zwar nicht nur in seiner Selbstdarstellung, sondern auch im Hinblick auf die Regierungsführung. Zum einen wiederholt der brasilianische Präsident stets: »Ich bin nicht geboren, um Präsident, sondern um Militär zu werden«. Obwohl er im Zeitraum 1988–2018 ohne Unterbrechung parlamentarischer Mandats­träger – zunächst für eine Legislaturperiode im Stadt­rat von Rio de Janeiro und dann in der Abgeordnetenkammer des Nationalkongresses – war, sieht er seine frühere Militärlaufbahn als prägend für sich an. Bereits in seinen letzten Schuljahren verpflichtete sich Bolsonaro zum Militärdienst. Er besuchte die Academia Militar das Agulhas Negras (AMAN), die brasilianische Militärakademie, die er 1977 als Leut­nant der Artillerie verließ. Bolsonaro war Fallschirm­jäger in der brasilianischen Armee und ist heute Reservist im Rang eines Hauptmanns. Zum anderen bildete Bolsonaro zu Beginn seiner Regierung ein Kabinett mit 22 Ressorts. Nur zwei werden von Frauen geführt. Unter den übrigen 20 Männern sind acht An­gehörige der Streitkräfte.80 Vizepräsident General Hamilton Mourão, der Bolsonaro auf dem Doppel­ticket im Präsidentschaftswahlkampf begleitete, ist auch ein Militär. Auch nachgeordnete Posten in den Ministerien sind mit Angehörigen der Streitkräfte (aktive Mitglieder wie Reservisten) besetzt. Besonders im Umweltministerium sitzt eine große Zahl von Mili­tärs an den Schaltstellen.

Bolsonaros Kabinett besteht aus einem militärischen, einem techno­kratischen und einem ideologischen Flügel.

Daneben hat Bolsonaro vier Evangelikalen, darunter zwei religiösen Führungsfiguren, die Leitung von Ressorts übertragen: Nach einer langjährigen Lauf­bahn in der Bürokratie des Ressorts, berief er den pres­byterianischen Pastor André Luiz de Almeida Men­donça an die Spitze der Bundesgeneralstaats­anwalt­schaft (Advocacia-Geral da União, AGU), die in Brasilien den Rang eines Ministeriums hat. Die Juristin und evangelikale Pastorin der IEQ, Damares Alves, ernann­te Bolsonaro zur Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte. Alves sorgt seitdem immer wieder für eine Flut empörter wie spöttischer Reaktionen in den (sozialen) Medien mit Aussagen wie: »Achtung, Achtung. Es gibt eine neue Ära in Brasilien: Die Jungs ziehen sich blau an und die Mädchen rosa.«81»Frauen müssen dem Mann in der Ehe unterworfen sein. In der Ehe ist der Mann der Führer.«82 – »Mäd­chen in der Amazonasregion werden Opfer sexuellen Missbrauchs, weil sie normalerweise keine Unter­wäsche tragen, weil sie arm sind und sich deshalb keine Schlüpfer leisten können.«83 Die Ministerin ist eine bekannte Gegnerin einer Legalisierung der Ab­treibung und einer säkularen und gender-pluralis­tischen Sexualkunde in den Schulen. Die Tochter eines IEQ-Pastors versteht sich als »eine von den kon­servativen, christlichen Frauen, die in dieser Nation unterdrückt, ignoriert und vergessen wurden«. Alves hat angekündigt, dass sie konservativ-christlichen Werten, die unter der »Diktatur einer linken Minder­heit in den Medien, den Universitäten und Nicht­regie­rungsorganisationen« stark vernachlässigt worden seien, wieder Geltung verschaffen will.84 Der – in kon­servativ-christlichen Kreisen so bezeichneten – Gender-Ideologie hat sie den Kampf angesagt.

Mit ihren Ansichten reiht sich die Ministerin in den sogenannten ideologischen Flügel der Regierung Bolsonaro ein, der dritten Gruppe innerhalb des Kabi­netts neben dem militärischen Flügel (um Vizepräsi­dent Hamilton Mourão) und dem technokratischen Flügel (um Wirtschaftsminister Paulo Guedes). Der gewichtigste Exponent des ideologischen Flügels ist indes Außenminister Ernesto Araújo, Katholik und Karrierediplomat. Weitere Vertreter dieses Lagers sind Bolsonaros Söhne Eduardo (Nationalabgeordneter für São Paulo), Flávio (Bundesstaatsabgeordneter in Rio de Janeiro) und Carlos (Stadtratsmitglied in Rio de Janeiro). Die Bolsonaro-Söhne sind zwar keine Mit­glieder der Exekutive, sie kommentieren jedoch stets – zumeist über soziale Medien – das politische Tages­geschehen aus Regierungssicht.85 Alle drei ge­hören einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft an. Dies trifft zwar nicht auf sämtliche Kräfte des ideo­logischen Flügels zu, die Religion spielt jedoch inner­halb dieser Gruppe eine große Rolle. Alle Vertreter und Vertreterinnen teilen die Idee, dass derzeit ein Kulturkampf stattfinde, der das Christentum bedroht. In seinem Internetblog »Metapolitica 17 – gegen den Globalismus«, den er nach seinem Amtsantritt als Außenminister weiterhin betreibt, hat Araújo seine Absicht deutlich gemacht, zur Befreiung der Welt von der globalistischen Ideologie beitragen zu wollen. Seiner Ansicht nach wird die ökonomische Globalisierung von Anhängern eines »Kulturmarxismus« ge­steuert, der ein antihumanes und antichristliches System sei. An Gott zu glauben bedeute heute, gegen den Globalismus zu kämpfen, denn dieser habe zum Ziel, die Verbindung zwischen Gott und dem Men­schen zu brechen, damit der Mensch versklavt und Gott überflüssig werde. Laut Araújo geht es im Sinne eines metapolitischen Projekts in erster Linie darum, sich die Präsenz Gottes im politischen Handeln und in der Geschichte zu vergegenwärtigen.86

Araújos Weltanschauung ist stark von Verschwö­rungstheorien und antimarxistischen und antikommu­nistischen Impulsen geprägt. In Brasilien wie in der ganzen Welt werde ein »linkes Projekt« verfolgt. Dieses habe zum Ziel, die Familie zu zerstören, die Religion auszulöschen und die Kontrolle über die Sprache zu gewinnen. Im Einklang damit wendet sich der Außenminister gegen die Akzeptanz nicht-tradi­tio­neller Familienkonstella­tionen bzw. gender-plura­lis­tische Lebensmodelle und säkular-liberale Werte­vorstellungen. Zu bekämpfen ist nach Araújo auch eine gegenüber Minderheiten und dem Gender-Plura­lismus sensible Sprache. All diese Tendenzen seien letztendlich »enthumanisierend«. Darüber hinaus betrachtet der Außenminister die Beziehungen zwi­schen den Religionen als Konkurrenz­kampf. Die von vielen Seiten angestrebte »Ökumene à la we are the world« sei abzulehnen, denn mit einem solchen An­satz würden die Religionen zum einen alle gleich­gesetzt und zum anderen auf ihre Eigenschaft als Moralsysteme reduziert. Die Suche nach dem klein­sten gemeinsamen Nenner im Rahmen eines inter­religiösen Dialogs ende meistens mit einer Benach­teiligung oder dem Ausschluss des Christentums, so Araújo. Die von Atheisten durchgesetzte »politische Korrektheit« führe zu einer Abwertung der Sprache und der Religion. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Außenminister, dass in der Welt, aber vor allem im Westen eine Debatte über die Religionsfreiheit eingesetzt habe. Denn in Amerika und in Europa wür­den alle Religionen toleriert und geschützt – nur die eigene christliche nicht.87

Präsident Bolsonaro pflegt seine Verbindungen mit den Evangelikalen intensiv.

Die Integrationsleistung des Präsidenten im Kabinett ist schwach. Es gelingt ihm nicht, über den drei Flügeln zu stehen oder diese zu bündeln. Auch wenn er vor allem seine Identität als Soldat betont, legen seine Aussagen und Aktionen nahe, ihn eher dem (religiös-)ideologischen Flügel zuzuordnen. Dabei pflegt er seine Verbindungen mit den Evangelikalen intensiv: Als erster Präsident Brasiliens nahm Bolso­naro im August 2019 zusammen mit seinem Kabi­netts­chef (Ministro da Casa Civil), Onyx Lorenzoni, am »Marsch für Jesus« in Brasilia und São Paulo teil. Diese evangelikale Massenveranstaltung, die seit 1993 in unregelmäßigen Abständen in verschiedenen brasi­lianischen Städten stattfindet, wird von mehre­ren evangelikalen Dachorganisationen gemeinsam aus­gerichtet – in Brasilia in erster Linie vom Rat Evange­likaler Pastoren der Hauptstadt (Conselho de Pastores Evangélicos do Distrito Federal, COPEV/DF). Die Kund­gebung stand diesmal unter dem Motto »Zusammen marschieren wir für die Familie und für Brasilien«. Unter Verweis auf die Bibel vertrat Bolsonaro in sei­ner Rede das Ideal der traditionellen Familie, die aus Mann und Frau besteht, und sagte der Sexualkunde im Schul­unterricht und der von ihm so genannten Gender-Ideologie den Kampf an. Sein Wahlerfolg sei »prak­tisch ein Wunder«, zu dem die Mehrheit der evangeli­kalen Pastoren entscheidend beigetragen habe. Indem er auf eine israelische Flagge deutete, die unter den Demonstrierenden geschwenkt wurde, zollte er dem Judentum Anerkennung als Ursprung des Christentums: Die gemeinsame jüdisch-christliche Tradition sei wichtig. Israel sei ein Vorbild, dem er mit Brasilien nacheifern wolle, denn – so Bolsonaro weiter – die Israelis seien ein gottgläubiges Volk.

Der brasilianische Präsident sieht in Israel und seinem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu engste Verbündete. Auch Bolsonaros Söhne pflegen große Bewunderung für das Land: Ein auf Twitter verbreitetes Foto aus dem Jahr 2018 zeigt einen Sohn in einem Mossad-T-Shirt, einen anderen in einem T‑Shirt mit der Aufschrift »Israel Defense Forces«. Im Kontrast zum propalästinensischen Kurs der vergan­genen PT-Regierungen kündigte Bolsonaro bereits in seinem Wahlkampf an, nach dem Vorbild der USA die brasilianische Botschaft von Tel Aviv nach Jeru­salem verlegen zu wollen. Mit einer solchen Entschei­dung würde Bolsonaro der Bedeutung des Heiligen Landes im evangelikalen Glauben gerecht werden, der politischen Rechten Tribut zollen und schließlich auch die gewünschte Annäherung an die USA voran­treiben. Ende März 2019 stattete Bolsonaro Israel kurz vor den dortigen Parlamentswahlen einen Staats­besuch ab. Gemeinsam mit dem israelischen Regie­rungschef besuchte er die Klagemauer in Ost-Jeru­salem. Es sei das erste Mal gewesen, dass sich ein amtierender Staatschef zusammen mit einem israe­lischen Ministerpräsidenten dorthin begeben habe, hieß es aus dem israelischen Außenministerium.88 Doch das Vorhaben, die brasilianische Botschaft zu verlegen, wird nur vom ideo­logischen Flügel der Regierung Bolsonaro getragen. Der Militärflügel und der technokratische Flügel sind dagegen, denn sie befürchten, die Entscheidung könnte ökonomische Nachteile für Brasilien zur Folge haben: Die Exporte in arabische Länder könnten leiden, vor allem die von brasilianischem Halal-Fleisch, das gegenwärtig im Gesamtwert von geschätzten fünf Milliarden US-Dol­lar jährlich in die arabische Region ausgeführt wird. Mittlerweile scheint das Projekt der Botschafts­verlegung auf die Gründung einer Handelsvertretung in Jerusalem geschrumpft zu sein, was Bolsonaro aber als »einen ersten Schritt« auf dem Weg zu einem Komplettumzug darstellt.

Im Kabinett bilden also der Präsident, der katholische Außenminister und die evangelikale Pastorin und Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte eine Art »christliche Trinität«: Diese drei Regie­rungsmitglieder engagieren sich am deutlichsten für eine Stärkung des Christentums in Brasilien – auch in der Politik. Verstärkt wird diese religiöse Stoßrichtung durch die Interventionen der Söhne Bolsonaros und durch den Druck, der von der Evangelikalen Parlamentarischen Front ausgeht.

Fazit

Die starke konfessionelle Migration von der katholischen Kirche hin zu vielfältigen Formen evangelikalen Glaubens, die in den letzten fünf Dekaden in Lateinamerika stattgefunden hat, ist nicht nur mit einer religiösen Gewichtsverlagerung einhergegangen; sie hat auch zu einem größeren religiösen Plura­lismus und einer intensiveren Religiosität in der Gesellschaft geführt. Diese Entwicklung steht der Säkularisierungsthese89 diametral gegenüber, die von einem sukzessiven Bedeutungsverlust der Religion in modernen Gesellschaften ausgeht. Der Widerspruch gilt für alle drei Subebenen, auf denen sich der von der Sozialwissenschaft teleologisch beschriebene Prozess vollziehen soll:

Auf der subjektiv-individuellen Ebene kann kein Bedeu­tungsrückgang religiöser Glaubenssätze und Prak­tiken in Lateinamerika festgestellt werden. In sehr wenigen Ländern der Region nimmt der Anteil der Menschen ohne Glauben oder Religion signifikant zu. Der markanteste Trend besteht vielmehr im demographischen Wachstum der evangelikalen Gemeinschaften auf Kosten der katholischen Kirche. Damit gehen aber in der Regel eine Intensivierung der reli­giösen Identität und eine stärker religiös geprägte Lebensführung einher. Der nominelle Katholizismus weicht einem praktizierten und intensiver erlebten Evangelikalismus.

Auf der gesellschaftlichen Ebene lässt sich genauso wenig ein Rückzug des religiösen Glaubens ins Pri­vate beobachten. Evangelikale Kirchen und ihre Mitglieder sind mittlerweile anerkannte und sicht­bare Akteure der Zivilgesellschaft. Aufgrund ihres demographischen Gewichts, ihres gewachsenen Selbst­bewusstseins und ihrer verstärkten Weltzuwendung spielen Evangelikale mit ihrer sichtbar ausgelebten religiösen Praxis, ihrem Lebensstil und ihren Mega­events eine Rolle in der öffentlichen Sphäre. Der neue religiöse Pluralismus schlägt sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nieder, etwa durch die Gründung evangelikaler Bildungseinrichtungen, Zeitungen, Radio- und TV-Sender, durch das Entstehen einer evangelikalen Musik- und Bekleidungs­industrie und das Aufkommen anderer sakraler Life­style-Produkte für die Gläubigen. Diesseits dieses »evan­gelikalen Markts« legitimieren sich die evan­gelikalen Gemeinden in erster Linie im Alltag als problemlösende Agenturen für benachteiligte Bevöl­kerungsgruppen;90 sie übernehmen also soziale Auf­gaben. Mit dieser verstärkten »Kundenorientierung« der Kirchen geht eine Individualisierung und Frag­mentierung des religiösen Angebots einher. Die wachsende Segregation lateinamerikanischer Gesell­schaften, das heißt die räumliche Trennung von sozialen (Teil-)Gruppen bzw. Milieus, korrespondiert mit einem zunehmend segmentierten spirituellen Markt. Das religiöse Monopol einer Weltkirche mit einer die ganze Gesellschaft prägenden Weltanschauung gehört der Vergangenheit an. An seine Stelle tritt eine Vielzahl religiöser Angebote, die auf die speziel­len Bedürfnisse und Präferenzen verschiedener sozia­ler Gruppen ausgerichtet sind.

Auf der politisch-institutionellen Ebene, auf der Evangelikale – vor allem im Vergleich zu Katholiken und Katholikinnen – nach wie vor stark unterrepräsen­tiert sind, wird der Anspruch evangelikaler Kirchen immer deutlicher, die politischen Entwicklungen im Land zu beeinflussen und Verantwortung in den staat­lichen Institutionen zu übernehmen. Das Plädoyer für die Trennung von Staat und Kirche, hinter dem sich Protestanten und Protestantinnen im 19. Jahr­hundert im Hinblick auf den eigenen Schutz als Minderheit gegenüber der katholischen Kirche ver­sammelten, ist heute einem sakral überformten politischen Engagement gewichen. Allerdings werden vor dem Hintergrund eines wachsenden religiösen Pluralismus erneut Forderungen nach einer juristi­schen Gleichstellung und politischen Gleichbehand­lung gegenüber der katholischen Kirche laut. Dem­entsprechend wird der Gleichheit größere Bedeutung beigemessen als der Trennung von Staat und Kirche. Die katholische Kirche wird von einer Konkurrentin zur Kooperationspartnerin evangelikaler Kirchen lediglich im Rahmen einer sogenannten konservativen Neuökumene, die sich um die Durchsetzung einer Moralagenda »für die Familie und das Leben« bemüht.

Diese auf Lateinamerika bezogenen Erkenntnisse gelten im besonderen Maße für Brasilien. Im größten Land der Region ist das Engagement der Evangelikalen in der Politik und – damit verbunden – die Ver­schränkung zwischen Religion und Politik weit fort­geschritten.91 In einem von ausgeprägter Korruption geplagten politischen System wirken Wortführer und Wortführerinnen einer militanten Religiosität im Dis­kurs über die notwendige Moralisierung der Politik besonders legitimiert. Positive Effekte können aller­dings bisher nicht beobachtet werden; vielmehr fehlt es nicht an Korruptionsskandalen, in die prominente evangelikale Kirchenführer mit großer Nähe zur Poli­tik verwickelt sind.

Die »neuen Kirchen« bemühen sich um Zugang zur politischen Arena, um ihre institutionellen Interessen und religiösen Werte zu vertreten. Drei evangelikale Großkirchen beherrschen die religiöse Landschaft Brasiliens – und in besonderem Maße die Politik: die IURD, die AD und die IEQ. Die Vertreter und Vertrete­rinnen dieser drei Glaubensgemeinschaften gehören zwar verschiedenen Parteien an, insgesamt sind sie jedoch häufiger in politischen Organisationen des rechten und mitte-rechten Lagers anzutreffen. Zwei Parteien, die PRB/Republikaner und PSC, befinden sich unter dem starken Einfluss evangelikaler Kirchen­führungen. Sie verfügen zudem über eine große Mobilisierungskraft: Obwohl es evangelikalen Kirchen in der Regel an einer ausgearbeiteten Soziallehre und substantiellen politischen Programmen mangelt, sind sie in der Lage, die sozialen und politischen Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger zu beeinflussen, ja mitunter zu prägen sowie die von ihnen vertretenen konservativen Werte und traditionellen Rollen­verständnisse zur Geltung zu bringen. Während in der brasilianischen Geschichte zuvor nur wenige katholische Priester – und zwar nicht als Repräsen­tanten der Kirche – parlamentarische Mandate inne­hatten, verfolgen die größten und politisch aktivsten evangelikalen Denominationen die Strategie, ihnen genehme Kandidaturen entweder informell oder offiziell zu unterstützen. Die Evangelikalen Brasiliens wählen zwar nicht als monolithischer Block; die Gemeindemitglieder folgen jedoch im überdurchschnitt­lichen Ausmaß den Wahlempfehlungen ihrer charismatischen Kirchenführungen.

Sobald sie ein Mandat auf nationaler Ebene erobert haben, finden sich die evangelikalen Abgeordneten der stärksten Denominationen unter dem Dach der Evangelikalen Parlamentarischen Front (FPE) zusam­men. Im hochfragmentierten brasilianischen Kon­gress, in dem die Parteidisziplin nur sehr schwach ausgeprägt ist, bildet religiöse Identität ein Gravita­tionszentrum für innerparlamentarische Zusammenarbeit. Diese religiöse Identität bindet die Abgeordneten also bisweilen stärker als die Parteizugehörigkeit; gegen das Prinzip einer pluralistischen Vertretung setzt sich das einer korporativen, überparteilichen Kooperation durch. Diese Kooperation erstreckt sich auch auf die relevanten parlamentarischen Ausschüs­se. Dort bemühen sich evangelikale Abgeordnete unter anderem darum, ökonomische Privilegien für ihre Kirchen zu sichern oder zu erlangen.

Kein Präsident und keine Präsidentin in der Geschichte Brasiliens verdankte seinen bzw. ihren Wahlerfolg in so hohem Maße der Unterstützung durch die evan­gelikale Wählerschaft und die evangelikalen Kirchen­führungen wie Jair Messias Bolsonaro. Kein Staatsoberhaupt vor ihm genoss eine derart massive Zu­stimmung von Seiten der Bürgerinnen und Bürger evangelikalen Glaubens. Aber auch Bolsonaro zeich­net sich als ein Regierungs­chef aus, der enge Bezie­hungen zu den Evangelikalen pflegt und für eine stärkere Rolle der Religion in Brasilien im Allgemeinen und in der Politik im Besonderen plädiert. Jene Mitglieder des Kabinetts, die dem (religiös-)ideolo­gischen Flügel um den katholischen Außenminister Ernesto Araújo zuzurechnen sind, folgen ihm darin.

Aus einer Perspektive, die von der Normativität von Demokratie und Pluralismus ausgeht, sind drei nicht allgemein notwendige, jedoch auf der empirischen Ebene in Brasilien zu beobachtende Beziehun­gen zwischen Religion und Politik zu problematisieren: Erstens ist das demographische Gewicht der Evan­gelikalen das Resultat einer wachsenden (reli­giösen) Diversität in der Gesellschaft; die dominanten evan­gelikalen Kirchen stellen sich aber mit ihrer Moral­agenda gegen jede Politik, die die Vielfalt von Lebens­entwürfen anerkennt und deren Gleichberechtigung vorantreibt. Zweitens überschneiden sich in Brasilien politische und wirtschaftliche Eliten in hohem Maße. Wenn reiche Geschäftsleute, die in die Politik gehen oder Kandidaturen unterstützen, gleichzeitig evange­likale Führer von Megakirchen sind, dann bildet sich eine »Trinität der Macht« heraus, die der demokratiefördernden Diffusion von Macht entgegenwirkt. Zwar ist das religiöse Monopol der katholischen Kirche mit ihren politischen Privilegien im Niedergang begriffen, doch längerfristig könnte an dessen Stelle ein Oligo­pol evangelikaler Megakirchen unter charismatischer Führung entstehen. Drittens ist der ideologische Flügel von Bolsonaros Kabinett beherrscht vom Glau­ben an eine weltweite Verschwörung, die das Chris­tentum bedroht. Damit verknüpft ist die Auffassung eines Wettkampfs zwischen den Religionen und einer mehr oder minder explizit formulierten Suprematie des Christentums, das aber zurzeit benachteiligt werde. All diese drei Tendenzen wirken sich negativ auf das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen, offenen Gesellschaft und auf den interreligiö­sen Dialog aus.

Aus der Sicht der einfachen Bürgerinnen und Bür­ger stellt sich das Phänomen anders dar. Der eingangs erwähnten Säkularisierungsthese liegt ein Verständnis von Modernisierung zugrunde, das nicht berück­sichtigt, dass Entwicklung mit der Persistenz von Armut und der Zunahme sozialer Ungleichheit ein­hergehen kann. Faktoren wie politische, soziale und ökonomische Instabilität fördern die Erfahrung exis­tentieller Unsicherheit und in der Folge das Bedürfnis nach ewigen Gewissheiten. Die Pflege konservativer Werte und intensiver Religiosität kann in Situationen relativer Deprivation als Ausgleich fungieren. Un­abhängig von der Frage, ob ein Sinn für das Transzen­dentale bzw. religiöse Gefühle dem Menschen in­härent sind, verstärken nicht-inklusive Entwicklungs­modelle und ein für viele Bürgerinnen und Bürger abwesender bzw. verbrecherischer Staat den Impuls, nach einer »praktischen Spiritualität« zu suchen, die auch auf die Lösung von Alltagsproblemen und die Förderung sozialer Mobilität ausgerichtet ist. Dieses Bedürfnis scheinen heute vor allem die evangelikalen Kirchen zu erfüllen. Von vielen wird deren Wirken als Konkretisierung von Gottes Werk verstanden – ganz im Sinne von Max Webers Aussage: »Die ein­fachste Frage: ob man einen bestimmten Gott oder Dämon überhaupt durch Zwang oder Bitte zu be­einflussen versuchen soll, ist zunächst lediglich eine Frage des Erfolgs.«92

Ein kontextsensibler, auf Brasilien und allgemein Lateinamerika bezogener entwick­lungspolitischer Ansatz sollte dem Tatbestand Rechnung tragen, dass die evangelikalen Glaubensgemeinschaften in der Region auf dem Nährboden der ungleichen und un­gerechten Entwicklung wachsen. Die evangelikalen Kirchen sind zu relevanten gesellschaftlichen und politischen Akteuren avanciert. Einige von ihnen, vor allem auf der lokalen Ebene, eignen sich als (Gesprächs-)Partner für die deutsche und europäische (Entwicklungs-)Zusammenarbeit. Sie zu identifizieren wird allerdings durch die Fragmentierung und Viel­falt der evangelikalen Kirchenwelt erschwert: Hier ist ein Akteursmapping gefragt, das auf profundem Milieuwissen basiert.93 Eingedenk der christlichen Prägung ihrer Gesellschaften käme Deutschland und der Europäischen Union unter anderem folgende wichtige Aufgabe zu: Sie könnten und sollten in den bi­lateralen bzw. biregionalen Beziehungen durch Aufklärung dazu beizutragen, dass die in einigen lateinamerikanischen Milieus herrschenden Vorstellungen überwunden werden, wonach derzeit ein Kulturkampf im Gang sei, der das Christentum be­drohe und in dem es sich durchzusetzen habe.

Abkürzungen

AD Assembleia de Deus (Versammlung Gottes; Brasilien)

AD-VC Assembleia de Deus Vitória em Cristo (Versammlung Gottes – Sieg in Christus; Brasilien)

AGU Advocacia-Geral da União (Generalstaatsanwaltschaft; Brasilien)

AMAN Academia Militar das Agulhas Negras (Militärakademie der Schwarzen Nadeln; Brasilien)

CCB Congregação Cristã no Brasil (Christliche Kongregation in Brasilien)

CGADB Convenção Geral das Assembleias de Deus no Brasil (Generalkonvention der Versammlungen Gottes in Brasilien)

CNPJ Cadastro Nacional de Pessoas Jurídicas (Nationalregister der juristischen Personen)

CONAMAD Convenção Nacional das Assembleias de Deus no Brasil (Nationalkonvention der Versammlungen Gottes in Brasilien)

COPEV/DF Conselho de Pastores Evangélicos do Distrito Federal (Rat der evangelikalen Pastoren der Hauptstadt; Brasilien)

CPAD Casa Publicadora das Assembleias de Deus (Verlagshaus der Versammlungen Gottes; Brasilien)

FPE Frente Parlamentar Evangélica (Evangelikale Parlamentarische Front)

IBGE Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística

ICC Igreja Cristã Contemporânea (Christliche Kirche der Gegenwart; Brasilien)

IEQ Igreja Internacional do Evangelho Quadrangular (Internationale Kirche des Vierfältigen Evangeliums)

IURD Igreja Universal do Reino de Deus (Universalkirche des Königreichs Gottes; Brasilien)

LGBTQ Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer

MORENA Movimiento Regeneración Nacional (Bewegung der nationalen Regeneration; Mexiko)

PES Partido Encuentro Social (Partei der sozialen Begegnung; Mexiko)

PP Progressive Partei (Partido Progresista; Brasilien)

PRB Partido Republicano Brasiliero (Brasilianische Republikanische Partei)

PSB Partido Socialista Brasileiro (Brasilianische Sozialistische Partei)

PSC Partido Social Cristão (Sozial-christliche Partei; Brasilien)

PSDB Partido da Social Democracia Brasileira (Partei der Brasilianischen Sozialdemokratie)

PSL Partido Social Liberal (Sozialliberale Partei; Brasilien)

PT Partido dos Trabalhadores (Arbeiterpartei; Brasilien)

PTC Partido Trabalhista Cristão (Christliche Arbeiterpartei; Brasilien)

RN Restauración Nacional (Partei der Nationalen Wiederherstellung; Costa Rica)

Endnoten

1

 Während Max Weber die »Beziehungen zu den übersinn­lichen Gewalten« in den Mittelpunkt seiner Definition von Religion stellt, betont Peter Berger die transzendentale Dimension, Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1972, S. 269; Peter Berger, The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion, Garden City, NY: Doubleday, 1967.

2

 Max Weber war der Ansicht, dass religiös motiviertes Handeln »in seinem urwüchsigen Bestande diesseitig aus­gerichtet« ist, Weber, Wirtschaft und Gesellschaft [wie Fn. 1], S. 245.

3

 Bernd Oberdorfer, »Religiöser Einfluss in Staat und Gesell­schaft. Eine Problemskizze«, in: Bernd Oberdorfer/ Peter Waldmann (Hg.), Machtfaktor Religion. Formen religiöser Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft, Köln u.a.: Böhlau Verlag, 2012, S. 1–13 (7f).

4

Siehe hierzu Jonathan Fox, »Do Democracies Have Separa­tion of Religion and State?«, in: Canadian Journal of Political Science, 40 (März 2007) 1, S. 1–25.

5

 Peter Waldmann, »Verbündeter oder Gegner der Herrschenden: Die Rolle der lateinamerikanischen Kirche unter der Militärdiktatur«, in: Oberdorfer/Waldmann (Hg.), Macht­faktor Religion [wie Fn. 3], S. 233–252. Der Autor identifiziert zwei Hauptfaktoren, die die unterschiedlichen Aktions­muster erklären: Anders als in Argentinien hätten die Exis­tenz einer signifikanten protestantischen, insbesondere pfingstkirchlichen Gemeinschaft (ausgeprägter religiöser Pluralismus) und eine tiefer verwurzelte demokratische Tradition (politische Kultur) den Boden dafür bereitet, dass die Katholische Kirche in Chile gegenüber der Diktatur von Augusto Pinochet eine kritischere und distanziertere Hal­tung einnahm – obwohl die Militärdiktatur in Argentinien viel repressiver war.

6

 Nikolaus Werz, »Theologie der Befreiung in Latein­amerika«, in: Bernd Oberdorfer/Peter Waldmann (Hg.), Die Ambivalenz des Religiösen. Religionen als Friedensstifter und Gewalt­erzeuger, Freiburg i.Br. u.a.: Rombach Verlag, 2008, S. 107–131.

7

 Im spanischsprachigen Lateinamerika hat sich für die hier behandelten Religionsgemeinschaften der Terminus evangélica/o durchgesetzt. Evangélicas umfasst jedoch nicht nur die pfingstkirchlichen (pentecostales) und neo-pfingst­kirch­lichen Gemeinschaften (neopentecostales), sondern auch eine Reihe weiterer christlicher, nicht-katholischer Denominationen (siehe zu diesem Begriff Fn. 25). Hierzu gehören allerdings nicht die historischen evangelischen Gemeinden lutheranischer bzw. calvinistischer Tradition, denn diese werden in der Regel als protestantes bezeichnet. Evangelical wird wiederum eher als Bezeichnung für die ersten Missionare verwendet, die aus den USA stammten. Der Begriff Evangelista, mit dem bisweilen in Lateinamerika fälschlicher­weise Angehörige evangelikaler Kirchen bezeichnet werden, sollte für jeden der vier Jünger Jesu reserviert sein, nach dem die vier Evangelien benannt sind.

8

Heinrich Schäfer, »The Pentecostal Movement: Social Transformation and Religious Habitus«, in: Bertelsmann Stif­tung (Hg.), What the World Believes: Analysis and Commentary on the Religion Monitor 2008, Gütersloh 2009, S. 533–585 (536f.).

9

 Das Wort Pfingsten, Pentecost, stammt aus dem Altgriechischen (Πεντηκοστή, Pentēkostē, zu Deutsch: fünfzigster Tag) und bezeichnet im Neuen Testament einen jüdischen Feier­tag am 50. Tag der Osterzeit, der für das Christentum rele­vant wurde, da an diesem Tag der Heilige Geist auf die Jün­ger Jesu niedergekommen sein soll.

10

 Paul Freston identifiziert vier konstante Eigenschaften evangelikalen Glaubens: »conversionism (emphasis on the need for change of life), activism (emphasis on evangelistic and missionary efforts), biblicism (a special importance at­tributed to the Bible, though not necessarily the fundamen­talist shiboleth of ›inerrancy‹), and crucicentrism (emphasis on the centrality of Christ’s sacrifice on the cross)«, Paul Freston, »Introduction«, in: Paul Freston, Evangelicals and Politics in Asia, Africa and Latin America, Cambridge, UK: Cam­bridge University Press, 2001, S. 1–7 (2).

11

 Pew Research Center, Religion in Latin America. Widespread Change in a Historically Catholic Region, Washington, D.C., 13.11.2014, <http://www.pewresearch.org/wp-content/
uploads/sites/7/2014/11/Religion-in-Latin-America-11-12-PM-full-PDF.pdf
> (Zugriff am 20.12.2018).

12

Siehe Schäfer, »The Pentecostal Movement« [wie Fn. 8], S. 546.

13

 Die Unterscheidung der drei Phasen, in denen die Mis­sionsarbeit bzw. Evangelisierung eine unterschiedliche Rolle gespielt hat, beruht auf José Luis Pérez Guadalupe, »¿Políticos Evangélicos o Evangélicos Políticos? Los Nuevos Modelos de Conquista Política de los Evangélicos en América Latina« [Evangelikale Politiker oder politische Evangelikale? Die neuen Modelle politischer Eroberung der Evangelikalen in Lateinamerika], in: José Luis Pérez Guadalupe/Sebastian Grundberger (Hg.), Evangélicos y Poder en América Latina [Evan­gelikale und Macht in Lateinamerika], Lima: Instituto de Estudios Social Cristianos (IESC)/Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), 2018, S. 11–106 (17).

14

 In diesem Punkt folge ich der Argumentation zu Argen­tinien von Hilario Wynarczyk, »Argentina: ¿Vino Nuevo en Odres Viejos? Evangélicos y Política« [Argentinien: Neuer Wein in alten Schläuchen? Evangelikale und Politik], in: Pérez Guadalupe/Grundberger (Hg.), Evangélicos y Poder en América Latina [wie Fn. 13], S. 107–140 (134ff).

15

 Peter Waldmann, »Verbündeter oder Gegner der Herr­schenden: Die Rolle der lateinameri­kanischen Kirche unter der Militärdiktatur«, in: Oberdorfer/Waldmann (Hg.), Macht­faktor Religion [wie Fn. 3], S. 233–252 (233).

16

 Die folgenden Passagen basieren auf einer früheren Publikation der Autorin: Claudia Zilla, Evangelicals and Politics in Latin America. Religious Switching and Its Growing Political Rele­vance, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Oktober 2018 (SWP Comment 46/2018), <https://www.swp-berlin.org/
fileadmin/contents/products/comments/2018C46_Zll.pdf
> (Zugriff am 20.12.2018).

17

 Zum Säkularismus zählen drei Kategorien der religiösen Selbstbeschreibung: atheistisch, agnostisch und religionslos.

18

 Die folgenden Daten stammen aus Corporación Latino­barómetro, El Papa Francisco y la religión en Chile y América Latina. Latinobarómetro 1995–2017 [Papst Franziskus und die Religion in Chile und Lateinamerika], Santiago de Chile, Januar 2018, <https://www.cooperativa.cl/noticias/site/artic/
20180112/asocfile/20180112124342/f00006494_religion_chile_america_latina_2017.pdf
> (Zugriff am 20.12.2018).

19

 Eine weitere Entwicklung, die in Lateinamerika zu be­obachten ist, besteht in der sogenannten »Evangelikalisierung der katholischen Kirche«. Damit wird auf den Einfluss der charismatischen Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche hingewiesen, die viele Gemeinsam­keiten mit dem Pentecostalismus aufweist. Die Katholische Charismatische Erneuerung erhielt 1973 die offizielle An­erkennung des Vatikans.

20

 R. Andrew Chesnut, Competitive Spirits. Latin America’s New Religious Economy, New York: Oxford University Press, 2003, S. 9.

21

 Juan G. Navarro Floria, »Introducción« [Einführung], in: Juan G. Navarro Floria (Koord.), Estado, Derecho y Religión en América Latina [Staat, Recht und Religion in Lateinamerika], Buenos Aires u.a.: Marcial Pons, 2008, S. 11–16.

22

 Alejandro Frigerio, »La experiencia religiosa pentecostal« [Die pfingstkirchliche religiöse Erfahrung], in: Nueva Sociedad, (März–April 2019) 280, S. 47–54 (50).

23

 Ebd.

24

 Zahlreich sind die Modelle zur Systematisierung der Geschichte der protestantischen, evangelischen und evangelikalen Kirchen in Lateinamerika. Während über die großen Entwicklungslinien breiter Konsens besteht, unterscheiden sie sich bezüglich der Phasen­einteilung, Gruppierung und Differenzierung. Die vorliegende Studie orientiert sich am stärksten an den Systematisierungen von José Luis Pérez Guadalupe und Hilario Wynarczyk, in: Pérez Guadalupe/ Grundberger (Hg.), Evangélicos y Poder en América Latina [wie Fn. 13], S. 11–106 und S. 107–141.

25

 Denomination bezeichnet eine separate Glaubens­gemeinschaft innerhalb einer Religion und wird in der deutschen Sprache häufig mit Konfession gleichgesetzt. Für die Glaubens­gemeinschaft steht der gemeinsame Name (Denomination) für die gemeinsame Identität.

26

 Antiökumenisch bezeichnet eine Haltung, die sich gegen den Dialog zwischen unterschiedlichen christlichen Glaubensausrichtungen stellt. Im lateinamerikanischen Kon­text bedeutet antiökumenisch in der Regel antikatholisch.

27

 Mit dem Begriff »Bewegung« wird hier allgemein ein konfessionsübergreifender Typus religiöser Gemeinschaften bezeichnet, die eine Reihe relevanter gemeinsamer Merk­male aufweisen und eine bestimmte historische Phase prägen.

28

 Spätere Strömungen des evangelikalen Protestantismus haben der »sozialen Frage« mehr Bedeutung zugemessen.

29

 Schäfer, »The Pentecostal Movement« [wie Fn. 8], S. 534.

30

 Chesnut, Competitive Spirits [wie Fn. 20], S. 157.

31

 Pérez Guadalupe, »¿Políticos Evangélicos o Evangélicos Políticos?« [wie Fn. 13].

32

Es handelt sich um eine Initiative der Gemeinde Bendeci­dos para Bendecir, Nicolás Massai/Francisco Velásquez, »Frente a frente: primera universidad evangélica se levanta mirando a la PUC« [Von Angesicht zu Angesicht: erste evangelikale Universität wird gegenüber der PUC errichtet], diarioUchile, 1.1.2018, <https://radio.uchile.cl/2018/01/01/frente-a-frente-primera-universidad-evangelica-se-levanta-mirando-a-la-puc/> (Zugriff am 20.12.2018).

33

Für eine ausführliche Analyse der Ermöglichungsfaktoren siehe Pérez Guadalupe, »¿Políticos Evangélicos o Evan­gélicos Políticos?« [wie Fn. 13], S. 34ff.

34

Corporación Latinobarómetro, Informe 2018 [Bericht 2018], Santiago de Chile, November 2018, <www.latinobarometro.org/latNewsShowMore.jsp?evYEAR=2018&evMONTH=-1> (Zugriff am 20.12.2018).

35

 Cecilia A. Delgado-Molina, »La ›irrupción evangélica‹ en México« [Der ›evangelikale Einbruch‹ in Mexiko], in: Nueva Sociedad, (März–April 2019) 280, S. 91–100.

36

Alberto Nájar, »La marcha ›sin precedentes‹ en México contra la legalización del matrimonio gay« [Der ›beispiellose‹ Marsch in Mexiko gegen die Legalisierung der Homoehe], in: BBC Mundo (Mexiko-Stadt), 11.9.2016, <www.bbc.com/mundo/
noticias-america-latina-37331685
> (Zugriff am 20.12.2018).

37

 Wynarczyk, »Argentina: ¿Vino Nuevo en Ordres Viejos?« [wie Fn. 14], S. 135.

38

 R. Andrew Chesnut, Born Again in Brazil. The Pentecostal Boom and the Pathogens of Poverty, New Brunswick, NJ: Rutgers University Press, 1997.

39

 Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Censo Demográfico 2010. Características da população e dos domi­cílios [Demographischer Zensus 2010. Merkmale der Bevöl­kerung und der Haushalte], Rio de Janeiro 2011, <https://biblioteca.ibge.gov.br/visualizacao/periodicos/93/
cd_2010_caracteristicas_populacao_domicilios.pdf
> (Zugriff am 20.12.2018).

40

 »Na hora do voto, 19% do brasileiros com religião seguem líder da igreja« [Wenn es ums Wählen geht, folgen 19% der Brasilianer, die sich zu einer Religion bekennen, deren Kirchenführer], Instituto Datafolha, 26.10.2017, <http://bit.ly/33VNpn6> (Zugriff am 20.12.2018).

41

José Eustáquio Diniz Alves, IBGE, zitiert in: Paula Corrêa, »Honrar a Dios… con tarjeta de crédito o efectivo. El auge evangélico en Brasil« [Gott ehren... mit Kreditkarte oder bar. Der evangelikale Boom in Brasilien], in: Nueva Sociedad, (November–Dezember 2013) 248, S. 134–143 (139), <http://nuso.org/media/articles/downloads/3997_1.pdf> (Zugriff am 20.12.2018).

42

 In einer Umfrage von Datafolha aus dem Jahr 2013 gaben 34 Prozent der Katholiken und Katholikinnen sowie 52 Prozent der Evangelikalen an, die eigene Kirche regel­mäßig finanziell zu unterstützen, Corrêa, »Honrar a Dios …« [wie Fn. 41], S. 139.

43

 Chesnut, Competitive Spirits [wie Fn. 20], S. 11.

44

 Lamia Oualalou, »El poder evangélico en Brasil« [Die evangelikale Macht in Brasilien], in: Nueva Sociedad, (November–Dezember 2015) 260, S. 122–133 (126), <http://nuso.org/media/articles/downloads/
7.TC_Oualalou_260.pdf
> (Zugriff am 20.12.2018).

45

 Cidade de Refúgio, <http://cidadederefugio.com.br> (Zugriff am 20.12.2018).

46

 »Pastores homosexuales crean la ›Iglesia Cristiana Con­temporánea‹« [Homosexuelle Pastoren errichten die ›Christ­liche Kirche der Gegenwart‹], Valores Religiosos (online), 2014, <www.valoresreligiosos.com.ar/Noticias/pastores-homosexuales-crean-la-iglesia-cristiana-contemporanea-6989> (Zugriff am 20.12.2018).

47

 Bola de Neve Church, <http://boladeneve.com> (Zugriff am 20.12.2018).

48

 Die folgenden Ausführungen basieren auf der anthro­pologischen Studie von Andrew Johnson, »The Politics of Presence. Evangelical Ministry in Brazilian Prisons«, in: Alexander Wilde (Hg.), Religious Responses to Violence. Human Rights in Latin America Past and Present, Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2015, S. 395–415.

49

Radio Senami, <http://www.radiosenami.com> (Zugriff am 20.12.2018).

50

 Faculdade Evangélica de Tecnologia, Ciências e Biotecnologia da CGADB, <http://faecad.com.br> (Zugriff am 20.12.2018).

51

Chesnut, Competitive Spirits [wie Fn. 20], S. 157.

52

 Ebd.

53

 Portal da Igreja do Evangelho Quadrangular, <www.portalbr4.com.br/materias/5> (Zugriff am 20.12.2018).

54

 Estadão Conteúdo, »Silas Malafaia é indiciado pela PF na Operação Timóteo« [Die Bundespolizei verdächtigt Silas Mala­faia im Zusammenhang mit der Operation Timóteo], Exame (online), 30.12.2018, <https://exame.abril.com.br/
brasil/silas-malafaia-e-indiciado-pela-pf-na-operacao-timoteo/
> (Zugriff am 27.8.2019).

55

 Der Name der Operation bezieht sich auf einen Abschnitt aus dem 1. Buch Timotheus 6, 9–10: »Menschen, die reich werden wollen, geraten nur in Versuchung und ver­stricken sich in so viele dumme und schädliche Wünsche, dass sie letztlich ins Verderben und in ihren eigenen Unter­gang stürzen. Denn die Liebe zum Geld ist die Wurzel aller möglichen Übel; so sind manche Menschen aus Geldgier vom Glauben abgewichen und haben sich selbst viele Schmer­zen zugefügt.«

56

 Gary Duffy, »Pastor brasileño acusado de fraude millo­nario« [Brasilianischer Pastor des Millionenbetrugs beschul­digt], BBC Mundo, Sao Paulo, 11.8.2009, <www.bbc.com/
mundo/cultura_sociedad/2009/08/090811_2300_brasil_
macedo_gm
> (Zugriff am 20.12.2018).

57

 Alan Rodrigues, »Marcado para morrer« [Markiert, um zu sterben], in: Istoé, 4.7.2007, <https://istoe.com.br/
195_MARCADO+PARA+MORRER/
> (Zugriff am 27.8.2019).

58

 Freston, Evangelicals and Politics in Asia, Africa and Latin America [wie Fn. 10], S. 24.

59

 Constituição da República Federativa do Brasil de 1988, <www.planalto.gov.br/ccivil_03/constituicao/
constituicao.htm
> (Zugriff am 20.12.2018).

60

 Código Civil Brasileiro, <www.planalto.gov.br/ccivil_03/
LEIS/2002/L10406.htm
> (Zugriff am 20.12.2018).

61

 Maria das Dores Campos Machado, »Religião, cultura e política« [Religion, Kultur und Politik], in: Religião e Sociedade (Rio de Janeiro), 32 (2012) 2, S. 29–56 (32), <www.scielo.br/pdf/rs/v32n2/03.pdf> (Zugriff am 17.9.2019).

62

 Cȃmara dos Deputados, Projeto de Lei 5598/2009, <www.camara.gov.br/proposicoesWeb/fichadetramitacao?idProposicao=441559> (Zugriff am 20.12.2018).

63

Câmara dos Deputados, »Câmara aprova criação do Dia Nacional do Evangélico« [Das Unterhaus beschließt den Nationalen Tag des Evangelischen], 26.8.2009, <http://bit.ly/3744vRK> (Zugriff am 20.12.2018).

64

Die Vergabe diplomatischer Pässe ist im Dekret 5.978/06 vom 4.12.2006, Artikel 6, Paragraph 3 geregelt; Marina Correa, Os donos do poder – a construção da nomenclatura de pastor-presidente nas Assembleias de Deus (ADs) [Inhaber der Macht – die Bildung der Nomenklatur Pastor-Präsident in den Versammlungen Gottes (ADs)], 2017, unveröffentlichtes Manuskript.

65

 Freston, Evangelicals and Politics in Asia, Africa and Latin America [wie Fn. 10].

66

»Na hora do voto« [wie Fn. 40].

67

Oualalou, »El poder evangélico en Brasil« [wie Fn. 44], S. 122f.

68

 Fábio Lacerda/José Mario Brasiliense, »Brasil: la incur­sión de los Pentecostales en el Poder Legislativo Brasileño« [Brasi­lien: Der Einzug der Pfingstkirchler in die brasilianische Legis­lative], in: Pérez Guadalupe/Grundberger (Hg.), Evangéli­cos y Poder en América Latina [wie Fn. 13], S. 141–179 (167).

69

 Ebd., S. 168.

70

 Câmara dos Deputados, Frentes e grupos parlamentares, <http://www2.camara.leg.br/deputados/liderancas-partidarias/
frentes-e-grupos-parlamentares
> (Zugriff am 20.12.2018).

71

 Luisa Marini/Ana Luiza De Carvalho, »Renovada, bancada evangélica chega com mais força no próximo Congresso« [Erneuert, die evangelikale Fraktion erlangt mehr Gewicht in der kommenden Legislaturperiode], Congresso Em Foco, 17.10.2018, <https://congressoemfoco.uol.com.br/
legislativo/renovada-bancada-evangelica-chega-com-mais-forca-no-proximo-congresso/
> (Zugriff am 17.9.2019).

72

 Ebd.; Lúcio Big, »Lista completa dos senadores e depu­tados federais eleitos em 2018« [Vollständige Liste der 2018 gewählten Bundessenatoren und -abgeordneten], Congresso Em Foco, 8.10.2018, <https://congressoemfoco.uol.com.br/
eleicoes/lista-completa-dos-senadores-e-deputados-federais-eleitos-em-2018/#1539186570511-64ddeb73-47e6
>; Depar­tamento Intersindical de Assessoria Parlamentar, Eleições 2018: bancada evangélica cresce na Câmara e no Senado [Wahlen 2018: evangelikale Fraktion legt in der Kammer und im Senat zu], 17.10.2018, <www.diap.org.br/index.php/noticias/
noticias/28532-eleicoes-2018-bancada-evangelica-cresce-na-camara-e-no-senado
> (Zugriff jeweils am 20.12.2018).

73

 Câmara dos Deputados, Frente Evangélica lança manifesto com propostas para gestão do Brasil [Evangelikale Front legt Manifest mit Vorschlägen für die Regierungsführung vor], 24.10.2018, <http://bit.ly/2rDVfDL> (Zugriff am 20.12.2018).

74

 Talita Bedinelli, »Bancada evangélica converte proposta pró-mulher em projeto antiaborto« [Evangelikale Fraktion verwandelt Pró-mulher-Vorschlag in ein Antiabtreibungs­projekt], in: El País Brasil, 10.11.2017, <https://brasil.elpais.com/brasil/2017/11/09/politica/
1510258493_477218.html
> (Zugriff am 17.9.2019).

75

Oualalou, »El poder evangélico en Brasil« [wie Fn. 44].

76

Lamia Oualalou, »Los evangélicos y el hermano Bolso­naro« [Die Evangelikalen und der Bruder Bolsonaro], in: Nueva Sociedad, (März–April 2019) 280, S. 68–77, <https://nuso.org/articulo/los-evangelicos-y-el-hermano-bolsonaro/> (Zugriff am 23.8.2019).

77

 »Bolsonaro cresce e atinge 32%« [Bolsonaro legt zu und erreicht 32%], Instituto Datafolha, 3.10.2018, <http://datafolha.folha.uol.com.br/eleicoes/2018/10/1982865-bolsonaro-cresce-e-atinge-32.shtml> (Zugriff am 20.12.2018).

78

 Darüber hinaus erhält Bolsonaro mehr Zustimmung unter Männern (38%) als unter Frauen (29%), mehr unter den älteren Menschen über sechzig Jahre (37%) als unter den Jüngeren zwischen 16 und 24 Jahren (27%), mehr unter den Besserverdienenden (52%) als unter den Geringerverdie­nen­den (27%), mehr von Unternehmern (58%) als von Arbeitnehmern im informellen Sektor (25%) und Arbeitslosen (22%), mehr im Süden Brasiliens (42%) als im Nordosten (25%) und mehr von denen, die sich als Weiße (42%) be­zeich­nen, als von denen, die sich als Braune (31%) oder Schwarze (25%) verstehen, Folha da S.Paulo/Instituto Datafolha, Avaliação do Presidente Jair Bolsonaro [Zustimmung für Präsident Jair Bolsonaro], 4./5.7.2019, <http://bit.ly/2CHXpEB> (Zugriff am 27.8.2019).

79

 Bernardo Mello/Thiago Prado, »A pedido de evangélicos, Bolsonaro afrouxará obrigações fiscais de igrejas« [Auf Bitten der Evangelikalen wird Bolsonaro die Steuerverpflichtungen der Kirchen lockern], in: O Globo, 11.7.2019, <https://oglobo.globo.com/brasil/a-pedido-de-evangelicos-bolsonaro-afrouxara-obrigacoes-fiscais-de-igrejas-23793306> (Zugriff am 27.8.2019).

80

 Militärs sitzen folgenden Ministerien vor: Regierungssekretariat (Carlos Alberto Santos Cruz), Institutionelle Sicher­heit (Augusto Heleno Riberiro Pereira), Infrastruktur (Tarcísio Gomes de Freitas), Bergbau und Energie (Bento Cosa Lima Leite) Gesundheit (Luiz Henrique Mandetta), Verteidigung (Fernando Azevedo e Silva), Wissenschaft und Technologie (Marcos Pontes), Transparenz, Steueraufsicht und Kon­trolle (Wagner Rosário).

81

 Siehe etwa den Youtube-Beitrag zu »Damares Alves: menino veste azul e menina veste Rosa« [Damares Alves: Ein Junge kleidet sich blau, ein Mädchen rosa], <www.youtube.com/watch?v=mA8gxoxgeBk> (Zugriff am 16.9.2019).

82

 André de Souza, »Damares repete que, ›no casamento, mulher é submissa ao homem‹«[Damares wiederholt, dass in der Ehe die Frau dem Mann unterworfen ist], in: O Globo, 16.4.2019, <https://oglobo.globo.com/sociedade/damares-repete-que-no-casamento-mulher-submissa-ao-homem-23603765> (Zugriff am 16.9.2019).

83

 Damares Alves, »Meninas são abusadas por que não usam calcinhas« [Mädchen werden missbraucht, weil sie keine Höschen tragen], Beitrag in brasilianischer TV-Sen­dung, ver­öffentlicht bei Youtube am 24.7.2019, <www.youtube.com/watch?v=1ttsP9AzF6A> (Zugriff am 16.9.2019).

84

 Tobias Käufer, »Jair Bolsonaros Chefideologin ist die umstrittenste Politikerin Brasiliens«, in: Frankfurter Rundschau, 19.8.2019, <https://www.fr.de/politik/jair-bolsonaro-chefideologin-praesidenten-frauenministerin-12923162.html> (Zugriff am 23.8.2019).

85

 Claudia Zilla, »Brasiliens neue Regierung: Ein besorgniserregen­des Kabinett«, SWP-Kurz gesagt (online), 21.12.2018, <https://www.swp-berlin.org/kurz-gesagt/2018/brasiliens-neue-regierung-ein-besorgniserregendes-kabinett/> (Zugriff am 21.12.2018); Claudia Zilla, »Kein Honeymoon für Bolso­naro. Das Kabinett ist zerstritten, Gesetze kommen nicht durch und die Jugend protestiert – Brasiliens rechte Regierung ist unter Druck«, Internationale Politik und Gesellschaft (online), 4.6.2019, <https://www.ipg-journal.de/regionen/
lateinamerika/artikel/detail/kein-honeymoon-fuer-bolsonaro-3511/
> (Zugriff am 22.8.2019).

86

 Ernesto Araújo, Metapolítica 17 – Contra o Globalismo (Blog), <https://www.metapoliticabrasil.com/about> (Zugriff am 23.8.2019).

87

 Ernesto Araújo, »Liberdade religiosa, religião liberta­dora« [Religionsfreiheit, befreiende Religion], Metapolítica 17 – Contra o Globalismo (Blog), 20.7.2019, <https://www.metapoliticabrasil.com/blog/liberdade-religiosa-religi%C3%A3o-libertadora> (Zugriff am 25.8.2019).

88

 Im März hatte bereits US-Außenminister Mike Pompeo die Klagemauer gemeinsam mit Netan­jahu besucht.

89

 Mirjam Künkler/Julia Leininger, »Einleitung: Zur Rolle von Religion in Demokratisierungsprozessen«, in: Julia Leininger (Hg.), Religiöse Akteure in Demokratisierungsprozessen: konstruktiv, destruktiv und obstruktiv, Wiesbaden: Springer VS, 2013, S. 13–45 (26).

90

 Chesnut, Competitive Spirits [wie Fn. 20], S. 7.

91

 Ari Pedro Oro, »A política da igreja universal e seus reflexos nos campos religioso e político brasileiros« [Die Poli­tik der Universalkirche und ihre Spiegelungen im Bereich der brasilianischen Religion und Politik], in: Revista Brasileira de Ciências Sociais, 18 (Oktober 2003) 53, S. 53–69 (64), <www.scielo.br/pdf/rbcsoc/v18n53/18078.pdf> (Zugriff am 17.9.2019).

92

 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft [wie Fn. 1], S. 261.

93

 So etwa Heinrich Schäfer, Friedenspotenzial von Freikirchen in den USA und Lateinamerika. Potenziale und Hindernisse für die internationale Zusammenarbeit, Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, (im Erscheinen, ifa-Edition Kultur und Außenpolitik).

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