Die Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens (PA) sind verpflichtet, bis zum 10. Februar 2025 neue national festgelegte Klimabeiträge (nationally determined contributions, NDCs) mit Zielen für das Jahr 2035 einzureichen. Diese »NDCs 3.0« sollen als umfassende Investitions- und Transformationspläne die Ergebnisse der ersten Globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) berücksichtigen, die auf der COP 28 in Dubai abgeschlossen wurde, und das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite halten. Verhärtete Positionen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern und der Konflikt um Finanzierung erschweren jedoch den Aufbau einer progressiven Koalition zur Entwicklung ambitionierter NDCs. Durch intensivere technische Unterstützung, diplomatische Initiativen und die Einbindung Brasiliens als Schlüsselakteur könnten Deutschland und die EU neuen Schwung in den NDC-3.0-Prozess bringen.
Zuletzt reichten die Vertragsstaaten des Pariser Abkommens (PA) ihre national festgelegten Klimabeiträge (nationally determined contributions, NDCs) in den Jahren 2020 und 2021 inmitten der globalen Corona-Pandemie ein. Im Hinblick auf die Ziele des PA sind die aktuellen NDCs jedoch von immensen Ambitions- und Implementierungslücken in allen Bereichen gekennzeichnet, wie die Vertragsstaaten 2023 mit der Globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) anerkannt haben. Die Umsetzung der bestehenden NDCs würde zu einem globalen Temperaturanstieg von 2,4 bis 2,6 Grad führen. Bis 2030 würden sie statt der laut IPCC notwendigen 43 Prozent die globalen Treibhausgasemissionen gegenüber 2019 lediglich um 5,3 Prozent senken. Ohne konditionale Elemente der NDCs – Maßnahmen, deren Umsetzung Entwicklungsländer von externer Finanzierung abhängig machen – würden sich die Emissionen sogar um 1,4 Prozent erhöhen. Hinzu kommt die Implementierungslücke: Derzeit reichen die Maßnahmen der Länder nicht aus, um die in NDCs vereinbarten Ziele für 2030 zu erreichen.
NDCs im Pariser Abkommen
NDCs sind das Herzstück des PA. Sie ersetzen die für Industrieländer (sogenannte Annex-I-Länder) verpflichtenden Treibhausgas-Minderungsziele des Kyoto-Protokolls. Schwellen- und Entwicklungsländer (die sogenannten Nicht-Annex-I-Länder) waren hingegen nicht zur Angabe von Minderungszielen verpflichtet, was politisch schwer lösbare Verteilungskonflikte entfachte. Staaten wie die USA oder Kanada weigerten sich, angesichts fehlender Verpflichtungen für andere große Emittenten wie China oder Indien Einschränkungen zu akzeptieren.
Statt dieser »top-down«-Zielsetzung bestimmen Länder den Umfang und die Art ihres Beitrages im PA in einem »bottom-up«-Prozess weitgehend selbst, verpflichten sich jedoch einem globalen Temperaturziel, nämlich die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter 2, möglichst aber 1,5 Grad zu begrenzen. Politisch erlaubt diese Freiwilligkeit, die in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) oft dominante Konfliktlinie zwischen Industrie- (Annex I) und Entwicklungsländern (nicht-Annex) zu überwinden. Das PA erteilt sämtlichen Vertragsstaaten den Auftrag, ab 2020 alle fünf Jahre neue NDCs vorzulegen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Emissionen vieler Schwellenländer seit der 1992 vorgenommenen Klassifizierung in Annex I und nicht-Annex enorm gestiegen sind. China beispielsweise ist zum weltweit größten Treibhausgas-Emittenten avanciert, mit erheblich höheren jährlichen Pro-Kopf-Emissionen (8,9 t CO2) als die EU (5,4 t CO2). Industrieländer sind aber aufgefordert, »weiterhin die Führung zu übernehmen«.
Die wesentliche Spannung des PA besteht zwischen der Freiwilligkeit der Beiträge und der für das Erreichen der Temperaturziele nötigen Ambition, also der Qualität und Höhe der NDCs. Überwinden sollen diese Spannung die Mechanismen des Progressionsprinzips: Erstens sollen Beiträge die »höchstmögliche Ambition« (Art. 4, Abs. 3) darstellen, die ihre gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten im Lichte der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten (Common but Differentiated Responsibilities and Respective Capabilities, CBDR-RC) widerspiegeln. Diese Ambition soll mit der Zeit sukzessive steigen. Zweitens soll durch den erweiterten Transparenzrahmen (enhanced transparency framework, ETF, Art. 13) Vergleichbarkeit zwischen NDCs sichergestellt und (fehlender) Fortschritt bei ihrer Umsetzung durch regelmäßige Berichte sichtbar gemacht werden. Der erste dieser Berichte muss Ende 2024 vorgelegt werden. Eine Bewertung der Höhe der Beiträge findet nicht statt. Auch existieren (jenseits von inoffiziellem »naming and shaming«) keine Sanktionsmechanismen für den Fall, dass selbstgesetzte Ziele nicht eingehalten werden. Drittens soll jedoch der Prozess des GST, wie 2023 bei der COP 28 in Dubai das erste Mal geschehen, den kollektiven Fortschritt bewerten, Lücken in allen Bereichen aufdecken und die nächste NDC-Runde entsprechend informieren. Finanzierung von Maßnahmen ist nicht Teil des Progressionsprinzips im engeren Sinne. Artikel 3 des PA erkennt jedoch an, dass die Entwicklungsländer Unterstützung für die Implementierung ihrer NDCs benötigen.
Die erste und zweite Generation der NDCs
Während der Erarbeitung der ersten NDCs 2015 und des Updates 2020/21 waren die Mechanismen des Progressionsprinzips noch nicht voll funktionsfähig, denn die Verhandlungen zum Regelwerk für NDCs dauerten bis 2018, teils bis 2021. Länder der Gruppe der gleichgesinnten Entwicklungsländer (like-minded developing countries, LMDCs) hatten versucht, unterschiedliche Standards zu etablieren und das Progressionsprinzip aufzuweichen. Ambitionierte Entwicklungs- und Industrieländer konnten dies jedoch weitestgehend verhindern. Bei der zweiten Generation der NDCs 2020/21 mit den Zielen für 2030 entfalteten die höheren und zunehmend standardisierten formalen Anforderungen ihre Wirkung: Waren die ersten NDCs 2015 eher kurze politische Deklarationen mit teils unklaren Angaben, enthielten 2020/21 94 Prozent der Aktualisierungen quantifizierbare Minderungsziele und 80 Prozent wirtschaftsweite Ziele, also nicht nur für einzelne Sektoren. Auch weitere Treibhausgase neben CO2, wie Methan, wurden vermehrt abgedeckt. NDCs entwickelten sich immer mehr zu robusten Planungsdokumenten und zeichneten sich durch eine bessere Datengrundlage und zunehmenden Rückhalt in den jeweiligen Regierungen aus.
Die zusätzliche Reduktion an Treibhausgasen in den zweiten NDCs fiel jedoch gering aus, und die Vergleichbarkeit der NDCs blieb eingeschränkt: Ziele, die nur »business as usual«-Szenarien als Basis nehmen, unklare Messmethoden im Landnutzungssektor und die häufig intransparente Verwendung von CO2-Entnahme beeinträchtigen nach wie vor die Qualität zahlreicher NDCs.
Da viele Entwicklungsländer zu mehr Klimaschutz bereit sind, aber die Umsetzung ambitionierter Minderungsziele häufig nur mit externer finanzieller Unterstützung möglich ist, enthalten ihre NDCs konditionale Elemente. In Kenias NDC zum Beispiel sind 79 Prozent der Minderungsmaßnahmen konditional, mit einem Kostenpunkt von 14 Milliarden US-Dollar. Zusammengerechnet übersteigen die konditionalen Elemente (1,6 Billionen US-Dollar insgesamt) aller NDCs das 100-Milliarden-US-Dollar-Ziel für Klimafinanzierung um ein Vielfaches. Die Industrieländer hatten sich 2009 darauf geeinigt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern zu mobilisieren. Die Kostenkalkulation der Minderungsmaßnahmen bleibt bei vielen Ländern undurchsichtig, so dass NDCs bisher meist nicht ohne weiteres als Grundlage für Investitionen dienen können.
Die dritte Generation der NDCs
Die nächste Generation an NDCs ist Anfang 2025 fällig und soll Ziele für 2035 beinhalten. Anhand von Empfehlungen aus der seit Verabschiedung des Pariser Abkommens erstmals vorgenommenen Globalen Bestandsaufnahme sollen sie zu sogenannten NDCs 3.0 weiterentwickelt werden. Diese Rhetorik wird von der UN, Industriestaaten, internationalen Organisationen, aber auch der Troika-Präsidentschaft der COP 28, 29 und 30 (Vereinigte Arabische Emirate, Aserbaidschan und Brasilien) lanciert. Obwohl das Konzept der NDCs 3.0 noch unscharf ist, können drei Elemente herausgestellt werden.
Erstens sollen die formalen Anforderungen an NDCs in der dritten Generation weiter angehoben werden. Der GST ermutigt sämtliche Länder, alle Treibhausgase und Wirtschaftssektoren in ihre Beiträge aufzunehmen – auch wenn hier laut Pariser Abkommen Industrieländer vorangehen und Entwicklungsländer sich diesem Standard »mit der Zeit« annähern sollen (Art. 4, Abs. 4 PA).
Zweitens sollen die NDCs durch neue inhaltliche Empfehlungen des GST an Ambition und sektoraler Schärfe gewinnen. NDCs 3.0 dringen so potentiell deutlich tiefer in den Raum nationaler Selbstbestimmung ein, denn Staaten sind zumindest aufgefordert zu erklären, wie sie die Empfehlungen des GST in ihren Beiträgen berücksichtigt haben. Im Bereich Minderung lassen sich zwölf Empfehlungen identifizieren. Dazu gehört unter anderem die explizite Aufforderung, NDCs kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel zu gestalten – eine hohe Hürde angesichts des geringen verbleibenden CO2-Budgets für 1,5-Grad-Minderungspfade. Das sogenannte Energiepaket des GST ermutigt zur Abkehr von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen, zur Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien und zur Verdopplung der Verbesserungsrate der Energieeffizienz bis 2030. Das Energiepaket soll dazu anreizen, NDCs mit ambitionierten sektoralen Teilzielen auszustatten, welche die real stattfindende Energiewende in den jeweiligen Ländern widerspiegeln und in NDCs verankern. Bisher enthalten 93 NDCs Ziele für erneuerbare Energien im Jahr 2030, nur 14 quantifizieren dafür die genaue Kapazität. Elf NDCs beinhalten einen klaren Plan zur Abkehr von fossiler Energie.
Drittens sollen NDCs verstärkt als Investitionspläne dienen, um die für ihre Umsetzung benötigten Finanzmittel zu mobilisieren. Aufbauend auf den konditionalen Elementen, die in rund drei Vierteln aller NDCs enthalten sind, sollen sie sektorale Umsetzungspläne mit detaillierten Investitionsbedarfen enthalten und so Zugang zu privater Finanzierung erleichtern. Diese Idee ist grundsätzlich nicht neu, wird im Kontext der NDCs-3.0-Rhetorik aber weiter forciert. Klar ist, dass es nicht den einen »one size fits all«-Investitionsplan geben kann, sondern dass jeder Plan vom Inhalt der nationalen NDCs und von den jeweiligen Finanzierungsbedingungen abhängig gemacht werden muss.
Zusammen bieten diese drei Elemente die Chance, NDCs zu umfassenden Planungsdokumenten weiterzuentwickeln. Insgesamt aber führt das Konzept der NDCs 3.0 die seit 2015 dominante »theory of change« des Pariser Abkommens fort: Um das Problem der Freiwilligkeit zu kompensieren, soll das Progressionsprinzip möglichst stringent gestaltet werden und NDCs an Reichweite, Komplexität und sektoraler Spezifität zunehmen.
NDCs und die alte Dichotomie
Starken Widerstand im Vorlauf zur Einreichung der NDCs 3.0 gibt es besonders gegen das zweite (höhere Ambitionen und sektorale Schärfe durch inhaltliche Empfehlungen des GST) und das dritte Element (NDCs als Investitionspläne). Beide Konflikte lassen sich darauf zurückführen, dass NDCs – und damit grundsätzlich das Modell zur Ambitionssteigerung des Pariser Abkommens im Bereich Minderung – zunehmend in das Fahrwasser des klassischen Konflikts zwischen Industrie- und Entwicklungsländern geraten. Einerseits wurde die Dichotomie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zuletzt bei Themen wie Verlusten und Schäden (loss and damage) und dem ersten GST überwunden: Bei der Gründung des Fonds für Verluste und Schäden versprachen mit Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gleich zu Beginn ein Industrie- und ein Schwellenland Mittel in Höhe von jeweils 100 Millionen US-Dollar. Später stimmte eine breite Koalition aus Industrie- und Entwicklungsländern dem GST mit seinem Energiepaket zu. Andererseits wurde die Konfliktlinie im UNFCCC-Kontext nie aufgelöst und dominiert vor allem Finanzierungsfragen, bei denen auch das PA die größten Unterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern anerkennt. Dazu kommen die geopolitischen Krisen der letzten Jahre, die das Vertrauen von Entwicklungsländern in multilaterale Prozesse und den Globalen Norden geschwächt haben. Weil das CO2-Budget für das Einhalten des 1,5-Grad-Temperaturziels rapide schrumpft, drohen Verteilungs- und Fairnessfragen bei den NDCs einzelner Länder wieder in den Vordergrund zu treten. Es ist genau dieser Konflikt, den das PA im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll minimieren wollte.
Deutungskonflikt zwischen Ländergruppen über die Umsetzung des GST
Sichtbar wird dieser Konflikt an zwei Stellen. Erstens ist seit Jahresbeginn 2024 ein Streit über den Charakter des GST und die Umsetzung seiner Empfehlungen entbrannt. Viele Entwicklungsländer, angeführt von LMDCs einschließlich Saudi-Arabien, Indien und China, argumentieren, der GST sei eher als »à la carte«-Menü denn als bindendes Gesamtpaket zu verstehen. Sie heben den nationalen Charakter der NDCs hervor und versuchen, die Spezifität und Reichweite des GST abzuschwächen. Damit wiederholen sie in weiten Teilen die eigentlich überwundenen Positionen aus den Verhandlungen zum GST im Vorjahr. Natürlich entspricht es nicht dem Geist des GST, einzelne Abschnitte zu Gas als Brückentechnologie hervorzuheben und gleichzeitig Abschnitte zu Energieeffizienz oder zur Abkehr von fossilen Energien außen vor zu lassen. Doch auch Industrieländer verfolgen den Ausbau erneuerbarer Energien merklich enthusiastischer als das Energieeffizienzziel. Die G7 einigten sich zwar auf eine Sprachregelung zum weitgehenden Kohleausstieg bis 2035 für ihre NDCs. Trotz der beschlossenen Abkehr von fossilen Energien betonten sie aber die Rolle von Erdgas für die Zukunft der Energieversorgung.
Dieser Streit flammte auch bei den Zwischenverhandlungen in Bonn im Juni 2024 auf, wo er vor allem die Verhandlungen zu einem Umsetzungsdialog für den GST dominierte. Die Wirkung des Dialogs mag begrenzt sein, aber die Verhandlungen brachten ans Licht, dass sich die Koalitionen und Taktiken des Themenbereichs im Vergleich zur COP 28 verschoben hatten. Während Industrieländer forderten, die Umsetzung des GST als Ganzes zu diskutieren, pochten LMDCs und afrikanische Länder darauf, dass sie unter »Umsetzung« ausschließlich finanzielle Unterstützung durch Industrieländer behandeln wollten. Dabei hatten die Industrieländer nur die Gruppe kleiner Inselstaaten auf ihrer Seite. Positiv war, dass die Gruppe lateinamerikanischer Länder (AILAC) eine konstruktive Brückenfunktion einnahm und schließlich den Kompromiss ermöglichte, im Rahmen des Dialogs die Umsetzung aller GST-Elemente jeweils mit einem Fokus auf Finanzierung zu bearbeiten.
NDCs und die Frage nach Finanzierung
Hier wird der zweite Konflikt deutlich, nämlich die Verbindung von NDCs und Finanzierung. Innerhalb der UNFCCC korrespondiert Finanzierung am stärksten mit der Dichotomie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und berührt direkt Fairness- und Gerechtigkeitsfragen. Schätzungen zufolge benötigen Nicht-Industrieländer (ohne China) ab 2030 jährlich 2,4 Billionen US-Dollar, um die grüne Transformation zu finanzieren. Seit der Verabschiedung des GST-Energiepakets ist klargeworden, dass die Kapazitäten für den Ausbau erneuerbarer Energien von enormen regionalen Unterschieden geprägt sind und fehlende Finanzmittel besonders in Afrika die höchste Hürde für eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 sind. Die aufgrund der Schuldenkrise angespannte fiskalische Situation und hohe Zinsen erschweren es afrikanischen und anderen Entwicklungsländern, die immensen Kapitalkosten für erneuerbare Energien zu stemmen.
Die Investitionspläne, welche die NDCs 3.0 enthalten sollen, sind zumindest als implizite Antwort auf die beträchtlichen Finanzierungslücken gedacht. Diese Idee reiht sich in Versuche der letzten Jahre ein, internationale Finanzflüsse mit dem PA kompatibel zu gestalten und in Richtung grüner Projekte zu lenken. Angesichts knappen öffentlichen Kapitals sollen Investitionspläne durch ihre Verankerung in NDCs eine klare politische Linie signalisieren und so mehr private Investitionen mobilisieren. Die genaue Form und damit auch das Potential solcher Investitionspläne bleiben bisher unklar. Doch ob Investitionspläne der transformativen Rhetorik der NDCs 3.0 gerecht werden können, scheint fraglich. Über solche Pläne verfügen bis heute meist kleine Volkswirtschaften wie der Inselstaat Barbados. Kenia veröffentlichte 2023 einen »Energiewende- und Investitionsplan«, anhand dessen Teile des NDCs umgesetzt und mit Entwicklungszielen zusammengebracht werden sollen. Außerhalb der UNFCCC sind Investitionspläne ein zentraler Bestandteil der Just Energy Transition Partnerships (JETPs). In Ländern wie Südafrika und Indonesien entwickelten die nationalen Regierungen für die JETPs detaillierte Pläne gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern einer Gruppe von Industrieländern, hauptsächlich aus der G7 (der sogenannten International Partners Group, IPG). Die Pläne offenbaren, wie bereits zugesagte Gelder der IPG bestmöglich für die Energiewende in den Ländern eingesetzt werden können, um die Klimaziele der jeweiligen NDCs zu erreichen. Die technische Komplexität dieser Pläne bei sektoraler Modellierung, Identifizierung von Projekten und Planung von Finanzierung brachte aber auch die G7-Partnerländer an den Rand ihrer Kapazität.
Durch die Verhandlungen zum neuen Klimafinanzierungsziel (new collective quantified goal, NCQG), das auf der COP 29 im November 2024 in Aserbaidschan beschlossen werden soll, erhält die Verknüpfung der nächsten NDCs mit Finanzierung zusätzliche Bedeutung. Das NCQG ersetzt das alte Ziel von jährlich 100 Milliarden US-Dollar bis 2025, das 2009 eingeführt und 2015 im Kontext des Pariser Abkommens bis 2025 verlängert wurde. Die Terminierung des NCQG auf der COP 29, nämlich nach dem GST (COP 28) und vor den neuen NDCs (COP 30), korrespondiert mit den Ansichten vieler Entwicklungsländer. Sie sehen finanzielle Unterstützung als Bedingung für ehrgeizige NDCs. Ein Vorstoß der Troika machte die Verknüpfung explizit: Sie fordert ein Neudenken von Ambition in NDCs (»reframing the ambition«). Das hieße, Entwicklungsländer sollen ihr Level an Minderungsanstrengungen in NDCs daran bemessen, wie viel Unterstützung und Finanzierung sie dafür von den Industrieländern erhalten. Besonders die aserbaidschanische Delegation vertrat diese Position wiederholt bei den Zwischenverhandlungen in Bonn im Juni 2024. Die Troika scheint zu versuchen, das NCQG und Artikel 9 des PA als Teil des Progressionsprinzips zu etablieren. Industrieländer, unter ihnen die USA und EU-Mitglieder, lehnen den Vorstoß kategorisch ab.
Diese Umdeutung des PA liegt sicher nicht im Interesse Deutschlands und der EU, ist aber Symptom eines größeren Problems. Da NDCs national festgelegt werden, können Entwicklungsländer die Höhe ihrer Minderungsziele von der Höhe des NCQG abhängig machen, wie sie in informellen Gesprächen auch verlauten lassen. Sie drehen damit die Reihenfolge von NDCs und Finanzierung (NCQG) im Vergleich zu den Investitionsplänen der NDCs 3.0 um. Es handelt sich um ein neues Kapitel in der alten Debatte zur Beziehung von Minderungsanstrengungen und Finanzierung, in deren Kontext das 100-Milliarden-US-Dollar-Ziel einst entstanden ist.
Initiativen zur Überwindung der Konfliktlinien
Die sich verschärfende Dichotomie zwischen Entwicklungs- und Industrieländern bringt politische Risiken für den NDC-Prozess, die das Progressionsprinzip des PA schwächen und weniger ambitionierte Klimabeiträge nach sich ziehen könnten. Die Gefahr besteht, dass der Konflikt die Einreichung der nächsten NDCs verzögert, falls Länder die Ergebnisse des NCQG im November 2024 abwarten sollten, um ihre NDCs zu formulieren oder womöglich erst den internen Startschuss für ihre Erarbeitung zu geben. Der steigende Anspruch an NDCs hat auch einen signifikanten Mehraufwand an technischer und administrativer Vorarbeit zur Folge, der kaum in wenigen Monaten zu bewältigen ist.
Auf politischer Ebene erschwert der Konflikt die Bildung einer breiten Koalition ambitionierter Länder für höhere Klimaziele. Die NDC-Deadline im Februar 2025 mag von den Vertragsstaaten eher weich ausgelegt werden, kann aber helfen, das so wichtige Momentum zu generieren und Druck auf zögerliche Staaten auszuüben. Gerade wohlhabende Industriestaaten der G7, deren NDCs trotz vergleichsweise geringer finanzieller Herausforderungen bisher nicht ausreichend ambitioniert sind, müssen hier mit gutem Beispiel vorangehen. International wird erwartet, dass die EU, die sich als Klima-Vorreiterin versteht, früh ein ambitioniertes NDC einreicht. Als Ausgangspunkt eines solchen diplomatischen Prozesses könnte dies eine positive politische Dynamik in Gang setzen. Wegen des Zeitpunkts der Europawahl und weil die künftige Kommission im Licht des GST ein neues Klimaziel für 2040 festlegen muss, wird das EU-NDC aber voraussichtlich erst Anfang 2025 vorliegen. Ein früher eingereichtes NDC droht zum Opfer der für Klimapolitik schwierigen politischen Konstellation zu werden: Rat und Kommission könnten das NDC nutzen, um das von der vorherigen Kommission vorgeschlagene Ziel von 90 Prozent Minderung bis 2040 zu verhindern, indem sie es durch ein vergleichsweise niedriges 2035-Ziel im NDC unrealistisch machen und den Spielraum des Parlaments in den kommenden Verhandlungen einschränken.
NDC 3.0 unterstützen
NDCs 3.0 führen die Logik des PA fort, durch stringente Anforderungen, sektorale Komponenten und die Integration in nationale Planungsprozesse eine Ambitionssteigerung zu erwirken. Dieses Potential sollte voll ausgeschöpft werden, was das noch zu unklare Konzept der NDCs 3.0 bisher nicht erlaubt. Institutionelles Zuhause des GST-Energiepakets ist die International Energy Agency (IEA), die erstmals offiziell mit der UNFCCC kooperiert. Mit ihrer Energieexpertise soll die IEA die Umsetzung des Energiepakets in ambitionierten NDCs vorantreiben. Darüber hinaus versucht UN-Generalsekretär Guterres zwar, das gesamte UN-System hinter den NDCs 3.0 zu mobilisieren, doch bessere Koordinierung bestehender Initiativen allein reicht nicht aus. Die von Deutschland mitbegründete NDC-Partnerschaft zum Beispiel, ein Zusammenschluss aus Ländern und internationalen Organisationen, hat zwar die Entwicklungsländer bei der Erarbeitung und Umsetzung ambitionierter NDCs unterstützt und ein neues Online-Tool vorgestellt, ansonsten aber ihr bestehendes Förderprogramm nur in Referenz zu NDCs 3.0 umbenannt. Wenn NDCs wirklich flächendeckend einen Schritt nach vorne machen sollen, müssten Organisationen wie die NDC-Partnerschaft zusätzliche umfassende technische Unterstützung durch neue Programme bereitstellen.
Das gilt besonders für Investitionspläne. Bisher bleibt das Konzept vage und wird nicht genug durch Beispiele oder bewährte Methoden (best practices) gefüllt. Hier sollte über NDC-nahe Organisationen wie etwa die NDC-Partnerschaft hinausgedacht werden. Nur die JETPs haben in den letzten Jahren einen strategischen Ansatz verfolgt, um private Mittel in großem Maßstab für Klima- und Energieprojekte zu mobilisieren und öffentliche Mittel in einem Umfang bereitzustellen, dass sie erste transformative Impulse geben können. Die Bilanz mag gemischt ausfallen. Dennoch sollte systematisch versucht werden, die Erfahrungen aus den JETP-Investitionsplänen für NDCs nutzbar zu machen. Gefragt sind hier in erster Linie G7-Länder und multilaterale Entwicklungsbanken, denen in diesem Bereich die meiste technische Kompetenz zugesprochen wird. Investitionspläne mögen angesichts der hohen finanziellen Bedarfe nicht die gewünschte Wirkung entfalten, aber formuliert werden müssen sie für die Umsetzung der NDCs ohnehin.
NDC-Diplomatie ausweiten
Große Emittenten wie die Mitglieder der G20 werden aber nicht allein durch mehr technische Unterstützung und bessere Investitionspläne ehrgeizige Ziele beschließen. Es bedarf diplomatischer Initiativen, welche die dargelegten politischen Differenzen überwinden oder wenigstens mindern. Der dezentrale NDC-Prozess erschwert das, da ihm im Gegensatz zu einer COP-Verhandlung die räumliche und zeitliche Konzentration fehlt. Stattdessen muss eine ambitionierte Koalition aus Akteuren über einen längeren Zeitraum sowohl hinter verschlossenen Türen, in multilateralen Foren als auch öffentlich durch eigene NDCs Druck auf zögerliche große Emittenten aufbauen. Neben viel diplomatischer Arbeit ist politische Unterstützung auf höchster Ebene vonnöten.
Ein Weg könnte hier die von Außenministerin Baerbock während des diesjährigen Petersberger Klimadialogs angekündigte Multi-Stakeholder-Allianz sein. Diese solle Ministerien, Finanzinstitutionen, private Finanzakteure sowie die Zivilgesellschaft, indigene Völker, internationale Organisationen und bestehende Initiativen zusammenbringen, um Unterstützung und erforderliche Finanzmittel für ambitionierte NDCs zu mobilisieren. Die Allianz könnte ein wichtiges Instrument sein, um NDCs auf die internationale politische Agenda zu heben und vor allem sicherzustellen, dass die internationalen Finanzinstitutionen einbezogen werden.
Inhaltlich sollte hier das Energiepaket des GST im Vordergrund stehen. Im Hinblick auf NDCs von Schwellenländern mit hohen Emissionen sollten Deutschland und die EU der Umsetzung des GST und ambitionierten sektoralen Zielen im Energiebereich größeren Wert beimessen als der 1,5-Grad-Kompatibilität einzelner NDCs. Das hat mehrere Gründe: So ist es wissenschaftlich fragwürdig, NDCs einzelner Länder mit begrenztem Zeitraum (etwa 2035–40) mit globalen 1,5-Grad-Minderungspfaden bis 2100 gleichzusetzen. Wenn doch, funktioniert es nur aufgrund von Annahmen über die faire oder effektive Verteilung des verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel, was die Gräben zwischen Industrie- und Entwicklungsländern vertiefen würde. Dagegen bietet die Umsetzung des GST die Chance, die real stattfindende Energiewende weiter in der internationalen Klimapolitik zu verankern und ihr beträchtliches Potential für Treibhausgasminderung besser auszuschöpfen. Wie die COP 28 erwiesen hat, eröffnen sich hier Möglichkeiten für Koalitionen jenseits der klassischen Dichotomie. Dafür müssen Deutschland und die EU mit wichtigen Schwellenländern, allen voran der Gruppe der LMDCs, spätestens zur COP 29 auf eine klare gemeinsame Auslegung des Energiepakets hinarbeiten. Eine entsprechende Formulierung in der Abschlusserklärung der brasilianischen G20-Präsidentschaft könnte hier einen wichtigen Impuls liefern.
Brasilien als Schlüsselakteur
Auch an anderer Stelle kommt Brasilien eine wichtige Rolle für die Überwindung der Konfliktlinien zu. Brasiliens internationales Ansehen als Präsidentschaft der COP 30 hängt maßgeblich davon ab, ob die Länder rechtzeitig vor der Konferenz ambitionierte NDCs einreichen. Innerhalb der Troika hat Brasilien ein Interesse, dass die Konzentration auf die COP 29 und das Thema Finanzierung die eigene COP-Präsidentschaft nicht untergräbt – auch wenn es selbst darauf pocht, ambitionierte NDCs an versprochene Finanzierung zu knüpfen. Gemeinsam mit den anderen Troika-Mitgliedern VAE und Aserbaidschan hat Brasilien sich verpflichtet, bis 2025 ein mit dem 1,5-Grad-Ziel konformes NDC einzureichen und einen inklusiven Prozess zur NDC-Erstellung einzuleiten, der die Zivilgesellschaft und indigene Gemeinschaften einschließt.
Die enge Einbindung Brasiliens in den Aufbau der Multi-Stakeholder-Allianz und damit zusammenhängende Aktivitäten würde deren Wirkmächtigkeit erhöhen. Koordinierte diplomatische Aktivitäten mit Brasilien könnten potentielle Vorreiter ermutigen, ambitionierte NDCs bereits auf der COP 29 vorzulegen und eine positive politische Dynamik für die NDCs zu schaffen, bevor das NCQG verabschiedet ist.
Auch sollten Brücken zu anderen Prozessen wie der G20 Sustainable Finance Working Group (SFWG) geschlagen werden, um einen holistischen NDC-Prozess zu fördern. Brasilien hat hier einen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung von Finanzrahmen für die Klimatransformation gelegt und baut damit auf das G20 Transition Finance Framework aus dem Jahr 2022 auf. Mit diesem Vorstoß zielt die G20 darauf ab, einheitliche Transformationspläne einschließlich Finanzierungsrahmen zu erstellen. Initiativen wie diese bieten die Chance, Klimafinanzierung und ambitionierte NDCs als gegenseitig förderlich zu behandeln, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Die Allianz könnte gemeinsam auf Länder wie Saudi-Arabien zugehen, das sowohl bei der GST-Umsetzung als auch der SFWG als Blockierer auftritt.
Ole Adolphsen ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und im Projekt »Klimaaußenpolitik und Mehrebenengovernance«. Jule Könneke ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und Leiterin des Projekts »Deutsche Klimadiplomatie im Kontext des European Green Deal«. Dr. Sonja Thielges ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
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DOI: 10.18449/2024A37