Wie die beiden Politikfelder Energie und Gesundheit zusammenhängen, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Klar benannt sind zumindest die negativen Externalitäten, die sich aus dem Energieverbrauch aus fossilen Brennstoffen ergeben. Im Januar 2019 bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Klimawandel und Luftverschmutzung als die zwei größten Herausforderungen für die Gesundheit aller. Ein differenzierter Blick auf Infrastruktur, Verfügbarkeit und Qualität der Energie- wie der Gesundheitsversorgung und den Zugang zu ihnen zeigt, wie eng verwoben diese Politikfelder sind. Kein moderner Krankenhausbetrieb funktioniert ohne sichere Stromversorgung, für die Lagerung von Impfstoffen sind leistungsfähige Kühlketten unerlässlich. Im Sinne der »Ziele nachhaltiger Entwicklung« der Vereinten Nationen müssen die beiden Politikfelder so ausgestaltet und verschränkt werden, dass sie über nationale Grenzen hinweg zur menschlichen Sicherheit beitragen und planetare Grenzen berücksichtigen. Es kommt darauf an, Gesundheit und Energie zusammenzudenken und Synergien zwischen ihnen zu schaffen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag, um die Nachhaltigkeitsziele rascher umzusetzen.
Während die Gesundheits- und Energieversorgung in den meisten westlichen OECD-Staaten eine hohe Qualität aufweist, fehlt in vielen anderen Ländern der Welt eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, nämlich eine stabile und ausreichende Stromversorgung. Fast 60 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Subsahara-Afrika haben keinen Zugang zu Elektrizität. Zudem verdirbt dort etwa die Hälfte aller Impfstoffe, weil rund 60 Prozent der Kühlschränke in Kliniken über keine verlässliche Stromzufuhr verfügen.
In den »Zielen nachhaltiger Entwicklung« (SDGs) der Vereinten Nationen von 2015 wird dieser Zusammenhang betont. Die 17 Nachhaltigkeitsziele, darunter »Gesundheit und Wohlergehen« (SDG 3) und »Bezahlbare und saubere Energie« (SDG 7), sind so angelegt, dass alle Ziele nur gemeinsam erreicht werden können.
Um die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zu verdeutlichen, ist das Konzept der menschlichen Sicherheit (human security) hilfreich. Es geht auf den Human Development Report des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen von 1994 zurück. Kern des Konzepts ist ein Paradigmenwechsel, weg von territorialer Sicherheit des Nationalstaats und hin zur Sicherheit des einzelnen Menschen. Auf diese Weise wird sowohl die Sicherheit vor akuten Bedrohungen wie Hunger, Krankheit und Unterdrückung erfasst als auch die Verbesserung der Lebensbedingungen.
Die Öffnung des traditionellen, staatszentrierten Sicherheitsbegriffs zugunsten der umfassenderen menschlichen Sicherheit hat direkte Konsequenzen für die politische Praxis. Der Begriff menschliche Sicherheit ermöglicht es, sich kontextspezifischer mit Sicherheitsproblematiken auseinanderzusetzen sowie sich stärker auf Gefahrenprävention und Verbesserung der Lebensbedingungen zu konzentrieren. Rein militärische Überlegungen sind ein, aber nicht mehr der zentrale Bestandteil. Ziel ist nunmehr, die Sicherheit von Menschen zu verbessern, indem der Komplexität sozialer Verhältnisse Rechnung getragen wird.
Nach dieser Maxime sollen beispielsweise Synergien, die sich aus dem Bedarf an Infrastruktur, Finanzierungswegen, Lieferketten und Kommunikationskanälen ergeben, systematisch als zusammenhängend gedacht werden. Konzeptionell können damit das Ziel der Nachhaltigkeit besser in politikfeldübergreifende Governance-Strukturen eingebettet und seine Umsetzung effektiver geplant werden. Idealerweise lassen sich so effektive und menschenzentrierte Lösungsansätze für grundlegende Probleme entwerfen, anstatt nur auf Symptome zu reagieren. In der Praxis lässt sich dieses Konzept aber nicht leicht operationalisieren. Energie und Gesundheit zusammenzubringen ist eine große Herausforderung, weil es höchst unterschiedliche Governance-Systeme, Denktraditionen und Prioritäten gibt.
Gesundheit und menschliche Sicherheit
Es existiert eine offensichtliche Verbindung zwischen Gesundheit und menschlicher Sicherheit. Gesundheit ist ein Wert an sich, globales öffentliches Gut, Voraussetzung für und Folge von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. Gesundheitspolitik hat die Aufgabe, im jeweiligen Staat allen Menschen eine zugängliche, wirksame und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, Gesundheitsrisiken (auch in anderen Politikbereichen) abzubauen sowie gesundheitsfördernde Lebenswelten zu schaffen.
Der Konnex zwischen Gesundheit und menschlicher Sicherheit wird vor allem in der Gesundheitsversorgung und der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung deutlich. Ein menschenzentrierter Ansatz gilt dort als Goldstandard.
Nur widerstandsfähige (resiliente), gut ausgestattete Gesundheitssysteme können in Krisenzeiten, etwa im Falle von Epidemien, die Regelversorgung aufrechterhalten. Dabei sind solche Systeme nur in Verknüpfung mit der Infrastruktur anderer Sektoren funktionsfähig. Als verwundbar erweisen sich Gesundheitssysteme gerade dann, wenn andere Infrastruktur Defizite aufweist oder zusammenbricht.
Schnittstellen zwischen Gesundheit und menschlicher Sicherheit gibt es jedoch nicht nur auf individueller Ebene innerhalb der Gesundheitsversorgung, sondern auch außerhalb, nämlich auf kollektiver, bevölkerungsbezogener Ebene. Vor allem Faktoren wie Ernährung, sozioökonomischer Status, Bildungsstand, Wohnumgebung und ‑ort, Wasser- und Sanitärversorgung sowie Luftqualität beeinflussen die Gesundheit von Menschen. Diese Faktoren werden als Gesundheitsdeterminanten bezeichnet. Ungleich verteilt sind Lebenserwartung und Krankheitslast zwischen und innerhalb von Ländern, zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, zwischen Einkommens- und Altersgruppen und zwischen den Geschlechtern.
Das Konzept der Gesundheitssicherheit (health security) wird im oben erwähnten Human Development Report als eine Dimension menschlicher Sicherheit genannt. Im Gegensatz zu menschlicher Sicherheit wird Gesundheitssicherheit in der politischen Praxis meist im Sinne des traditionellen Sicherheitsverständnisses aufgefasst, das heißt als Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren wie Infektionskrankheiten und antimikrobiellen Resistenzen. Im außenpolitischen Interesse wird jenseits der eigenen Staatsgrenzen massiv in Gesundheit investiert, um vor Krankheit »zu Hause« zu schützen.
Dieser Zweiklang, nämlich der Abbau von Risiken zusammen mit der Stärkung gesundheitsförderlicher Lebensbedingungen, findet sich nicht nur im Konzept der menschlichen Sicherheit, sondern auch im Menschenrecht auf Gesundheit. Das Recht auf den »höchsten erreichbaren Zustand an körperlicher und geistiger Gesundheit« gehört zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Seit 1966 ist es im Sozialpakt der Vereinten Nationen verankert. Das Recht auf Gesundheit beinhaltet zwei voneinander untrennbare Komponenten: erstens die Determinanten von Gesundheit und Wohlbefinden und zweitens die Verfügbarkeit, Qualität und Akzeptanz von Gesundheitsleistungen. Anders als der Begriff Gesundheitssicherheit findet sich das Konzept der menschlichen Sicherheit in weiten Teilen im Recht auf Gesundheit wieder.
Das Konzept der menschlichen Sicherheit ist weitaus weniger verrechtlicht als das der Gesundheitssicherheit. Die internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO, zuletzt überarbeitet im Jahre 2005, gelten als rechtlich bindendes Instrument, um Infektionsschutz auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene durchzusetzen. Bisher gibt es kein vergleichbares Instrument, das über internationalen Infektionsschutz hinausgeht und das Recht auf Gesundheit umfassend einschließt.
Bis 2030 sollen Gesundheit und Wohlbefinden für alle Menschen in jedem Alter und an allen Orten sichergestellt werden (SDG 3). In ihrem Arbeitsprogramm für die Jahre 2019–2023 räumt die WHO dem Konzept der allgemeinen Gesundheitsversorgung als systemischem Ansatz Vorrang ein und priorisiert nicht mehr krankheitsspezifische Programme. Alle Menschen sollen bei Bedarf die Möglichkeit haben, hochwertige und sichere Gesundheitsleistungen zu erhalten, ohne im Krankheitsfall in finanzielle Not zu geraten.
Energieversorgung und Sicherheit
Energiesicherheit und menschliche Sicherheit weisen mehr Schnittstellen und Querverbindungen auf als gemeinhin angenommen. Allerdings ist die Verlagerung des Energiesicherheitsbegriffs vom Nationalstaat auf den einzelnen Endkonsumenten noch sehr neu, selten ausformuliert und kaum operationalisiert. Das regulatorische Rahmenwerk der EU von 2018 mit dem Titel »Clean energy for all Europeans« bietet dafür ein Beispiel.
Traditionell wird Energiesicherheit viel stärker nationalstaatlich oder – wie im Falle der EU – im Rahmen einer Jurisdiktion definiert und umgesetzt. In der EU wird Energiesicherheit gemeinhin als Verfügbarkeit preisgünstiger, stabiler und sicherer sowie nachhaltiger Energie umschrieben.
Derzeit wandelt sich das Verständnis von Energiesicherheit. Während sich der traditionelle Energiesicherheitsbegriff stark an der Frage der Importabhängigkeit festmacht, werden mit dem Ausbau erneuerbarer Energieträger und der zunehmenden Elektrifizierung des Energiesystems Flexibilität, Angemessenheit und Resilienz zu Schlüsselbegriffen. Sowohl der wachsende Stromverbrauch als auch der Ausbau der erneuerbaren Energien stellen neue Anforderungen an Systemstabilität, da elektrische Energie nicht so leicht gespeichert werden kann wie etwa fossile Energieträger, die zudem eine hohe Energiedichte aufweisen. Die Kombination von Zugang und Verfügbarkeit rückt stärker in den Fokus – also ob Energie an dem Ort, zu dem Zeitpunkt sowie in der Form und Menge, in der sie gebraucht wird, bereitgestellt wird und bezahlbar ist.
Mit der Dekarbonisierung des Energiesystems sowie der wachsenden Bedeutung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz rückt aber auch der einzelne Konsument in seiner Verantwortung und mit seinen gestiegenen Möglichkeiten in den Mittelpunkt. Die neuen Technologien ermöglichen es nämlich, dass Verbraucher gleichzeitig zu Produzenten werden, indem der Überschuss aus privaten Photovoltaik-Anlagen in die Verteilnetze eingespeist oder von lokalen Erzeugergemeinschaften vermarktet wird.
Parallel dazu ist auf globaler Ebene neben Versorgungssicherheit, Klima- und Umweltverträglichkeit das Leitbild Energiegerechtigkeit hinzugekommen. Während in Industrieländern vor allem Wettbewerbsfähigkeit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung darunter gefasst werden, bedeutet sie im globalen Süden Inklusion und Chancengleichheit mit Blick auf gut zugängliche, verfügbare und bezahlbare Energie.
Der Paradigmenwechsel vom Nationalstaat zum Individuum steckt noch in den Kinderschuhen, vor allem was die konkrete Umsetzung angeht. Im Völkerrecht wurde das Recht auf Energieversorgung bzw. auf Zugang zu Energie zwar bisher noch nicht etabliert. Eine gerechte Verteilung der Energieressourcen ist jedoch eine Grundvoraussetzung für die Erfüllung der meisten anerkannten Sozialrechte, wie sie in den Artikeln 9–12 des Sozialpakts der Vereinten Nationen verankert sind. Dort findet sich etwa das Recht auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen, das Recht auf angemessenen Lebensstandard und nicht zuletzt das Recht auf Gesundheit.
Die politische Stoßrichtung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung wurde in Foren wie UN Energy, Sustainable Energy for All (SE4ALL) und in den globalen Nachhaltigkeitszielen bis 2030 formuliert. Laut SDG 7 soll bis dahin der Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle gewährleistet werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, soll der Anteil erneuerbarer Energien substantiell steigen und die Energienutzung bis 2030 doppelt so effizient werden. Des Weiteren soll bis zu jenem Jahr die internationale Kooperation im Hinblick auf universellen Zugang zu sauberer Energie und sauberen Technologien verbessert werden. Investitionen in Energieinfrastruktur und saubere Technologien sollen vorangetrieben werden. Bis 2030 soll die Infrastruktur ausgebaut und die Technologie weiterentwickelt werden, um moderne und nachhaltige Energiedienstleistungen für Entwicklungsländer und kleine Inselstaaten bereitzustellen.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) werden die bisher bestehenden und geplanten Politikmaßnahmen nicht ausreichen, um das Ziel nachhaltige Energie bis 2030 zu erreichen. Dabei liegen in der Transformation des Energiesystems große Chancen für Entwicklung sowie Energiegerechtigkeit und ‑versorgungssicherheit, denn die erneuerbaren Energien ermöglichen kleinteiligere, dezentrale Lösungen jenseits der großen Netze (off-grid). Idealerweise können sich daran auch neue Partizipationsmöglichkeiten für lokale Gemeinschaften knüpfen, die selbstbestimmt Energielösungen für ihre Dörfer und Städte entwickeln. Theoretisch sind damit solche modernen Energieformen »demokratischer« als die konventionellen Energiesysteme. Diese werden häufig von staatlichen Monopolen oder Konzernen getragen, da sie große Investitionen und den Ausbau von Energieleitungen erfordern. Grundvoraussetzungen für dezentrale Lösungen sind allerdings Wissenstransfer und Zugang zu modernen und sauberen Technologien.
Negative Externalitäten des Energieverbrauchs auf die Gesundheit
Allerdings ist der globale Energieverbrauch nach Daten der IEA immer noch zu mehr als 80 Prozent fossil dominiert, fünf Prozent stammen aus Kernenergie. Laut der IEA wurden 2016 rund 27 Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs aus Kohle, knapp 32 Prozent aus Erdöl und rund 22 Prozent aus Erdgas gedeckt. Szenarien des BP Energy Outlook bis 2040 zufolge dürfte bis 2030 der Kohleverbrauch auf knapp über 20 Prozent und der Ölverbrauch auf 30 Prozent sinken, aber der Erdgasverbrauch auf fast 30 Prozent steigen. Grosso modo zeichnen sich damit bei den Großtrends keine fundamentalen Verschiebungen ab; der Anteil der Kernenergie verharrt bei rund fünf Prozent. Derzeit werden die erneuerbaren Energien in rasantem Tempo ausgebaut, doch auch der Energieverbrauch steigt weiter. Sie decken zwar einen beachtlichen Teil des wachsenden Bedarfs, ohne dass aber die absoluten Verbrauchsmengen bei den fossilen Brennstoffen sänken. Ganz im Gegenteil, der globale Ölverbrauch erreichte 2018 die Rekordmarke von 100 Millionen Barrel am Tag. Mit diesem Energiemix sind negative Externalitäten verbunden, also nachteilige und ungeplante Folgen wie Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen, die nicht über den Markt allein behoben werden können und ein Marktversagen offenlegen.
Klimawandel und Umweltverschmutzung sind zentrale Themen für die Gesundheits- und Energiepolitik. Die Dekarbonisierung des Energiesystems soll in erster Linie dazu beitragen, die Erwärmung des Planeten abzubremsen. Für zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen ist der Energiesektor verantwortlich. Große Mengen an Feinstaub, Stickoxiden und anderen Luftpartikeln sind weitere Folgen des wachsenden Straßenverkehrs und der fossilen Energieerzeugung vor allem aus Kohle. Luftverschmutzung ist eines der größten Gesundheitsrisiken weltweit. Die Auswirkungen des gegenwärtigen Energieverbrauchs auf Gesundheit, Umwelt und Klima sind verheerend.
Die WHO schätzt, dass neun von zehn Menschen auf der Erde Luft atmen, die der Gesundheit schadet. Sieben Millionen Menschen sterben jährlich durch Luftverschmutzung, die damit an vierter Stelle der Todesursachen steht. Nach Angaben der IEA sterben jedes Jahr weltweit ungefähr 2,9 Millionen Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung in den Städten. 2,6 Millionen sterben vorzeitig, da in den Haushalten vielfach umweltschädigende Brennstoffe (wie Kohle und Kerosin) und Techniken in geschlossenen Wohnräumen ohne Belüftung eingesetzt werden, so beim Kochen, Heizen und Beleuchten. Frauen und Kinder sind dem Gesundheitsrisiko häusliche Luftverschmutzung am häufigsten ausgesetzt. Die Folgen sind unter anderem Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie bösartige Tumorerkrankungen der Lunge. Ein generationenübergreifendes gesundheitliches Risiko geht zudem von Atomkraftwerken aus. Verstrahlung droht in erster Linie bei Unfällen, aber auch bei der Endlagerung der Brennstäbe. In der Umgebung von Atomkraftwerken existiert vor allem für Kinder ein erhöhtes Risiko, an Blutkrebs zu erkranken.
Wegen der vielen Gesundheitsrisiken ist es entscheidend, beim Auf- und Ausbau einer Energieversorgung in den Entwicklungsländern nicht mehr auf traditionelle Biomasse oder fossile Energien zu setzen, sondern auf moderne und erneuerbare Energieformen. In ihrem World Energy Outlook 2018 verweist die IEA darauf, dass die Anzahl der Menschen weltweit, die im Jahr 2017 keinen Zugang zu Stromversorgung hatten, auf unter eine Milliarde gefallen ist. Auch sinkt die Zahl der Menschen, die weiter mit Holz, Dung oder Kerosin heizen. Seit 2010 etwa haben mehr als 400 Millionen Menschen Zugang zu sauberer Energie zum Kochen bekommen, weil China und Indien Programme zur Verwendung von Flüssiggas (liquefied petroleum gas, LPG) aufgelegt haben und Politiken zur Verbesserung der Luftqualität verfolgen. Vor allem in ländlichen Regionen Subsahara-Afrikas fehlt jedoch immer noch rund 600 Millionen Menschen der Zugang zu Strom, hinzu kommen weitere 50 Millionen in anderen Regionen. Da allerdings der Zugang zu Elektrizität meistens binär, das heißt als gegeben oder nicht gegeben erfasst wird, ist damit zu rechnen, dass die Verfügbarkeit von Strom nicht stabil und sicher genug ist, um den Lebensstandard durch den Betrieb technischer Geräte nachhaltig zu heben.
Gesundheit und Energie zusammendenken
Der Club of Rome plädiert dafür, die Nachhaltigkeitsziele in den natürlichen Grenzen des Planeten (SDGs in planetary boundaries) zu denken. Die Ziele sind sektorenübergreifend und lokal zu verankern. Damit steht besonders die Transformation des gesamten Energiesystems im Mittelpunkt: Wird Energie eingespart, effizienter genutzt, erneuerbar erzeugt und sauberer eingesetzt, hat dies weitreichende positive Folgen für die menschliche Sicherheit, etwa die Verbesserung der Luft- und Wasserqualität, und wirkt sich damit vorteilhaft auf die Gesundheit aller aus. Eine instabile, unzureichende Energieversorgung dagegen kann die Stabilität der gesamten Gesundheitsinfrastruktur gefährden und schlimmstenfalls Kaskadeneffekte wie Epidemien und Hygienekrisen auslösen.
Deshalb verweist die Global Commission der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) in ihrem Bericht »A New World« vom Januar 2019 auch auf die positiven Effekte eines Energiesystems, das auf erneuerbaren Energien aufbaut. Dies kann dazu beitragen, Ursachen für politische und gesellschaftliche Konflikte abzumildern. Weil sie breit verfügbar, zunehmend kostengünstig sowie lokal und dezentral einsetzbar sind, können erneuerbare Energien Entwicklung befördern. Sie bedeuten zudem weniger Belastung für andere Ressourcen wie Wasser und Luft.
Zwar sind mittlerweile die Kosten für erneuerbare Technologien wie Photovoltaik oder Windkraftanlagen an Land so stark gesunken, dass diese an vielen Orten mit konventionellen Anlagen konkurrieren können. Aber auch wenn die Grenzkosten für Wind und Sonne gen null tendieren, das heißt eine höhere Stromerzeugung kaum mehr Kosten verursacht, bleiben die Vorlaufkosten und Investitionen in die Anlagen bestehen. Deswegen lässt sich allein aus der Kostendegression schwer ein weltweiter und radikaler Trend zu einer nachhaltigen Energietransformation ableiten. Es bleiben Barrieren und Markthürden bestehen, die in der Trägheit und dem Widerstand des alten Systems begründet liegen. Dazu zählen der regulatorische Rahmen und die Finanzierungs- und Geschäftsmodelle, die noch auf das alte System ausgerichtet sind. In vielen rohstoffreichen Ländern, aber nicht nur dort, ist der Energiesektor eng mit der politischen Elite verwoben. Hier rührt der Umbau des Energiesystems direkt an die Frage von Herrschaftssicherung und Gesellschaftsvertrag.
Wenn es gelingt, die zwei kritischen Infrastrukturen Gesundheit und Energie zusammenzudenken sowie den Zugang zu ihnen und ihre Verfügbarkeit gerecht zu gestalten, sind positive Effekte für die menschliche Sicherheit zu erwarten. Auch liegt in diesem Fall nahe, dass sich soziale und wirtschaftliche Transaktionen stabilisieren werden. Ein gut ausgestattetes, resilientes, öffentlich finanziertes Gesundheitssystem, das gesundheitsfördernde, präventive, kurative und rehabilitative Versorgungsleistungen anbietet, kann zur Stabilisierung von Staaten und Gesellschaften beitragen. Der Energiesektor wiederum bildet das Rückgrat jeder Volkswirtschaft.
Laut dem High Level Political Forum (HLPF) der Vereinten Nationen haben Maßnahmen, die den Zugang zu und die Effektivität von erneuerbaren Energieträgern verbessern, gleichzeitig das Potential, einen zusätzlichen Mehrwert (co-benefits) für Gesundheit zu erbringen. Risiken im häuslichen Bereich oder im Lebensumfeld können minimiert und Lebensbedingungen von vornherein gesundheitsfördernd gestaltet werden, wenn eine saubere, lokal verfügbare und gut zugängliche Energieversorgung mitgedacht wird.
An erster Stelle ist im häuslichen Bereich an die Kochstellen, aber auch die Beleuchtung zu denken. Nach Auffassung des HLPF ist die Verfügbarkeit sauberer Energien für private Haushalte zum Beispiel über Strom oder LPG vorrangig, vor allem wenn sie zu gleichwertigen, idealerweise zu günstigeren, sauberen Bedingungen nutzbar sind. Um das zu gewährleisten, müssen auch die Rahmenbedingungen angepasst werden, das heißt, erneuerbare und saubere Energien zu fördern und die Subventionen für fossile Brennstoffe endlich auslaufen zu lassen. Dabei gilt es, Markteintrittsbarrieren abzubauen und einen Markt sowohl für die modernen Energieträger als auch die technischen Geräte zu schaffen. Deswegen sind Finanzierungsfragen, zum Beispiel Mikrokredite, ebenso mitzudenken.
In Städten sind andere Lösungen als auf dem Land gefragt. Darum fordert das HLPF, die »urbane Gesundheit« zu verbessern, indem der Ausbau erneuerbarer Energien, effizienter Netze und sauberer Transport- und Verkehrslösungen vorangetrieben wird. Um dies zu erreichen, sind Steueranreize und Gebäudevorschriften anzupassen.
Auch am Beispiel der Waschmaschine lässt sich der Zusammenhang von Gesundheit und Energie illustrieren. Ein solches Gerät in einem Haushalt spart viele Stunden an Arbeit und ermöglicht es vor allem Frauen, anderen Tätigkeiten wie Lernen oder Arbeiten nachzugehen. Das hat letztlich auch Rückwirkungen auf Bevölkerungswachstum, Bildung und Produktivität. Unmittelbar damit ist eine bessere Hygiene und in der Folge ein höherer Lebensstandard der Gemeinschaft verbunden. Dies alles ist aber kaum möglich ohne den Zugang zu stabiler und erschwinglicher Energieversorgung. Ähnliches gilt für den Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Elektrizität, künstlicher Beleuchtung und Lernmöglichkeiten in den Abendstunden.
Schließlich müssen die Entscheidungsebenen besser verzahnt werden, damit der Gesundheitssektor durch eine sichere, stabile und saubere Energieversorgung gestützt werden kann. Das HLPF verlangt hier nationale Strategien und den Aufbau lokaler Industrien, um saubere Energiedienstleistungen für Gesundheitsvorsorge bereitzustellen.
Der normative Rahmen für eine sinnvolle Verknüpfung der Bereiche Energie und Gesundheit ist in erster Linie durch die Vereinten Nationen gesetzt, vor allem durch ihr HLPF und ihre Ziele nachhaltiger Entwicklung. Governance-Ansätze mit dem Ziel, die beiden Bereiche zusammenzudenken, sind immer noch selten, aber es gibt sie. So hat die WHO 2018 zum ersten Mal Vertreter der Transport- und der Energieindustrie mit Repräsentanten der Gesundheitsministerien und Wissenschaftlern in einer globalen Konferenz zu Gesundheit und Luftverschmutzung zusammengebracht. Auch die IRENA hat sich dem Thema in Konferenzen gewidmet. Die IEA wiederum hat in ihrem World Energy Outlook zum zweiten Mal in Folge ein »SDG Policy Scenario« vorgelegt, das die politische Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele impliziert. Weitere Organisationen beschäftigen sich mit Zusammenhängen zwischen einzelnen Aspekten von Energie und Gesundheit, etwa sauberes Kochen (Global Alliance for Clean Cookstoves), Zugang zu sauberer Energie (Energia, Clean Energy Ministerial) sowie gerechter Zugang zu Gesundheits- und Energieversorgung (SE4ALL, ECOWAS Energy-Gender Policy & Regulation). Mit diesen Anstrengungen verbessert sich auch die Datenlage, doch steht eine Disaggregierung hinsichtlich der erwähnten Gesundheitsdeterminanten wie Alter, Wohnort, Geschlecht, Einkommen und Bildungsgrad weitestgehend aus.
Fazit und Empfehlungen
Bei genauerer Betrachtung erschließt sich, dass es im Lichte der Nachhaltigkeitsziele enge Zusammenhänge zwischen Energie- und Gesundheitsversorgung gibt. Die Nachhaltigkeitsziele und die planetaren Grenzen sind hier das politische Leitbild. Dabei tritt das Energieversorgungssystem bei den meisten Kausalketten zwischen den beiden Feldern entweder als »Enabler«, also Chancen ermöglichender Faktor, oder als Risiko auf. Die Verbindung der beiden Bereiche birgt vielfältige Entwicklungschancen. So gehört der Abbau sozialer Ungleichheit zu den wichtigen Synergien. Gemeinsame Infrastrukturplanung und der Trend zu dezentraleren Versorgungssystemen eröffnen gute Chancen, Gesellschaften zu stabilisieren.
Für die Operationalisierung und Planung, für die Identifikation von Spannungsfeldern und für die gemeinsame Prioritätensetzung empfiehlt sich ein systemischer Ansatz.
Hohe Stabilität und Qualität der Energieversorgung sind für die Gesundheitsinfrastruktur unabdingbar, seien es Krankenhäuser, Sanitär- oder Hygieneanlagen, Kühlketten für Impfstoffe oder Klimaanlagen. Einrichtungen der dezentralisierten Gesundheitsversorgung sind davon besonders abhängig, zum Beispiel Gesundheitszentren in Gemeinden, wo neue Lösungen mit Hilfe erneuerbarer Energiequellen entwickelt werden.
Das Gesundheitswesen ist ein bedeutender Energieverbraucher. Geschätzt fünf bis acht Prozent der verbrauchten Energie entfallen auf den Gesundheitssektor. In der Gesundheitspolitik ist eine umweltschonende Ressourcennutzung alles andere als selbstverständlich. Eine effiziente und umweltfreundliche Energieerzeugung in diesem Sektor hätte also spürbare Auswirkungen. Auf der anderen Seite lässt sich die Dekarbonisierung des Energiesystems beschleunigen, wenn Akteure aus anderen Sektoren zu Anwälten einer sauberen Energiewende (enlightened change agents) werden. So können Pfadabhängigkeiten und Widerstände leichter umgangen werden. Im Einzelnen empfehlen sich zum Beispiel folgende Maßnahmen:
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Im Gesundheitssektor, vor allem in der hochtechnologisierten medizinischen Versorgung, sollte die Dekarbonisierung vorangetrieben werden. Methoden dafür wären zum Beispiel Abfall-Management (geringerer Energieverbrauch, Recycling), Langzeitverträge mit Erzeugern erneuerbarer Energien und Gebäudeeffizienz.
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Unternehmen sollten in ihrer Verantwortung für negative Externalitäten stärker verpflichtet werden. Diese Firmen könnten beispielsweise als Kompensation in einen Green-Health-Fonds einzahlen, der Mittel für saubere Energieversorgung öffentlicher Gesundheitseinrichtungen bereitstellt.
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Internationale Energiepartnerschaften wie etwa das Deutsch-Indische Energieforum können helfen, die Vorteile sauberer Energie für Gesundheit besser zu vermitteln und gerade verbrauchsintensiven Schwellenländern neue Optionen aufzuzeigen.
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Eine disaggregierte, also aufgeschlüsselte und qualitativ ausgelegte Datensammlung, um Zugangschancen zu Energie- und Gesundheitsversorgung besser zu erfassen, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, eine resiliente Energie- und Gesundheitsversorgung zu entwickeln und damit den Lebensstandard zu erhöhen.
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Unter dem Dach von Energie und Gesundheit könnten sich Städtepartnerschaften formieren. Das WHO-Konzept »Healthy Cities« kann dafür ein Leitbild sein. Auf dem Land könnten Gesundheitszentren in Entwicklungsländern auch als Orte geplant werden, an denen saubere Energie erzeugt sowie Wasch- und Hygienezentren eingerichtet werden.
Um die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen, ist es notwendig, die Felder Energie und Gesundheit weitaus mehr als bisher zusammenzudenken. Hilfreich dabei könnte sein, dass Geld zur Förderung von Gesundheitssystemen und für die Energieversorgung häufig aus denselben Töpfen der Entwicklungszusammenarbeit stammt und teilweise an dieselben Empfänger geht. Wenn diese auf die beschriebenen Synergien hin sensibilisiert werden, könnte für die betroffenen Gesellschaften ein echter Mehrwert entstehen. Weitere Kooperationsformen, etwa öffentlich-private Partnerschaften, sind in beiden Bereichen vorhanden, existieren aber parallel zueinander.
Innen- wie außenpolitisch gilt es, viel stärker als bisher die Synergien zwischen Energie und Gesundheit auszuloten und die beschriebenen Ansätze für beide Bereiche zu verfolgen, um menschliche Sicherheit zu verbessern.
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doi: 10.18449/2019A08