Im September hat das vom Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) eingesetzte »High-Level Panel zu Binnenvertreibung« seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin verlangt es eine Schwerpunktverschiebung von kurzfristigen humanitären hin zu längerfristigen entwicklungsorientierten Ansätzen und somit eine Fokussierung auf dauerhafte Lösungen. Zentrale Reformvorschläge des Panels – insbesondere die Einrichtung eines Globalen Fonds und die Ernennung eines UN-Sonderbeauftragten zum Thema – sind auf internationaler Ebene derzeit nicht konsensfähig. Gleichwohl bietet der Bericht wichtige Ansatzpunkte, um langandauernde Binnenvertreibung zu bewältigen: zum einen neue Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen, um eine aktive Beteiligung der direkt betroffenen Regierungen zu fördern, zum anderen die Operationalisierung des Humanitarian-Development-Peace Nexus (HDP-Nexus). Um diese Empfehlungen mit Leben zu füllen, sollte sich die neue Bundesregierung ressortübergreifend im Follow-up-Prozess zum High-Level Panel engagieren.
Nach Angaben des Internal Displacement Monitoring Centre waren im Jahr 2020 insgesamt 48 Millionen Menschen aufgrund von Kriegen und bewaffneten Konflikten innerhalb ihres eigenen Landes vertrieben, die überwiegende Mehrheit von ihnen in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Hinzu kommen 7 Millionen Menschen, die ihre Herkunftsorte infolge von Naturkatastrophen und klimabedingten Ereignissen verlassen mussten, sowie weitere, die wegen großer Infrastrukturprojekte, Menschenrechtsverletzungen oder organisierter Kriminalität geflohen sind. Die Zahl der Binnenvertriebenen übersteigt damit die Zahl grenzüberschreitender Flüchtlinge seit Jahren. Anders als Letztere haben sie aber kein Anrecht auf internationalen Schutz. Stattdessen liegt die Verantwortung für ihren Schutz und ihre Versorgung bei den jeweiligen Regierungen.
Geringe nationale und internationale Aufmerksamkeit
Allzu oft werden Regierungen ihrer Verantwortung für Binnenvertriebene nicht gerecht. Die Gründe hierfür sind vielfältig: In manchen Fällen, wie in Syrien oder im Sudan, sind staatliche Akteure aktiv an den Vertreibungen beteiligt und es liegt ihnen fern, den Betroffenen zu helfen. In anderen, etwa in der Demokratischen Republik Kongo oder in Somalia, fehlt es den Regierungen an Kapazitäten und Ressourcen, um wirksam zu reagieren. In vielen Fällen ist aber beides nicht ausschlaggebend, so in Afghanistan. Stattdessen hat die Unterstützung von Binnenvertriebenen – die häufig schon vor der Vertreibung zu benachteiligten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen gehörten – für nationale Entscheidungsträgerinnen und ‑träger schlicht keine Priorität.
Dies führt zu immer mehr Fällen langandauernder Binnenvertreibung, die einen Großteil der weltweiten Binnenvertreibung ausmacht. Die hiervon Betroffenen leiden unter vertreibungsbedingten Benachteiligungen, obwohl die ursprüngliche Vertreibung Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt. Der Mangel an dauerhaften Lösungen äußert sich beispielsweise in Form eingeschränkten Zugangs zu staatlichen Grundleistungen oder dauerhaft prekärer Wohnsituationen. Darüber hinaus geht Binnenvertreibung mit erheblichen gesamtgesellschaftlichen Kosten einher, etwa in Gestalt wirtschaftlicher Einbußen und der Verschärfung bestehender Gewaltkonflikte.
Gleichzeitig fehlt es an internationaler Aufmerksamkeit für Binnenvertreibung, weil diese anders als grenzüberschreitende Flucht keine unmittelbaren Auswirkungen auf andere Länder hat. Zudem werten viele betroffene Regierungen einen Einsatz für die Rechte von Binnenvertriebenen, der über deren humanitäre Versorgung hinausgeht, als unzulässigen Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten. Und schließlich sind die institutionellen Zuständigkeiten für Binnenvertriebene im UN-System seit jeher unscharf definiert und von Mandatsstreitigkeiten zwischen den Akteuren geprägt – im Clusteransatz der humanitären Hilfe insbesondere zwischen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR). Hinzu kommen die unzureichende Einbindung von Entwicklungsakteuren wie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sowie die Tatsache, dass für katastrophenbedingte und konfliktinduzierte Binnenvertriebene häufig separate Unterstützungsstrukturen bestehen. Infolgedessen bleibt das internationale Engagement gering, fragmentiert und wenig verlässlich.
Der Weg zum High-Level Panel
Ergebnis dieser Gemengelage aus mangelnder Priorisierung, dem Umstand, dass es sich um ein politisch sensibles Thema handelt, sowie fragmentierten institutionellen Zuständigkeiten ist, dass Binnenvertreibung in zentralen fluchtpolitischen Verhandlungen und Prozessen nicht berücksichtigt wurde: Während die Einleitung der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten von 2016 auf den Handlungsbedarf in dieser Frage hinweist, bezieht sich der darauf aufbauende Globale Pakt für Flüchtlinge nur auf Situationen grenzüberschreitender Flucht.
Um die hierdurch entstandene normative und institutionelle Leerstelle zu füllen, forderte eine Gruppe von 57 Staaten – darunter neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch einige von Binnenvertreibung betroffene Länder wie Afghanistan, Georgien, Irak und Nigeria – im Mai 2019 den UN-Generalsekretär António Guterres dazu auf, ein High-Level Panel zum Thema Binnenvertreibung ins Leben zu rufen. Dieses sollte mehr internationale Aufmerksamkeit schaffen und konkrete Lösungsansätze für das sich verschärfende globale Problem der Binnenvertreibung erarbeiten. Ende 2019 beauftragte Guterres UNHCR, IOM und das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) mit der Konzeption eines solchen Gremiums. Ausgewählt wurden acht Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und internationalen Organisationen, die Mehrzahl von ihnen aus direkt von Binnenvertreibung betroffenen Ländern. Anfang 2020 nahm das Panel seine Arbeit auf. Auch die deutsche Regierung unterstützte den Prozess finanziell und politisch.
Fokus auf dauerhafte Lösungen
Der im September 2021 erschienene Abschlussbericht des Panels »Shining a Light on Internal Displacement. A Vision for the Future« spiegelt eine im Mandat des Gremiums angelegte, im Verlauf der Arbeit aber noch einmal zugespitzte Fokussierung auf dauerhafte Lösungen für Binnenvertriebene und aufnehmende Gemeinden wider (Empfehlungen 1–7). Deutlich weniger ausführlich geht der Bericht auf die Prävention und auf Schutz und Unterstützung in humanitären Notlagen ein (Empfehlungen 8 und 9). Abschließend macht er Vorschläge für das Follow-up des Panel-Prozesses (Empfehlung 10).
Diese Schwerpunktsetzung beruht auf der Einschätzung, dass die größten Handlungsmöglichkeiten bei der Bewältigung langandauernder Vertreibungssituationen liegen. Hier sind echte Fortschritte allerdings nur im Einvernehmen mit den jeweiligen Regierungen möglich. Die Empfehlungen beziehen sich daher explizit auf Länderkontexte, in denen staatliche Akteure grundsätzlich bereit sind, sich konstruktiv mit Binnenvertreibung auseinanderzusetzen. Zudem stehen sie für einen Wandel von kurzfristig angelegter humanitärer Hilfe hin zu langfristigen und stärker entwicklungsorientierten Ansätzen.
Als Ausgangspunkt rekapituliert der Bericht eine Reihe von Forderungen an nationale Akteure, über die in Wissenschaft und Praxis schon lange weitgehende Einigkeit herrscht: Im Rahmen eines Gesamtregierungsansatzes sollen betroffene Regierungen Gesetze und Strategien zum Schutz der Grundrechte von Binnenvertriebenen verabschieden und finanzielle Mittel für Lösungsansätze auf lokaler und kommunaler Ebene bereitstellen. Darüber hinaus spricht sich das Panel dafür aus, Binnenvertriebene aktiv in Friedensprozesse einzubinden und ihre Bedarfe gezielt in nationalen und lokalen Entwicklungsplänen sowie in stadtplanerischen Prozessen zu berücksichtigen (Empfehlung 1). Die Umsetzung dieser Ziele soll dadurch unterstützt werden, dass zivilgesellschaftliche Akteure systematisch beteiligt und privatwirtschaftliches Engagement gefördert wird (Empfehlungen 3 und 4).
Ungeachtet der Relevanz dieser Ansätze liegt der Mehrwert des Berichts an anderer Stelle: Zum einen zeigt er konkret auf, wie der für die Realisierung dauerhafter Lösungen erforderliche politische Wille gefördert bzw. mobilisiert werden kann, zum anderen enthält er Vorschläge für die Operationalisierung des HDP-Nexus.
Anreize setzen und Rechenschaft stärken
Um den politischen Willen staatlicher Akteure zu stärken, schlägt das Panel vor, neue Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen zu etablieren. Hierzu soll unter anderem ein UN-Sonderbeauftragter für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung (Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on Solutions to Internal Displacement) ernannt werden. Dieses Amt würde über größeres politisches Gewicht verfügen als das schon existierende der UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen. Dieser Einfluss soll genutzt werden, um durch gezielte diplomatische Bemühungen sicherzustellen, dass sich betroffene Regierungen kontinuierlich engagieren. Ein jährlicher UN-Bericht zum Thema und die strafrechtliche Verfolgung von Vertreibungsakteuren vor nationalen Gerichten oder dem Internationalen Strafgerichtshof sollen dafür sorgen, dass Regierungen ihrer Rechenschaftspflicht nachkommen (Empfehlung 2).
Für ebenso wichtig erachtet das Panel Finanzierungsstrukturen, die Anreize dafür bieten, dauerhafte Lösungen zu schaffen. Es empfiehlt, Lösungsansätze für das Problem der Binnenvertreibung systematischer als bisher in bereits vorhandene Finanzierungsmechanismen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu integrieren. Gleichzeitig sollen eigenständige und auf dauerhafte Lösungen ausgerichtete Finanzierungsinstrumente geschaffen werden. Sie sollen als Katalysator für die Umsetzung solcher Lösungen dienen, dabei aber auch zur Leistungsüberwachung und Einhaltung der Rechenschaftspflicht beitragen. Ein konkreter Vorschlag sieht vor, einen Globalen Fonds für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung einzurichten (Empfehlung 6).
Schließlich plädiert der Bericht dafür, in eine verbesserte Datensammlung und ‑analyse zu investieren, um auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse nationale Akteure vom Mehrwert dauerhafter Lösungen zu überzeugen (Empfehlung 7).
Operationalisierung des HDP‑Nexus
Um die vom High-Level Panel angestrebte Schwerpunktverschiebung von einem primär humanitären zu einem entwicklungsorientierten Umgang mit langandauernder Binnenvertreibung zu fördern, regt der Bericht eine Reihe UN-interner Reformen im Sinne des HDP-Nexus an. Auch hier ist die Ernennung eines SRSG mit der politischen Autorität, UN-Akteure aus allen drei Feldern zusammenzubringen, zentral.
Ebenso viel Bedeutung spricht das Panel den in den jeweiligen Ländern ansässigen UN Resident Coordinators zu, den ranghöchsten Vertreterinnen und Vertretern des UN-Entwicklungssystems auf Landesebene. Es empfiehlt, deren Führungsposition bei der Entwicklung und Koordinierung von Lösungsstrategien im Kontext von Binnenvertreibung formell zu bekräftigen und diese Verantwortung in ihre Aufgabenbeschreibung aufzunehmen. Zudem sollen die mit EZ befassten UN-Organisationen ihr Engagement im Bereich dauerhafte Lösungen intensivieren und sich für eine gemeinsame Analyse und Programmplanung einsetzen (Empfehlung 5).
Die Finanzierung dauerhafter Lösungen soll den Empfehlungen des Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Nexus-Ansatz entsprechen (Empfehlung 6).
Hürden und Kontroversen
Angesichts des zunehmenden Problemdrucks aufgrund stetig steigender Zahlen an Binnenvertriebenen waren die Erwartungen an das Panel hoch. Die Bereitschaft einiger direkt betroffener Regierungen, sich konstruktiv einzubringen und auf dauerhafte Lösungen hinzuarbeiten, schürte die Hoffnung, dass der Prozess eine Eigendynamik entwickeln würde. Man versprach sich greifbare Ergebnisse und ein stärkeres nationales Engagement für dauerhafte Lösungen. Nach Veröffentlichung des Abschlussberichts zeichnet sich jedoch ab, dass diese Erwartungen in naher Zukunft nicht erfüllt werden. Dafür lassen sich drei wesentliche Gründe ausmachen.
Fehlender politischer Konsens
Erstens mangelt es an politischer Unterstützung für einige der prominentesten Empfehlungen des Panel-Berichts, insbesondere für die Ernennung eines SRSG sowie für die Einrichtung eines Globalen Fonds für Lösungen im Bereich Binnenvertreibung. Auf UN-Ebene ist dies zurückzuführen auf die fortwährende Konkurrenz hinsichtlich der institutionellen Zuständigkeit für Binnenvertreibung. Vor allem IOM und UNHCR haben eine ablehnende Haltung gegenüber der Neueinsetzung eines SRSG; gleichzeitig signalisiert UNDP Interesse daran, eine Koordinierungsrolle einzunehmen. Auch die kurz vor Veröffentlichung des Abschlussberichts offen geäußerten Bedenken gegen die Einsetzung eines SRSG deuten darauf hin, dass es Versäumnisse gab in der für einen erfolgreichen Prozess unerlässlichen politischen Konsensbildung.
Zusätzlich haben die Regierungen wichtiger Geberländer legitime Vorbehalte gegenüber der Einrichtung eines weiteren internationalen Fonds im Themenfeld Flucht und Migration: Sie befürchten, dass sich daran nur eine kleine Gruppe von Staaten beteiligen würde, ähnlich wie beim Migration Multi-Partner Trust Fund, der im Rahmen des Globalen Paktes für eine sichere, geordnete und reguläre Migration gegründet wurde.
Skepsis auf Seiten der EZ
Zweitens krankte der Panel-Prozess von Beginn an daran, dass Entwicklungsakteure nur unzulänglich eingebunden wurden. Die Skepsis von UNDP und Weltbank gegenüber dem Ausbau separater Advocacy- und Finanzierungsstrukturen für Binnenvertriebene verweist auf die grundlegende Diskrepanz zwischen gruppenspezifischer humanitärer Unterstützung und dem integrierten Ansatz der EZ (idealtypisch: status-based vs. area-based approaches), die eine der größten Hürden bei der Umsetzung des HDP-Nexus darstellt.
Die ungenügende Einbeziehung der Entwicklungsakteure in die Konzeption des Panels schlägt sich auch im Ton des Berichts nieder, der sich in Teilen wie ein Forderungskatalog von humanitären Akteuren an die EZ liest. Dies läuft dem Ziel zuwider, zu einem gemeinsamen Verständnis der Handlungsbedarfe zu kommen, und schmälert die Chance auf ein sektorübergreifendes Engagement für dauerhafte Lösungen. Daneben fehlen überzeugende Vorschläge für eine systematische Einbindung von Friedensakteuren.
Mangel an Hoffnungsträgern
Drittens hat die Zeit gegen das High-Level Panel gearbeitet. Entstand die Forderung nach einem solchen Gremium noch im Kontext einer gewissen Aufbruchstimmung, in der es erstmals möglich schien, eine kritische Gruppe betroffener Staaten zum Handeln zu bewegen, sind im Verlauf der vergangenen zwei Jahre zwei zentrale Hoffnungsträger weggebrochen: Äthiopien befindet sich im Bürgerkrieg, in Afghanistan haben die Taliban die Macht übernommen. Zwar gäbe es andere Länder wie Somalia, in denen sich in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung entwicklungsorientierte Ansätze ausbauen ließen – aber diese Liste ist kurz.
Ansatzpunkte für deutsches Engagement
Ungeachtet dieser Probleme ist der Panel-Prozess nicht irrelevant. Das grundlegende Anliegen des Panels, die Bemühungen um dauerhafte Lösungen zu intensivieren, ist konsensfähig und zukunftsweisend – und steht auch im Einklang mit den im Mai 2021 veröffentlichten Empfehlungen der Fachkommission Fluchtursachen der Bundesregierung. Zudem ist die Strategie, einerseits Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen für staatliche Akteure zu schaffen und andererseits im UN-Institutionengefüge humanitäre und entwicklungsorientierte Ansätze besser zu verzahnen, für viele Regierungen anschlussfähig. Die Ausgestaltung der sich hieraus ableitenden Maßnahmen braucht allerdings einen starken politischen Konsens, der erst noch erarbeitet werden muss. Der nun vorliegende Bericht sollte demzufolge nicht als Endpunkt eines Prozesses gelesen werden, sondern als Grundlage für weitere Verhandlungen.
Eine Stärke des Panel-Prozesses lag in seiner partizipativen Natur, die sich in einer Vielzahl gehaltvoller Einreichungen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zeigte. Nun gilt es, dieses Momentum aufrechtzuerhalten und in einen zielorientierten Austausch über unterschiedliche Handlungsoptionen auf internationaler Ebene zu überführen. Hierfür bedarf es einer eigens dem Thema gewidmeten Plattform – beispielsweise in Form eines Globalen Forums zu Binnenvertreibung, welches alle relevanten Akteure zusammenbringt. Abgesehen davon sollte die neue Bundesregierung die prozessorientierten Elemente des Panel-Berichts unterstützen – also die Verstetigung von Foren, auf denen die Regierungen von Staaten, die von Binnenvertreibung betroffen sind, Erfahrungen austauschen; die Gründung einer sogenannten »Coalition of Champions«, in der Akteure aus der humanitären Hilfe, der EZ, der Friedensbildung und anderen relevanten Sektoren gemeinsam Lösungsstrategien entwickeln; schließlich die Einrichtung einer Kontaktgruppe bilateraler Geber, internationaler Finanzinstitutionen und der OECD, die gezielt darauf hinwirkt, Binnenvertreibung in Instrumente der Entwicklungsfinanzierung zu integrieren.
Um dauerhafte Lösungen zu erreichen, ist ein Brückenschlag zwischen humanitären und entwicklungsorientierten Ansätzen einerseits und eine geteilte deutsche Ressortzuständigkeit für das Themenfeld Binnenvertreibung andererseits von entscheidender Bedeutung. Daher sollten sich das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gleichwertig an diesen Prozessen beteiligen. Bei einem hochrangigen Forum zu Binnenvertreibung könnte das BMZ seine Erfahrungen aus der Sonderinitiative Flucht einbringen, die bereits explizit Binnenvertriebene adressiert. Dies würde auch die Gelegenheit bieten, auf internationaler Ebene für die Vorzüge von erfolgreichen Ansätzen und Instrumenten wie der strukturbildenden Übergangshilfe und dem Zivilen Friedensdienst zu werben, die seit langem in Vertreibungskontexten angewendet werden. Ebenso relevant ist eine weitere Konkretisierung der Friedenskomponente im Kontext des HDP-Nexus. Hierzu leistet das BMZ mit seinem Engagement für dauerhafte Lösungen im Rahmen der bestehenden Nexus- und Friedenspartnerschaften schon heute einen wichtigen Beitrag. Diese Bemühungen könnten in Ländern wie Somalia, Irak und Südsudan weiter ausgebaut werden.
Letztlich stellt langandauernde Binnenvertreibung einen zentralen Schauplatz für die Operationalisierung des HDP-Nexus dar. Der Panel-Bericht bietet wertvolle Vorschläge, wie seine Implementierung vorangetrieben werden kann, beispielsweise indem die Rolle der UN Resident Coordinators bei der Entwicklung dauerhafter Lösungen stärker formalisiert wird. Auch hierfür sollte sich die künftige Bundesregierung einsetzen – ebenso wie für die Entwicklung neuer Finanzierungsinstrumente. Diese müssten perspektivisch die Anreizstrukturen für Regierungen von Ländern, die von Binnenvertreibung betroffen sind, dahingehend ändern, dass die Schaffung dauerhafter Lösungen Priorität hat.
Literaturhinweise
Anne Koch
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2020 (SWP-Studie 4/2020)
Anne Koch
Binnenvertreibung: Eine entwicklungspolitische Herausforderung
Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 29.4.2020 (Kurz gesagt)
SWP-Themendossier »Flucht und Migration«
Dr. Anne Koch ist Wissenschaftlerin und Nadine Knapp ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik«.
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doi: 10.18449/2021A70