Um die europäische Armee wird eine ideologische Schlacht geschlagen, die Europas Verteidigung nicht voranbringt. Claudia Major und Christian Mölling fordern stattdessen pragmatische Schritte auf dem Weg zu einem verteidigungsfähigen Europa.
Kurz gesagt, 11.03.2015 Research AreasClaudia Major
Um die europäische Armee wird eine ideologische Schlacht geschlagen, die Europas Verteidigung nicht voranbringt. Claudia Major und Christian Mölling fordern stattdessen pragmatische Schritte auf dem Weg zu einem verteidigungsfähigen Europa.
Die Idee der europäischen Armee ist zurück – und es spricht vieles dafür: Sie könnte Geld sparen, zugleich wären die 28 gemeinsam agierenden Staaten militärisch schlagkräftiger und politisch besser legitimiert als jeder einzelne Staat es sein kann. Viele politische Fragen aber sind ungeklärt, etwa wo die gemeinsame Armee eingesetzt werden, wer sie leiten oder ihren Einsatz autorisieren bzw. kontrollieren soll. Gegen eine echte Debatte über die Idee formiert sich regelmäßig erheblicher Widerstand, weil mit der Europäisierung der Verteidigung auch nationale Vorrechte und Traditionen aufgegeben werden müssten. So bleibt der Ruf nach der gemeinsamen Armee ein symbolisches Bekenntnis zu einem Mehr an Europa, das in weiter Zukunft liegt. Von den wirklichen Problemen europäischer Verteidigung im Hier und Jetzt lenkt er nur ab.
Europas Umfeld hat sich in einen Krisenbogen verwandelt, der mittlerweile vom Baltikum über den Mittleren Osten bis zum Maghreb reicht. Der damit einhergehenden Gewalt und ihren Auswirkungen kann Europa sich nicht entziehen. Auch die Ukraine-Krise hat uns vor Augen geführt, dass Europa militärisch verletzlich ist. Zugleich sinken die Verteidigungsausgaben in Europa weiter. Die entscheidende Frage ist also die kurz- und mittelfristige nach der Verteidigungsfähigkeit Europas. Hier können die Staaten voranschreiten, ohne sich bereits heute entscheiden zu müssen, ob dies zu einer europäischen Armee führt oder nicht.
Die Gelegenheit für pragmatische Fortschritte ist günstig, denn Europa debattiert wieder über Verteidigung. So hat die EU gerade die Vorarbeit an einer neuen Sicherheitsstrategie begonnen, die 2017 fertig werden soll. Im Juni 2015 findet der nächste EU-Verteidigungsgipfel statt; im Frühjahr des Jahrs 2016 will die NATO auf ihrem Gipfel in Warschau konkrete Ergebnisse zur Modernisierung der europäischen Verteidigung auf den Tisch legen. All diese Anlässe bieten die Chance, sich über konkrete Schritte zu mehr Gemeinsamkeit in der Verteidigung zu verständigen, die allesamt auch unerlässlich für eine Europäische Armee wären. Vier Bereiche sind dabei zentral.
Gemeinsame Sicherheitspolitik
Der Konsens in Europa ist wackelig, wenn es um die Frage geht, wann Gewalt ein Mittel der Politik sein darf. Auch die Bedrohungslage wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Im Augenblick neigen viele dazu, Russland als Problem ins Zentrum zu stellen; diese Einschätzung aber lässt die Sorgen einiger Europäer außen vor. Denn für Länder wie Frankreich oder Spanien ist vor allem die Instabilität in Afrika und dem Mittleren Osten bedrohlich. Die Diskussion um die neue EU-Sicherheitsstrategie bietet Gelegenheit, sich darüber zu verständigen, dass in Zukunft Bündnisverteidigung im Osten genauso wichtig sein wird wie Krisenmanagement im Süden. Schließlich könnte Deutschland Vorschläge dazu präsentieren, wie die Parlamentsbeteiligung, die übrigens auch sechzehn weitere EU-Länder vorsehen, in ein europäisches Entscheidungsgefüge eingebettet werden kann.
Gemeinsames Militär
Es braucht einen militärischen Kern, um den herum die Staaten Kooperationen systematisch aufbauen – statt des üblichen Flickenteppichs mehr schlecht als recht funktionierender Kleinstkooperationen. Die notwendige politische Signalwirkung und Anziehungskraft könnte entstehen, wenn die EU-Staaten ihr Battlegroups-Konzept mit dem Rahmennationen-Konzept verschmelzen, so wie es in der NATO heute angewendet wird. Dies bietet sich nicht nur an, weil die meisten EU-Staaten auch Mitglied der NATO sind und dem Rahmenationen-Konzept zugestimmt haben. Beiden liegt auch die Idee zugrunde, dass die Staaten das gemeinsam bereitstellen, wovon alle allein zu wenig haben, also etwa Fähigkeiten zu Aufklärung und Transport. Die Anwendung des Rahmennationen-Konzepts auf die Battlegroups würde für eine langfristige Kooperation der bisher nur jeweils für sechs Monate operierenden Verbände sorgen und diese mit mehr Möglichkeiten ausstatten. So wären sie, anders als die bisherigen Battlegroups, in den Krisen unserer Zeit real einsetzbar. Eine so entstehende schnelle Einsatzbrigade der EU könnte eine unmittelbare Aufgabe erhalten, nämlich Schutz und Krisenmanagement an der Südflanke. Die NATO würde damit entlastet und könnte sich auf die Bündnisverteidigung konzentrieren. Grundsätzlich könnte ein gemeinsam in EU und NATO genutztes Konzept dazu beitragen, die oft holprige Kooperation der beiden Organisationen zu verbessern.
Gemeinsame Rüstung
Eine gemeinsame Rüstungsindustrie würde Europa nicht nur politisch unabhängig machen, sondern auch Armeen mit einheitlichem Gerät versorgen; bislang behindern inkompatible nationale Versionen die Kooperation. Mit der Vereinheitlichung sänken die Kosten und stiege die Effizienz. Das angedachte europäische Drohnenprogramm ist derzeit das einzige europäische Rüstungsprojekt am Horizont, auf dessen Grundlage die verschwenderischen nationalen Rüstungspolitiken auf mehr Europa umgesteuert werden könnten. Weil viele EU-Mitglieder daran teilnehmen möchten, stehen die Chancen gut, über das Projekt neue Regeln für den Wettbewerb durchzusetzen. Mit einer Finanzierungszusage könnten die wichtigsten Staaten bei diesem Projekt, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, beim EU-Verteidigungsrat im Juni ein klares Signal für mehr Europa in der Rüstung setzen. Im gleichen Zuge sollten sie vereinbaren, dass Wettbewerbskriterien bei der Auftragsvergabe im Vordergrund stehen, nicht wie bislang Proporzregeln.
Gemeinsames Recht
Die intensive Zusammenarbeit europäischer Soldaten bietet die Gelegenheit, einen europäischen Korpsgeist zu schaffen. Allerdings scheitert sie bislang oft an technischen und juristischen Details wie ungleichen Besoldungen, Karrierechancen, Versorgungsreglungen oder Einsatzregeln. Berlin sollte klären, welche Standards die Bundeswehr auch im europäischen Kontext halten will und welche nicht.
Europa wäre gut bedient, mit konkreten Schritten für seine Verteidigungsfähigkeit zu sorgen, anstatt in ideologischen Schlachten zu verharren. Nur so lässt sich letztlich auch die Idee von der Europäischen Armee voranbringen.
Dieses »Kurz gesagt« ist auch bei Handelsblatt.com und Euractiv.de erschienen.
Innere Herausforderungen bestimmen in größerem Maße über die Möglichkeiten deutscher Verteidigungspolitik als das strategische Umfeld
Für Stabilisierung ist mehr nötig als Ausbildung und Gerät
Deutschlands Beitrag, damit Europa verteidigungsfähig bleibt
Alternativen deutscher Rüstungspolitik
Anstatt kleinteilige Projekte zu lancieren, sollte Deutschland beim EU-Verteidigungsgipfel im Dezember sein Konzept der »Rahmennationen« einbringen, meinen Major und Mölling.