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Die dritte Generation der Nationalen Klimabeiträge

Der Kern des Pariser Klimaabkommens steht auf dem Spiel

SWP-Aktuell 2024/A 37, 19.07.2024, 8 Pages

doi:10.18449/2024A37

Research Areas

Die Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens (PA) sind verpflichtet, bis zum 10. Februar 2025 neue national festgelegte Klimabeiträge (nationally determined contributions, NDCs) mit Zielen für das Jahr 2035 einzureichen. Diese »NDCs 3.0« sollen als umfassende Investitions- und Transformationspläne die Ergebnisse der ersten Globa­len Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) berücksichtigen, die auf der COP 28 in Dubai abgeschlossen wurde, und das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite halten. Verhärtete Positionen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern und der Konflikt um Finan­zierung erschweren jedoch den Aufbau einer progressiven Koali­tion zur Entwicklung ambitionierter NDCs. Durch intensivere technische Unter­stützung, diplomatische Initiativen und die Einbindung Brasiliens als Schlüsselakteur könnten Deutschland und die EU neuen Schwung in den NDC-3.0-Prozess bringen.

Zuletzt reichten die Vertragsstaaten des Pariser Abkommens (PA) ihre national fest­gelegten Klimabeiträge (nationally deter­mined contributions, NDCs) in den Jahren 2020 und 2021 inmitten der globalen Corona-Pandemie ein. Im Hinblick auf die Ziele des PA sind die aktuellen NDCs jedoch von immensen Ambitions- und Implementierungslücken in allen Bereichen gekennzeichnet, wie die Vertragsstaaten 2023 mit der Globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) anerkannt haben. Die Um­setzung der bestehenden NDCs würde zu einem globalen Temperaturanstieg von 2,4 bis 2,6 Grad führen. Bis 2030 würden sie statt der laut IPCC notwendigen 43 Prozent die globalen Treibhausgasemissionen gegen­über 2019 lediglich um 5,3 Pro­zent senken. Ohne konditionale Elemente der NDCs – Maßnahmen, deren Umsetzung Entwicklungsländer von externer Finanzierung abhängig machen – würden sich die Emissionen sogar um 1,4 Prozent erhöhen. Hinzu kommt die Implementierungslücke: Derzeit reichen die Maßnahmen der Länder nicht aus, um die in NDCs vereinbarten Ziele für 2030 zu erreichen.

NDCs im Pariser Abkommen

NDCs sind das Herzstück des PA. Sie erset­zen die für Industrieländer (sogenannte Annex-I-Länder) verpflichtenden Treibhausgas-Minderungsziele des Kyoto-Protokolls. Schwellen- und Entwicklungsländer (die sogenannten Nicht-Annex-I-Länder) waren hingegen nicht zur Angabe von Minderungs­zielen verpflichtet, was politisch schwer lös­bare Verteilungskonflikte entfachte. Staaten wie die USA oder Kanada weigerten sich, angesichts fehlender Ver­pflichtungen für andere große Emittenten wie China oder Indien Einschränkungen zu akzeptieren.

Statt dieser »top-down«-Zielsetzung bestimmen Länder den Umfang und die Art ihres Beitrages im PA in einem »bottom-up«-Prozess weitgehend selbst, verpflichten sich jedoch einem globalen Temperaturziel, nämlich die Erderwärmung gegen­über dem vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter 2, möglichst aber 1,5 Grad zu begrenzen. Politisch erlaubt diese Freiwilligkeit, die in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (United Nations Framework Con­vention on Climate Change, UNFCCC) oft dominante Konfliktlinie zwischen Industrie- (Annex I) und Entwicklungsländern (nicht-Annex) zu überwinden. Das PA erteilt sämt­lichen Vertragsstaaten den Auftrag, ab 2020 alle fünf Jahre neue NDCs vorzulegen. Dies ist auch deshalb wichtig, weil die Emissionen vieler Schwellenländer seit der 1992 vorgenommenen Klassifizierung in Annex I und nicht-Annex enorm gestie­gen sind. China beispielsweise ist zum weltweit größ­ten Treib­hausgas-Emit­ten­ten avanciert, mit erheblich höheren jährlichen Pro-Kopf-Emissionen (8,9 t CO2) als die EU (5,4 t CO2). Industrieländer sind aber aufgefordert, »weiterhin die Führung zu übernehmen«.

Die wesentliche Spannung des PA besteht zwischen der Freiwilligkeit der Bei­träge und der für das Erreichen der Tempe­raturziele nötigen Ambition, also der Qua­lität und Höhe der NDCs. Überwinden sollen diese Spannung die Mechanismen des Progressionsprinzips: Erstens sollen Beiträge die »höchstmögliche Ambition« (Art. 4, Abs. 3) darstellen, die ihre gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten im Lichte der unter­schiedlichen nationalen Gegebenheiten (Common but Differentiated Responsibilities and Respective Capabilities, CBDR-RC) widerspiegeln. Diese Ambition soll mit der Zeit sukzessive steigen. Zwei­tens soll durch den erweiterten Transparenzrahmen (enhanced transparency frame­work, ETF, Art. 13) Vergleichbarkeit zwi­schen NDCs sichergestellt und (fehlender) Fortschritt bei ihrer Umsetzung durch regelmäßige Berichte sichtbar gemacht wer­den. Der erste dieser Berichte muss Ende 2024 vorgelegt werden. Eine Bewertung der Höhe der Beiträge findet nicht statt. Auch existieren (jenseits von inoffiziellem »nam­ing and shaming«) keine Sanktionsmechanismen für den Fall, dass selbstgesetzte Ziele nicht eingehalten werden. Drittens soll jedoch der Prozess des GST, wie 2023 bei der COP 28 in Dubai das erste Mal geschehen, den kollekti­ven Fortschritt bewer­ten, Lücken in allen Berei­chen aufdecken und die nächste NDC-Runde entsprechend infor­mieren. Finan­zierung von Maß­nahmen ist nicht Teil des Progressionsprinzips im engeren Sinne. Artikel 3 des PA erkennt jedoch an, dass die Entwicklungsländer Unterstützung für die Implementierung ihrer NDCs benötigen.

Die erste und zweite Generation der NDCs

Während der Erarbeitung der ersten NDCs 2015 und des Updates 2020/21 waren die Mechanismen des Progressionsprinzips noch nicht voll funktionsfähig, denn die Verhandlungen zum Regelwerk für NDCs dauerten bis 2018, teils bis 2021. Länder der Gruppe der gleichgesinnten Entwicklungsländer (like-minded developing coun­tries, LMDCs) hatten versucht, unterschiedliche Standards zu etablieren und das Pro­gressi­onsprinzip aufzuweichen. Ambitio­nierte Entwicklungs- und Industrieländer konnten dies jedoch weitestgehend ver­hindern. Bei der zweiten Generation der NDCs 2020/21 mit den Zielen für 2030 entfalteten die höheren und zunehmend standar­disierten formalen Anforderungen ihre Wirkung: Waren die ersten NDCs 2015 eher kurze politische Deklarationen mit teils unklaren Angaben, enthielten 2020/21 94 Prozent der Aktualisierungen quantifizierbare Minderungsziele und 80 Prozent wirtschaftsweite Ziele, also nicht nur für einzelne Sektoren. Auch weitere Treibhausgase neben CO2, wie Methan, wurden ver­mehrt abgedeckt. NDCs entwickelten sich immer mehr zu robusten Planungsdokumenten und zeichneten sich durch eine bessere Datengrundlage und zunehmenden Rückhalt in den jeweiligen Regierungen aus.

Die zusätzliche Reduktion an Treibhausgasen in den zweiten NDCs fiel jedoch gering aus, und die Vergleichbarkeit der NDCs blieb eingeschränkt: Ziele, die nur »business as usual«-Szenarien als Basis neh­men, unklare Messmethoden im Land­nutzungssektor und die häufig intransparente Verwendung von CO2-Entnahme beeinträchtigen nach wie vor die Qualität zahlreicher NDCs.

Da viele Entwicklungsländer zu mehr Klimaschutz bereit sind, aber die Umsetzung ambitionierter Minderungsziele häufig nur mit externer finanzieller Unter­stützung möglich ist, enthalten ihre NDCs konditionale Elemente. In Kenias NDC zum Beispiel sind 79 Prozent der Minderungsmaßnahmen konditional, mit einem Kostenpunkt von 14 Milliarden US-Dollar. Zusammen­gerechnet übersteigen die konditionalen Ele­mente (1,6 Billionen US-Dollar insgesamt) aller NDCs das 100-Milliarden-US-Dollar-Ziel für Klimafinanzierung um ein Vielfaches. Die Indus­trieländer hatten sich 2009 darauf geeinigt, ab 2020 jährlich 100 Mil­liarden US-Dollar für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern zu mobilisieren. Die Kostenkalkulation der Minderungsmaßnahmen bleibt bei vielen Ländern undurchsichtig, so dass NDCs bis­her meist nicht ohne weiteres als Grund­lage für Investitionen dienen können.

Die dritte Generation der NDCs

Die nächste Generation an NDCs ist An­fang 2025 fällig und soll Ziele für 2035 beinhalten. Anhand von Emp­feh­lungen aus der seit Verabschiedung des Pariser Abkommens erstmals vorgenommenen Glo­balen Bestandsaufnahme sollen sie zu sogenannten NDCs 3.0 weiterentwickelt werden. Diese Rhetorik wird von der UN, Industriestaaten, internationalen Organisationen, aber auch der Troika-Präsidentschaft der COP 28, 29 und 30 (Vereinigte Arabische Emirate, Aser­baidschan und Brasilien) lanciert. Obwohl das Konzept der NDCs 3.0 noch unscharf ist, können drei Ele­mente herausgestellt werden.

Erstens sollen die formalen Anforderungen an NDCs in der dritten Generation weiter angehoben werden. Der GST ermu­tigt sämtliche Länder, alle Treibhausgase und Wirtschaftssektoren in ihre Beiträge auf­zunehmen – auch wenn hier laut Pariser Abkommen Industrieländer voran­gehen und Entwicklungsländer sich diesem Stan­dard »mit der Zeit« annähern sollen (Art. 4, Abs. 4 PA).

Zweitens sollen die NDCs durch neue inhaltliche Empfehlungen des GST an Am­bition und sektoraler Schärfe gewinnen. NDCs 3.0 dringen so potentiell deutlich tiefer in den Raum nationaler Selbst­bestim­mung ein, denn Staaten sind zumin­dest aufgefordert zu erklären, wie sie die Emp­fehlungen des GST in ihren Beiträgen berücksichtigt haben. Im Bereich Minderung lassen sich zwölf Empfehlungen iden­tifizieren. Dazu gehört unter anderem die explizite Aufforderung, NDCs kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel zu gestalten – eine hohe Hürde an­gesichts des geringen ver­bleibenden CO2-Budgets für 1,5-Grad-Minde­rungspfade. Das sogenannte Energiepaket des GST ermutigt zur Abkehr von fossilen Brennstoffen in den Energiesystemen, zur Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien und zur Verdopplung der Ver­besserungsrate der Energieeffizienz bis 2030. Das Energiepaket soll dazu anreizen, NDCs mit ambitionierten sektoralen Teil­zielen auszustatten, welche die real statt­findende Energiewende in den jeweiligen Ländern widerspiegeln und in NDCs ver­ankern. Bisher enthalten 93 NDCs Ziele für erneuerbare Energien im Jahr 2030, nur 14 quantifizieren dafür die genaue Kapazi­tät. Elf NDCs beinhalten einen klaren Plan zur Abkehr von fossiler Energie.

Drittens sollen NDCs verstärkt als Investitionspläne dienen, um die für ihre Umset­zung benötigten Finanzmittel zu mobilisieren. Aufbauend auf den konditionalen Elementen, die in rund drei Vierteln aller NDCs enthalten sind, sollen sie sektorale Umsetzungspläne mit detaillierten Inves­ti­tionsbedarfen enthalten und so Zugang zu privater Finanzierung erleichtern. Diese Idee ist grundsätzlich nicht neu, wird im Kontext der NDCs-3.0-Rhetorik aber wei­ter forciert. Klar ist, dass es nicht den einen »one size fits all«-Investitionsplan geben kann, sondern dass jeder Plan vom Inhalt der natio­nalen NDCs und von den jeweiligen Finan­zierungsbedingungen abhängig gemacht werden muss.

Zusammen bieten diese drei Elemente die Chance, NDCs zu umfassenden Pla­nungsdokumenten weiterzuentwickeln. Insgesamt aber führt das Konzept der NDCs 3.0 die seit 2015 dominante »theory of change« des Pariser Abkommens fort: Um das Problem der Freiwilligkeit zu kompensieren, soll das Progressionsprinzip mög­lichst stringent gestaltet werden und NDCs an Reichweite, Komplexität und sektoraler Spezifität zunehmen.

NDCs und die alte Dichotomie

Starken Widerstand im Vorlauf zur Ein­reichung der NDCs 3.0 gibt es ­besonders gegen das zweite (höhere Ambi­tionen und sektorale Schärfe durch inhalt­liche Empfeh­lungen des GST) und das dritte Element (NDCs als Investitionspläne). Beide Kon­flikte lassen sich darauf zurückführen, dass NDCs – und damit grundsätzlich das Modell zur Ambi­tions­steigerung des Pariser Abkommens im Bereich Minderung – zuneh­mend in das Fahrwasser des klassischen Konflikts zwischen Industrie- und Entwicklungs­ländern geraten. Einerseits wurde die Dicho­tomie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zuletzt bei Themen wie Ver­lusten und Schäden (loss and damage) und dem ersten GST überwunden: Bei der Grün­dung des Fonds für Verluste und Schäden ver­sprachen mit Deutschland und den Ver­einigten Arabischen Emiraten (VAE) gleich zu Beginn ein Industrie- und ein Schwellenland Mittel in Höhe von jeweils 100 Millio­nen US-Dollar. Später stimmte eine breite Koalition aus Industrie- und Entwick­lungs­ländern dem GST mit seinem Energiepaket zu. Andererseits wurde die Konfliktlinie im UNFCCC-Kontext nie aufgelöst und domi­niert vor allem Finanzierungsfragen, bei denen auch das PA die größten Unterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern anerkennt. Dazu kommen die geo­politischen Krisen der letz­ten Jahre, die das Vertrauen von Entwicklungsländern in multilaterale Prozesse und den Globalen Norden geschwächt haben. Weil das CO2-Budget für das Einhalten des 1,5-Grad-Temperaturziels rapide schrumpft, drohen Verteilungs- und Fairnessfragen bei den NDCs einzelner Länder wieder in den Vordergrund zu tre­ten. Es ist genau dieser Konflikt, den das PA im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll minimieren wollte.

Deutungskonflikt zwischen Ländergruppen über die Umsetzung des GST

Sichtbar wird dieser Konflikt an zwei Stellen. Erstens ist seit Jahresbeginn 2024 ein Streit über den Charakter des GST und die Umsetzung seiner Empfehlungen ent­brannt. Viele Entwicklungsländer, ange­führt von LMDCs einschließlich Saudi-Arabien, Indien und China, argumentieren, der GST sei eher als »à la carte«-Menü denn als bindendes Gesamtpaket zu verstehen. Sie heben den nationalen Charak­ter der NDCs hervor und versuchen, die Spezifität und Reichweite des GST abzuschwächen. Damit wiederholen sie in weiten Teilen die eigentlich über­wundenen Positionen aus den Verhandlungen zum GST im Vorjahr. Natürlich ent­spricht es nicht dem Geist des GST, einzelne Abschnitte zu Gas als Brücken­technologie hervorzuheben und gleichzeitig Abschnitte zu Energieeffizienz oder zur Abkehr von fossilen Energien außen vor zu lassen. Doch auch Industrieländer verfolgen den Ausbau erneuerbarer Energien merklich enthusiastischer als das Energieeffizienzziel. Die G7 einigten sich zwar auf eine Sprachregelung zum weit­gehenden Kohleausstieg bis 2035 für ihre NDCs. Trotz der beschlossenen Abkehr von fossilen Ener­gien betonten sie aber die Rolle von Erdgas für die Zukunft der Energieversorgung.

Dieser Streit flammte auch bei den Zwischenverhandlungen in Bonn im Juni 2024 auf, wo er vor allem die Verhandlungen zu einem Umsetzungsdialog für den GST dominierte. Die Wirkung des Dialogs mag begrenzt sein, aber die Verhandlungen brachten ans Licht, dass sich die Koalitionen und Taktiken des Themenbereichs im Vergleich zur COP 28 verschoben hatten. Während Industrieländer forderten, die Umsetzung des GST als Ganzes zu diskutieren, pochten LMDCs und afrikanische Länder darauf, dass sie unter »Umsetzung« ausschließlich finanzielle Unterstützung durch Industrieländer behan­deln wollten. Dabei hatten die In­dus­trieländer nur die Gruppe kleiner Inselstaaten auf ihrer Seite. Positiv war, dass die Gruppe lateinamerikanischer Länder (AILAC) eine konstruktive Brückenfunktion einnahm und schließlich den Kompromiss ermöglichte, im Rahmen des Dialogs die Umsetzung aller GST-Ele­mente jeweils mit einem Fokus auf Finan­zierung zu bear­beiten.

NDCs und die Frage nach Finanzierung

Hier wird der zweite Konflikt deutlich, nämlich die Verbindung von NDCs und Finanzierung. Innerhalb der UNFCCC korrespondiert Finanzierung am stärksten mit der Dicho­tomie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und berührt direkt Fairness- und Gerechtigkeitsfragen. Schätzungen zufolge benötigen Nicht-Industrieländer (ohne China) ab 2030 jähr­lich 2,4 Billionen US-Dollar, um die grüne Transforma­tion zu finanzieren. Seit der Verabschiedung des GST-Energiepakets ist klargeworden, dass die Kapazitäten für den Ausbau erneuerbarer Energien von enormen regio­nalen Unterschieden geprägt sind und fehlende Finanzmittel besonders in Afrika die höchste Hürde für eine Ver­dreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 sind. Die aufgrund der Schuldenkrise angespannte fiskalische Situation und hohe Zinsen erschweren es afrikanischen und anderen Entwicklungsländern, die immen­sen Kapitalkosten für erneuerbare Energien zu stemmen.

Die Investitionspläne, welche die NDCs 3.0 enthalten sollen, sind zumindest als impli­zite Antwort auf die beträchtlichen Finanzierungslücken gedacht. Diese Idee reiht sich in Versuche der letzten Jahre ein, inter­natio­nale Finanzflüsse mit dem PA kom­patibel zu gestalten und in Richtung grüner Projekte zu lenken. Angesichts knappen öffentlichen Kapitals sollen Inves­titions­pläne durch ihre Verankerung in NDCs eine klare politische Linie signalisieren und so mehr private Investitionen mobilisieren. Die genaue Form und damit auch das Potential solcher Investitionspläne bleiben bisher unklar. Doch ob Investitions­pläne der transformativen Rhetorik der NDCs 3.0 gerecht werden können, scheint fraglich. Über solche Pläne verfügen bis heute meist kleine Volkswirtschaften wie der Inselstaat Barbados. Kenia veröffent­lichte 2023 einen »Energiewende- und Investitionsplan«, anhand dessen Teile des NDCs umgesetzt und mit Entwicklungs­zielen zusammen­gebracht werden sollen. Außerhalb der UNFCCC sind Inves­titions­pläne ein zentra­ler Bestandteil der Just Energy Transition Partnerships (JETPs). In Ländern wie Süd­afrika und Indonesien entwickelten die nationalen Regierungen für die JETPs detaillierte Pläne gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern einer Grup­pe von Industrieländern, hauptsächlich aus der G7 (der sogenannten Internatio­nal Partners Group, IPG). Die Pläne offen­baren, wie bereits zugesagte Gelder der IPG bestmöglich für die Energiewende in den Ländern eingesetzt werden können, um die Klima­ziele der jeweiligen NDCs zu errei­chen. Die technische Komplexität dieser Pläne bei sektoraler Modellierung, Identifi­zierung von Projekten und Planung von Finanzierung brachte aber auch die G7-Part­ner­länder an den Rand ihrer Kapazität.

Durch die Ver­handlungen zum neuen Klimafinanzierungsziel (new collective quantified goal, NCQG), das auf der COP 29 im November 2024 in Aserbaidschan be­schlossen werden soll, erhält die Ver­knüp­fung der nächsten NDCs mit Finanzierung zusätzliche Bedeu­tung. Das NCQG ersetzt das alte Ziel von jährlich 100 Milliarden US-Dollar bis 2025, das 2009 eingeführt und 2015 im Kontext des Pariser Abkommens bis 2025 verlängert wurde. Die Terminierung des NCQG auf der COP 29, nämlich nach dem GST (COP 28) und vor den neuen NDCs (COP 30), korrespondiert mit den Ansichten vieler Entwicklungsländer. Sie sehen finan­zielle Unterstützung als Bedingung für ehr­geizige NDCs. Ein Vor­stoß der Troika machte die Verknüpfung explizit: Sie fordert ein Neu­denken von Ambition in NDCs (»re­framing the ambition«). Das hieße, Entwicklungsländer sollen ihr Level an Minderungs­anstrengungen in NDCs daran bemessen, wie viel Unterstützung und Finanzierung sie dafür von den Industrieländern erhalten. Beson­ders die aserbaidschanische Delegation vertrat diese Position wieder­holt bei den Zwischen­verhandlungen in Bonn im Juni 2024. Die Troika scheint zu versuchen, das NCQG und Artikel 9 des PA als Teil des Progressionsprinzips zu etablie­ren. Indus­trie­länder, unter ihnen die USA und EU-Mit­glieder, lehnen den Vorstoß kategorisch ab.

Diese Umdeutung des PA liegt sicher nicht im Interesse Deutschlands und der EU, ist aber Symptom eines größeren Pro­blems. Da NDCs national festgelegt werden, können Entwicklungsländer die Höhe ihrer Minderungsziele von der Höhe des NCQG abhängig machen, wie sie in informellen Gesprächen auch verlauten lassen. Sie drehen damit die Reihenfolge von NDCs und Finanzierung (NCQG) im Vergleich zu den Investitionsplänen der NDCs 3.0 um. Es handelt sich um ein neues Kapitel in der alten Debatte zur Beziehung von Minderungsanstrengungen und Finan­zierung, in deren Kontext das 100-Milliarden-US-Dollar-Ziel einst entstanden ist.

Initiativen zur Überwindung der Konfliktlinien

Die sich verschärfende Dichotomie zwi­schen Entwicklungs- und Industrieländern bringt politische Risiken für den NDC-Prozess, die das Progressionsprinzip des PA schwächen und weniger ambitionierte Klimabeiträge nach sich ziehen könnten. Die Gefahr besteht, dass der Konflikt die Einreichung der näch­sten NDCs verzögert, falls Länder die Ergeb­nisse des NCQG im November 2024 abwar­ten sollten, um ihre NDCs zu formulieren oder womöglich erst den internen Startschuss für ihre Erarbeitung zu geben. Der steigende An­spruch an NDCs hat auch einen signifikanten Mehr­aufwand an technischer und administra­ti­ver Vorarbeit zur Folge, der kaum in weni­gen Monaten zu bewältigen ist.

Auf politischer Ebene erschwert der Konflikt die Bildung einer breiten Koalition ambitionierter Länder für höhere Klima­ziele. Die NDC-Deadline im Februar 2025 mag von den Vertragsstaaten eher weich ausgelegt werden, kann aber helfen, das so wichtige Momentum zu generieren und Druck auf zögerliche Staaten auszuüben. Gerade wohlhabende Industriestaaten der G7, deren NDCs trotz vergleichsweise gerin­ger finanzieller Herausforderungen bisher nicht ausreichend ambitioniert sind, müs­sen hier mit gutem Beispiel vorangehen. International wird erwartet, dass die EU, die sich als Klima-Vorreiterin versteht, früh ein ambitioniertes NDC einreicht. Als Aus­gangspunkt eines solchen diplomatischen Prozesses könnte dies eine positive politi­sche Dynamik in Gang setzen. Wegen des Zeitpunkts der Europawahl und weil die künftige Kommission im Licht des GST ein neues Klimaziel für 2040 festlegen muss, wird das EU-NDC aber vor­aus­sichtlich erst Anfang 2025 vorliegen. Ein früher ein­gereichtes NDC droht zum Opfer der für Klimapolitik schwierigen politischen Kon­stellation zu werden: Rat und Kommission könnten das NDC nutzen, um das von der vorherigen Kommission vorgeschlagene Ziel von 90 Prozent Minderung bis 2040 zu verhindern, indem sie es durch ein ver­gleichsweise niedriges 2035-Ziel im NDC unrealistisch machen und den Spielraum des Par­la­ments in den kommenden Ver­handlungen einschränken.

NDC 3.0 unterstützen

NDCs 3.0 führen die Logik des PA fort, durch stringente Anforderungen, sektorale Komponenten und die Integration in natio­nale Planungsprozesse eine Ambitionssteigerung zu erwirken. Dieses Potential sollte voll ausgeschöpft werden, was das noch zu unklare Konzept der NDCs 3.0 bisher nicht erlaubt. Institutionelles Zuhause des GST-Energiepakets ist die International Energy Agency (IEA), die erstmals offiziell mit der UNFCCC kooperiert. Mit ihrer Energieexpertise soll die IEA die Umsetzung des Energie­pakets in ambitionierten NDCs vorantreiben. Darüber hinaus versucht UN-General­sekre­tär Guterres zwar, das gesamte UN-System hinter den NDCs 3.0 zu mobilisieren, doch bessere Koordinierung bestehender Initia­tiven allein reicht nicht aus. Die von Deutschland mitbegründete NDC-Part­nerschaft zum Beispiel, ein Zusammenschluss aus Ländern und internationalen Organisationen, hat zwar die Entwicklungsländer bei der Erarbeitung und Umsetzung ambitionierter NDCs unterstützt und ein neues Online-Tool vorgestellt, ansonsten aber ihr beste­hendes Förderprogramm nur in Referenz zu NDCs 3.0 umbenannt. Wenn NDCs wirk­lich flächendeckend einen Schritt nach vorne machen sollen, müssten Organi­sationen wie die NDC-Partnerschaft zusätz­liche umfassende technische Unterstützung durch neue Programme bereitstellen.

Das gilt besonders für Investitionspläne. Bisher bleibt das Konzept vage und wird nicht genug durch Beispiele oder bewährte Methoden (best practices) gefüllt. Hier sollte über NDC-nahe Organisationen wie etwa die NDC-Part­ner­schaft hinausgedacht wer­den. Nur die JETPs haben in den letzten Jahren einen strategischen Ansatz verfolgt, um private Mittel in großem Maßstab für Klima- und Energieprojekte zu mobilisieren und öffentliche Mittel in einem Umfang bereitzustellen, dass sie erste transforma­tive Impulse geben kön­nen. Die Bilanz mag gemischt ausfallen. Dennoch sollte systematisch versucht werden, die Erfahrungen aus den JETP-Investitionsplänen für NDCs nutzbar zu machen. Gefragt sind hier in erster Linie G7-Länder und multilaterale Entwicklungsbanken, denen in diesem Bereich die meiste tech­nische Kompetenz zugesprochen wird. Investitionspläne mögen angesichts der hohen finanziellen Bedarfe nicht die ge­wünschte Wirkung entfalten, aber formu­liert werden müssen sie für die Umsetzung der NDCs ohnehin.

NDC-Diplomatie ausweiten

Große Emittenten wie die Mitglieder der G20 werden aber nicht allein durch mehr technische Unterstützung und bessere Inves­titionspläne ehrgeizige Ziele beschließen. Es bedarf diplomatischer Initiativen, welche die dargelegten politischen Differen­zen überwinden oder wenigstens mindern. Der dezentrale NDC-Prozess erschwert das, da ihm im Gegensatz zu einer COP-Ver­handlung die räumliche und zeitliche Konzentration fehlt. Stattdessen muss eine ambitionierte Koalition aus Akteuren über einen längeren Zeitraum sowohl hinter verschlossenen Türen, in multilateralen Foren als auch öffentlich durch eigene NDCs Druck auf zögerliche große Emittenten aufbauen. Neben viel diplomatischer Arbeit ist politische Unterstützung auf höchster Ebene vonnöten.

Ein Weg könnte hier die von Außen­ministerin Baerbock während des diesjährigen Petersberger Klimadialogs angekündigte Multi-Stakeholder-Allianz sein. Diese solle Ministerien, Finanzinstitutionen, pri­vate Finanzakteure sowie die Zivilgesellschaft, indigene Völker, internationale Organisationen und bestehende Initiativen zusammenbringen, um Unterstützung und erforderliche Finanzmittel für ambitionierte NDCs zu mobilisieren. Die Allianz könn­te ein wichtiges Instrument sein, um NDCs auf die internationale poli­tische Agenda zu heben und vor allem sicher­zustellen, dass die internationalen Finanzinstitutionen einbezogen werden.

Inhaltlich sollte hier das Energiepaket des GST im Vordergrund stehen. Im Hin­blick auf NDCs von Schwellenländern mit hohen Emissionen sollten Deutschland und die EU der Umsetzung des GST und ambi­tionierten sektoralen Zielen im Energie­bereich größeren Wert beimessen als der 1,5-Grad-Kompatibilität einzelner NDCs. Das hat mehrere Gründe: So ist es wissenschaftlich fragwürdig, NDCs ein­zelner Länder mit begrenztem Zeitraum (etwa 2035–40) mit globalen 1,5-Grad-Minde­rungspfaden bis 2100 gleichzusetzen. Wenn doch, funktioniert es nur aufgrund von Annahmen über die faire oder effektive Verteilung des verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel, was die Gräben zwi­schen Industrie- und Entwicklungsländern vertiefen würde. Dagegen bietet die Umset­zung des GST die Chance, die real stattfindende Energiewende weiter in der inter­nationalen Klimapolitik zu verankern und ihr beträchtliches Potential für Treibhausgasminderung besser auszuschöpfen. Wie die COP 28 erwiesen hat, eröffnen sich hier Möglichkeiten für Koalitionen jenseits der klassischen Dicho­tomie. Dafür müssen Deutschland und die EU mit wichtigen Schwellenländern, allen voran der Gruppe der LMDCs, spätestens zur COP 29 auf eine klare gemeinsame Auslegung des Energiepakets hinarbeiten. Eine entsprechende Formulierung in der Abschlusserklärung der brasilianischen G20-Präsidentschaft könnte hier einen wich­tigen Impuls liefern.

Brasilien als Schlüsselakteur

Auch an anderer Stelle kommt Brasilien eine wichtige Rolle für die Überwindung der Konfliktlinien zu. Brasiliens inter­nationales Ansehen als Präsidentschaft der COP 30 hängt maßgeblich davon ab, ob die Länder rechtzeitig vor der Konferenz ambitionierte NDCs einreichen. Innerhalb der Troika hat Brasilien ein Interesse, dass die Konzentration auf die COP 29 und das Thema Finan­zierung die eigene COP-Präsidentschaft nicht unter­gräbt – auch wenn es selbst darauf pocht, ambitionierte NDCs an versprochene Finan­zierung zu knüpfen. Gemeinsam mit den anderen Troika-Mitgliedern VAE und Aser­baidschan hat Brasilien sich verpflichtet, bis 2025 ein mit dem 1,5-Grad-Ziel konfor­mes NDC ein­zureichen und einen inklusiven Prozess zur NDC-Erstellung einzuleiten, der die Zivil­gesellschaft und indigene Gemeinschaften einschließt.

Die enge Einbindung Brasiliens in den Aufbau der Multi-Stakeholder-Allianz und damit zusammenhängende Aktivitäten würde deren Wirkmächtigkeit erhöhen. Ko­ordinierte diplomatische Aktivitäten mit Brasilien könnten potentielle Vorreiter ermutigen, ambitionierte NDCs bereits auf der COP 29 vorzulegen und eine positive politische Dynamik für die NDCs zu schaf­fen, bevor das NCQG verabschiedet ist.

Auch sollten Brücken zu anderen Prozessen wie der G20 Sustainable Finance Work­ing Group (SFWG) geschlagen werden, um einen holistischen NDC-Prozess zu fördern. Brasilien hat hier einen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung von Finanzrahmen für die Klimatransformation gelegt und baut damit auf das G20 Transition Finance Framework aus dem Jahr 2022 auf. Mit diesem Vorstoß zielt die G20 darauf ab, ein­heit­liche Transformationspläne einschließlich Finanzierungsrahmen zu erstellen. Initia­tiven wie diese bieten die Chance, Klima­finanzierung und ambitionierte NDCs als gegenseitig förderlich zu behandeln, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Die Allianz könnte gemeinsam auf Länder wie Saudi-Arabien zugehen, das sowohl bei der GST-Um­setzung als auch der SFWG als Blockierer auftritt.

Ole Adolphsen ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und im Projekt »Klimaaußenpolitik und Mehrebenengovernance«. Jule Könneke ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und Leiterin des Projekts »Deutsche Klimadiplomatie im Kontext des European Green Deal«. Dr. Sonja Thielges ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen.

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