Im Mai 2019 ist das Abkommen über die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) in Kraft getreten. Perspektivisch soll die AfCFTA die Grundlage für einen umfassenden afrikanischen Markt schaffen; zunächst setzt sie komplizierte, voraussichtlich lang andauernde Verhandlungen in Gang. An deren Ende wird zwar nicht vollständiger Freihandel in Afrika stehen, aber doch ein Zollabbau, der Handel und Produktion anregen sowie regionale Wertschöpfungsketten stärken könnte. Überlegungen, die Handelspolitik der Europäischen Union (EU) gegenüber Afrika anzupassen – und dass dies ein Thema für die deutsche Ratspräsidentschaft sein könnte –, sind allerdings verfrüht. Trotzdem sollten Deutschland und die EU die Errichtung der AfCFTA weiter begleiten, denn sie ist ein wichtiger politischer Prozess mit auf lange Sicht hohem wirtschaftlichem Potential für Afrika.
Den Vertrag über die AfCFTA haben 54 Staaten Afrikas unterzeichnet und 28 ratifiziert (Stand Oktober 2019). Die damit entstehende Freihandelszone strebt, kurz zusammengefasst, folgende Ziele an: Auf 90 Prozent der Zolllinien im Warenhandel sollen die Zölle abgeschafft werden. Für 7 Prozent der sensiblen Produkte geschieht dies erst über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren; dauerhaft geschützt bleiben 3 Prozent der Zolllinien, jedoch nicht mehr als 10 Prozent des Importwertes. Die AfCFTA soll einen Markt schaffen mit einer Größe von 1,2 Milliarden Menschen und einem gemeinsamen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 2,5 Billionen US-Dollar.
Themen der AfCFTA
Die Marktöffnungsziele sind im Abkommen festgeschrieben, doch ist bisher unklar, wie sie erreicht werden sollen. Wesentliche Grundlagen für die tatsächliche Handelsliberalisierung sind noch nicht ausverhandelt, zum Beispiel konkrete Vereinbarungen darüber, für welche Produkte die Zölle wann und wie weit gesenkt werden (sog. Liberalisierungslisten), sowie die Ursprungsregeln. Letztere sind in jedem Freihandelsabkommen nötig, um zu verhindern, dass Exporteure aus Drittländern über Umwege Waren einführen und so die beschlossene Zollfreiheit nutzen. Ursprungsregeln definieren deshalb, wie stark ein Produkt im Partnerland des Abkommens bearbeitet worden sein muss, um in den Genuss der Zollermäßigung zu kommen. Im AfCFTA-Abkommen fehlen diese Bestimmungen noch. Sein Inkrafttreten bedeutet daher für den Warenverkehr weitere Verhandlungen; ökonomische Folgen werden fürs Erste auf sich warten lassen.
Ein Hinweis am Rande: Der Begriff des »Inkrafttretens« des AfCFTA-Abkommens hat in Europa zu einigen Missverständnissen geführt, da er hier anders verstanden wird. Tritt ein europäisches Freihandelsabkommen (FHA) in Kraft, führt dies direkt zur Senkung der Zölle auf Waren, so dass ökonomische Wirkungen sich sofort entfalten können.
Die AfCFTA soll nicht nur den Güterverkehr, sondern auch den Handel mit Dienstleistungen liberalisieren. Allerdings stehen die Verhandlungen zu Dienstleistungen ebenfalls noch am Anfang, ein etwaiges Ergebnis und seine Wirkungen sind also noch nicht abzuschätzen. Die afrikanischen Staaten haben mit dieser Art Verhandlungen noch weniger Erfahrung als mit solchen zur Öffnung des Warenhandels, entsprechend groß sind die Herausforderungen. Zwar sind die Verhandlungen angelehnt an eine multilateral vereinbarte Grundlage – das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der Welthandelsorganisation (WTO) –, doch haben die in Afrika bestehenden regionalen Integrationsgemeinschaften (Regional Economic Communities, RECs) bisher unterschiedliche Ansätze gewählt und unterschiedliche Erfahrungen gemacht, was die Dienstleistungsliberalisierung angeht. Der Hauptvorteil der AfCFTA für den Dienstleistungsbereich liegt momentan darin, dass ein gemeinsames Vorgehen entworfen wurde. Die Verhandlungen werden einige Zeit in Anspruch nehmen, wie die Erfahrung auf regionaler Ebene lehrt. In der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (Southern African Development Community, SADC) etwa wurde sechs Jahre über die interne Marktöffnung für sechs Dienstleistungssektoren diskutiert.
Die afrikanischen Staaten streben mit dem AfCFTA-Vertrag ein umfassendes, modernes Abkommen an, das neben Waren- und Dienstleistungshandel auch neue Themen abdecken soll. Regelungen zur Personenfreizügigkeit zielen auf weitreichende Freiheiten sowie die Abschaffung von Visa ab. Nach Artikel 34 kann jedoch jedes Land jede Art von Einschränkung vornehmen, mithin muss sich der tatsächliche Wert der Vereinbarung erst noch erweisen. In einer zweiten Verhandlungsphase soll ein Regelwerk für Investitionen, Wettbewerbspolitik und geistige Eigentumsrechte erarbeitet werden. Der vorgesehene Zeitraum dafür (bis Anfang 2020) wurde indessen nicht eingehalten. Inhaltlich ist es unwahrscheinlich, dass die Partner über bestehende regionale Kooperationen oder das Regelwerk der WTO hinausgehen werden, was die neuen Themen anbetrifft.
Zunächst mehr Regionalabkommen
Es ist noch nicht vollkommen klar, wie der weitere Verhandlungsprozess ablaufen wird. Zwar weckt das Ziel, eine einzige afrikanische Freihandelszone unter der Ägide der Afrikanischen Union (AU) zu schaffen, die Assoziation, es würde ein einziges afrikanisches Liberalisierungsinstrument entstehen, innerhalb dessen jedes Land sein Liberalisierungsangebot allen anderen Mitgliedern der AU vorlegt und dann über alle diese Angebote ein Abkommen verhandelt würde. Dies entspräche dem Vorgehen in der WTO. Es zeichnet sich freilich schon jetzt ab, dass es anders kommen wird.
In der Präambel des AfCFTA-Abkommens werden acht RECs als Bausteine (»building blocks«) zur Errichtung der AfCFTA bezeichnet (vgl. Grafik auf Seite 3). Die Liberalisierung des Handels im Rahmen der AfCFTA wird über die RECs hinaus vorerst zwischen afrikanischen Ländern und Regionen stattfinden, zwischen denen bisher noch keine FHAs existieren – also beispielsweise zwischen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (East African Community, EAC) und
der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (Economic Community of West African States, ECOWAS). So beschreibt der Annex zum Bericht über die AfCFTA, der die Ergebnisse der Versammlung der AU vom 10. bis 11. Februar 2019 enthält, das weitere Vorgehen. Die Zahl der innerafrikanischen Integrationsgemeinschaften wird also erst einmal weiter steigen, bis die AfCFTA umgesetzt ist.
Inhaltlich werden die Verhandlungen dadurch verkompliziert, dass der Stand der Integration in den einzelnen RECs verschieden ist. Nicht alle sind schon heute Freihandelszonen, die den internen Handel liberalisiert haben – so ist die Union des Arabischen Maghreb (Union du Maghreb Arabe, UMA) praktisch bedeutungslos, während die SADC bereits 90 Prozent ihres internen Handels liberalisiert hat.
Zudem gibt es Überschneidungen zwischen den RECs (vgl. Grafik). Die meisten afrikanischen Staaten gehören mehr als einer Freihandelszone an, mit unter Umständen unterschiedlichen Zöllen, Ursprungsregeln und Standards. Zur Beschreibung der Situation wird daher gern das Bild von der »Spaghettischüssel« der RECs in Afrika bemüht. Wie diese Probleme gelöst werden sollen und wie schnell eine weitere Marktöffnung hin zur AfCFTA erfolgen kann, hängt somit vom politischen Willen und Engagement der einzelnen Regierungen und Regionalgemeinschaften ab sowie von ihren Fortschritten. Die AU kann hier lediglich die Rolle des Mahners und gegebenenfalls Fazilitators einnehmen.
Sorge vor Wettbewerb als Hemmnis der Integration
Eine der schwierigsten Fragen für die weitere Gestaltung der AfCFTA ist die Sorge kleiner Länder vor zunehmendem Wettbewerb mit größeren, exportstarken Ländern. Der Internationale Währungsfonds (IWF) weist darauf hin, dass die innerafrikanischen Handelsströme von einigen wenigen »hubs« dominiert werden: Côte d’Ivoire, Kenia, Senegal und Südafrika. Diese sind in der AfCFTA in einer besseren Ausgangssituation und können sich von ihr als Erste eine Steigerung ihrer Exporte versprechen.
Laut IWF ist es für den Fortgang der Verhandlungen deshalb sehr wichtig, die Bedenken der schwächeren Volkswirtschaften ernst zu nehmen. Gerade diese Länder vertreten aber eher protektionistische Positionen und zögern, ihre eigenen Märkte zu öffnen, unter anderem weil sie befürchten, innerhalb einer Freihandelszone wachse die Konkurrenz. In den Verhandlungen versucht man, diesen Sorgen zu begegnen, indem Bestimmungen zur »Sonderbehandlung schwächerer Länder (special and differential treatment)« diskutiert werden. Den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, LDCs) in der AfCFTA wurde bereits zugestanden, ihre Zollsenkungen über den Zeitraum von 13 Jahren vorzunehmen statt binnen der für die übrigen Länder geltenden 10 Jahre. Die Sonderbehandlung in Form von Ausnahmen von der Marktöffnung hingegen soll es nicht automatisch geben, sondern interessierte Länder müssen ihre Bedürftigkeit anhand spezifischer Kriterien nachweisen. Dies birgt indes die Gefahr, dass Länder mit geringen rechtlichen und finanziellen Kapazitäten Probleme haben werden, die Sonderbehandlung zu beantragen und zu erhalten, und stattdessen eingegangenen Verpflichtungen zur Marktöffnung einfach nicht nachkommen.
Perspektiven für die weiteren Verhandlungen
Das Sekretariat der AU hat mit den Verhandlungen zum AfCFTA-Abkommen und dessen Ratifizierung eine neue Dynamik für die regionale Integration entfacht. Der Schritt von Verhandlungen – und sogar Verhandlungsergebnissen – hin zu konkreten ökonomischen Wirkungen ist jedoch groß. Aus Regierungen im südlichen Afrika sind auch Stimmen zu hören, die sich von dem Druck der AU, schnell Ergebnisse zu liefern, distanzieren. Darüber hinaus weisen sie auf eine Schwierigkeit hin: Zwar einige man sich auf einen Zeitrahmen, die Gefahr sei aber, dass die Umsetzung der beschlossenen Schritte verschleppt würde. Zu vermuten steht daher, dass die weitere Integration in denjenigen Regionen dynamisch(er) verlaufen wird, die sich auch bisher einer eher offenen Handelspolitik verschrieben haben. So verlautete aus dem südlichen Afrika, Verhandlungen zwischen der Zollunion des südlichen Afrika (Southern African Customs Union, SACU) und der EAC seien weit fortgeschritten. Dagegen wird die Öffnung zwischen Ländern, die eher einen protektionistischen Ansatz verfolgen, wie Nigeria oder Simbabwe, auch weiterhin bestenfalls schleppend vorankommen.
Hinzu kommt, dass Zollsenkungen nicht in allen Regionen im gleichen Maße anregend auf den internen Handel wirken. Andere Faktoren begrenzen den Handel nämlich oft mehr als Zölle, zum Beispiel hohe Handelskosten durch Quoten und Lizenzen, Anforderungen des Gesundheits- und Pflanzenschutzes, technische Standards und bürokratische Verfahren. Ein anderes Problem ist die mangelnde Exportdiversifizierung vieler afrikanischer Länder. Staaten mit höherer Produktdiversifizierung sind stärker in den regionalen Handel integriert. Die Folge: In einigen Regionen ist der Anteil des internen Handels am Außenhandel einzelner Länder nach Zollsenkungen rapide angestiegen – etwa in der SADC –, in anderen Regionen hingegen nicht – etwa in der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (Communauté Economique et Monétaire de l’Afrique Centrale, CEMAC).
Wenn auch noch keine ökonomischen Ergebnisse der AfCFTA vorliegen, sind doch bedeutende Zwischenschritte erreicht: So wurde das gemeinsame Ziel einer 90‑prozentigen Marktöffnung innerhalb Afrikas verpflichtend festgeschrieben, ein wichtiger Konsens. Der wirklich große Vorteil der AfCFTA besteht momentan aber darin, dass sie Verfahren zur Liberalisierung entworfen hat, wie ein »Template«, das heißt die Struktur der Angebotslisten, die für die weiteren bilateralen und regionalen Verhandlungen gebraucht und im Verhandlungsprozess ausgetauscht werden. Einmal von einem Land oder einer Region angewandt, erleichtert es alle folgenden Verhandlungen mit afrikanischen Partnern. Die Regierung in Namibia beispielsweise soll die Templates der AfCFTA bereits eingesetzt haben für die Verhandlungen innerhalb der Tripartite aus EAC, SADC und Gemeinsamem Markt Ost- und Südafrikas (Common Market for Eastern and Southern Africa, COMESA).
Schließlich lenkt die Gründung der AfCFTA das Interesse der Privatwirtschaft stärker auf den afrikanischen Markt. So betrachtet Nigers Präsident die positiven Ergebnisse der intraafrikanischen Handelsmesse in Kairo im Dezember 2018 als erstes Resultat der AfCFTA. Dort sind zwischen 1086 Ausstellern Verträge im Wert von über 30 Milliarden US-Dollar geschlossen worden.
Das ökonomische Potential der AfCFTA
Viele gute Gründe sprechen dafür, die AfCFTA zu vollenden. Gerade den kleineren afrikanischen Volkswirtschaften – wie etwa Namibia mit circa 2,5 Millionen Einwohnern – würde eine Vergrößerung des Marktes in einer Freihandelszone es erlauben, Skalenerträge in der Produktion zu realisieren. Diese können weiter ansteigen wegen des hohen Bevölkerungswachstums, bei gleichzeitig zunehmendem Mittelstand. Die Bevölkerung Afrikas soll sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen (VN) bis 2050 auf circa 2,6 Milliarden Menschen verdoppeln.
Der Anteil der innerafrikanischen Importe an den afrikanischen Importen insgesamt hat sich über die letzten beiden Jahrzehnte knapp verdreifacht auf etwa 13 Prozent (73,6 Milliarden US-Dollar). Diese erfreuliche Entwicklung überdeckt jedoch sehr unterschiedliche Trends in einzelnen Subregionen. Während Südafrika allein fast 35 Prozent der intraafrikanischen Exporte liefert und 15,5 Prozent der Importe aufnimmt, sind andere große Länder schlecht integriert. Algerien, Ägypten und Nigeria, die zusammen die Hälfte des afrikanischen BIP erwirtschaften, sind nur wenig am intraafrikanischen Handel beteiligt, nämlich mit 11 Prozent ihres Handels. Die SADC dagegen weist einen hohen Integrationsstand auf, ihre Mitglieder wickeln mit 20 Prozent einen bedeutenden Teil des Handels untereinander ab. Ein Großteil – etwa drei Viertel – des intrakontinentalen Handels findet innerhalb der wichtigsten Regionalorganisationen statt, vor allem im östlichen und südlichen Afrika.
Der innerafrikanische Handel birgt ein hohes Potential, regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und damit Wachstum wie Entwicklung günstig zu beeinflussen. Dies deshalb, weil mehr Fertigwaren innerhalb Afrikas gehandelt werden, als afrikanische Staaten in Drittländer exportieren. Der Anteil von Produkten mit höherer Wertschöpfung, wie Fahrzeuge oder Kosmetika, am intrakontinentalen Handel liegt bei etwa 40 Prozent (Grundstoffe 44 Prozent, landwirtschaftliche Produkte ca. 16 Prozent). Die Exporte in Länder außerhalb Afrikas sind im Gegensatz dazu noch wesentlich von Rohstoffen dominiert (ca. 75 Prozent).
In welcher Größenordnung könnte nun die AfCFTA zum innerafrikanischen Handel beitragen? Oben wurde bereits dargelegt, dass es sehr lange dauern wird, bis sich ökonomische Wirkungen einstellen. Wenn am Ende 90 Prozent des Handels innerhalb der AfCFTA liberalisiert sein werden, führt dies laut IWF zu einer Zunahme des Handels von 16 Prozent – eine relativ bescheidene Zahl. Der Grund: 90 Prozent Liberalisierung spiegeln kein sehr hohes Ambitionsniveau, auch wenn es sich viel anhört. Aber ein Großteil der Importe ist in den meisten Ländern ohnehin frei, in Namibia beispielsweise etwa 60 Prozent. Werden also 10 Prozent der Produkte von der Zollsenkung ausgenommen, können damit die dynamischsten Teile des Handels ausgeklammert werden. Die Wissenschaftler Peter Draper und Andreas Freytag gelangen sogar zu der Folgerung, dass die AfCFTA auf Grund dieses Mangels an Ehrgeiz keine wirklich sinnvolle Liberalisierung bewirken wird.
Die Verhandlungen und der Start der AfCFTA haben sowohl in Afrika als auch außerhalb eine gewisse Dynamik und Erwartungshaltung hervorgerufen, tatsächlich zu ökonomischen Ergebnissen zu kommen. Doch gerade angesichts der ernüchternden Bilanz bisheriger Bemühungen zur Liberalisierung in manchen Regionen bestehen zwei reale Gefahren. Zum einen könnten zwar Beschlüsse zu Zollsenkungen gefasst werden, die Verhandlungsergebnisse dann aber nicht umgesetzt. Zum anderen könnten die begleitenden Bestimmungen so wenig ambitioniert sein, dass selbst die Umsetzung kaum zu Änderungen im realen Handel führt; zum Beispiel wenn die Ursprungsregeln sehr streng formuliert werden oder die Ausnahmeregelungen sehr großzügig. Dies wäre die schlechteste Lösung: Mit viel Aufwand hätte man ein geringes Ergebnis erzielt, überdies fiele der Ansporn für weitere Liberalisierung zunächst einmal weg.
Wenig Auswirkungen auf Abkommen mit Drittstaaten
Schon heute besteht eine Reihe von Abkommen zwischen afrikanischen Staaten oder Regionen und Staaten oder Regionen außerhalb Afrikas. Die wichtigsten sind die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPAs) mit der EU. Darüber hinaus gibt es Freihandelsabkommen oder Präferenzabkommen (wobei Letztere nur eine Auswahl von Sektoren abdecken) mit anderen Ländern und Regionen wie der Europäischen Freihandelszone (European Free Trade Association, EFTA) oder dem Mercosur. Andere FHAs werden derzeit verhandelt – so mit Großbritannien oder zwischen der SACU und Indien, demnächst auch mit den USA.
FHAs mit Ländern und Regionen außerhalb Afrikas bleiben nach Artikel 4 des AfCFTA-Protokolls zum Handel mit Waren wie bisher möglich, solange sie den Zielen der AfCFTA nicht entgegenstehen.
Was bedeutet das konkret? Artikel 4 klärt eindeutig, dass die AfCFTA bestehende Abkommen wie die WPAs nicht in Frage stellt – und verneint damit zugleich die in Deutschland so gern aufgeworfene Frage, ob nicht wegen der afrikanischen Handelsintegration die WPAs ersetzt werden müssten durch ein umfassendes neues Abkommen zwischen der EU und der AU. Der Artikel regelt zudem, dass einzelne Länder und Regionen auch in Zukunft mit Drittländern neue Abkommen schließen können. Dies ist deshalb kein Problem, weil die AfCFTA im Gegensatz zu einer Zollunion keine einheitlichen Zollsätze gegenüber Drittländern vorsieht. Als Freihandelszone liberalisiert sie nur den Handel zwischen den beteiligten Ländern. Jedem Land bleibt daher unbenommen, eigene Abkommen einschließlich unterschiedlicher Außenzölle zu vereinbaren.
Für Afrika ist dabei Folgendes wichtig: Die Zölle gegenüber Drittländern außerhalb Afrikas dürfen nicht niedriger sein als innerhalb Afrikas. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass beispielsweise ein Abkommen mit dem Mercosur Handelspräferenzen für Lateinamerika schafft, die den innerafrikanischen Handel benachteiligen. Artikel 4 des AfCFTA-Protokolls zum Warenhandel verlangt deshalb, dass alle Präferenzen, die Drittländern unter einem FHA mit afrikanischen Staaten gewährt werden, nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) auch den afrikanischen Partnern in der AfCFTA gewährt werden müssen. Gleiches ist für Dienstleistungen vorgesehen. Wenn etwa die SACU gegenüber Indien einen Zoll senkt, muss sie dies ihren Partnern in der AfCFTA (z. B. zukünftig möglicherweise Côte d’Ivoire) gleichfalls anbieten, sofern diese bereit sind, den entsprechenden Zoll ebenfalls zu senken.
Die EU-WPAs enthalten bereits solche sogenannten regionalen Integrationsklauseln, sogar ohne die Forderung der Reziprozität. Freilich gelten diese nur innerhalb der jeweiligen WPA-Regionen, nicht darüber hinaus. Die regionale Integrationsklausel in der AfCFTA ist daher eine wesentliche Erweiterung, die sicherstellt, dass auch gegenüber allen anderen afrikanischen Partnern – nicht nur innerhalb der jeweiligen WPA-Region – mindestens so niedrige Zölle gelten wie gegenüber der EU (oder Partnern in anderen künftigen FHAs). Diese Bestimmung ist zentral, erschwert aber die weiteren Verhandlungen eher, selbst die innerafrikanischen. Denn bei kommenden – auch bilateralen – Verhandlungen muss immer mit bedacht werden, inwieweit etwaige Zollsenkungen ebenso gegenüber den afrikanischen Partnern in der AfCFTA wirksam werden können.
Schlussfolgerungen für die deutsche und europäische Politik
Die AfCFTA kann nur als sehr langfristiges Projekt verstanden werden. Ihre Ausgestaltung birgt die Chance, über die Zunahme des innerafrikanischen Handels mit Fertigwaren zu mehr Wertschöpfung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen. Die EU sollte diesen Prozess weiterhin durch handelsbezogene Entwicklungspolitik (Aid for Trade, AfT) begleiten. Das bedeutet zum einen, die Verhandlungsprozesse sowie das Sekretariat der AU zu unterstützen und die Umsetzung der in der AU getroffenen Beschlüsse durch die nationalen Regierungen zu fördern. Entscheidend wird indes noch für längere Zeit sein, die Integration innerhalb der RECs und die Handelsverhandlungen zwischen ihnen voranzubringen. Denn die AfCFTA wird über diese Zwischenschritte realisiert. Schließlich sind die RECs die »building blocks« der AfCFTA.
Um konkrete Ergebnisse zu erreichen, wird es außerdem nötig sein, die Privatwirtschaft in die Lage zu versetzen, die neu entstehenden Marktchancen auch tatsächlich zu nutzen. Dazu braucht es Informationen über die Märkte, aber häufig gleichermaßen eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Warenproduktion. Um Investitionen anzulocken – lokale, regionale oder aus Drittländern –, müssen die afrikanischen Länder die Rahmenbedingungen weiter verbessern und Handelserleichterungen verwirklichen. Der G20 Compact with Africa (CwA) ebenso wie der European External Investment Plan unter der Allianz Afrika–Europa sind Rahmen, innerhalb derer solche Bemühungen auch in Zukunft unterstützt werden sollten.
Die Verhandlungen über das Folgeabkommen des Cotonou-Vertrags zwischen der EU und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) bieten Raum, Grundsätze für derartige AfT-Ansätze zur Förderung regionaler Integration zu vereinbaren. Sofern es nicht gelingt, sie bald abzuschließen, bliebe dies für die deutsche Ratspräsidentschaft zu tun, die dann gegebenenfalls noch Akzente setzen kann. Dabei ist davon auszugehen, dass das Thema AfT zur Förderung regionaler Integration harmonisch behandelt werden kann – im Gegensatz zu »echten Knackpunkten« der Post-Cotonou-Verhandlungen wie der Frage, auf welche Weise das Thema Migration zu verankern ist.
In Deutschland wurde bereits diskutiert, ob die EU als Konsequenz aus der Ratifizierung des AfCFTA-Abkommens Verhandlungen mit der AU über ein EU-AU-Handelsabkommen aufnehmen sollte, das die bestehenden WPAs überflüssig macht. Solche Verhandlungen wären derzeit weder möglich noch sinnvoll. Für die afrikanische Seite besteht dazu kein Anreiz, da der Großteil der Staaten Subsahara-Afrikas schon heute vollkommen freien Zugang zum Markt der EU hat. Dies gilt nicht nur für alle Länder, die ein WPA umsetzen, sondern auch für alle LDCs, die von einseitigen EU-Handelspräferenzen profitieren. Die Staaten Nordafrikas sowie Südafrika genießen weitgehende Zollfreiheit für industrielle Güter. Dennoch hatte der vorige Präsident der Europäischen Kommission Juncker bereits in einer Rede angeboten, dass die EU zu Handelsverhandlungen mit der AU bereit wäre, wenn die AfCFTA vollendet sei und dies von afrikanischer Seite gewünscht wäre. Die EU hat damit die notwendige politische Bereitschaft gezeigt, auf die Afrika zurückkommen kann. Damit ist allerdings auf längere Sicht nicht zu rechnen.
Schließlich werden die afrikanischen Staaten ihre Energie und ihre Kapazitäten für die Verhandlungen zur Vollendung der AfCFTA benötigen. Gerade angesichts der derzeitigen Schwäche des multilateralen Systems haben sie zudem ein Interesse an Freihandelsabkommen mit anderen Partnern vor allem in Asien, aber auch in Lateinamerika sowie mit den USA. Die afrikanische Verhandlungsmacht wäre zwar größer, würde man schon gemeinsam als gesamtafrikanische Zollunion auftreten können – das Langfristziel der AU –, doch muss erst einmal der erste Schritt, die AfCFTA, zu Ende geführt werden.
Lektürehinweise
African Union, Report on the African Continental Free Trade Area (AfCFTA), By H. E. Mahamadou Issoufou, President of the Republic of Niger and Leader on AfCFTA, Assembly of the Union, Thirty-Second Ordinary Session, 10–11 February 2019, Addis Ababa, Ethiopia, Assembly/AU/4(XXXII)
International Monetary Fund, Sub-Saharan Africa Regional Economic Outlook: Recovery Amid Elevated Uncertainty, April 2019
Peter Draper / Andreas Freytag, Die Afrikanische Freihandelszone. Viel Lärm um Nichts oder Meilenstein der wirtschaftlichen Integration?, Afrikapost aktuell, 27. Juni 2019
Lily Sommer / Jamie MacLeod, »How Important is Special and Differential Treatment for an Inclusive AfCFTA?«, in: David Luke / Jamie MacLeod (Hrsg.), Inclusive Trade in Africa. The African Continental Free Trade Area in Comparative Perspective, London 2019, S. 69–86
Dr. Evita Schmieg ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Das Aktuell entstand im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Außenwirtschaft und Entwicklungsländer im Lichte der Ziele zur nachhaltigen Entwicklung«.
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doi: 10.18449/2020A12