Eine neue SWP-Studie befasst sich mit der Rivalität zwischen den USA und China. Im Interview spricht SWP-Direktor Volker Perthes, einer der Herausgeber, über die Dimensionen des Konfliktes, seine internationalen Auswirkungen und die richtige Strategie für Europa, damit umzugehen.
Wenn es um die Rivalität zwischen den USA und China geht, stehen meist die Handelsstreitigkeiten im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Hanns Günter Hilpert schreibt in seinem Beitrag zu Ihrer Studie aber, dass Handelskonflikte der am leichtesten lösbare Knoten im komplexen Geflecht der Rivalität sein könnten. Mit welcher Begründung?
Volker Perthes: Der Handelskonflikt zwischen den USA und China dominiert den öffentlichen Teil der Auseinandersetzung tatsächlich, nicht zuletzt wegen der Tweets des amerikanischen Präsidenten. Zudem hat der Konflikt direkte Auswirkungen auf die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten und wird deshalb hier und an den Aktienmärkten sicherlich besonders ernst genommen. Aber es ist letztlich ein Verteilungskonflikt, der als solcher auch lösbar ist.
Das heißt, wenn man ihn beilegt, ist die Rivalität nicht aus der Welt?
Wenn man den Handelskonflikt löst oder – was wahrscheinlicher ist – wenn man ihn vorübergehend regelt, wie jetzt durch das aktuelle Phase-eins-Abkommen zwischen Washington und Peking, kann man die Situation sicher entspannen. Aber der zugrundeliegende Konflikt, bei dem es um den Status von USA und China im internationalen System bzw. ihren Einfluss auf andere Staaten und Regionen geht, bleibt bestehen – und er zeigt sich nicht nur auf der wirtschaftlichen und handelspolitischen Ebene. Der Konflikt hat weitere Dimensionen, etwa eine sicherheitspolitische, ideologische oder technologische.
Die ideologische Dimension beschreiben Sie als einen Wettstreit zwischen liberalen und demokratischen Gesellschaftsvorstellungen auf der einen und autoritären auf der anderen Seite. Wie deutlich stehen die USA noch auf der Seite des liberalen Modells?
Die USA sind nach wie vor ein gefestigter, demokratischer Staat, auch wenn der amerikanische Präsident mit seinen Aktionen nahezu jeden Tag vermittelt, dass er das System von Checks und Balances, von der Machtteilung zwischen Exekutive, Legislative und Justiz, praktisch infrage stellt. Gleichwohl bleiben die USA nicht nur ein demokratischer Staat, sondern auch eine demokratische Gesellschaft mit mehr als zweihundertjähriger demokratischer Erfahrung. Zwar kann sich Trump in der Ausrichtung seiner internationalen Politik auf eine Mehrheit stützen, die vermutlich breiter ist als seine eigene Wählerschaft. Aber in seinem Kampf gegen die demokratischen Institutionen seines eigenen Landes wird er vermutlich und hoffentlich eine Ausnahmeerscheinung bleiben.
Sie schreiben, dass die Rivalität zwischen den USA und China zum Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden ist. Was bedeutet das?
Konflikte zwischen einer Nummer eins im internationalen System – derzeit den USA – und einem Herausforderer, haben historisch immer auch den Charakter des gesamten internationalen Systems verändert. Heute heißt das, dass viele Fragen der internationalen Politik gewissermaßen durch den Rahmen der chinesisch-amerikanischen Rivalität betrachtet werden.
Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?
Sehen Sie sich die Diskussion um Technologie an: Sie dreht sich nicht nur um Fortschritt und dessen Risiken und Chancen, auch nicht nur um Industriepolitik und technologische Führerschaft oder die wirtschaftlichen Vorteile, die den führenden Staaten und Gesellschaften daraus erwachsen. Es geht zunehmend auch um geopolitische Machtprojektion durch »technopolitische Einflusssphären«, wie es die Autoren Schulze und Voelsen in ihrem Beitrag bezeichnen. Am deutlichsten wird das an der Auseinandersetzung um 5G und die Beteiligung chinesischer Firmen am Netzausbau.
Was ist in dieser Situation die richtige Strategie für Europa? Einige Beobachter empfehlen, Äquidistanz – also einen gleich großen Abstand – zu den beiden Rivalen zu halten. Sie sagen, das ist nicht möglich. Was ist die Alternative?
Äquidistanz ist keine Lösung. Wir sind den USA näher, und auch diejenigen Europäer, die Vertrauen in die USA als Garant europäischer Sicherheit verloren haben, wollen nicht stattdessen ihre Sicherheit und unseren »European Way of Life« von China garantiert sehen. Stattdessen geht es um das, was man europäische Selbstbehauptung nennen kann: dass Europa seine eigene Politik gegenüber China entwickelt, die aus souverän zu bestimmenden Prioritäten entsteht. Und darum, dass wir – wie die Autorinnen Lippert und Bendiek in ihrem Beitrag schreiben – es schaffen, eine supranationale Chinapolitik zu entwickeln, nicht nur nationale, im Wesentlichen von wirtschaftlichen Interessen getriebene Einzelpolitiken.
Welche Folgen hätte es, wenn Europa dies nicht gelänge?
Ohne eine solche supranationale Politik wird der Druck, sich innerhalb des sino-amerikanischen Rivalitätsrahmens für die eine oder andere Seite zu entscheiden, zunehmen. Wir erleben heute, dass wir mit amerikanischen Sanktionen umgehen müssen, etwa für den Handel mit Iran oder bestimmte Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Wenn Europa nicht selbstbewusst seine eigene Politik gegenüber China entwickelt, könnten wir leicht in eine Situation geraten, in der einzelne Staaten oder auch einzelne Firmen sich unter parallelen Sanktionsdrohungen der USA und Chinas befinden, nur mit der einen oder jedenfalls nicht mit der anderen Seite zu kooperieren. In der Konsequenz würden sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten dabei auseinanderdividieren, würde Europa nicht Stärke entwickeln, sondern verspielen.
Wie kann die EU angesichts der Uneinigkeit ihrer Mitgliedsstaaten über die Ausgestaltung des Verhältnisses zu den USA und zu China auf dem Weg der Selbstbehauptung voranschreiten?
Die Vorstellungen über das Verhältnis zu USA und China sind nicht völlig unterschiedlich. Es gibt ja keinen Staat, der die Westbindung nicht fortsetzen wollte. Aber ja, es gibt Staaten, die bilateral oder subregional eine engere Anbindung an China durchaus ins Auge fassen oder betreiben. Der richtige Weg ist, das gemeinsame europäische Auftreten tatsächlich zu organisieren. Ein großer, wichtiger Schritt dazu ist der geplante EU-China-Gipfel, der unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres in Leipzig stattfinden soll. Dort treffen sich nicht zwei oder drei großen EU-Staaten, sondern Vertreter aller 27 EU-Staaten mit chinesischen Gesprächspartnern.
Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion.
Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet
doi:10.18449/2020S01