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Der östliche Mittelmeerraum im Fokus der europäischen Energiewende

Über tiefsitzende Rivalitäten und neue Möglichkeiten der Kooperation zwischen Griechenland, der Türkei und Zypern

SWP-Aktuell 2022/A 04, 13.01.2022, 8 Pages

doi:10.18449/2022A04

Research Areas

Die EU und Deutschland haben sich in der Klimapolitik ambitionierte Ziele gesetzt. Deswegen schauen sie heute mit anderen Augen auf die Energiesituation im östlichen Mittelmeerraum als noch vor wenigen Jahren. Mit den Planungen für die Energiewende verlieren die dortigen Erdgasvorkommen an Relevanz. Stattdessen gewinnt die Region als potentieller energiewirtschaftlicher Transit- und Verbindungsraum an Bedeutung. Um den erhöhten Bedarf an Ökostrom in Europa zu decken, könnten das europäische, das afrikanische und das nahöstliche Stromnetz über den östlichen Mittelmeerraum miteinander verbunden werden. Gleichzeitig hat die Region das Potential, die EU beim Aufbau ihrer Wasserstoffwirtschaft zu unterstützen. Eine solche energiewirtschaftliche Neukartierung des östlichen Mittelmeers eröffnet den Anrainerstaaten neue ökonomische Perspektiven und politische Handlungsspiel­räume. Die Konflikte um exklusive maritime Wirtschaftszonen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen auf Zypern sowie zwischen Griechenland und der Türkei ver­lören einen Großteil ihrer Dynamik. Allerdings besteht das Risiko, dass tiefsitzende Rivalitäten auch den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Interkonnektivität im östlichen Mittelmeerraum obstruieren.

Die EU hat sich im Bereich der Klimapolitik große Ziele gesteckt. In weniger als zehn Jahren soll der europäische CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent reduziert werden; 2050 soll Europa klima­neutral sein. Diese Eckdaten haben alle Mit­gliedstaaten im Green Deal, den Kommis­sionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 im Europäischen Rat vorstellte, gemeinschaftlich festgelegt und im Europäischen Klimagesetz verankert. Auf dem Weg zur Klimaneutralität steht den EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Jah­ren eine grundlegende Transformation hin zu einer möglichst kohlenstofffreien Wirt­schaft bevor. Nach Angaben von Eurostat (Daten für 2020) kommt fossilen Energieträgern im europäischen Energiemix derzeit noch eine Schlüsselrolle zu (34,5 % Mineral­ölerzeugnisse, 23,7 % Erdgas, 17,4 % er­neuerbare Energien, 12,7 % Kernenergie, 10,2 % fossile Brennstoffe). Zur Verwirk­lichung der Klimaziele bis 2030 hat die Euro­päische Kommission im Juli und Dezember 2021 unter dem Motto »Fit for 55« Maß­nahmen vorgeschlagen, die strengere Vor­schriften und Emissionsstandards für die Indus­trie, eine höhere CO2-Bepreisung, eine Ver­schärfung und Ausweitung des EU-Emis­sionshandels sowie massive Investitionen in erneuerbare Technologien und Energie­effizienz und die Dekarbonisierung des Gassektors vorsehen. Ein zentrales Anliegen ist der Ausbau erneuerbarer Energien. Die Kommission schlägt vor, die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) zu aktualisieren und das bisher geltende Ziel, bis 2030 einen Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix von 32 Prozent zu erreichen, auf 40 Pro­zent zu erhöhen. Wegen der zunehmenden Elektrifizierung des Wärme-, Verkehrs- und Industriesektors wird die Nachfrage nach Strom massiv ansteigen. Ob der höhere Bedarf an grüner Energie innerhalb der EU gedeckt werden kann, ist jedoch fraglich. Der Import von Ökostrom könnte sowohl zu einer Stabilisierung der Stromnetze als auch zum Erreichen der Klimaziele beitragen. Die Vernetzung des europäischen Stromraums mit angrenzenden Staaten und Re­gio­nen gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Im Fokus stehen insbesondere Länder, die reich an Sonnen- und Wind­energie sind. Auch der zukünftige europäische Bedarf an klimaneutralem Wasserstoff, ohne den eine Dekarbonisierung der Zement- und Stahlproduktion und der Chemiebranche schwer vorstellbar ist, wird zumindest teilweise über Importe aus nicht-europäischen Ländern gedeckt wer­den müssen. Daher setzen die EU und Deutschland neben dem Ausbau der Eigen­produktion auf internationale Klima- und Energiepartnerschaften. Vor diesem Hinter­grund verdient der östliche Mittelmeerraum eine intensivere Betrachtung.

Neue Perspektive auf Energie­fragen im östlichen Mittelmeer

Im Hinblick auf die Energiepolitik und die östliche Mittelmeerregion stand für die EU noch in den 2010er Jahren primär die Ent­deckung von Erdgasvorkommen vor den Küsten Ägyptens, Israels und Zyperns im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die von der Europäischen Kommission im Frühjahr 2014 verkündete Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung sah den Aufbau einer Infrastruktur für den Import von Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer vor. Damit sollten eine Diversifizierung der Drittlandlieferungen erreicht, die Abhängigkeit von Russland reduziert und so die europäische Versorgungssicherheit erhöht werden. Inzwischen aber wird die von der EU angestrebte Dekarbonisierung der mit­gliedstaatlichen Volkswirtschaften dazu führen, dass die europäische Nachfrage nach Erdgas mittel- bis langfristig sinken wird. Erdgas­importen aus dem östlichen Mittelmeerraum wird keine besondere Relevanz mehr beigemessen. Stattdessen blicken Brüssel und Berlin mit erhöhtem Interesse auf das enorme Potential an Solar- und Windenergie im östlichen Mittelmeer­raum und auf die Möglichkeit, von dort Ökostrom und Wasserstoff zu beziehen. Im März 2021 unterzeichneten die Energie­minister Griechenlands, Israels und Zyperns ein Memorandum of Understanding über den Bau des EuroAsia Interconnector, dessen Inbetriebnahme für 2025 anvisiert ist. Dabei handelt es sich um ein Unterwasserstromkabel, das den europäischen und den nah­östlichen Stromraum in zwei Teilabschnitten, von Israel (Hadera) nach Zypern (Kofi­nou) und von dort nach Heraklion (Kreta), miteinander verbinden soll. Die Energie­minister Griechenlands, Zyperns und Ägyp­tens wiederum einigten sich im Oktober 2021 auf eine Absichtserklärung zum Bau des EuroAfrica Interconnector, der das afri­kanische und das europäische Stromnetz mit­einander verknüpfen soll, mit einem See­kabel, dass von Damietta (Ägypten) nach Kofinou (Zypern) und von dort nach Hera­klion (Kreta) verläuft. Mit der Errichtung der beiden Interkonnektoren würden stra­tegische Ziele der Energie-, aber auch der Außenpolitik erreicht:

Zum einen sollen sie dazu beitragen, dass der von den Anrainerstaaten angestrebte Ausbau erneuerbarer Energien nicht zu einer Destabilisierung der regionalen Strom­versorgung führt. Denn nach Angaben der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) will Ägypten bis 2035 42 Prozent seines Stroms aus erneuer­baren Energien erzeugen; Griechenland plant, seinen Strombedarf bis 2030 zu 60 Prozent mit Ökostrom aus Eigengewinnung zu decken. Auch Israel, die Türkei und Zypern werden den Anteil erneuer­barer Energien in ihrem Strommix in den kommenden Jahren sukzessive ausweiten. In einer Stromversorgung, die in weiten Teilen auf erneuerbaren Energien basiert, sind die Produktionsmengen jedoch wetter­bedingt volatil. Damit wächst die strategische Bedeutung von Speichermöglichkeiten und grenzübergreifender Interkonnektivität. Die geplanten Inter­konnektoren eröff­nen die Option, überschüssigen Strom ab­zugeben und bei Versorgungsengpässen die Zufuhr zu steigern – und Netzausfällen vorzubeugen.

Zum anderen sollen die Interkonnek­toren die Zusammenarbeit zwischen der EU und der MENA-Region intensivieren und wechselseitige wirtschaftliche Interdependenzen schaffen. Um die Verlegung der technisch anspruchsvollen Unterwasserstromkabel realisieren zu können, sind diverse Investitionsmittel vonnöten. Dem EuroAsia Interconnector wird eine hohe strategische Bedeutung für die Zusammenschaltung nationaler Energiemärkte, den Energiehandel, die Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit sowie für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu­geschrieben, weshalb ihn die Kommission zu den Projects of Common Interest (PCI) rechnet. Damit kann das Projekt teilweise über die Connecting Europe Facility (CEF) finanziert werden, ein spezifisches Förder­instrument der EU, für das im Zeitraum 2021 bis 2027 ein Gesamtbudget von 5,84 Mil­liarden Euro veranschlagt ist. Außerdem stellt die EU über ihren Wieder­aufbaufonds, der anlässlich der Covid-19-Krise im Sommer 2020 verabschiedet wurde, der Republik Zypern 100 Millionen Euro für den Bau des Teilabschnitts des EuroAsia Interconnector zwischen Kreta und Zypern zur Verfügung. Die Europäische Investitions­bank und die Europäische Bank für Wieder­aufbau und Entwicklung gelten als weitere potentielle Finanzierungsquellen. Aus EU-Sicht ist die Verknüpfung des griechischen und zyprischen Stromnetzes ein wichtiges Vorhaben, da sie dem Inselstaat Zypern eine Anbindung an das europäische Strom­netz ermöglichen und somit dessen Abhän­gigkeit von Erdölimporten verringern würde. Zurzeit ist Zypern das einzige Land der EU-27, dessen Stromnetz nicht mit den Netzen anderer EU-Staaten verbunden ist. Aller­dings müssen für den Bau der Verbindungsleitungen von Israel und Ägypten nach Zypern noch erhebliche Investitionsmittel akquiriert werden.

Der östliche Mittelmeerraum bietet aber auch vielversprechende Perspektiven für den Aufbau der europäischen Wasserstoffwirtschaft. Grüner Wasserstoff wird durch das Elektrolyseverfahren gewonnen, durch die Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff mit Hilfe von Strom aus er­neuerbaren Energiequellen. Bei der Off­shore-Produktion von grünem Wasserstoff werden Windanlagen auf See vor Ort mit angebundenen Elektrolyseuren gekoppelt. Der erzeugte Wasserstoff kann per Pipeline oder in verflüssigter Form oder als Derivat (z. B. Ammoniak oder Methanol) per Schiff zu Abnehmermärkten transportiert wer­den. Aktuelle Pilotprojekte in der Nordsee lassen den Schluss zu, dass die Herstellung von grünem Wasserstoff auf See ein enormes Wachstumspotential hat. In Fachkreisen wird derzeit diskutiert, wie die Produktion grünen Wasserstoffs in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer zu einem lukrativen Geschäftsmodell werden kann. Zwar wird bis­lang weder vor den Küsten Griechenlands noch der Türkei, noch Zyperns Off­shore-Wind­energie erzeugt. Doch die Euro­päische Kom­mission geht davon aus, dass die Region dafür große Chancen bietet. Sie erteilte deshalb den Auftrag zu einer Studie, die das Potential von Offshore-Windenergie­quellen im Mittelmeer eruieren sollte und deren Er­gebnisse einen wesentlichen Input lieferten für die im November 2020 verkün­dete Strategie für erneuerbare Offshore-Energie. Besonders für die griechische Ägäis mit ihrer Vielzahl an Inseln wird eine enor­me Produktionskapazität vorausgesagt. Zur­zeit arbeiten sowohl Griechenland als auch die Türkei an einem rechtlichen Rahmen zur Regulierung des zu erwartenden Markts für die Installation von Offshore-Windkraft­anlagen. Ein rascher Ausbau dieser Techno­logie ist wahrscheinlich. Auch als Transitraum für den Transport von grünem Wasser­stoff, der im arabischen Raum produziert wurde, könnte das östliche Mittelmeer künftig an Bedeutung gewinnen. In der EU wird derzeit darüber diskutiert, inwieweit das ursprünglich für den Erdgastransport vorgesehene Projekt der EastMed-Pipeline umgedeutet und für die Beförderung von grünem Wasserstoff genutzt werden kann.

Politische Rahmenbedingungen für die Energiezusammenarbeit im östlichen Mittelmeerraum

Eine solche energiewirtschaftliche Neu­kartierung des östlichen Mittelmeerraums hätte nicht nur nachhaltige ökonomische und ökologische Folgen für die Region, son­dern würde sich auch positiv auf deren poli­tische Stabilität auswirken. Denn anders als ursprünglich erhofft, hatte die Entdeckung von Erdgasvorkommen im östlichen Mittel­meer in der letzten Dekade die politische Bereitschaft zur regionalen Zusammen­arbeit nicht erhöht. Vielmehr stritten Grie­chenland, die Türkei und die zyprischen Bevölkerungsgruppen über den Verlauf exklusiver maritimer Wirtschaftszonen. Dabei griffen drei Konflikte ineinander: erstens der Streit um die Aufteilung der Zugriffs- und Transportrechte auf Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns, zwei­tens die Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der Türkei über Aus­schließliche Wirtschaftszonen (AWZ) in der Ägäis und drittens der internationalisierte Bürgerkrieg in Libyen. Besonders die Gas­erkundungen der Türkei in der AWZ der Republik Zypern, in unmittelbarer Nähe der griechischen Inseln Kastellorizo und Kreta, eskalierten die Lage. Auf Zypern ent­wickelte sich der Streit um die Gasvorkom­men zu einer weiteren Hürde für die inter­kommunalen Friedensverhandlungen. Griechenland und die Türkei standen im Sommer 2020 kurz vor einer militärischen Konfrontation. Vor der griechischen Insel Kastellorizo, die nur wenige Kilometer vom türkischen Festland entfernt liegt, standen sich Kriegsschiffe der beiden Nationen ge­fechtsbereit gegenüber. Auch die EU-Türkei-Beziehungen leiden unter den Konflikten. In den beiden vergangenen Jahren ver­urteil­te der Europäische Rat wiederholt den aggressiven Kurs der Türkei und drohte Ankara als Reaktion auf rechtswidrige Boh­rungen mit Wirtschaftssanktionen.

In den letzten zwölf Monaten hat sich der Streit etwas beruhigt. Grund dafür ist der vorläufige Verzicht der Türkei auf Off­shore-Gasexplorationen seit Dezember 2020, kurz nachdem die EU mit Wirtschaftssanktionen gedroht hatte und in den USA Joe Biden zum Präsidenten gewählt worden war. Seither bemüht sich Ankara um eine Verbesserung seiner bilateralen Beziehungen in der Region. Mit Israel und Ägypten laufen Gespräche über eine Wiederaufnah­me diplomatischer Beziehungen. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), einem Treiber der antitürkischen Front im östlichen Mittelmeer, hat Ankara in der ersten Dezemberwoche 2021 eine Reihe von Verträgen über wirtschaftliche Zusam­menarbeit abgeschlossen. Darüber hinaus finden erstmals seit ihrer Aussetzung im Jahr 2016 wieder regelmäßige Konsultationen zwischen der Türkei und Griechenland über Explorationsprojekte statt. Eine Bei­legung der Dispute ist dadurch jedoch nicht zu erwarten: Griechenland insistiert auf der Anwendung internationalen Rechts und will die Verhandlungen auf den Verlauf der wirtschaftlichen Seegrenzen beschränken. Es ist auch prinzipiell bereit, interna­tionale Schiedsgerichte anzurufen. Die Türkei ver­folgt dagegen die Strategie, alle Konflikte zwischen beiden Ländern zu verhandeln, das heißt, eine politische Lösung zu finden, bei der Ankara seine ökonomische und mili­tärische Macht zur Geltung bringen kann. So will die Türkei etwa die Begrenzung der Hoheitsgewässer griechischer Inseln in der Ägäis auf 6 Seemeilen erreichen und über den militärischen Status der dort gelegenen Inseln und die Aufteilung des militärischen Luftraums über See verhandeln, alles Agendapunkte, die die Anwendung inter­nationalen Seerechts relativieren. Entsprechend ist die Türkei auch nicht bereit, den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Hin­zu kommt, dass der von Ankara zuletzt ein­geschlagene moderatere Kurs Zypern nicht mit einschließt. Viel­mehr hat die Türkei ihr konfrontatives Auftreten gegenüber der Republik Zypern in den letzten Monaten verschärft. So vertritt die Türkei seit der Wahl des neuen türkisch-zyprischen Präsi­denten Ersin Tatar im Oktober 2020 die Posi­tion, dass der Zypernkonflikt ausschließlich durch die Schaffung zweier souveräner Staaten gelöst werden könne. Ankara wen­det sich demnach von den bisher gültigen Parametern des UN-Friedensprozesses für Zypern ab, die eine Wiedervereinigung der beiden Inselhälften in einer bikommunalen und bizonalen Föderation vorsehen. Ferner haben Ankara und die türkisch-zyprische Administration Teile der sogenannten »Geisterstadt« Varosha in direkten Besitz genommen. Die Resolutionen 789 und 550 des UN-Sicherheitsrats fordern eine Rück­gabe des Gebiets an seine ursprünglichen, mehrheitlich griechisch-zyprischen Be­woh­ner. Zwar steht das ehemalige touristische Zentrum im Norden der Insel bereits seit der türkischen Invasion im Jahre 1974 unter Kontrolle des türkischen Militärs. Doch hatte die Türkei die dortigen Eigentums­verhältnisse bislang nicht in Frage gestellt.

Die Situation in Zypern könnte noch weiter an Brisanz gewinnen, sollte es in naher Zukunft erneut zu Erdgaserkundungen in der AWZ der Republik Zypern kom­men. Zwar haben die involvierten inter­nationalen Energiekonzerne ihre dortigen Gaserkundungen seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 ausgesetzt. Ende 2021 hat Exxon Mobile jedoch damit begonnen die Explorationen im der AWZ der Republik Zypern fortzusetzen. Auch Eni und Total werden nach Angaben des zyprischen Energieministeriums voraussichtlich im Frühjahr 2022 von neuem mit Erdgaserkun­dungen beginnen. Am 15. September 2021 kamen außerdem Offizielle der Republik Zypern und Ägyptens in einem technischen Komitee zusammen, um den Bau einer Pipe­line zu diskutieren, die vom zyprischen Aphrodite-Gasfeld zum ägyptischen Damietta-Segas-LNG-Terminal führen soll. Dort soll zyprisches Gas verflüssigt und per Schiffstransport auf internationale Märkte geliefert werden. Als Reaktion darauf hat die Türkei angekündigt, ihre Offshore-Gas­erkundungen in der zyprischen AWZ fort­zuführen. Die Türkei erkennt die Republik Zypern und damit auch die zyprische AWZ nicht an, die Nikosia in bilateralen Ver­trä­gen mit Israel und Ägypten festgelegt hat. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Span­nungen vor der Küste Zyperns in naher Zu­kunft wieder zunehmen und die Lage im gesamten östlichen Mittelmeer erneut eska­liert.

Die Energiewende als mögliche Konfliktlösungsstrategie im östlichen Mittelmeerraum

Eröffnen sich mit der vorgesehenen Energie­transformation, dem Ausbau erneuerbarer Energien und einer verstärkten Interkonnektivität in der Region und der Region mit Europa neue Möglichkeiten für grenzüberschreitende Kooperationen? Und ist damit auch die Chance für eine Deeskalation der Konflikte gegeben? Bereits heute lässt sich sagen, dass schärfere Klima- und Energie­ziele und die abnehmende wirtschaftliche Relevanz der regionalen Erdgasvorkommen die Explorationsdynamik verlangsamen, wo­durch sich auch die Konflikte abschwächen. Hinzu kommt, dass Griechenland, die Tür­kei und Zypern einem enormen ökonomischen und vor allem ökologischen Hand­lungsdruck ausgesetzt sind, der in den nächs­ten Jahren weiter zunehmen wird: Der im August 2021 veröffentlichte sechste Sach­standsbericht des International Panel on Climate Change (IPCC) weist den östlichen Mittelmeerraum als einen Hotspot des glo­balen Klimawandels aus. Die Anrainer­staaten sind in besonderem Maße von Hitze- und Dürreperioden, Waldbränden und Starkregen betrof­fen. Somit sieht sich die gesamte Region vor eine akute ökolo­gische Herausforderung gestellt, der sie mit entschiedenem und schnellem Handeln in multilateralen Formaten begegnen muss. Und auch aus ökonomischen Gründen müssen Griechenland, die Türkei und die Republik Zypern Anstrengungen unternehmen, um selbstgesteckte Klimaziele zu erreichen. Andernfalls werden die Instrumente der europäischen Klimapolitik, wie ein verschärfter Emissionshandel und die wahrscheinliche Einführung eines euro­päischen CO2-Grenzausgleichsystems, diese Länder außergewöhnlich hoch belasten. Es drohen höhere Energie- und Spritpreise für die Bevölkerung und negative Auswirkungen auf die Bilanzen der Unternehmen, die aufgrund der steigenden CO2-Bepreisung mit Mehrkosten rechnen müssen. Es kann deshalb damit gerechnet werden, dass Klima­wandel und Energietransformation bei den Wahlkämpfen für die griechisch-zyprische und die türkische Präsidentschafts­wahl im Jahr 2023 eine größere Rolle spie­len werden als bisher. Der Druck, den Aus­bau der erneuerbaren Energien zu forcieren und zugleich den Verbrauch von fossilen Energieträgern zu reduzieren, wird für die politischen Akteure aller Parteien und Staaten zunehmen. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gegenüber einem regionalen Ausbau elektrischer Ver­bundnetze – unter Einschluss der Türkei – offener zeigen, um die Flexibilität und Zuverlässigkeit der Stromnetze sicherzustellen. Durch die Ausweitung des regionalen Stromhandels würden Interdependenzen geschaffen, die in Zukunft neue Formen der energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit begünstigen und beispielsweise durch Ko­operationen bei der Produktion und dem Transport von klimaneutralem Wasserstoff ergänzt werden könnten.

Alte Rivalitäten als beständige Hindernisse

Angesichts der tiefgreifenden politischen Rivalitäten ist es jedoch zweifelhaft, ob es Griechenland, der Türkei und den zyprischen Bevölkerungsgruppen gelingen wird, die mit der Energiewende verbundenen Möglichkeiten und Zwänge in einem ko­operativen Sinne zu nutzen. So droht der mittlerweile festgefahrene Streit um Aus­schließliche Wirtschaftszonen auch basale Ansätze zu jenem gemeinschaftlichen Han­deln zu blockieren, das für den Ausbau von Interkonnektivität und der erneuerbaren Ener­gien notwendig ist. Speziell die Er­höhung der Interkonnektivität im Strom­sektor ist nach wie vor in hohem Maße politisch brisant: Als Reaktion auf das am 8. März 2021 unterzeichnete Memorandum of Understanding zwischen Griechenland, Israel und der Republik Zypern über den Bau des EuroAsia Interconnector sandte Ankara eine Protestnote an die Unterzeichnerstaaten. Darin kritisiert die Türkei, dass sie bei den Planungen außen vor gelassen worden sei, obwohl die vorgesehene Route des Unterwasserstromkabels auch durch das Gebiet führt, das die Türkei als ihre AWZ beansprucht. Derzeit kann nur darüber spekuliert werden, ob Ankara weitere Maß­nahmen ergreifen wird, um den Bau des EuroAsia Interconnector zu verhindern. Die türkische Reaktion auf die Planungen der EastMed-Pipeline, die einer ähnlichen Route folgend Gas von Israel über Zypern nach Griechenland transportieren soll, lässt dies befürchten: Im September 2021 verhinderte die türkische Marine Erkundungen des Meeresbodens für die geplante Routen­führung der Pipeline durch ein Forschungsschiff. Seit dem Aufkommen der Diskussion um den Bau der EastMed-Pipeline Anfang der 2010er-Jahre wiederholt Ankara, dass es das Projekt auch militärisch zu unterbinden bereit ist. Eine ähnliche Position droht die Türkei auch hinsichtlich des EuroAfrica Interconnector einzunehmen. Allerdings würde die Türkei in diesem Fall erneut einen Konflikt mit der EU riskieren und ihre gegenwärtigen Bemühungen um eine Ver­besserung der bilateralen Beziehun­gen mit Ägypten und Israel untergraben.

Grundsätzlich jedoch spiegelt der Ausbau der Interkonnektivität die bestehende regionale Blockbildung wieder: Auf der einen Seite stehen Griechenland, Israel, die Republik Zypern und Ägypten, die in der Energiepolitik ein Feld sehen, das Chancen zum Ausbau ihrer wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit bie­tet. Auf der anderen Seite steht die Türkei, die aufgrund ihrer hegemonialen Politik regional ins Hintertreffen geraten ist. In diesem Zusammenhang spielt das EastMed Gas Forum (EMGF) eine entscheidende Rolle. Ihm gehören neben Ägypten, Israel, Jorda­nien und der palästinensischen Verwaltung die EU-Mitgliedstaaten Frankreich, Griechen­land, Italien und Zypern an, nicht jedoch die Türkei. Die Europäische Kom­mission hat seit Juli 2021 einen Beobachterstatus. Im Gründungsdokument des im Januar 2019 konstituierten Zusammenschlusses erklären die Unterzeichnerstaaten, zentra­les Ziel des Forums sei die Schaffung und Erweiterung eines regionalen Gasmarkts. Mittlerweile ist auch die Förderung er­neuer­barer Energien auf die Agenda der EMGF-Gipfeltreffen gerückt. Das Forum entstand in Reaktion auf die konfrontative Politik Ankaras gegenüber den Nachbarländern. Heute bemängelt die türkische Führung, davon ausgeschlossen worden zu sein. Als Regionalmacht verfügt die Türkei allerdings über militärische Fähigkeiten, die sie in den Stand setzen, die Planungen der anderen Anrainerstaaten zu durchkreuzen.

Handlungsempfehlungen für die EU und Deutschland

Betrachtet man die Akteure im östlichen Mittelmeerraum und deren energiewirtschaftliche Positionen genau, dann zeigt sich, wie bedeutsam europäische Energiediplomatie in der Region zukünftig sein wird. Der Green Deal und dessen politische Folgen werden sich maßgeblich auf die ökonomische und ökologische Situation der Anrainerstaaten auswirken. Umgekehrt wird die östliche Mittelmeerregion zu einem bedeutsamen Faktor für das Erreichen der europäischen Klima- und Energieziele. Wäh­rend den Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns seitens der EU mittlerweile keine Relevanz für die europäische Energieversor­gung mehr zugesprochen wird, rücken nachhaltigere Formen der Energiewirtschaft in der Region ins Zentrum des Interesses: Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Produktion von Ökostrom, die Ausweitung von Interkonnektivität und die Chance auf eine Offshore-Wasserstoffproduktion, die an den europäischen Markt angebunden ist, erscheinen aus europäischer Perspektive überaus lukrativ. Das östliche Mittelmeer wird zu einem Verbindungsraum, in dem sich Infrastrukturen und Transaktionen zunehmend verdichten. Die Türkei ist auf­grund ihrer wirtschaftlichen und politischen Dominanz in der Region in der von der EU beabsichtigten Energiewende ein zentraler und zugleich schwieriger Akteur. Eine Koordinierung der energiewirtschaft­lichen Transformation zwischen der EU und der Türkei wäre im beiderseitigen Interesse. Andernfalls drohen hohe politische Kosten und Hindernisse auf dem Weg zur Verwirk­lichung der energiewirtschaftlichen Ziele. Im Grunde ist auch die Türkei auf eine Ko­operation mit der EU angewiesen, da sie dringend Investitionshilfen für den Aufbau einer nachhaltigen Energieinfrastruktur benötigt.

Aus diesen Überlegungen lassen sich für die EU drei zentrale Handlungsempfehlungen ableiten:

Hinsichtlich des Umgangs mit fossilen Energieträgern sollte die EU gegenüber internationalen Unternehmen und den Anrainerstaaten des östlichen Mittelmeerraums konsequent dafür werben, die Gas­erkundungen vor Zypern und in der Ägäis kurzfristig zu stoppen und ruhen zu lassen. Die pandemiebedingte Einstellung der Ex­plorationen in den vergangenen Monaten hat gezeigt, dass dadurch die Lage deeska­liert und neue Gesprächskanäle geöffnet werden können. Ferner sollte die Europäische Kommission angesichts ihrer eigenen Klimaziele keine weiteren Investitionen in neue fossile Infrastrukturen, primär die EastMed-Pipeline, tätigen, sondern ihren Fokus vielmehr auf die Erschließung von Transportrouten für klimaneutralen Wasser­stoff richten. Dies wäre ein starkes Signal in die Region und würde entscheidend dazu beitragen, das ohnehin überholte Narrativ vom zyprischen Gas als Exportschlager zu entkräften.

Hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien sollte die EU den ökologischen und ökonomischen Handlungsdruck, unter dem Grie­chenland, die Türkei und Zypern stehen, nutzen und Investitionen für nach­haltige Energieinfrastrukturen in den Mittel­punkt ihrer Strategie für diese Länder stel­len. Prioritär sollte sie die Weiterentwick­lung der Interkonnektivität, der Off­shore-Windenergie und der Erzeugung von klima­neutralem Wasserstoff fördern. Der EU böte sich damit die Gelegenheit, ihre Führungsrolle im Bereich nachhaltiger Energien und Wasserstoff auszubauen. Griechenland, die Türkei und Zypern könn­ten im Zuge dessen sowohl ihre Klima- und Umweltbilanz ver­bessern als auch ihre Abhängigkeit von fos­silen Energieimporten verringern.

Hinsichtlich des Streits um die Festlegung von Ausschließlichen Wirtschaftszonen soll­ten Vorkehrungen getroffen werden, da­mit sich die ungelösten Konflikte um See­grenzverläufe, territoriale Souveränität und politischen Einfluss zwischen Griechen­land, der Türkei und den zyprischen Bevöl­ke­rungsgruppen nicht negativ auf die Ener­gie­transformation in der Region auswirken. Um für den Bau des EuroAsia und des Euro­Africa Interconnector politisch günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, sollte die EU mit Ankara innerhalb des EU-Türkei-Klimadialogs auf höchster politischer Ebene einen konstruktiven Austausch anbahnen, im Zuge dessen Konzepte für eine gemeinsame Nutzung regio­naler Energieflüsse erarbeitet werden. Da ihr Strom­netz mit dem kontinentaleuropäischen synchronisiert ist, könnte die Türkei potentiell zügig in einen größeren Stromraum, der mit Grün­strom versorgt wird, integriert werden. Zum anderen würde die Türkei, wenn sie die Realisierung der Inter­konnektoren be­hindert, sowohl Ägypten als auch Israel in die Quere kommen und damit die von ihr angestrebte Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit diesen Ländern konterkarieren. Zudem sollte die EU gegen­über Ankara eine klare Linie verfolgen. In der Vergangenheit lenkte die Türkei ein, wenn sie als Reaktion auf ihre rechtswidrigen Gaserkundungen in der AWZ der Repu­blik Zypern oder in unmittelbarer Nähe der griechischen Insel Kastel­lorizo ernsthafte wirtschaftliche Konsequen­zen befürchten musste. Basierend auf dieser Erfahrung sollte die EU der türkischen Regierung dar­legen, dass Störaktionen beim Bau des Inter­konnektors zwischen Griechenland und Zypern gleichermaßen mit ökonomischen Gegenmaßnahmen beantwortet würden.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Energie­wende im östlichen Mittelmeerraum eine regionale, aber auch eine europäische Koordinierung erfordert. Hierzu braucht es einen adäquaten multilateralen Rahmen. Das EastMed Gas Forum (EMGF) ist dafür derzeit nur bedingt geeignet. Zwar stehen bei den Gipfeltreffen der EMGF neben den Gas­themen mittlerweile auch verstärkt die Energiewende und der Kampf gegen den Klimawandel auf der Agenda. Allerdings ist das Verhältnis zwischen dem EMGF und dem Nichtmitglied Türkei weiterhin ge­spannt. Aus diesem Grund sollte im Sinne der energiewirtschaftlichen Neukartierung des östlichen Mittelmeerraums über ein neues inklusives regionales Format nach­gedacht werden.

Moritz Rau ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen, Dr. Günter Seufert ist Leiter des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) an der SWP, Dr. Kirsten Westphal ist Vorstand der H2Global-Stiftung und in der Forschungsgruppe Globale Fragen als externe Beraterin für Themen der Energietransformation tätig.

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