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Die deutsche Politik im VN‑Peacekeeping

Eine Dienerin vieler Herren

SWP-Studie 2021/S 07, 02.07.2021, 34 Pages

doi:10.18449/2021S07

Research Areas

Dr. habil. Markus Kaim ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

  • Die militärische Beteiligung an Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen gehört zwar rhetorisch zum Kernbestand deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich Deutschland jedoch auf eher symbolische Beiträge der Bundeswehr beschränkt.

  • Erst mit der Beteiligung an der MINUSMA-Operation in Mali ist Deutschland substantiell in das Peacekeeping der VN zurückgekehrt. Einige seiner europäischen Verbündeten haben einen ähnlichen Schwenk vollzogen.

  • Für die Mitgliedschaft Deutschlands im VN-Sicherheitsrat 2019–2020 war die MINUSMA-Beteiligung ein glaubwürdiger, aber auch politisch notwen­diger Ausweis der deutschen Verpflichtung für die VN und des multilatera­len Handelns insgesamt. Nach Ende dieser zwei Jahre wird sich die sicher­heitspolitische Aufmerksamkeit wieder anderen Feldern zuwenden.

  • Obgleich die Stärkung der Vereinten Nationen Ziel deutscher Politik bleibt, sind die Motive dafür, sich konkret an Friedensoperationen zu be­tei­ligen (oder nicht), strategisch unterreflektiert. Sich daraus ergebende Ziel­konflikte und Dilemmata bleiben ungelöst.

  • Unterschiedliche Priorisierungen, Erwartungen und Bewertungsmaßstäbe in Bundesregierung und Bundestag sind die Folge: Wer darauf setzt, mit der deutschen MINUSMA-Beteiligung die internationale Ordnung zu stär­ken, wird ihren Erfolg anders bewerten als derjenige, der auf konkrete Fortschritte im malischen Friedensprozess hofft, oder als jemand, der sie als Ausdruck deutsch-französischer Solidarität begreift.

  • Ein Strategiepapier zu deutschen VN-Kontingenten ist unerlässlich. Es würde eine Brücke zwischen deutscher VN- und Sicherheitspolitik schlagen, den operativen Planungen Kontinuität und Partnern Planungssicher­heit geben. Es sollte auf den Strategischen Kompass der EU bzw. das neue stra­te­gische Konzept der Nato abgestimmt werden.

Problemstellung und Empfehlungen

Mit der Beteiligung an der MINUSMA-Mission in Mali ist Deutschland seit 2013 wieder in die Sphäre der friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Natio­nen (VN) »zurückgekehrt«, nachdem es sich im An­schluss an die Einsätze in Somalia und auf dem Balkan weitgehend zurückgezogen und sich auf symbolische Beiträge beschränkt hatte. Diese Umkehr entspricht der Prioritätensetzung im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr aus dem Jahr 2016. Darin wird die Unterstützung der VN im Bereich der Friedenssicherung als zentrale Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik definiert.

Problematisch ist, dass weder das Weißbuch noch andere sicherheitspolitische Dokumente über vage Bekenntnisse hinaus angeben, welchen außenpolitischen Interessen Deutschlands seine Teilnahme an VN-Friedensoperationen eigentlich dienen soll. Damit tut sich eine bemerkenswerte Strategielücke auf – denn hinsichtlich der deutschen Beteiligung an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) und erst recht der Kooperation im Rahmen der Nato geben zahl­reiche Dokumente darüber Auskunft, mit welchen Zielen und in welchem Umfang sich Deutschland militärisch in diesen beiden multilateralen Handlungsformaten engagiert.

Grundsätzlich kommen verschiedene Motive in Frage, die Staaten veranlassen, ein Kontingent für VN-Missionen zu stellen. Eine solche Beteiligung kann militärischer Ausdruck der politischen Solidarität mit Verbündeten sein; sie kann als Ausweis des Einsatzes für die internationale Ordnung und multilaterales Handeln fungieren; mit ihr lässt sich die eigene Hand­lungsfähigkeit in der internationalen Politik unter Beweis stellen; sie kann die Sicherheitslage in einer strategisch wichtigen Region verbessern und anderes.

Häufig lassen sich diese Ziele jedoch weder gleichrangig noch gleichzeitig verfolgen, oft unterliegen sie Beschränkungen durch existierende politische Vor­gaben. Mehr noch: Zum Teil schließen sie sich gegen­seitig aus. Ohne Klarheit über die Ziele und ihre Prio­risierung entsteht eine Leerstelle, so dass die sicher­heits­politische Debatte keine Orientierung bieten kann, anhand welcher Kriterien Friedens­einsätze bewertet werden können. Ob Deutschland mit seinem größe­ren Engagement im VN-Peacekeeping erfolgreich ist, liegt nahezu vollständig im Auge des Betrachters.

Konkret lässt sich dies an der Reihe von Motiven illustrieren, die offen oder verdeckt der deutschen MINUSMA-Beteiligung zugrunde liegen:

So war eine der wesentlichen Triebfedern, mit MINUSMA den französischen Erwartungen gerecht zu werden, denen zufolge sich Deutschland aktiv am Pariser Feldzug gegen den islamistischen Terrorismus in der Sahelzone beteiligen solle. Dieser Solidaritätsausweis ist in weiten Teilen gescheitert und hat einer deutsch-französischen Ernüchterung Platz gemacht, da das MINUSMA-Mandat keine Terrorbekämpfung vorsieht und Berlin sich gescheut hat, sich der fran­zösischen Anti-Terror-Operation »Barkhane« anzuschließen.

Weitgehend enttäuscht worden ist auch die Erwartung, mit der deutschen MINUSMA-Beteiligung wirk­sam dazu beizutragen, die regionale Sicherheit zu gewährleisten. So hat sich die Sicherheitslage in Mali bzw. im Sahel aus einer Vielzahl von Gründen nicht verbessert, sondern, im Gegenteil, immer weiter ver­schlechtert. MINUSMA hat diese Entwicklung ledig­lich drosseln, aber nicht beenden können. Es ist der Mission niemals gelungen, die angestrebte Wirkung zu entfalten, sieht man von wenigen Ballungszentren ab.

Als sehr überzeugend hingegen hat sich das deutsche Engagement in Mali herausgestellt, als sich Deutschland um den nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat 2019–2020 bewarb. Dabei hat die deutsche Wahlkampagne den Zusammenhang zwi­schen Berlins größerer Verantwortung in der inter­nationalen Politik und dem deutschen Sitz im VN-Sicherheitsrat immer wieder betont und sich explizit auf das deutsche MINUSMA-Engagement bezogen.

Ein Strategiepapier zur deutschen Beteiligung an VN-Operationen könnte die programmatische Brücke zwischen deutscher VN-Politik und Sicherheitspolitik schlagen, den operativen Planungen Kontinuität ver­leihen und prospektiven Partnern Planungssicherheit geben. Drei Entwicklungen bieten der deutschen Poli­tik gerade jetzt einen Anlass, die mit MINUSMA er­folgte Rückkehr Deutschlands in VN-Friedens­opera­tio­nen zu bewerten, gegebenenfalls zu ver­steti­gen und für die weitere Ausrichtung der deutschen Sicher­heitspolitik nutzbar zu machen.

Erstens war die MINUSMA-Beteiligung für die Mit­gliedschaft Deutschlands im VN-Sicherheitsrat 2019–2020 ein erforderlicher Nachweis seiner Verpflichtung für die Vereinten Nationen. Bevor sich nach dem Ende dieser zwei Jahre die sicherheitspolitische Auf­merksamkeit wieder anderen Feldern zuwendet, wäre eine Beurteilung des Engagements angebracht. Dass Deutschland sich auch weiterhin für multilaterales Handeln einzusetzen gedenkt, hat die Bundesregierung im Mai 2021 mit der Verabschiedung ihres Weiß­buchs Multilateralismus zwar bereits unterstrichen. Kon­krete Zusagen oder Selbstverpflichtungen meidet das Dokument jedoch.

Zweitens erarbeiten zurzeit sowohl die EU mit ihrem Strategischen Kompass als auch die Nato mit ihrem neuen strategischen Konzept Grundsatzdokumente, die die Rolle beider Organisationen im inter­nationalen Konfliktmanagement ausführlich reflek­tieren werden. Überlegungen zu deutschen Beiträgen zu VN-geführten Friedenseinsätzen sollten mit diesen beiden Diskussionsprozessen eng verzahnt werden. Denn deutsche VN-Kontingente werden noch stärker als bislang Ausdruck multinationalen Handelns sein.

Drittens ist das zwischen den VN und der EU im Sep­tember 2020 abgeschlossene Rahmenabkommen eine gute Grundlage für eine vertiefte Kooperation in die­sem Politikfeld. Es bildet aber nur einen Rahmen, den die Union und die Mitgliedstaaten ausfüllen müssen. Ein nationaler Aktionsplan Deutschlands, der die Vereinbarung ergänzte und deutsche Selbst­ver­pflich­tungen festlegte, wäre ein starkes Signal, diese Koope­ration mit Leben zu füllen.

Einleitung

Am 31. Dezember 2020 endeten die zwei Jahre, in denen Deutschland einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehatte. Noch nachdrücklicher als ohnehin üblich und als aufgrund der multilateralen Tradition deutscher Außenpolitik zu erwarten war, hat sich die Bundes­regierung in dieser Zeit für multilaterales Handeln im Allgemeinen und für die Stärkung der Vereinten Nationen im Besonderen eingesetzt. In begrenztem Umfang hat sie dabei eigene Anliegen auf die Tages­ordnung des Rates setzen können, die den Schwerpunkten der deutschen Außenpolitik entsprechen, selbst wenn wohl kaum eine der deutschen Mitgliedschaften im Sicherheitsrat in den vergangenen Jahr­zehnten unter ähnlich schwierigen Vorzeichen stand. Zudem hat sich Berlin darum bemüht, seinen Einfluss bei Beratungen zu globalen Krisen und Kon­flikten geltend zu machen, die den weitaus größten Teil der Tagesordnung bildeten und als Pflichtaufgabe an die Ratsmitglieder herangetragen wurden.

Dabei spiegelte dieses Engagement im Sicherheitsrat nicht nur das Selbstbild einer verantwortungs­vollen Mittelmacht in der internationalen Politik wider. Es diente ebenso deutschen Interessen, da ein System effektiver internationaler Institutionen die Grundlage, ja Voraussetzung für deutschen Einfluss ist. Schließlich reflektierte der deutsche Sitz höhere Erwartungen anderer Länder, dass nämlich die Bun­des­republik sich wegen ihrer exponierten Rolle im Sicher­heitsrat noch stärker als gewöhnlich engagieren würde – poli­tisch, finanziell sowie militärisch. Ent­sprechende Zu­sicherungen hatte Berlin bereits wäh­rend der Bewer­bungskampagne für den nichtstän­digen Sitz gegeben, wenn auch lediglich in un­be­stimmter Form. Denn nicht zuletzt gelten Beiträge zu Friedensmissionen der Vereinten Nationen als Aus­weis eines beson­deren Engagements für die Orga­nisation und damit als eine der notwendigen Voraus­setzungen für eine erfolg­reiche Bewerbung um einen nichtständigen Sitz.

Mit dem Ende der zweijährigen deutschen Amtszeit im Sicherheitsrat sind die skizzierten Rahmen­bedingungen entfallen bzw. gelten nur noch in abgeschwächter Form. Damit endet auch die Erwar­tung, der zufolge militärische Beiträge Deutschlands zum VN-Peacekeeping eine Verpflichtung seien, die aus der Mitgliedschaft im Rat erwachsen würde. Genauso wie es für Deutschland in den letzten zwei Jahren schwer vorstellbar gewesen ist, die Beteiligung an der MINUSMA-Mission zur Disposition zu stellen, fällt dies ab dem 1. Januar 2021 grundsätzlich wieder leichter, da die temporäre globale Sonderstellung als hemmender Faktor weggefallen und Deutschland wieder ein »normales« Mitglied der Vereinten Natio­nen ist. War die Beteiligung an MINUSMA mit einem substantiellen Kontingent in den vergangenen zwei Jahren weltpolitische Pflichtaufgabe, ist sie nunmehr sicherheitspolitische Kür, die aus vielerlei Gründen stärker als bislang innenpolitischen Kontroversen unterliegen kann und wird, unter anderem weil die Sicher­heitslage im Land sich verschlechtert oder die außenpolitischen Prioritäten Deutsch­lands sich ver­schoben haben.

Bundesregierung und Bundestag stehen im Jahr 2021 also vor der Aufgabe, unter veränderten Rah­men­bedingungen die deutsche Politik in und gegen­über Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen und damit einen wichtigen Teil der deutschen VN-Politik neu zu justieren. Dies ist umso schwieriger, als kein strategisches Dokument der deutschen Sicherheits­politik in präziser Form Auskunft darüber gibt, welche Ziele Deutschland mit der Entsendung von Bundeswehrkontingenten zu friedenserhaltenden Einsätzen der VN verfolgt.1

Bei der Antwort auf diese Frage sind folgende As­pekte gleichermaßen in Rechnung zu stellen: bünd­nispolitische Erwägungen, veränderte Anforderungen an das Peacekeeping, eine zunehmend hinter­fragte politische Bedeutung der Vereinten Nationen an sich sowie eine grundsätzliche Krise des Multi­lateralismus. Offen oder verdeckt werden bei diesen Überlegungen auch die Erfahrungen mit der deutschen Beteiligung an der MINUSMA-Operation eine Rolle spielen, vor allem der Punkt, ob das in Mali Erreichte als Erfolg dieser Friedensoperation betrachtet werden kann. Zu guter Letzt wird aus deutscher Sicht die europäische Dimension des Peacekeeping zu berücksichtigen sein. Denn genau wie es ein ausdrückliches Ziel der deut­schen Außenpolitik ist, die VN operativ zu stärken, soll auch die weltpolitische Rolle der EU ausgebaut und gefestigt werden. Somit agiert die deutsche Sicher­heitspolitik in der Frage eigener Beiträge zu VN-Ope­ra­tionen explizit auch in einem europäischen Hand­lungszusammenhang. Unterschiedliche Ziele müssen also priorisiert und verschiedene Aspekte gegenein­ander abgewogen werden.

Die vorliegende Studie rekapituliert in einem ersten Schritt die Historie der deutschen Beiträge zu friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Natio­nen und arbeitet ihre Treiber ebenso wie ihre Begren­zungen heraus. In einem zweiten Schritt werden die Motive für die Hinwendung der Bundesrepublik zum Peacekeeping seit 2013 und das deutsche MINUSMA-Engagement rekonstruiert. Zu fragen ist drittens, welche dieser Ziele mit der deutschen MINUSMA-Beteiligung tatsächlich erreicht werden konnten. Abschließend werden mögliche Entwicklungspfade dieser Facette deutscher VN-Politik diskutiert.

Deutsche Beiträge zum VN‑Peacekeeping

Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen Län­dern sehr spät im VN-Peacekeeping engagiert. Zwei Hauptgründe sind dafür zu nennen: Erstens liegt das am vergleichsweise späten VN-Beitritt der beiden deutschen Staaten im Jahr 1973. Voraussetzung für einen Beitritt war der sogenannte Grundlagenvertrag zwischen Bonn und Ost-Berlin, mit dem sich die Bundesrepublik und die DDR unter anderem dazu verpflichteten, dass sie den jeweils anderen Staat nicht international verträten. Erst sein Inkrafttreten im Juni 1973 machte den Weg frei für eine Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten in den Vereinten Nationen. Davon unbenommen existierten die alli­ierten Vorbehaltsrechte bis 1990 fort, die die außen­politische Souveränität der Bundesrepublik ein­schränkten und eine Beteiligung als Truppensteller an friedenserhaltenden VN-Missionen erschwerten bzw. unmöglich machten.

Zweitens kam eine überparteilich gepflegte Kultur der militärischen Zurückhaltung jenseits der bestehen­den Bündnisverpflichtungen hinzu, die die westdeutsche Sicherheitspolitik über Jahrzehnte geprägt hat. Sie begriff die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und deren Einbindung in die Nato vor allem als poli­tischen Schritt, um außenpolitisch wieder handlungsfähig zu werden und gute Beziehungen zu den west­lichen Verbündeten aufzubauen. Daher beschränkte sich das Engagement der Bundesrepublik während des Ost-West-Konflikts auf finanzielle Zuwendungen zur Friedensoperation auf Zypern (UNFICYP) und auf logistische Unterstützung bei der Verlegung von VN-Blauhelmen nach Ägypten 1974 (UNEF II) sowie in den Libanon 1978 (UNIFIL I).2

Erste Erfahrungen mit dem VN‑Peacekeeping

Wie für viele außenpolitische Felder war das Ende des Ost-West-Konflikts und die deutsche Einheit auch für die Frage einer deutschen Beteiligung am VN-Peace­keeping eine Wasserscheide. Denn mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland von 1990 endete die Viermächte-Verantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes und die volle innere und äußere Souveränität des vereinigten Deutschland wurde hergestellt. In der Folge konfrontierten die Ver­bündeten Bonn mit der Erwartung, die Bundesrepublik solle nunmehr größere Verantwortung und Lasten in der internationalen Politik jenseits der Bündnis- und Landesverteidigung übernehmen.

Korrespondierend dazu verschoben sich die Gewichte in der außenpolitischen Debatte in Deutschland: Unter der Überschrift »Normalisierung« der deutschen Sicherheitspolitik forderten in Exekutive wie Legislative immer mehr Stimmen, Deutschland sollte sich an militärischen Maßnahmen des inter­nationalen Krisenmanagements beteiligen, darunter denen der Vereinten Nationen. Damit begann eine Entwicklung, die zu den Bundeswehr-Auslands­ein­sätzen heutiger Prägung geführt hat, das heißt zu verfassungsrechtlich und parlamentarisch unterlegten Auslandseinsätzen, bei denen jedoch meistens die Nato und die EU den multilateralen Handlungsrahmen für die deutsche Sicherheitspolitik bildeten bzw. bilden.

In einem Prozess der vorsichtigen Annäherung stellte die Bundesregierung den Vereinten Nationen seit 1989 für mehrere Missionen kleinere Bundeswehr­kontingente zur Verfügung, unter anderem für die internationalen Übergangsverwaltungen in Namibia 1989/1990 (UNTAG) und in Kambodscha 1992/1993 (UNTAC). Dabei waren diese Zusagen mit Blick auf die deutsche Öffentlichkeit in doppelter Hinsicht tastend und inkrementell angelegt. In quantitativer, da es sich in allen Fällen um überschaubare deutsche Kon­tingente handelte. So umfasste das größte deutsche Kontingent jener Phase (UNTAC) lediglich 225 Solda­ten. Auch in qualitativer Hinsicht überwog die Vor­sicht: Schwerpunkte der deutschen Tätigkeit waren die medizinische Versorgung und die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben.

Damit waren diese frühen VN-Missionen noch weit entfernt von späteren, robusteren Einsätzen des inter­nationalen Krisenmanagements und standen mit ihrer humanitären, risikoaversen Orientierung eher für die Kontinuität eines engen Verständnisses von Bundeswehreinsätzen. Anders wäre eine politische Unterstützung für diese moderate Neuerung wahr­scheinlich nicht zu erlangen gewesen. Sie gewöhnten jedoch die deutsche Öffentlichkeit wie internationale Partner daran, dass die Bundesrepublik im veränderten internationalen Koordinatensystem nach und nach eine größere Rolle zu spielen bereit war. Nicht zuletzt vermittelten sie der Bundeswehr erste Koope­rationserfahrungen im Bereich der friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen.

Die robuste Phase

Die in doppelter Hinsicht zweite Phase der deutschen »Peacekeeping-Politik« begann mit dem UNOSOM‑II-Einsatz in Somalia im Jahr 1993: Zum einen verlegte die Bundeswehr mit gut 1 700 Soldaten zum ersten Mal ein substantielles Kontingent in eine VN-geführte Opera­tion. Damit verließ sie die Praxis früherer Betei­ligungen, die eher in die Kategorie der sogenannten »token contributions« fielen, also symbolischer Trup­pen­stellungen, die das Engagement eines Landes in einem Krisengebiet politisch unterstreichen sollen, aber nicht auf militärische Wirksamkeit abzielen.3

Zum anderen veränderte sich auch der Charakter der Einsätze, denn mit der im März 1993 aufgenommenen UNOSOM‑II-Mission beteiligte sich die Bundes­wehr erstmals an einem »robusten« Auslandseinsatz im Rahmen einer VN-geführten Operation. Nach dem Ende des somalischen Bürgerkriegs hatte der Sicher­heitsrat im April 1992 UNOSOM I mandatiert, um die zwischen den Parteien vereinbarte Waffenruhe zu überwachen und humanitäre Hilfe für die somalische Zivilbevölkerung zu koordinieren. Das VN-Mandat enthielt jedoch keine »Zwangsmaßnahmen«. Nach­dem sich die Sicherheitssituation in Somalia drastisch verschlechtert hatte, ermächtigte der Sicherheitsrat im Dezember 1992 einen multinationalen Eingreifverband unter Führung der USA, mit allen erforder­lichen Mitteln die Ballungszentren der Bevölkerung ebenso wie die Häfen zu sichern und eine geschützte Umgebung für die humanitäre Hilfe zu schaffen. Im März 1993 übernahm UNOSOM II diese Mission. Zwar bestand der deutsche Unterstützungsverband »nur« aus einem verstärkten Nachschub- und Transport­bataillon. Doch die Sicherheitslage im Land und das Mandat des Sicherheitsrates, das explizit auf Kapi­tel VII der VN-Charta mit seinen militärischen Zwangs­maßnahmen gegen Staaten durch die internationale Gemeinschaft verwies, ließen keinen Zweifel bei Bundes­regierung wie Bundestag aufkommen, dass es sich um einen genuin militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr handelte und nicht um eine huma­nitäre Operation traditioneller Prägung.

Ähnliches gilt für die deutschen Beteiligungen an den VN-Operationen auf dem Balkan ab 1995, vor allem die UNCRO in Kroatien und die UNPROFOR in Kroatien/Bosnien-Herzegowina. Die Bundeswehr stellte jeweils mit mehreren Hundert Soldaten sub­stantielle Kontingente, in beiden Fällen operierte sie in einem nicht vollständig befriedeten Umfeld. Alle diese Kontingente dienten verschiedenen Zielen: Sie stärkten das multilaterale Krisenmanagement der Ver­einten Nationen und kamen gleichzeitig den gestie­ge­nen Erwartungen westlicher Verbündeter nach, was eine größere sicherheitspolitische Lastenteilung an­ging; schließlich schufen sie den Rahmen für die sicherheitspolitische »Normalisierung« Deutschlands.

Die Abkehr von VN-Einsätzen

Fast zeitgleich stürzten mehrere Ereignisse die VN-Friedenseinsätze in eine schwere Krise: Erstens die Schlacht um Mogadischu 1993 und zwei Jahre später der daraus resultierende Abzug der VN-Truppen aus Somalia ohne befriedigendes Ergebnis, zweitens der Völkermord in Ruanda 1994 trotz VN-Präsenz im Land, drittens der Fall der VN-Schutzzone in Srebrenica 1995. Kurzfristig führten diese drei voneinander un­abhängigen Ereignisse in vielen Ländern zu einer Des­illusionierung darüber, was mit VN-Operationen an­ge­sichts ihrer politischen und militärischen Beschrän­kungen erreicht werden könne, sowie zu einer deut­lich reduzierten Bereitschaft, sich an der­artigen Ein­sätzen zu beteiligen. Diese negativen Erfahrungen beeinflussten die Perzeption solcher Einsätze auch in Deutschland.

Zwei Gründe waren im engeren Sinne dafür verantwortlich, dass die Bundesrepublik sich von aktiven Engagements im VN-Peacekeeping abgekehrt hat: Ers­tens war sie, wie andere westliche Verbündete eben­falls, enttäuscht über die (nicht) erzielten Ergeb­nisse von VN-Operationen. Zweitens präferierte sie die seit den 1990er Jahren entstandenen alternativen Foren für eine deutsche Beteiligung am internationalen Krisenmanagement, nämlich die Nato (u. a. mit KFOR und ISAF) und die EU (u. a. mit EUFOR Althea und EUFOR RD Congo). So blieb der maritime UNIFIL‑II-Einsatz (seit 2006) über Jahre der einzige substantielle Ausweis deutschen Engagements im VN-Peacekeeping.

Mit der deutschen Beteiligung an der MINUSMA-Ope­ration in Mali scheint vordergründig ein erneuter Paradigmenwechsel erkennbar. Seit Juli 2013 beteiligt sich die Bundeswehr an dieser multidimensionalen Mission. Sie hat zum Ziel, das Land zu stabilisieren, indem der Konflikt zwischen der gewählten, von der internationalen Gemeinschaft anerkannten Regierung auf der einen Seite und separatistischen Tuareg-Rebellen auf der anderen Seite politisch gelöst wird. Zurzeit (Sommer 2021) sind bis zu 1 100 Bundeswehrsoldaten in Mali bzw. der Region als Teil des mehr als 11 000 Soldaten starken VN-Kontingents stationiert.

Die Motive für das militärische Engagement Deutschlands in Mali

Geht man der Frage nach, wie Deutschland nach Mali gelangt ist und wie diese Entscheidung getroffen und begründet wurde, drängt sich der Eindruck auf, dass sich an dem tradierten außen- und sicherheitspolitischen Muster der Zurückhaltung erst einmal nichts Wesentliches geändert hat. Einige politische Entschei­dungsträger zeigten sich noch Anfang 2013 sehr zurück­haltend, was die Situation in Mali betraf sowie die Frage, ob Deutschland in internationalen Entschei­dungsprozessen mehr Verantwortung übernehmen solle. Selbst nachdem der Bundestag das Mandat er­teilt und obwohl Frankreich immer wieder ein inter­nationales Engagement in Mali gefordert hatte, folgte die deutsche Bundesregierung den Entwicklungen mehr, als dass sie die außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen dieses Einsatzes aktiv mit­gestaltet hätte.

Bündnissolidarität

Deutschland hat das militärische Engagement in Mali nicht aktiv gesucht, sondern hat dem Wunsch eines wichtigen Verbündeten entsprochen – wie eigentlich alle größeren Auslandseinsätze der Bundeswehr nach diesem Muster zustande gekommen sind. Waren im Fall des Afghanistan-Engagements die USA der Aus­löser, genauer gesagt deutsche Überlegungen zur trans­atlantischen Solidarität nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, so drängte im Jahr 2013 Paris die Bundesrepublik zu einem Einsatz in Mali an der Seite Frankreichs. Wie im Fall Afghanistan waren Überlegungen bezüglich des landes- oder regional­spezifischen Krisenmanagements zu Beginn der Opera­tion von untergeordneter Bedeutung.

Das Vorgehen der Regierung von Präsident François Hollande in Mali war politisch wie militärisch von An­fang an auf multilaterales Handeln angelegt, auch wenn es vorerst ein rein nationaler Einsatz war. Schnell machte die Regierung Hollande jedoch ihre Position klar: Zwar habe Frankreich aus der Not her­aus die Führung dieses Einsatzes übernommen, er­warte aber, dass sich Letzterem andere europäische Länder anschlössen. Einerseits sollten sie Paris militä­risch unterstützen und der französischen Vorgehensweise politische Legitimität verschaffen, andererseits mit ihrer Beteiligung die gewachsene sicherheits­politische Rolle Europas illustrieren.4 Für diesen euro­päischen Weg (unter Pariser Führung) benötigte Frank­reich Deutschland als entscheidenden Partner. Die Unterstützung vonseiten kleinerer EU-Mitgliedstaaten war zwar ebenfalls willkommen, aber nur die Beteili­gung Berlins versprach, die angestrebte doppelte poli­tische Signalwirkung zu entfalten.

Dieses zweifache Motiv der Bündnissolidarität und der Manifestation eines europäischen Fußabdrucks wurde zum eigentlichen Movens der deutschen Poli­tik hinsichtlich MINUSMA (»Multidimensionale Integ­rierte Stabilisierungsmission der VN in Mali«).5 Landes- oder regionalspezifische Ordnungsvorstellungen tra­ten da­hinter zurück: Deutschland hat Paris in diesen Fragen die Federführung überlassen und sich aus stra­tegischen Festlegungen weitgehend herausgehalten. Je mehr Paris mittlerweile mit dem Rückzug aus dem Land droht, desto mehr wird die Bundesregierung zur Getriebenen, da Berlin sich schwer damit tut, eigene Positionen zu beziehen, die mehr sind als Solidaritäts­bekundungen mit Paris.

Noch offensichtlicher wird dies, wenn man die zweite sicherheitspolitische Facette der deutschen Mali­politik betrachtet, die hier nicht vertieft behan­delt wird, nämlich die Beteiligung an der EU Training Mission Mali (EUTM Mali). Diese Ausbildungsmission der Europäischen Union, die ebenfalls seit 2013 läuft, hat zum Ziel, die malischen Streitkräfte mit einer militärischen Grundlagenausbildung und Beratung dazu zu befähigen, gegen islamistische Milizen in der Region vorzugehen. Die deutsche Mission umfasst bis zu 600 Soldaten und ist zurzeit bis zum 31. Mai 2022 vom Bundestag mandatiert. Ihr Schwerpunkt liegt in der Pionier-, Logistik- und Infanterieausbildung. Bis­her wurden rund 13 000 malische Soldaten in unter­schiedlichen Lehrgängen ausgebildet. Diese Mission ist Ausdruck des Bestrebens der EU, in ihrer Nachbarschaft stabilisierend einzugreifen, und Teil der GSVP.

Erkennbar ist das angesprochene Doppelmotiv weniger an den jeweiligen Mandatierungen durch den Deutschen Bundestag, da diese vor allem recht­lichen und militärischen Erwägungen Rechnung tragen müssen. Doch die begleitenden Reden, ins­besondere diejenigen der Vertreter der Regierungsfraktionen, illustrieren den Punkt sehr deutlich, indem sie in der einen oder anderen Form auf das französische Eingreifen und die Notwendigkeit deutscher Solidarität mit Paris verweisen. Die Rede­beiträge aus der ersten MINUSMA-Mandatsdebatte 2013 unterstreichen dies beispielhaft:

  • Rainer Stinner (FDP): »Die Franzosen haben in einer akuten Notsituation gehandelt. […] Die Frage ist jetzt: Welchen Beitrag können wir dazu leisten? […] Es geht hier darum, dass Deutschland, das große, wichtige europäische Land, in Zusammenarbeit mit wichtigen europäischen Partnern, hier unter französischer Leitung, einen Beitrag zur Stabi­lität in einer für uns wichtigen Region leistet.«

  • Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen): »Wir mei­nen, dass es richtig ist, diesen französischen Kurswechsel weg von einer französischen Hinterhof­politik generell zu unterstützen. Denn es ist in unserem außen- und sicherheitspolitischen Inter­esse und auch im Interesse der EU, die Afrika-Poli­tik generell zu europäisieren.«

  • Rolf Mützenich (SPD): »Am Anfang einer Mandatierung müssen wir uns immer die Frage stellen: Ge­nügt ein solches Mandat deutschen Interessen? – Natürlich haben wir auch immer noch eine deutsche Außenpolitik. Aber ich habe gelernt: Es geht eigentlich um mehr, es geht sozusagen um die internationale Verantwortung Deutschlands. Wenn wir glauben, zur Situation nichts beitragen zu kön­nen, unterstützen wir zumindest unsere Partner.«6

In den folgenden Jahren trat das Motiv der Bündnis­solidarität in den politischen Begründungen für die deutsche MINUSMA-Beteiligung etwas in den Hinter­grund, ohne jedoch vollständig an Bedeutung zu verlieren. Erst seit dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron im Mai 2017 zieht es sich wieder stärker durch die Argumentation der Bundesregierung, da die französische Regierung ihre Erwartungen an Berlin offensiver vorträgt, nicht zuletzt weil die französische Malipolitik kaum Erfolge zeitigt.

Dementsprechend häufig zitieren französische Regierungsvertreter die Rede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer an der Universität der Bundeswehr in München am 7. November 2019, in der sie eine Stärkung des »deutsch-französischen Tandem[s]« und mehr Engagement Deutschlands in der Welt gefordert hat, »um unsere Werte und Inter­essen zu schützen«.7 Wenn die Bundeswehr bei Aus­landseinsätzen gebraucht würde, werde sie sich weiterhin engagieren. Sofern es um die Frage gehe, was Deutschland leiste, werde Berlin sich »nicht immer verweigern« können. Einen Einsatzort hatte sie damals bereits besonders im Blick – die Sahel­zone.

Auch Außenminister Heiko Maas hat erneut die deutsch-französischen Beziehungen und ihre Bedeu­tung für die deutsche Sahelpolitik betont sowie auf ihre Einbettung in die EU-Außenbeziehungen ver­wiesen, etwa am 11. Juni 2020 vor dem VN-Sicher­heits­rat: »Frankreich hat die Gründung einer Inter­nationalen Koalition für die Sahelzone initiiert. Diese schließt eine von Deutschland und Frankreich ins Leben gerufene Partnerschaft für Sicherheit und Sta­bi­lität in der Sahelzone ein, in der die Europäische Union eine führende Rolle einnehmen wird. […] Für mich ist das ein typisches Beispiel dafür, wie Frank­reich und Deutschland Hand in Hand für Frieden und Sicherheit wirken.«8

Dabei hat die Tatsache, dass sich das Engagement der Bundesrepublik in Westafrika politisch vor allem aus den Erwartungen Frankreichs speist, zwei Dimen­sionen: So lautet die Frage nicht nur, ob Deutschland überhaupt an MINUSMA (und auch EUTM Mali) teil­nimmt (»Ob«), sondern die zweite Frage des »Wie« ist damit eng verbunden. Das heißt, die jeweiligen Ord­nungsvorstellungen von Verbündeten, allen voran Frankreichs, für Mali bzw. den Sahel definieren den Rahmen der deutschen Politik in dieser Region.

Paris und Berlin bekennen sich ausdrücklich zur Zusammenarbeit im Sahel – bei der konkreten Ausgestaltung aber gibt es Dissens.

Die genannten prinzipiellen Bekundungen zur deutsch-französischen Zusammenarbeit im Sahel können nur schwer verdecken, wie weit Paris und Berlin bei der konkreten Ausgestaltung dieser Koope­ration auseinanderliegen. In Paris wird das deutsche Engagement in MINUSMA zwar grundsätzlich ge­schätzt, aber wie ein roter Faden ziehen sich franzö­sische Vorbehalte durch die bilaterale Sahelpolitik. Sie betreffen einerseits den Umfang des Engagements, andererseits die Einsatzregeln der jeweiligen Kontin­gente. Pariser Regierungsvertreter haben darauf hin­gewiesen, wie weit Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen Sicherheitsdebatte und ‑kooperation aus­einanderklaffen würden. Zum Beispiel hat sich der Eindruck verfestigt, das Sicherheitsrisiko für Bundes­wehrsoldaten solle auf ein absolutes Minimum redu­ziert werden: »Terrorismusbekämpfung betrieb das Bundeswehr-Kontingent allenfalls mittelbar. Oberste Priorität genoss, die Kontingente sicher durchzuschleusen, weswegen ihre Raumpräsenz und ihre Interaktionen mit der Bevölkerung äußerst begrenzt blieben.«9

Diesen Eindruck hat die Bundesregierung ungewollt dadurch verstärkt, dass Berlin in dieser Legis­laturperiode lange gezögert hat, sich intensiver als bislang zu engagieren. Ende 2019 hat die Bundes­regierung zwei konkrete Anfragen aus Paris nach militärischer Unterstützung für die »Opération Bark­hane« abgelehnt; stattdessen hat sie lediglich politi­sche Unterstützung für die Task-Force »Takuba« zugesagt, mit der eine Gruppe von elf europäischen Staaten – Deutschland, Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Norwegen, die Niederlande, Portugal, Tschechien, Großbritannien und Schweden – in einer informellen Koalition der Willigen den Kampf gegen Jihadisten in Mali mit Spezialkräften unterstützen will.10 Angesichts der besorgniserregenden Sicherheitslage in Mali soll »Takuba« in diesem Jahr voll einsatzfähig sein und unter französischem Kom­mando ihre Arbeit im Grenzgebiet zwischen Mali und Niger aufnehmen, das als Rückzugsort von Jihadisten­gruppen gilt.

Doch die vereinbarte Lastenteilung zwischen Frank­reich und seinen europäischen Partnern funktioniert nicht wirklich. Wiederum beteiligen sich diese ent­weder gar nicht an Kampfhandlungen oder kommen ihren Versprechen nur schleppend nach: So trägt Paris auch bei »Takuba« die Hauptverantwortung mit 115 Soldaten. 30 estnische und 30 tschechische Elite­soldaten gehören der Task-Force an, deutlich weniger als erhofft. Verstärkung soll demnächst durch 150 schwedische Elitesoldaten kommen, die aber nicht voll integriert werden dürfen. In Paris wurde zudem die Hoffnung geäußert, Dänemark, Griechenland und Ungarn könnten Soldaten entsenden. Desgleichen werde über eine Beteiligung von Kampfeinheiten aus Serbien und der Ukraine beraten.11

Dass die Bundesregierung die Mission politisch unterstützt, aber keine Beteiligung mit Soldaten der Bundeswehr beabsichtigt, hat in Paris gerade deshalb für Irritationen gesorgt, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel noch im August 2019 versprochen hatte, Deutschland werde einen substantiellen Beitrag zur Sicherheit in der Region leisten. Hauptproblem aus Berliner Sicht ist, dass »Takuba« Teil der französischen Mission »Barkhane« sein soll, die jedoch ein Kampfeinsatz mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung ist. Die Mandate des Bundestags für den Einsatz der Bundeswehr in Mali – MINUSMA ebenso wie EUTM – lassen nach Auffassung des Verteidigungsministeriums nicht zu, dass sich deutsche Soldaten in dieser Form beteiligen. Die Bundeswehr habe den Anfragen aus Paris Absagen erteilen müssen, »weil die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Einsatz nicht gegeben waren und es auch heute nicht sind«.12

Dieser immer wiederkehrende Dissens geht indes tiefer und reflektiert unterschiedliche politische und militärische Prämissen, etwa bezüglich der Frage, in welchem Umfang militärische Gewalt angewendet werden solle und welchen Nutzen sie habe: »Wenn Deutschland und andere sich nicht an robusten Men­toring-Einsätzen der von Paris initiierten Task-Force Takuba im Sahel beteiligen, dann liegt das nicht aus­schließlich an Risikofeindlichkeit, wie viele in Paris vermuten, sondern auch an der Vorstellung in Berlin, dass der Einsatz von mehr Militär kein aussichts­reicher Weg ist. […] Hier treten Unterschiede der strategischen Kultur zutage, die auf beiden Seiten Unverständnis und Frustrationen fördern.«13

Das wirft für die Bundesregierung zunehmend die Frage auf, wie effektiv ihre Bemühungen zur Unter­stützung Frankreichs tatsächlich sind und wie kraft­voll das damit verbundene Signal der Bündnissolidarität sein kann. Denn erreicht hat die MINUSMA-Mission bisher zu wenig. In internen Dokumenten der Bundesregierung heißt es, es gebe lediglich »rein symbolische Zugeständnisse« der Konfliktparteien – und auch keinen Grund für echte Kompromisse, da alle Gruppierungen im Land »vom derzeitigen Status quo und der Präsenz internationaler Sicherheitskräfte profitieren«. Die Sicherheitslage werde daher landes­weit seit Jahren schlechter. Im Norden »genießen die Jihadisten völlige Bewegungsfreiheit«, in Zentralmali sei der Staat »aus der Fläche in die Städte vertrieben« worden, die Islamisten etablierten »eigene Verwaltungsstrukturen entlang der Scharia«.14

Die deutsche Politik wirkt jedoch nicht nur auf Frankreich. Auch umgekehrt beeinflusst die französische Sahelpolitik die Handlungsspielräume der deut­schen MINUSMA-Politik. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwichtig, dass in Frankreich die Zustimmung für den Militäreinsatz bröckelt, nicht zuletzt da in dessen Verlauf 57 französische Soldaten gefallen sind. Überdies hat die mangelnde Bereitschaft der französischen Regierung, ihre Strategie für die Sahel­zone öffentlich zu diskutieren, den Eindruck ent­stehen lassen, es fehle an einer solchen und Paris ris­kiere, sich in einem Kampf zu verzetteln, den es ohne erhebliche neue Investitionen in Soldaten und Mate­rial nicht gewinnen könne. Einige Beobachter haben Mali sogar als »Frankreichs Afghanistan« bezeichnet.15

Dieser Einsatz hat sich nämlich zu einem zermürbenden Kleinkrieg entwickelt, dessen Ende noch immer nicht absehbar ist. War das Ziel seit 2013, einerseits den islamistischen Terrorismus ein­zu­däm­men und andererseits das Land bzw. die Region zu stabilisieren, hat die politische Instabilität und Un­sicher­heit angehalten und sogar noch zugenommen. Beunruhigend ist, dass diese Entwicklung nicht nur Mali betrifft, sondern mittlerweile auch die an­gren­zenden Sahelländer Niger und Burkina Faso.16 Die Zahl der Angriffe durch islamistische Gruppierungen ist regelrecht explodiert: Seit 2015 hat sich die Zahl der islamistischen Anschläge in der Sahelzone jedes Jahr verdoppelt.

Als Reaktion darauf hat der französische Präsident Macron auf dem Gipfel von Pau im Januar 2020 die bereits angesprochene zusätzliche Sondereinsatztruppe »Takuba« angekündigt. Bereits im Juli 2017 hatte Frankreich die Schaffung einer gemeinsamen Truppe der G5-Sahel initiiert, um die Instabilität in der Region zu bekämpfen. Die Truppe ist unter fran­zösischer Führung tätig und soll bis zu 5 000 Soldaten aus den fünf Mitgliedstaaten (Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger) ausbilden, damit sie unter einem einzigen Kommando gegen Sicherheitsbedrohungen vorgehen kann.

Trotz wachsender Besorgnis gibt es in der französischen Regierung mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2022 seit einiger Zeit eine grö­ßere Bereitschaft, sich mit der französischen Öffent­lichkeit über die Ziele, die Strategie und die Gefahren des Vor­gehens in Mali auseinanderzusetzen: Vertei­digungs­ministerin Florence Parly hatte bereits ange­deu­tet, dass Paris den Abzug der im Jahr 2020 zusätz­lich ent­sandten 600 Soldaten erwäge. Auch der frü­here fran­zösische Armeechef François Lecointre sagte Anfang Dezember 2020 bei einem Besuch in Mali, er wolle das Engagement so bald wie möglich reduzieren.17

Schließlich hat Präsident Macron am 10. Juni 2021 das Ende der Operation »Barkhane« in Mali angekündigt. Von den 5 100 französischen Soldaten solle ein Großteil gemäß eines detaillierten Zeitplans abge­zogen werden. Frankreich werde stattdessen nach einem »anderen Format« für seine militärische Prä­senz im Land suchen. Dazu werde sich Paris eng mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden und den euro­päischen Partnern abstimmen und alle Verpflichtungen gegenüber den westlichen Verbündeten einhalten.

Auslöser dieser Entscheidung war der erneute Militärputsch in Mali vom Mai 2021: Als unmittelbare Reaktion auf diesen zweiten Umsturz innerhalb von neun Monaten hatte Macron sogar mit dem vollständigen Abzug der französischen Truppen aus Mali gedroht, sollte sich das Land in eine islamistische Richtung entwickeln. Zudem hatte er gegenüber den westafrikanischen Staats- und Regierungschefs unter­strichen, dass sie keine Regierung unterstützen dürf­ten, die keine demokratische Legitimität mehr habe. Es sei nicht die Rolle Frankreichs, einen militärischen Kampfeinsatz in einem Land fortzusetzen, dessen Ver­antwortliche selbst nicht zur Stabilisierung beitrügen.18

Lediglich mutmaßen lässt sich über die Folgen dieser Entscheidung für die deutsche Malipolitik: Noch sind die Details der französischen Abzugs­entscheidung vage, aber die Grenzen dessen, was die französische Militärintervention bewirkt hat bzw. bewirken konnte, sind für Paris offensichtlich und befeuern die Entschlossenheit. Es ist nie gelungen, die punktuellen militärischen Erfolge so in einen poli­ti­schen Vorteil umzumünzen, dass die Mission dauer­haft erfolgreich hätte beendet werden können. Nimmt man das Solidaritätsargument ernst, wäre es wahr­scheinlich, dass mit einem französischen Rück­zug aus Mali ebenso das deutsche MINUSMA-Engage­ment sehr schnell an ein Ende käme. Diese Situation findet ihren Ausdruck in dem auch aus anderen Auslandseinsätzen bekannten Diktum »Gemeinsam rein, gemeinsam raus«.

Münchner Konsens

Ein zweiter Treiber für das deutsche Engagement im Rahmen von MINUSMA ist die sogenannte »Verantwortungsdebatte« bzw. ihr vorläufiges Ergebnis, der »Münchner Konsens«. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2014 hatten Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in gleich­gerichteten Reden gefordert, Deutschland solle angesichts des veränderten sicherheitspolitischen Umfelds mehr Verantwortung in der internationalen Politik übernehmen. Häufig als Aufruf ausschließlich zu einem größeren militärischen Engagement miss­interpretiert, zielten diese Reden vor allem darauf, die europäische Nachbarschaft aktiver politisch zu gestalten und diejenigen Institutionen zu stärken, die den multilateralen Handlungsrahmen der deutschen Außenpolitik bilden.19 Eine Dimension dieses Postu­lats bestand darin, sich intensiver als bisher bei den VN zu engagieren. Niederschlag fand das beispielsweise für den Bereich der VN-Friedensmissionen beim Leaders’ Summit on Peacekeeping 2015 in New York und auf dem UN Peacekeeping Defence Ministerial 2016 in London. Bei beiden Gelegenheiten bekannte sich die Bundesregierung zu einem aktiven Engagement, selbst wenn sie sich noch nicht dazu entschließen konnte, sich stärker mit Blauhelmen (Soldaten oder Polizisten) zu beteiligen. In New York blieb Deutschland in seinen Ankündigungen vage, nannte keine Zahlen, sondern versprach Training, Ausrüstung, die Entsendung einiger weniger Polizisten, eine Erhöhung des Budgets für Mediation und Krisen­prävention, schließlich mehr ziviles Personal.20

Auch das sicherheitspolitische Weißbuch der Bun­des­regierung von 2016 griff Friedensmissionen als Handlungsfeld auf und platzierte die VN zum ersten Mal an prominenter Stelle unter den multilateralen Organisationen, in denen Deutschland sicherheits­politisch tätig ist:

»Es ist deshalb unser vorrangiges Ziel, das System der VN durchsetzungsfähiger zu machen, die VN weiter zu stärken und zur effizienteren Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu befähigen. Deutschland wird weiterhin dazu beitragen, die VN für die zuneh­mend komplexer und vielschichtiger werdenden Aufgaben aufzustellen, indem insbesondere […]

  • das deutsche Engagement, unter anderem durch Stärkung materieller und personeller Beiträge zu und Übernahme von Führungsverantwortung in VN-Missionen (zivil, polizeilich, militärisch) und im VN-Sekretariat, ausgebaut wird;

  • Missionen der VN mit zivilen und militärischen Hochwertfähigkeiten unterstützt werden[.]«21

Ausdrücklicher als in früheren Dokumenten und Äußerungen definiert die deutsche Außenpolitik seitdem neben den beiden traditionellen außenpoli­tischen Handlungsformaten Nato und EU nunmehr auch ihr Engagement in den Vereinten Nationen, mit dem sie hervorhebt, dass sie regional wie global mehr Verantwortung zu übernehmen bereit ist.

Dabei gipfelt im sogenannten Münchner Konsens eine Entwicklung, die im Kern früher begonnen hat. Denn bereits seit 2012 wuchs in der Bundesregierung die Einsicht, dass Deutschland aktiver und engagierter die internationalen Beziehungen gestalten müsse. So bezeichnete sie Deutschland in dieser Zeit als eine von zahlreichen »Gestaltungsmächten« und bekun­dete nach außen einen stärkeren Willen, sich global einzubringen. Seit dem Regierungswechsel hin zur Großen Koalition im Jahr 2013 bekräftigten diverse Träger der deutschen Außenpolitik diesen neuen Anspruch. Ein Beispiel für die Umsetzung desselben war von Beginn an die Afrikapolitik der Bundesregierung. Im Mai 2014 verabschiedete sie zum ersten Mal Afrikapolitische Leitlinien. Die Beteiligung an der VN-Mission in Mali ist in diesem Kontext immer wieder als kraftvolles Zeichen für den neuen Willen, Verant­wortung zu tragen, genannt worden.22 Wie in kaum einer anderen Region des internationalen Systems ließen sich hier mehrere Motive in Deckung zuein­ander bringen und gleichzeitig verfolgen: die Über­nahme größerer Verantwortung, die Solidarität mit Partnern, die Rolle Europas und das sicherheits­politische Eigeninteresse.

Als Präsident Gauck 2014 seine Rede hielt, hatte Russland die Krim noch nicht annektiert, die Flücht­lingskrise 2015 hatte die EU noch nicht gespalten, Donald Trump war noch nicht Präsident der USA und der Austritt Großbritanniens aus der EU noch nicht beschlossen. Auch die Konkurrenz der drei Großmächte USA, China und Russland hatte noch nicht jene konfrontativen Konturen gewonnen, die heute die Weltpolitik bestimmen. Kurz: Große Teile der internationalen Ordnung im machtpolitischen, in­stitutionellen und normativen Sinne waren noch nicht diesem starken Wandel unterworfen, der seit­dem erkennbar ist.23

Diese Umwälzungen in der internationalen Politik haben zu einer radikal veränderten Ausgangslage für die deutsche Außenpolitik geführt, die das Argument der größeren internationalen Verantwortung noch schwerwiegender macht. 2014 ging es für die deut­sche Außenpolitik vor allem darum, den Erwartungen der Partner und Verbündeten gerecht zu werden.

Deutschlands Engagement für den Multi­lateralismus ist auch Ausdruck seines Eigen­interesses daran, dass die internationale Ordnung funktioniert.

2021 gilt es vorwiegend, sich in einer Welt zu be­haup­ten, in der nicht länger eindeutig zuzuordnen ist, wer noch Partner und Verbündeter ist und wer nicht mehr, und in der die Institutionen und Hand­lungsmaximen multilateralen Handelns von ver­schie­denen Seiten zunehmend in Frage gestellt werden. Ein funk­tionierendes multilaterales System ist unab­dingbare Voraussetzung dafür, dass Deutschland und Europa international Einfluss nehmen können. Ange­sichts dessen speist sich das Engagement Berlins für den Erhalt und die Weiterentwicklung multilateraler Prin­zipien einerseits aus den skizzierten Überlegungen des Münchner Konsenses, andererseits ist es Ausdruck eines aufgeklärten Eigen­interesses daran, dass die internationale Ordnung funktioniert.24

Abgeordnete des Bundestages haben das Argument des zu stärkenden Multilateralismus explizit mit dem deutschen Mali-Engagement in Verbindung gebracht, zum Beispiel:

  • Reinhard Brandl (CSU): »MINUSMA ist eine der größten Missionen der Vereinten Nationen, und durch unsere Beteiligung daran unterstreichen wir, dass wir an das Konzept der internationalen Zusammenarbeit glauben. Wir wollen Probleme wie in Mali in einer Weltgemeinschaft lösen.«25

  • Fritz Felgentreu (SPD): »Wenn wir uns den MINUSMA-Einsatz ansehen, dann stellen wir natürlich sofort und auf den ersten Blick fest: Ja, das ist ein Einsatz im Rahmen eines Systems kol­lektiver Sicherheit, nämlich der Vereinten Nationen, und das wollen wir stärken. Wir wollen, dass die Vereinten Nationen besser als in der Vergangenheit in der Lage sind, ordnend und friedens­erhaltend weltweit einzugreifen.«26

Vertreterinnen der Opposition haben insbesondere die Stärkung des Peacekeeping als Motiv für die Zu­stimmung ihrer Fraktion angeführt, etwa Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen): »Einer der Gründe, warum die Friedensmissionen der Vereinten Natio­nen ihre Ziele in der Vergangenheit manchmal nicht oder nur teilweise erreichen konnten, war […] die Haltung der westlichen Staaten, die zwar diese Ein­sätze im großen Maße finanzieren, sich aber bei der Bereitstellung von Personal und Material vornehmend zurückgehalten haben, obwohl die Vereinten Natio­nen sie seit Jahren händeringend um Hilfe bitten, weil nur sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. Nicht nur wir Grüne, sondern auch viele hier im Parlament haben in den letzten Jahren einen Kurswechsel angemahnt und deutlich gemacht, dass wir auch bereit wären, größere und relevantere Bei­träge für die Friedensmissionen der Vereinten Natio­nen zu mandatieren.«27

In diesem Sinne ist also auch Deutschlands Engage­ment für die internationale Zusammenarbeit in multi­lateralen Institutionen unter dem Titel »Allianz für den Multilateralismus« im Kern eine Fortführung des Münchner Konsenses bzw. eine Ausformung des­selben.28 Außenminister Maas hat dies bei der Bot­schafterkonferenz 2018 explizit ausformuliert: »Dabei schwebt uns ein Netzwerk von Partnern vor, die ge­meinsam für den Erhalt und die Weiterentwicklung der regelbasierten Ordnung eintreten. Die den Multi­lateralismus verteidigen. Die bereit sind, dafür auch politisches Kapital einzusetzen, weil sie ver­stehen, was Multilateralismus im Kern bedeutet. Multilateralismus heißt, auch dann in eine Ordnung zu inves­tieren, wenn ich daraus nicht unmittelbar, nicht heute schon einen Vorteil ziehe. Aber in dem siche­ren Wissen, dass ich mich auf diese Ordnung ver­lassen kann, wenn ich selbst einmal darauf ange­wiesen bin.«29

Als eine dieser Investitionen in den Erhalt bzw. die Weiterentwicklung der internationalen Ordnung definiert die Bundesregierung die Stärkung der Ver­einten Nationen im Allgemeinen und die Friedens­sicherung im Besonderen, auch indem sie eigene, substantielle Truppenkontingente stellt.30 Sollte die Bundesregierung nach dem Ende der zwei Jahre als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates weiterhin für die »Allianz für den Multilateralismus« eintreten (wovon auszugehen ist), entfaltet sich dieselbe Binde­wirkung wie während der Bewerbungsphase vor den zwei Jahren. Denn als Initiator dieses Formates wird sich Deutschland in besonderer Weise daran messen lassen müssen, was es zu leisten bereit ist.

Der Sitz im Sicherheitsrat

Zeitgleich zu ihrer Beteiligung an MINUSMA bewarb sich die Bundesrepublik um einen nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat für 2019–2020. Um eine ernst­hafte Chance auf den Sitz zu haben, war es notwendig, dass Deutschland versprach, seine Beiträge zu den Friedensoperationen der VN substantiell und auf meh­reren Ebenen – politisch, strategisch, operativ – auszubauen und neu zu strukturieren. Von dieser Einsicht ließ sich das Auswärtige Amt bereits leiten, als es die Friedenssicherung als einen von vier Schwer­punkten der deutschen Bewerbung hervorhob.31

Für die Bewerbung um den nichtständigen Sitz, die Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Juni 2016 offiziell bekanntgab, machte sich die Bundes­regierung zudem die angesprochene Debatte um Ver­antwor­tung gezielt nutzbar. Sie kontrastierte dabei die eigene Bereitschaft zu größerem Engagement mit der Krise, in der das multilaterale System sich befände: »Damit übernimmt die Bundesrepublik zum sechsten Mal in dieser Rolle besondere Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt. Deutschland will als glaub­würdiger Akteur für die Stärkung der inter­nationalen Ordnung auftreten, noch sichtbarer Ver­antwortung im multilateralen System übernehmen und zur Über­windung aktueller Krisen und Konfliktprävention beitragen – in Zeiten, in denen die multi­laterale Ordnung, mit den VN in ihrem Zentrum, enorm unter Druck geraten ist.«32

Auch Christoph Heusgen, der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen, hat im Kontext der Bewer­bung den Zusammenhang zwischen Berlins gestiegener Verantwortung und dem deutschen Sitz im VN-Sicherheitsrat immer wieder betont und dabei expli­zit auf das deutsche MINUSMA-Engagement als deren Ausweis Bezug genommen: »Deutschlands außenpoliti­sche Rolle ist in den zurückliegenden Jahren erheb­lich gewachsen. […] Deutschland ist fähig und bereit, einen größeren Beitrag zur Konfliktlösung zu leisten. Im multilateralen Kontext sind wir daher ein gefrag­ter Partner, nicht nur in EU, OSZE und NATO, son­dern auch als Mitglied der Weltorganisation am Ufer des New Yorker East River. […] Wir untermauern dieses Engagement finanziell und immer stärker auch per­so­nell. Bei den Blauhelmeinsätzen ist Deutschland aktu­ell zweitgrößter europäischer Truppensteller. Mit unserer Beteiligung an MINUSMA in Mali, aber auch an der maritimen Komponente von UNIFIL stellen wir substanzielle Fähigkeiten in den Bereichen Lufttransport, Aufklärung und Seeraumüberwachung.«33

In der offiziellen Broschüre zu ihrer Bewerbung führte die Bundesregierung überdies aus, dass die Bundesrepublik als größte Volkswirtschaft und bevöl­kerungsreichstes Land in Europa sowohl über die materiellen Fähigkeiten verfüge als auch über den politischen Willen, um international Verantwortung zu tragen. Begründet wurde die Bewerbung darüber hinaus mit der internationalen Bedeutung Deutschlands als eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt sowie mit seiner zentralen politischen Bedeutung für die Europäische Union.

Bereits während der Kampagne für einen Sitz im Sicherheitsrat 2011–2012 hatte Deutschland ver­sprochen, sich in Fragen der afrikanischen Sicherheit zu engagieren. Letztlich maßen deutsche Diplomaten und Politiker Afrika im sicherheitspolitischen Sinne jedoch einen eher geringen Stellenwert bei. Das hat sich vor allem durch die Ereignisse in Mali 2013 ge­ändert. Vor diesem Hintergrund stand nun die Erwar­tung im Raum, dass Deutschland einen kon­kre­ten politischen und/oder militärischen Beitrag zu den afrikanischen Dossiers im Sicherheitsrat leisten könne. Einige Beobachter leiteten aus diesen Äuße­run­gen sogar eine mögliche Prioritätensetzung für die deut­sche Ratsagenda ab: Berlin solle versuchen, eine grö­ßere Rolle in den Ratsdebatten über die VN-Frie­dens­operationen in Afrika zu spielen, denn diese nähmen mehr als die Hälfte der Zeit des Sicherheitsrates in Anspruch und forderten den weit überwiegenden Teil der eingesetzten Soldaten und Polizisten.34

Sofern über eine größere Rolle Europas im VN‑Peacekeeping nachgedacht wird, richten sich die Erwar­tungen auf Deutschland.

Deutschland wurde am 8. Juni 2018 mit 184 von 190 möglichen Stimmen in den VN-Sicherheitsrat 2019–2020 gewählt. Man geht sicherlich nicht fehl in der Annahme, dass sich in dem sehr guten Abstim­mungsergebnis die hohen Erwartungen manifestierten: an Deutschlands Engagement im wichtigsten politischen Gremium der Vereinten Nationen im Allgemeinen ebenso wie in Form seiner konkreten Aktivitäten im Speziellen. Doch angesichts der Viel­zahl der aktuellen Krisen und Konflikte in der Welt bei einer gleichzeitigen Schwäche des Multilateralismus war die Wahl Deutschlands wohl auch Ausdruck einer weitergehenden Erwartung.35 Unter der Regie­rung Trump zogen sich die USA als der bisherige Garant der multilateralen Ordnung teilweise zurück und setzten sich nicht mehr in dem Maße für die regel­basierte liberale Weltordnung ein, wie sie es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs getan hatten. Des­halb schauten und schauen viele VN-Mitglieder mit besonderem Augenmerk auf Deutschland. Zudem ist sein Einfluss in der Welt gewachsen, hauptsächlich aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke, politischen Stabilität und einflussreichen Stellung in Europa. Sofern über eine größere Rolle Europas im VN-Peace­keeping nachgedacht wird, steht Deutschland im Mittelpunkt der Überlegungen.

Letztlich haben es drei Faktoren zumindest erschwert, wenn nicht sogar verhindert, dass Berlin in diesen zwei Jahren wie erhofft als »Brückenbauer« in dem gespaltenen Gremium fungieren und wirklich eigene Akzente setzen konnte: Zum Ersten fielen die USA als traditionell enger Partner der deutschen Außen­politik unter Präsident Trump vollständig aus bei der aktiven Gestaltung einer gemeinsamen VN-Politik. Zum Zweiten blockierten die geopolitischen Differenzen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern (und auch Deutschland) ein koordiniertes Handeln in vielen Krisen und Konflikten. Zum Dritten lähmte die Covid‑19-Pandemie ganz konkret die Beratungen des höchsten VN-Gremiums und behinderte die Konsensfindung zusätzlich.36

Selbst wenn die seit langem angestrebte Reform bzw. Erweiterung des Sicherheitsrates zurzeit keine Chance auf Umsetzung hat, hält die Bundesregierung daran fest, dass für diesen Fall Deutschland eines der Länder sei, das als ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat aufrücken solle. Außenminister Maas hat dies am 26. November 2020 vor dem Bundestag unter­strichen: »Dass wir einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch auf Dauer auszufüllen wissen, das haben wir in den letzten beiden Jahren bewiesen. Deshalb wollen wir nicht nur in acht Jah­ren erneut für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat kandidieren, sondern wir wollen bis dahin ein ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen werden.«37

Es lässt sich schwer prognostizieren, ob Deutschland als ständiges Mitglied mit noch höheren Erwar­tungen konfrontiert wäre, sich an VN-Friedens­missio­nen zu beteiligen. Die bisherige Erfahrung spricht dagegen: Bis auf China leisten die fünf ständigen Mitglieder in der aktuellen Konstellation beim VN-Peacekeeping wenig. Wie sich die politische Dynamik in einem erweiterten Sicherheitsrat gegebenenfalls verändern könnte, ist jedoch theoretisch nicht zu beantworten.38

Europäische Handlungsfähigkeit

Die deutsche Beteiligung an MINUSMA ist als Teil einer breiteren Bewegung zu betrachten, nämlich eines »European return to UN peacekeeping« (J. Koops). Einige europäische Staaten, die in früheren Dekaden substantielle Beiträge zu den VN-Truppen geleistet, dann aber aus einer Reihe von Gründen ihr Engagement erheblich reduziert haben, kehren vorsichtig in VN-Friedenseinsätze zurück. Neben Deutschland sind dies Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Norwegen, Schweden, die Nieder­lande und Großbritannien. Wie bereits angedeutet, ist das unter anderem dem Streben nach einer größe­ren außen- und sicherheitspolitischen Handlungs­fähig­keit der EU geschuldet. So weist die Euro­pean Union Global Strategy (EUGS) – wie auch das deut­sche sicherheitspolitische Weißbuch von 2016 – der europäischen Unterstützung für VN-Friedens­opera­tionen eine zentrale Bedeutung zu. Addiert man französische Erwartungen als Treiber des deutschen MINUSMA-Engagements, ergibt sich das Bild einer informellen Europäisierung der deutschen Peace­keeping-Politik. Zwar bleibt die deutsche Politik in rechtlicher Hinsicht völlig autonom, was Deutschlands (Nicht-)Beteiligung an friedenserhaltenden Maß­nahmen der VN angeht; politisch sind indes längst bi‑ und multilaterale Kooperationszusammenhänge be­gründet worden, die Berlin diesbezüglich binden.

Dabei fügt es sich, dass die EU in den vergangenen fünfzehn Jahren bereits selbständig diverse friedenserhaltende Operationen nach Afrika entsandt hat, mehr als jede andere internationale Organisation, einschließlich der VN und afrikanischer Regional­organisationen. Damit hat sie im doppelten Sinne wichtige Erfahrungen gewonnen: einerseits als eigen­ständiger Akteur im Feld des Peacekeeping mit seinen komplexen politischen und militärischen Heraus­forderungen, andererseits gerade in demjenigen geo­grafischen Umfeld, in dem die meisten Friedens­operationen der Vereinten Nationen stattfinden.39

Darüber hinaus stellen die EU-Mitgliedstaaten bis zu 40 Prozent des VN-Friedenssicherungsbudgets und die Union unterstützt afrikanische Regionalorganisationen finanziell durch die African Peace Facility (APF). Seit der Entsendung ihrer ersten Friedensmission hat sich die EU zu einem maßgeblichen Akteur für die Friedenssicherung auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt, ohne dessen Unterstützung die meisten Operationen afrikanischer Organisationen nicht durch­geführt worden wären.40 Ob sie damit jedoch das VN-Peacekeeping auf Dauer gestärkt hat, ist strittig: Denn mit der Entwicklung der GSVP verfügen die EU-Mitglieder zugleich über ein ausschließlich von ihnen kontrolliertes multilaterales Format – eine vordergründig attraktivere Alternative zu einer direkten Beteiligung an friedenserhaltenden Missionen der VN.

Auffällig ist, dass es sich bei den EU-Missionen über­wiegend um sehr speziell zugeschnittene Opera­tionen handelt, die sich von den groß angelegten, umfassenden Missionen der VN unterscheiden. In vielen Fällen besetzt die EU funktionale Nischen, die die Vereinten Nationen nicht anderweitig füllen können, und spielt somit eine unterstützende Rolle innerhalb klar definierter Tätigkeitsfelder. Dieser von den Europäern gewählte Nischenansatz basiert weit­gehend auf Präferenzen der EU bzw. ihrer Mit­glied­staaten.41 Die Motivation für die Entwicklung dieses funktionalen Nischenansatzes bei der Friedenssicherung ist nicht schwer zu identifizieren. Er zielt darauf ab, die bekannten Schwächen von VN-Ein­sät­zen soweit möglich zu vermeiden, etwa die schlei­chende Ver­änderung des Mandats, die Übernahme von Hoch­risikoeinsätzen in scheinbar aussichtslosen Konflikten, die Entsendung von Missionen ohne klare zeit­liche Begrenzung und das Problem von zu ehrgeizigen Mandaten.42

Damit VN-Friedenseinsätze von den spezialisierten Fähigkeiten der EU profitieren können, ist eine systematischere und verzahnte Form der Zusammenarbeit nötig.

Damit prägt die Art der Truppensteller die Art der Fähigkeiten, die den VN bzw. der EU zur Verfügung gestellt werden. Theoretisch könnten VN-Einsätze von den militärischen Fähigkeiten europäischer Staaten profitieren, wenn Letztere substantieller und dauer­haft zu VN-Einsätzen beitrügen. Die weitgehende Ab­stinenz Europas – und der meisten Länder mit hoch­technologischer militärischer Ausrüstung – von VN-Einsätzen entzieht diesen jedoch die Ausrüstung, auf die EU- oder Nato-Einsätze derweil zurückgreifen (können).

Um die spezialisierten Fähigkeiten der EU effektiver zu nutzen, ist eine systematischere und verzahnte Form der Zusammenarbeit zwischen ihr und den VN notwendig. Parallel zur Kooperation vor Ort haben beide Organisationen daher ihre Beziehungen zuneh­mend institutionalisiert, beginnend mit zwei gemein­samen Erklärungen 2003 und 2007, die gemeinsame Kommunikationskanäle und Koordinationsmechanismen festlegen. So sind zum Beispiel zwei Treffen pro Jahr des UN–EU Steering Committee on Crisis Management vereinbart worden und die beiden Ab­tei­lungen der VN für Friedensoperationen und poli­tische Angelegenheiten haben ein Verbindungsbüro in Brüssel eröffnet. Der Plan of Action to Enhance EU CSDP Support to UN Peacekeeping von 2012 sowie die »UN–EU Strategic Partnership on Peacekeeping and Crisis Management« von 2015 haben schließlich eine Reihe von Kooperationsfeldern definiert, die für frie­denserhaltende Maßnahmen von zentraler Bedeutung sind: schnelle Eingreiffähigkeiten, die Unterstützung der Afrikanischen Union (AU) in diesem Politikfeld, größere Beiträge von EU-Mitgliedern zu VN-Missio­nen, Kooperation im Bereich der Rechtsstaatsentwicklung und der Reform des Sicherheitssektors, Zusammen­arbeit in logistischen Fragen und nicht zuletzt einen besseren Austausch von Informationen und Analysen.43

Den grundlegenden politischen Rahmen für das Engagement der EU zugunsten von Peacekeeping und Peacebuilding stellt die EUGS dar. So will Brüssel nicht nur EU-Missionen vor Ort besser mit VN-Missionen koordinieren, sondern auch generell die Kooperation mit den VN intensivieren. Dabei entwickelt die Union gleichermaßen finanzielle, institutionelle und opera­tive Perspektiven: »Der Glaube an die VN bedeutet, dass auch in sie investiert werden muss, insbesondere in ihre Aufgabenbereiche Friedenssicherung, Media­tion, Friedenskonsolidierung und humanitäre Hilfe. Die EU und ihre Mitgliedstaaten, die bereits die größ­ten Geldgeber der humanitären Organisationen der VN sind, werden weiterhin in deren Tätigkeiten inves­tieren. Die Friedenssicherung der VN könnte im Rah­men der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs­politik (GSVP) durch Überbrückungs- und Stabilisierungsmaßnahmen oder andere Maßnahmen weiter unterstützt und ergänzt werden. Die EU wird ferner die Synergieeffekte mit den Bemühungen der VN zur Friedenskonsolidierung verbessern, indem die Pla­nung, die Entwicklung und der Rückzug von GSVP-Missionen zum Kapazitätsaufbau in fragilen Situationen stärker koordiniert wird.«44

Vor diesem Hintergrund haben die Vereinten Natio­nen und die EU im September 2020 am Rande der VN-Generalversammlung ein Abkommen unter­zeichnet, das die Zusammenarbeit verbessern und die gemeinsame Reaktion bei Friedenseinsätzen und im Krisenmanagement stärken soll. Das Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Natio­nen über gegenseitige Unterstützung bei ihren jeweiligen Missionen und Operationen vor Ort soll die operative Ab­stimmung erleichtern und die Komplementarität zwischen EU- und VN-Feldmissionen in den Bereichen Logistik, medizinische Versorgung und Sicherheits­unterstützung erhöhen. Insbesondere soll diese Ver­ein­barung die beiden Organisationen in die Lage versetzen, ihre Zusammenarbeit auszuweiten. Dazu sollen EU und VN die jeweiligen Verfahren und Struk­turen kennenlernen, mit denen die logistische Unterstützung in Operationen vor Ort geplant und durchgeführt wird. Das Rahmenabkommen ergänzt die bestehenden Kooperationsvereinbarungen zwi­schen den beiden Organisationen.45

Bleiben diese Bekundungen an sich noch etwas allgemein und wenig konkret, belegt ein Blick in die Mandatsdebatten des Bundestages, dass der Ausbau der europäischen Handlungsfähigkeit ein wichtiges Motiv bei der Entscheidung zugunsten der deutschen MINUSMA-Beteiligung war und nach wie vor ist. Stell­vertretend für viele Beiträge sei nur auf eine Rede­ aus der Debatte vom Mai 2020 verwiesen: »Unser Engage­ment in Mali ist auch ein Engagement zur Stärkung der Rolle Europas in der Welt. Wir wollen ein starkes Europa. Wir wollen ein Europa, das souverän und handlungsfähig ist, ein Europa, das in der Lage ist, auf Sicherheitsprobleme in seiner weiteren Nachbarschaft auch selbst zu reagieren. […] MINUSMA ist ein Teil unseres europäischen Engagements. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Initia­ti­ven europäischer Länder. Die sind komplementär. Man kann sie noch besser abstimmen. Aber in Summe zeigt Europa da­durch, dass es bereit ist, Ver­antwor­tung in seiner Nachbarschaft mit zu übernehmen […].«46

Selbst dann, wenn nicht politische Erwägungen, sondern operative Planungen angeführt werden, do­mi­niert eine Perspektive, die das deutsche MINUSMA-Engagement in einen europäischen Handlungs­zusammenhang einbettet: »Deutschland ist bei MINUSMA eine Anlehnnation für Soldatinnen und Sol­daten aus Belgien, aus Dänemark, aus Estland, aus Irland, aus Litauen, aus den Niederlanden und aus der Schweiz. Sie sind in das deutsche Kontingent integriert, und deswegen ist die Forderung, diesen Einsatz zu beenden, eine ganz klare Absage an die Verantwortung, die Deutschland in der Welt trägt – gerade im Moment auch durch unsere Position im UN-Sicherheitsrat –, und eine klare Absage an andere Nationen, die sich bei diesem Einsatz auf uns ver­lassen. Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Ein­satz fortsetzen.«47

Die Sicherheit der »Anderen« – das Motiv der regionalen Sicherheit

Dominierte bei der Erstmandatierung im Jahr 2013 das Argu­ment der Bündnissolidarität, traten anschlie­ßend Erwägungen zur sicherheitspolitischen Entwick­lung in Mali und der Sahelregion hinzu und zum Teil in den Vordergrund, wie sich an den Mandatsdebatten im Deutschen Bundestag zeigen lässt. Mittlerweile wird sogar das eine vom anderen abgegrenzt: »Ich will zu Beginn noch mal klarstellen, warum wir mit der Bundeswehr in Mali sind, warum wir uns in der Sahel­region engagieren: nicht weil wir Frankreich einen Gefallen schulden, sondern weil es unser eigenes Inter­esse und das Interesse der internationalen Gemein­schaft ist, dass Staaten nicht zerfallen. Zerfallene Staaten sorgen nämlich dafür, dass sich Terror und Kriminalität ausbreiten und die Sicherheit der gesam­ten Region und letztendlich auch die europäische Sicherheit bedrohen. Das ist der Grund, warum wir uns dort engagieren.«48

Dabei mangelt es in den entsprechenden Reden zuweilen an spezifischen Ausführungen zur (ange­spannten) Sicherheitslage bzw. zu deren angenomme­ner eskalierender Wirkung in der Region. Viele Redner bringen stattdessen die deutsche MINUSMA-Beteili­gung allgemein mit deutscher Afrikapolitik in Verbin­dung und setzen die Entsendung des Bundeswehrkontingents in den Kontext eines eher zivilen, ent­wick­lungs­politisch begründeten Engagements. Die Breite des MINUSMA-Mandats erleichtert diesen Blickwinkel.

Diese argumentative Verknüpfung wird noch ver­stärkt durch einen Verweis, der sich wie ein roter Faden durch die Debatten zieht, sprich dass MINUSMA Teil des sogenannten vernetzten Ansatzes sei, das heißt des deutschen Grundprinzips im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement. Die Beiträge aus der zweiten MINUSMA-Mandatsdebatte 2014 unter­streichen diese Schwerpunktsetzung beispielhaft:

  • Ralf Brauksiepe (CDU): »Wir müssen uns weiterhin bewusst sein, dass der militärische Beitrag zu die­ser VN-Mission nur ein Teil des mit unseren Partnern abgestimmten mehrdimensionalen Ansatzes zur Stabilisierung der Region sein kann. […] Der Einsatz im Rahmen von MINUSMA bleibt Teil eines umfassenden Engagements der Bundesregierung für Mali im Rahmen eines vernetzten Ansatzes.«

  • Achim Post (SPD): »Warum ist die Verlängerung des Mandats notwendig? […] Mali braucht die langfristige Entwicklungszusammenarbeit […] in der Landwirtschaft, bei der Dezentralisierung, bei guter Regierungsführung und bei der Wasserversorgung. […] Ich glaube, dass es im Interesse des gesamten Hauses ist, dass Mali ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungspolitik bleibt.«

  • Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen): »Wir alle in diesem Hause wissen, dass durch dieses Mandat allein keine langfristige Stabilisierung erfolgen wird. Wir müssen in Mali Menschenrechte etablieren sowie soziale und ökologische Gerechtigkeit entwickeln.«

  • Florian Hahn (CSU): »Militärische Unterstützung und Ausbildung in Mali stehen für uns nicht allein; wir verfolgen zu Recht einen ganzheitlichen An­satz beim Staatsaufbau. Versöhnung aller Volksgruppen und Beteiligung aller Regionen am Staats­wesen sind Voraussetzungen für langfristige Stabilität.«49

Mit der Einbettung militärischer Gewalt in einen zivilen Kontext läuft die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik Gefahr, sich zu überfordern.

Auch damit steht der Fall MINUSMA prototypisch für die Befassung des Bundestages mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Um die Drohung mit und die Anwen­dung von militärischer Gewalt zu legitimieren, betten Bundesregierung und Bundestag diese gleich­sam in einen zivilen Kontext ein und suchen sie damit funktional umzudefinieren bzw. politisch zu ent­schär­fen.50 So nachvollziehbar und begründet dies im Ein­zelnen sein mag, so läuft die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zugleich Gefahr, sich damit zu über­fordern. Denn je mehr Politikfelder miteinander ver­knüpft werden, desto größer ist die Zahl der betei­lig­ten Akteure im Land, desto gravierender sind die Ziel­konflikte und desto schwieriger wird es, Verantwor­tung für Erfolg bzw. Misserfolg zuzuweisen. Unter veränderten Vorzeichen ist also auf nationaler Ebene dasselbe zu erkennen, was auf Ebene der Vereinten Nationen bei der sukzessiven Ausweitung von Man­daten festzustellen ist und seit langem beklagt wird.

Mehr als acht Jahre nach Beginn des deutschen MINUSMA-Engagements ist die internationale Gemein­schaft nach wie vor mit einer Doppelaufgabe kon­fron­tiert, nämlich einerseits das zu bekämpfen, was als Terrorismus wahrgenommen und definiert wird, und andererseits im Land und in der Region die in vielen Bereichen fehlende Staatlichkeit zu erset­zen. Zudem haben sich die Hoffnungen, die mit dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft 2013 verbunden gewesen waren, nicht erfüllt: dass die lokalen Regierungen mit internationaler Unterstützung schrittweise ihre zentralen Aufgaben selbst übernehmen könnten.

Eine Untersuchung der Bundestagsdebatten illust­riert, dass denjenigen Abgeordneten, die das Mandat befürworten, ebenso wie den Vertretern der Bundesregierung durchaus klar ist, dass die Bilanz des Er­reich­ten bescheiden ausfällt. Spätestens seit 2018 drücken die MINUSMA-Befürworter in den Mandatsdebatten immer wieder ihre Unzufriedenheit aus – über die Zunahme terroristischer Anschläge, über die mangelhafte Umsetzung des Friedensabkommens, über die allgemeine Verschlechterung der Sicherheits­lage, schließlich über die fehlende Bereitschaft der in Mali herrschenden Eliten, ausreichend Verantwortung zu übernehmen, damit sich Staatlichkeit heraus­bilden kann. Als Beispiel die Einschätzung Agnieszka Bruggers (Bündnis 90/Die Grünen): »Uns erreichen aus Mali gemischte Nachrichten. Manche stimmen uns durchaus hoffnungsvoll, aber die meisten sind leider besorgniserregend. […] Nach der anfänglichen Eupho­rie über die Erfolge, gerade über das Friedensabkommen vor vier Jahren, ist heute die Ernüchterung bei vielen zu Recht sehr groß. […] Die Fragezeichen werden nun einmal nicht kleiner, sondern größer: Terroristische Gruppierungen tragen die Gewalt zunehmend in den Süden des Landes; die Sicherheitslage verschlechtert sich; malische Sicherheitskräfte und die internationale Mission selbst sind immer wieder Ziel von Angriffen.«51

Diese Studie ist nicht der Ort, um zu diskutieren, welchen Beitrag die Vereinten Nationen überhaupt leisten können angesichts derjenigen politischen Rahmenbedingungen, unter denen sie in Mali zu operieren haben. Doch Landes- und Regionalexperten sehen in dieser Frage nur geringe Handlungsspielräume und konstatieren, die Aufrechterhaltung des Status quo biete ein Gleichgewicht, mit dem sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die mali­sche Regierung leben können.52

Denn für Mali bringt das ausländische Engagement erhebliche Vorteile. Es erlaubt der Regierung, die Er­füllung staatlicher Aufgaben an internationale Akteure zu delegieren, vor allem im Bereich der Sicherheit. Solange die französische Operation »Barkhane« und MINUSMA im Land bleiben, hat die militärisch schwa­che nationale Regierung wenig von Jihadisten und anderen Aufständischen zu befürchten. Zudem mobi­lisiert der Status als Krisenland, in dem ver­meintlich Terrorismus und organisierte Kriminalität lauern, beträchtliche Ressourcen von außen. Bereits vor der Krise war das Land extrem abhängig von Hilfs­geldern, seitdem hat es noch mehr Hilfe erhalten.

Die internationale Präsenz macht es der Regierung ferner möglich, sich der politischen Verantwortung zu entziehen und aus der Krise Kapital zu schlagen, indem sie gegenüber den westlichen Regierungen immer wieder erklärt, Terrorismus und Migration, die von Mali ausgehen, stellten eine Bedrohung für Europa dar. Denn der Status des Landes als »Hort der Instabi­li­tät« sorgt weiterhin für umfangreiche politische, wirt­schaftliche und militärische Unterstützung aus dem Aus­land, die die Regierung nutzen kann, um die eigene Macht gegen politische und aufständische Kon­kurren­ten zu schützen. Damit fehlt es ihr freilich an An­reizen, die Art von Institutionen- und Staatsaufbau in Angriff zu nehmen, die ihre internationalen Part­ner gern sähen.

Die »eigene« Sicherheit – Migration und Terrorismus

Schließlich wird in der Debatte ein weiteres Motivbündel als Begründung für die deutsche MINUSMA-Beteiligung angeführt. Mit dem Einsatz werde nicht nur die Sicherheitslage im Sahel verbessert, sondern er diene insofern auch deutschen Interessen, als er zwei sicherheitspolitische Herausforderungen aus der Region abmildere, die Deutschland bzw. Europa direkt beträfen: Zum einen drohten ohne MINUSMA Migrationsströme aus dem und durch den Sahel nach Europa zu erstarken. Zum anderen sei ein Ausgreifen islamistischer Gruppen aus Mali nach Europa zu be­fürchten. Entsprechende Anschläge innerhalb der EU könnten die Folge sein. In Variation eines bekannten, anders gelagerten Zitats ließe sich dieses Argument unter dem Titel fassen »Deutschlands Sicherheit wird auch im Sahel verteidigt«.

Manche Stimmen warnen davor, die multiplen Konfliktlagen in Mali auf »Terrorismus« zu reduzieren – dennoch ist er ein wichtiger Grund, sich dort zu engagieren.

Insbesondere seit der »Migrationskrise« 2015 und den Terroranschlägen von Paris im November 2015 sind die MINUSMA-Debatten im Deutschen Bundestag um diese beiden Facetten ergänzt worden:

  • Elisabeth Motschmann (CDU): »Die instabile Lage in Mali hat nicht nur Auswirkungen auf die Region, sondern natürlich auch auf Europa […]. Die Probleme in Mali sind unsere Probleme; denn wenn sich Flüchtlinge aus Mali auf den Weg nach Europa oder gar Deutschland machen, wissen wir, was ge­schieht.«53

  • Ursula von der Leyen (CDU): »Denn Mali ist ein Schlüsselland in der Sahelzone, ein Schlüsselland, das Stabilität herstellen kann oder Fragilität hervorbringt. Dort verläuft die Route für Migration, aber auch die Route für Schleuser und Schlepper, die Menschen vom Süden in den Norden bringen, sowie für Drogen- und Waffenschmuggel und andere Formen der organisierten Kriminalität.«54

  • Andreas Nick (CDU): »Denn unsere Sicherheitsinter­essen in Europa sind hier unmittelbar berührt. Eines ist klar: Eine Verschärfung der Krise im Sahel hätte direkte Auswirkungen auch auf die Sicherheitslage bei uns, sei es in Form verstärkter Migrationsbewegungen oder der Ausbreitung der terroristischen Bedrohung aus der Region.«55

Die Bundesregierung teilt diese Ansicht – bei der Mandatsverlängerung im Mai 2020 hat Verteidigungs­ministerin Kramp-Karrenbauer noch einmal den Nexus zwischen der Sicherheitslage in der Sahelregion einerseits und den deutschen Interessen andererseits herausgestellt: »Die Sahelzone […] ist eine schwierige Zone. […] Sie ist zunehmend eine Drehscheibe für Terroristen und für organisierte Kriminalität, und sie ist auch eine Bedrohung für unsere Sicherheit hier in Europa und hier in Deutschland.«56

Selbst wenn manche Stimmen seit Jahren davor warnen, die multiplen Konfliktlagen in Mali vor allem auf eine terroristische Herausforderung zu redu­zieren, so besteht doch wenig Zweifel, dass gerade diese Sicht neben der Migrationsfrage ein wichtiger Grund für die internationale Gemeinschaft ist, sich in Mali zu engagieren.

Fazit

Diese Studie hat sechs »Motivbündel« identifiziert, die Anlass dafür waren, dass – nach langer Abstinenz – zum ersten Mal wieder ein größeres deutsches Kon­tingent als Teil einer VN-geführten Friedensoperation entsandt worden bzw. das entsprechende Mandat immer wieder verlängert worden ist. Abschließend ist zu fragen, welche dieser Ziele mit der deutschen MINUSMA-Beteiligung erreicht werden konnten.

Bündnissolidarität: Dieses Argument basiert auf der Annahme, die Präsenz der Bundeswehr in Mali (MINUSMA und EUTM) sei Ausweis deutscher Solida­rität mit Paris – trotz existierender rechtlicher und operativer Einschränkungen und unabhängig von französischen Forderungen nach einem robusteren Engagement. Sie stärke somit Deutschlands Ansehen als »verlässlicher Partner« im Kreise seiner sicherheitspolitischen Verbündeten und im Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Für diese Form der Unterstützung dürfe Deutschland seinerseits ein Entgegenkommen in anderen Politikfeldern erwarten.

Ob die MINUSMA-Beteiligung tatsächlich dem er­klärten deutschen Ziel dient, die Solidarität mit Frank­reich wirksam unter Beweis zu stellen, muss bezwei­felt werden, vor allem je länger der Einsatz dauert. Unstrittig ist, dass dieses Anliegen gerade zu Beginn das deutsche Handeln geleitet hat, und es wäre unfair, den handelnden Akteuren zu unter­stellen, sie hätten bei der Erstmandatierung 2013 nicht an die Wirksamkeit dieser Unterstützung ge­glaubt. Das Prob­lem ist, dass die französische Füh­rung unter Soli­darität weniger Deklarationen politi­schen Beistands versteht, sondern eine konkrete Beteiligung am militärischen Handeln im Sinne Frankreichs. Während die Bundes­wehr in Mali an einem eher traditionellen friedens­erhaltenden Ein­satz der Vereinten Nationen teilnimmt, der das Land stabilisieren soll, zielt der fran­zösische Militäreinsatz außerhalb dieses multilate­ra­len Rahmens auf die Terror- bzw. Aufstandsbekämp­fung.57 Deutsche und französische Kontingente befinden sich in demselben Land, führen aber Operationen durch, die völlig unterschiedlich gelagert sind. Diese feh­lende Übereinstimmung verhindert, dass das deut­sche Mali-Engagement in Paris in politisches Kapital transformiert werden kann, das wiederum deutschen Interessen in anderen Bereichen zugutekäme.

Stattdessen geht die Wirkung in die entgegen­gesetzte Richtung. Die rhetorischen Bekundungen, das französische Vorgehen im Sahel politisch zu unter­stützen, klingen in den Ohren französischer Politiker hohl. Die Bundesregierung hat im Februar 2021 erneut betont, einen prioritär zivilen Ansatz für die Region zu verfolgen: »Die Menschen brauchen Polizeikräfte, die sie vor Verbrechen beschützen, Bauingenieure, die Straßen und Wasserversorgungsleitungen repa­rieren, und Richter, die ihre Arbeit ohne Bestechungs­gelder verrichten. Das meinen wir, wenn wir heute eine Stärkung der zivilen Fähigkeiten, eine ›civilian surge‹, fordern. Und wir sind überzeugt, dass die Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel eine entscheidende Rolle dabei spielen kann, dies zu erreichen[.]«58 Mit Beteuerungen dieser Art wird sich das deutsch-französische Missverständnis mitnichten ausräumen lassen. Letztlich läuft die deutsche Politik sogar Gefahr, das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie angestrebt hat, sofern sich nämlich in Paris der Eindruck dauerhaft verfestigt, man könne sich auf die Deutschen nicht verlassen.

Dieser Befund ist abgekoppelt von der Frage, was möglicherweise der richtige Ansatz zur Stabilisierung des Landes bzw. der Region ist. Er macht aber deut­lich, dass das Argument der Bündnissolidarität zur Legitimierung der deutschen Beteiligung an einem VN-Einsatz nur dann Wirkung entfalten kann, wenn weitgehende Übereinstimmung herrscht, und zwar sowohl über die zu verfolgenden politischen Ord­nungs­vorstellungen (»Was?«) als auch über den Stellenwert des militärischen Vorgehens dabei (»Wie?«).59 Dies gilt selbstverständlich ebenfalls für Einsätze im Rahmen anderer multilateraler Handlungsformate wie der Nato oder der EU – aber eben auch für solche des VN-Peacekeeping.

Mit dieser Konstellation steht die deutsche Politik vor einem Dilemma, denn innerhalb der MINUSMA-Mission ist es nicht möglich, sich an Terrorismus­bekämpfung zu beteiligen, wie Frankreich es erwartet; vor allem deshalb nicht, weil das Mandat dergleichen nicht vorsieht. Theoretisch stünde es dem Bundestag frei, das MINUSMA-Mandat zu beenden und einen Bundeswehreinsatz zu beschließen, der darauf ab­zielt, an der Seite Frankreichs terroristische Gruppen im Sahel zu bekämpfen. Allerdings wäre es in diesem Fall schwer, ein multilaterales Handlungsformat zu begründen, wie es das Bundesverfassungsgericht für Auslandseinsätze der Bundeswehr verlangt hat. Noch problematischer wäre jedoch das politische Signal: Sollte Deutschland sein Kontingent vor Ende der MINUSMA-Operation abziehen, würde dies seinen Anspruch konterkarieren, die Vereinten Nationen und multilaterales Handeln an sich zu stärken.

Münchner Konsens: Anders ist die Wirkung des zweiten Treibers einzuschätzen. Die MINUSMA-Betei­ligung unterstreicht glaubhaft die gewachsene Bereit­schaft Deutschlands, in der internationalen Politik auch durch ein substantielles Engagement im militä­rischen Krisenmanagement Verantwortung zu über­nehmen. Zwar ließe sich grundsätzlich darüber strei­ten, ob dieses Politikfeld in besonderer Weise als Ausweis dieser Haltung geeignet ist oder ob nicht andere Formen des sicherheitspolitischen Handelns gleichermaßen oder sogar besser dafür taugen wür­den. Aber entscheidend ist, dass andere Regierungen die Entsendung von Truppen, die damit verbundenen Kosten und die sich daraus ergebenden Risiken als Ausdruck deutscher Verantwortung und deutschen Gestaltungswillens interpretieren.

Erleichtert wird diese Ergänzung der deutschen VN-Politik dadurch, dass sie sich entlang der tra­dier­ten Grundlinien deutscher Sicherheitspolitik bewegt – allgemein, da sie bei der Frage des militärischen Engage­ments der Bundeswehr multilateralen Prin­zipien verpflichtet bleibt, und speziell, da dem MINUSMA-Einsatz die drei konstitutiven Prinzipien für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr zugrunde liegen: Er ist international legitimiert durch eine Reso­lution des VN-Sicherheitsrates; er wird in einem multi­lateralen Handlungsrahmen durchgeführt, hier der Vereinten Nationen; der Bundestag hat ihn wieder­holt durch einen Beschluss mandatiert.

Doch selbst wenn man die These teilt, die Entsendung deutscher militärischer Kontingente sei für das internationale Konfliktmanagement Ausweis größe­rer internationaler Verantwortung, bleiben zwei grund­sätzliche Caveats: Erstens begründet das Argument nicht die Teilnahme an einer spezifischen Mission. So wäre eine Art »Kompensationsgeschäft« vorstellbar, in dessen Verlauf die deutsche MINUSMA-Beteiligung abgewickelt und durch diejenige an einer anderen Peacekeeping-Mission der VN ersetzt wird.

Zweitens führt der Wille zu zeigen, dass man mehr Verantwortung zu tragen bereit ist, nicht zwingend in das Feld friedenserhaltender Missionen der Vereinten Nationen. Ebenso gut könnte Deutschland ihn unter Beweis stellen, indem es größere militärische Lasten im Rahmen der EU oder der Nato übernimmt. Und in der Tat findet sich dieses Argument in deutschen De­batten häufig: »Deshalb […] ist es wichtig, was das für uns und für unsere Haltung zur NATO bedeutet. Da sage ich als Erstes: Stärker als im Kalten Krieg ist der Erhalt der NATO heute in unserem ureigenen Inter­esse – mindestens so stark wie im Kalten Krieg. Denn […] Europa kann sich zurzeit alleine nicht verteidigen. Wir sind auf dieses transatlantische Bündnis ange­wiesen, und deshalb ist es auch richtig, wenn wir für dieses Bündnis arbeiten und mehr Verantwortung übernehmen.«60 Die angesprochene »Kompensation« – Reduktion des Engagements im Gegenzug für den Aus­bau andernorts – ließe sich also problemlos auch zwischen Institutionen denken.

Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen: Der deutsche Beitrag zu MINUSMA stärkt die Verein­ten Nationen im Bereich der Friedensmissionen mili­tärisch, aber noch viel deutlicher politisch. Damit dient er dem Ziel, das fortdauernde Engagement Deutsch­lands auf diesem Gebiet herauszustellen. Dies geschieht nicht selbstlos, sondern verbindet sich mit der Erwar­tung, dass Berlin auf die Entscheidungen der Ver­ein­ten Nationen mehr Einfluss nehmen kann als ohne ein derartiges Engagement. Ergänzt wird Letzteres durch die erheblichen deutschen Beiträge zur Finanzierung der Friedensmissionen. Aus dieser Sicht ist die deut­sche MINUSMA-Beteiligung vor allem als Baustein der deutschen VN-Politik zu begreifen und weniger als Ausdruck einer sicherheitspolitischen Priorisierung, sofern sich diese beiden Politikbereiche überhaupt klar trennen lassen.

Im weiteren Sinne bekräftigt die Bundesrepublik in Mali ihre anhaltende Verpflichtung, multilateral zu handeln und sich für eine funktionierende inter­natio­nale Ordnung mit effektiven Institutionen ein­zusetzen. Zwar ist es fraglich, ob der weiterhin ange­strebte per­manente Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat in ab­seh­barer Zeit verwirklicht werden kann. Eine erneute Kandidatur zumindest als nichtständiges Mit­glied ist aber vorgesehen in sechs Jahren, das heißt für 2027–2028. Die angeführten Argumente aus der Wahlkampagne 2019–2020 werden ihre Gültigkeit bis dahin nicht verlieren.

Europäische Handlungsfähigkeit: Für die Frage, ob mit MINUSMA dieses Ziel erreicht werden kann, ist es wichtig zu unterscheiden, ob man mit der deut­schen MINUSMA-Beteiligung die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stärken wollte bzw. will oder diejenige »Europas«.

Konkret auf Mali bezogen lässt sich das Argument, MINUSMA stelle einen besonderen Fußabdruck der EU dar, schwer entwickeln, sowohl in institutioneller als auch in quantitativer Hinsicht: Erstens führt die EU in Mali mit der EUTM ihre eigene, anders gela­gerte Operation durch, zweitens ist die EU als Institution an MINUSMA nicht beteiligt, drittens gehört aus dem Kreis der EU-Mitglieder lediglich Deutschland mit 427 Soldaten zu den zehn größten und damit substantiellen Truppenstellern der Mission, gefolgt von Schwe­den mit 182 Soldaten, Belgien (53) und Litauen (45). Die restlichen beteiligten EU-Staaten beschränken sich weitgehend auf »token contributions« (Stand: 30.4.2021).61 Daher kann auch das Argument nicht wirklich verfangen, der Einsatz böte die Möglichkeit, Erfahrungen mit militärischer Interoperabilität zu erwerben und auszubauen. Dies würde in erster Linie für Partner der EU gelten, die sich im Kontext der euro­päischen »Rückkehr« zum Peacekeeping eben­falls in Mali engagieren. Lediglich im Fall Großbritan­niens mit einem MINUSMA-Kontingent von 256 Sol­da­ten kann dieses Argument überzeugen, dann aller­dings mit Bezug auf einen europäischen Partner und früheres EU-Mitglied.

In qualitativer Hinsicht kommt eine sehr frühe Untersuchung der Beiträge europäischer Truppensteller (TCCs) zu MINUSMA zu einem durchweg positiven Ergebnis: »Die Erfahrungen von MINUSMA haben eine Reihe von Herausforderungen aufgezeigt, aber auch mögliche Wege, diese zu überwinden. MINUSMA hat gezeigt, dass europäische TCCs Nischenfähigkeiten und Enabler beisteuern können, um dringende Bedürf­nisse der VN-Friedenssicherung zu erfüllen. Ihre Bei­träge stellen nicht nur dringend benötigte Fähigkeiten vor Ort zur Verfügung, sondern können auch die all­gemeine Legitimität der Friedenssicherung stärken und die Kluft verringern zwischen denjenigen, die VN-Friedenseinsätze finanzieren und mandatieren, und denjenigen, die die Bodentruppen stellen.«62

Die Analyse betont aber ebenso, dies könne nicht ohne erhebliche Anstrengung auf beiden Seiten ge­schehen. MINUSMA sei nur als Projekt des gegen­sei­ti­gen organisatorischen Lernens durch Kooperation vorstellbar. In dem Maße, wie die Europäer die Her­aus­forderungen verstünden, vor denen die VN und MINUSMA stehen, gäbe es mehr Akzeptanz für Unter­schiede zu Nato- oder EU-Einsätzen.

Seit Jahren liegen Vorschläge für eine weitergehende autonome operative Rolle der EU im Rahmen des VN-Peacekeeping vor, die bereits Eingang gefunden haben in den Plan of Action to Enhance EU CSDP Support to UN Peacekeeping von 2012 sowie die »UN–EU Stra­tegic Partnership on Peacekeeping and Crisis Manage­ment« von 2015. Sie haben nicht an Bedeutung ver­loren, was die Frage angeht, wie die Rolle der EU aus­gestal­tet werden sollte.63 Sie müssen an dieser Stelle nicht noch einmal ausgebreitet werden. Das Hauptproblem ist jedoch, dass es der EU aufgrund der intergouverne­mentalen Entscheidungsprozesse nach wie vor schwer­fällt, ihre Rolle im internationalen Krisenmanagement auf Dauer zu verstetigen und damit für die Ver­einten Nationen Planbarkeit zu gewährleisten.

Regionale Sicherheit: Das vordergründig wichtigste Erfolgskriterium für das deutsche MINUSMA-Engage­ment wird nicht erfüllt, nämlich der Auftrag der Mission gemäß dem Mandat des VN-Sicherheitsrates – das Friedensabkommen von Algier ist nicht umgesetzt. Im Gegenteil: Seit 2015, dem Jahr der Unterzeichnung, hat sich die Sicherheitslage im Land kon­tinuierlich verschlechtert. Allein im ersten Halbjahr 2020 wurden mehr als 1 800 Menschen von Terroristen oder Milizen getötet. Nicht allein jihadistische Ver­einigungen haben diese instabile Lage verursacht, son­dern auch lokal geprägte, zum Teil ethnische Kon­flikte, bewaffnete Milizen und organisierte Kriminalität.64

Überdies kann keine Rede sein von einer Wiederherstellung der staatlichen Autorität auf dem gesam­ten Territorium. In Teilen des Landes hat die Regie­rung die Kontrolle verloren, die Korruption grassiert, es gibt kaum wirtschaftliche Entwicklung. Der Putsch gegen Präsident Ibrahim Boubacar Keïta im August 2020 sowie der neuerliche Umsturz gegen Übergangs­präsident Bah Ndaw und Regierungschef Moctar Ouane im Mai 2021 haben darüber hinaus die Vor­stellung ins Wanken gebracht, dass die internationale Gemeinschaft überhaupt Einfluss hätte auf die politi­schen Entwicklungen in Mali. Seitdem steht die Frage im Raum, unter welchen Bedingungen MINUSMA und EUTM Mali weitergeführt werden können.65

In diesem Sinne kann die bisherige Bilanz der deutschen MINUSMA-Betei­ligung nicht als kraftvolles Argument dafür dienen, das deutsche Engagement im VN-Peacekeeping fortzusetzen oder gar auszubauen. Dabei kann auch der Befund nicht trösten, dass dies kein Spezifikum von VN-Missionen ist, sondern EU- oder Nato-geführte Einsätze ebenso vor dem Problem stehen, dass die angestrebten Erfolge ausbleiben, die lokalen Partner nicht kooperieren und die Missionen scheinbar kein Ende nehmen. Schon ein flüchtiger Blick auf andere friedenserhaltende Operationen der VN macht deutlich: Viele dieser Einsätze sind mit exakt den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Wer für eine Ausweitung des deutschen Engagements plädiert, kommt um dieses Problem nicht herum.

Es mag irritieren, dass bei den ersten deutschen Mali-Debatten im Jahr 2013 die politische bzw. sicher­heitspolitische Situation in dem Land bzw. in der Region vergleichsweise wenig beachtet wurde. Je länger der Einsatz andauert, umso größeren Raum nehmen in Deutschland die sicherheitspolitischen Aspekte der Situation in Mali ein, ferner die Erwägungen, wie die internationale Gemeinschaft (nicht) handeln sollte. Damit ist die Art und Weise, wie der Auslandseinsatz der Bundeswehr in Mali im Verlauf der Zeit politisch begründet wurde, nahezu typisch für ein legitimatorisches Grundmuster deutscher Aus­landseinsätze: Nachdem zu Beginn im geografischen Sinne »krisenferne« Gründe den Einstieg in eine Mis­sion des multilateralen Krisenmanagements bedingt haben, werden die »krisennahen« Gründe zu einem späteren Zeitpunkt vor allem deshalb in die Debatte gebracht, um die Weiterführung eines Ein­satzes zu begründen, gegebenenfalls trotz fehlender Fortschritte im Sinne des Mandats. Ob diese ange­führten Gründe zutreffen oder nicht, tut für deren Funktion in der innenpolitischen Debatte nichts zur Sache.

Terrorismus und Migration: Selbst ein kurzer Blick auf die einschlägigen Indizes lässt Zweifel daran aufkommen, wie groß die Bedrohung tatsächlich ist, die von terroristischen Gruppen aus Mali für Deutsch­land und Europa ausgeht. So führt der Global Terrorism Index 2020 Mali nicht unter denjenigen zehn Ländern, die weltweit am härtesten von terroristischen An­schlä­gen getroffen sind.66 Zwar sind Mali bzw. der Sahel mittlerweile Teil der »terroristischen Internatio­nale«. Der Islamische Staat in der Großsahara (ISGS), ein neuerer Ableger des »Islamischen Staates« (IS), verübte 2016 seine ersten Anschläge in Burkina Faso und Niger. Der IS hat diese Gruppe im Oktober 2016 als regionalen Ableger anerkannt, nachdem Letztere dem damaligen Führer des Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL), Abu Bakr al-Baghdadi, die Treue geschworen hatte. Die genaue Art ihrer Beziehung zu ISIL bleibt jedoch unbekannt. Der ISGS hat die Ver­ant­wortung für Dutzende Angriffe in Burkina Faso, Mali und Niger übernommen. Die Gruppe hat inter­kommunale Konflikte ausgenutzt und aus verschiedenen ethnischen Gruppen in der gesamten Sahel­zone Mitglieder rekrutiert. Indes hat der ISGS damit zu kämpfen, eine dominante Präsenz in Burkina Faso, Mali und Niger aufrechtzuerhalten, weil er unter dem Druck von Anti-Terror-Operationen und der Präsenz von Al-Qaida-Verbündeten in der Region steht. Zudem ist vielerorts gar nicht klar, ob hinter den Angriffen tatsächlich Islamisten stecken oder ob es lokale Banditen oder organisierte Verbrecherbanden sind, die ganze Landstriche unter ihre Kontrolle bringen wollen, etwa um Drogen zu schmuggeln. Damit wären nicht so sehr Terroristen das Problem, sondern die kaum funktionierende Staatlichkeit in Mali.

Obendrein erscheint fraglich, ob diese lokalen Gruppen überhaupt die Bereitschaft, viel mehr aber noch die Fähigkeit besitzen, Anschläge in Europa zu verüben. Denn zum einen ist die Migration nach Europa aus einer Vielzahl von Gründen erheblich schwieriger geworden, als es 2015 noch der Fall gewesen sein mag. Seit dem Frühjahr 2020 haben die Beschränkungen durch Covid‑19 Reisen nach Europa weitgehend zum Erliegen gebracht. Zum anderen hat sich der Ansatz des gegen Deutschland gerichteten islamistischen Terrorismus verändert: Seit August 2017 ist es dort zu keinem islamistisch-terroristischen Anschlag mehr gekommen. Das dürfte eine Folge der militärischen Niederlage des IS in Syrien sein, ist aber ebenfalls auf die umfangreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Terrornetzwerke wie der »Islamische Staat« mögen Deutschland weiter Schaden zufügen wollen, allerdings nicht mit­hilfe lokaler Gruppen aus dem Sahel. Vollständig fragwürdig wird das Argument, die Bundeswehr halte mit ihrer MINUSMA-Beteiligung den islamistischen Terror von Deutschland fern, wenn man sich die funk­tionalen Grenzen des Mandats vergegenwärtigt – das deutsche Kontingent in Mali ist nicht zur militärischen Terrorismusbekämpfung befugt.

Desgleichen verblasst das Migrationsargument bei genauerem Hinsehen: Völlig unstrittig ist, dass in Mali lebende Menschen vor der unsicheren Sicherheits­lage Schutz suchen. Die daraus resultierende Migration findet jedoch in weit überwiegendem Um­fang innerhalb Malis statt bzw. in die umliegenden Länder der Region. Dies deckt sich mit den Zahlen aus den vergangenen Jahren, denen zufolge Personen aus afrikanischen Staaten, die in Deutschland einen Asyl­antrag gestellt haben, vor allem aus Ländern stam­men, die nicht bzw. kaum zur Sahelzone gehören, zum Bei­spiel Somalia, Eritrea und Nigeria.67 Ähnliches gilt für die EU: Vor der Covid‑19-Pandemie lag die jähr­liche Migration aus Mali in die EU bei knapp 20 000 Perso­nen. Selbstverständlich lässt sich keine Auskunft über zukünftige »Migrationswellen« aus Afrika geben, aber zurzeit spielt Mali für Migrationsströme nach Deutsch­land und in die EU nur eine nachrangige Rolle.

In der Gesamtschau ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Zwei wesentliche Ziele der Beteiligung an MINUSMA konnten nicht oder nur unzureichend erreicht wer­den, nämlich den Einsatz für gelebte Bündnissolidarität mit Frankreich zu nutzen und regionale Sicherheit in Mali bzw. der Sahelzone zu gewährleisten. Auch als Ausweis europäischer Handlungsfähigkeit taugt er nur bedingt. Unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ist die Mission also ein klarer Fehlschlag. Hingegen geht ein starkes und wirksames Signal von ihm aus, dass Deutschland das VN-System unterstützt und Verantwortung übernimmt, um den Multilateralismus zu erhalten. In dieser Hinsicht lässt sich der Einsatz durchaus als Erfolg lesen. Als scheinbar para­doxes Fazit ließe sich formulieren, der deutsche MINUSMA-Einsatz »ist erfolgreich, ohne erfolgreich zu sein«. Denn mit Blick auf das skizzierte Bündel von Motiven, das Deutschland veranlasst hat, sich an MINUSMA zu beteiligen, muss konstatiert werden, dass einige, aber eben nicht alle Ansprüche verwirklicht werden konnten.68

Die Erfahrung, dass mit Truppenentsendungen zu VN-Missionen nicht alle angestrebten Ziele gleichermaßen zu erreichen sind, liegt in der Multidimen­sionalität solch politisch komplexer Stationierungs­entscheidungen begründet: »Entscheidungen darüber, ob und was beigetragen werden soll, sind daher am besten als Produkte eines Wettbewerbs zwischen moti­vierenden und hemmenden Faktoren zu ver­stehen, dessen Ergebnis von den politisch Verantwortlichen bestimmt wird, die durch den jeweiligen Kon­text mit einer begrenzten Anzahl von Optionen, mit Präferenzen und erwarteten Vorteilen konfrontiert werden.«69

In diesem Sinne werden die Erfahrungen mit MINUSMA auch künftige Mandatierungsdebatten für deutsche Einsätze im Rahmen der Vereinten Natio­nen prägen. Wie aufgezeigt wurde, handelt es sich weniger um effektive Instrumente des internationalen Krisenmanagements und nur zum Teil um wirk­same Ausweise der Solidarität mit Partnern. Vor allem sind solche Einsätze elementare Bestandteile der deutschen VN-Politik und Belege der Bereitschaft Deutsch­lands, in der internationalen Politik Verantwortung wahrzunehmen.

Zwei zentrale Herausforderungen bleiben bestehen, die es der deutschen Regierung schwer machen, ihre diesbezüglichen Zusagen in die Realität umzusetzen: Erstens ist die deutsche öffentliche Meinung skepti­scher als je zuvor gegenüber Militäreinsätzen. Wie eine Umfrage der Körber-Stiftung zeigt, bevorzugen 49 Prozent der Bundesbürger, dass Deutschland sich von einem verstärkten Engagement im Weltgeschehen fernhält, im Vergleich zu 43 Prozent, die sich ein aktiveres Engagement ihres Landes wünschen.70 Trotz der Rhetorik der deutschen politischen Eliten, mehr internationale Verantwortung tragen zu wollen und zu können, muss die Öffentlichkeit also noch davon überzeugt werden, dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr tun sollte.

Zweitens gibt es immer noch große Lücken in der Bereitschaft der Bundeswehr, ein bedeutender Akteur im internationalen Krisenmanagement zu werden – und das, obwohl jüngst beschlossen wurde, die Ver­tei­di­gungsausgaben und das Personal zu erhöhen. Diverse Berichte der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages haben die Unzulänglichkeiten der Bundes­wehr sowie ihre eingeschränkte Einsatzfähigkeit bei Operationen des Krisenmanagements kritisiert. Bevor­stehende Sparrunden in den kommenden Bundeshaushalten werden die verbleibenden Spielräume sicherlich weiter verengen.

In diesem Spannungsfeld sind grundsätzlich vier Entwicklungspfade für die deutsche Politik vorstellbar. Zwar lassen sich ihre jeweiligen Vor- und Nach­teile wissenschaftlich erfassen, aber letztlich muss die Politik über sie entscheiden:

a)

Die »isolationistische« Option: Nach den enttäu­schenden Ergebnissen von MINUSMA in Mali und der Sahelregion würde sich Deutschland vollständig aus dem VN-Peacekeeping zurückziehen, ent­weder sofort oder nach Ende der Mission. Da die meisten der geschilderten Probleme beim Krisenmanagement ebenso auf derartige Einsätze der Nato bzw. der EU zutreffen können, müsste die Bundeswehr diesen Schwenk konsequenterweise auch in diesem Rahmen vollziehen und sich fortan ausschließ­lich auf Bündnis- und Landesverteidigung konzentrieren. Dies würde umso leichter fallen, als in der nordatlantischen Allianz die Ära der großformatigen Stabilisierungseinsätze ohnehin zu Ende geht. Der Reputation Deutschlands als Stütze des Multilateralismus und als verantwortungsvolle Mittelmacht in der internationalen Politik würde jedoch schwerer Schaden zugefügt. In letzter Konsequenz würde Deutsch­land das System schädigen, das die Vor­bedingung von Sicherheit und Prosperität bildet und von dem es selbst am meisten profitiert.

b)

Die »symbolische« Option: Mit dieser Option würde die Bundesrepublik zur Frühphase ihres Engagements im VN-Peacekeeping zurückkehren und sich wieder auf symbolische Beiträge beschrän­ken, das heißt auf Truppenstellungen, die ihr Engagement in einem Krisengebiet politisch unterstreichen sollen, aber nicht auf militärische Wirksamkeit abzielen. Mit dieser Politik würde Deutschland weiterhin die VN als wichtigste Organisation für Frieden und Sicherheit politisch zu stärken suchen, leistete aber keinen wirklichen Beitrag zu deren militärischer Effizienz. Die Möglichkeiten, mit europäischen Verbündeten zu kooperieren, wären begrenzt.

c)

Die »multilaterale« Option: In diesem Fall würde Deutschland den eingeschlagenen Weg eines grö­ßeren Engagements im VN-Peacekeeping fortsetzen, und zwar mit nationalen Beiträgen auf gleich­bleibendem Niveau und in der Erwartung, damit ver­schiedene außenpolitische Ziele auf einmal erreichen zu können, etwa den Multilateralismus zu stärken sowie Krisen und Konflikte einzuhegen. Durch institutionalisierte Kooperation mit euro­päischen Partnern würde zugleich die Handlungs­fähig­keit Europas in der internationalen Politik ausgebaut.

d)

Die »intensivierte« Option: Gerade aufgrund der mäßigen Erfolge von MINUSMA würde Deutschland mit dieser Option sein Engagement im VN-Peacekeeping erhöhen, auch militärisch. Ziel wäre hier, die Vereinten Nationen auf Dauer mit deutschen und europäischen Beiträgen zu einem effek­tiven Anbieter von Sicherheit zu entwickeln. In der Folge würden friedenserhaltende Maß­nahmen der VN zu einem Schwerpunkt deutscher Sicherheitspolitik, an dem sich alle militärischen Planungen und Beschaffungs­vorhaben auszu­richten hätten.

Unabhängig von der jeweils bevorzugten Option ist mehr strategische Klarheit in dieser Frage notwendig – gleichermaßen mit Blick auf die deutsche Innenpolitik wie auf internationale Partner. Um zu dieser Klar­heit zu gelangen, sollte die Bundesregierung in der kommenden Legislaturperiode drei Schritte einleiten:

  • Die Ziele deutscher Beiträge zu VN-geführten Friedenseinsätzen sind strategisch nach wie vor unterreflektiert. Dementsprechend bleiben viele Bekundungen vage und leisten einem Ad‑hoc-Vor­gehen Vorschub. Ein Strategiepapier der Bundes­regierung zu deutschen VN-Kontingenten würde die Brücke zwischen deutscher VN-Politik und deutscher Sicherheitspolitik schlagen, den operativen Planungen Kontinuität und Partnern Planungs­sicherheit geben. Zu beantworten wäre eine simple Frage: Welche Ziele will Deutschland mit einer Beteiligung an friedenserhaltenden Missionen der VN erreichen und welche Instrumente nutzt es dafür? Dabei müsste den gewandelten Anforderun­gen an das Peacekeeping einerseits und der ver­änderten Struktur des internationalen Systems andererseits Rechnung getragen werden, zum Bei­spiel bei der Auswahl von Partnern. Heute mag das fernliegen, aber angesichts des erheblichen chinesischen Engagements im Peacekeeping wäre Beijing durchaus ein interessanter Dialogpartner auf die­sem Gebiet.

  • Die Erarbeitung des Strategiepapiers sollte auf die laufenden Prozesse zur Erstellung des Strategischen Kompasses der EU bzw. des neuen strategischen Konzepts der Nato abgestimmt werden. Deutsche VN-Kontingente werden nämlich noch stärker als bisher multinationales Handeln widerspiegeln. Eine entsprechende Priorisierung in den Teilen dieser beiden Schlüsseldokumente, die sich mit Krisenmanagement beschäftigen, würde die Grund­lage dafür legen. In diesem Zusammenhang wird der Frage von Partnerschaften und derjenigen der Arbeitsteilung zwischen den globalen Sicherheitsinstitutionen besondere Bedeutung zukommen.

  • Das angesprochene Rahmenabkommen vom Sep­tem­ber 2020 bereitet den Boden für eine vertiefte Kooperation zwischen den VN und der EU in diesem Politikfeld. Es ist allerdings nicht mehr als ein Rahmen, den die EU und ihre Mitgliedstaaten ausfüllen müssen. Ein nationaler Aktionsplan, der für die 20. Legislatur­periode 2021–2025 die Ver­einbarung ergänzte und realistische deutsche Selbstverpflichtungen benennte, wäre ein wichtiges Signal, dass Deutschland diese interinstitutionelle Kooperation wünscht und wertschätzt. Zwar hat die Bundesregierung 2017 ihre Bewerbung für den Sitz im VN-Sicherheitsrat mit dem quali­tativen Angebot untermauert, den Vereinten Nationen eine Reihe militärischer Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, die für künftige Friedensmissionen abgerufen werden können. Dazu gehören Militärbeobachter, ein Feldjägerbataillon, Spezialisten zur Minenräumung, Lufttransportkapazitäten und ein Feldhospital. Damit hat sie zum wiederholten Male auf die Stellung von »Hochwertfähigkeiten« gesetzt. Indes erscheint fraglich, wie hilfreich dieser Ansatz noch sein kann – denn Tatsache ist, dass die Vereinten Nationen vor allem in quantitativer Hinsicht händeringend nach Personal für ihre zahl­reichen Friedensmissionen suchen.

Abkürzungen

AA

Auswärtiges Amt

APF

African Peace Facility

AU

Afrikanische Union

BMVg

Bundesministerium der Verteidigung

CDU

Christlich-Demokratische Union

CSDP

Common Security and Defence Policy

CSU

Christlich-Soziale Union

DDR

Deutsche Demokratische Republik

EEAS

European External Action Service

EPRS

European Parliamentary Research Service

EU

Europäische Union / European Union

EUFOR

European Union Force

EUGS

European Union Global Strategy

EUTM

European Union Training Mission

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freie Demokratische Partei

FES

Friedrich-Ebert-Stiftung

G5-Sahel

Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad

GIGA

German Institute of Global and Area Studies

GSVP

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungs­politik

IS

»Islamischer Staat«

ISAF

International Security Assistance Force

ISGS

Islamischer Staat in der Großsahara

ISIL

Islamic State of Iraq and the Levant

KAS

Konrad-Adenauer-Stiftung

KFOR

Kosovo Force

MINUSMA

Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali / United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali

Nato

North Atlantic Treaty Organization

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammen­arbeit in Europa

PRIF

Peace Research Institute Frankfurt

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

TCC

Troop-contributing Country

UN

United Nations

UNCRO

United Nations Confidence Restoration Operation

UNEF I/II

United Nations Emergency Force I/II

UNFICYP

United Nations Peacekeeping Force in Cyprus

UNIFIL I/II

United Nations Interim Force in Lebanon I/II

UNO

United Nations Organization

UNOSOM I/II

United Nations Operation in Somalia I/II

UNPROFOR

United Nations Protection Force

UNTAC

United Nations Transitional Authority in Cambodia

UNTAG

United Nations Transition Assistance Group

VN

Vereinte Nationen

ZIF

Zentrum für Internationale Friedenseinsätze

Literaturhinweise

Wolfram Lacher

Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2021 (SWP-Studie 3/2021)

Denis M. Tull

Deutsches und internationales Krisenmanagement im Sahel. Warum sich die Diskussion über die Sahelpolitik im Kreis dreht

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2020 (SWP-Aktuell 43/2020)

Denis M. Tull

Operation Barkhane im Sahel. Umrisse einer veränderten französischen Interventionspolitik

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2021 (SWP-Aktuell 6/2021)

Endnoten

1

Vgl. zu den möglichen Motiven allgemein Alex J. Bellamy/ Paul D. Williams, »Explaining the National Politics of Peace­keeping Contributions«, in: dies. (Hg.), Providing Peacekeepers. The Politics, Challenges, and Future of United Nations Peacekeeping Contributions, Oxford: Oxford University Press, 2013, S. 417–436.

2

 Vgl. dazu Joachim A. Koops, »Germany and United Nations Peacekeeping: The Cautiously Evolving Contributor«, in: International Peacekeeping, 23 (2016) 5, S. 652–680 (657ff).

3

 Diese häufig anzutreffende Form der Beteiligung an VN-Friedens­sicherungseinsätzen kommt in drei Varianten vor: a) Stabsoffiziere, die in operativen Hauptquartieren arbeiten; b) Militärbeobachter; c) kleinere Truppenbeiträge, die in grö­ßere militärische Kontingente anderer Nationen integriert werden. Vgl. dazu Katharina P. Coleman, »Token Troop Contributions to United Nations Peacekeeping Operations«, in: Alex J. Bellamy/Paul D. Williams (Hg.), Providing Peace­keepers [wie Fn. 1], S. 47–69.

4

 Vgl. zu dieser Grundhaltung des »opportunistischen Multilateralismus« Wolfram Lacher, Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2021 (SWP-Studie 3/2021), S. 26f.

5

 Vgl. dazu die Äußerungen eines Referatsleiters in der Abteilung Politik, Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), zitiert in Carolin Hilpert, Strategic Cultural Change and the Challenge for Security Policy. Germany and the Bundeswehr's Deployment to Afghanistan, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2014, S. 182: »Wir sind nicht in erster Linie in Mali wegen Mali. Wir sind in erster Linie in Mali, weil wir ein Interesse an der Zusammenarbeit mit Frankreich haben, weil wir ein Interesse daran haben, dass die EU ein funktionierender sicherheitspolitischer Akteur ist, und weil wir ein Interesse daran haben, dass die UNO ein Akteur im internationalen Konfliktmanagement ist. Und erst in zweiter Linie, nach diesen Faktoren, war es unser Motiv, uns an einem Militäreinsatz zu beteiligen, war unser Interesse, dass Mali stabil ist und Frieden findet.« (Übersetzung des Autors).

6

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 225. Sitzung, Berlin, 28.2.2013 (Plenarprotokoll 17/225), S. 27959ff. Ähn­lich gelagerte Äußerungen ließen sich aus jeder der weiteren jährlichen Debatten zur Mandatsverlängerung für das deut­sche MINUSMA-Kontingent anführen.

7

 BMVg, »Rede der Ministerin an der Universität der Bundes­wehr München«, 7.11.2019, <https://www.bmvg.de/de/ aktuelles/rede-der-ministerin-an-der-universitaet-der-bundeswehr-muenchen-146670>.

8

 Auswärtiges Amt (AA), »Rede von Außenminister Heiko Maas im VN-Sicherheitsrat zur VN-Mission MINUSMA«, 11.6.2020, <https://www.auswaertiges-amt.de/de/ newsroom/maas-sicherheitsrat-minusma/2352018>.

9

 Lacher, Unser schwieriger Partner [wie Fn. 4], S. 27f.

10

 Die entsprechende Erklärung liegt nicht auf Deutsch vor. Vgl. die englische Version: Ministère des Armées, »Task Force Takuba: Political Statement by the Governments of Belgium, Czech Republic, Denmark, Estonia, France, Germany, Mali, Niger, the Netherlands, Norway, Portugal, Sweden and the United Kingdom«, Paris, 27.3.2020, <https://www. defense.gouv.fr/english/actualites/articles/task-force-takuba-political-statement-by-the-governments-of-belgium-czech-republic-denmark-estonia-france-germany-mali-niger-the-netherlands-norway-portugal-sweden-and-the-united-kingdom>.

11

 Vgl. Johannes Leithäuser/Michaela Wiegel, »Mühsamer Kampf gegen den Terror«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 15.2.2021.

12

 So ein Ministeriumssprecher, zitiert in Mike Szymanski, »Angebot mit Haken; Kramp-Karrenbauer verspricht mehr Soldaten in Afrika. Doch nun gibt es ein Problem«, in: Süd­deutsche Zeitung, 8.4.2020.

13

 Denis M. Tull, Deutsches und internationales Krisenmanagement im Sahel. Warum sich die Diskussion über die Sahelpolitik im Kreis dreht, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2020 (SWP-Aktuell 43/2020), S. 2.

14

 Alle Aussagen zitiert nach Thorsten Jungholt, »Engagement in Afrika. Bundeswehr agiert ziellos, planlos, wirkungs­los«, in: Die Welt, 19.4.2020.

15

 Vgl. »France and the Sahel: A Small Afghanistan«, in: The Economist, 18.1.2020, sowie Ruth Maclean, »Crisis in the Sahel Becoming France’s Forever War«, in: New York Times, 29.3.2020.

16

 Vgl. dazu Hans-Joachim Preuss, »Tunnelblick aufs Militär«, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 17.1.2020.

17

 Vgl. dazu Judith Kormann, »Frankreich hadert mit dem Einsatz gegen die Jihadisten im Sahel – doch ein Ende ist nicht in Sicht«, in: Neue Zürcher Zeitung, 15.1.2021, sowie aus­führlich Denis M. Tull, Operation Barkhane im Sahel. Umrisse einer veränderten französischen Interventionspolitik, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2021 (SWP-Aktuell 6/2021).

18

 Vgl. Michaela Wiegel, »Rückzug aus Mali«, in: FAZ, 11.6.2021.

19

 Bundespräsidialamt, »Deutschlands Rolle in der Welt: Anmerkungen zu Verantwortung, Normen und Bündnissen«, Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014 in München, <http://www.bundespraesident.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2014/01/140131-Muenchner-Sicherheitskonferenz.pdf?__blob=publication File>. Vgl. zur Rezeption dieser Reden ausführlich Gunther Hellmann/Daniel Jacobi/Úrsula Stark Urrestarazu (Hg.), »›Früher, entschiedener und substantieller‹? Die neue Debatte über Deutschlands Außenpolitik«, Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Sonderheft 6, Wiesbaden: Springer VS, 2015.

20

 Vgl. Tobias Pietz, »UN-Friedenseinsätze. Außenpolitik mit Blauhelmen«, in: FAZ, 5.10.2015, sowie Markus Kaim/ Lena Strauß, Mehr deutsche Blauhelme. Vier Gründe für ein stärkeres Engagement der Bundesrepublik im VN-Peacekeeping, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2017 (SWP-Aktuell 40/2017).

21

 BMVg (Hg.), Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2016, S. 63.

22

 Vgl. dazu Julian Junk, »Vom Gestaltungsunwillen einer ›Gestaltungsmacht‹ – ein Kommentar zur deutschen Mali­politik«, in: Sicherheit und Frieden, 32 (2014) 2, S. 91–97 (91). Siehe auch Afrikapolitische Leitlinien der Bundesregierung, Berlin 2014, <https://www.bmvg.de/resource/blob/12808/227e3ae06 ed32cb4d81d61a1bbc8b206/afrikapolitische-leitlinien-der-bundesregierung-data.pdf>. In den Leitlinien ist der Bezug zum Münchner Konsens offensichtlich: »Dabei muss es Anspruch der Bundesregierung sein, aktiv Schwerpunkte, Interessen und Ziele deutscher Politik zu formulieren und früh, schnell, entschieden und substanziell zu handeln, sowohl national als auch im Rahmen des EU-Außenhandelns und innerhalb der Vereinten Nationen.« (S. 1) (Hervorhebung entfernt).

23

 Vgl. Markus Kaim, »Neue Unsicherheit und neue Ver­antwortung: Herausforderungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik«, in: Karl-Rudolf Korte (Hg.), Politik in unsicheren Zeiten. Kriege, Krisen und neue Antagonismen, Baden-Baden: Nomos, 2016 (Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, Bd. 34), S. 195–207.

24

 Aus der Fülle der Literatur zu Multilateralismus sei nur verwiesen auf Hanns W. Maull, Multilateralismus. Varianten, Möglichkeiten, Grenzen, Erfolgsbedingungen, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2020 (SWP-Aktuell 11/2020), Thorsten Benner, »Multilateralismus: Sechs Thesen auf dem Prüfstand«, in: Internationale Politik, 74 (2019) 6, S. 92–97, und Lisa Heemann/Patrick Rosenow, »Multilateralismus in der Krise, die Vereinten Nationen unter Druck und die Rolle Deutschlands«, in: Sicherheit und Frieden, 37 (2019) 4, S. 193–197.

25

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 159. Sitzung, Berlin, 13.5.2020 (Plenarprotokoll 19/159), S. 19760.

26

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 164. Sitzung, Berlin, 29.5.2020 (Plenarprotokoll 19/164), S. 20445.

27

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 152. Sitzung, Berlin, 28.1.2016 (Plenarprotokoll 18/152), S. 14930.

28

 Vgl. Ulrich Speck, »Allianz der Multilateralisten. Die deut­sche Außenpolitik testet eine vielversprechende Initia­tive«, in: Internationale Politik, 73 (2018) 5, S. 74–78.

29

 AA, »Für eine Allianz der Multilateralisten«, Rede von Außenminister Heiko Maas zur Eröffnung der 16. Bot­schafterkonferenz im Auswärtigen Amt, 27.8.2018, <https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-allianz-multilateralisten/2129908>. Vgl. dazu auch Amrita Narlikar, Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: Multilateralismus reformieren, Hamburg: German Institute of Global and Area Studies (GIGA), März 2020 (GIGA Focus Global 2/2020).

30

 Die Allianz für den Multilateralismus koppelt ihr Handeln ausdrücklich an die Vereinten Nationen: »Das Bündnis wird die multilaterale Agenda unter voller Achtung der entscheidenden Rolle der Vereinten Nationen im Ein­klang mit den Zielen und Grundsätzen der VN-Charta und des Völkerrechts vorantreiben. Die Partner des Bündnisses verpflichten sich, als treibende Kräfte zum Schutz, zur Ent­wicklung und zur Anpassung der auf Rechtsstaatlichkeit beruhenden, auf Regeln beruhenden internationalen Ord­nung zu wirken.« Siehe Alliance for Multilateralism, »What Is the ›Alliance for Multilateralism‹?«, <https://multilatera lism.org/the-alliance/> (Übersetzung des Autors).

31

 Zu den Gründen, warum Staaten sich um einen nichtständigen Sitz bewerben, vgl. Ann-Marie Ekengren/Fredrik D. Hjorthen/Ulrika Möller, »A Nonpermanent Seat in the United Nations Security Council. Why Bother?«, in: Global Governance, 26 (2020) 1, S. 21–45.

32

 Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, »Deutschland, Mitglied im Sicher­heitsrat der Vereinten Nationen 2019/20«, <https:// new-york-un.diplo.de/un-de/service/02-Themen-Schwer punkte-Ziele>. Zu den Prioritäten der deutschen Kampagne vgl. Anja Papenfuß, »Profil zeigen: Deutschlands Kandidatur für den Sicherheitsrat«, in: Vereinte Nationen, 66 (2018) 2, S. 51–56.

33

 Christoph Heusgen, »Mehr globale Verantwortung. Deutschlands Kandidatur für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat«, in: Internationale Politik, 73 (2018) 2, S. 94–99 (97).

34

 Vgl. Richard Gowan, In the Hot Seat. What can Germany Achieve in the Security Council?, New York: Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Mai 2018, S. 4, sowie Alisa Rieth, »Mali: Solides Engagement, aber verschenktes Potential«, in: Ben Christian/Melanie Coni-Zimmer (Hg.), Deutschland im UN-Sicherheitsrat 2019–2020. Eine Halbzeitbilanz, Frankfurt a. M.: Peace Research Institute Frankfurt (PRIF), 2019 (PRIF Report 6/2019), S. 12–14.

35

 Vgl. Rolf Mützenich, »Große Erwartungen. Deutschlands Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat 2019/2020«, in: WeltTrends, 27 (2019) 148, S. 20–23.

36

 Vgl. zu einer Bilanz Johannes Leithäuser, »Fleißkärtchen im Sicherheitsrat. Die deutsche Mitgliedschaft im Gremium der Vereinten Nationen«, in: FAZ, 23.12.2020, sowie Judith Vorrath/Wibke Hansen, »Was vom Rate übrig blieb«, in: Inter­nationale Politik und Gesellschaft, 21.1.2021, <https://www. ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/ sicherheitsrat-deutschland-4924/>.

37

 AA, »Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag zur Bilanz der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen«, 26.11.2020, <https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/ maas-bundestag-deutschland-im-sicherheitsrat/2420854>.

38

 Vgl. dazu Sophie Eisentraut, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen: Neue Reformdynamiken. Erfolgsaussichten und die Konsequenzen für Deutschland, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2016 (SWP-Aktuell 79/2016).

39

 Vgl. Günther Unser, »Die EU und die Vereinten Nationen«, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hg.), Jahrbuch der europäischen Integration 2014, Baden-Baden: Nomos, 2014, S. 569–576 (572ff).

40

 Vgl. Manuela Scheuermann, VN-EU-Beziehungen in der militärischen Friedenssicherung. Eine Analyse im Rahmen des Multi­lateralismus-Konzepts, Baden-Baden: Nomos, 2012 (Staatlichkeit und Governance in Transformation, Bd. 3), S. 99ff.

41

 Vgl. zu dieser Überlegung Malte Brosig, »EU Peace­keeping in Africa: From Functional Niches to Interlocking Security«, in: International Peacekeeping, 21 (2014) 1, S. 74–90 (75).

42

 Zu den Unterschieden zwischen EU- und VN-Operatio­nen vgl. Thierry Tardy, »The European Union and UN Peace Operations: What Global–Regional Peace and Security Partnership?«, in: Cedric de Coning/Mateja Peter (Hg.), United Nations Peace Operations in a Changing Global Order, Cham: Palgrave Macmillan, 2019, S. 231–251 (239f).

43

 Vgl. Tobias Pietz, Die EU und das UN-Peacekeeping: Halb­zeit bei Brüssels Aktionsplan, Berlin: Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), Oktober 2013 (ZIF Policy Briefing).

44

 Europäischer Auswärtiger Dienst, Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Brüssel 2016, S. 33.

45

 Vgl. Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen über gegenseitige Unterstützung bei ihren jeweiligen Missionen und Operationen vor Ort, OJ L 389, Brüssel, 19.11.2020, S. 2–20, <https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:22020 A1119(01)&from=DE>.

46

 Rede von Reinhard Brandl (CSU); Bundestag, Steno­grafischer Bericht, 13.5.2020 [wie Fn. 25], S. 19760f.

47

 Rede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer; ebd., S. 19755.

48

 Rede von Christoph Matschie (SPD); ebd., S. 19756.

49

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 40. Sitzung, Berlin, 6.6.2014 (Plenarprotokoll 18/40), S. 3535ff. Dieser Ton findet sich wieder im Positionspapier der SPD-Bundestags­fraktion »Neujustierung der deutschen und europäischen Sahelpolitik«, 9.2.2021, <https://www.spdfraktion.de/system/ files/documents/fraktionsbeschluss_neujustierung-sahel politik_20210209.pdf>. Dort plädiert die Fraktion dafür, »… das stärker auf das Militärische fokussierte französische Engagement in der Sahel-Region in ein strategisch breiter gefasstes – das heißt im Spannungsfeld zwischen militärischem und zivilem Vorgehen ausgeglicheneres – europäisches Vorgehen miteinzubeziehen« (S. 2).

50

 Vgl. Lacher, Unser schwieriger Partner [wie Fn. 4], S. 33: »Indes ist die aus Deutschland kommende Kritik an Frankreichs angeblichem Schwerpunkt Kriegsführung im Sahel allzu bequem. Sie rührt oftmals mehr vom Selbstverständnis Deutschlands als Zivilmacht her als von einem Verständnis der Problematik vor Ort. Ohne militärisches Engagement gibt es keine realistischen Perspektiven für zivile Krisen­bearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit.«

51

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 95. Sitzung, Berlin, 11.4.2019 (Plenarprotokoll 19/95), S. 11358f.

52

 Vgl. dazu Denis M. Tull, »Rebuilding Mali’s Army: The Dissonant Relationship between Mali and Its International Partners«, in: International Affairs, 95 (2019) 2, S. 405–422 (420f).

53

 Bundestag, Stenografischer Bericht, 28.1.2016 [wie Fn. 27], S. 14928f.

54

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 213. Sitzung, Berlin, 20.1.2017 (Plenarprotokoll 18/213), S. 21360.

55

 Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht – 98. Sitzung, Berlin, 9.5.2019 (Plenarprotokoll 19/98), S. 11800.

56

 Bundestag, Stenografischer Bericht, 13.5.2020 [wie Fn. 25], S. 19754.

57

 Vgl. »Fighting Jihadists: Macron’s Africa Mission«, in: The Economist, 20.2.2021.

58

 AA, »Statement von Außenminister Heiko Maas anlässlich des erweiterten G5 Sahel-Gipfels in N’Djamena (Virtuelle Teilnahme)«, 16.2.2021, <https://www.auswaertiges-amt.de/ de/newsroom/maas-g5-sahel/2442382>.

59

 Vgl. zu den auseinanderfallenden deutschen und französischen Ordnungsvorstellungen prägnant Tull, Deutsches und internationales Krisenmanagement im Sahel [wie Fn. 13].

60

 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, »Rede von Bundeskanzlerin Merkel im Deutschen Bundestag«, 27.11.2019, <https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-im-deutschen-bundestag-1699682>.

61

 Siehe die Zahlen bei United Nations Peacekeeping, Contribution of Uniformed Personnel to UN by Mission, Country, and Personnel Type 30/04/2021, 30.4.2021, <https://peacekeeping. un.org/sites/default/files/04-mission_and_country_37_ apr2021.pdf>.

62

 John Karlsrud/Adam C. Smith, Europe’s Return to UN Peacekeeping in Africa? Lessons from Mali, New York: Internatio­nal Peace Institute, Juli 2015 (Providing for Peacekeeping Nr. 11), S. 15 (Übersetzung des Autors).

63

 Siehe zum Beispiel Rat der Europäischen Union, Reinforcing the UN–EU Strategic Partnership on Peace Operations and Crisis Management: Priorities 2019–2021, (EEAS(2018) 781), Brüssel, 11.7.2018, S. 6, <https://data.consilium.europa. eu/doc/document/ST-11041-2018-INIT/en/pdf>, oder Carmen-Cristina Cîrlig, EU–UN Cooperation in Peacekeeping and Crisis Management, Brüssel: European Parliamentary Research Service (EPRS), November 2015 (EPRS Briefing), S. 6ff, <https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2015/572783/EPRS_BRI%282015%29572783_EN.pdf>.

64

 Vgl. dazu Thomas Schiller, »Die Lage im Sahel. Konsequenzen für das internationale Engagement«, in: KAS-Aus­landsinformationen, 36 (2020) 2, S. 61–70.

65

 Vgl. Christian Klatt, Nach dem Coup d’État. Hoffnungen und Herausforderungen in Mali, Berlin: FES, Oktober 2020.

66

 Institute for Economics & Peace, Global Terrorism Index 2020. Measuring the Impact of Terrorism, Sydney, November 2020, S. 18, <https://www.visionofhumanity.org/wp-content/ uploads/2020/11/GTI-2020-web-1.pdf>.

67

 Vgl. dazu die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus den Jahren 2014 bis 2021, zusammen­gestellt von der Bundeszentrale für politische Bildung, »Demografie von Asylsuchenden in Deutschland. Info­grafiken zu Alter, Geschlecht und Herkunft von Asylsuchenden«, 18.6.2021, <https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/ flucht/zahlen-zu-asyl/265710/demografie>.

68

 Vgl. dazu Christian Patz, »Peacekeeping Labor Mali: Deutschland und der MINUSMA Einsatz«, in: Sirius, 3 (2019) 4, S. 339–361 (357f).

69

  Bellamy/Williams, »Explaining the National Politics of Peacekeeping Contributions« [wie Fn. 1], S. 418 (Übersetzung des Autors).

70

 Körber-Stiftung (Hg.), Einmischen oder zurückhalten? Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik – Aktualisierung 2019, Hamburg 2019.

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